Die Herrin Thu - Pauline Gedge - E-Book

Die Herrin Thu E-Book

Pauline Gedge

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Beschreibung

Als Mädchen wurde die schöne Thu zur Nebenfrau des Pharao erzogen. Ohne dass sie es ahnt, wurde sie von machtbesessenen ägyptischen Würdenträgern in ein Komplott verstrickt, angezettelt, um den Pharao zu beseitigen. Als der Plan scheiterte, brachte der Pharao es nicht übers Herz, seine Geliebte zum Tode zu verurteilen. Doch es gibt andere, die ihr weiterhin nach dem Leben trachten … Ein geradezu sinnliches Lesevergnügen. (Brigitte)

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Pauline Gedge

Die Herrin Thu

Roman

Aus dem Englischen von Dorothee Asendorf

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Über Pauline Gedge

Pauline Gedge, geboren 1945 in Auckland, Neuseeland, verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in England und lebt heute in Alberta, Kanada. Mit ihren Büchern, die in zahlreiche Sprachen übersetzt sind, gehört sie zu den erfolgreichsten Autorinnen historischer Romane.

Erster TeilKamen

Erstes Kapitel

Der Monat Thot hatte gerade begonnen, als ich sie zum ersten Mal sah. Mein Befehlshaber, General Paiis, hatte mich als Begleitschutz für einen königlichen Herold nach Süden, nach Nubien, geschickt; für mich war dies ein ganz gewöhnlicher Auftrag, und wir befanden uns bereits auf dem Heimweg, als wir über Nacht im Dorf Aswat anlegen mußten. Noch war der Fluß nicht angestiegen. Träge floß er dahin, und wir kamen zwar auf dem Rückweg schneller voran als bei der Hinfahrt, dennoch war der Weg lang, und wir sehnten uns nach den vertrauten Annehmlichkeiten des Deltas.

Aswat ist kein Ort, den man aus freien Stücken aufsucht. Das Dorf besteht aus kaum mehr als einer Ansammlung von kleinen Lehmhäusern, die sich zwischen Wüste und Nil ducken – obwohl es am Dorfrand einen recht schönen Tempel gibt, der dem örtlichen Schutzgott Wepwawet geweiht ist. Der Weg am Fluß zieht sich dort, wo er ins Dorf hinein- und wieder hinausführt, gefällig unter schattenspendenden Palmen dahin. Der Herold hatte ursprünglich auch nicht geplant, mit unserem Boot anzulegen, ja, er schien sogar zu zögern. Doch ein ausgefranstes Tau an der Takelage war gerissen, und an ebendiesem Nachmittag verstauchte sich jemand von der Mannschaft die Schulter, so daß mein Vorgesetzter mißmutig befahl, die Riemen einzuziehen und auf dem Ufer, unweit von Aswats Andachtsort, ein Kochfeuer anzulegen.

Das war gegen Sonnenuntergang. Als ich an Land ging, konnte ich durch die Bäume den Tempelpylon sehen und erhaschte einen Blick auf den Kanal, auf dem Besucher des Gottes zu ihm gelangen konnten. Re neigte sich dem Horizont zu und färbte das Wasser rot. Die Luft war warm und voller Sonnenstäubchen, und nichts störte die Stille, wenn man vom Geraschel und Gezwitscher brütender Vögel absah. Falls die Bauern nicht einen heftigen Haß auf die Boten des Pharaos hegten, würde ich an diesem Abend nichts zu tun bekommen. Doch pflichtbewußt, wie ich war, verließ ich das Ufer, auf dem die Ruderer bereits alles Holz sammelten, was sie finden konnten, während sich der Rest der Mannschaft mit einem neuen Tau für die Takelage abmühte, und überprüfte den Weg zum Fluß und die wenigen Bäume, ob meinem Herold von dort etwa Gefahr drohte. Natürlich nicht. Falls es auf dieser Reise zu echten Schwierigkeiten hätte kommen können, mein General hätte zur Bewachung des königlichen Boten einen erfahrenen Soldaten abkommandiert.

Ich zählte sechzehn Lenze, hatte die Schule seit zwei Jahren hinter mir, durchlief die militärische Ausbildung und hatte noch nie im Kampf gestanden, wenn man von den rauhen Späßen auf dem Exerzierplatz absah. Gern hätte ich einen Posten in einer der östlichen Festungen des Pharaos gehabt, wo fremdländische Stämme gegen unsere Grenzen anrannten, weil ihnen die üppige Fruchtbarkeit des Deltas ins Auge stach. Dort wäre mein Schwert endlich zum Einsatz gekommen, doch ich argwöhnte, daß mein Vater seinen Einfluß geltend gemacht hatte, damit ich in der Stadt Pi-Ramses und in Sicherheit blieb, denn ich wurde an die häusliche Wachmannschaft von General Paiis überstellt, ein langweiliger und bequemer Posten. Meine militärische Ausbildung lief weiter, doch die meiste Zeit bewachte ich die Mauern des Generals oder stand vor der Tür seines Hauses und sah zu, wie die Frauen kamen und gingen, Damen von Adel und Schönheiten aus dem Volk, betrunken und glücklich zerzaust oder elegant und trügerisch kühl, denn Paiis war schön und beliebt, und sein Bett blieb nie leer.

Ich sage mein Vater, und das ist er für mich auch, obwohl ich immer gewußt habe, daß ich ein angenommenes Kind bin. Mein wahrer Vater war in den frühen Kriegen des Pharaos gefallen, und meine Mutter starb bei meiner Geburt. Meine Pflegeeltern hatten keine Söhne und nahmen mich freudig auf. Mein Vater ist Kaufmann und sehr reich, und er wollte, daß ich in seine Fußstapfen trete, aber irgend etwas in mir sehnte sich nach dem Soldatenleben. Meinem Vater zuliebe zog ich mit ihm und einer seiner Karawanen ins Land der Sabäer, wo er seltene Arzneikräuter einkaufte, doch ich langweilte mich, und seine Bemühungen, mich für die Sehenswürdigkeiten, an denen wir vorbeikamen, und die auf unsere Ankunft folgende Feilscherei mit den Stammeshäuptlingen zu interessieren, wurden mir zusehends lästiger. Es kam zu einem hitzigen Wortwechsel, und als wir nach Pi-Ramses zurückgekehrt waren, gab er meinen Bitten nach und meldete mich in der Offiziersschule an, die dem Palast angegliedert war. So kam es, daß ich an einem stillen, warmen Abend im Monat Thots, des Gottes der Weisheit, zu dem kleinen Tempel des Kriegsgotts Wepwawet ging, hinter mir das Dorf, rechter Hand den sacht plätschernden Nil und linker Hand braun und gefurcht die kleinen, abgeernteten Felder der Bauern.

In Wahrheit war ich neugierig auf das Innere des Tempels. Das einzige Bindeglied zu meinen richtigen Eltern war eine Holzstatuette von Wepwawet. Solange ich zurückdenken konnte, hatte sie auf dem Tisch neben meinem Bett gestanden. Und wenn ich als Kind einmal unglücklich war, hatte ich das glatte, gerundete Holz gestreichelt, war wütend vor ihr auf und ab gegangen, wenn mein beklagenswert hitziges Temperament mit mir durchgegangen war, und war Nacht für Nacht beim Schein einer Lampe eingeschlafen, die die lange Wolfsnase und die spitzen Ohren des Gottes beleuchtet hatte. Ich wiegte mich in dem trügerischen Glauben, meine wahre Mutter hätte ihn zu meinem Wächter bestellt, und weder Menschen noch Dämonen könnten mir etwas anhaben, solange Wepwawet den festen Blick in die dämmrigen Winkel meines Zimmers richtete. Handwerklich war die Statuette schlicht, jedoch einfühlsam gearbeitet; die Hand, die Speer und Schwert geformt, die sorgfältig die Hieroglyphen «Der Wegbereiter» quer über die Brust des Gottes geschnitzt hatte, war ebenso gottesfürchtig wie kundig gewesen, davon war ich überzeugt. Wer hatte sie gemacht? Meine Pflegemutter wußte es nicht und sagte, ich solle mir das Herz nicht mit nutzlosen Phantastereien schwermachen. Mein Vater sagte, daß die Statuette in meine Leinenwindeln eingewickelt gewesen war, als man mich als Säugling in seinem Haus ablieferte. Ich bezweifelte, daß einer meiner geheimnisvollen Elternteile selbst mit Messer und Holz gewirkt hatte. Hochrangige Offiziere befaßten sich nicht mit handwerklichen Arbeiten, und irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, daß eine Frau einen Kriegsgott schnitzte. Genausowenig konnte ich mir vorstellen, daß die Statuette aus dem armseligen Dorf Aswat stammte. Montu war der mächtigste Kriegsgott, aber auch Wepwawet wurde in ganz Ägypten verehrt, und am Ende siegte die Vernunft, ich sagte mir, mein toter Vater, der Soldat, hat die Statuette für seinen häuslichen Schrein gekauft. Wenn ich den Gott zuweilen berührte, dachte ich an diese anderen Hände, die Hände, die ihn geschaffen hatten, die Hände meines Vaters, die Hände meiner Mutter, und malte mir aus, daß ich durch Berührung der geölten Holzpatina mit ihnen verbunden wäre. An diesem beschaulichen Abend bot sich mir nun unerwartet die Gelegenheit, das Haus des Gottes zu betreten und in seinem eigenen Tempel zu ihm zu beten. Ich umschritt das Ende des Kanals, überquerte den kleinen Vorhof und trat durch seinen Pylon.

Im Außenhof sammelten sich schon die abendlichen Schatten, die Pflastersteine waren unter meinen Füßen kaum zu erkennen, die schlichten Säulen zu beiden Seiten hüllten sich in zunehmende Dunkelheit, nur ihre Bekrönungen leuchteten noch im letzten Abendsonnenschein. Als ich mich der Flügeltür näherte, die zum Innenhof führte, bückte ich mich, schnürte meine Sandalen auf, zog sie aus, hob die Hand und wollte die Tür aufstoßen, als mich eine Stimme innehalten ließ.

«Die Tür ist verschlossen.»

Erschrocken drehte ich mich um. Eine Frau war aus dem Schutz einer Säule getreten und wollte gerade einen Eimer auf deren Sockel absetzen. Sie warf einen Lappen hinterher, stemmte eine Hand ins Kreuz, reckte sich und kam dann schlanken Schrittes auf mich zu. «Der amtierende Priester verschließt die Tür gegen Sonnenuntergang», fuhr sie fort. «So ist es hier Sitte. Abends kommen nur wenige Leute aus dem Dorf zum Beten. Dafür arbeiten sie während des Tages zu hart.» Sie sprach so ungezwungen, als hätte sie ebendiese Erklärung viele Male abgegeben und nähme mich nur teilweise wahr, dennoch bemerkte ich, daß sie mich eingehend musterte. Sie sprach die Worte nicht so harsch wie die ägyptischen Bauern, sondern deutlich, akzentuiert und sehr melodiös. Doch ihre nackten Füße waren rauh und unförmig, ihre Hände schwielig und die Fingernägel schwarz und abgebrochen. Sie trug das formlose Kleid einer Fellachin, ein grobes Trägerkleid, das ihr bis zu den Knien reichte und von einem Hanfseil gehalten wurde, und mit Hanf hatte sie auch ihr drahtiges schwarzes Haar zurückgebunden. Zwei klare, kluge Augen beherrschten ein sonnenverbranntes braunes Gesicht, und die waren erstaunlicherweise durchscheinend hellblau. Als ich in sie hineinblickte, wollte ich meinen Blick sofort niederschlagen, doch diese Regung ärgerte mich. Ich war ein junger Offizier aus der Königsstadt. Und der wich vor Bauern nicht zurück.

«Ach so», erwiderte ich barscher, als ich vorgehabt hatte, und wandte meine Aufmerksamkeit der unansehnlichen Flügeltür des Tempels zu, was hoffentlich ungezwungen und selbstbewußt wirkte. «Dann suche mir einen Priester, daß er die Tür aufschließt. Ich bewache einen königlichen Herold. Wir haben auf dem Heimweg ins Delta in eurem Dorf festgemacht, und ich möchte meine Andacht vor meinem Schutzgott verrichten, solange noch Gelegenheit dazu ist.» Sie verbeugte sich nicht und zog sich auch nicht zurück, wie ich es erwartet hatte, ja, sie trat noch näher und kniff die sonderbaren Augen zusammen.

«Ach», sagte sie scharf. «Wie lautet der Name des Herolds?»

«Er heißt May», erklärte ich und merkte, wie ihr Interesse jählings erlosch. «Holst du nun einen Priester?»

Sie musterte mich, registrierte die Uniformsandalen in meiner Hand, den Ledergürtel, an dem mein Kurzschwert hing, das Leinenkopftuch und das Band um meinen Oberarm, auf dem mein Rang stand und auf das ich so stolz war. Ich hätte schwören können, daß sie nur einen Augenblick brauchte, um meine Stellung, mein Alter und die Grenzen meiner Macht, ihr zu befehlen, zu taxieren. «Wohl kaum», sagte sie honigsüß. «Er ist in seiner Zelle und genießt sein Nachtmahl, und dabei möchte ich ihn nicht stören. Hast du ein Geschenk für Wepwawet mitgebracht?» Ich schüttelte den Kopf. «Dann wäre es bessern, wenn du bei Sonnenaufgang, ehe du aufbrichst, zurückkommst und betest, wenn der Priester seinen Dienst antritt.» Sie wandte sich ab, wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um. «Ich bin nur die Dienerin der Gottesdiener», erläuterte sie. «Darum kann ich dir die Tür nicht aufschließen. Aber ich kann dir Erfrischungen bringen, Bier und Kuchen oder vielleicht ein Mahl. Es gehört zu meinen Pflichten, mich um die Bedürfnisse derer zu kümmern, die im Dienst des Pharaos reisen. Wo habt ihr festgemacht?» Ich bedankte mich, erzählte ihr, wo unser Boot lag, und dann sah ich zu, wie sie den Eimer nahm und in der Abenddämmerung davonging. Sie hielt sich so königlich wie meine ältere Schwester, die von unserer Kinderfrau in richtigem Benehmen unterwiesen worden war, und die hatten meine Eltern aus dem königlichen Harem in unsere Dienste abgeworben. Mit einem leisen Gefühl der Unterlegenheit blickte ich hinter ihr her. Dann zog ich mir verärgert die Sandalen an und machte mich auf den Rückweg zum Boot.

Ich fand meinen Herold auf seinem Klappstuhl sitzend, wie er übellaunig in das Feuer starrte, das die Ruderer entzündet hatten. Diese wiederum hockten in einiger Entfernung im Sand und unterhielten sich leise. Unser Boot war jetzt nur noch ein großer, dunkler Fleck vor dem verblassenden Himmel, und das Wasser, das sacht an seinen Rumpf plätscherte, hatte jegliche Farbe verloren. Als ich näher kam, blickte er hoch.

«Vermutlich haben wir in diesem Hundeloch kein Glück mit einem anständigen Mahl», begrüßte er mich müde. «Ich könnte einen Ruderer zum Bürgermeister schicken und etwas anfordern, aber die Aussicht, von gaffenden Dörflern umringt zu werden, ist mir heute abend zuwider. Unsere Vorräte gehen zur Neige. Wir werden uns mit Fladen und getrockneten Feigen begnügen müssen.» Ich hockte mich neben ihn und blickte ins Feuer. Er würde essen und sich zum Schlafen in die Kabine auf dem Boot zurückziehen, doch ich und mein Untergebener, ein Soldat, würden uns bei der Wache ablösen, während er schnarchte. Auch ich war das nichtssagende Essen leid, hatte die vielen mit Langeweile und Unbequemlichkeit auf dem Fluß totgeschlagenen Stunden und zu viele Nächte mit gestörtem Schlaf satt, doch noch war ich jung und meine Arbeit daher aufregend, und ich war stolz auf die Verantwortung, die ich trug, wenn ich gegen Morgen, gähnend auf meinen Speer gestützt, dastand und sich nichts rührte als der Wind in dem kärglichen Gras längs des Nils und über mir die Sternbilder funkelten.

«In ein paar Tagen sind wir daheim», antwortete ich. «Aber wenigstens ist die Reise ohne Zwischenfälle verlaufen. Im Tempel habe ich eine Frau getroffen, die uns Bier und Essen bringen will.»

«Oh», erwiderte er. «Wie hat sie ausgesehen?» Die Frage erschreckte mich.

«So gesichtslos wie alle Bauern, aber sie hatte ungewöhnliche blaue Augen. Warum fragst du, Gebieter?» Er schnob gereizt durch die Nase.

«Weil jeder königliche Herold, der den Fluß befährt, sie kennt», sagte er. «Die Helläugige ist irre. Wir sind bestrebt, hier nicht anzulegen, aber wenn es sich nicht umgehen läßt, geben wir uns alle Mühe, uns nicht zu zeigen. Sie dient dem Tempel, aber unter dem Vorwand der Gastfreundschaft bedrängt sie uns, dem Pharao ein Paket zu überbringen. Ich habe sie bereits kennengelernt. Warum, glaubst du wohl, war ich so darauf bedacht, an diesem Hundeloch vorbeizufahren?»

«Ein Paket?» fragte ich neugierig. «Was enthält es?» Er hob die Schultern.

«Sie behauptet, darin sei ihre Lebensgeschichte, und daß sie früher den Einzig-Einen kannte, der sie für irgendein Verbrechen nach hier verbannt hat, und er muß nur lesen, was sie geschrieben hat, schon wird er ihr verzeihen und ihre Verbannung aufheben. Die und schreiben!» schloß er verächtlich. «Ich bezweifle, daß sie überhaupt ihren Namen in den Dreck kratzen kann! Kamen, ich hätte dich warnen sollen, aber noch ist ja nichts passiert. Sie wird uns nur kurz belästigen, aber zumindest bekommen wir anständig zu essen.»

«Dann hat in Wahrheit noch niemand einen Blick in das Paket geworfen?» bohrte ich weiter.

«Natürlich nicht. Ich habe dir doch gesagt, daß sie irre ist. Kein Herold würde es riskieren, ihr die Bitte zu erfüllen. Und du, junger Mann, solltest dir jegliche rührselige Vorstellung verkneifen. Die Bauern in den Geschichten, die uns unsere Kinderfrauen erzählt haben, mögen es ja bis vor den Herrn allen Lebens bringen, doch in Wirklichkeit sind sie dumme, dumpfe Tiere, die nur dazu taugen, das Land zu bestellen und das Vieh zu hüten, dem sie ähneln.»

«Sie spricht gebildet», wagte ich einzuwerfen, ohne zu wissen, warum ich sie verteidigte, und er lachte.

«Das hat sie sich in den Jahren angeeignet, die sie nun schon Höhergestellte belästigt, die das Pech hatten, ihr zu begegnen», gab er zurück. «Sei nicht freundlich zu ihr, sonst behelligt sie dich um so mehr. Die Priester, denen sie dient, sollten sie besser zügeln. Demnächst wird niemand mehr in Aswat anlegen, um Handel zu treiben oder zu beten oder Arbeiter anzuheuern. Sie mag ja harmlos sein, aber sie ist so lästig wie ein Schwarm Fliegen. Hat sie etwas von heißer Suppe gesagt?»

Es war völlig dunkel geworden, als sie uns fast geräuschlos überrumpelte, aus dem dunklen Schatten auftauchte und in den flackernden hellroten Feuerschein trat wie eine barbarische Priesterin. Ihr nicht mehr vom Hanfstrick gehaltenes Haar stand ihr wild um den Kopf und fiel ihr bis auf die Brust. Ich bemerkte, daß sie ein anderes Trägerkleid trug, doch das war genauso grob wie das Kleidungsstück, in dem sie den Fußboden des Tempels gewischt hatte, und sie ging auch noch immer barfuß. Sie trug ein Tablett, das sie feierlich vor uns auf dem Klapptisch abstellte, den mein Herold sich zuvor vom Boot hatte bringen lassen. Mit einer Verbeugung in seine Richtung hob sie den Deckel von einem Topf und machte sich daran, köstlich duftende Suppe in zwei kleinere Schälchen zu schöpfen. Daneben standen frisches Gerstenbrot und Dattelküchlein und, das Beste von allem, ein Krug Bier. Ihre Bewegungen waren anmutig und zierlich. Mit gesenktem Kopf, die Schale in beiden Händen, bot sie zuerst dem Herold Suppe an, dann mir, und während wir die zugegebenermaßen köstliche Brühe löffelten, schenkte sie uns Bier ein und entfaltete zwei makellos weiße Leinenservietten, die sie uns sorgsam und unaufdringlich auf die nackten Knie legte. Daraufhin trat sie zurück und stand mit hängenden Armen da, während wir das Essen verschlangen. Sie näherte sich nur, um uns nachzuschenken oder um die leeren Teller abzuräumen, und ich überlegte beim Essen, ob sie vielleicht Dienerin bei einem örtlichen Würdenträger gewesen war oder ob der Oberpriester Wepwawets, zwar selbst ein Bauer, doch natürlich gebildeter als seine Nachbarn, sie in gutem Benehmen unterwiesen hatte. Schließlich stapelte sie das Geschirr auf dem Tablett und legte die mittlerweile verschmutzten Servietten darüber, und da seufzte mein Herold und rutschte auf seinem Hocker hin und her.

«Sei bedankt», sagte er barsch und, wie mir vorkam, widerwillig. Bei seinen Worten lächelte die Frau. Ihre Lippen öffneten sich und zeigten gleichmäßige weiße Zähne, die im Feuerschein glänzten, und auf einmal ging mir auf, daß sie schön war. Das dämmrige Licht verbarg ihre rauhen Hände, die feinen Fältchen um die sonderbaren Augen, ihr glanzloses, trockenes, wildes Haar, und einen Augenblick lang starrte ich sie unverfroren an. Ihr Blick ruhte auf mir und kehrte dann zu meinem Gebieter zurück.

«Wir sind uns schon begegnet, Herold May», sagte sie leise. «Du und dein Gefolge, ihr habt hier im vergangenen Jahr angelegt, als dein Boot ein Leck hatte. Was gibt es Neues aus dem Delta?»

«Nichts Neues», antwortete May steif. «Ich komme aus dem Süden und will nach Pi-Ramses zurück. Ich bin mehrere Wochen fortgewesen.» Ihr Lächeln wurde breiter.

«Und natürlich kann sich während deiner Abwesenheit im Norden Umwälzendes ereignet haben», schalt sie ihn mit gespieltem Ernst. «Darum hast du keine Neuigkeiten. Oder möchtest du mich nur nicht zu einer Unterhaltung ermutigen? Ich habe dich beköstigt, königlicher Herold May. Könnte ich nicht als Dankeschön hier im Sand sitzen und ein Weilchen deine Gesellschaft genießen?» Sie wartete nicht auf Erlaubnis, sondern ließ sich nieder, kreuzte die Beine und zog sich das Trägerkleid über dem Schoß zurecht, und das erinnerte mich an den Schreiber im Haushalt meines Vaters, wenn der sich mit genau den gleichen Bewegungen auf den Boden setzte und die Palette auf die Knie legte, um ein Diktat aufzunehmen.

«Weib, ich habe dir nichts zu sagen!» fuhr May sie an. «Das Essen hat uns sehr gut getan, und dafür habe ich mich bereits bedankt. In Pi-Ramses geschieht nichts, was für jemanden wie dich auch nur von leisestem Interesse wäre, das kannst du mir glauben.»

«Ich habe ihn in Verlegenheit gebracht», sagte sie an mich gewandt. «Diesen mächtigen Herold. Ich bringe sie alle in Verlegenheit, diese bedeutenden Männer, die den Fluß hinauf- und hinuntereilen und fluchen, wenn es sie an Aswats unfruchtbares Ufer verschlägt, weil sie wissen, daß ich sie sofort aufsuche. Sie scheinen nicht zu merken, daß mir das ebenso peinlich sein könnte. Aber du, mein junger Offizier mit den schönen, dunklen Augen, dich habe ich noch nicht kennengelernt. Wie heißt du?»

«Kamen», antwortete ich und bekam es jählings mit der Angst zu tun, sie könnte ihre verrückte Bitte an mich richten, ein Gedanke, für den ich mich schämte. Verstohlen blickte ich meinen Herold an.

«Kamen», wiederholte sie. «Mens Ka, also Mens Seele. Vermutlich heißt dein Vater Men?»

«So ist es», sagte ich kurz angebunden. «Und du machst dich vermutlich über mich lustig. Auch ich danke dir für das Essen, aber ich muß mich um den Herold hier kümmern, und der ist müde.» Ich stand auf. «Sei so gut, nimm dein Geschirr und geh.» Zu meiner Erleichterung kam sie sofort hoch und nahm ihr Tablett, doch so leicht ließ sie sich nicht abschütteln.

«Ich möchte dich um einen Gefallen bitten, Offizier Kamen», sagte sie. «Ich habe ein Paket, das dem König überbracht werden muß. Ich bin arm und kann nicht dafür zahlen. Nimmst du es mit?» O ihr Götter, dachte ich verzweifelt. Ich schämte mich für sie, als ich den Kopf schüttelte.

«Tut mir leid, Herrin, aber ich habe keinen Zutritt zum Palast», erwiderte ich, und da seufzte sie und wandte sich ab.

«Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet», rief sie über die Schulter zurück. «Was ist aus Ägypten geworden, wenn die Mächtigen nicht mehr auf das Flehen der Elenden hören? Dich, Herold May, frage ich erst gar nicht, du hast es mir schon einmal abgeschlagen. Schlaft gut!» Ihr verächtliches Lachen verklang, dann herrschte Stille.

«Eine hirnlose Kreatur!» sagte mein Gebieter knapp. «Kamen, stell die Wache auf.» Er schritt in Richtung Boot davon, ich winkte meinen Soldaten herbei und warf Sand auf das Feuer. Das Essen lag mir schwer im Magen.

Ich übernahm die zweite Wache, wies dem Soldaten seinen Wachbereich zu und zog mich mit meiner Decke unter die Bäume zurück, doch an Schlaf war nicht zu denken. Das Gemurmel der Ruderer erstarb allmählich. Aus dem Dorf war kein Laut zu hören, und nur ein gelegentliches gedämpftes Plätschern kündete vom Strom, an dem ein Nachttier verstohlen sein Unwesen trieb. Am Himmel über mir funkelten die Sterne durch das Geäst der Bäume.

Ich hätte zufrieden sein können. Ich war auf dem Heimweg zu meiner Familie und meiner Verlobten, Takhuru. Ich hatte meinen ersten militärischen Auftrag erfolgreich abgeschlossen. Ich war gesund und kräftig, reich und intelligent. Dennoch wurde mir, als ich dort lag, immer ruheloser und bedrückter zumute. Als ich mich auf die andere Seite drehte, kam mir der Sand härter als gewöhnlich vor, knirschend rieb er sich an Hüfte und Schulter. Mein Soldat näherte sich und schlenderte wieder davon. Ich drehte mich auf die andere Seite, doch es nutzte nichts. Mein Kopf blieb wach.

Also stand ich auf, band mir das Schwert um und schritt durch die Bäume zum Weg am Fluß. Er lag verlassen, ein graues Band, gesäumt von schattenspendenden Palmen und Akazien. Ich zögerte, hatte jedoch keine Lust, mir das Dorf anzusehen, das sich kaum von tausend anderen zwischen dem Delta und den Katarakten im Süden unterscheiden würde. Also wandte ich mich nach rechts. Ich kam mir zunehmend wesenloser vor, als die vom Mondschein umflossenen, dunklen Umrisse des Tempels vor mir auftauchten, während die Palmwedel über mir ihren trockenen Nachtgesang raschelten. Schwarz und reglos stand das Wasser im Kanal. Ich blieb kurz an dem gepflasterten Rand stehen und starrte mein verschwommenes, blasses Spiegelbild an. Zum Fluß wollte ich nicht zurück, also wandte ich mich nach links und schritt die Tempelmauer ab. Dabei mußte ich um eine baufällige Hütte herumgehen, die sich hinten an den Tempel lehnte, und dann wellte sich vor mir bis zum Horizont die mondbeschienene Wüste. Eine Palmenreihe kennzeichnete den Saum von Aswats spärlichem Ackerland und schlängelte sich rechter Hand in die Ferne, ein schwaches Bollwerk gegen den Sand, und das Ganze matt, aber deutlich im alles erhellenden Schein des Mondes.

Zuerst bemerkte ich sie gar nicht, bis sie dann aus dem tiefen Schatten einer Düne auftauchte und über den Sand glitt. Nackt, die Arme hoch erhoben, den Kopf zurückgeworfen, hielt ich sie für eine der Toten, um deren Grab sich niemand kümmerte, die durch die Nacht irrten und sich an den Lebendigen rächen wollten. Doch sie tanzte so lebendig, daß mein Grauen nachließ. Ihr angespannter, geschmeidiger Leib wirkte so grellweiß wie der Mond selbst, und ihr Haar war eine schwarze Wolke, die sich mit ihr bewegte. Mir war klar, daß ich mich lieber zurückziehen sollte, daß ich eine sehr persönliche Ekstase miterlebte, doch ich stand wie festgewurzelt am Fleck, die wilde Harmonie des Ganzen nahm mich gefangen. Die riesige, in kaltes Mondlicht getauchte Wüste und die leidenschaftliche Huldigung oder Buße oder feurige Lust der Tänzerin hatten mich in ihren Bann geschlagen.

So merkte ich erst, daß sie nicht mehr tanzte, als sie auf einmal stillstand, die geballten Fäuste zum Himmel hob und dann in sich zusammensank. Als sie sich näherte, konnte ich ihren hängenden Schultern die Verzweiflung ansehen. Sie bückte sich, hob ein Kleidungsstück auf und kam rasch näher. Eilig machte ich kehrt, doch mein Fuß verhakte sich hinter einem losen Stein, ich stolperte und fiel gegen die rauhe Mauer ihrer Hütte, in deren Schatten ich mich versteckt hatte. Ich muß wohl aufgestöhnt haben, als mir der Schmerz in den Ellenbogen schoß, denn sie blieb stehen, hüllte sich in das Leinentuch, das sie in der Hand hatte, und rief: «Pa-ari, bist du das?» Sie hatte mich ertappt. Leise fluchend trat ich in den Mondschein und vor die Irre. In dem unwirklichen Licht, das uns umgab, schienen ihre Augen farblos zu sein, doch die Gestalt war unverkennbar. Auf ihrer Stirn klebten feuchte Haarsträhnen. Schweiß rann ihr an den Schläfen herunter. Sie keuchte ein wenig, ihre Brust hob und senkte sich unter den Händen, die den Umhang hielten. Lange ließ sie sich nicht aus der Fassung bringen. Ihre Miene war bereits wieder beherrscht.

«Du bist es, Kamen, der junge Offizier», sagte sie mit belegter Stimme. «Kamen, der Spion, der seine Pflichten als Wachtposten des hochmächtigen Herolds May vernachlässigt, welcher zweifellos in seliger Unkenntnis an Bord seines sicheren kleinen Bootes schnarcht. Bringt man den jungen Rekruten an der Militärschule von Pi-Ramses heutzutage bei, wie man unschuldige Frauen bespitzelt?»

«Ganz gewiß nicht!» gab ich zurück, denn das Erlebnis hatte mich verwirrt, und ihr Ton war verletzend. «Und seit wann tanzen ehrbare ägyptische Frauen nackt im Mondschein, es sei denn, sie sind …»

«Sind was?» fragte sie zurück. Sie atmete jetzt wieder regelmäßig. «Wahnsinnig? Irre? Oh, ich weiß, was alle denken. Aber das hier», und sie deutete auf die Hütte, «ist mein Heim. Das hier», und sie deutete mit dem Kopf, «ist meine Wüste. Und das da ist mein Mond. Ich habe keine Angst vor spähenden Blicken. Ich tue niemandem etwas zuleide.»

«Dann ist der Mond also dein Schutzgott?» fragte ich, denn ich schämte mich bereits für meinen Ausfall, und sie lachte bitter.

«Nein. Der Mond ist mein Verderben gewesen. Ich tanze aus Trotz unter Thots Strahlen. Macht mich das zu einer Irren, junger Kamen?»

«Ich weiß es nicht, Herrin.»

«Du hast mich heute abend schon einmal Herrin genannt. Das war freundlich. Diesen Titel habe ich tatsächlich einst geführt. Glaubst du mir?» Ich sah ihr fest in die verschatteten Augen.

«Nein.»

Sie lächelte, und ich bemerkte in ihren Augen ein inneres Feuer, bei dem mich eine abergläubische Furcht ergriff, doch dann fühlte ich ihre Finger warm und gebieterisch auf meinem Arm. «Du hast dir den Ellenbogen aufgeschrammt. Setz dich. Warte hier.» Ich gehorchte, und sie verschwand in der Hütte und kam im Nu mit einem Tonkrug zurück. Sie hockte sich neben mich, nahm den Deckel ab, ergriff meinen Ellenbogen und salbte die kleine Wunde behutsam. «Honig und zerstoßene Myrrhe», erläuterte sie. «Nun dürfte sich die Schramme nicht entzünden, aber falls doch, bade sie in Saft von Weidenblättern.»

«Woher weißt du derlei?»

«Ich bin früher, vor sehr langer Zeit, Heilkundige gewesen», antwortete sie schlicht. «Man hat mir verboten, meine Kunst auszuüben. Die Myrrhe stehle ich für mich selbst aus dem Tempelvorrat.»

«Verboten? Warum?»

«Weil ich versucht habe, den König zu vergiften.»

Enttäuscht blickte ich sie an. Sie saß da, hielt die Knie mit den Armen umfaßt und den Blick auf die Wüste gerichtet. Dieses seltsame, dieses überspannte Wesen durfte einfach nicht irre sein. Sie sollte geistig gesund sein, denn das hätte meine Lebenserfahrung um Unüberschaubarkeit und Aufregung der richtigen Art bereichert. Überschaubarkeit hatte mich während meiner ganzen Jugendjahre beschützt. Ich hatte mich der Geborgenheit überschaubarer Mahlzeiten, überschaubarer Bildung, der überschaubaren Zuneigung meiner Familie und der überschaubaren Festtage der Götter erfreuen können. Meine überschaubare Verlobung mit Takhuru, einer Tochter aus altem und reichem Haus, war geplant und wurde erwartet. Sogar bei diesem Auftrag hatte es keine Abenteuer gegeben, sondern nur überschaubare Pflichten und Unbequemlichkeiten. Nichts hatte mich auf rätselhafte Frauen aus Bauerndörfern vorbereitet, die wild im Mondschein tanzten, doch Irrsinn machte es zu einer verkehrten Erfahrung, einer Abweichung, die ein gesundes Gemeinwesen am besten übersah und vergaß. «Das glaube ich dir nicht», sagte ich. «Ich wohne in Pi-Ramses. Mein Vater kennt viele Leute von Adel. Davon ist mir nie etwas zu Ohren gekommen.»

«Natürlich nicht. Auch damals haben nur wenige davon gewußt, und außerdem ist es viele Jahre her. Wie alt bist du, Kamen?»

«Sechzehn.»

«Sechzehn.» Sie erschrak und streckte eine Hand aus. Die Geste war unschlüssig und sonderbar rührend. «Vor sechzehn Jahren habe ich den König geliebt und versucht, ihn umzubringen, und einen Sohn bekommen. Da war ich selbst erst siebzehn. Irgendwo in Ägypten schläft jetzt mein Sohn und weiß nicht, wer er in Wahrheit ist, aus welchem Samen er entstanden ist. Oder vielleicht ist er tot. Ich bemühe mich, nicht zuviel an ihn zu denken. Es tut zu weh.» Sie wandte sich mit einem freundlichen Lächeln zu mir. «Aber warum solltest du mir glauben, der irren Dämonin von Aswat. Manchmal fällt es mir selbst schwer, das alles zu glauben, vor allem dann, wenn ich den Tempelboden wische, noch ehe Re am Himmel aufsteigt. Erzähle mir von dir, Kamen. Führst du ein angenehmes Leben? Gehen deine Träume in Erfüllung? Wem in der Stadt dienst du?»

Ich wußte, es war besser, wenn ich zum Fluß zurückkehrte. Bald endete auch die Wache meines Soldaten. Er würde schon darauf warten, daß ich ihn ablöste, und was war, wenn es auf dem Boot zu einem Zwischenfall kam? Dennoch fesselte mich die Frau. Und das nicht durch ihren jetzt offenbaren Wahnsinn, denn ich mußte meinem Herold leider recht geben. Auch nicht durch die Widersprüche, in die sie sich verstrickte, obwohl die mich neugierig machten. Sie war eine neue Erfahrung, die mein Ka beunruhigte und zugleich beschwichtigte. Ich erzählte ihr von meiner Familie, von unserem Anwesen in Pi-Ramses, von den Kämpfen mit meinem Vater, der wollte, daß ich Kaufmann wurde wie er, und von meinem endgültigen Sieg und der Zulassung zur Militärschule, die dem Palast angegliedert war. «Ich möchte einen Posten an der östlichen Grenze haben, wenn ich zum höheren Offizier befördert werde», schloß ich, «aber bis dahin stehe ich unter dem Befehl von General Paiis, bei dem ich Wache …» Weiter kam ich nicht. Mit einem Aufschrei packte sie meine Schulter.

«Paiis! Paiis! Dieser Apophiswurm! Diese Kanalratte! Und den habe ich einmal anziehend gefunden. Das war, ehe …» Sie rang nach Fassung. Flink schob ich ihre Hand von meiner Schulter. Sie war nicht mehr warm. «Ist er noch immer so schön und charmant? Versuchen Prinzessinnen noch immer, mit List und Tücke in sein Bett zu kommen?» Sie hämmerte jetzt auf den Erdboden ein. «Wo bleibt dein Erbarmen, Wepwawet? Ich habe für meine Taten wieder und wieder gezahlt. Ich habe mich bemüht, zu vergessen und die Hoffnung aufzugeben, und jetzt dieses!» Unbeholfen kam sie hoch und lief an mir vorbei, und ich war gerade aufgestanden, als sie bereits wieder zurück war, einen Kasten an sich gedrückt. Ihre Augen blickten wild. «Kamen, höre mich bitte, bitte unvoreingenommen an! Um meines Kas willen flehe ich dich an, bring diesen Kasten in Paiis’ Haus. Aber gib ihn nicht Paiis persönlich. Er würde ihn vernichten oder noch Schlimmeres. Übergib ihn einem Mann des Königs, von denen doch viele an dir vorbeikommen müssen. Bitte darum, daß man ihn Ramses persönlich überbringt. Denk dir, wenn du möchtest, eine Geschichte aus. Sag, wenn du möchtest, die Wahrheit. Aber gib ihn nicht Paiis. Du kannst von mir halten, was du willst, wenn du jedoch Zweifel hast, einen Hauch von Zweifel, dann hilf mir! Es ist ein kleiner Gefallen, nicht wahr? Der Pharao wird jeden Tag mit Bittschriften überhäuft. Bitte!»

Meine Hand fuhr zum Schwert, ohne nachzudenken, so wie ich es gelernt hatte. Doch man hatte mich gelehrt, mir Feinde vom Leib zu halten, nicht halsstarrige Frauen, die kaum noch bei Sinnen waren. Meine Finger schlossen sich um den Griff und blieben dort. «Ich bin nicht der richtige Mann für diese Aufgabe», wehrte ich mich und bemühte mich um einen gelassenen Ton. «Solchen Menschen darf ich mich nicht so ungezwungen nähern, wie du glaubst, und falls ich einen Freund meines Vaters darum bitte, wird der sich von der Richtigkeit überzeugen wollen, ehe er riskiert, sich vor dem Einzig-Einen zu blamieren. Warum hast du deinen Kasten nicht dem Dorfschulzen von Aswat gegeben, damit er zusammen mit seinen Briefschaften an den Gouverneur dieser Provinz geschickt wird und durch diesen an den Iri-pat des Pharaos? Warum belästigst du Herolde, von denen dir doch keiner helfen will? »

«Weil ich hier geächtet bin», sagte sie laut. Ich merkte, daß sie sich bemühte, vernünftig zu sprechen, doch ihr Körper war angespannt und ihre Stimme belegt. «Ich stamme aus Aswat, aber für meine Nachbarn bin ich eine Schande, sie meiden mich. Der Schulze hat es mir viele Male abgeschlagen. Die Dorfbewohner stellen sicher, daß meine Stimme nicht gehört wird, und streiten alles ab, wenn jemand mir vielleicht helfen möchte. Sie wollen nicht, daß der Schorf von der Wunde ihrer Schmach gerissen wird. Und so bin und bleibe ich die Irre, ein Ärgernis, das sie weniger in Verruf bringt als eine verbannte Mörderin, die ein Gnadengesuch einreichen will.» Und mit einem Schulterzucken: «Sogar mein Bruder Pa-ari will nichts unternehmen, und dabei liebt er mich. Es verstieße gegen seinen Gerechtigkeitssinn, wenn der König mir endlich ein geneigtes Ohr leihen würde. Niemand will seine Stellung für mich aufs Spiel setzen, ganz zu schweigen von seinem Leben.» Sie streckte mir den Kasten mit beiden Händen hin, drückte ihn sanft an meine Brust und blickte mir tief in die Augen. «Aber du, ja?»

Ich wünschte mich aus tiefstem Herzen weit, weit weg von hier, denn mich hatte das Mitleid gepackt, das einzige Gefühl, das einem Mann wirklich die ganze Kraft rauben kann. Wenn ich den Kasten nahm, würde ihre irre Besessenheit vielleicht nachlassen. Ich hatte nur eine ungefähre Vorstellung davon, wie es sein mochte, wenn man Monat um Monat, Jahr um Jahr zum Ufer ging, dem Hohn und Spott der Männer trotzte, die man ansprechen mußte, und Weigerung, Verachtung oder, schlimmer noch, Mitleid in ihrem Blick sah. Hoffentlich konnte sie meinen nicht lesen. Wenn ich den Kasten nahm, würde ich sie von dieser Last befreien. Ich konnte ihn über Bord werfen. Vom Palast würde sie natürlich nichts hören, doch sie mochte sich mit dem Gedanken trösten, daß der König ihre Verbannung schlicht nicht aufheben wollte, und würde darin vielleicht Frieden finden. Solch eine Täuschung war eines Offiziers im Dienste des Königs nicht würdig, aber war meine Absicht nicht gut? Schuldbewußt seufzte ich und nickte, und meine Hände legten sich um ihre, als ich diese anhob, um den Kasten in Empfang zu nehmen, während sie einen Schritt rückwärts machte. «Ich nehme ihn», sagte ich, «aber du darfst vom König keine Antwort erwarten.» Sie lächelte verzückt, beugte sich vor und gab mir einen Kuß auf die Wange.

«Oh, aber ich erwarte eine», flüsterte sie, und ihr Atem war warm auf meiner Haut. «Ramses ist alt, und alte Menschen verbringen gern viel Zeit damit, die Leidenschaften ihrer Jugend noch einmal zu durchleben. Er wird mir antworten. Sei bedankt, Offizier Kamen. Möge Wepwawet dich um meinetwillen schützen und führen.» Sie hüllte sich fester in den Umhang und ging, verschwand im Dämmerlicht der Hütte, und ich klemmte mir das verfluchte Ding unter den Arm und rannte zum Fluß zurück. Ich kam mir wie ein Verräter vor und verwünschte schon jetzt mein weiches Herz. Hätte ich sie doch nur abgewiesen. «Deine eigene Schuld, wenn du dich vom Mondschein verhexen läßt», schalt ich mich, während ich durch die Bäume stolperte. «Und was machst du jetzt?» Denn so herzlos, den Kasten einfach in den Nil zu werfen, war ich nun auch wieder nicht. Als ich meine Schlafstelle erreicht hatte, versteckte ich ihn unter meiner Decke, löste dann eilig meinen Soldaten ab und verbrachte die Stunden bis zur Morgendämmerung in elender Gemütsverfassung mit dem Abschreiten meines Wachbereichs.

Während die Ruderer ein Morgenmahl zubereiteten, stand ich im Innenhof des Tempels und lauschte einem verschlafenen Priester bei der frühen Morgenandacht. Die Gestalt meines Schutzgottes konnte ich durch die halb geöffnete Tür des Heiligtums nicht erblicken, sein Diener versperrte mir die Sicht. Während ich dünne Rauchwölkchen von frisch angezündetem Weihrauch einatmete, die mir die Morgenluft zuwehte, und meinen Fußfall machte, gab ich mir Mühe, mich zu sammeln und die Gebete zu sprechen, die mir auf dem Herzen lagen, doch ich konnte keinen Gedanken fassen, und die Worte kamen mir nur stockend über die Lippen. Als dann Res gnadenloses Licht voll über den Horizont gestiegen war, hörte ich auf, mich für meine Schwachheit zu schelten und mich dafür zu schämen, daß ich mich von einer einfachen Bäuerin hatte um den Finger wickeln lassen. Ich beschloß, ihr den Kasten zurückzugeben. Noch zürnte ich mit mir, doch noch mehr mit ihr, weil sie mir die Verantwortung aufgebürdet hatte, das Ding zu überbringen. Wenn ich es behielt, würden mir die harten Entscheidungen zufallen, und ich wußte, daß ich zu ehrlich war, um es einfach über Bord zu werfen und alles übrige dem Nil zu überlassen. Während ich kniete und aufstand, erneut kniete und meine Gebete murmelte, ohne mit dem Herzen bei der Sache zu sein, blickte ich mich immer wieder im Hof um und hoffte, die Frau zu sehen. Doch sie tauchte nicht auf.

Der Priester beendete die Andacht, und die Türen des Heiligtums wurden geschlossen. Er bedachte mich mit einem flüchtigen Lächeln und verschwand in einem der kleinen Räume, die auf den Hof gingen, hinter sich seine beiden jungen Helfer. Ich war allein. Der Kasten stand auf dem Pflaster neben mir, eine stumme Anklage, eine fordernde Waise. Ich ergriff ihn und eilte durch den äußeren Hof, trat heftig in meine Sandalen und rannte über den Vorhof zu der kleinen Hütte, die an der hinteren Wand des Tempels klebte. Als ich den Mund aufmachte und rufen wollte, ging mir auf, daß ich die Frau überhaupt nicht beim Namen kannte. Trotzdem rief ich eine laute Begrüßung und wartete in dem Bewußtsein, daß die Ruderer auf dem Boot bereits die letzten Vorbereitungen trafen und mein Herold liebend gern ablegen wollte. «Hol dich der Henker!» fluchte ich leise. «Und mich auch, weil ich ein so weiches Herz habe!» Ich rief noch einmal und schob zögernd die geflochtene Binsenmatte beiseite, die ihr als Tür diente. Sie gab nach, und ich erblickte einen dämmrigen kleinen Raum mit einem Fußboden aus gestampftem Lehm und nackten Wänden. Eine dünne Matratze lag auf einer niedrigen, hölzernen, bemerkenswert gut getischlerten Liege mit glatten Beinen und stämmigem Rahmen, die in der vergleichsweise armseligen Umgebung kostbar wirkte. Der Tisch daneben und der Schemel am Fuß der Liege waren zwar einfach, aber eindeutig die Arbeit eines Fachmannes. Auf dem Boden stand eine grob gefertigte Tonlampe. Die Hütte war leer, und ich konnte nicht warten. Kurz überlegte ich, ob ich den Kasten unter die Liege schieben und fliehen sollte, verwarf den Gedanken jedoch als meiner nicht würdig, wenn auch nicht ohne einen weiteren Fluch. Ich ließ die Binsenmatte fallen und lief zurück zum Fluß.

Als ich die Laufplanke hoch und auf das Deck meines Bootes rannte, Ausrüstung und Decke unter einem Arm, den elenden Kasten unter dem anderen, da lachte mein Herold schallend.

«Also hat sie endlich einen Dummen gefunden!» höhnte er. «Willst du das über Bord werfen, junger Kamen, oder gewinnen deine Prinzipien überhand? Wie hat sie dich herumbekommen, daß du ihn mitnimmst? Mit einem schnellen Sprung auf ihre zweifellos flohverseuchte Matte? Damit handelst du dir viel Ärger ein, das kannst du mir glauben!» Ich antwortete nicht. Ja, nicht einmal einen Blick gönnte ich ihm, und als er laut den Befehl zum Einholen der Laufplanke und zum Ablegen gab und das Boot vom Ufer fort und in den strahlenden Morgen glitt, da merkte ich, daß ich ihn überhaupt nicht mochte. Mein Soldat hatte mir Brot und Bier aufgehoben. Ich setzte mich in den Schatten des Buges und aß und trank ohne Appetit, während Aswat und seine schützende Vegetation hinter uns entschwanden und die Wüste sich zwischen den paar Feldern und den vereinzelten Palmen breitmachte. Das nächste Dorf war natürlich nicht weit entfernt, doch als ich mir die Krümel vom Knie wischte und den letzten Schluck Bier trank, überfiel mich eine lastende Einsamkeit, und ich wünschte mir sehnlichst, mein Auftrag wäre zu Ende.

Zweites Kapitel

Die verbliebenen acht Tage verliefen ohne Zwischenfälle, und am Morgen des neunten Tages erreichten wir das Delta, wo sich der Nil in drei mächtige Nebenarme teilt. Wir schlugen den nordöstlichen Arm ein, die Wasser Res, später die Wasser von Avaris genannt, der sich mitten durch die größte Stadt auf der ganzen Welt zieht. Aufatmend ließ ich die stille Trockenheit des Südens hinter mir und atmete wieder die Luft des Deltas, die feuchter war, nach Gärten duftete und tröstliche Laute menschlichen Lebens heranwehte. Der Fluß war zwar noch nicht angestiegen, doch überall in Teichen und beschaulichen Bewässerungskanälen stand Wasser, kräuselte sich kühl zwischen dicht stehenden Bäumen, blitzte zwischen hohen Papyrusdickichten, deren zarte Wedel sich in der lauen Brise wiegten. Im seichten Wasser stolzierten hochnäsige weiße Kraniche. Kleine Boote fuhren hin und her, und über ihnen flitzten und zwitscherten Vögel, während unser Steuermann den Blick unentwegt auf den Fluß gerichtet hielt und uns vorsichtig durch sie hindurchmanövrierte.

Bei den Wassern von Avaris veränderte sich die Landschaft, denn hier fuhren wir am Tempel von Bast, der Katzengöttin, vorbei, und bald darauf an den elenden Hütten und Katen der Armen, die sich um den riesigen Seth-Tempel drängten und die Luft zwischen dem Tempel und dem Schutt einer uralten Stadt mit Staub und Lärm und Dreck erfüllten. Doch gleich darauf veränderte sich die Landschaft schon wieder, denn wir hatten den breiten Kanal erreicht, der Pi-Ramses, die Stadt des Gottes, umgab. Wir nahmen die Abzweigung rechter Hand, glitten an einer scheinbar endlosen Abfolge von Lagerhäusern, Speichern, Lagern und Werkstätten vorbei, deren Anleger ins Wasser reichten wie gierige Finger, um Güter von allen Enden der zivilisierten Welt aufzunehmen, und in deren gähnende Eingänge einer nach dem anderen ein stetiger Strom von bepackten Arbeitern strömte, die den Reichtum Ägyptens auf dem Rücken trugen. Hinter ihnen erhaschte ich einen Blick auf die ausgedehnten Fayence-Fabriken. Ihr Oberaufseher war der Vater meiner Verlobten Takhuru, und bei dem Gedanken, daß ich sie nach so vielen Wochen wiedersehen würde, besserte sich meine Laune.

Hinter dem ganzen Tumult kamen die beschaulichen, eleganten Anwesen des niederen Adels, der Beamten, Kaufleute und fremdländischen Handelsherren. Hier war ich zu Hause. Hier würde ich von Bord gehen und ein paar Tage Muße genießen, ehe ich auf meinen Posten bei General Paiis und zu meiner Ausbildung an die Offiziersschule zurückkehrte, während mein Herold durch die streng bewachte Enge fuhr, die zu guter Letzt in den Residenzsee führte. Dort plätscherte das Wasser an Stufen aus reinweißem Marmor. Die dort hochgezogenen Boote waren aus feinster Libanonzeder und mit Gold verziert, und das höfliche Schweigen ganz großen Reichtums legte sich als verträumte Stille über üppige Gärten und dunkel verschattete Obsthaine. Hier waren die Iri-pat und Hohenpriester zu Hause, der Erbadel und die Oberaufseher, darunter auch mein zukünftiger Schwiegervater. Hier umfriedete eine mächtige Mauer auch Palast und Umgebung Ramses’ III.

Ohne Paß gelangte niemand auf den Residenzsee. Meine Familie hatte natürlich Zutritt zu dem Privatbereich, und ich hatte einen eigenen Paß, der mir erlaubte, das Haus meines Generals und die Militärschule zu betreten. Doch heute, als mein Steuermann das Ruder herumwarf und auf meine Bootstreppe zusteuerte, stand mir der Sinn allein nach einer guten Massage, einem Krug anständigen Wein zu den köstlichen Gerichten unseres Kochs und dann nur noch nach dem sauberen Gefühl der duftenden Leinenlaken auf meinem eigenen Lager. Ungeduldig sammelte ich meine Habseligkeiten zusammen, entließ meinen Soldaten, verabschiedete mich förmlich von meinem Herold May und rannte die Laufplanke hinunter, und dann berührten meine Füße mit Wohlbehagen die vertraute Kühle unserer Bootstreppe. Ich hörte kaum noch, daß die Laufplanke eingezogen wurde, und auch nicht den Befehl des Kapitäns, als das Boot wieder ablegte. Ich überquerte den gepflasterten Platz, ging durch die hohen Tore aus Metall, die offenstanden, rief dem Türsteher, der in der Tür zu seiner kleinen Nische auf einem Schemel vor sich hindöste, einen munteren Gruß zu und betrat den Garten.

Dort war niemand. Die Bäume und Büsche, die den Pfad säumten, bewegten sich träge in der lauen Brise. Durch ihre Zweige fielen Sonnenflecken auf die Blumenbeete, die wie aufs Geratewohl angelegt wirkten, so wie meine Mutter es gern hatte. Ich schritt munter aus und kam schon bald zu dem Amun-Schrein, vor dem sich die Familie regelmäßig zur Andacht versammelte, dann wandte ich mich nach rechts und strebte zwischen weiteren Bäumen auf das Hausportal zu. Zwischen deren gedrungenen Stämmen erhaschte ich einen Blick auf den großen Fischteich zu meiner Rechten, wo der Garten an die hintere Mauer unseres Anwesens grenzte. Sein schilfrohrbewachsenes Ufer und der steinerne Beckenrand lagen verlassen, die runden, grünen Lotosblätter auf der Oberfläche regten sich nicht. Es dauerte noch mehrere Monate, bis sie wieder blühen würden, doch Libellen mit hauchzarten, bebenden und schimmernden Flügelchen schossen hin und her, und ein Frosch sprang mit lautem Platsch hinein, daß sich das Wasser flink kräuselte.

In diesem Teich wäre ich einmal beinahe ertrunken. Da zählte ich drei Lenze, war unersättlich neugierig und konnte nicht stillsitzen. Ich war meiner Kinderfrau kurz entwischt, für die ich, das muß ich gestehen, eine große Last war, und trabte zum Wasser, wollte mit gierigen Händen Fische, Blumen und Käfer fangen und purzelte kopfüber ins Schilf und hinein. Ich erinnerte mich noch an den Schreck, dann an die köstliche Kühle und dann an meine Panik, als ich versuchte, in dem grünen Dunkel ringsum Luft zu holen, und feststellte, daß es nicht ging. Meine ältere Schwester zog mich heraus und legte mich auf den Beckenrand, wo ich Wasser spuckte und losheulte, eher aus Wut denn aus Schreck, und am folgenden Tag wies mein Vater unseren Haushofmeister an, einen Schwimmlehrer für mich zu suchen. Ich lächelte jetzt, als ich durch den verschatteten Eingang trat und nach rechts abbog, wo sich die Empfangshalle befand, denn in meiner Erinnerung war es, als wäre das alles gestern gewesen. Ich blieb stehen, seufzte tief und zufrieden und spürte, wie die Unannehmlichkeiten und Anspannungen der letzten Wochen von mir abfielen.

Der große Raum linker Hand war zum Garten hin offen und nur durch vier Säulen unterbrochen, zwischen deren Rundungen Sonnenlicht hereinströmte. Dahinter ging der Garten weiter bis zu einem Brunnen nahe der Innenmauer, die das Haus von den Dienstbotenquartieren trennte. Der Obstgarten war so zugewachsen, daß man die Hauptmauer, die sich um das ganze Haus zog, nicht mehr sehen konnte. Weiter hinten und rechter Hand führte eine kleine Tür auf den Hof, auf dem die Kornspeicher standen, und am anderen Ende des sich weiß erstreckenden, gefliesten Fußbodens befanden sich in der Wand drei Türen, die allesamt geschlossen waren. Ich blickte sehnsüchtig zur nächstgelegenen Tür, denn hinter ihr befand sich das Badehaus. Doch ich durchquerte die Halle mit knirschenden, überall Sand hinterlassenden Sandalen in Richtung der dritten Tür. Fast hatte ich sie schon erreicht, als sich die mittlere Tür öffnete und der Haushofmeister meines Vaters heraustrat.

«Kamen!» rief er und lächelte von einem Ohr zum anderen. «Ich hatte das Gefühl, daß jemand ins Haus gekommen ist. Willkommen daheim!»

«Danke, Pa-Bast», antwortete ich. «Das Haus ist so still. Wo sind alle?»

«Deine Mutter und deine Schwestern sind noch immer in Fayum. Hattest du das vergessen? Aber dein Vater arbeitet wie gewöhnlich. Kehrst du unverzüglich zum General zurück, oder soll ich dein Lager frisch beziehen lassen?»

Ich hatte in der Tat vergessen, daß die weiblichen Mitglieder des Haushalts zu unserem kleinen Haus am Ufer des Fayum-Sees gefahren waren, um der schlimmsten Hitze des Shemu zu entfliehen, und bis Ende des nächsten Monats, Paophi, nicht nach Pi-Ramses zurückkehren würden, wenn jedermann hoffte, daß der Fluß anstieg. Einen Augenblick lang war ich verwirrt. «Ich habe noch zwei Tage Urlaub», antwortete ich, nahm meinen Schwertgurt ab und überreichte ihm meine Ausrüstung zusammen mit den Sandalen, die ich auch abgestreift hatte. «Bitte laß mein Lager beziehen und hole Setau. Sag ihm, daß meine gesamte Ausrüstung verdreckt ist, daß mein Schwert geputzt werden muß und daß sich an meiner linken Sandale der Riemen lösen will. Laß heißes Wasser ins Badehaus bringen.» Er stand noch immer da und lächelte, und seine Augen wanderten zu dem Kasten unter meinem Arm, und auf einmal merkte ich, wie schmerzhaft er mir in die Seite drückte. «Bring das in mein Zimmer», sagte ich hastig. «Den habe ich auf meiner Reise aufgesammelt und weiß noch nicht recht, was ich damit mache.» Unbeholfen nahm er ihn mir ab, da er in der anderen Hand bereits meine Habseligkeiten hielt.

«Ist der schwer», meinte er, «und mit ausgefallenen Knoten verschnürt!» Ich wußte, daß er mich mit dieser Bemerkung nicht aushorchen wollte. Pa-Bast war ein guter Haushofmeister und steckte seine Nase nicht in meine Angelegenheiten. «Von der Herrin Takhuru ist eine Botschaft gekommen», wechselte er zu einem anderen Thema. «Sie bittet dich um deinen Besuch, sowie du zurück bist. Achebset ist gestern hiergewesen. Er läßt dir mitteilen, daß die niederen Hauptleute heute abend in einem Bierhaus namens Goldener Skorpion in der Straße der Korbverkäufer feiern, und falls du bis dahin daheim bist, bittet er dich, ihnen Gesellschaft zu leisten.»

Ich lächelte betrübt. «Da sitze ich in der Falle.»

«Ja, tatsächlich. Aber du könntest der Herrin Takhuru nach dem Abendessen deine Aufwartung machen und später noch in den Goldenen Skorpion gehen.»

«Ja, das ginge. Was gibt es heute abend?»

Ich weiß es nicht, aber ich kann nachfragen.»

Ich seufzte. «Ach, laß. Meinetwegen kann der Koch Mäusefrikassee auf gehacktem Gras auftischen, es wäre wohlschmeckender als der Soldatenfraß. Vergiß das heiße Wasser nicht. Sofort.» Er nickte und machte kehrt, und ich ging die paar Schritte zur dritten Tür und klopfte laut an.

«Herein!» befahl die Stimme meines Vaters, und ich gehorchte und machte die Tür wieder zu, während er hinter seinem Schreibtisch aufstand, um ihn herumging und mir mit ausgestreckten Armen entgegenkam. «Kamen! Willkommen daheim! Die südliche Sonne hat dich zu Zimtfarbe verbrannt, mein Sohn! Wie war die Reise? Kaha, ich glaube, wir lassen es für heute gut sein. Danke.» Der Schreiber meines Vaters kam aus seiner Sitzhaltung auf dem Fußboden hoch, schenkte mir ein rasches, jedoch herzliches Lächeln und ging mit seiner Palette in einer Hand und Schreibbinse und Rolle in der anderen hinaus. Mein Vater wies mich zu dem Stuhl gegenüber vom Schreibtisch, nahm auf seinem Platz und lächelte strahlend.

Sein Arbeitszimmer war dunkel und immer angenehm kühl, denn das einzige Licht kam durch eine Reihe von kleinen Fenstern oben unter der Decke. Als Kind hatte ich oft mit meinem Spielzeug unter seinem Schreibtisch sitzen dürfen, während er seine Geschäfte führte, und die Vierecke aus reinweißem Licht hatten mich fasziniert – sie fielen von den Fenstern auf die gegenüberliegende Wand, wurden im Verlauf des Morgens immer länger und wanderten über die vollgestellten Regale nach unten, von wo aus sie dann als gleichbleibende, jedoch bewegliche Formen über den Fußboden auf mich zugekrochen kamen. Zuweilen saß ihnen Kaha im Weg, hatte die Beine gekreuzt, die Palette auf den Knien und schrieb mit emsiger Schreibbinse, während mein Vater diktierte, und das Licht glitt seinen Rücken hoch und sickerte in seine volle, schwarze Perücke. Dann fühlte ich mich geborgen und konnte mich wieder mit meiner hölzernen Gans beschäftigen und mit dem kleinen Wagen mit den richtigen Rädern, die sich drehten, ihn mit meiner Sammlung hübscher Steine und leuchtend bemalten Skarabäen aus Ton beladen, und davor spannte ich meinen ganzen Stolz, ein kleines Pferd mit geblähten Nüstern und wilden Augen und einem Schwanz aus echtem Pferdehaar. Doch wenn sich Kaha näher an den Stuhl meines Vaters setzte, war mein Spielzeug vergessen, und ich sah verzaubert, ja, etwas verängstigt zu, wie sich die ordentlichen, hellen Vierecke allmählich zu Rechtecken dehnten, über die Regale krochen und mich blindlings suchten. Sie erreichten mich nie ganz, denn vorher rief meine Mutter immer zu Tisch, und als ich älter wurde, merkte ich natürlich, daß ihnen das auch nie gelungen wäre, weil die Sonne zu hoch über dem Haus stand. Später verbrachte ich den Morgen in der Schule, nicht mehr unter dem Schreibtisch meines Vaters, doch selbst als erwachsener Mann von sechzehn Lenzen und Offizier des Königs konnte ich nicht über diese kindlichen Ängste lachen.

Heute war der Raum in das sachte Licht des frühen Nachmittags getaucht, und ich saß da und betrachtete meinen Vater in dem sanften Schein. Seine Hände und sein Gesicht waren tief gefurcht und wettergegerbt vom jahrelangen Reisen auf Karawanenstraßen in sengender Sonne, doch die Falten in seinem Gesicht zeugten von Humor und Wärme, und die Flecken und die gegerbte Haut schienen seine Kraft noch zu betonen. Er war ein ehrlicher Mann, kurz angebunden und geradeheraus, ein Meister im Feilschen auf dem umkämpften Markt für Arzneikräuter, doch er liebte seine Arbeit und hatte damit ein Vermögen gemacht. Er sprach mehrere Sprachen, darunter auch die der Ha-nebu und die eigentümliche Zunge der Sabäer, und bestand darauf, daß die Führer seiner Karawanen zwar die ägyptische Staatsbürgerschaft hatten, jedoch aus dem Volk stammten, mit dem er Handel trieb. Wie die Priester gehörte er keiner Klasse an und wurde daher in allen Gesellschaftskreisen empfangen, doch in Wahrheit war er von niederem Adel, was ihm aber nicht sonderlich viel galt, denn er hatte sich, wie er sagte, den Titel nicht selbst verdient. Dennoch setzte er seinen Ehrgeiz in mich und war stolz auf die verwickelten Verhandlungen, mit denen er die Tochter eines bedeutenden Edelmannes als künftige Ehefrau für mich gewonnen hatte. Jetzt lehnte er sich zurück, strich sich mit der beringten Hand über den kahlen Schädel, an dem letzte graue Haare zwischen seinen Ohren einen Halbkreis bildeten, und wölbte seine buschigen Brauen.

«Nun?» half er nach. «Was hältst du von Nubien? Nicht viel anders als unsere gemeinsame Reise zu den Sabäern, nicht wahr? Sand und Fliegen und große Hitze. Bist du gut mit dem königlichen Herold ausgekommen?» Er lachte. «Nein, und ich kann es dir an der Nasenspitze ablesen. Und das alles für einen Offizierssold. Wenigstens lernst du im Heer dein Temperament zu zügeln, Kamen, und das ist gut so. Ein einziges grobes Wort gegenüber dem Diener unseres Pharaos, und schon wirft man dich hinaus.» Dabei klang Bedauern durch, und ich mußte grinsen.

«Ich habe nicht die Absicht, mich aus dem Haus werfen zu lassen, geschweige denn aus dem Tempel», sagte ich. «Nubien war langweilig, der Herold ein reizbarer Mensch, und die ganze Reise ohne Zwischenfälle. Aber immer noch besser, als Tag für Tag auf einem Esel zu hocken, fast vor Durst zu sterben und sich zu fragen, ob die Räuber der Wüste angreifen und uns alle Güter rauben, um die wir so hart gefeilscht haben, und zu wissen, daß wir das in ein paar Monaten schon wieder tun müssen.»

«Falls du in einer der Grenzfestungen postiert wirst, wie du in deiner Dummheit anstrebst, bekommst du ein gerüttelt Maß an Hitze und Langeweile», gab er zurück. «Wem kann ich mein Geschäft vererben, wenn ich sterbe, Kamen? Etwa Mutemheb? Handel ist keine Beschäftigung für Frauen.» Dieses Argument hatte ich mir schon viele Male anhören müssen. Ich wußte, daß keine Spitze durchklang, sondern nur Liebe und Enttäuschung.

«Lieber Vater», sagte ich ungeduldig, «du kannst es mir ruhig vererben, ich setze dann gute Verwalter ein …» Er gebot mir Schweigen.

«Handel ist nichts, womit man Dienstboten betrauen kann», verkündete er hochfahrend. «Er verlockt zu sehr zur Unehrlichkeit. Eines Morgens wachst du mittellos auf, und deine Diener besitzen das benachbarte Anwesen.»

«Daß ich nicht lache», fiel ich ihm ins Wort. «Wie viele Karawanen führst du denn noch persönlich an? Eine von zehn? Alle zwei Jahre einmal, wenn du es daheim nicht mehr aushältst? Du vertraust deinen Männern, wie ein Offizier seinen Soldaten vertrauen muß …»

«Seit wann bist du ein Wortklauber», sagte er lächelnd. «Vergib mir, Kamen. Du sehnst dich sicherlich nach einem Bad. Wie war der Fluß auf dem Rückweg? Gewißlich haben die Ruderer Isis angefleht, damit sie weint und die anschwellende Strömung stärker ist als der vorherrschende Nordwind und euch nach Hause treibt. Wieviel länger habt ihr für die Rückreise gebraucht?»

«Ein paar Tage», sagte ich achselzuckend. «Aber wir sind nicht so gut vorangekommen, daß wir jeden Abend am vorgesehenen Platz anlegen konnten. Mein Herold hatte geplant, abends die Gastfreundschaft der Dorfschulzen zu genießen, die eine wohlbestellte Tafel haben, aber meistens gab es Brot und Datteln am Nilufer. Als wir dann gezwungen waren, für eine Nacht in Aswat anzulegen, war er schon ungenießbar. In Aswat hat uns eine Frau Essen gebracht …» Mein Vater merkte auf.

«Eine Frau? Was für eine Frau?»

«Nur eine Bauersfrau, Vater, und halb irre. Ich bin zum Beten in Wepwawets Tempel gegangen, und sie machte da sauber. Ich habe sie angesprochen, weil die Tür zum inneren Hof verschlossen war und sie mir aufschließen sollte. Warum fragst du? Kennst du sie?» Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen, und seine Augen blickten unversehens scharf und sehr wachsam.

«Ich habe von ihr gehört. Sie behelligt die Herolde. Kamen, hat sie dich auch behelligt?» Das sollte sich spaßig anhören, doch sein Blick war ernst. Gewiß ist er nicht so besorgt um mich, daß ihn meine Begegnung in Aswat beunruhigt, dachte ich.

«Nun, nicht richtig behelligt», erwiderte ich, obwohl sie genau das getan hatte. «Aber lästig war sie schon. Sie versucht, wichtigen Persönlichkeiten auf der Durchreise einen Kasten aufzudrängen, etwas, was dem Einzig-Einen überbracht werden soll. Anscheinend hat sie bereits versucht, ihn May, meinem Herold, zu geben, und der hat sich geweigert, also wollte sie ihn mir aufhalsen.» Der Blick, der so manchen fremdländischen Schacherer mit seinen Säcken voller Kräuter zu Füßen bezwungen hatte, durchbohrte mich noch immer.

«Du hast ihn doch nicht etwa genommen, Kamen? Ich kenne das qualvolle und flüchtige Mitgefühl der Jugend! Du hast ihn doch nicht etwa genommen?»

Ich hatte schon den Mund zu dem Geständnis geöffnet, daß ich ihn in der Tat mitgenommen, daß sie mir das Ding halbnackt im Mondschein in die Arme gedrückt hätte, wobei diese eigenartigen Augen in dem verschatteten Gesicht gefunkelt hatten, und daß mich mehr als nur jugendliches Mitgefühl dazu bewegt hatte … – doch da geschah etwas Seltsames. Ich hatte meinen Vater noch nie belogen, kein einziges Mal. Meine Lehrer hatten mir eingebleut, wie schlimm Lügen war. Die Götter mochten Lug und Trug nicht. Lug und Trug waren die Zuflucht der Schwachen. Ein tugendhafter Mann sagte die Wahrheit und stand für die Folgen ein. Als Kind hatte ich aus Zorn oder Angst gelogen – nein, Vater, ich habe Tamit nicht geschlagen, weil sie mich geneckt hat –, doch in der Regel hatte ich solche Lügen zurückgenommen, wenn ich in Bedrängnis kam, und meine Strafe erduldet, und als ich heranwuchs, mußte ich nichts mehr zurücknehmen. Ich liebte und vertraute dem Mann, der mich jetzt so ernst anblickte, und dennoch, als ich dasaß und den Blick erwiderte, da wußte ich, ich mußte ihn anlügen. Nicht weil ich mich schämte, einer verzweifelten Irren nachgegeben zu haben, nein, das nicht. Nicht weil mein Vater vielleicht verärgert wäre oder mich auslachen würde. Nicht einmal, weil er vielleicht den Kasten sehen, ihn öffnen und vielleicht … Ja, was vielleicht? Ich wußte nicht, warum ich die Wahrheit vor ihm verbergen mußte. Ich wußte nur mit unfehlbarer Sicherheit, daß das Geständnis, der Kasten stünde jetzt oben auf meinem Lager, ein Ende … ja, das Ende bedeutete? Verdammt, das Ende wovon?

«Natürlich habe ich ihn nicht genommen», sagte ich kühl. «Sie hat mir leid getan, aber ich wollte sie in ihrem Wahn nicht noch bestärken. Die Situation war ohnedies peinlich genug.» Und für Pa-Bast muß ich mir auch noch etwas ausdenken, schoß es mir durch den Kopf, falls er den Kasten beiläufig erwähnen sollte. Nicht wahrscheinlich, aber möglich. Die Haltung meines Vaters änderte sich zwar nicht, ich spürte jedoch, wie er sich entspannte.