Die Jäger vom Thursee - F.H. Achermann - E-Book

Die Jäger vom Thursee E-Book

F.H. Achermann

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Beschreibung

Der beste Jäger des Stammes der Thuracher, Zarni, brennt vor Eifersucht. Die schöne Darwa, Tochter des Stammeshäuptlings, ist verliebt in Thuro. Zarni ist zwar der beste Jäger seines Stammes, doch auch dies scheint seine Chancen bei Darwa nicht zu verbessern. Schliesslich versucht er alles, um seinen Konkurrenten in Misskredit zu bringen. Doch selbst als dies gelungen ist, macht ihm Darwa klar, dass sie ihn nicht liebt. Diese Ablehnung schreit nach Rache, die Zarni mit viel List und Tücke angeht: Schliesslich wird Thuro sogar aus seinem Stamm ausgestossen. Gelingt es Zarni nun, seine Ziele zu erreichen? Wird Thuro, der Verstossene, seinen Stamm und seinen verschleppten Freund retten können? Und welche Rolle spielt Minos, der König von Kreta, bei der Rettung? Die Jäger vom Thursee ist einer der Urzeitromane Franz Heinrich Achermanns, der anders als andere aus dieser Reihe in den 80er-Jahren nicht neu aufgelegt wurde. Zur selben Reihe gehören Titel wie: Der Schatz des Pfahlbauers * Die Fährte des Höhlenlöwen * Dämonentänzer der Urzeit * Der Totenrufer von Hallodin * Kannibalen der Eiszweit - welche alle ab 2017 durch Carl Stoll neu herausgegeben wurden.

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Die Jäger vom Thursee

Die Jäger vom ThurseeVorwort des HerausgebersVorwortZarni der JägerEine BärenjagdWidornaVerschmähtVerschollenGefangenVerfluchtDie HerdlingeKampf mit JuraräubernEine SpurNach dem dunklen SüdenIschma' El, der SemitSklavenlosDas Fest der AthletenDer Tod des SklavenjägersIn die HeimatEine UrwaldschlachtImpressum

Die Jäger vom Thursee

F. H. Achermann

Die Jäger vom Thursee Roman aus den Wildnissen der Steinzeit 

Neu herausgegeben von Carl Stoll, (c) 2019

Vorwort des Herausgebers

Die Reihe der prähistorischen Romane Franz Heinrich Achermanns besteht aus den Romanen: «Der Schatz des Pfahlbauers» * «Die Fährte des Höhlenlöwen»* «Dämonentänzer der Urzeit» * «Der Totenrufer von Hallodin» * «Kannibalen der Eiszweit» – welche zum Teil bereits wieder in neuer Edition verfügbar sind, zum Teil aber noch in Vorbereitung sind.

Obwohl Teil einer ganzen Reihe, nimmt der Roman «Die Jäger vom Thursee» einen Sonderplatz ein, denn es ist der einzige Roman der genannten Reihe, der in den 1980er-Jahren nicht neu herausgebracht wurd. Er ist also bislang nur in den in Fraktur-Schrift gedruckten Ausgaben aus den Zeiten des Autors verfügbar. Über die Gründe des damaligen Verlags kann man nur spekulieren. Unverständlich ist diese Wahl besonders deshalb, weil dieser Roman nicht zuletzt durch seinen Einbezug des (jüdisch geprägten) Ein-Gott-Glaubens der Grundintention Achermanns, basierend auf seiner eigenen Geschichte und Berufung, besonders nahegestanden haben dürfte.

Als Editor ist mir das vorliegende Buch besonders ans Herz gewachsen, weil es anders als die meisten anderen Urzeitromane Achermanns einen grossen Teil der Handlung in einen anderen Kulturraum verlagert und damit nicht nur ganz andere Eindrücke vermittelt, sondern die farbige Erzählkunst des Autors in besonderer Weise zum Ausdruck bringt. Auch die positive Darstellung der Helblinge (wohl eine Art prähistorischer Roma) zeigt einen Autor, der aus den Vorurteilen seiner eigenen Zeit heraustritt und die Akzeptanz, Aufnahme und Einbindung von Ausgestossenen propagiert. Eine Forderung, die gerade in heutiger Zeit nichts von ihrer Aktualität verloren hat.

Viel Spass bei der Lektüre

Der Herausgeber

Vorwort

Während des trockenen Winters 1853 auf 1854 sanken die Spiegel der Alpenseen auf eine noch nie erlebte Tiefe. Diesen Umstand benutzten viele „Anstößer" des Zürichsees zur Gewinnung von Land: Auf dem eingetrockneten Seeboden schlossen sie durch Erstellung von Mauern ganze Parzellen vom äußeren Seegebiet ab und füllten den so gewonnenen Raum mit eingetrockneter Schlammerde, die sie gleich nebenan dem Seeboden entnahmen. Beim Ausheben dieses Füllmaterials kamen zum Erstaunen der Beschäftigten tief eingerammte Pfähle zum Vorschein und daneben Geräte und Waffen von nie gesehenen Formen: Kunstprodukte aus Knochen, Holz und Horn, sogar gebrannte Topfscherben von geradezu überraschender Ursprünglichkeit. Der Lehrer von Obermeilen, Johannes Äppli, sammelte eifrig die merkwürdigen Funde und berichtete im Januar 1854 der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, „dass man in der Nähe seiner Wohnung in dem vom Wasser verlassenen Seebett Überbleibsel menschlicher Tätigkeit aufgehoben habe, die geeignet seien, über den frühesten Zustand der Bewohner unserer Gegend unerwartetes Licht zu verbreiten." Eine neue Welt der Urzeit war entdeckt, die Periode der Pfahlbauer!

Da diese Periode der Urkultur nirgends so ausgeprägt zutage tritt wie im Gebiet der heutigen Schweiz, so sei der allerdings etwas kühne Versuch gewagt, an Hand der Ergebnisse der heutigen Pfahlbauforschung dem Bewohner und Bewunderer unserer schönen Heimat in Form einer Erzählung ein Gesamtbild unserer Urheimat vor Augen zu führen.

Viele Fragen werden auch hier, wie vielleicht für alle Zukunft, ungelöst bleiben: Woher kam dieses geheimnisvolle Jägervolk? In welchen Lauten sprach ihre Zunge? Waren sie blond oder schwarz von Haar — waren es überhaupt Weiße? Wo ist der Ursprung ihrer schon hoch entwickelten Kultur zu suchen? Sind sie die Nachkommen der Höhlenbewohner aus der alten Steinzeit? Warum bauten sie Wasserdörfer auf Pfählen, aus Furcht vor menschlichen oder tierischen Feinden? — Die Wellen rauschen über den versunkenen Kulturstätten ihr ewiges Lied, aber sie erzählen mir nicht die Antwort auf meine Frage. Und doch wissen wir viel von ihnen, wir wissen die Hauptsache: Wir wissen, wie sie gelebt haben und dass sie Menschen waren, die kämpften, hofften, liebten und hassten!

Der „Thursee" (vom keltisch-römischen Turicum oder Turegum) ist der Zürichsee. Die Namen der Personen sind (sofern sie nicht dem minoischen Sagenkreis oder der parallelen Mittelmeerkultur angehören, die damals schon in die Bronzezeit eingetreten waren) indogermanischen Sprachstämmen entnommen.

Möge die vorliegende Erzählung nur den einen Zweck erreichen: die Liebe zur heutigen Heimat zu mehren und das Interesse für deren große Vergangenheit zu vertiefen.

F.H. Achermann

Zarni der Jäger

Der Urwald rauscht. Über seinen Kronen kreist der Bussard, in seinem Dunkel schleicht ein Mensch; Moderluft umgibt ihn; aus unbestimmbarer Ferne dringt das Heulen eines beutelosen Wolfes.

Der Mann ist noch jung, untersetzt und geschmeidig, für den Kampf mit Natur und Feind wie geschaffen. Muskel und Auge zeugen von ungebrochener Naturkraft. Ein graues Flachskleid bedeckt seinen Körper bis zu den Knien; von der Schulter hängt ein Wolfsfell, darüber ein Eibenbogen mit Köcher; im breiten Fellgürtel stecken ein Streithammer aus dunkelgrünem Gestein und ein Feuersteindolch mit sehnenumwundenem Holzgriff. Die Rechte hält den stämmigen Speer mit scharfer Spitze aus Feuerstein. Der struppige Bart gibt dem Manne etwas Wildes; sein einziger Schmuck ist ein Halsgehänge aus Wildzähnen.

Es ist Zarni, der kühne Jäger.

Ihm folgt ein grauer Hund von kaum mittlerer Größe. Seine hängende Zunge und die halbgeschlossenen Augen verraten überstandene Strapazen.

Der Jäger aber geht noch wie erst aufgestanden. Bald wird Zarni an seinem Ziele sein; denn durch das Laubwerk und Geranke schimmert die Helle des Tages. Jetzt tritt er aus dem Waldesdunkel ans Licht; er beschattet seine Augen; durch die Erlenbüsche glitzern die Wellen des Thursees, und im Osten flammen die Berge vom Lichte der aufstrahlenden Sonne.

Zarni tritt ans Gestade und schaut nach dem erwachenden Pfahldorf, das durch eine Brücke mit dem Gestade verbunden ist. Über Nacht ist ein Mittelstück dieser Brücke aufgezogen worden.

Die vierzehn Pfahlhütten stehen auf gemeinsamem Holzroste, der von einem rohen Prügelgeländer eingefasst ist. Die mit Schädeln und Hirschgeweihen verzierten Hütten sind alle rechteckig und mit tief herabhängenden Schilfdächern versehen. An ihren lehmverklebten Wänden hängen Netze und Jagdgeräte.

Schon hält der Jäger die Hand an den hohlen Mund, um zu rufen. Da tritt aus der mit einem Bärenschädel geschmückten Hütte ein Mädchen: Darwa, die Tochter Charmins, des Thuracherfürsten. Ihr faltiges Linnengewand fällt blütenweiß bis auf die Knöchel des lederbeschnürten Fußes; ein Stück Bärenfell bedeckt den Rücken von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte. Der rechte Arm ist frei; denn ihre schöne Hand hält Bogen und Pfeil, dessen Feuersteinspitze mit Erdpech in den Schaft gefügt ist. Reiche Haarwellen bedecken ihren Nacken und lassen nur einen Teil der Steinkette sehen, welche ihren Hals schmückt.

Zarni beobachtet sie hinter einem Erlenbusch mit glühenden Augen.

Sie schaut in den Strahl der ausgehenden Sonne, legt dann Pfeil und Bogen nieder und hebt die Rechte gegen Osten, die Linke auf die Brust: Sie grüßt die Sonne, die Mutter des Lebens!

Da naht dem Schilf entlang mit schwerfälligem Flügelschlage ein Fischreiher. Wenn er seine Richtung nicht ändert, so muss er das Pfahldorf überfliegen.

Darwa hat ihn bemerkt, denn plötzlich greift sie wieder nach ihrem Jagdgerät und zieht sich hinter die nächste Hütte zurück; dort legt sie den Pfeil auf und wartet mit gespanntem Bogen, bis der Reiher über dem First erscheinen wird.

Da — ein fast unhörbares Flügelwehen — der Pfeil schnellt hoch — der Reiher schwankt wie ein fallendes Eichenblatt — einmal — zweimal, und — fliegt friedlich davon, nur etwas kräftiger ausholend; er ist nicht getroffen! Der zurückgefallene Pfeil steckt im Lehm des Pfahlrostes. Mit geballten Fäusten schaut ihm die schöne Fürstentochter nach, dann schmettert sie den Bogen zum Pfeil hin:

„Verfluchte Stümperei! — Thuro! Thuro!" Bei Nennung dieses Namens ziehen sich Zarnis Brauen zusammen.

Aus einer Hütte tritt ein schlanker Jüngling von kaum zwanzig Jahren. Sein ruhiges Auge gibt dem bartlosen Gesichte etwas Überlegenes; er ist ähnlich gekleidet wie Zarni. Verwundert blickt er in das zürnende Gesicht der schönen Fürstentochter:

„Was gibt's, Darwa?", fragt er.

„Thuro, der Bogen, den du mir geschnitzt hast, taugt nichts!"

„Wirklich? — Zeig' mal her!"

„Dort liegt er…!"

„Du hast ihn fortgeworfen, Darwa?"

„Nicht deinetwegen, Thuro!", sagt sie und errötet dabei, als hätte sie einen geheimen Gedanken verraten.

Thuro hebt den Bogen auf, prüft ihn auf die Spannkraft der Sehne und lächelt:

„Der Bogen ist schon in Ordnung, Darwa!"

Wie es sie ärgert, dieses überlegene Lächeln; und wie es ihm — gut steht!

„Warum hab' ich denn gefehlt?"

Eine verfängliche Frage! Doch Thuro hebt vom Boden eine Feder auf und spricht scheinbar mit großem Ernste:

„Daran ist der Reiher schuld! Schau, Darwa, eine Schwanzfeder! Er ist — zu schnell geflogen!"

Darwa schaut ihn erst misstrauisch an, und dann lacht sie hellauf, wie die Lerche über den Erlenbüschen:

„Zu schnell geflogen! Also doch ein Meisterschuss?"

„Gewiss! Ich könnte ihn nicht wiederholen!"

„Sicher nicht! Du würdest den armen Vogel mit deiner Ungeschicklichkeit wahrscheinlich tödlich verletzt haben!"

„Ich habe auch schon gefehlt!"

„Du gefehlt? Du wärest zu stolz dazu! Eher schießest du nicht!"

Da kommt ein hübscher, etwa zwölfjähriger Knabe dahergesprungen: Durin, Darwas Bruder, der einzige Sohn Charmins. Strahlend vor Freude zeigt er seiner Schwester eine künstlich durchbohrte Steinschnecke:

„Schau, Darwa, was mir gestern Thuro von der Jagd heimgebracht hat!"

„Wie schön!", sagt Darwa mit unverhohlener Freude, zieht eine Schnur durch den Schmuck und hängt ihn dem Bruder an den Hals.

„Thuro", flüstert sie dabei bittend. — „Bringst du mir auch einmal eine Schnecke?"

Da greift Thuro in seinen Gürtel: „Für dich habe ich etwas Schöneres!"

Darwa weicht betroffen zurück, denn Thuro hält ihr eine — Bernsteinperle hin!

„Das, das ist für mich, Thuro?"

„Für dich!"

Da zuckt ihre Hand danach, und in freudiger Neugier hält sie den Schmuck gegen die Sonne.

„Ach, Thuro, wie wunderbar! — Woher hast du diese fein geschliffene Perle?"

„Von fremden Händlern, welche von den Juracher-Seen kamen!"

„Ah, die vor einigen Tagen hier waren und dann zu den Bodanner-Dörfern zogen? — Was hast du dafür bezahlt?"

„Drei Biberfelle und vier Marder mit gelbem Kehlfleck."

„Das hast du für… Durin, horch, ich glaube, der Vater hat dich gerufen!"

Durin, der Kleine, verschwindet in der großen Hütte. Darwa schaut ihm nach und macht dann einen Schritt auf Thuro zu:

„Thuro, schau, ich kann nicht gut . . . befestige mir die Perle mit dieser Schnur im Haar ... "

Während Thuro die Perle in ihrem Wellenhaare befestigt, fühlt er ihren Atem an seiner Wange, und leise flüstert es:

„Thuro, hast du mich lieb!"

„Nur dich, Darwa!"

Da — ein greller Ruf: „Hoeh — ho!" — Beide fahren auseinander und sehen Zarni am Ufer stehen.

Thuro geht hin und lässt die Brücke nieder. Mit finsterem Auge schreitet Zarni über die Balken.

Thuro begrüßt ihn fast ehrfurchtsvoll:

„Zarni, die Sonne beleuchte dein Kommen! — Du kommst erst jetzt von der Jagd? Wir sind schon seit gestern Abend hier!"

„Ihr wäret wohl müde, ihr tapferen Jäger!", entgegnet Zarni nicht ohne Hohn. „Hast du gut geschlafen? Nun, der Bär, der in letzter Zeit in unsere Hürden einbrach, lebt auch gerne! Er lässt euch grüßen und spricht euch seinen Dank aus!"

„Du hast noch seine Spur verfolgt? — Allein?", fragte Thuro bewundernd.

„Ich habe seine Höhle gesehen! Dort liegen mehr Siegeszeichen seiner Taten als in Thuros Schlafgemach!"

„Zarni, du bist ein großer Jäger!", gesteht Thuro in ehrlicher Beschämung und aus seinen Augen leuchtet das Jagdfieber.

„Es ist allerdings leichter, der Spur eines jungen Mädchens zu folgen als einem alten Bären!"

„Zarni! — Ich fürchte ihn nicht; ich dachte gestern nur, dass wir ein andermal..."

„Morgen wird Thuro zeigen, ob er ihn fürchtet!"

„Morgen!"

Indessen ist das ganze Pfahldorf wach und lebendig geworden: Weiber kreischen, Kinder schreien; vor den Hütten brennen die Morgenfeuer, und über ihnen brodeln große, rohe Töpfe. Auch im nächsten Pfahldorf gegen Sonnenaufgang steigt Rauch auf. Der Morgenwind kräuselt die Wellen des Thursees; in heimelig-flüsterndem Plätschern brechen sie sich an den Pfählen. Dort stößt ein Einbaum zur Fischjagd ab.

Aus seiner großen Hütte aber tritt Charmin, der Thuracherfürst. Um den Hals trägt er eine Kette von Wolfszähnen und gewaltigen Eberhauern. In seinem Gürtel steckt ein Kupferdolch vom Jurasee. Sein reicher Bart ist noch ungebleicht, und unter den starken Brauen blitzen zwei kühne Augen; erwartungsvoll schauen sie jetzt auf Zarni; Charmin scheint den letzten Teil des Gesprächs gehört zu haben.

„Zarnis Auge kündet frohe Jagd!"

So grüßt er den Jäger.

„In der Wildbergschlucht, dort wo die junge Thur die Felsen bricht, hat der Herdenräuber sein Steingemach!", entgegnet Zarni.

„Zarni hat es gesehen?"

„Ja — und ihn auch!"

„Hat er Familie?"

„Nein, er ist ein alter Brummer von gewaltiger Kraft und Kriegserfahrung — auf seiner Spur fand ich an einem Dornstrauch braune und graue Haare!"

Inzwischen sind mehrere Männer herangekommen und haben mit vorgestrecktem Kopfe die Nachricht gehört. Ihre Augen leuchten vor Jagdfieber wie die Lichter des nächtlich schleichenden Wolfes.

Da hebt Charmin seine Rechte: „Morgen Mittag werden Charmin und seine Brüder zur Fernjagd ziehen!"

„Zur Fernjagd! Lasst die Weiber Mundvorrat rüsten, für zweimal drei Tage."

„Warum erst Mittag?", fragt Thuro, der in seinem Jagdfieber diese Verzögerung nicht versteht.

Da erklärt Zarni:

„Wir müssen dafür sorgen, dass er unsere Fährte nicht kreuzen kann; deshalb müssen wir die Nacht vor dem Angriff fern von der Schlucht verbringen; wenn er uns auf seiner nächtlichen Streife wittert, wird er misstrauisch und verzieht sich! Er ist ein schlimmer Geselle, der schon manchen seiner Verfolger überlebt hat!"

Dabei wirft Zarni einen höhnischen Blick auf Thuro.

„Wir müssen also dafür sorgen", ergänzt Charmin, „dass wir am frühen Morgen noch eine halbe Tagereise von seiner Höhle entfernt sind, so dass wir um die Zeit seines Mittagsschlafes bei ihm ankommen — mustert eure Waffen!"

Mustert eure Waffen! —

Wie ein Zauberwort wirkt der Befehl: Eine stille Begeisterung hat alle erfasst; bald ist jeder an seiner Arbeit:

Dort, vor seiner reich verzierten Hütte, kniet Zarni vor einem flachen Sandsteine und schleift daran die Schneide seines breitnackigen Steinhammers aus dunkelgrünem Gestein. Den neu eingefügten Stiel aus zähem, biegsamem Eibenholz verfestigt er mit unzerreißbarer Hirschsehne. Andere prüfen und erneuern die Schäftung. Thuro fügt ein kleineres Schwarzbeil in eine ausgehöhlte Hirschhornrose und diesen „Mittler" in einen soliden Schaft aus Eichenkernholz ein. Diese Art der Schäftung gibt dem Schlage mit der Waffe die nötige Federung und vermindert die Gefahr des Zersplitterns. Neben ihm passt ein anderer sein Beil in das dickere Ende eines großen Augensprosses (Stirnzacke des Hirschgeweihs) ein.

Pfeil- und Lanzenspitzen aus Feuerstein werden mit Erdpech in die Schäfte eingelassen, mit Schnüren oder dünnen Sehnen umwunden, und die Umschnürung nochmals mit Erdpech verkittet.

Im Kampf mit den übermächtigen Raubtieren des Urwaldes und der Steppe besaß aber der Pfahlbauer noch andere Waffen, die wohl so alt sind wie die Menschheit selber: die Keule, die Wurfschlinge, die Schleuder, die Fallgrube und das Feuer.

Während dieser Arbeit der waffentragenden Männer bereiten die Weiber unter Kreischen und Klatschen und Zanken duftende Fladen aus Weizen, Gerste und Hirse; selbst Emmer und Fennich finden ihre Verwendung in der Kochkunst der Pfahlbauerinnen. Die Zubereitung ist meist sehr einfach.

Vor einem flachen, oder infolge des langen Gebrauches schon hohl ausgeschliffenen Granitsteine kniet die „Urmüllerin" nieder und zerreibt mit einem Reibstein die Fruchtkörner. Dieses meist nur roh zerquetschte Getreide wird zu einem Teig angerührt und auf einem erhitzten Stein zu Fladen gebacken. Diese Fladen eignen sich vorzüglich zum Mitnehmen, während der im Topfe gekochte Brei mehr daheim die Zugabe zu Wildbret oder Fisch bildet.

Beim Pfahlbauern war die Wirtschaftsfrage geradezu glänzend gelöst: Er war Jäger, Ackerbauer, Fischer und Sammler. Not kannte er, außer etwa in Belagerungszeiten, sozusagen keine; kam er resultatlos, müde und hungrig von der Jagd heim, so schwelgte er in Getreidefladen, Milchprodukten und Geräuchertem. Hatte je die „Landwirtschaft" ein schlechtes Jahr, so wimmelte der See doch immer von Fischen, und im Sommer sammelten die Weiber und Kinder, allerdings nicht ohne Gefahr, die Beeren, Nüsse und wilden Äpfel des Urwaldes. Die Frau war Arbeiterin, der Mann Jäger, Fischer und Krieger.

Schon damals brachte die soziale Abstufung der Familien „bürgerliche" Kost und bessere „Tafeln" mit sich; dort sehen wir z. B., wie Darwa mit ihrer etwa vierzigjährigen Mutter einen feinen Weizenfladen mit Himbeerkonfitüre behandelt! Daneben duftet an einer Holzgabel eine Hirschkeule über den glühenden Buchenkohlen.

Nach dem Mahl ziehen die Jäger aus zur Waffenprobe; es sind siebzehn gestählte, untersetzte Krieger. Schnelligkeit und Gewandtheit bieten im Kampfe ums Dasein mehr Vorteile als schwerfällige Körperfülle!

Über die Brücke gelangen sie zuerst an den stark ausgetretenen Uferplatz, der auch als Arbeitstenne für gröbere Holzarbeiten dient; an eingesteckten Stangenreihen sind Zugnetze zum Trocknen aufgehängt. Im Schatten einer uralten Eiche bearbeiten zwei graue Männer einen Eichenstamm, und sie verstehen ihr Fach: Sie höhlen ihn mit Feuer; die Teile, welche unversehrt bleiben sollen, haben sie mit nassem Lehm verklebt; die angekohlten Flächen aber werden mit Steinbeil, Steinmeißel und Knochenpfriemen meisterlich bearbeitet. Nach dieser Methode ist auch der Stamm gefällt worden.

Von diesem Platze aus gelangt Charmin mit seinen Kriegern zu einer erweiterten Lichtung mit sonnigen Getreidefeldern und Pflanzbeeten.

Endlich erreichen die Jäger ein freies Hochplateau, wo Ziegen und Schafe, wilde bewegliche Schweine, kleine struppige Pferde und hornlose Rinder weiden, von alten Männern und halb erwachsenen Buben bewacht. Die ganze Weidestelle ist gegen den Rand des Urwaldes hin abgepfercht, und dies ist durchaus kein Luxus, denn Bär und Wolf sind schlimme Raubgesellen, und der hämische Fuchs holt oft am hellen Tage ein liebes, kleines Schweinchen!

Jetzt kommen die Hirtenbuben herbeigesprungen, denn es gibt ein Schauspiel: die Waffenprobe! Diese hat nicht nur den Zweck, die Fähigkeit der Jäger zu erproben, sondern auch, besonders vor Fernjagden, die Waffen zu prüfen.

Mitten auf dem freien Platz steht eine weißrindige Birke. Charmin misst von ihr aus vierzig Schritte ab und wirft dann seinen Speer; er bleibt in Mannshöhe waagrecht stecken. Nur einer macht ihm diesen Wurf nach: Zarni. Thuro hat nicht geworfen; seine volle Kraft ist noch nicht entfaltet, und er ist sich dessen bewusst, trotzdem er schon als Meister der Waffe gilt.

Da winkt Charmin einen der Knaben herbei. Dieser befestigt mit einer Flachsschnur ein Schaf-Fellstück an einem faustgroßen Stein, schwingt es im Radschwung und wirft es hoch empor — das Fell flattert wie ein Vogel hinter dem Stein nach — ein Zischen von Pfeilen — der „Vogel" fährt nieder, von drei Pfeilen durchbohrt; der eine trägt die Erkennungsmarke Thuros; fast jede Waffe führt eine solche, meist eine Einkerbung, welche oft über die Ansprüche der Jäger an ein Beutestück entscheidet.

Nun hebt Charmin die Hand; vier, fünf, sechs Buben tummeln sich wie toll um die Jäger, reizen sie mit herausfordernden Gebärden und Grimassen. Die Geforderten lösen ihre Wurfschlingen von der Schulter, schwingen sie über ihren Köpfen, machen Finten, werfen, und — da stürzt einer, hier brüllt einer wie am Spieß, dort jubelt einer, da wird einer an einem Bein, dort einer am Halse herangezogen.

Nun beginnt das Doppelwerfen! Wenn ein größeres Tier, ein Bär, Hirsch, Eber oder Ur die Schlinge fühlt, so geht es nicht selten auf den Werfer los und da nützt eben der gewandteste Wurf nichts; deshalb muss sofort ein zweiter Jäger ebenfalls werfen; geht das Tier nun auf den einen los, so zieht der andere an und umgekehrt. Dann treten Beil und Speer in Aktion.

Drei Männer springen vor; der eine ist das Wild, die zwei andern werfen ihre Schlingen; sie haben das Hauptaugenmerk darauf zu richten, dass sie das ‘Wild‘ immer möglichst zwischen sich bekommen, sonst ist der eine von ihnen meist verloren.

Solche Hebungen wiederholen sich, bis der Häuptling zum Sammeln pfeift.

Zuletzt tritt die furchtbarste Waffe in Tätigkeit: die Schleuder!

Es gibt zwei Arten: die Steinschleuder und den Schleuderstein. Die Steinschleuder besteht aus einem Lederschiffchen an zwei Riemen, von denen der eine nach ein- oder mehrmaligem Kreisschwunge losgelassen wird. Das Wurfgeschoss ist ein glatter, meist eiförmiger Bachkiesel, seltener eine Tonkugel. Der Schleuderstein ist kugelförmig zugeschliffen und ringsum mit einer Kerbrinne versehen. Um diese Rinne wird eine Schnur oder ein dünner Riemen gelegt. Dieser muss so lang sein, dass der Stein beim Kreisschwunge den Boden nicht berührt.

Um bei dieser Waffenübung die Herde nicht zu gefährden, geht man an den Waldrand. — Charmin deutet auf den Stamm einer weithin sichtbaren Weisstanne und misst wohlgezählte hundert Schritte ab. Dann schwirren und sausen die Steine. Thuros Würfe sind die sichersten; ein Stein bleibt sogar in der Rinde stecken!

Zarni hat nicht geworfen. Jetzt erhebt er sich wie gelangweilt vom Boden; ein Knabe hat ihm eine Stange gebracht; er steckt sie in den Boden und geht fast hundert Manneslängen zurück. Ehrfurchtsvolles Schweigen ist eingetreten; man weiss, was kommt: Zarnis Meisterstück!

Er greift zur Schleuder; sein linker Arm ist wie zielend vorgehalten, sein Kinn reckt sich und seine buschigen Brauen ziehen sich zusammen; jede seiner Sehnen ist gespannt: ein Zischen, ein Surren, ein ferner Schlag — die Stange ist in der Mitte durchgeschlagen!

Und nun der zweite Teil: Im Abstande von einer Elle hat er zwei Wurfsteine zusammengebunden; er fasst die Schnur in der Mitte, wirbelt die Steine über seinem Kopfe, sie fliegen, um sich kreisend, auf die noch stehende Stangenhälfte zu und reissen sie zu Boden. — Ein wildes Hallo der Jäger belohnt seine Meistertat.

Gegen Abend kehren die Jäger mit den Herden ins Dorf zurück.

Dort werden Lebensmittel, Medikamente, Verbandszeug, Zauberkraut und Feuerzeug in die Jagdtaschen verstaut; überdies legt sich noch jeder ein festgeschnürtes Bündel aus dürrem Schilfrohr mit Harzeinlage zurecht.

Die Nacht sinkt hernieder; die helle Sichel des Mondes zaubert ein glitzerndes Flimmern auf die gekräuselten Wellen des Thursees. Da zieht eine lange Reihe nächtlicher Gestalten über die Brücke und verschwindet im Urwald. Sie gehen zum Opfer; nur einige Wächter, Kinder und Kranke bleiben zurück.

Unter einer uralten Rieseneiche, die schon oft vom Blitz getroffen wurde, erhebt sich halb mannshoch ein abgeflachter Granitblock, der Opferaltar. Darauf brennt das heilige Feuer; Hirschgeweihe und grosse Tierschädel hängen rings an den nächtlich beleuchteten Riesen des Urwaldes. Um den Opferstein stehen die Krieger in voller Waffenrüstung, hinter ihnen die Weiber und Kinder. Da tritt der Opferpriester an den Altar; ein helles Linnengewand umhüllt seinen knochigen Leib; im schneeweissen Haare trägt er einen Kranz von Eichenlaub. Durch die Krone der Ureiche leuchtet der Mond.

Der Alte breitet seine Hände aus und raunt Gebete und Zauberformeln, dann ergreift er eine Schale, die aus der Schädeldecke eines geopferten Feindes hergestellt ist, und hebt sie dem Mondlicht entgegen; in der Schale ist Blut; er spricht:

Licht der Nacht!

Du stirbst.

Du erstehst zu neuem Leben!

Du Spender des Lebens,

Erhalte das Leben der Krieger!

Dem Verwundeten gib neues Leben!

Den Toten führe zu den

Jagden des Urwaldes

Und zu den sonnigen Seen

Unserer Ahnen!

Leuchte uns.

Du Spender des Lebens!

Nun gießt er das Blut in die heilige Opferflamme als Tribut an die Gottheit.

Auf einem Stein aber sitzt Thuro und schaut sinnend zum Himmel empor; leise bewegen sich seine Lippen:

„Ist's wahr? Ist jenes ferne Licht der Spender des Lebens? Lenkt es die Schicksale der Menschen? Woher kommt jenes Licht? . . ."

Eine Bärenjagd

Leuchtender Morgen strahlt von den Bergen. Thuro steht am Geländer und schaut sinnend den Fischen zu; die Masse der Abfälle lockt über Nacht ganze Heere von Fischen heran und erhält sie; welch ein Gewimmel! Die Barben wühlen den Schlamm aus, die wilden Barsche fahren wie die Wölfe in die wandernden Scharen der Gründlinge, und im Rohr lauert der heimtückische Hecht auf die herrliche Seeforelle, die in der Strömung des mündenden Bergbaches schwänzelt.

Thuro hat nicht gut schlafen können; er hat im Traume gejagt und ist hundertmal im Jagdfieber erwacht. Auch jetzt schaut sein noch träumendes Auge verloren dem Spiele der Fische zu.

Da legt sich eine Hand auf seinen Arm.

„Thuro!"

„Du — Darwa?"

„Thuro! Hüte dich vor Zarni! Er hasst dich!"

Da fährt Thuro jäh aus seinen Träumen empor:

„Du hast es auch gesehen, Darwa?"

„Ich sah's an seinem Blick — hüte dich!"

„Was hab' ich ihm getan?"

„Er hasst dich, weil — weil — ich ihn nicht leiden mag!"

„Ah!"

„Er beneidet dich auch, weil du ein größerer Krieger wirst als er!"

Thuro errötet.

„Zarni ist ein großer, ein kühner Krieger! Ich werde mich vor ihm in Acht nehmen müssen."

„Fürchtest du ihn?"

„Ja!"

Fast unwillig fährt das Mädchen zurück:

„Du fürchtest Zarni?"

„Nicht seinen Arm und nicht seine Waffe, aber seine Heimtücke und Falschheit!"

Da greift Darwa in ihr Gewand und hält ihm ein durchlochtes Hornscheibchen hin.

„Trag dieses Amulett, Thuro! Es bewahrt dich vor seinem bösen Blick!"

„Ich danke dir, Darwa! Ich bringe dir das Fell des großen Bären!"

„Oh, Thuro!", ruft sie entzückt und drückt ihre gefalteten Hände an die Brust.

Und in ihrem Haar glänzt eine Bernsteinperle!

An der Hütte Zarnis aber bewegt sich leise der Bastvorhang! —

Vor der Baute Charmins versammeln sich die Jäger, zwölf an der Zahl, unter ihnen Zarni und Thuro. Die struppigen Hunde heulen wie wahnsinnig und streichen ihren Herren an den Beinen herum. Sie wittern an der Bewaffnung, was los ist: eine Fernjagd. Denn die Männer sind mit allen Waffengattungen und mit Proviant für mehrere Tage versehen. Auf einer Bärenjagd darf man sich nicht durch Fleischjagden ablenken.

Da tritt Charmin aus seiner Hütte, langsam und feierlich am Speere schreitend, das Urbild eines Jägers: Von seiner breiten Schulter hängt ihm ein ganzes Wolfsfell samt dem Oberschädel, den er als Kopfbedeckung emporziehen kann. Dieses Wolfsfell ist zugleich wasserdichte Jagdtasche. Um den Hals trägt er eine Kette von durchlochten Bärenzähnen und daran auf der Brust zwei gewaltige Eberhauer. In seinem Gürtel stecken Kupferdolch und Streithammer — über die Schulter Bogen und Lederköcher. Die Riemen seiner Ledersohlen aus unzerstörbarem Urleder winden sich kreuzweise bis zu den Knien hinauf und bieten einen trefflichen Schuh gegen die Vegetation des Urwaldes.

Alles, was Leben hat, ist vor die Hütten getreten; die Frauen etwas gedrückt, mit bangem Geflüster; die alten Weiber murmeln Zauberformeln; sie wissen, von einer Bärenjagd kehren selten alle heim. Die halb erwachsenen Buben haben die Hunde an die Leine genommen, um sie zurückzuhalten: Diese gebärden sich aber auch wie toll.

Jetzt schreiten die Männer schweigend über die Brücke; die noch gehaltenen Hunde aber rasen vor Jagdlust und schauen ihnen zitternd nach. Die Brücke wird heraufgezogen. Wie sich die Jäger hundert Mannslängen vom Ufer entfernt haben, gibt Thuro ein langgezogenes Pfiffsignal: Die Hunde werden losgelassen und schwimmen, nein, rasen sprungweise durch das Wasser ans Land, und im nächsten Augenblicke umjubelt die Meute den Jägertrupp.

Sie ziehen gegen Sonnenaufgang, erst am Ufer hin, dann an den Wasserläufen entlang durch den Urwald über eine Höhenkette. Fast mit Sonnenuntergang kommen sie an die Thur und gehen noch eine Strecke aufwärts, bis die Dämmerung hereinbricht. Da lagern sie im Urwald und machen ein Feuer an:

Der ‘Bussard‘ holt seine Feuermaschine hervor, zwei handgroße, in der Mitte angekerbte Holzstücke, dazu einen fußlangen, beiderseits zugespitzten Stab, Feuerbohrer genannt, und eine Schnur (oder Hirschsehne). Das eine Holzstück legt er vor sich auf den Boden, setzt den Stab darauf und auf den Stab das zweite Holz:

Jetzt beugt er die Brust darüber und drückt damit die Hölzer beiderseits an den Stab. Um den Stab windet er einmal die Schnur herum, fasst dieselbe an beiden Seiten und fängt nun an zu zwirbeln und zu bohren; wie am Bohrloch des untern Holzes ein feines Räuchlein aufgeht, kommt ein zweiter und legt trockenen Baummoder, ausgesottene Buchenschwammstücke, Laub usw. darauf und bläst und bläst, indes der andere weiterbohrt, bis in der glimmenden Glut ein Flämmchen auffährt — das Feuer ist da! Damit das obere Holz nicht auch Feuer fängt, wird der „Bohrer" dort angefettet. Oft gelingt es auch, mit zwei Feuersteinen und einem leicht entzündlichen Stoffe Feuer zu schlagen; doch ist diese Methode langwieriger und bei feuchter Luft fast unausführbar, während der „Bohrer" nie versagt.

Um das nächtliche Lagerfeuer sitzen die wilden Naturgestalten mit ihren Hunden und halten schwere Fleischstücke über die Flammen; sie warten nicht, bis das Ganze gar ist, sondern schneiden oder beißen vorweg jeden angebratenen Teil herunter. Den Rest mit den Knochen erhalten die Hunde. Nachdem jeder gegessen hat, trinken sie Wasser aus der nahen Thur und legen sich dann hin; Wachen werden keine aufgestellt, denn die Hunde sind die besten Wächter.

Durch die Eichenkronen strahlt ein Stern auf die stillen Schläfer nieder, mild und rein, wie das Auge des gütigen Schöpfers, des Schicksalslenkers; er hört eines jeden Atemzug und sie kennen ihn nicht!

Stille Nacht im Urwald! Stille? Die Hunde schlafen nicht! Ihre spitzen Ohren sind beständig in Bewegung; ihre Augen leuchten unruhig in den Wald hinein. Was ist los? Unheimlich leise ist der nächtliche Kampf ums Dasein erwacht: Durchs Geäst der Ureiche stürzt sich die Eule auf eine Maus; über Zweige und Äste verfolgt der Luchs ein ängstlich aufschnalzendes Eichhorn; auf hohem Tannenast wartet der Habicht auf das Erwachen der Singvögel; dort hat sich ein Wiesel in einen jungen Hasen verbissen, und durch das niedere Gezweige flieht ein halbtotes Reh vor einem Wolfe mit hängender Zunge — heimliches Leben und Würgen, fernes Geheul — Kampf ums Dasein!

Mitten in der Nacht fährt Thuro vom Schlafe auf! Eine Hand hat sich auf seinen Arm gelegt:

„Was  ist?"

„Pst!"

Neben ihm liegt Charmin; er ist's, der ihn geweckt hat.

„Thuro — hüte dich vor Zarni!", tönt es kaum hörbar.

„Aber . . . was hab' ich denn …?"

„Still! Er darf uns nicht hören! — Auch ich muss mich in Acht nehmen! Wenn mein Sohn Durin — sterben würde, Thuro, so ... "

„So wäre Zarni dein Nachfolger!"

„Er ist meines toten Bruders Sohn, aber seine Mutter war eine Bodannerin! Von ihr hat er sein Räuberblut — Thuro! Mein Sohn Durin liebt dich! Du bist sein Waffenmeister — Thuro! Schütze mir Durin!      Horch! Ah, Zarni, du bist wach?"

„Ja, Zarni wacht! Er hat im Schlafe gejagt und gesehen, wie Thuro den Bären der Wildberge besiegte. — Dort rötet sich der Himmel!"

Da regen sich auch die andern; das Jagdfieber hat sie nicht schlafen lassen. Getreidefladen und Fleischreste bilden ihr Morgenmahl; mit dem dämmernden Morgenrot wird aufgebrochen.

Gegen Mittag sind sie im obersten Quellgebiet der Thur angelangt. Vor ihnen steht ein gewaltiges Gebirgsmassiv mit wilden Felswänden. Sie biegen in eine waldige Seitenschlucht ein. Die Sonne steht brennend in der Mitte der Bahn. Vor einer riesigen Wand, der eine Felsenkanzel vorgelagert ist, hebt Zarni die Hand. Sie sind am Ziel!

Die Kanzel bildet mit der Felswand rechts eine Nische. Vom Plateau der Kanzel aus zieht sich an der Wand entlang ein schmales Felsband, sich allmählich verlierend. Eine gewaltige Tanne ragt gegen dieses Felsband empor.

Eine jetzt ausgetrocknete Wasserrinne führt von der Kanzel herab, über welcher in der Felswand eine dunkle Höhle gähnt.

Zarni deutet zu dieser Höhle hinauf und legt die Hand an den Mund:

„Er ist daheim!"

Woher weiß er das?

Er hat die stechende Raubtierausdünstung gerochen; die Hunde ziehen die Rute ein und drücken sich ängstlich an die Jäger heran oder bleiben zagend zurück.

Dort am Aufstieg zur Rinne liegt der Beckenknochen eines Rindes. Charmin hebt ihn auf: welch fürchterliche Zahnmale! Die Jäger bieten den Knochen schweigend herum und sehen einander an; mancher wirft einen verstohlenen Blick zur gähnenden Höhle hinauf: Dort ist alles still — unheimlich still!

Die Jäger reiben ihre Glieder mit Bärenfett ein.

„Ist dort die Rinne der einzige Ausweg für ihn?", fragt Charmin leise.

„Der Einzige", nickt Zarni.

„Bist du sicher? — Das ist wichtig!"

„Zarni ist in der Vollmondnacht dort oben gewesen, als der Bär auf dem Pfad des Raubes im Tal war!", antwortete Zarni stolz.

„Tapferer Zarni!"

Alle schauen mit unverhohlener Ehrfurcht auf den kühnen Jäger.

„Zwei Wurfschlingen!", kommandiert Zarni mit verhaltener Stimme.

Zwei Jäger, der ‘Bussard‘ und der ‘Ur‘, rollen ihre Schlingen von den Schultern.

„Befestigt sie zu beiden Seiten dieses Ausganges an festen Wurzeln!"

Sie binden das ‘blinde‘ Ende der Wurfschlingen an armdicke Wurzeln und nehmen das andere Ende angerollt in die wurfbereite Rechte.

Da hebt Zarni die Hand!

„Was gibt's?"

„Er hat uns gefühlt!"

„Woraus schliesst du das?"

„Ich habe sein Schnaufen gehört! — Und — seht die Hunde!"

Diese sind unruhig geworden und schnuppern ängstlich nach der Höhle hinauf.

„Kann nichts mehr schaden!", entgegnet Charmin. — „Waffen bereit!"

Der Befehl war überflüssig. Alle sind bereit!

„Zwei Schleuderer! Treibt ihn heraus!"

Zwei gewandte Schleuderer mit muskulösen Armen richten ihre furchtbare Waffe. Sie legen sich einige von den herumliegenden Geröllsteinen zu einem Häufchen zurecht; die glatten Bachkiesel sollen für den eigentlichen Kampf aufgespart werden.

„Los!"

Srrr…y! Sfrrrrh… pumm!

Hei, wie surren und pfeifen die Wurfsteine mit tödlicher Sicherheit nach der Höhle, von dort ein dumpfes Echo zurückwerfend!

Da! Ein tiefes Brummen, wie aus der Erde kommend!

Die Jäger halten den Atem an.

Dort unter dem dunklen Eingang der Höhle wird eine unheimlich lange Schnauze sichtbar! Sie schnuppert hoch erhoben in der Luft herum.

Sssrrriiie — pr! ... Ein Meisterwurf! Ein fürchterliches Gebrüll, und… die Schnauze ist verschwunden!

„Ein schlaues Biest!", knirscht Charmin mit leuchtenden Augen.

„Ich hab's gewusst!", entgegnet Zarni. — „Er kommt nicht!"

„Schleuder!" befiehlt der Anführer nochmals.

Die Steine surren wie rasend nach der Höhle und zerschellen dort mit dumpfem Getöse. Unter ihrem Aufprall dröhnt die Höhle wie ein angeschlagener Grosstopf!

Alles still! Der Bär kommt nicht!

„Dort! Achtung!"

Die Jäger zittern vor Jagdfieber.

„Die Höhle hat Nischen — er kommt nicht!", erklärt Zarni nochmals bestimmt.

„Dann müssen wir ihn mit Feuer heraustreiben!"

Man „bohrt" ein Feuer an. Daran werden die Schilfbündel entzündet und geben lohende Brandfackeln.

„Es kann nur einer mit der Fackel durch die Rinne! — Wer wagt's?"

Zarni blickt höhnisch lächelnd auf den jungen Thuro. Dieser ist blass geworden, greift aber sofort nach einer Fackel:

„Ich gehe!"

Da hebt Zarni den Unterkiefer eines Menschen vom Boden auf und hält ihn Thuro hin:

„Schau hier, Thuro! Schone dein junges Leben! Das ist ein heimtückischer Geselle, der schon manchen Winter und — Jäger hinter sich hat! Wenn er dich annimmt — und das tut er sicher — so gibt's ein großes Weinen im Thuracherdorfe!"

Doch schon schreitet Thuro festen Fußes der Rinne zu; Charmin ruft ihm nach:

„Sei guten Mutes, Thuro! Kein Raubtier greift das Feuer an!"

Jetzt klimmt Thuro die Rinne empor. — Jetzt ist er auf dem Plateau der Kanzel! Dort nimmt er das Kampfbeil in die Rechte und die Fackel in die Linke. — Ringsum ist alles totenstill. Die Jäger halten für alle Fälle die Waffen bereit.

Nun steht er im Eingang. Vorsichtig tritt er ein. Sein Fuß fühlt den weichen Höhlenlehm; zauberhaft flackern die magisch beleuchteten Wände — wo ist er?