Die Hexe von Norderoog - Erik Schreiber - E-Book

Die Hexe von Norderoog E-Book

Erik Schreiber

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Beschreibung

Der Herbst hatte seinen Einzug gehalten in den Halligen. Scharen wilder Gänse grasen zwischen den Lämmern; um die Wattströme mit ihrem vielverschlungenem Netz von kleinen Wasserläufen streichen mit ohrenbetäubendem Gezeter unzählige Mövenenten, während Langbeine aller Art, welche die Wanderschaft nach fernen Ländern hier zusammengefunden, in dem zähen Schlick herumstechen nach Meergetier, und in den grünen Wasserläufen selbst, die vom Meere hereindrücken, der Tümmler sein lustiges Wesen treibt.

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Herausgeber

Erik Schreiber

Das grüne Abenteuerbuch 4

Anton Perfall

Die Hexe von Norderoog

Das grüne Abenteuerbuch 4

e-book 243

Anton Perfall - Die Hexe von Norderoog (1908)

Neuveröffentlichung

© Herausgeber Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

Titelbild: Simon Faulhaber

Redaktion und Lektorat: Peter Heller

Vertrieb: neobooks

Herausgeber

Erik Schreiber

Das grüne Abenteuerbuch 4

Anton Perfall

Die Hexe von Norderoog

Der Herbst hatte seinen Einzug gehalten in den Halligen.

Scharen wilder Gänse grasen zwischen den Lämmern; um die Wattströme mit ihrem vielverschlungenem Netz von kleinen Wasserläufen streichen mit ohrenbetäubendem Gezeter unzählige Mövenenten, während Langbeine aller Art, welche die Wanderschaft nach fernen Ländern hier zusammengefunden, in dem zähen Schlick herumstechen nach Meergetier, und in den grünen Wasserläufen selbst, die vom Meere hereindrücken, der Tümmler sein lustiges Wesen treibt.

In der Nacht aber saust und braust es in den Lüften von Tausenden von Flügeln, mit der Brandung um die Wette, die weit draußen sich bricht, oft so dicht über dem Strohdach, daß die Schläfer erschreckt auffahren und den seltsamen Lauten aufhorchen. Die Alten bekreuzigen sich wohl und drehen sich auf die andere Seite, die Jungen aber packt das Sehnen nach fernen Ländern und Bild auf Bild verscheucht den Schlaf.

Gestern kehrte man vom Markte zu Wyk zurück, die Schiffe vollgestopft mit Winterwaren. Jetzt konnte es losgehen! Man hatte nichts mehr zu suchen draußen.

Die Binnenarbeit hob an. Der erste „Aufsitz“ sollte bei den Götreks genommen werden auf der Götrekswarf, die acht Giebel umfaßte.

Mutter Götrek hauste dort seit zwölf Jahren mit ihren beiden Söhnen Lars und Knut. Den Vater hatte die Nordsee geholt, die Mordsee, wie sie Mutter Götrek nannte; es vollzog sich damit nur ein altes Hausgesetz -- kein Götrek lag bis jetzt auf dem Kirchhof von P ...

Lars war damals sechs Jahre alt, so fiel Last und Pflicht des Vaters auf den acht Jahre älteren Knut und trug nicht wenig dazu bei, den ohnehin ernsten, verschlossenen Jungen rascher zum Manne heranreifen zu lassen und den Altersunterschied der beiden Brüder fühlbarer zu machen. Knut war der Herr im Hause, das kindliche Verhältnis zur Mutter war allmählich ganz erloschen; ebenso sah Lars in ihm bald nur noch das Haupt der Familie, dem er sich willig unterordnete, zumal Knut ihm wirklich väterliche Liebe und Sorgfalt angedeihen ließ. Ja, Lars war seine einzige Schwäche; er wetteiferte mit der Mutter in Zärtlichkeit für den hübschen, sonnigen Jungen, der an Leibesgestalt und Aussehen nur ein heller, freudiger gehaltenes Bild seiner selbst war, an Sinnesart und Wesen zugleich Widerpart und Ergänzung.

Die Wirkung dieses Verhältnisses konnte nicht ausbleiben.

Lars gewann kein Auge für die harten Lebensbedingungen des Halligmannes, die rings um ihn die Gesichter hart, die Stirnen faltig machten, die den trotzigen Zug verliehen um den scharfgeschnittenen Mund.

Für ihn war das alles nur ein lustig Spiel, das seine Phantasie erregte, das ewig drohende Meer, der Sturm, der die Firste zittern machte, die Berichte der Männer von schwerer Fahrt und Abenteuern. Er sah mit seinen blauen Kinderaugen die grünen Halligwiesen von den Silberfäden der Wattströme durchzogen, die weißen Lämmer darauf, die lustigen Möven, die drolligen Austernfischer und die flinken Seeschwalben. Er hörte an den Winterabenden in den Spinnstuben die alten Märchen und Nordseesagen: von der Jungfrau von Cordouan, vom König Abel, dem Friesenkönig und Holger Danske, dem Riesen, von den Wogenmännern und seltsamem Meervolk. Was brauchte er da ernst zu blicken und die Stirne in Falten zu legen? Es gab ja kein schöneres, lustigeres Land als P ...

Daran konnte auch der düstere schwarze Turm nichts ändern an dem Westrand der Insel, gegen dessen zerfressene, von Tang bewachsenen Quadern die See grollte zur Flutzeit mit weithin schallendem Getöse, von dem allerhand unheimliches Raunen ging, von bösem Spuk, und allerlei dunkle Geschichten von Seeräubern und dergleichen.

Darum liebte Lars ihn geradezu. Und wenn man ihn nirgends fand, so steckte er sicher in dem alten Gemäuer, entweder in dem Schutt grabend und kratzend nach irgend einem Stück Eisen, aus dem sich seine Phantasie rasch etwas zurechtschmiedete, oder aus irgend einem Mauerloch, das er mit Lebensgefahr erkletterte, hinausträumend in die schäumende See.

Knut arbeitete schwer, brachte das Heu herein, sorgte für das Vieh und die Schafschur -- da war er ihm höchstens im Wege.

Nur im Boot, wenn es auf den Fischfang ging oder einer Meerfahrt galt nach Nordstrand, nach Amrum oder gar nach Beenshallig zum Möveneiersammeln, da fehlte er nie, da stellte er seinen Mann -- glaubte er. Unterdessen brachte er das Netzzeug durcheinander, spielte mit dem bunten Tand des Meeres, der sich in den Maschen verstrickte, machte Ausbeute für seine Sammlungen und vergaß über dem Seltenen das einzig Nützliche: die ihm viel zu gemeinen, langweiligen Fische, von denen einer dem anderen glich. Und Knut lachte dazu und schwitzte sich zu Tode unter dem Drucke des Netzwerkes.

Der vierschrötige Mann, mit dem Geiste so zäh wie der Schlick, der die Insel umgab, mit dem dumpfen Groll im Herzen, den früher Lebenskampf verleiht, das friedliche, ewig drohende Meer, das ihm den Vater geraubt, brauchte Wärme, Licht, Sonne -- das war ihm Lars, ja mehr noch war er ihm, seine eigene verlorene oder vielmehr nie besessene Jugend.

Lars war heute der erste in der Spinnstube, nicht einmal eine Segelfahrt nach der Seehundsbank bei Nordstrand, auf welche Knut ihn gerne mitgenommen hätte, sonst sein Leibspaß, zog heute.

Aber es war das auch kein gewöhnlicher „Aufsitz“, der heute zu erwarten war, bei dem man die alten und jungen Gesichter vom vorigen Jahre, nur um ein Jahr älter, zu sehen bekam, auch handelte es sich nicht um die alten Geschichten, denen er sich doch auch allmählich entwachsen fühlte, etwas ganz Außerordentliches war in Sicht, so recht etwas für den Lars.

Und daß er der Einzige war, der das Seltsame so recht begriff, daß ganz P ... that, als habe sich gar nichts Besonderes ereignet in den letzten Tagen, daß keine Spur von Neugierde, Spannung sich zeigte, daß der Knut ihn anknurrte: „Was kümmert's mich! Ich sehe das Wundertier noch früh genug!‟ Alles das freute nur den Lars. So ging es ihm ja immer, mit allem, er war eben ein ganz Besonderer -- und das Besondere war darum auch nur für ihn.

Lars saß auf der Ofenbank und wartete.

Zuerst kamen die beiden Wittrichs, zwei Prachtmädels, besonders Grete, die jüngere. Er sah sie sonst gerne, es plauderte sich von allen am besten mit ihr, und ihr Lachen klang ganz anders, als man sonst in P ... gewohnt war.

Heute beachtete er sie kaum. Über was sie alles zu schwatzen begann! Über das albernste, gewöhnlichste Zeug, über den Markt zu Wyk, über das Wetter, über den und jenen, über die und die -- nur über das eine kein Wort, das einzige, das von ihm so sehnsüchtig erwartete, das ganz besondere -- da hatte man es wieder! Ist das ein dummes Volk! Wie er nur darunter kam!

Und andere kamen, Mädchen und Männer, Alt und Jung, und alle machten es so, keines nannte den Namen, auf den er lauerte -- auch die Mutter nicht.

Zuerst erzürnte er sich über diesen Stumpfsinn; dann aber freute er sich, war er ganz stolz darauf. Sollte er selbst davon anfangen? Oder abwarten? Es litt ihn nicht länger.

„Habt ihr die Hennings schon gesehen?“, fragte er plötzlich.

„Die Hennings haben wir schon gesehen“, meinte Grete mit spitziger Zunge, „nur die Hennings nicht, die du meinst, Lars. Ist überhaupt gar keine Henning, laß dir was weismachen. Weiß Gott, wo er sie aufgegabelt!“

„Wär' noch schöner, so ein schwarzes Ding in die Gemeinde bekommen“, bemerkte die Schwester.

„Schwarz?“ Lars sprang von seinem Sitze auf. „Wirklich ganz schwarz? Hast du sie denn gesehen?“

„Alle Wilden sind schwarz“, erwiderte das Mädchen.

Allgemeines Gelächter.

„Ist ja gar keine Wilde, eine Indierin ist sie“, erklärte ärgerlich Lars, „und von nun an als Hennings Tochter eine P ... Da ist nichts daran zu ändern.“

„Na, na, eine P ...“, meinte die alte Götrek, „das wollen wir doch mal abwarten. So rasch geht das nicht, mein Junge! Da muß zuerst bewiesen sein, daß sie wirklich Hennings ehelich Kind. Vor allem aber, daß sie eine Christin ist --“

„Nun, wenn sie es nicht ist, kann sie es ja werden“, meinte Lars lachend, „das hat der Pastor rasch. Ehelich Kind! Da mußt du den Henning selber fragen. Da drüben in Indien wird wohl etwas rascher gefreit, als in unserem Nebelland.“

„Und das gefiel dem Herrn Lars wohl, das rasche Freien“, meinte boshaft ein altes Mütterchen.

„Weiß man denn eigentlich etwas Näheres über die Geschichte mit dem Henning und seiner Tochter?“, fragte einer der Männer.

„Alles weiß ich“, erklärte Lars voll des Eifers, „der junge Märtens hat es mir erzählt, gestern in Wyk, sein Vater ist Steuermann auf dem ‚Cyklop,“ der vorige Woche den Hennings brachte.“

Man rückte näher, ließ das Rädchen stehen, nahm die Pfeifen aus dem Munde.

Lars kribbelte es in allen Knochen vor Erzählerlust.

„Das war so. Vor zwanzig Jahren“, begann er, „da brach ein Aufstand los da drüben in Indien irgendwo, in den Bergen. Da sind nämlich Berge, hundertmal höher, wie die höchste Woge -- tausendmal, sagt der Märtens -- und in den Bergen lebt ein freies, starkes Volk, das einmal vor langer Zeit die Herrschaft hatte weit und breit, bis die Engländer kamen und sie ihm nahmen. Ein tapferer Häuptling rief das ganze Volk zu den Waffen -- Nena Sahib hieß er -- und nun ging's los! Zuerst kriegten die Engländer ihre Hiebe. Dreitausend Engländer mit Weib und Kind wurden in einer Nacht ermordet. Dann aber kam die Rache. Die Engländer warben ein großes Heer. Der Henning war damals Vollmatrose auf einem Bremer Schiff. Das lief gerade zur rechten Zeit in Kalkutta ein. Die höchste Löhnung wurde geboten, die reichste Beute versprochen. Der Henning ließ sich anwerben von dem Engländer. Und es war sein Glück. Die Aufständigen wurden geschlagen. In einer Stadt -- Dinapur heißt sie -- machten die Engländer reiche Beute, jeder Soldat bekam sein Teil. Auf den Henning traf ein schönes Mädchen -- die Sklavin eines Stammesfürsten, Nizam hieß sie -- und, nun ja, sie gefiel ihm wohl, das schwarze Ding. Er kaufte, als der Krieg zu Ende, einen kleinen Kutter von dem Beutegeld und fuhr auf eigene Rechnung. Die schöne Nizam nahm er mit an Bord, und dort schenkte sie ihm das Mädchen; fünfzehn Jahre ist es alt, sagt Märtens.“

„Fünfzehn Jahre?‟ Grete kicherte mit den Mädchen, „also noch schulpflichtig!“

„Und was war denn mit dem Henning?“, meinte einer der Männer. „Wo steckt jetzt die reiche Beute von -- ich weiß nicht, wie du das nennst -- Senk --“

„Die Beute von Dinapur? Die liegt jetzt auf dem Meeresgrund, da bei dem Kap der guten Hoffnung irgendwo, samt der schönen Nizam. Das Mädel ist wohl das einzige, was er davon mit heimgebracht! Darum schon, dächte ich -- was lacht ihr denn? Ist da etwas zum Lachen, zum Spötteln?“Lars' Antlitz, dessen mädchenhafte Weiße ein leiser Flaum um Lippen und Kinn zu vergolden begann, rötete sich im Unmut über die völlig unerwartete Wirkung seiner tragischen Erzählung.

„Was willst du denn eigentlich mit dem Kind“, fragte die Mutter erstaunt, „daß du dich so ereiferst darum?“

„Was ich damit will?“ Er erhob sich jäh. „Schützen will ich es gegen allen Hohn und Spott, der ihr hier droht; jawohl, das will ich, verlaßt euch darauf!“

Jetzt war er zum Küssen schön, der Lars! Wie ihm die blonden Locken in die weiße Stirn hineinfielen, und in den sonst so sanften blauen Augen ein seltsames Feuer sich entzündete.

Die Mädchen lachten nicht mehr, nur Grete konnte jetzt ihren Unmut erst recht nicht unterdrücken.

„Lächerlich! Wer wird denn so ein Püppchen kränken. Die läuft uns allen gut!“

In diesem Augenblicke hörte man Tritte in dem Flur.

„Da kommt er vielleicht, dein schwarzer Schatz!“, spöttelte Grete.

Doch das allgemeine Gelächter brach sonderbar jäh ab, als die Thür sich öffnete.

Ein riesiger Mann beugte sich unter dem Thürpfosten. Die grobe blaue Wolle, in die er gekleidet, ließ seine Glieder noch hünenhafter erscheinen -- der Henning!

„Nur immer herein!“, rief er zurück in den Flur. Und über die Schwelle trat ein Wesen, das in diesem Raum jeden Blick bannte, ein Mädchen! Eine schlanke, geschmeidige Gestalt, die dem Riesen kaum bis an die Brust reichte, in ein grellrotes Tuch dicht gehüllt; schwarzes, fettglänzendes, geringeltes Haar umrahmte ein dunkelbraunes Antlitz, in dem zwei große dunkle Augen wie Glühwürmer brannten. Goldene Ringe blitzten in den zierlichen Ohren aus dem Haargeringel. Es war weniger Scheu, als herber Trotz, Hochmut fast, der aus diesen Augen blickte. Rasch durchstreiften sie den engen Raum, um auf Lars haften zu bleiben.

Alles starrte mit offenem Munde auf die Fremde, auf die Tochter der Sklavin.

Etwas Schwüles, Gefahrdrohendes war mit ihr in die friedliche Stube getreten. Man dachte unwillkürlich an Schlangen und Giftpflanzen, an all die seltsame Mär von dem Wunderlande am Ganges, die manchen Winterabend ausgefüllt. Man schloß sich enger zusammen und faßte sich bei den Händen, als wolle man einen Bund schließen gegen sie.