Die Herrin vom Nil - Pauline Gedge - E-Book
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Die Herrin vom Nil E-Book

Pauline Gedge

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Beschreibung

Rowohlt E-Book Only Vor dreieinhalb Jahrtausenden bekam in Ägypten die Sonne eine Tochter: Hatschepsut. Sie wurde die erste Frau auf dem Thron der Pharaonen. In den über 20 Jahren ihrer Herrschaft erwirbt sie sich die Liebe ihres Volkes und fördert den Fortschritt. Hatschepsut, Tochter der Morgenröte, lernt die Süße, aber auch die Bitterkeit der Macht kennen: Intrigen, Morde an ihren engsten Vertrauten, dramatische Auseinandersetzungen mit den einflußreichen Priestern und ein blutiger Kampf um die Erbfolge. In diesem spannenden biographischen Roman zeichnet Pauline Gedge diese einzigartige und erste bedeutende Frau der Weltgeschichte nach. Vor dem Hintergrund überlieferter Ereignisse wird die Kultur des alten Ägypten wieder lebendig. «Pauline Gedge zeichnet mit viel Einfühlungsvermögen ein Bild des alten Ägypten und des Lebens bei Hofe, beschreibt die vielen religiösen Zeremonien, die Macht der Priester, die Intrigen und Machtkämpfe.» (Südwest-Presse)

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Pauline Gedge

Die Herrin vom Nil

Roman einer Pharaonin

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Rowohlt E-Book Only

 

Vor dreieinhalb Jahrtausenden bekam in Ägypten die Sonne eine Tochter: Hatschepsut. Sie wurde die erste Frau auf dem Thron der Pharaonen. In den über 20 Jahren ihrer Herrschaft erwirbt sie sich die Liebe ihres Volkes und fördert den Fortschritt. Hatschepsut, Tochter der Morgenröte, lernt die Süße, aber auch die Bitterkeit der Macht kennen: Intrigen, Morde an ihren engsten Vertrauten, dramatische Auseinandersetzungen mit den einflußreichen Priestern und ein blutiger Kampf um die Erbfolge. In diesem spannenden biographischen Roman zeichnet Pauline Gedge diese einzigartige und erste bedeutende Frau der Weltgeschichte nach. Vor dem Hintergrund überlieferter Ereignisse wird die Kultur des alten Ägypten wieder lebendig.

 

«Pauline Gedge zeichnet mit viel Einfühlungsvermögen ein Bild des alten Ägypten und des Lebens bei Hofe, beschreibt die vielen religiösen Zeremonien, die Macht der Priester, die Intrigen und Machtkämpfe.» (Südwest-Presse)

Über Pauline Gedge

Pauline Gedge, geboren 1945 in Auckland, Neuseeland, verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in England und lebt heute in Alberta, Kanada. Mit ihren Büchern, die in zahlreiche Sprachen übersetzt sind, gehört sie zu den erfolgreichsten Autorinnen historischer Romane.

FÜR MEINE MUTTER AIRINI

UND MEINEN VATER LLOYD

ICH HABE DIES AUS LIEBENDEM HERZEN FÜR MEINEN VATER AMUN GETAN;

ICH BIN FÜR DIESES ERSTE JUBILÄUM SEINEM PLAN GEFOLGT;

ICH WAR KLUG DURCH SEINEN HERVORRAGENDEN GEIST, UND ICH HABE NICHTS VON DEM VERGESSEN, WAS ER GEFORDERT HAT.

MEINE MAJESTÄT WEISS, DASS ER GÖTTLICH IST.

ICH HABE ES UNTER SEINEM BEFEHL GETAN; ER WAR ES, DER MICH FÜHRTE.

ICH HABE NICHTS OHNE SEIN ZUTUN GEPLANT; ER WAR ES, DER MIR ANWEISUNGEN GAB.

ICH LAG SCHLAFLOS WEGEN SEINES TEMPELS; ICH WICH NICHT VON DEM AB, WAS ER BEFAHL.

MEIN HERZ WAR WEISE VOR MEINEM VATER; ICH MACHTE MIR DIE ANGELEGENHEITEN SEINES HERZENS ZU EIGEN.

ICH KEHRTE DER STADT DES ALLESBEWEGERS NICHT DEN RÜCKEN, SONDERN WANDTE IHR DAS GESICHT ZU.

ICH WEISS, DASS KARNAK GOTTES WOHNSTÄTTE AUF ERDEN IST;

DAS GEHEILIGTE AUGE DES ALLESBEWEGERS; DER ORT SEINES HERZENS;

DER SEINE SCHÖNHEIT WIDERSPIEGELT UND DIEJENIGEN UMFASST, DIE IHM FOLGEN.

Gebet von Königin Hatschepsut anläßlich ihres Jubiläums

Prolog

SIE ZOG SICH FRÜH IN IHRE GEMÄCHER ZURÜCK; sie gab ihrer Sklavin ein Zeichen und entfernte sich fast unbemerkt aus der Halle, während auf den kleinen vergoldeten Tischen noch die Speisen dampften und der Duft der Blumen, die überall verstreut waren, sie in einer unsichtbaren Wolke durch den Säulengang begleitete. Kurz brandete Beifall hinter ihr auf, als die Musiker ihre Plätze einnahmen und eine fröhliche Weise anstimmten, aber sie ging rasch weiter, so daß Merire fast rennen mußte, um mit ihr Schritt zu halten. Als sie ihre Zimmerflucht erreichte, begab sie sich, ohne auf das Salutieren ihrer Leibwache zu achten, in ihr Schlafgemach und schleuderte die Sandalen von sich.

«Schließ die Tür», sagte sie, und Merire gehorchte und machte mit Schwung beide Türflügel zu. Dann drehte sie sich mit aufmerksamem Blick um und versuchte, die Stimmung ihrer Herrin abzuschätzen. Hatschepsut ließ sich auf den Schemel vor ihrem Spiegel sinken und befahl mit einer Gebärde: «Nimm mir all das ab.»

«Ja, Majestät.»

Die geschickten Finger hoben die schwere, kunstvoll gearbeitete Perücke hoch, lösten sanft das prachtvolle Halsband aus Gold und Karneol und schoben die klirrenden Armreifen über die kraftlosen Hände. In den vier Ecken des Zimmers standen große, flache Kohlenbecken, die den Raum angenehm erwärmten, und die Lampen strahlten ein schwaches, flackerndes Licht aus, das die schattigen Tiefen kaum durchdrang, denn zu dieser Stunde waren die farbenfrohen Wände düster und fast nicht zu sehen; nur manchmal hob der Widerschein einer plötzlich aufschießenden Flamme das Bruchstück einer erstarrten Bewegung hervor oder ließ einen funkelnden Gegenstand aus Edelmetall aufblitzen. Anders als seine angespannte, mißmutige Gefangene lag der Raum in friedlichem Schlummer da.

Hatschepsut erhob sich, als Merire die Träger des dünnen Leinengewands löste und ihr das Gewand abstreifte. Merire goß heißes, parfümiertes Wasser in eine Schale und begann die Schwärze von den dunklen Augen ihrer Herrin zu waschen und die rote Henna von den Fußsohlen und Handflächen. Die ältere Frau fuhr indessen fort, sich mit starrem Blick in dem blankpolierten, riesigen Kupferspiegel zu betrachten.

Als Merire fertig war, ging Hatschepsut zum Kopfende ihres Ruhebetts und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen.

Solange der Palast noch vom Kommen und Gehen meines Hofs widerhallte und der Weihrauch Tag und Nacht auf meinen Befehl im Tempel aufstieg, waren alle bereit, mir bis zum Tode zu dienen. Ja, ja, aber bis zu wessen Tod? Wessen? Wo sind sie jetzt, die mutigen Prahler? Und was habe ich getan, daß alles so enden muß? Für die Götter habe ich Gold und Sklaven geopfert. Ich habe gebaut und schwer gearbeitet. Für dieses Land, für mein ewiges, mein schönes Ägypten, habe ich mein göttliches Ich geopfert, habe mich abgemüht, habe nachts schlaflos und sorgenvoll dagelegen, damit das Volk in Ruhe und Sicherheit schlafen konnte. Jetzt sprechen selbst die Fellachen auf den Feldern von nichts anderem als von Krieg. Vom Krieg, nicht von räuberischen Streifzügen, nicht von Grenzscharmützeln, sondern von regelrechten Schlachten zur Eroberung eines Imperiums. Und ich kann nur ohnmächtig zusehen. Dieses Land ist nicht für den Krieg geschaffen. Wir lachen, wir singen, wir lieben, wir bauen, wir treiben Handel und arbeiten – der Krieg ist viel zu ernst für uns, er wird uns am Ende alle vernichten.

Merire brachte das Wasser fort und kehrte mit dem Nachtgewand zurück.

Aber Hatschepsut machte eine abwehrende Handbewegung. «Nicht heute nacht. Laß einfach alles, wie es ist. Du kannst es am Morgen aufräumen. Jetzt geh hinaus.»

Es war nicht der Tod, den sie fürchtete. Sie wußte, daß der Zeitpunkt nahe bevorstand, sehr nahe. Vielleicht käme er schon morgen, und nicht einen Augenblick zu früh, denn sie war des Lebens überdrüssig und sehnte sich nach Ruhe. Aber sie war einsam, und die Stille eines leeren Zimmers beunruhigte sie. Sie setzte sich auf ihr Ruhebett und blieb still sitzen. «O mein Vater», betete sie. «Mächtiger Amun, König der Götter, nackt, wie ich bin, kam ich auf diese Welt; und nackt, wie ich bin, wird man mich zum Haus der Toten tragen.»

Sie erhob sich und begann langsam auf und ab zu gehen; ihre nackten Füße machten kein Geräusch auf den roten und blauen Fliesen des Bodens. Sie ging zur Wasseruhr und sah einen Augenblick zu, wie sie tropfte. Es fehlten noch vier Stunden bis Sonnenaufgang. Vier Stunden. Und dann ein weiterer Tag zermürbender Enttäuschungen und erzwungener Muße; sie würde im Garten sitzen, auf dem Fluß spazierenfahren und mit dem Streitwagen ihre Runde auf dem Truppenübungsplatz östlich der Stadt machen. Mit dem gleichen Streitwagen, den ihre eigenen Truppen ihr an jenem strahlenden, kühlen Morgen zum Geschenk gemacht hatten. Wie jung war sie damals gewesen. Wie hatte ihr Herz vor Angst und Erregung gepocht, und wie hatte sie die glänzenden Seiten des goldenen Streitwagens umklammert, während ihre Pferde donnernd über den festen, von der Sonne getrockneten Sand brausten und die glühende, stille Wüstenluft mit Feuer und Tod durchschnitten!

Jetzt war Winter, der Monat Hathors, ein Monat, der schon ewig zu dauern schien, obgleich er eben erst begonnen hatte. In den kühlen Nächten, an den Tagen, die kaum weniger drückend waren als die des Sommers, fühlte sie eine zunehmende Verzweiflung in sich aufsteigen, geboren aus der Untätigkeit. Und der alte Schmerz, der Schmerz, der immer wieder neu war, begann an ihr zu zerren, so daß sie die Augen öffnete. Ihr gegenüber, hinten im Halbdunkel, schwebte, in Silber gehämmert, ihr eigenes Bild, ein riesiges Relief, das über die Hälfte der Wand einnahm. Das stolze Kinn mit dem künstlichen Pharaonenbart war hoch erhoben, die Augen blickten ruhig und fest unter der hohen, majestätischen Doppelkrone Ägyptens hervor. Sie lächelte plötzlich.

So war es, und so wird es immer sein, ich, die Tochter Amuns, war Königin von Ägypten. Und in künftigen Zeiten werden die Menschen es wissen und staunen, wie ich es getan, als ich die Monumente und Werke des Wunders betrachtete, die meine Vorfahren errichtet haben. Ich bin nicht allein. Ich werde, trotz alldem, ewig leben.

Erstes Buch

1

OBWOHL DIE NÖRDLICHE MAUER des Schulzimmers auf den Garten hinausging, wehte kein Lüftchen zwischen den weißen, buntbemalten Säulen. Es war drückend heiß. Die Schüler saßen mit gekreuzten Beinen, Knie an Knie, auf ihren Papyrusmatten, den Kopf über die Tonscherben gebeugt und eifrig damit beschäftigt, die Lektion des Tages niederzuschreiben. Chaemwese, der mit verschränkten Armen am Ende des Zimmers saß, spürte, daß der Schlaf ihn zu übermannen drohte, und warf einen verstohlenen Blick auf die steinerne Wasseruhr. Beinahe Mittag. Er hüstelte, und ein Dutzend kleiner Gesichter wandten sich ihm erwartungsvoll zu.

«Seid ihr alle fertig? Wer liest mir die heutige Weisheit vor? Oder sollte ich lieber sagen, wer besitzt die Weisheit, mir die heutige Lektion vorzulesen?» Er strahlte über seinen Witz, und ein höfliches, leises Lachen lief durch den Raum. «Du, Menech? Useramun? Da ich weiß, daß Hapuseneb es kann, werde ich ihn nicht fragen. Wer meldet sich freiwillig? Thutmosis, du wirst es tun.»

Thutmosis stand mit unglücklicher Miene auf, während Hatschepsut, die neben ihm saß, ihn knuffte und eine Grimasse schnitt. Er beachtete sie nicht, sondern blickte voller Verzweiflung auf die Tonscherbe, die er zwischen den Händen hielt.

«Fang an. Hatschepsut, sitz still.»

«Ich habe gehört, du … du …»

«Folgst.»

«Ja, folgst. Ich habe gehört, du folgst den Vergnügungen. Kehre meinen Worten nicht den Rücken. Richtest du denn deinen Sinn auf … auf …»

«Allerlei taube Dinge.»

«Oh. Auf allerlei taube Dinge?»

Chaemwese seufzte, während der Junge mit leiernder Stimme weiterlas. Thutmosis würde bestimmt nie ein gut unterrichteter und aufgeklärter Mann werden. Er hatte überhaupt kein Verständnis für den Zauber der Worte und gab sich damit zufrieden, die Unterrichtsstunden gedankenlos zu verdösen. Vielleicht sollte der Eine erwägen, seinen Sohn frühzeitig ins Heer zu stecken. Aber Chaemwese schüttelte den Kopf bei der Vorstellung, daß Thutmosis, Bogen oder Speer in der Hand, an der Spitze einer Kompanie von zähen alten Kämpfern marschierte. Der Junge stockte abermals und blickte, den Finger unter der beschwerlichen Hieroglyphe, mit einem Ausdruck stummer Verwirrung seinen Lehrer an.

Der alte Mann wurde ärgerlich. «Dieser Abschnitt», sagte er gereizt und pochte mit Nachdruck auf seine eigene Schriftrolle, «bezieht sich auf den weisen und wohlverdienten Gebrauch der Flußpferdpeitsche auf dem Hinterteil eines faulen Jungen. Vielleicht hat der Schreiber dabei gerade an einen Jungen wie dich gedacht, Thutmosis? Brauchst du eine Kostprobe von meiner Flußpferdpeitsche? Bring sie mir!»

Einige der älteren Jungen begannen zu kichern, aber Neferu streckte flehend die Hand aus. «O bitte, Herr Lehrer, nicht schon wieder! Er ist erst gestern verprügelt worden, und Vater war sehr ärgerlich.»

Thutmosis errötete und sah sie mit funkelnden Augen an. Die Flußpferdpeitsche war ein alter, abgedroschener Witz, denn es war nur eine dünne, elastische Weidenrute, die Chaemwese tagaus, tagein wie einen Marschallstab unter dem Arm trug. Die wirkliche Peitsche war für Verbrecher und Rebellen bestimmt. Daß es ein Mädchen war, das sich für ihn einsetzte, war wie Salz auf einer ohnehin schon schmerzenden Wunde, und der Junge murrte leise, als der Lehrer ihm mit einem gebieterischen Wink befahl, sich zu setzen.

«Nun gut, Neferu, da du seine Strafe gemildert sehen willst, kannst du seine Aufgabe selbst übernehmen. Steh auf und fahre fort.»

Neferu war ein Jahr älter und bedeutend intelligenter als Thutmosis. Sie war gerade von den alten, zerbrochenen Tonscherben zu Papyrusrollen übergegangen und las mühelos den Rest der Lektion.

Der Unterricht endete wie üblich mit einem Gebet an Amun. Die Schüler erhoben sich, als Chaemwese den Raum verließ, und dann erhob sich Stimmengewirr.

«Mach dir nichts draus, Thutmosis», sagte Hatschepsut munter, während sie ihre Matte aufrollte. «Komm nach dem Mittagsschlaf mit mir in den Zoo und sieh dir die neue Gazelle an. Vater hat ihre Mutter totgeschossen, und jetzt hat sie niemanden, der sie liebhat. Kommst du mit?»

«Nein», sagte er schroff. «Ich will nicht mehr ständig mit dir durch die Gegend ziehen. Außerdem muß ich jetzt jeden Nachmittag mit Ahmes pen Nechbet zur Kaserne gehen und mich im Bogenschießen und Speerwerfen üben.»

Sie gingen zur Ecke des Zimmers und legten ihre Matten zu den anderen auf einen Haufen, während Neferu Chebit, der nackten Sklavin, die geduldig neben der großen silbernen Wasserkanne stand, ein Zeichen gab. Die Frau schenkte Wasser ein und reichte es ihnen mit einer Verbeugung.

Hatschepsut trank gierig und schmatzte. «Gutes Wasser! Wie steht’s mit dir, Neferu? Hast du Lust mitzukommen?»

Neferu sah lächelnd zu ihrer jüngeren Schwester hinunter. Sie fuhr ihr mit der Hand über den kahlrasierten Kopf und glättete die zerzauste Jugendlocke, so daß sie wieder ordentlich über der linken Schulter hing. «Du hast schon wieder Tinte auf dem Kittel, Hatschepsut. Wirst du jemals erwachsen werden? Gut, ich komme mit, wenn Nedjmet es erlaubt. Nur für ein Weilchen. Genügt das?»

Das kleine Mädchen hüpfte vor Freude. «Ja! Hol mich, wenn du aufstehst!»

Nur die Sklavin und die drei Geschwister waren noch im Schulzimmer. Die anderen Kinder schlenderten in kleinen Gruppen mit ihren Sklaven nach Hause, während die Hitze sich zu einer kompakten Masse von drückender Luft verdichtete, die ihre Köpfe zu beugen schien und den Wunsch in ihnen weckte zu schlafen.

Thutmosis gähnte. «Ich werde jetzt zu meiner Mutter gehen. Eigentlich sollte ich dir danken, Neferu, daß du mich gerettet hast, aber ich wünschte, du würdest dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern. Die anderen Jungen lachen über das Schauspiel, und du demütigst mich.»

«Möchtest du lieber verprügelt als ausgelacht werden?» fragte Hatschepsut verächtlich. «Wirklich, Thutmosis, du hast zuviel Würde. Und es stimmt: Du bist faul.»

«Psst!» sagte Neferu. «Thutmosis, du weißt, daß ich es nur aus Sorge um dich getan habe. Da kommt Nedjmet. Seid artig. Bis nachher, kleine Hat.» Sie gab Hatschepsut einen Kuß auf den Kopf und ging in das grelle Licht des Gartens hinaus.

Nedjmet durfte sich ebensoviel Freiheiten gegenüber den Königskindern erlauben wie Chaemwese. Die königliche Kinderfrau schalt sie, lobte sie, gab ihnen hin und wieder einen Klaps – und liebte sie abgöttisch. Sie bürgte dem Pharao mit ihrem Leben für die Sicherheit der Kinder. Die zweite Frau, Mutnofret, hatte sie als Amme engagiert, als die Zwillinge Uatschmes und Amunmes geboren wurden, und die göttliche Gemahlin Ahmose hatte sie für Neferu und Hatschepsut behalten. Den kleinen Thutmosis hatte Mutnofret selbst genährt. Er war ihr dritter Sohn, und sie wachte über ihn wie ein Adler, denn ein Sohn war kostbar, vor allem ein königlicher Sohn, und ihre zwei anderen kleinen Jungen waren an der Pest gestorben. Jetzt war Nedjmet eine Frau mit bissiger Zunge und scharfgeschnittenem Gesicht und so abgemagert, daß ihr schmuckloses Leinengewand lose um ihre knochige Gestalt herumhing und um ihre nackten Knöchel flatterte, während sie hierhin und dorthin lief und die Sklavinnen anschrie und die Kinder ermahnte. Die Kinder fürchteten sie nicht mehr, und nur Hatschepsut liebte sie noch, vielleicht weil Hatschepsut in ihrer fröhlichen kindlichen Selbstsucht von allen geliebt wurde und daher nicht zu fürchten brauchte, daß irgend jemand sich ihren Wünschen widersetzte.

Als Nedjmet aus dem Halbdunkel der Halle hereinkam, lief Hatschepsut auf sie zu und umarmte sie.

Nedjmet erwiderte die Umarmung und befahl der Sklavin mit schriller Stimme: «Gieß jetzt das Wasser aus und wasch den Krug. Und feg den Boden für den morgigen Unterricht. Dann kannst du in dein Zimmer gehen und dich ausruhen. Beeil dich!» Sie warf einen strengen Blick hinter der sich entfernenden Neferu her, aber jetzt, da das junge Mädchen das enganliegende Gewand der Erwachsenen trug und ihr Kopf nicht mehr kahl rasiert war, sondern mit glänzenden schwarzen Flechten bedeckt, die ihr bis auf die Schultern fielen, hatte Nedjmet kaum mehr Gewalt über sie. Sie murmelte verdrießlich: «Wohin geht sie zu dieser Tageszeit?» Dann nahm sie Hatschepsut bei der Hand und führte sie liebevoll durch das Labyrinth von Säulengängen und dunklen Hallen zur Tür des Hauses der Kinder, das neben den Frauengemächern lag.

Über dem Palast hing eine schläfrige, heiße Stille. Selbst die Vögel waren verstummt. Draußen, jenseits der Gärten, zog der große Fluß wie glühendes Silber langsam dahin. Kein Boot bewegte sich auf seiner Oberfläche, und unten, in der kühleren, schlammigen Tiefe, warteten die Fische auf den Abend. Die ganze Stadt schlief wie unter einem Zauberbann. Die Schänken und Märkte waren geschlossen, und die Pförtner nickten im Schatten ihrer kleinen Nischen unter den schützenden Mauern der großen Besitztümer des Adels, die Meile um Meile den Fluß säumten. Im Hafen regte sich nichts, nur ein paar Bettlerjungen machten Jagd auf die Überreste von verschütteten Frachtgütern. In der Nekropolis, der Stadt der Toten auf der anderen Seite des Flusses, schimmerten die Tempel und leeren Schreine im Dunst, und die Hitze ließ die braunen Klippen hinter ihnen zittern und tanzen. Hochsommer. Weizen, Gerste, Klee, Flachs und Baumwolle standen hoch für die Ernte. Trotz der verzweifelten Bemühungen der Fellachen, die Schadufs in Bewegung zu halten, trockneten die Bewässerungskanäle langsam aus. Die staubigen grünen Dattel- und Dumpalmen, die Bäume, die das Flußufer säumten, und das satte Grün des Schilfrohrs – alles wurde allmählich braun. Und über allem lag der ewige, weißglühende, die Augen versengende Glanz von Re, der sich, mächtig und unbesiegbar, aus einem wolkenlosen und grenzenlos tiefen blauen Himmel über die Erde ergoß.

In den Gemächern Ihrer Königlichen Hoheit, der Prinzessin Hatschepsut Chenemet Amun, war ein leichter Luftzug zu spüren. Die Windfänger auf dem Dach leiteten jede kleinste Brise aus dem Norden nach unten, und es entstanden kleine Wirbel in der heißen, muffigen Luft. Als Nedjmet und ihr Schützling den Raum betraten, sprangen die zwei wartenden Sklavinnen ehrerbietig auf und nahmen ihre Fächer in die Hand. Nedjmet schenkte ihnen keine Beachtung. Während sie Hatschepsut den weißen Leinenkittel auszog, stieß sie barsch einen Befehl hervor, und eine weitere Sklavin erschien mit Wasser und Tüchern. Die Kinderfrau wusch rasch den drahtigen kleinen Körper. «Dein Kittel ist wieder mit Tinte beschmiert», sagte sie vorwurfsvoll. «Mußt du so unordentlich sein?»

«Es tut mir ehrlich leid», erwiderte Hatschepsut, der es nicht im geringsten leid tat. Sie stand schläfrig da, während das wohltuend kühle Wasser ihr über den braunen Leib und die Arme lief. «Neferu war auch ärgerlich mit mir wegen meines schmutzigen Kittels. Wirklich, ich weiß nicht, wie es geschehen ist.»

«War es gut in der Schule heute?»

«Ich glaube ja. Aber ich mag die Schule nicht sehr. Man muß zu viel lernen, und ich warte immer darauf, daß Chaemwese mich anschnauzt. Und ich mag auch nicht, daß ich das einzige kleine Mädchen dort bin.»

«Ihre Hoheit Neferu ist doch auch da.»

«Das ist etwas ganz anderes. Neferu macht sich nichts aus dem Grinsen der Jungen.»

Nedjmet rümpfte die Nase. Sie hätte gern erwidert, daß Neferu sich aus nichts etwas zu machen schien, aber sie erinnerte sich noch rechtzeitig, daß dieses klaräugige, hübsche kleine Mädchen, das jetzt herzhaft gähnend zu seinem Ruhebett ging, der erklärte Liebling des großen Pharaos war und zweifellos alles vor ihm ausplapperte, was in den Kinderzimmern gesprochen wurde. Nedjmet mißbilligte jeden Bruch mit der Tradition, und der Gedanke, daß Mädchen, und noch dazu Mädchen von königlichem Geblüt, zusammen mit Jungen unterrichtet wurden, war für sie eine Quelle ständigen Ärgers. Aber Pharao hatte gesprochen. Pharao wünschte, daß seine Töchter eine gute Bildung genossen, und sein Wunsch war Befehl. Nedjmet schluckte die Ketzereien, die ihr auf der Zunge lagen, hinunter und verbeugte sich, um die kleine Hand zu küssen. «Schlaf gut, Hoheit. Brauchst du noch etwas?»

«Nein. Nedjmet, Neferu hat versprochen, sich nachher mit mir die Tiere anzusehen. Darf ich mitgehen?»

Die Bitte war so üblich, so vorhersehbar wie der ständige Hunger des Kindes nach Süßigkeiten, und auf Nedjmets Gesicht erschien ein seltenes, sanftes Lächeln. «Natürlich, wenn du eine Sklavin und einen Wächter mitnimmst. Jetzt schlaf. Ich komme bald wieder.» Sie machte den schweigenden Gestalten, die regungslos im Halbdunkel standen, ein Zeichen und ging hinaus.

Die beiden Frauen traten näher, und Schweiß schimmerte auf ihrer dunklen Haut, während sie langsam ihre Fächer über Hatschepsuts Kopf zu schwingen begannen.

Kleine Luftwellen fuhren über ihren Körper, und einen Augenblick lang beobachtete sie, wie die Federn zitternd dahinglitten, während ein Gefühl der Sicherheit und des Friedens sie überkam. Ihre Augenlider schlossen sich, und sie drehte sich auf die Seite. Das Leben war schön, auch wenn Nedjmet sie anschnauzte und wenn Thutmosis in letzter Zeit oft brummig war.

Ich weiß nicht, weshalb er jetzt immer so mürrisch ist, dachte sie verschwommen. Mir würde es Spaß machen, Soldat zu sein und zu lernen, mit dem Bogen zu schießen und den Speer zu werfen. Ich würde gern mit den anderen Männern marschieren und kämpfen.

Eine der Nubierinnen über ihr räusperte sich, und jenseits der Tür hörte sie Nedjmet mit einem tiefen Seufzer schwerfällig auf ihr Ruhebett klettern. Hatschepsuts kleine Ebenholz-Kopfstütze unter dem Nacken fühlte sich glatt an, und ihre Gedanken lösten sich in Träume auf. Sie schlief.

Als sie aufwachte, stand die Sonne noch hoch am Himmel, hatte jedoch ihre brennende Kraft verloren. Überall um sie herum schüttelte der Palast seine Lethargie ab und schleppte sich träge – wie ein Nilpferd, das sich aus dem Schlamm erhebt – dem Ende des Tages entgegen. In den Küchenräumen schwatzten die Köche und klirrten mit den Töpfen; und in den Säulengängen hörte man Gelächter und das Getrippel zahlreicher Füße. Als Hatschepsut sauber, erfrischt und tatendurstig ins Freie trat, waren die Gärtner schon wieder an der Arbeit: sie jäteten mit nackten, gebeugten Rücken die exotischen Blumenbeete, beschnitten die Hecken und wässerten die Hunderte von Platanen und Weiden, die den unteren Teil der königlichen Gärten zu einem sonnendurchsprenkelten, süß duftenden Wald machten. Zwischen den Bäumen flatterten buntgefiederte Vögel umher, und der Himmel war so blau wie die Augenschminke von Hatschepsuts Mutter. Sie fing an zu rennen, und die Sklavin und der Wächter mußten sich beeilen, um mit ihr Schritt zu halten. Wo immer sie vorbeikam, erhoben sich die Arbeiter und verneigten sich ehrfurchtsvoll vor ihr, aber Hatschepsut sah sie kaum. Seit ihrer frühesten Kindheit hatte die Welt sie als die Tochter des Gottes verehrt, und jetzt, im Alter von zehn Jahren, war ihr das Bewußtsein ihrer Bestimmung in Fleisch und Blut übergegangen, und sie nahm ihre Welt und alles in ihr als richtig und selbstverständlich hin. Da war der König: der Gott, ihr Vater. Da war die göttliche Gemahlin, ihre Mutter. Da waren Neferu, ihre Schwester, und Thutmosis, ihr Stiefbruder. Und dann war da das Volk, das einzig und allein dazu da war, sie zu verehren, und das schöne Ägypten irgendwo jenseits der hoch aufragenden Mauern, ein Land, das sie noch nie gesehen hatte, das sie jedoch umgab und mit Ehrfurcht erfüllte.

Einmal, vor etwa einem Jahr, hatten sie, Menech und Hapuseneb einen Plan ausgeheckt. Sie wollten sich, statt zu schlafen, heimlich aus dem Palast schleichen und in die Stadt laufen. Sie wollten zu Menechs Haus gehen, eine Meile stromaufwärts, und auf dem Boot seines Vaters spielen. Aber der Pförtner, der in dem kleinen Raum neben dem großen Kupfertor Wache hielt, hatte sie erwischt. Menech war von seinem Vater verdroschen worden, Hapuseneb hatte ebenfalls Prügel bekommen, aber sie selbst hatte von ihrem Vater nur einen Verweis erhalten. Sie sei noch nicht alt genug, hatte er gesagt, um sich aus der Geborgenheit des Palastes zu entfernen. Ihr Leben sei kostbar. Es gehöre dem ganzen Land und müsse beschützt werden, hatte er ihr erklärt. Dann hatte er sie auf sein Knie gehoben und ihr Honigkuchen und süßen Wein gegeben.

Jetzt, ein Jahr später, war das Abenteuer fast vergessen. Fast. Eines war ihr damals klargeworden: Wenn man erwachsen ist, kann man alles tun. Aber man muß warten. Warten.

Neferu stand schon an der Umfriedung, allein. Sie wandte sich um und lächelte, als Hatschepsut atemlos auf sie zukam. Neferus Gesicht war blaß, ihre Augen müde. Sie hatte nicht geschlafen. Hatschepsut legte die Hand in die ihrer älteren Schwester, und sie machten sich auf den Weg.

«Wo ist deine Sklavin?» fragte Hatschepsut. «Ich mußte meine mitbringen.»

«Ich habe sie fortgeschickt. Manchmal bin ich lieber allein, und ich bin jetzt alt genug, um mehr oder weniger tun zu können, was ich will. Hast du gut geschlafen?»

«Ja. Nedjmet hört sich an wie ein Bulle, wenn sie schnarcht, aber es gelingt mir trotzdem einzuschlafen. Nur vermisse ich dich auf dem Nebenbett. Das Zimmer kommt mir ohne dich so groß und leer vor.»

Neferu lachte. «Dabei ist es ein sehr kleines Zimmer, liebe Hatschepsut. Das wirst du sehen, wenn man dich in große, widerhallende Gemächer wie die meinigen steckt.» Ihre Stimme klang bitter, aber das Kind merkte es nicht.

Sie gingen durch das Tor und schlenderten einen breiten, von Bäumen gesäumten Pfad entlang, an dem zu beiden Seiten Käfige standen, in denen sich verschiedene Tiere befanden: viele inländische, wie Steinböcke, Löwen und Gazellen, aber auch einige exotische, die ihr Vater aus den fernen Ländern mitgebracht hatte, gegen die er in seiner Jugend zu Felde gezogen war. Die meisten der Tiere lagen friedlich schlafend im Schatten, und ihr Geruch schlug den Mädchen im Vorübergehen warm und anheimelnd entgegen. Der Pfad endete unmittelbar vor der hoch aufragenden Mauer, die den königlichen Besitz umgab. Am Fuß der Mauer lag ein bescheidenes Zweizimmerhaus aus Lehmziegeln, in dem der Aufseher des königlichen Zoos wohnte. Er stand auf der Veranda und hielt Ausschau nach ihnen. Als sie sich näherten, kam er heraus, ließ sich auf die Knie sinken und berührte mit der Stirn den Boden.

«Sei gegrüßt, Nebamun», sagte Neferu. «Du kannst aufstehen.»

«Sei gegrüßt, Hoheit.» Der Mann erhob sich mühsam und stand mit gesenktem Kopf da.

«Sei gegrüßt!» sagte Hatschepsut. «Sag mir, Nebamun, wo ist das Gazellenbaby? Geht es ihm gut?»

«Sehr gut, Hoheit», erwiderte Nebamun feierlich, mit einem Zwinkern in den Augen, «und es frißt für drei. Ich habe es in einem kleinen Pferch hinter meinem Haus, wenn ihr mir folgen wollt. Es ist ein sehr lärmendes Baby. Es hat die ganze Nacht geschrien.»

«Oh, das arme Kleine! Es vermißt seine Mutter. Glaubst du, ich könnte es füttern?»

«Ich habe Ziegenmilch vorbereitet, falls Hoheit es versuchen will. Aber ich muß dich warnen, Hoheit: Dieses Baby ist kräftig, es könnte dich umstoßen oder Milch auf dein Gewand schütten.»

«Oh, das macht nichts. Ihr zwei –» sie wandte sich um und sah ihre beiden geduldigen, schwitzenden Begleiter an – «bleibt hier. Setzt euch unter einen Baum oder sonstwas. Ich laufe nicht weg.» Sie trat auf Nebamun zu. «Geh du voran!»

Neferu nickte, und die kleine Gruppe ging um das Haus herum. Die Mauer war nur zehn Schritt entfernt und warf einen kühlen Schatten auf den winzigen Hof hinter dem Haus; dort stand ein kleiner, provisorischer Pferch aus Pfosten und Weidenruten. Ein brauner Kopf, der nur aus großen, feuchten Augen mit langen Wimpern zu bestehen schien, lugte darüber. Mit einem Schrei des Entzückens lief Hatschepsut auf das kleine Tier zu und schob ihre Hände zwischen den Pfosten hindurch, um es zu streicheln. Sofort öffnete sich der weiche Mund, und eine rosa Zunge rollte heraus.

Das kleine Mädchen quietschte vor Freude. «Sieh nur, Neferu! Sieh dir an, wie es an meinem Finger saugt! Oh, beeil dich, Nebamun; es ist so hungrig, daß ich dich auspeitschen lassen sollte! Hol die Milch!»

Nebamun konnte nur mühsam ein Lachen unterdrücken. Er verbeugte sich abermals und verschwand um die Ecke.

Neferu kam näher und blieb neben dem Pferch stehen. «Es ist süß», sagte sie, den seidigen Nacken streichelnd. «Armes Ding, daß es in Gefangenschaft leben muß.»

«Sei doch nicht albern!» entgegnete Hatschepsut. «Wenn Vater es nicht mitgebracht hätte, wäre es in der Wüste umgekommen, wäre von Löwen oder Hyänen oder sonstwas aufgefressen worden.»

«Ich weiß. Aber irgendwie kommt es mir bemitleidenswert vor, so hungrig nach Liebe – so allein –»

Hatschepsut wollte wieder eine ungeduldige Bemerkung machen, aber als sie sich ihrer Schwester zuwandte, erstarben ihr die Worte auf den Lippen. Neferu weinte, die Tränen liefen ungehindert über ihre Wangen. Hatschepsut war überrascht. Sie hatte Neferu bisher nie anders als beherrscht und würdevoll gesehen, und dieser plötzliche Ausbruch weckte ihr Interesse. Sie war nicht im geringsten verlegen, und eine Sekunde später zog sie ihre Hand aus dem Maul des Kitzes und trocknete sie an ihrem Gewand ab.

«Was hast du, Neferu? Bist du krank oder irgendwas?»

Neferu schüttelte heftig den Kopf und wandte sich schweigend ab, bemüht, ihre Beherrschung wiederzugewinnen. Dann hob sie den Saum ihres Gewandes hoch und fuhr sich damit übers Gesicht. «Es tut mir leid, Hatschepsut. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich habe heute überhaupt nicht geschlafen und bin wahrscheinlich ein bißchen müde.»

«Oh.» Hatschepsut wußte nichts anderes zu sagen, und als das Schweigen sich in die Länge zog, überkam sie ein unbehagliches Gefühl. Als Nebamun schließlich mit einer großen, schmalen Kanne zwischen den Händen zurückkehrte, lief sie erleichtert auf ihn zu. «Gib mir die Kanne! Ist sie schwer? Du hältst ihm das Maul auf, und ich gieße die Milch hinein.»

Nebamun öffnete das Gatter, und sie gingen in den Pferch. Er nahm das kleine Tier behutsam zwischen seine Knie und zog ihm mit sanfter Gewalt den Ober- und Unterkiefer auseinander.

Hatschepsut, die Zungenspitze zwischen den Zähnen, hielt den Krug dicht vor das zappelnde Gesicht und begann zu gießen. Aus dem Winkel ihrer Augen sah sie, daß Neferu sich abwandte und fortging. Blöde Neferu! dachte sie zornig. Sie hat uns den ganzen schönen Tag verdorben! Ihre Hand zitterte, so daß die Milch wie ein Wasserfall an ihrem Kleid hinunterströmte und kleine Pfützen unter ihren nackten Zehen bildete.

Nebamun nahm ihr die Kanne ab, die sie ihm hinhielt, und das Kitz wankte davon, leckte sich die Lippen und sah sich mit großen Augen mißtrauisch nach ihnen um.

«Vielen Dank, Nebamun. Es ist schwerer, als es aussieht, nicht wahr? Ich komme morgen wieder und versuche es noch einmal. Auf Wiedersehen.»

Der Mund des Mannes zuckte, und er verbeugte sich sehr tief. «Auf Wiedersehen, Hoheit. Es ist immer ein Vergnügen, dich hier zu sehen.»

«Natürlich ist es das», rief sie ihm über die Schulter zu und begann zu rennen. Sie holte Neferu ein, als diese gerade durch das Tor hinausgehen wollte. Hatschepsut packte sie impulsiv beim Arm. «Sei mir nicht böse, Neferu. Habe ich dich erzürnt?»

«Nein.» Der Arm des älteren Mädchens legte sich zärtlich um die mageren jungen Schultern. «Wer kann dir böse sein? Du bist hübsch anzusehen, du bist klug und freundlich. Es gibt niemand, der dich nicht leiden kann, Hatschepsut. Selbst ich nicht.»

«Was meinst du damit? Ich verstehe dich nicht, Neferu. Ich liebe dich. Liebst du mich nicht auch?»

Neferu zog sie unter die Bäume und ließ die Diener in der Mitte des Pfads warten. «Doch, ich liebe dich auch. Aber in letzter Zeit – oh, ich weiß nicht, warum ich dir das sage; du bist viel zu jung, um es zu verstehen. Aber ich muß mit jemandem sprechen.»

«Hast du ein Geheimnis, Neferu?» rief Hatschepsut. «Ja, du hast eins! Du hast eins! Bist du verliebt? Oh, bitte, sag es mir!» Sie zerrte an Neferus Arm, und sie sanken beide auf das kühle Gras nieder. «Hast du deshalb geweint? Deine Augen sind noch ganz geschwollen.»

«Woher solltest du wissen, wie es ist?» sagte Neferu langsam; sie zog einen Grashalm aus der Erde und fuhr sich damit über die Handfläche. «Für dich wird das Leben leicht sein, ein endloses Spiel, Tag für Tag. Wenn du alt genug bist, wirst du heiraten können, wen du willst, und wirst leben können, wo du willst – in den Provinzen, den Bergen, am Meer. Du wirst frei sein, wirst reisen können, wirst tun können, was dir und deinem Mann gefällt, und dich deiner Kinder freuen. Aber ich …» Sie ließ den Grashalm fallen, faltete die Hände und lehnte sich gegen den Baumstamm. Die Gemütsbewegung verlieh ihrer blassen Haut einen noch gelblicheren Ton, und die Muskeln an ihrem Hals standen hervor wie kleine verknotete Stränge. Sie war jetzt gar nicht königlich oder würdevoll. Die Schönheit, die sie besaß – ihre zarten Hände, ihre schmale Nase und das lange, seidige schwarze Haar –, wurde überschattet von der Trübsal, die sie wie ein schlaffes, schwach flatterndes weißes Segel erscheinen ließ. «Bei mir ist das alles anders», fuhr sie ausdruckslos fort. «Ich werde mit Leckerbissen gefüttert und in das feinste Leinen gekleidet. Meine Schatullen und Schubfächer sind mit Juwelen gefüllt, als ob es Kieselsteine wären, und den ganzen Tag lang werfen sich Sklaven und Edelleute vor mir zu Boden. Alles, was ich zu sehen bekomme, sind die Scheitel auf den Köpfen der Leute. Wenn ich aufstehe, zieht man mich an; wenn ich hungrig bin, gibt man mir zu essen; wenn ich müde bin, schlagen ein Dutzend Hände die Decken meines Ruhebetts zurück. Selbst im Tempel, wenn ich bete und singe und das Sistrum schwinge, sind sie zugegen.» Sie machte eine müde Handbewegung, und das Haar fiel ihr wirr um den Hals. «Ich will nicht die große Gattin des Königs sein. Ich will nicht die göttliche Gemahlin sein. Ich will nicht den dummen, wohlmeinenden Thutmosis heiraten. Ich will nur Frieden, Hatschepsut, und so leben, wie es mir gefällt.» Sie schloß die Augen und schwieg. Hatschepsut streckte schüchtern die Hand aus und streichelte den Arm ihrer Schwester. Sie saßen Hand in Hand da, während die Sonne langsam zu sinken begann und die Schatten sich unmerklich verlängerten.

Schließlich richtete sich Neferu auf. «Ich hatte einen Traum», flüsterte sie, «einen schrecklichen Traum. Und ich träume ihn fast jedesmal, wenn ich schlafe. Das ist auch der Grund, weshalb ich heute nicht im Palast geblieben bin, sondern hier in den Garten hinausging und unter einem Baum lag, bis meine Augen vor Müdigkeit brannten und die Welt mir so unwirklich erschien, als hätte ich doch geschlafen. Ich träume – ich träume, daß ich tot bin, und mein Ka steht in einer riesigen, dunklen Halle, in der es nach verwesendem Fleisch riecht. Es ist sehr kalt. Am Ende der Halle ist ein Türbogen, durch den Licht strömt – schönes, helles, warmes Sonnenlicht. Ich weiß, daß Osiris dort auf mich wartet. Aber dort, wo mein Ka ist, herrscht nur Dunkelheit, der Geruch und eine schreckliche Verzweiflung, denn zwischen mir und dieser Tür befindet sich die Waage, und hinter der Waage steht Anubis.»

«Aber warum hast du Angst vor Anubis, Neferu? Er wünscht nur, daß die Waagschalen im Gleichgewicht sind.»

«Ja, ich weiß. Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, richtig zu handeln, damit ich nichts zu fürchten habe, wenn mein Herz gewogen wird. Aber irgend etwas ist anders in diesem Traum.» Sie kniete sich hin, und ihre Hände zitterten, als sie sie auf Hatschepsuts Schultern legte. «Ich nähere mich dem Gott. Er hat etwas in der Hand, das zittert und pulsiert. Und ich weiß, daß es mein Herz ist. Die Feder der Maat, so wunderschön, liegt auf der Waage. Anubis hält den Kopf gesenkt. Er legt das Herz auf die andere Schale, und sie beginnt sich zu senken. Ich bin wie erstarrt. Sie sinkt tiefer und tiefer, und dann stößt sie mit einem leichten Aufprall auf den Tisch. Da wird mir klar, daß ich verloren bin und niemals über den kalten Boden zur Herrlichkeit des Osiris schreiten werde, aber ich schreie nicht – das heißt nicht eher, als bis der Gott den Kopf hebt und mich ansieht.»

Hatschepsut spürte plötzlich das Verlangen, aufzustehen und wegzulaufen, weit weg, irgendwohin, um das Ende dieses schrecklichen Traums nicht anhören zu müssen. Sie versuchte, sich dem Griff ihrer Schwester zu entziehen, aber die Finger ließen sie nicht los, und Neferus Augen blitzten, brannten …

«Weißt du was, Hatschepsut? Er sieht mich an, und es sind nicht die glitzernden Augen des Schakals. Nein. Denn du bist es, die mich verurteilt, Hatschepsut. Du im Gewand des Gottes, aber mit dem Gesicht eines Kindes. Das ist viel schrecklicher, als wenn Anubis mir sein Hundegesicht zuwenden, den Mund öffnen und knurren würde. Ich schreie, aber dein Gesicht verändert sich nicht. Deine Augen sind so kalt und tot wie der Wind, der durch jene abscheuliche, dunkle Halle weht. Ich schreie und schreie, und ich wache schreiend auf, mit schmerzendem Kopf.» Ihre Stimme war wieder zu einem Flüstern geworden, und sie nahm das verwirrte, verängstigte kleine Mädchen in die Arme und zog es an ihre Brust.

Hatschepsut hörte das unregelmäßige Hämmern von Neferus Herz. Plötzlich schien ihr die Welt kein so sicherer und vergnüglicher Ort mehr zu sein. Zum erstenmal wurde sie sich der unbekannten Sphären bewußt, die sich hinter den lächelnden Augen von Freunden, von Menschen, denen man vertraute, verbargen. Ihr war, als sei sie selbst in Neferus Traum gegenwärtig; aber sie befand sich auf der anderen Seite des Torbogens, in der Gnade von Osiris, und blickte zurück in das schattige Dunkel der Halle des göttlichen Gerichts. Sie machte sich mit einem Ruck aus der Umklammerung ihrer Schwester frei, stand auf und streifte das Gras ab, das an den Milchflecken auf ihrem Kleid klebte. «Du hast recht, Neferu. Ich verstehe es nicht. Du hast mir angst gemacht, und das mag ich nicht. Warum gehst du nicht zu den Ärzten und fragst sie um Rat?»

«Ich war bei ihnen. Sie nicken und lächeln und sagen, ich müsse Geduld haben; junge Mädchen hätten oft seltsame Gedanken und Vorstellungen, wenn sie erwachsen würden. Und die Priester! Bringe mehr Opfer dar, haben sie mir geraten. Amun-Re hat die Macht, dich von deiner Angst zu befreien, sagen sie. So bringe ich Opfer dar und bete, aber ich träume immer noch.» Neferu stand nun ebenfalls auf, und Hatschepsut hängte sich bei ihr ein, als sie zum Pfad zurückkehrten.

«Hast du es Mutter oder Vater erzählt?»

«Mutter würde nur lächeln und mir einen neuen Halsschmuck anbieten. Und du weißt, daß Vater meist sehr gereizt wird, wenn ich zu lange bei ihm bleibe. Nein, ich glaube, ich muß einfach abwarten, ob dieser Traum im Laufe der Monate verschwindet. Es tut mir leid, wenn ich dich beunruhigt habe. Weißt du, ich habe jetzt viele Bekannte, aber keine Freunde. Ich habe oft das Gefühl, daß es niemanden interessiert, wer ich wirklich bin. Ich weiß, daß Vater es nicht tut, und wenn nicht er, wer dann? Denn er ist doch die Welt, nicht wahr?»

Hatschepsut seufzte. Sie hatte bereits den Faden von Neferus Worten verloren. «Neferu, warum mußt du Thutmosis heiraten?»

Neferu zuckte seufzend die Schultern. «Ich glaube, du würdest auch das nicht verstehen, und ich bin zu müde, um es dir jetzt zu erklären. Frag Pharao, wenn du ihn siehst», fügte sie ein wenig grimmig hinzu. Sie legten den Rest des Weges schweigend zurück.

Als sie in die sonnendurchflutete Halle kamen, die zum Haus der Frauen führte, blieb Neferu stehen und zog sanft ihren Arm weg. «Geh jetzt zu Nedjmet und laß dich waschen. Wenn man dich ansieht, könnte man meinen, du seist ein schmutziger kleiner Gassenbalg, der sich irrtümlich hier eingeschlichen hat.» Sie lächelte schwach. «Ich muß mich in meine Gemächer begeben und mir überlegen, was ich heute abend anziehen soll. Ihr könnt auch gehen –» sie nickte den beiden erschöpften Dienerinnen zu, die hinter ihnen standen – «meldet euch später bei der königlichen Kinderfrau.» Geistesabwesend strich sie Hatschepsut über den Kopf und ging davon.

Hatschepsut trottete niedergeschlagen zu ihren Räumen. Wieviel einfacher und fröhlicher war alles gewesen, als sie und Neferu noch jünger waren und von früh bis spät zusammen getobt und gelacht hatten. Jetzt mußte sie sich offenbar damit begnügen, mit den Söhnen der Edelleute zu spielen, die jeden Morgen zum Unterricht kamen, und mußte zulassen, daß Neferu erwachsen wurde und sich immer mehr von ihr entfernte. Die Kluft zwischen ihnen hatte sich schon erweitert. Nach dem einfachen alten Ritus, der Neferu in die geheimnisvolle und ehrfurchtgebietende Welt der erwachsenen Frauen eingereiht hatte, war Neferu in den nördlichen Flügel des Palastes eingezogen und hatte jetzt ihren eigenen Garten und Teich, ihre eigenen Sklaven, Ratgeber und Sprecher und ihren eigenen, persönlichen Priester, der die Opfer für sie darbrachte. Hatschepsut hatte erlebt, wie sie sich von einem zutraulichen, sorglosen Mädchen in eine würdevolle, in sich gekehrte Frau verwandelte, die zurückhaltend und kühl mit ihrem sich ewig streitenden, unterwürfigen Gefolge weggezogen war.

Ich werde mich nicht so verändern, schwor Hatschepsut sich inbrünstig, während sie durch die Tür in ihr Schlafgemach trat und Nedjmet ihr aus ihrem Zimmer entgegenkam, um sie zu begrüßen. Ich werde immer fröhlich sein, schöne Träume haben und Tiere lieben. Arme Neferu.

Sie fühlte sich unbehaglich und achtete nicht auf Nedjmets lautstarke Beschwerden über den Zustand nun auch des zweiten sauberen Gewandes, das sie heute getragen hatte. In einer Wolke von Schwermut, die nicht weichen wollte, dachte sie über Neferus Traum nach. Doch schließlich drang das Nörgeln der Kinderfrau in ihr Bewußtsein, und sie lehnte sich mit einer ihr selbst bisher unbekannten Entschlossenheit dagegen auf. «Halt den Mund, Nedjmet», sagte sie. «Zieh mir das Kleid aus, bürste meine Jugendlocke und rasiere mir den Kopf, aber halt den Mund.»

Der Erfolg war überraschend. Es gab keine Schreie, kein Gezänk. Einen Augenblick lang blieb Nedjmet mit zusammengepreßten Lippen vor Hatschepsut stehen, dann senkte sie den Kopf und wandte sich ab. «Ja, Hoheit», sagte sie leise. Sie wußte, daß das letzte der Küken, erstaunt über seinen eigenen Mut, flügge zu werden begann und daß ihre Tage als königliche Kinderfrau gezählt waren.

 

Endlich ging die Sonne unter. Re begab sich zur Ruhe, und der glühende Rand seiner heißen Barke tauchte die königlichen Gärten in ein rötliches Licht, als Hatschepsut auf dem Wege war, ihren Vater zu begrüßen. Der große Horus saß grübelnd auf seinem reichgeschmückten Stuhl. Sein Leib hing über den mit Juwelen besetzten Gürtel herab, seine breite Brust glitzerte von Gold und auf seinem massigen Kopf glänzten die stolzen Symbole der Königswürde in den schräg fallenden Strahlen seines himmlischen Vaters.

Thutmosis der Erste wurde alt. Er war Anfang der Sechzig, machte jedoch immer noch den Eindruck, jene ungeheuerliche Kraft und Zielstrebigkeit zu besitzen, die ihn einst veranlaßt hatten, den Krummstab und den Wedel zu ergreifen, die sein Vorgänger ihm bot, und die ihm damit verliehene Macht zur endgültigen Vernichtung der Herrschaft der Hyksos zu benutzen. Er war außerordentlich beliebt beim ägyptischen Volk – endlich ein Gott der Freiheit und Rache, der die Grenze zu mehr als nur einem Wort gemacht hatte. Seine Feldzüge waren taktisch hervorragend gewesen, hatten den Tempeln und dem Volk reiche Beute eingebracht, und, wichtiger noch, sie hatten den Menschen die Sicherheit gegeben, die sie brauchten, um in Ruhe den Boden zu bestellen und ihrem Handwerk nachzugehen. Er war Sohn einer Nebenfrau von Pharao Amunhotep und hatte nach dem Tod Amunhoteps dessen Tochter, Ahmose, geheiratet, um seine Thronbesteigung rechtskräftig zu machen. Seine zwei Söhne aus erster Ehe dienten jetzt in seinem Heer, ausgewachsene Männer und hervorragende Soldaten, die für ihren Vater die Grenzgarnisonen bewachten. Seine Macht und Popularität waren vielleicht größer als die irgendeines Pharaos vor ihm, aber diese Macht hatte ihn nicht geschwächt oder verweichlicht. Sein Wille war immer noch stark und unbeugsam wie eine Granitsäule, und unter diesem Willen hatte das Land seine Wunden geheilt, hatte in Frieden gelebt und einen noch nie dagewesenen Wohlstand erreicht.

Thutmosis saß am See, mit seiner Frau, seinen Schreibern und seinen Sklaven, und sah zu, wie das Wasser in der frühabendlichen Brise kleine rosa Wellen schlug. Als Hatschepsut mit nackten Füßen lautlos über das warme Gras auf ihn zukam, sprach er gerade mit seinem alten Freund Ahmes pen Nechbet, der sichtlich verlegen vor ihm stand. Thutmosis war offenbar verärgert. Er blickte immer noch über das Wasser, und seine Stimme drang in gereiztem Ton zu Hatschepsut herüber. «Hör zu, pen Nechbet, wir beide haben so viele Jahre miteinander verbracht, sowohl auf dem Schlachtfeld als auch zu Hause. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bitte dich nur, mir deine Meinung zu sagen, und hör auf, wie ein schuldbewußter Schuljunge mit den Füßen zu scharren. Habe ich dir nicht eine einfache Frage gestellt? Verdiene ich nicht eine einfache Antwort darauf? Ich wünsche einen Bericht über die Fortschritte meines Sohnes, und ich wünsche ihn jetzt!»

Pen Nechbet räusperte sich. «Majestät, du warst in der Tat stets gütig zu deinem ergebenen Diener, und falls dein ergebener Diener jetzt deinen Zorn erregen sollte, so bittet er schon im voraus um Verzeihung –»

Thutmosis ließ seine reichberingte Hand auf die Armlehne seines Stuhls fallen. «Hör auf, leere Phrasen zu dreschen, alter Freund. Ich kenne deinen Stolz, aber ich kenne auch deine Fähigkeiten. Wird er ein guter Soldat, ja oder nein?»

Pen Nechbet schwitzte unter seiner kurzhaarigen schwarzen Perücke. Er kratzte sich verstohlen den Kopf. «Majestät, dann laß mich sagen, daß Seine Königliche Hoheit schon lange nicht mehr an den Übungen teilgenommen hat. Unter diesen Umständen könnte man seine Fortschritte als zufriedenstellend bezeichnen –» Seine Stimme erstarb, und endlich wandte Thutmosis ihm das Gesicht zu und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, sich auf dem Boden niederzulassen.

«Setz dich. Setz dich! Was ist heute mit dir los? Glaubst du, ich habe dich beauftragt, meinen Sohn zu drillen, weil du ein guter Gärtner bist? Gib mir einen klaren, kurzen Bericht, sonst kannst du ohne dein Abendessen nach Hause gehen.»

Ahmose wandte sich ab, um ein Lächeln zu verbergen. Wenn ihr Mann irgend jemanden liebte und ihm vertraute, dann war es dieser große, häßliche Soldat, der jetzt in respektvoller Entfernung von ihnen unbequem auf dem Boden hockte. Sie hielt es zwar für unklug, daß Thutmosis beschlossen hatte, eine so heikle Frage mit leerem Magen zu erörtern, aber die Situation entbehrte nicht einer gewissen Komik. Und es hatte in letzter Zeit nicht viel Komisches in ihrem Leben gegeben.

Pen Nechbet schien einen Entschluß gefaßt zu haben. Seine Schultern strafften sich. «Majestät, ich bedaure aufrichtig, es dir sagen zu müssen, aber ich glaube nicht, daß der junge Thutmosis das Zeug zu einem Soldaten hat. Er ist unbeholfen und verweichlicht, wenn er auch erst im sechzehnten Lebensjahr steht. Er hat nichts für Disziplin übrig. Er ist …» Der Mann schluckte und fuhr verzweifelt fort: «Er ist faul und strengt sich nicht an. Vielleicht zeichnet er sich in seinen Studien mehr aus?» schloß er hoffnungsvoll.

In der bedrückenden Stille, die dieser Rede folgte, begann eine der Sklavinnen hysterisch zu kichern, wurde aber sofort zum Schweigen gebracht. Thutmosis erwiderte nichts. Während ihm langsam das Blut in die Wangen stieg, wanderte sein Blick über die Mauern des Palastes und über den See zum gesenkten Kopf seiner Frau. Die Menschen um ihn warteten mit Bangen; sie kannten die Anzeichen. Mit einem leisen Brummen bemerkte er seine Tochter, die wartend und lächelnd am Rand der Menge stand. Er winkte sie herbei, und alle Anwesenden atmeten erleichtert auf. Der Sturm hatte sich in einen kurzen Windstoß verwandelt.

«Ich werde morgen selbst zum Truppenübungsplatz kommen», sagte Thutmosis. «Und du wirst meinen Sohn auf Herz und Nieren prüfen. Wenn du dich irrst, pen Nechbet, verlierst du deinen Kommandostab. Hatschepsut, mein Liebling, komm her und gib mir einen Kuß. Und erzähl mir, was du heute getan hast.»

Hatschepsut lief auf ihn zu, kletterte auf seine Knie und rieb ihr Gesicht an seinem Hals. «Oh, Vater, du riechst so gut.» Sie beugte sich vor und küßte Ahmose. «Mutter, ich habe die kleine Gazelle gesehen. Nebamun hat mir erlaubt, sie zu füttern. Und Thutmosis hätte heute morgen beinahe wieder eine Tracht Prügel in der Schule bekommen –» Mit dem scharfen Erkenntnisvermögen eines Kindes merkte sie sofort, daß sie einen Fehler begangen hatte. Sie sah, wie sich das Gesicht ihres Vaters verfinsterte. «Aber nur beinahe», fuhr sie schnell fort. «Neferu hat ihn davor bewahrt –» Der Pharao begann schwer zu atmen, und Hatschepsut kletterte eilig vom Schoß ihres Vaters hinunter, um bei Ahmose Zuflucht zu suchen. Sie beschloß, noch einen weiteren Versuch zu machen. Dabei hat dieser Tag so schön begonnen, dachte sie, aber jetzt endet er wie eine von Nedjmets Schauergeschichten. «Vater», piepste sie, «es wäre lieb von dir, wenn du Thutmosis eine andere heiraten lassen würdest. Neferu will ihn nicht, sie ist ganz unglücklich –» Sie hielt jäh inne, als sie sah, daß der Ausdruck sprachlosen Staunens auf dem Gesicht ihres Vaters sich in Zorn verwandelte. Als sie sich der atemlosen Stille bewußt wurde, die sie umgab, fing sie an, nervös von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen. «Ich weiß, ich weiß», sagte sie. «Ich kümmere mich zuviel um die Angelegenheiten anderer Leute –»

«Hatschepsut», sagte ihre Mutter erschrocken, «was ist heute nur in dich gefahren? Hast du wieder von dem Bier der Dienstboten getrunken?»

Ihr Vater erhob sich, und der gesamte Hofstaat erhob sich mit ihm. «Ich glaube, es ist an der Zeit», sagte er langsam, «daß wir beide einmal ernsthaft miteinander reden, Hatschepsut. Aber jetzt bin ich müde und hungrig. Ich habe für den Augenblick genug von den Problemen meiner schlechterzogenen Kinder.» Er starrte pen Nechbet durchdringend an, dann warf er einen Blick auf seine unglückliche Frau. «Ahmose, erkundige dich bei Nedjmet, was da vorgefallen ist; ich will es noch heute abend wissen. Und du, Hatschepsut, komm zu mir, ehe du zu Bett gehst. Und bete zu den Göttern, daß du mich in besserer Stimmung vorfindest.» Damit wandte er sich ab und ging, von seinen Begleitern gefolgt, auf den Palast zu.

Pen Nechbet kam mühsam auf die Beine und begann seinen abendlichen Spaziergang um den See. Die kurzen Zornesausbrüche des Königs beunruhigten ihn nicht allzusehr, aber es war ein drückend heißer Tag gewesen, und seine Knochen fühlten sich so brüchig an wie Schilfrohr.

Ahmose lächelte ihrer Tochter zu, als sie zusammen zu den königlichen Gemächern gingen. «Du warst heute sehr taktlos», sagte sie, «aber mach dir keine Sorgen. Er ist nicht böse auf dich, nur auf Thutmosis. Bis heute abend wird seine Stimmung sich gebessert haben. Er wäre verloren ohne dich, Hatschepsut», fuhr sie traurig fort. «Er wacht wie ein Falke über dein Wohlergehen. Arme Neferu.»

«Mama, ich bin auch müde und hungrig. Nedjmet besteht darauf, daß ich gestärktes Leinen trage, und das kratzt mich so. Können wir nicht über etwas anderes reden?» Hatschepsut sah Ahmose mit ihren feuchten, dunklen Augen an, und die Frau seufzte.

Amun, betete sie im stillen, als sie ihr großes, kühles Schlafgemach betraten, wo die Sklavinnen eilig umherhuschten, um die Lampen anzuzünden, sie ist deine Tochter. Sie ist deine absolute Inkarnation. Beschütze sie vor sich selbst.

 

Auf einen einsamen Fischer, der in seinem kleinen Boot aus Schilfrohr im nächtlichen Dunkel den Nil hinuntertrieb, mußte der Palast von Theben wie ein Traumbild aus der verheißenen Herrlichkeit des Paradieses des Osiris gewirkt haben. Bei Einbruch der Dunkelheit flammten plötzlich wie durch Zauberhand Tausende von Lampen auf – als hätte ein Riese eine Handvoll heller, glitzernder Sterne auf die Erde geworfen, die sich einzeln und in Bündeln in den großen Wandelhallen und auf den zahlreichen, breiten, gepflasterten Pfaden dieses Königreichs innerhalb des Königreichs niederließen und sich bis tief in die Nacht auf dem schnell dahinfließenden Strom wiegend und tanzend spiegelten.

Der Besitz des Königs umfaßte viele Hektar: Gärten und Schreine, Sommerhäuser und Ställe, Kornspeicher und Dienerschaftsgebäude, und natürlich der Palast selbst mit seinen riesigen Sälen für Empfänge und Banketts, seinen Säulengängen und Wandelhallen, alle farbenprächtig und ausgeschmückt und mit Bildern von Fischen und Vögeln, Jägern und Wild und grünen Pflanzen gepflastert – kurzum, mit lauter Dingen, die das Leben zur Freude machten. Das Ganze erstreckte sich bis zum Rand des Tempels mit seinen düsteren Pylonen und den vielen überlebensgroßen Statuen von Thutmosis, dem Sohn des Gottes, die alle einander zum Verwechseln ähnlich waren: Der König saß da, die Hände auf die Knie gelegt, und blickte mit stolzer, ruhiger Miene über sein unbesiegbares Gebiet.

Auch die Gärten erstrahlten im Schein zahlloser Lampen, wenn die Frauen und Nebenfrauen, die Konkubinen und die Adeligen, die Beamten und die Schreiber in den süß duftenden Nächten dort auf und ab gingen und ihre nackten, parfümierten Sklavinnen ihnen den Weg leuchteten.

Auf dem Fluß schwamm das königliche Galaboot, ein Prunkstück aus Gold und Silber und edlen Hölzern, das am Fuß der breiten Stufen festgemacht war, die aus dem Wasser zu einem weitläufigen, von hohen Bäumen gesäumten Hof aufstiegen. Breite Promenaden führten zwischen diesen Bäumen hindurch zu den weißen und goldenen Hallen, die das Herz Ägyptens beherbergten.

Der Fischer würde nicht lange am Westufer des Flusses verweilen. Dort drüben erstreckte sich die Nekropole, ebenso wie der Palast über viele Hektar, zwischen dem Fluß und den weithin verstreuten graubraunen Felsen, die das Vordringen der Wüste hemmten. Die Lichter jenseits des Flusses, die Lichter in den Häusern der Priester und der Handwerker, die an den Gräbern und Tempeln der Götterkönige arbeiteten, waren gedämpfter und weniger zahlreich. Der Nachtwind stöhnte leise in den leeren Grabkammern, und die Lebenden verschlossen ihre Türen, bis Re sie aufrief, wieder einen Tag mühseliger Arbeit in der Stadt der Toten zu verbringen. Die hoch aufragenden Säulen und verlassenen Häuser, die angefüllt waren mit Speisen und welkenden Blumen für die, die ihre letzte Ruhestätte noch bewohnten, waren wie ein unvollkommenes, verzerrtes und trauriges Spiegelbild des bewegten, pulsierenden Lebens der königlichen Stadt Theben.

 

Der Abendwind hatte sich gelegt, und die Nacht war still und warm, als Hatschepsut, Nedjmet und die Dienerinnen des Kinderhauses durch die von regungslosen Wächtern gesäumten Korridore zum Speisesaal gingen. An diesem Abend gab es keine ausländischen Delegationen, die festlich bewirtet werden mußten, aber der Saal war voll von Gästen und Adeligen, hohen Regierungsbeamten und Freunden der königlichen Familie. Hatschepsut hörte ihr Schwatzen und Lachen schon lange bevor sie durch die große Doppeltür trat, und wartete, bis der oberste Herold feierlich ihre Ankunft verkündet hatte: «Prinzessin Hatschepsut Chenemet Amun.»

Die Gäste hörten einen Augenblick auf zu sprechen, verbeugten sich und setzten ihre Unterhaltung dann fort. Hatschepsut sah sich nach ihrem Vater um, aber er war noch nicht anwesend. Auch Neferu war nirgends zu sehen. Aber drüben in einer Ecke war Useramun, der mit Menech auf dem Boden saß. Vorsichtig den Sklaven ausweichend, die Wein einschenkten und die Speisenden mit Kissen oder kleinen Stühlen versorgten, ging sie zu ihnen hinüber. Unterwegs hob sie eine Lotosblume auf, die irgend jemand hatte fallen lassen, und flocht den Stengel in ihre Jugendlocke. Der starke, betäubende Duft stieg ihr sofort in die Nase, und sie atmete ihn genüßlich ein, während sie sich mit gekreuzten Beinen neben den Jungen auf dem Boden niederließ. «Seid gegrüßt. Was tut ihr zwei hier?»

Menech nickte lustlos und blinzelte Useramun zu. Sie hatten Hatschepsut gern, aber sie schien allgegenwärtig zu sein und über all ihre Pläne – ob sie es wollten oder nicht – Bescheid zu wissen. Seit dem mißlungenen Ausreißversuch hatte sie ihr möglichstes getan, sich von ihr fernzuhalten, aber sie tauchte an den unglaublichsten Stellen auf. Doch sie war nicht langweilig – was sonst sie auch sein mochte.

Als Sohn einer der ältesten und vornehmsten Familien des Landes behandelte Useramun sie wie seinesgleichen. Sein Vater, der Wesir des Südens und nach Pharao einer der zwei mächtigsten Männer Ägyptens, befand sich auf einer Inspektionsreise durch die Provinzen, die ihm unterstanden, und Useramun wohnte derzeit im Palast. Er verbeugte sich übertrieben höflich. «Heil, Majestät! Deine Schönheit ist verwirrender als der Glanz der Sterne. Oh! Meine Augen versagen, ich bin wie geblendet!»

Hatschepsut kicherte. «Eines Tages werde ich dich diese Worte mit dem Mund im Staub wiederholen lassen, Useramun. Worüber habt ihr gesprochen?»

«Über die Jagd», erwiderte Useramun sofort. «Menechs Vater nimmt uns morgen mit, schon ganz früh. Vielleicht erlegen wir ja einen Löwen!»

«Unsinn!» sagte Hatschepsut. «Selbst erwachsenen Männern fällt es schwer, einen Löwen zu töten. Zuerst müßt ihr mal einen finden.»

«Wir gehen ins Hügelland», warf Menech ein. «Vielleicht kampieren wir die ganze Nacht im Freien.»

«Kann ich mitkommen?» fragte Hatschepsut begierig.

«Nein!» erwiderten die Jungen wie aus einem Mund.

«Warum nicht?»

«Weil du ein Mädchen bist, und weil der Eine es dir nie im Leben erlauben würde», sagte Useramun gelassen. «Kleine Prinzessinnen gehen nicht auf die Jagd.»

«Aber große Prinzessinnen tun es. Wenn ich groß bin, werde ich jeden Tag auf die Jagd gehen. Ich werde die beste Jägerin des Königreichs sein.»

Menech lächelte. Hatschepsuts Liebe zu Tieren würde ihr nie gestatten, etwas anderes als Enten zu jagen, und das wußte sie. Aber selbst mit zehn Jahren schon bestand ihr Stolz darauf, alle anderen in allem zu übertreffen. «Was hast du den ganzen Tag gemacht?» fragte er. «Ich habe dich nirgends gesehen.»

«Ich hab mir Schwierigkeiten zugezogen», erwiderte sie seufzend. «Oh! Da kommen Vater und Mutter. Jetzt können wir essen.»

Alle Anwesenden berührten mit der Stirn den Boden. Die Stimme des obersten Herolds verkündete laut: «… Mächtiger Stier, geliebt von Maat, der erscheint als königliche Schlange, groß an Macht, schön an Jahren, der die Herzen belebt …»

Hatschepsut fragte Menech im Flüsterton: «Glaubst du, daß deine Mutter sich heute abend wieder betrinken wird?»

«Psst!» erwiderte er heftig. «Kannst du nicht einen Augenblick still sein?»

«Nein, das kann ich nicht! Ich bin hungrig! Ich bin schon seit Stunden hungrig!»

Thutmosis machte eine Handbewegung, und der Hofstaat erhob sich und begann wieder zu reden. Die Gäste suchten sich ihre Plätze, jeder an seinem eigenen kleinen Tisch, und die Sklaven fingen an, mit hoch aufgehäuften Platten zwischen ihnen umherzugehen. Hatschepsuts Sklavin kam herbei und verbeugte sich. «Gänsebraten, Hoheit? Rindfleisch? Gefüllte Gurken?»

«Von allem etwas!» Während sie aß, sah sie sich unruhig nach Neferu um, aber es war kein Lebenszeichen von ihr zu entdecken. Auf ein Kopfnicken ihres Vater hin zogen die Musiker herein, ein Mann mit einer großen Harfe und Mädchen in langen, gefältelten Röcken, kegelförmige Gefäße mit duftenden Wässern auf dem Kopf und ihre Instrumente unter den Arm gepreßt. Hatschepsut bemerkte mit Interesse, daß die Mädchen die neumodischen Lauten spielen würden, die aus der Wildnis des Nordostens stammten. Sie nahm sich vor, eines der Mädchen zu bitten, später in ihr Zimmer zu kommen, um ihr etwas vorzuspielen, aber dann erinnerte sie sich mit verzagendem Herzen, daß sie eine Verabredung mit dem Pharao hatte. Als die Musik begann, schob sie ihren Teller beiseite, tauchte die Finger in die Wasserschale und wischte sie an ihrem Kleid ab. Dann kroch sie zwischen den Gästen hindurch zu ihren Eltern. Ihr Vater war in eine Unterhaltung mit Menechs Vater Ineni, seinem Architekten, vertieft, aber ihre Mutter lächelte ihr zu und forderte sie durch einen Wink auf, sich auf ein Kissen neben dem Tisch zu setzen.

«Du siehst heute abend besonders hübsch aus», sagte Ahmose. «Du solltest öfters Blumen im Haar tragen. Das steht dir gut.»

Hatschepsut kniete sich auf das Kissen. «Mutter, wo ist Neferu? Wenn Vater merkt, daß sie nicht hier ist, wird er zornig. Und ich bin diejenige, der er heute abend die Leviten lesen will.»

Ihre Mutter legte das Stück Granatapfel nieder, das sie gerade an die Lippen führen wollte, und seufzte. «Vielleicht sollte ich jemanden zu ihr schicken. War sie heute irgendwie erregt?»

«Je, sehr sogar. Sie hat mir von einem schrecklichen Traum erzählt, der immer wiederkehrt. Glaubst du, sie wird krank?»

Ahmose nippte an ihrem Wein. Die Musik begleitete sanft plätschernd das Schwatzen der Gäste, als plötzlich das schallende Gelächter ihres Mannes ertönte, dem gleich darauf ein weiteres folgte. Wunderbar, was für einen Einfluß ein gutes Essen auf die Stimmung eines Mannes hat, auch auf die des Pharaos, dachte sie. Sie schluckte den Wein hinunter und wandte sich an ihre Tochter. «Ich weiß es nicht, Liebes. Ich glaube nicht. Aber gestern abend, als ich mit ihr zum Fluß hinunterging, rannten pen Nechbets Windhunde ins Wasser. Und einer von ihnen kam die Stufen hinauf und sprang mit nassen Pfoten an ihr hoch. Da fing sie an zu schreien und schlug mit den Fäusten nach ihm. Du weißt, wie sehr dein Vater reizbare, mürrische Frauen haßt. Ich habe ihm nichts davon gesagt, aber es war ein häßlicher Zwischenfall.»

«Sie hat von Anubis geträumt.»

«Ach, wirklich? Das würde die Sache erklären. Aber sie hat neuerdings auch die Gewohnheit, das Amulett von Menat zu tragen. Warum ist sie so töricht? Was hat die große Tochter des mächtigen Thutmosis zu fürchten?»

Mich. Das Wort kam Hatschepsut unerwartet in den Sinn, und sie schwieg, während ihr Herz wild zu hämmern begann. Mich? Unsinn! Neferu hat ihre Angst auf mich übertragen.

Ahmose winkte Hetepheres, ihre persönliche Dienerin und Begleiterin, herbei. «Geh in die Gemächer der Prinzessin Neferu und erkundige dich, warum sie heute abend nicht zum Essen erschienen ist», befahl sie. «Aber geh leise und unauffällig. Ich will nicht, daß Pharao die Antwort vor mir erhält, verstehst du, Hetepheres?»

Die Frau lächelte. «Sehr wohl, Majestät», erwiderte sie mit einer Verbeugung und entfernte sich.

«Mama, warum muß Neferu Thutmosis heiraten?»

Ahmose hob die Hände. «Oh, Hatschepsut, mußt du denn alles wissen? Nun gut, ich werde es dir sagen. Aber du wirst es nicht verstehen.»

«Ist es ein Geheimnis?»