Die Hermetik - Manfred Ehmer - E-Book

Die Hermetik E-Book

Manfred Ehmer

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Beschreibung

Das delphische »Erkenne Dich selbst« scheint der kategorische Imperativ der Hermetik gewesen zu sein. Diese war ein Erlösungsweg, der die Befreiung der menschlichen Seele aus der irdischen Wandelwelt und ihre schlussendliche Vereinigung mit dem göttlichen All-Geist anstrebte. So kann man die Hermetik den Gnostischen Yoga des Westens nennen. Die Hermetik als Erkenntnisweg – in diesem Buch wird sie umfassend dargestellt, und zwar auf Grundlage der im Corpus Hermeticum niedergelegten Lehrreden des Hermes Trismegistos an seinen Sohn und Schüler Tat.

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Seitenzahl: 207

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Manfred Ehmer

Die Hermetik – der GnostischeYoga des Westens

E-Book

Die Hermetik. Der gnostische Yoga des Westens

Band 15 der Reihe Edition Theophanie

Copyright © 2024 Theophania Verlag

Inhaber: Dr. Manfred Ehmer

Angerburger Allee 9, 14055 Berlin

E-Mail: [email protected]

Webseite: https://www.manfred-ehmer.net

Druck und Distribution: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5,

22926 Ahrensburg, Germany

ISBN Softcover:

978-3-347-47480-2

ISBN Hardcover:

978-3-347-47481-9

ISBN E-Book:

978-3-347-47482-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheber-rechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustim-mung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Hermes Trismegistos – Seher, Prophet, Menschheitslehrer

Wer war Hermes Trismegistos?

Thot-Hermes, Merkur und Odin

Die Bruderschaft der Meister

Hermes – eine historische Person?

Die Ursprünge der Hermetik in Atlantis und Ägypten

Atlantische Ursprünge der Hermetik

Henoch und die Säulen der Weisheit

Agathos Daimon – ein gnostischer Heiland

Das esoterische Erbe Ägyptens

Die ägyptische Pyramidenkultur

Die Hermetik als Weg der Selbst,- All- und Gott-Erkenntnis

Das hermetische Schrifttum

Grundgedanken der Hermetik

Wie oben, so unten – der Analogiesatz

Die Welt als Erscheinung Gottes

Der Gnostische Yoga des Westens

Von der Schau des Guten

Der Reinkarnationsgedanke

Wir alle sind Söhne Gottes

Die Wesensglieder des Menschen

Nur Gleiches kann Gleiches erkennen

Das Mysterium der Wiedergeburt

Hermetische Sonnen-Mysterien

Aion – der mystische Zeitkörper

Grundlagen Hermetischer Magie

Das Fortwirken der Hermetik in den Traditionen der westlichen Esoterik

Hermes Trismegistos und die Alchemie

Die Hermetik in der Renaissance

Die Thesen des Pico della Mirandola

Der Impuls des Christian Rosencreutz

Die Hermetik in der Freimaurerei

Die Hermetik in der Theosophie

Die Hermetik im 20. Jahrhundert

Die christliche Hermetik von Valentin Tomberg

Hermetik – heidnisch oder christlich?

Valentin Tombergs Hermetik-Begriff

Auf der Suche nach dem Buch Thot

Hermes Trismegistos als Wegbereiter des Weltenwortes

Zitatnachweis

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Hermes Trismegistos – Seher, Prophet, Menschheitslehrer

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Hermes Trismegistos – Seher, Prophet, Menschheitslehrer

Wer war Hermes Trismegistos?

Der aus Ägypten stammende Weisheitslehrer Thot Hermes, der den Beinamen Trismegistos – der Dreimalgrößte – erhielt, gilt gemeinhin als der Begründer der Alchemie, die darum auch die „Hermetische Kunst“ heißt. Aber wer war Hermes Trismegistos? Ein Gott? Ein Halbgott? Ein aus höchsten Geistesebenen Herabgestiegener? Oder eine historische Per-sönlichkeit? Wir wissen es nicht; seine Existenz ist bis heute noch nicht nachgewiesen, und doch galt er im Altertum als einer der größten Wissenden aller Zeiten. Seine Weisheit soll angeblich in vielen Büchern nie-dergelegt worden sein, nach Clemens Alexandrinus in insgesamt 42, davon 36 Bücher theologischen und as-tronomischen sowie 6 medizinischen Inhalts.

Von allen diesen Büchern ist indessen keine Spur mehr übrig geblieben. Erhalten hat sich lediglich ein in griechischer Sprache abgefasster Corpus von 15 Dialogen, der mit dem Poimandres-Dialog beginnt und unter dem Namen Corpus Hermeticum bekannt ist, außerdem der lateinisch abgefasste Dialog Asclepius, die von Stobaeus gesammelten Fragmente, ferner einige aphoristische Sätze unter dem Namen Tabula Smaragdina sowie zahlreiche Einzelschriften in lateinischer, griechischer und koptischer Sprache, die sich mit den verschiedensten Formen der Astrologie, der Weissagung und der Magie befassen. Diese magisch-astrologischen Schriften stammen von verschiedenen Autoren, wurden aber Hermes Trismegistos zugeschrieben. Das Corpus Hermeticum, zweifellos die bedeutendste aller hermetischen Schriften, die eindeutig den Geist einer spätantiken alexandrinisch-hellenistischen Gnosis atmet, dürfte keiner früheren Zeit als den letzten Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts n. Chr. angehören.

Symbolisch aufzufassen ist allein schon der Name des unbekannten Verfassers der hermetischen Schriften; in ihm werden zwei Göttergestalten der antiken Welt synkretistisch miteinander verknüpft, der ägyptische Thot und der griechische Hermes. In Ägypten hatte der ibisköpfige Gott Thot, auch Djehuti, der im Neuen Reich (1559 bis 1200 v. Chr.) in Paviangestalt verehrt wurde, sein Kultzentrum in Hermopolis; er galt als Gott des Wissens, der Schrift und der Sprache. In einer Inschrift auf dem Sockel des Gütervorstehers Cheriuf, die aus der Zeit des Königs Amenophis' III. stammt, wird er als Lehrer aller möglichen Künste und Handwerke dargestellt: „So priesen Götter und Menschen seine Weisheit, mit der er die Gottesdienste und Opfer eingerichtet hatte. Er hatte die Menschen das Schreiben gelehrt und die Kunst der Rede. Er hatte die Beamten angewiesen, wie sie die Tempel und Paläste für Götter und Könige zu pflegen hätten. So wurde nichts von seiner Weisheit vergessen, auch nicht die Kunst des Handwerkes im Weben und Flechten, in Jagd und Ackerbau.“1

Hermopolis, der Kultort des Thot, heißt wörlich übersetzt: Stadt des Hermes; die Wesensverwandtschaft zwischen Thot und dem griechischen Hermes kommt indessen nicht nur in diesem Namen zum Ausdruck. Nach Homer ist es Hermes, der „den Werken aller Menschen Anmut und Glanz verleiht“ (Odyssee XV /319): er ist der Götterbote, der Mittler zwischen himmlischer und irdischer Welt, der Führer und Beschützer der Wanderer auf allen Wegen, aber auch der Führer der verstorbenen Seelen im Totenreich.

Darüber hinaus hat er als Gott der Kniffe und Listen auch einen Bezug zur Magie, und sein Stab Caduceus mag als Wanderer- wie auch als Zauberstab gelten. Seine Entsprechung in der germanischen Mythologie ist der Magier-Gott Odin, ein ewiger Wanderer gleich Hermes, der insbesondere die Schrift erfunden haben soll. Ob Odin, Hermes, Merkur, Thot – es ist ein und derselbe Wissensgott, gleich in welcher Gestalt er auftritt; immer hat er es mit der Sprache und dem Wort zu tun, besonders mit dem Zauberwort.

Hermes Trismegistos zählt zusammen mit Zarathustra, Pythagoras und Lao Tse zu den größten Geisteslehrern der Menschheit; Edouard Schuré hat ihm in seinem Buch Die großen Eingeweihten (1909) ein ganzes Kapitel gewidmet, und er gelangt zu der Ansicht, dass der Name Thot Hermes nicht nur eine einzelne Person bezeichnet, sondern auch eine Art Sammelbezeichnung darstellt. Schuré schreibt: „Hermes ist ein genereller Name wie Manu und Buddha. Er bezeichnet zugleich einen Menschen, eine Kaste und einen Gott. Als Mensch ist Hermes der erste, der große Eingeweihte Ägyptens; als Kaste ist er die Priesterschaft der okkulten Tradition; als Gott ist er der Planet Merkur, dessen Sphäre mit einer Kategorie von Geistern, von göttlichen Eingeweihten assimiliert ist.“2

Die Wesensgestalt des Hermes Trismegistos trägt indessen nicht nur merkurische, sondern auch lunare Elemente in sich, zumal da der ägyptische Thot auch als zaubermächtiger Mondgott gesehen wurde; und es ist nicht strahlende klare Sonnenweisheit, die in der Hermetik lebt, sondern tiefnächtliche Mondenweisheit: eine Welt der Magie, der Symbolik und des Unbewussten. Diese magische Mondenwelt wird indessen durchdrugen von der kristallklaren Erkenntniskraft des Merkur. Die Astrologie, Magie, Alchemie und das damit verknüpfte Orakelwesen stellt freilich nur eine Seite der Hermetik dar; aber ihre eher philosophische Seite, wie sie uns in den Schriften des Corpus Hermeticum entgegenleuchtet, ist im höchsten Sinne religiöse Philosophie, ja noch mehr, ein voll ausgebildetes System hellenistischer Gnosis, das die Gottwerdung des Menschen durch Gott-Erkenntnis zu erreichen trachtet.

Den Alchemisten des Mittelalters und der Renaissance wie auch den Esoterikern der Neuzeit, von Eliphas Levi bis Thorwald Detleffsen, gilt Hermes Trismegistos nur als Verfasser der Tabula Smaragdina. Ihre Hauptaussage wird zuweilen auf den bekannten Satz „Wie oben, so unten“ reduziert, der in manchen Kreisen als der hermetische Satz schlechthin gilt. Tatsächtlich enthält die Smaragdene Tafel 16 aphoristische Rätselsätze, die – wenn richtig gedeutet im Lichte der hermetischen Philosophie – die vollständigen Grundlagen einer arkanologischen Wissenschaft enthalten. Das Wort Arkanum wird hier als gleichbedeutend mit dem Wort Mysterium verwendet, und eine arkanologische Wissenschaft ist eine solche, die das Einweihungswissen mit dem Erkenntnisprinzip durchdringt. Im Folgenden sei der vollständige Wortlaut der Smaragdenen Tafel in deutscher Übersetzung zitiert:

1. Es ist wahr ohne Lüge, gewiss und sehr wahr:

2. Was das Untere ist, ist wie das, was das Obere ist.

3. Und das, was das Obere ist, dient wie das, was das Untere ist, um die Wunder einer Sache zu Stande zu bringen.

4. Und wie alle Dinge von einem her stammen, durch den Plan eines: so stammen alle geschaffenen Dinge von dieser einen Sache her durch Adoption.

5. Sein Vater ist die Sonne, seine Mutter der Mond.

6. Der Wind trug es in seinem Bauche, seine Nährerin ist die Erde.

7. Es ist der Vater aller Vollendung der ganzen Welt, seine Tugend ist vollkommen, wenn es in Erde verwandelt worden.

8. Trenne die Erde vom Feuer, das Subtile vom Dichten sukzessiv mit großer Geschicklichkeit.

9. Es steigt von der Erde zum Himmel und steigt dann wieder zur Erde hinab und erhält die Kraft der Oberen und Unteren.

10. So hast du den Ruhm der ganzen Welt.

11. Daher wird von dir fliehen jegliche Finsternis.

12. Das ist aller Stärke Stärke, weil sie jede subtile Sache besiegt und jede feste durchdringt.

13. So ist die Welt erschaffen.

14. Daher stammen die wundersamen Anpassungen, deren Maß dieses ist.

15. Deswegen heiße ich der dreimalgrößte Hermes, der ich habe drei Teile der Philosophie der ganzen Welt.

16. Es ist vollendet, was ich vom Wirken der Sonne gesagt habe.

Es hat schon Kommentatoren gegeben, die im Text der Tabula Smaragdina lediglich eine Gebrauchsanweisung zur Herstellung des Steins der Weisen sehen wollten, jenes magischen Universalmittels, das unedle Metalle wie Blei in Gold zu verwandeln vermag. Es ist indessen unsinnig, sich vorzustellen, dass der Stein der Weisen durch äußere Prozeduren und Operationen gewonnen werden könnte. Nein: Der Stein der Weisen, dieses Haupt-Arkanum der Alchemie, ruht vielmehr in unserem eigenen Inneren als unsere wahre, höhere Menschennatur! Der Stein der Weisen ist dasselbe, was der Mystiker Meister Eckhart als das Seelenfünklein und die indischen Meister als das Atman bezeichneten: unser höheres geistig-göttliches Selbst, das – wenn in rechter Weise erlöst – die Welt der Stofflichkeit durchlichtet und selbst die äußere physische Leiblichkeit unseres Körpers in eine höhere Geistleiblichkeit umwandelt. So und nur so ist die Aufforderung des Alchemisten Gerhard Dorn (16. Jahrhundert) zu verstehen: Transmutemini in vivos lapides philosophicos! – Verwandelt euch in lebendige Steine des Weisen!

Die Tabula Smaragdina soll der Sage nach zuerst von dem Magier Apollonios von Tyana (1. Jh. n. Chr.) aufgefunden worden sein; später gelangte sie in die Hände des Priesterarztes Sergios von Ris-Aina (6. Jh. n. Chr.), der den Text aus dem Altsyrischen ins Lateinische übersetzte. In lateinischer Fassung ist die Smaragdene Tafel des Hermes Trismegistos in Europa mindestens seit dem 11./12. Jahrhundert n. Chr. bekannt, denn aus dieser Zeit stammt ein ebenfalls in lateinischer Sprache verfasster Kommentar hierzu von einem Mönch namens Hortulanus. Aber während die Smaragdene Tafel in dunklen Rätselworten zu uns spricht, eigentlich nur ein Raunen von Weltengeheimnissen, so präsentiert sich das Corpus Hermeticum in einer kristallklaren philosophischen Sprache, die in erster Linie an Platon geschult wurde, aber auch Einflüsse anderer Geistesströmungen des Späthellenismus aufweist.

Thot-Hermes, Merkur und Odin

Zwischen den Göttern Thot, Hermes, Merkur und Odin besteht wesensmäßig kein Unterschied; sie erweisen sich bei näherem Hinsehen als verschiedene Ausdrucksformen derselben Urwesenheit; denn Hermes ist der Logos, das schöpferische Weltenwort. Assoziiert mit der Aura und der spirituellen Ausstrahlung des Planeten Merkur, ist Hermes der große Mystagoge, der Vermittler zwischen oberer und unterer Welt, der Offenbarer aller göttlichen Geheimnisse. Er wirkt weiterhin als der Seelenführer ins Totenreich, als Hüter und Entdecker verborgener Schätze, Erfinder aller möglichen Künste und Wissenschaften, nicht zuletzt als der Ur-Magier, der den Verkehr zwischen Menschen und Göttern ermöglicht. Dies alles entspricht dem Urprinzip der Vermittlung, des Wortes, der Sprache in mündlicher oder schriftlicher Form, bis hin zur mystischen Inkantation und dem Zaubergesang. Einerlei in welches mythische Bild man Hermes kleidet, welche besonderen Attribute man ihm beilegt – seine Wesenheit bleibt doch unverändert die gleiche, und sie findet in den verschiedenen Religionen der Menschheit ihre stets übereinstimmende Ausdrucksform.

In dem ibisköpfigen Gott Thot oder Dschehuti, im Neuen Reich (1559–1200 v. Chr.) auch als Pavian dargestellt, sehen wir den ägyptischen Ausdruck der universalen Hermesgestalt. Ausgangspunkt seiner Verehrung war Hermopolis, der Hauptort des 15. unterägyptischen Gaues im Sumpfgebiet des nordöstlichen Nildeltas. Diese Lage lässt ihn schon früh zum „Herrn der Fremdländer“ werden, was auch seine Funktion als Dolmetscher, Übersetzer, Deuter beinhalten mag. Daher auch unser heutiges Wort Hermeneutik. In erster Linie bleibt Thot aber der Wissensvermittler; die ihm zugeschriebene Ibisgestalt legt das für ihn so charakteristische „suchende“ und „findende“ Stochern im Schlamm nahe, was im übertragenen Sinne das Aufspüren verborgener Schätze bedeuten mag. Thot wurde nun irgendwann im Alten Reich – mit Sicherheit erst belegt durch die Sargtexte – nach Hermopolis übertragen und dort zum Hauptgott erhoben; die Paviangestalt hat er wohl von einem unbekannten Ort mitgenommen.

Als Gott des Wissens erhält Thot verschiedene Rollen in den ägyptischen Mythen: er ist es, der Seth und Horus im Streit voneinander trennt; er berechnet aus den Mondphasen die Zeit und erscheint daher als derjenige, der den Mond „füllt“, als Zeitgott und Mondgott gleichermaßen, der die Mondsichel mit der Dunkelmondscheibe auf dem Haupte trägt. So kommt zu seinem merkurischen Charakter eigentlich nur durch die Zeitrechnung noch etwas Lunares hinzu. Dies Lunare, Mondhafte bleibt für Thot aber immer nebensächlich; er ist eigentlich ganz Merkur, und zwar im umfassendsten Sinn des Wortes. Er berechnet die Lebensjahre des Königs und schneidet sie in einen Kerbstock ein; als Erfinder der Schrift und der Sprachen wurde er ganz selbstverständlich zum Schutzgott der Schreiber; andererseits prädestiniert ihn seine Tätigkeit als Zusammenfüger auch zum Restaurator der Leiche des Osiris. Von daher besteht auch eine Verbindung zur Heilkunst, und die enge Verbindung des Thot zum Heilgott Imhotep, dem Asklepios der Griechen, wird verständlich. Im Götterboot des Sonnengottes Re nimmt Thot die Stellung des Vesirs ein, und auf Grund seiner Schriftkenntnis wird er auch zum großen Zauberer, zum „Herrn der Gottesworte“. Im Totenreich hat er die Aufgabe, als Psychopompos die Seelen der Gestorbenen vor das Osirisgericht zu führen; manchmal sitzt er als Pavian auf der Seelenwaage, um deren rechten Gang zu gewährleisten.

Am 19. des 1. Monats wurde in Ägypten schon früh ein Thotfest begangen, an dem auch die Toten teilnahmen und das dem ersten Monat den Namen gab. Als Bild des Thot hat man in der Spätzeit Ibisse in unendlicher Zahl mumifiziert und beigesetzt, nicht nur in Saqqara, wo zwischen Thot-Hermes und Imuthes-Asklepios eine Identität hergestellt wurde, sondern auch in Hermopolis. In griechisch-römischer Zeit wandelte Thot sich zum allgewaltigen Hermes Trismegistos, dem Schöpfer einer Geheimlehre heidnischer Gnosis, der im Mittelalter gar als Begründer der Alchemie galt. Gab es im Alten Ägypten schon Thot-Mysterien, die in die spätere Hermetik einflossen? Ja, gibt es nicht ein uraltes ägyptisches Weistum, auf das die hermetische Philosophie zurückgeht?

Gibt es eine ägyptische Urfassung, die dem Corpus Hermeticum zugrunde liegt – geheime, bisher unbekannte, vielleicht verschollene Texte, dem Gott Thot und seinen Mysten geweiht? Mag es zu irgendeinem Zeitpunkt ein okkultes Buch Thot gegeben haben, aus dem alle spätere Hermetik sich herleitet? Der Neuplatoniker Jamblichos im 3. Jahrhundert n. Chr. kennt nach seiner eigenen Aussage eine Sammlung hermetischer Schriften, die von einem gewissen Bitys aus dem Ägyptischen ins Griechische übersetzt wurden. Wenn die Urfassung des CorpusHermeticum eine ägyptische war, Geheimschriften des Gottes Thot vielleicht, dann könnte die Hermetik ein weitaus höheres Alter aufweisen als man bisher angenommen hat; sie wäre dann wirklich uraltes Priesterwissen, das später von den Schriftstellern der Alexandrinischen Schule in Übereinstimmung mit der griechischen Philosophie gebracht wurde. Einen Hinweis auf die ägyptische Herkunft der Hermetica finden wir im Sendschreiben des Asclepius an König Ammon, wo dieser über die hermetischen Schriften sagt:

„Und sie werden umso mehr in den zukünftigen Zeiten für verworren gehalten werden, insbesondere dann, wenn die Griechen darangehen werden, sie aus unserer Sprache in die ihrige zu übersetzen. Jede Übersetzung wird weithin den Sinn dieser Schriften zerstören und viel Verwirrung hervorrufen. In unserer Sprache ausgedrückt, wird die Lehre ihren klaren und eindeutigen Sinn beibehalten; und zwar auf Grund der eigenen Qualität der Laute. Wenn nämlich Ägyptische Laute gesprochen werden, wirken die Energien der bezeichneten Dinge unmittelbar in ihnen. Daher, mein König, so es in Deiner Macht steht (und ich weiß, Du bist allmächtig), lasse diese Schriften unübersetzt, dass ihre Geheimnisse nicht den Griechen offenbart werden mögen; – und dass die griechische Art zu sprechen, die ebenso überheblich wie geistesschwach ist und ständig mit Wortspielereien aufprunkt, nicht die Sprachgewalt und zwingende Stärke unserer Worte bis zur völligen Nichtigkeit herabziehe. Denn die Sprache der Griechen, mein König, ist ohne jede Kraft der Überzeugung und die griechische Philosophie nicht mehr als bloßer Wortschwall. Aber unsere Sprache ist mehr als bloßes Reden; sie ist vielmehr eine mit Energien angefüllte Wesensäußerung.“3

Das okkulte Buch Thot aufzufinden, und das heißt, die ägyptischen Urfassungen der späteren Hermetica ans Licht des Tages zu ziehen, muss den Ägyptologen überlassen bleiben. In den Sargtexten des Mittleren Reiches – religiösen Sprüchen auf den Särgen von Beamten – hören wir zum ersten Mal von einem „Gottesbuch des Thot“; und ein gewisser Amenophis aus der Zeit Pharao Amenophis III., der die Aufstellung der Menonskolosse leitete, sagt auf einer seiner Statuen im Tempel von Karnak (um 1360 v. Chr.): „Ich wurde eingeführt in das Gottesbuch, ich sah die Verklärungen des Thot und wurde ausgerüstet mit ihren Geheimnissen.“ Das Gottesbuch des Thot könnte die hermetischen Urlehren enthalten haben. „Neuerdings“, schreibt der namhafte Ägyptologe Erik Hornung in seinem Buch Das esoterische Ägypten (1999), „ist ein demotisch, d. h. in der späteren Alltagsschrift, verfasstes 'Buch des Thot' aufgetaucht, das wohl im 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden und auf mehreren Papyri des 2. Jahrhunderts n. Chr. erhalten ist. Es überliefert einen Dialog des Thot und des Osiris mit einem Schüler; Thot informiert dabei über Dinge der Unterwelt, der Ethik der heiligen Geographie Ägyptens, über geheime Sprachen und Mysterien. (….) Einmal wird der Name des Thot mit dem dreifachen Adjektiv 'groß' versehen, also im Grunde bereits als Trismegistos gesehen.“4

Aus Thot wurde Thot-Hermes und aus diesem Hermes Trismegistos. Der griechische Gott Hermes zeigt sich als eine sehr komplexe, schillernde Gestalt – Wanderer, Magier, Kaufmann und Schelm zugleich. Der Mythos nennt ihn den Sohn des Zeus und der Nymphe Maia; ursprünglich war er wohl nur der Patron der Reisenden, worauf seine klassischen Attribute: Wanderstab, breitkrämpiger Hut und geflügelte Schuhe hinweisen sollen. Sein Name hängt etymologisch zusammen mit dem griechischen Wort hermaion, d. h. Steinhaufen. Solche Steinhaufen, die den Wanderern zur Orientierung überall aufgestellt waren, galten dem Hermes ebenso als geheiligt wie die vor den Häusern stehenden Hermen, pfeilerförmige Bilddenkmale mit menschlichem Kopf, die als Weg- und Grenzmale dienten, aber auch den Bewohnern der Häuser Schutz spenden sollten.

Hermes besitzt durchaus eine innere Zwiespältigkeit. Nach Homer ist es Hermes, der „den Werken aller Menschen Anmut und Glanz verleiht“ (Odyssee XV /319); die Homerischen Götterhymnen nennen ihn hingegen den „verschlagenen, listigen Schmeichler, ihn, den Rinderdieb und Räuber, den Lenker der Träume, Hermes, den mächtigen Späher und Pfortenhüter“. Dies bezieht sich darauf, dass Hermes der Sage nach seinem Bruder Apollon eine Rinderherde raubte; als der Diebstahl herauskam, schenkte er dem Sonnengott als Entgeld jene Leier, die er auf den Bergen Arkadiens einst aus dem Panzer einer Schildkröte geformt hatte. Als Gott der Hirten besaß er die magische Fähigkeit, die Herden zu vermehren. Sein Wanderstab konnte auch als Zauberstab gelten; er konnte die Menschen damit einschläfern und wieder aufwecken, wurde aber auch als Heroldsstab gedeutet.

Neben den Einzelaufgaben, mit denen ihn die olympischen Götter betrauten – vor allem die Funktion des Götterboten –, führte Hermes als Psychopompos die Seelen der Verstorbenen ins Totenreich. In diesen Zusammenhang gehört es, dass man ihm am dritten Tag der Anthesterien, die als Frühlings- und Totengedenkfest begangen wurde, Töpfe mit Speisen hinstellte: als Opfergabe und zugleich zum Gedächtnis an die Toten. Als Seelengeleiter der Gestorbenen verschmolz Hermes mit der Gestalt des Charon, jenes Fuhrmanns, der die Toten über die Unterweltsflüsse Styx, Acheron usw. setzte und sie zu den Gestaden des Hades brachte.

Soweit das herkömmliche Bild des Hermes; erst im Hellenismus unter ägyptischem Einfluss änderte es sich grundlegend: Hermes nahm zunehmend die Züge eines mystischen Allgottes an. In den spätantiken Mysterienkulten wuchs er zu einer Universalgestalt heran: Sonnengott und Weltenherrscher, Logos und Nous zugleich. Als Seelenführer setzte ihn der antike Synkretismus mit dem persischen Mysteriengott Mithras gleich, wie auf dem Grabmonument des Antiochus aus Kommagene auf dem Nemrud-Dagh dargestellt. Daneben tritt Hermes auch als menschliche Person auf, als ein Eingeweihter und Weiser.

Im Dialog Asclepius erscheint er als ein echter Gottmensch, in dem sich menschliche und göttliche Natur untrennbar miteinander verschwistern. Eine bisher nie gekannte Steigerung seiner Gottnatur erfährt Hermes Trismegistos in dem Nag-Hammadi-Text Über die Achtheit, wo Tat ihn als „göttliches Sein“ und „Herrn des Universums“ anspricht: „Vater Trismegistos, lass' meine Seele nicht die große göttliche Vision entbehren. Denn für Dich als Herrn des Universums ist alles möglich.“

Eine der rätselvollsten, vieldeutigsten und unheimlichsten Ausdrucksformen der Hermes-Gestalt ist der nordgermanische Magier-Gott Odin, bei den Südgermanen Wodan / Wuodan genannt, der – wie Hermes mit dem Planeten Merkur in Verbindung gesetzt – dem Mittwoch als dem Merkurstag, dies mercurii, zugeordnet wurde. „Kein Gott bei den verwandten Indogermanen gleicht Wodan mehr als Hermes-Merkur, der auf ähnliche Art wie Wodan aus einem Windgott zu einem Gott des Geistes sich entwickelte“ sagt W. Golther in seinem Handbuch der germanischen Mythologie (1908)5. Wodan oder Odin ist gleichsam der Hermes Trismegistos des europäischen Nordens, ein Mystagoge auf dem Wege der Einweihung, ein Herr des Zauberwissens und Erfinder heiliger Schriftzeichen wie der ägyptische Thot, aber auch ein Kriegsgott, Schlachtengott („Walvater“), Totengott und Seelenführer der Gestorbenen im Jenseits. Doch gerade der Bezug zum Kriegswesen unterscheidet Odin von anderen merkurischen Göttern und verleiht ihm etwas besonders Schreckliches. Auch äußerlich gleicht Odin nicht den jünglinghaften Hermes-Gestalten der griechischen Mythologie: ein alter Schamane, einäugig und vollbärtig, mit breitem Hut auf dem Haupte und einem langen wehenden Mantel angetan: so wird er dargestellt, wie er in wilden Sturmnächten mit einer unheimlichen Heerschar von Geistern durch die Lüfte braust.

Brachte Thot den Menschen einst die Hieroglyphen, so gab ihnen Odin die Runen, beides magische Alphabete, in denen Zauberkraft beschlossen lag. In den eddischen Runenliedern wird geschildert, wie sich Odin selbst einem mühevollen Einweihungsweg unterziehen musste, um das Runenwissen zu erwerben; ein Weg des Selbstopfers war hierfür vorgesehen. Das Beispiel Odins zeigt indes, dass es eine dem Thot-Hermes entsprechende Gottheit auch bei den Germanen gab (und bei den Kelten: der gallische Lugus), was deutlich die Universalität der Hermes-Wesenheit aufzeigt.

Die Bruderschaft der Meister

Hermes Trismegistos war als Abgesandter aus der Geistigen Welt zur Erde hinabgestiegen, um urewige Weisheit zu lehren – in Gestalt der Hermetik und der esoterischen Alchemie. Und als ewige Weisheit darf das Corpus Hermeticum in der Tat gelten; denn in seinem Mittelpunkt steht ja ein Weltbild der wechselseitigen Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos sowie das Geheimnis der Gottwerdung des Menschen.