Die Künste des Kinos - Martin Seel - E-Book

Die Künste des Kinos E-Book

Martin Seel

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Beschreibung

Wie Filme zeigen können, woran wir mit uns sind. Von Anfang an übernimmt das Kino viele Verfahren der Architektur, der Musik, der Malerei, des Schauspiels, der Literatur und anderer Künste – aber es lässt sie nicht so, wie sie dort sind. Das Kino kann, was es kann, weil es das verkehrt und verwandelt, was die anderen Künste können. In seinem neuen Buch unternimmt Martin Seel eine Analyse dieser Verbindung. In neun konzisen Kapiteln erkundet er das besondere ästhetische Potential des Films und führt an konkreten Beispielen vor, wie unterschiedlich es realisiert werden kann. Stilistisch glänzend entwirft Martin Seel eine neuartige Perspektive auf den Film und darauf, was er mit uns im Kino macht.

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Seitenzahl: 283

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Martin Seel

Die Künste des Kinos

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Inhalt

VorspannAffärenDer Ort des Kinos»Film«Der Gang der DingeDas Filmprogramm1. Film als ArchitekturEin AnfangRaumteilungRaumklangEin VorspannLandschaftenZwei ExtremeEin EndeRaumimaginationNoch ein Vorspann2. Film als MusikEin VorspielZeitverbindungenAction (1)Doppelte BewegtheitAction (2)ZeiträumeGroßrhythmusExplosion3. Film als BildWartendeBildliches ErscheinenBild und BewegungFotografie und FilmNoch eine FahrtDas Versprechen der FotografieBildanalyseDas Versprechen des FilmsNoch ein Ende4. Film als SchauspielAnarchieNoch einmal RaumteilungVirtualitätSkulpturalitätAkteureStimmenTheatralitätAttraktionismusEkstase5. Film als ErzählungDrei FilmeAbstinenzNarrative DispositionErzählenPerspektivitätFilmisches ErzählenDie Zeitform des KinosGegenwärtige Vergangenheit6. Film als ExplorationIn BagdadStadtlandschaftenWirklichkeitenVerfahren der DokumentationEin doppeltes VersprechenVerfahren der FiktionStilfragenKontrollverlusteWeltbezügeThe End7. Film als ImaginationBei BakersfieldEine illusionistische DeutungDie Figur des IllusionistenIllusion und ImmersionImagination statt IllusionNoch einmal Fotografie und FilmDoppelte AufmerksamkeitIllusion als VerfahrenCaché8. Film als EmotionNoch einmal das EndeLetzter Auftritt des IllusionistenMotion und EmotionLeiblichkeitSpürendes VerstehenExpressivitätAnteilnahmeNoch einmal doppelte AufmerksamkeitGemischte GefühleGodard9. Film als PhilosophieRückblendenNoch eine AffäreDrei DimensionenKino-AnthropologieAktive PassivitätEine ZugabeNoch einmal LandschaftenAbspannNotizDank

Vorspann

Affären

Die Künste des Kinos entspringen einer Affäre mit vielen anderen Künsten – nicht allein mit den Hochseilakten der übrigen Kunstwelt, sondern ebenso mit den Dramen des menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns. In seinem eigenen Raum spielt das Kino mit den Räumen und Zeiten der menschlichen Welt – mit ihrem Licht und ihrem Schatten, ihrem Lärm und ihrem Schweigen, ihrer Enge und ihrer Weite, ihrer Bewegung und ihrem Stillstand. Es lässt seine Besucher abwesend anwesend sein.

Seine Affären sind daher immer Affären mit uns – mit denen, die dann und wann ins Kino gehen, um sich von Filmen berühren und manchmal verführen zu lassen. Das Kino nimmt uns mit in eine Form des Daseins, in der wir dessen Schwankungen ohne Reserve auskosten dürfen.

Das Bewegtsein, in das uns das Kino in seinen besten Stunden versetzt, gewinnt seine Macht aus den Beziehungen, die der Film zu den anderen Künsten unterhält, die ihrerseits, seit es das Kino gibt, mal heimliche, mal unverblümte Liaisons mit diesem eingehen. Von Anfang an übernimmt das Kino viele Verfahren der Architektur, der Musik, des Schauspiels, der Literatur und der bildenden Künste; aber es lässt sie nicht so, wie sie dort sind. Es kann, was es kann, weil es das verkehrt und verwandelt, was die anderen Künste können.

Um diese Künste des Kinos wird es hier gehen. Kunst entsteht und entwickelt sich nur aus einem Dialog zwischen den Künsten. Als eine unter ihnen partizipiert der Film an diesem Gespräch, das seinerseits mit den Träumen und Albträumen kommuniziert, die uns ein Leben lang unterhalten.

Der Ort des Kinos

Das Kino ist ein besonderer Ort der Aufführung von Filmen. Es ist ein sozialer Schauplatz, der für eine bestimmte Praxis des Umgangs mit Filmen geschaffen ist. Es ist aber keineswegs der einzige Ort des Umgangs mit filmischen Bildern. Kinofilme, erst recht aber die vielen anderen Arten filmischer Produkte, können auch an vielen anderen Spielstätten dargeboten und wahrgenommen werden: im Fernsehen, am Computer, in Museen, im Theater, an Schauplätzen des Public Viewing, auf Werbeflächen an städtischen Plätzen. Vieles davon kann heute auf mobilen Geräten nahezu überall empfangen und abgespielt werden. Filme und filmische Bilder sind mittlerweile überall. Nur wenige davon sind für das Kino gemacht, nur wenige davon finden den Weg ins Kino. Die meisten Formen filmischer Bilder führen längst ein Leben unabhängig von diesem Schauplatz. Ein Buch über die Künste des Kinos ist daher kein Buch über »den Film« oder »das Medium« des Films. Es handelt lediglich von einer Urszene des Erscheinens von Filmen.

Historisch gesehen wurde der Film vor dem Kino geboren und wird dieses möglicherweise lange überleben. Trotzdem enthält eine Betrachtung über das Kino eine einfache Botschaft für alle Arten des Nachdenkens über den Film: Man versteht von den übrigen Situationen der Verwendung von Filmen nur wenig, wenn man die klassische Situation ihrer Wahrnehmung nicht versteht. In der Theorie des Films führt kein Weg am Kino vorbei.

»Film«

Eine weitere Einschränkung kommt hinzu: Dieses Buch handelt von der prominentesten Variante des Kinofilms, dem Spielfilm. Mit gelegentlichen Seitenblicken auf andere Genres möchte ich betrachten, was Spielfilme unter Bedingungen ihrer Vorführung im Kino vermögen. Wenn ich auf diesen Seiten ohne weiteren Zusatz von »Filmen« spreche, wird hiervon die Rede sein. Die Beschränkung auf diesen besonderen Fall der Präsenz von Filmen schließt natürlich keineswegs aus, dass filmische Bilder manches davon, was sie im Kino vermögen, auch an anderen Orten vollbringen können. Wie es damit steht, werde ich jedoch offenlassen. Dieses Buch handelt von dem ästhetischen Potential von Spielfilmen, wie es sich vor allem im Kino entfalten kann.

Dieses Potential liegt in den elementaren Formen der filmischen Darbietung. Einzelne Filme realisieren es je auf ihre Weise. Was Filme ihrem Publikum präsentieren, besteht in den von ihnen bereitgestellten Möglichkeiten ihrer Wahrnehmung. Die Verfassung eines Films lässt sich daher nur zusammen mit den von ihm eröffneten Möglichkeiten seiner Auffassung bestimmen. Entsprechend besteht das ästhetische Potential des Films darin, wie Filme potentiell erfahren werden können. Diese Anlagen des Films aber sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind den Techniken der Produktion filmischer Bilder nicht einfach eingegeben, sondern haben sich im Prozess der Herstellung und Wahrnehmung von Filmen herausgebildet. Und sie entwickeln sich weiter. Insofern enthält ein Versuch über die Form des Films eine Wette darauf, was sich in der Geschichte des Kinos einmal als die Hauptsache seiner Attraktionen erwiesen haben wird.

Natürlich konnten und können die Arsenale des Kinos wie auch der anderen Künste für manipulative und ideologische Zwecke gebraucht werden. Die Verächter des Kinos haben lange Zeit nur diese Seite gesehen, wodurch sie seine künstlerischen Energien verkennen mussten. Allein darum aber wird es hier gehen: wie Spielfilme ihr ästhetisches Potential in artistischer Hinsicht umsetzen können.

Diese Disposition des Films untersuche ich in einer Serie komparativer Betrachtungen. Das »als« in den Kapitelüberschriften, das den Film in eine enge Beziehung mit anderen Künsten und Vermögen setzt, darf dabei nicht allzu wörtlich genommen werden. Nicht um Äquivalenzen geht es, sondern um Differenzen. Es kommt darauf an zu sehen, was für einen Unterschied das Kino im Ensemble der menschlichen Künste macht.

Der Gang der Dinge

Meine Erkundungen beginnen mit einer Besichtigung grundlegender Elemente des Kinofilms. Das erste Kapitel stellt die besondere Räumlichkeit des filmischen Bildes in der Verbindung mit seinen akustischen Dimensionen vor. Das zweite Kapitel interpretiert den Film als eine Form visueller Musik, wodurch die besondere Zeitlichkeit seiner Verläufe erkennbar wird. Das dritte Kapitel ergänzt diese Beobachtungen durch eine Sondierung der Hinsichten, in denen sich das Bewegtbild von anderen Arten des Bildes unterscheidet.

Diese ersten Analysen werden im zweiten Drittel des Buches angereichert und differenziert. Das vierte Kapitel ist dem besonderen Schauwert des Films in seiner Verwandtschaft mit den Bühnenkünsten gewidmet. Das fünfte Kapitel arbeitet die narrative Disposition des Kinos in ihrem Verhältnis zu den übrigen Praktiken des Erzählens heraus. In einem Vergleich des Spielfilms mit dem Dokumentarfilm erörtert das sechste Kapitel das Verhältnis von Film und Wirklichkeit; Filme, so zeigt sich, verfahren explorativ selbst dort, wo sie in ihren Fiktionen auf eine realistische Darbietung verzichten.

Die letzten drei Kapitel sind einer weitergehenden Auslegung der vorangegangenen Phänomenologie gewidmet. Das siebte Kapitel weist illusionistische Deutungen der Kunst des Kinos und anderer Künste zurück; ihnen gegenüber verteidigt es die imaginative Verfassung des Films. Das achte Kapitel führt diese Auseinandersetzung fort, indem es eine alternative Theorie der emotionalen Macht des Kinos entwirft. Das neunte Kapitel wendet sich der internen Affäre des Films mit dem Philosophieren zu. Dieses Kapitel endet, wie das erste begonnen hat: mit einer Erinnerung an die künstlichen Landschaften individueller Filme, deren Erkundung durch keine philosophische Exkursion zu ersetzen ist.

Das Filmprogramm

Meine Betrachtungen möchten beides verbinden: eine Untersuchung der Künste des Kinos in ständiger Berührung damit, wie bestimmte Filme ihren Spielraum realisieren. Mit Ausnahme des Schlusskapitels beginnt jedes Kapitel deshalb mit der Beschreibung einer Filmsequenz, die geeignet ist, die jeweils behandelte Dimension zu erhellen. Jedes Kapitel schließt mit einer Sequenz, die sein Thema zusätzlich beleuchtet. Unterwegs kommen viele andere Filme aus diversen Genres und Zeiten zur Sprache, die ihr eigenes Licht auf die Szenen dieses Buches werfen.

Hieraus ergibt sich das in ihm enthaltene Filmprogramm. Zu den Hauptfilmen, die in Ausschnitten vorgestellt und bei Gelegenheit erneut besichtigt werden, gehören The Searchers von John Ford, North by Northwest von Alfred Hitchcock, The Bourne Supremacy und United 93 von Paul Greengrass, Zabriskie Point und Blowup von Michelangelo Antonioni, Perpetuum Mobile von Nicolás Pereda, A Night at the Opera von Sam Wood und den Marx Brothers, Fontane Effi Briest von Rainer Werner Fassbinder, In the Mood for Love von Wong Kar-Wai, Goodfellas von Martin Scorsese, Apocalypse Now von Francis Ford Coppola und Caché von Michael Haneke.

Die Auswahl dieser und der anderen Filme, die besprochen oder erwähnt werden, unterliegt weder einer historischen noch einer hierarchischen Ordnung. Die Filme sollen hier keine Schaltstationen in der Geschichte des Kinos und auch keine Rangliste ihrer größten Regisseure repräsentieren. Sie sollen gar nichts repräsentieren; sie sollen etwas präsentieren. Das Thema dieses Buches ist weder die verzweigte Geschichte des Films noch die verästelte Geschichte seiner Theorie. Sein Thema ist das Erscheinen von Filmen im Kino. Dafür stehen die herbeizitierten Ausschnitte ein.

Ihre Auswahl hat auch den Sinn, die Heterogenität der filmischen Produktion gegenwärtig zu halten. Vom Autorenfilm bis zum Blockbuster erhalten viele Spielarten des Films ihren Auftritt. Im Kino hat dies alles seinen Platz. Seine Künste werden verkannt, wo sich deren Theorie an fetischisierte Kategorien wie »Kunstfilm« oder »Filmkunst« klammert. Das vergleichsweise populäre und das vergleichsweise elitäre Kino gehören zusammen. Starke und schwache Filme gibt es hier wie dort; hier wie dort lässt sich an den starken am besten zeigen, was Filme der jeweiligen Art vermögen. So wie die Verfahrensweisen des Kinos auch gerade da von den anderen Künsten zehren, wo sie keinen Bezug auf diese nehmen, so stehen die großen und die kleinen Produktionen selbst da miteinander im Austausch, wo sie voneinander gar nichts wissen wollen.

Das Kino ist nur eine der Möglichkeiten der kunstbezogenen Welt- und Selbstbegegnung. Alle Künste können ihr Publikum auf eine besondere Weise mit sich bekannt machen. Radikaler als andere Arten der Kunst bringen Filme uns nahe, wovon wir bestimmt sein möchten. Wie viel Geistesgegenwart, Kenntnis und Verständnis, Deutungslust und Deutungskunst einzelne Filme ihrem Publikum auch abverlangen mögen, das Kino ist vor allem ein Ort des Auslebens unwillkürlicher Empfänglichkeit. Im Kino feiern wir die passive Seite unserer Existenz, ohne deren Genuss alle unsere Aktivitäten einigermaßen vergeblich wären. In dieser Aufforderung zum Geschehenlassen besteht das Ethos des Kinos. Mit weitergehenden Forderungen ist es nicht verbunden. Die Künste des Kinos muten uns lediglich zu, vom Hell und Dunkel ihrer Bewegung bewegt zu werden.

1. Film als Architektur

Ein Anfang

Nachdem der Vorspann des Films The Searchers von John Ford (USA 1956) zu Ende ist, wird die Leinwand für einen kurzen Moment schwarz. In weißer Schrift erscheint die Einblendung »Texas 1868«. Wieder wird das Bild schwarz. Im nächsten Augenblick geschieht dreierlei auf einmal. Man hört das Geräusch einer Türklinke; das bittersüße musikalische Leitmotiv setzt ein; mit dem Aufschwingen einer Tür, in der die Silhouette der Frau erscheint, die sie gerade geöffnet hat, öffnet sich der Raum dieses Films.

Seine erste Einstellung etabliert einen starken Kontrast zwischen dem drei Viertel der Leinwand ausfüllenden, in völligem Dunkel verbleibenden Innenraum und dem scharf begrenzten Ausschnitt des in hellem Licht liegenden Außenraums einer weiten Landschaft. Diese bildliche Anordnung verweist bereits auf einen Grundkonflikt dieses Films (und zahlloser anderer Filme weit über den Western hinaus): Ein bedrohter Schutzraum sieht sich einem bedrohenden Ereignisraum ausgesetzt; ein nicht geheures Draußen verlangt nach einem befriedeten Drinnen; ein beklemmendes Drinnen verlangt nach einem befreienden Draußen. Die anschließende Kamerafahrt folgt der Frau in ihrem Gang auf die Veranda des Hauses, wodurch sich auch das Bild der Landschaft langsam weitet. Nochmals wird hier die Bewegung des Films vorgreifend vollzogen: In der Weite des Landes lauert eine Gefahr für dessen soziale und rechtliche Domestizierung. In der rechten Bildhälfte sieht man aus der Ferne einen Reiter herankommen, nach dem die Frau mit unruhigen Blicken Ausschau hält. Ein Mann tritt neben sie und spricht mit fragender Intonation das erste Wort des Films, das seinem Helden einen Namen gibt: »Ethan?«

Die Frage, was es mit Ethan Edwards auf sich hat, wird der gesamte Film nicht eindeutig beantworten. Doch schon in den ersten 30 Sekunden seiner Handlung öffnet er die Tür zu einer Betrachtung der Konstruktion einer filmischen Welt. Er gibt einen Einblick nicht allein in seine Architektur, sondern in die von Filmen überhaupt. In seiner anfänglichen Geste liegt bereits ein Hinweis auf die Verwandtschaft von Architektur und Film. Beide sind – je auf ihre Weise – Künste der Raumbildung. Wie alle Künste sind sie darüber hinaus Zeitkünste: Sie führen ihren Betrachtern und Benutzern eine Bewegung vor oder verlangen eine von ihnen, wie sie ohne die Konstruktion eines Bauwerks oder Films nicht möglich wäre.

Raumteilung

Die grundlegende Operation der Architektur liegt in einem Verfahren der Raumteilung sowie der Raumgliederung. Dabei werden Differenzen von Innen und Außen etabliert, die vielfach wiederholt, variiert, gespiegelt und durchbrochen werden können. Mit jedem Gebäude entsteht ein Raum von Räumen, die auf unterschiedliche Weise voneinander getrennt und füreinander offen sind. Viele Gebäude errichten nicht nur Abgrenzungen eines inneren Raums von einem äußeren, sie leisten eine Vervielfältigung ihres Raums. Dieses Ensemble von Räumen bildet zugleich einen Raum für Räume, indem es Übergänge und Durchgänge, Brüstungen und Schwellen, Aussichten und Hereinsichten hervorbringt, die auf verschiedene Weise miteinander in Beziehung stehen. Sie korrespondieren nicht allein nach innen, sondern ebenso sehr nach außen: mit Bauten und Bäumen, mit Licht und Schatten, mit Ruhe und Lärm, kurz: mit allem, wofür sich das Gebäude in der Umgebung seines Ortes öffnet. Darin zeigt sich, dass jedes Bauwerk zugleich einen Raum in Räumen hervorbringt. Es stellt seinen pluralen Raum in einen größeren Raum, der ebenfalls ein Erzeugnis vielfältiger Kräfte ist. Es sind stets geographische, kulturelle, historische und alltägliche Orte, an denen das einzelne Gebäude seine Wirksamkeit entfaltet. Diese Räume aber, in denen ein Bauwerk steht, verbinden sich letztlich wieder zu einem Raum: zu dem Raum einer Landschaft, der das Gebäude seit seiner Entstehung angehört und der es mit seiner Entstehung einen eigenen Akzent verliehen hat.

Wie bei dem Raum buchstäblicher Architekturen handelt es sich auch bei demjenigen, durch den die Bewegung von Filmen führt, um einen durch und durch konstruierten Raum. Dieser geht nicht minder aus Operationen der Raumteilung und Raumgliederung sowie der Vervielfältigung, Öffnung und Schließung von Räumen hervor. Wie die Baukunst erzeugt der Film einen Raum von Räumen und für Räume im Ganzen eines unüberschaubaren Raums. Auf den Bewegungsraum des Films trifft daher alles das zu, was meine Skizze der Dynamik des architektonischen Raums festgehalten hat. Den einen Raum jedoch können wir tatsächlich begehen, wodurch sich seine Ansichten in Relation zu unserer körperlichen Bewegung fortwährend verändern. Dagegen sind wir den Bewegungen des anderen Raums in einem seinerseits architektonischen Raum – dem Kino – ausgesetzt, ohne dass wir einen Einfluss auf den Rhythmus seiner Ansichten und Aussichten hätten. Im ersten Fall bewegen wir uns in dem Raum oder in seiner Umgebung; im zweiten Fall sind wir mit der Eigenbewegung eines bildlichen Raums konfrontiert.

Die Parallele zwischen Architektur und Film kann daher nur aufschlussreich sein, wenn es gelingt, den über das Offensichtliche hinaus entscheidenden Unterschied zwischen dem filmischen und dem architektonischen Raum zu benennen. Der springende Punkt liegt in einem alternativen Verfahren der Raumteilung. Der Grundunterscheidung von Innen- und Außenraum im Fall der Architektur entspricht im Film diejenige zwischen dem, was sich on screen und off screen zuträgt. Seine Bewegung vollzieht sich als ein steter Wechsel zwischen dem auf der Leinwand Erscheinenden und dem auf ihr noch nicht, nicht mehr oder überhaupt nicht Sichtbaren (und ist als potentieller Wechsel auch dort immer virulent, wo wir es mit extrem statischen Aufnahmen zu tun haben). Die Innen/Außen-Verhältnisse, die im Film sichtbar werden – Ausblicke, Einblicke, Blickbewegungen, Aufblenden, Abblenden, Schwenks, Blicksprünge etc. –, werden im Medium einer Differenz zwischen dem auf der Leinwand jeweils Sichtbaren und dem dort jeweils Unsichtbaren organisiert. Kraft der Kadrierung und Montage der Bildausschnitte etablieren Filme den spezifischen Raum ihres Geschehens: jenen Raum, in dem sich alles ereignet, was sich in ihnen ereignet, und zugleich einen Raum, der sich ereignet, während sich der filmische Fortgang ereignet.

Raumklang

Seit Filme im Kino von Musik begleitet wurden und erst recht seit es den Tonfilm gibt, hat die akustische Dimension einen wesentlichen Anteil an der filmischen Raumbildung. Durch Musik, Sprache und andere Geräusche wird das auf der Leinwand Sichtbare ebenso wie das auf ihr Unsichtbare auf vielfältige Weise akzentuiert und modelliert. Je nach Art der Lokalisierung von Geräuschquellen im Verhältnis zu den auf der Leinwand erscheinenden Szenen werden durch die akustischen Effekte ebenfalls komplexe Innen/Außen-Verhältnisse geschaffen, die mit der visuellen Raumgliederung auf vielfältige Weise korrespondieren. Tonquellen können innerhalb der auf der Leinwand sichtbaren Szene lokalisiert sein oder aber außerhalb von ihr. Klänge, die eine Szene von außen charakterisieren, können gleichwohl innerhalb der filmisch entworfenen Situationen verortet sein oder aber – wie bei »Filmmusik« oder Formen des voice-over – ohne solche Verortung eingesetzt werden. Diese Grundmöglichkeiten der akustischen Organisation von Filmen können mehr oder weniger deutlich voneinander abgehoben sein oder fließend ineinander übergehen. In einer Szene oder im Verlauf eines Films lassen sie sich zudem beliebig miteinander kombinieren. Wie immer dies geschieht, stets erweist sich die akustische Sphäre von Filmen als eine Dimension des Ereignisraums, der durch seine Verläufe eröffnet wird. In ästhetischer Hinsicht ist es die primäre Funktion der Tonspur, den filmischen Raum aus Räumen zu erweitern und zu bereichern – und zwar nicht allein als Ausgestaltung dessen, was jeweils auf der Leinwand geschieht, sondern zugleich als eine Verschränkung des filmischen Raums mit demjenigen, in dem der Film präsentiert wird. Im Kino wird der Klangraum zum Raumklang.

Gebäude aller Art haben immer auch eine bestimmte Akustik. Bei der Errichtung von Konzerthallen, Vortragssälen, Kirchen oder Kinos wird ihr im günstigen Fall eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Als Resonanzraum für ein differenziertes akustisches Geschehen sind diese Bauwerke selbst Klangkörper, in denen sich die Wirkung der jeweiligen akustischen Ereignisse möglichst angemessen entfalten kann. In seinen Vorlesungen über die Ästhetik hat Hegel den »Tongebäuden« der Musik nicht ohne Grund »einen architektonischen Charakter« zugesprochen. Der gleichen Spur folgt Paul Valéry in seinem Dialog Eupalinos oder der Architekt, wenn er die raumbildende und Räume verwandelnde Magie der Musik betont.[1] Diese Affinität zwischen architektonischem Raum und musikalischer Zeit wirft ein Licht auf die besonderen Architekturen des Films. Ihre akustische Bewegtheit lässt die filmbildliche Bewegung in den Raum ihrer Wahrnehmung intervenieren. Der Klang der Filme füllt den Raum ihres Erscheinens in einem ganz und gar buchstäblichen Sinn: Er umfasst das Publikum und bezieht es allein damit in seine visuellen Landschaften ein. Die Komposition akustischer Ereignisse verbindet auf diese Weise den virtuellen Raum von Filmen mit dem realen, leiblich besetzten Raum ihrer Präsentation. Sie vollbringt dies durch Klangquellen, die in einer dichten Beziehung zu allem stehen, was sich auf der Leinwand ereignet.

Ein Vorspann

Klacken einer Türklinke, musikalisches Leitmotiv, erstes Dialogwort – der Auftakt der Handlung des Films The Searchers setzt einen dreifachen Akkord. Ein Geräusch wird hörbar, die Musik bereitet eine Grundstimmung vor, ein erstes Ereignis wird verbal kommentiert, während die Zuschauer in den Schauplatz des Films eingeführt werden. Der Auftakt des Films hingegen gibt noch keinen Einblick in seinen Handlungsraum. Sein Vorspann ist anderthalb Minuten lang. Auf einem schlichten Bildgrund (einer konventionell gemalten Backsteinmauer) erscheint zunächst das Signet der Warner Brothers und dann der Name des Produzenten. Anschließend wird in schwarzen Lettern der Darsteller des Ethan Edwards genannt: John Wayne. Erst danach wird in leuchtend roter Schrift der Titel des Films eingeblendet. Begleitet werden diese ersten 23 Sekunden von einer dramatischen Orchestermusik. Diese klingt aus und wird von dem sentimentalen Western-Song »The Searchers« von Stan Jones abgelöst, während die übrigen credits folgen. Der Song erstirbt, während die Leinwand zweimal schwarz wird; er wird unmittelbar von der einsetzenden Titelmelodie abgelöst, als die Tür zum Raum der Fiktion geöffnet wird.

Selbst für die damaligen Gewohnheiten ist dies ein ausgesprochen schmuckloser Vorspann. Er stellt einen ostentativen Kontrast zu dem kunstvollen Auftakt der Filmhandlung her. Die drei verschiedenen Musiken, die später im Film wieder ihren Auftritt haben werden, intonieren vorgreifend die instabile Stimmungslage seiner Entwicklung. Sie füllen bereits den Raum des Kinos, bevor der sichtbare Raum des Films sich geöffnet hat. Visuell bleibt vorerst alles flach. Vor der narrativen Aktion tritt das akustische Geschehen in Aktion. Die Landschaft des Films ist da, bevor seine Landschaft da ist. Sie umfängt die Betrachter, noch bevor sie sich sehend in ihr befinden.

Landschaften

Geräusch und Klang sind tragende Säulen der Architekturen des Films. Ihr Verfahren besteht darin, Räume zu teilen und zu verbinden, zu wechseln und zu verschachteln, zu erkunden und zu verbergen und auf diese Weise einen Raum von Räumen und für Räume zu erzeugen – einen Raum aber, in dem alle jeweils sichtbaren Räume zu der ungreifbaren Sphäre der dargebotenen filmischen Welt hin offen bleiben. Dieser Zustand des filmischen Raums ist für den Landschaftscharakter der Präsenz von Filmen verantwortlich. Landschaftserfahrung ergibt sich wesentlich aus einer Position mitten unter einer vielgestaltigen und variablen Fülle von Zuständen und Ereignissen, die das Vernehmen und Verstehen ihrer Subjekte immer auch überschreitet. Ästhetisch erfahrene Landschaft hat den Charakter eines geschehenden Raums. Im Angesicht von Gebäuden ist dies die Präsenz der Weite der realen Welt, in der das Bauwerk seine Stellung einnimmt und zu der es eine Stellung bezieht. Im Kino ergibt sich dieser Effekt aus dem Umstand, dass ein Film seinen Zuschauern kein annähernd vollständiges Bild des Raums gibt, in dem er sich abspielt, sondern immer nur Aspekte desselben, die in einem Spiel von Erinnerung und Erwartung ergänzt werden müssen, ohne sich je zu einem überschaubaren Ganzen zu formen. In der Montage von visuellen und akustischen Verläufen stellen Filme einen bewegten und die Zuschauer bewegenden Raum her, der als Fragment einer filmischen Welt erfahren wird.

Dieser Charakter des filmischen Geschehens besteht unabhängig davon, ob oder in welchem Maß Landschaften der Natur oder der Stadt in ihm eine Rolle spielen. Selbst in einem Film wie The Man Who Shot Liberty Valance (John Ford, USA 1962), in dem es durchweg um das Recht auf Landnahme und um die Kultivierung von Landschaft geht, bleibt diese mit Ausnahme kurzer Sequenzen am Anfang und am Ende bildlich weitgehend ausgeschlossen. Der Begriff des Landschaftscharakters gibt vielmehr eine formale Bestimmung der Art von Raumbewegung, die für das Erscheinen von Filmen im Kino kennzeichnend ist. Zu ihrer Architektur gehört die Möglichkeit, für ihre Betrachter die Position des Innerhalb und Inmitten einer Szenerie und Ereignisfolge zu etablieren, die im Verlauf des Films erkundet wird, wodurch sich stets wechselnde Verhältnisse des Innen und Außen, Sichtbaren und Unsichtbaren, Heimlichen und Unheimlichen, des Präsenten und Absenten ergeben. Die Zuschauer können sich so wahrnehmend in einen ihrem leiblichen Zugriff entzogenen Raum begeben und sich dabei von dem, was in ihm geschieht und wie er geschieht, sehend und hörend, fühlend und verstehend animieren lassen. Die filmische Raumteilung gliedert, akzentuiert, vervielfältigt und verändert nicht einen Raum, der zuvor schon gegeben wäre, sondern stellt – ebenso wie, aber doch anders als die buchstäbliche Architektur – eine Raumerfahrung sui generis her.

Hieraus ergibt sich ein grundsätzlicher Primat des Bewegungsraums vor dem Bedeutungsraum. Aus der Raumbewegung von Filmen gehen die Schauplätze ihrer Darbietung hervor. Alles, was sie uns gegebenenfalls »sagen« mögen, was sie dokumentierend oder fingierend (oder dokumentierend und fingierend) vor Augen führen, hängt ab von den Räumen, durch die sie uns führen – von Räumen, die sie uns so zeigen, dass sie sich stets zugleich vor unserem Blick verbergen. So verfährt die filmische Architektur: Sie baut eine Welt, in der wir uns wahrnehmend aufhalten dürfen, ohne wirklich in ihr zu sein. Diese Virtualität des filmischen Raums aber ist ihrerseits etwas höchst Wirkliches. Sie verdankt sich dem Erscheinen einer bildlichen und klanglichen Bewegung, das die Zuschauer in Prozesse eines spürenden Vernehmens verstrickt, die durchweg an das unwahrscheinliche Dasein dieses Erscheinens gebunden sind.

Zwei Extreme

Eines der ingeniösesten Beispiele filmischer Architektur vollzieht sich in einem fast vollkommen leeren Raum – in der berühmten, bei Bakersfield in Kalifornien gedrehten Maisfeldszene in Alfred Hitchcocks North by Northwest (Der unsichtbare Dritte, USA 1959). Die Landschaft im Film wird hier zu einem Lehrstück der Gestaltung der Landschaft eines Films. Roger O. Thornhill (Cary Grant), ein vermeintlicher CIA-Agent, wird von der schönen Doppelagentin Eve Kendall (Eva Marie Saint) in die Fänge der Spione geschickt, die ihm nach dem Leben trachten. Am Bestimmungsort angekommen, steht Thornhill allein auf weiter Flur und wartet in einer zunächst extrem ruhigen, dann zunehmend lebhafteren Schnittfolge auf sein Schicksal – dem er schließlich mit einem Knalleffekt entkommt.

Die fast zehn Minuten lange Sequenz beginnt mit einer Überblendung der Großaufnahme des Gesichts von Kendall mit einer Totalen auf die von einer geraden Straße durchzogenen Weite abgeernteter Maisfelder. Die letzten Töne der vorangehenden Musik verstummen. Das anschließende Geschehen kommt ohne Musik aus. In einer statischen Aufsicht sieht man aus der Ferne den Überlandbus heranfahren, dem Thornhill mitten im Niemandsland entsteigt. Der Bus verlässt die Szene am rechten unteren Bildrand. Man hört ihn noch, als er schon längst aus dem Blick ist. Es folgt ein ruhiger Wechsel von objektiven und subjektiven Einstellungen, die das ratlose Herumstehen und die suchenden Blicke des elegant gekleideten New Yorker Werbefachmanns zeigen. Die wenigen auf der staubigen Straße vorbeirauschenden Fahrzeuge betonen nur die Leere der Ackerlandschaft. Bald ist im Hintergrund das Flugzeug zunächst zu hören und dann zu sehen, aus dem die Angriffe auf Thornhill erfolgen werden. Es fungiert vorerst als ein weiterer Raumindikator, der die Grenzenlosigkeit der Szenerie markiert. In einem ebenso klaren wie stetigen Rhythmus zieht sich der sichtbare Raum anschließend immer stärker um die zentrale Figur zusammen, während die aus der Luft operierenden Attentäter ihr näher auf den Leib rücken. Der Raum und die Zeit der Episode werden artifiziell ausgedehnt, um schließlich an einem einzigen Punkt zusammengeballt zu werden.

Zum Witz dieser Sequenz gehört es, dass sich in einem Gelände, das dem gehetzten Helden keinerlei Schutz zu bieten scheint, dennoch zwei Fluchträume finden. Der erste ist ein zu Beginn beiläufig in den Blick gerücktes, noch nicht abgeerntetes Maisfeld, in dem Thornhill Unterschlupf zu finden sucht. Durch das Versprühen von Schädlingsbekämpfungsmitteln aus dem angreifenden Flugzeug wird er daraus vertrieben. Hustend und keuchend sucht er nach einem Ausweg. Durch ein links und rechts von Maishalmen umrahmtes Blickfenster sieht Thornhill auf der Straße einen Tanklastwagen heranfahren. Der erstickende Innenraum gewährt eine Aussicht ins Freie. Thornhill rettet sich, indem er den Tanklaster in letzter Sekunde zum Anhalten zwingt. Großaufnahme der heranfahrenden Kühlerhaube des Lastwagens; Hupen, Bremsgeräusche. Schnitt. Großaufnahme des panischen Gesichts von Thornhill; Hupen, Bremsgeräusche. Schnitt. Großaufnahme der Kühlerhaube; Hupen, Bremsgeräusche. Schnitt. Naheinstellung: Thornhill lässt sich unter das Führerhaus fallen; Bremsgeräusche. Schnitt. Naheinstellung: Thornhill liegt unter dem Lastwagen; Motorengeräusche. Der Raum hat jetzt seine geringste Ausdehnung erreicht. Die Weite der Landschaft ist gänzlich verschwunden. Schnitt. Naheinstellung: Thornhill blickt in Richtung des heranfliegenden Doppeldeckers; Motorengeräusche. Schnitt. Erweiterte Einstellung: Das schwankende Flugzeug steuert auf den Lastwagen zu; Motorenlärm. Schnitt. Totale: Straße, Felder; das Flugzeug kracht in den hinteren Tank des Lastwagens; Explosion; einsetzende dramatische Musik. Die Musik markiert den Anfang des Endes der Episode und mit ihr die Auflösung ihrer Spannung. Während der finalen Einstellungen geschieht wieder eine zunehmende Öffnung des filmischen Raums, in dem es zu einem komödiantischen Abschluss kommt.

Einen umgekehrten Fall der Raumkonstruktion präsentiert der Film Cube von Vincenzo Natali (CAN 1997). Verschiedene Personen, die nach und nach zu einer Gruppe zusammenkommen, finden sich auf – ihnen wie den Zuschauern – unerklärliche Weise in einem gigantischen Areal wieder, das aus großen, von einem indirekten Licht farbig beleuchteten Kuben besteht, an deren Wänden rätselhafte, wie technische Zeichnungen aussehende Ornamente zu sehen sind. Der Film führt Figuren und Betrachter durch diesen Irrgarten von – wie sich herausstellt – 17577 zirkulierenden Würfeln in einem riesigen Würfel, von denen einige mit tödlichen Fallen ausgestattet sind. Diese Räume im Raum lassen sich zwar füreinander öffnen, jedoch nur, um sich bald darauf wieder automatisch zu schließen. In dieser Situation, in der sich der gesamte Film abspielt, gibt es mit Ausnahme der letzten Einstellung kein Draußen – und daher auch kein schützendes Drinnen. Abgesehen von dem am Ende der Handlung erreichten Kubus führt keiner in einen Raum außerhalb der alles umgebenden Hülle. Und auch dieser tritt nur als eine gleißende Helligkeit in Erscheinung, in der die einzig überlebende Figur verschwindet, ohne dass in ihr etwas sichtbar würde. Das Publikum wird mit Konfigurationen des Raums und der Zeit unterhalten, die um vieles weiter reichen als diejenigen, die der filmische Verlauf durchmisst.

Die Extreme eines fast vollkommen offenen und eines fast vollkommen geschlossenen Raums zeigen, dass der filmische wie der architektonische Raum nicht gedacht und nicht hergestellt werden kann ohne Bezug zu einem äußeren Raum und damit zu einem Gefüge von inneren und äußeren Räumen. Wie die Architektur ist der Film ein Geschehen von und zwischen Räumen, und insofern immer das Ereignis eines Raums, das durch Gebäude eröffnet und durch Filme einer dynamisierten Imagination zugeführt wird. Eine anthropologische Konstante macht sich dabei gleichermaßen in der buchstäblichen wie der filmischen Architektonik bemerkbar. Im bloßen Drinnen drohen wir zu ersticken; im bloßen Draußen drohen wir uns zu verlieren. In der einen Lage verlangt es uns nach der anderen. Dieses antagonistische und darum labile Begehren führen die Landschaften des Kinos ein ums andere Mal vor. So sehr das Kino aber – mal heiter, mal düster, mal grausam, mal tröstend und nicht selten in allen diesen Modi zugleich – mit diesem doppelten Verlangen spielt, es spielt auch mit seiner doppelten Erfüllung. Denn es hält im Draußen immer ein Drinnen und im Drinnen immer ein Draußen offen.

Ein Ende

Diese Offenheit des filmischen Raums dramatisiert auch die finale Sequenz von John Fords The Searchers. Während der Western-Song zum zweiten Mal erklingt (nachdem zuvor das musikalische Leitmotiv den letzten Stimmungsumschwung mitgestaltet hat), zieht sich die Kamera in den Innenraum eines Farmerhauses zurück und lässt den ruhelosen Ethan Edwards in der Weite der Prärie einem ungewissen Schicksal entgegengehen. Diese Schlusseinstellung nimmt mit umgekehrter Bewegung die allererste Einstellung wieder auf, die sich in der Mitte des Films bereits einmal wiederholt hat. Am Ende des Films, bei der zweiten Wiederholung, bringt Ethan nach langen Jahren der Suche die von den Indianern entführte Debbie (Natalie Wood) zu den Nachbarn ihrer ermordeten Eltern zurück. Mr. und Mrs. Jorgensen (John Qualen/Olive Carey) nehmen die junge Frau fürsorglich in Empfang und geleiten sie in ihr Haus, der Kamera entgegen, die sich rückwärts ins Innere des Hauses bewegt. Wieder füllt der Ausschnitt der Tür und mit ihm der Anblick der hellen Landschaft nur noch etwa ein Drittel der Leinwand aus, wie zu Beginn schwarz eingerahmt von der Wand des Innenraums. Ethan Edwards macht einige Schritte auf die Haustür zu, dreht sich um, lässt Martin Pawley (Jeffrey Hunter) und Laurie Jorgensen (Vera Miles), das wieder vereinte junge Paar, vorbei, wendet sich dem Haus zu, zögert, dreht ab und schreitet langsam davon. Daraufhin schwingt die Tür des Hauses zu. Sie wird jedoch von niemandem, von keiner Figur im Haus geschlossen. Alle Charaktere sind nach rechts abgegangen, die Tür aber schließt sich von links. Kein Geräusch der Klinke ist zu hören. Gleichzeitig wird das sentimentale Lied von Akkorden der aufwühlenden Orchestermusik abgelöst, mit der der Vorspann des Films begonnen hatte (womit auch die dortige Reihung der Melodien umgekehrt wird). Mit dem Zugehen der Tür schließt sich der Raum des Films selbst. Mit der Weite wird zugleich die Nähe, mit dem Außen das Innen ausgeblendet. Keine Raumteilung geschieht mehr, es ist nur noch ein schwarzer Bildgrund da, auf dem das Insert The End erscheint. Die Leinwand wird wieder zu einer Wand, die nurmehr den Raum des Kinos begrenzt; sie fungiert nicht länger als Passage zu einem bewegten Raum in seinem Raum. Wie häufig in der Kunst leistet diese Selbstpräsentation des künstlerischen Mediums eine nochmalige Intensivierung dessen, was in der Art seiner Verwendung dargeboten wird. Das Schließen des Raums der Fiktion nämlich ist hier zugleich ein Ausschluss des Helden aus der Welt, die sie entwirft. Für eine Figur, bei der sich das beinahe Übermenschliche mit dem Unmenschlichen paart, gibt es in der Sphäre einer um Zivilisierung bemühten Gemeinschaft keinen Platz. Die Allegorie des filmischen Bildes konvergiert mit einer Allegorie der sozialen Ortlosigkeit des modernen Helden.

Diese Passage ist nicht nur ein Wahrzeichen des gespaltenen Begehrens zugleich nach einem bergenden Drinnen und einem befreienden Draußen, das die Erzählung vieler Filme antreibt. Sie demonstriert zugleich die grundsätzliche Ausschnitthaftigkeit des Filmraums, wie sie gerade dort gegeben ist, wo seine Einstellungen den Blick in eine offene Weite gewähren. Jeder Bezug auf Zustände und Ereignisse, das stellt diese Szene aus, geht im Film mit einem permanenten Entzug einher; alle Sichtbarkeiten des filmischen Geschehens erzeugen einen Horizont des in ihm Unsichtbaren, der spürbar auf alles innerbildlich Manifeste einwirkt. Zusammen mit dem Anfang lässt sich das Ende von The Searchers als eine Inszenierung der unsteten Rahmung deuten, der alles filmische Geschehen wenigstens potentiell unterliegt.

Raumimagination

Von dieser variablen Umgrenzung ist die filmische Raumbildung jederzeit geprägt. An ihr zeigt sich, dass der filmische Raum ungleich offener und geschlossener, dass er zugleich stabiler und