Die Männer aus dem Teufelsmoor - Hans Garbaden - E-Book

Die Männer aus dem Teufelsmoor E-Book

Hans Garbaden

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Beschreibung

Der Autor lässt uns eintauchen in eine vergangene Welt mit Beginn des 19. Jahrhunderts und der Schilderung des harten Lebens der ersten Generationen der Torfbauern, die das Teufelsmoor bei Worpswede besiedelten und kolonisierten. Die drei Söhne des Urgroßvaters des Autors gingen ganz unterschiedliche Wege: Der Jüngste bodenständig, der Älteste als Auswanderer nach Amerika, wo er Mitglied der Buffalo Bill Show wird, und der Dritte, der in Bremen mit Problemen kämpft, um mit dem Leben fertig zu werden. Eine Handlung, die durch Familienunterlagen und Kircheneintragungen zum Teil authentisch ist. Der biografische Roman endet im Grauen der Grabenkämpfe bei der Maas-Ardennen-Offensive im Ersten Weltkrieg. Auf der amerikanischen Seite kämpft der junge Sohn des Auswanderers gegen die Soldaten des Kaisers und auf der anderen Seite muss der jüngere Bruder seines Vaters gegen die Amerikaner kämpfen. Überlebt einer? Beide? Oder gehören Onkel und Neffe zu den Opfern dieses Krieges?

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Nach einer Episode als Schiffsjunge auf einem Stückgut-Frachter des Norddeutschen Lloyd machte Hans Garbaden eine Schriftsetzerlehre. Daneben nahm er Schauspielunterricht an der Niederdeutschen Bühne in Bremen. An der Meisterschule für Graphik, Druck und Werbung in Berlin schloss sich ein Fachstudium im Bereich Marketing an. Nach 17 Jahren in der Marketingabteilung einer Bremer Brauerei und zehn Jahren Tätigkeiten in internationalen Werbeagenturen in Hamburg wechselte er als Darsteller vor die Kamera. Seit 1997 in über 700 Filmund Fernsehproduktionen war Hans Garbaden als Episoden- und Nebendarsteller im Einsatz. Seit 1999 hat er als freier Mitarbeiter beim NDR in über 350 Sendungen wie „Aufgepasst Gefahr!“, „DAS!“, „Extra 3“ und als Sketchpartner von Hans Scheibner als Darsteller mitgewirkt.

www.hansgarbaden.de

Inhaltsverzeichnis

DIEDRICH 1879

GEORG 1883

CLAUS HINRICH 1885

JOHANN 1892 - 1906

CLAUS HINRICH 1890

GEORG 1895

MATO JOHN 1902 -1915

JOHANN 2007 - 2017

MATO JOHN 1917

JOHANN UND JOHN 1918

MÜTTER UND WITWEN 1930

In Flanderns Feldern

In Flanderns Feldern blüht der Mohn

zwischen Kreuzen, Glied in Glied

und weit, weit über uns da fliegt

eine Lerche, kaum vernommen

in einer Welt, die sich bekriegt

Wir sind die Toten. Lang ist es nicht

da lebten wir in des Tages Licht

liebten und wurden geliebt,

und nun liegen wir in Flanderns Feldern

Führt fort die Wehr gegen den Feind

Nehmt aus unserer fahlen Hand

die Fackel und seid das Licht, das scheint.

Verwehrt uns diese Bitte nicht

auf dass wir ruhen, wenn die Blüte bricht

in Flanderns Feldern

John MCrae

EINS DIEDRICH 1879

Nach dem über Worpswede hinweggezogenen Maigewitter mit Blitz und Donner setzten schwere Regengüsse über der kargen Landschaft des Teufelsmoores ein.

Der Mooranbauer Diedrich Garbaden und seine Frau Anna Catharina schafften es gerade noch rechtzeitig vom Torfstich zurück in ihre moosbedeckte Bauernkate. Schon während ihrer Arbeit, bei der Diedrich den Torf stach und Anna Catharina die Soden mit einer Schubkarre zu ihrem Trockenplatz brachte, setzten bei ihr die Wehen ein.

Sie hatten nicht mehr auf ein weiteres Kind gehofft. Nach zwei Söhnen, Claus Hinrich im Jahr 1864 und Georg im Jahr 1871 und zwei Totgeburten glaubten Dietrich und Anna Catharina nicht mehr an weitere Kinder. Aber jetzt im Mai 1879 erwartete Anna Catharina doch noch ein Kind.

Die von Diedrich schnell herbei gerufene Nachbarin Wübbeke Tietjen, die in ihrem Leben schon sieben eigene Kinder zur Welt gebracht hatte, half bei der Entbindung. Es war ihr nicht schwergefallen, das Melken der Ziegen auf ihrem nahe gelegenen Hof zu unterbrechen.

Kurz nachdem das Wasser in dem über der Feuerstelle im Flett hängenden Kessel kochte, war es soweit: Ein Junge!

Es wurde also nach Claus Hinrich und Georg ihr drittes Kind. Die Geburt verlief diesmal, 15 Jahre nach der Geburt ihres ersten Jungen, ohne Komplikationen.

„Johann soll er heißen, nach meinem Bruder im Ort Teufelsmoor“, sagte Diedrich, dem seine 65 Lebensjahre im Moor anzusehen waren. Von Statur groß und kräftig, hinterließen die Jahrzehnte schwerer Arbeit als Moorbauer ihre Spuren. Mit seiner leicht gebeugten Figur und dem schleppenden Gang wirkte er deutlich älter. Jetzt freute er sich darauf, dass ihnen in einigen Jahren ein dritter kräftiger Junge bei der Moorkolonisierung auf ihrem Stück Land zur Hand gehen würde.

Auch die beiden Söhne Claus Hinrich und Georg waren inzwischen von den unergiebigen Weiden zurück gekommen, von wo sie die Kuh, die Schafe und ihre Ziegen vor dem schweren Unwetter in die Sicherheit des heimischen Stalls brachten.

Schweigend standen die beiden Jungen jetzt neben ihrem Vater und Wübbeke Tietjen vor der Butze, in der ihre Mutter auf dem mit Heidekraut gefüllten Kissen lag und glücklich den kleinen Johann in ihren Armen hielt.

Bis ins Mittelalter wurde das Teufelsmoor nur in den Randgebieten landwirtschaftlich genutzt. Ende des 17. Jahrhunderts begann die Kolonisierung des Teufelsmoores als Torfabbaugebiet. Jungbauern aus den Grenzgebieten der Moore betrieben vorher eigenmächtig Torfstiche und machten die Abbaustellen urbar. Im Jahre 1718 übernahm die kurhannoversche Regierung die Herzogtümer Bremen und Verden nach 67-jähriger schwedischer und dreijähriger dänischer Herrschaft. Sie entwickelte Pläne, das Teufelsmoor unter staatlicher Lenkung planmäßig zu kultivieren. Damit wurde die wilde Nutzung der Moorflächen beendet, und die Kolonisierung wurde vom hannoverschen König befohlen, der den Moorkolonisator Jürgen Christian Findorff 1751 mit der Umsetzung betraute.

Um die Hofstellen bewarben sich Knechte und Söhne, die wegen eines älteren Bruders keine Erbrechte auf den elterlichen Hof besaßen. Die jetzt selbständigen Moorbauern mussten ihre Freiheit auf eigenen Höfen teuer bezahlen.

Auf den sumpfigen Wegen musste das Bauholz für die einfachen Katen herangeschafft werden. Später wurden Gräben und Kanäle angelegt. Sie bildeten das Verkehrsnetz. Bis auf dem moorigen Grund feste Wege angelegt waren vergingen Jahrzehnte. Die Arbeiten in dem überaus feuchten Klima machte den Menschen schwer zu schaffen. Die durchschnittliche Lebenserwartung im Moor war unter diesen Umständen nicht sehr hoch.

Als die ersten Moorkolonien gegründet wurden, bekam jeder Anbauer etwa 50 Morgen Moor zugebilligt. Es war artenarmes Land. Der Boden zu sauer, zu nass und nährstoffarm. Dazu gab es neun Morgen Saatland, zwei Morgen für die Hofstelle, für den Garten und den anzulegenden Entwässerungskanal. Weiter 15 Morgen Torfstich und 24 Morgen Wiesenland, auf dem noch kein Grashalm wuchs. Die Regierenden versprachen sich von solchen Landabgaben für später neue Steuereinnahmequellen. Ein weiterer Grund für die Siedlungspolitik war auch, die Moorbauern unabhängig zu machen, in dem sie für ihre Ernährung durch die Erträge auf ihrem Land selbst sorgen konnten.

Diedrich Garbaden wurde am 4. September 1824 in dem Ort Dorfmoor geboren. Am 29. Januar 1864 heiratete er im Alter von 40 Jahren die 18jährige Anna Catharina Bremer aus Kleinmoor. Nach der Heirat wurde ihnen eine Parzelle aus staatlichem Eigentum auf einem ungenutzten Stück Hochmoor in Lüninghausen zugewiesen. Eine sechsköpfige Familie sollte auf diesem in der Nähe Worpswedes gelegenen Stück Moor ihr Auskommen finden.

Diedrich erhielt den Anbauplatz in völlig rohem Zustand. Die Damm- und Grabenarbeiten wurden ihm unter Aufsicht der Grabenmeister unter Leitung des Mooramtes übertragen.

Als Starthilfe erhielt er Bauholz, Getreidesaat und ein paar Obstbäume. Viehhaltung war auf diesem Boden ohne Weideflächen noch nicht möglich. Der Torfabbau und Verkauf musste genug Geld zum Überleben bringen. Was Diedrich lockte, war die Aussicht auf Eigentum und die Befreiung von Steuern für die erste Zeit. Für jüngere Anbauern war auch die Befreiung vom Militärdienst mit ausschlaggebend.

Diedrich konnte auf dem nassen Moorboden vorerst nur eine einfache Kate errichten. Mit wenig Geld und Hilfe der Nachbarschaft wurde sie gebaut. Aus den staatlichen Forsten wurden ihm kostenlos Baumstämme zur Verfügung gestellt. Dreieckswände mit Tür und Fenstern bildeten die Vorder- und Rückseite der Kate. Die Dächer reichten seitlich vom First bis auf den Boden. Das Moor lieferte ihm weiteres Baumaterial. Das Dachgerüst wurde mit Heideplaggen belegt, die Diedrich mit der Handkarre herbeischaffte. An der Vorder- und Rückseite der Kate wurden die Holzgerüste mit Torfsoden verfüllt.

Nachdem Diedrich auf dem von ihm angelegten Buchweizenfeld das erste Korn mit der Sense geerntet hatte, wurden die Soden auf dem Dach gegen das Stroh des Getreides ausgetauscht.

Als Diedrich die Gelegenheit bekam, von der Geest Lehm abzuholen, zögerte er nicht. Auch hier kam die Handkarre wieder zum Einsatz. Das schwere, leicht feuchte Material wurde in der Kate abgekippt. Nach drei Fuhren reichte die Menge, und der Lehm wurde von Anna Catharina und Diedrich mit ihren Holzschuhen festgestampft.

Als Anna Catharina und der kleine Johann nach der Begutachtung des neuen Familienmitglieds schliefen, saß der Rest der Familie im Flett um die offene Feuerstelle. Wübbeke Tietjen kümmerte sich auf ihrem Hof wieder um ihre Ziegen. Die eigenen Ziegen und ihre Kuh waren von dem achtjährigen Georg gemolken worden. Auch die Schafe standen an der anderen Längsseite der Kate in ihren Stallungen und machten sich über das Heu her, das Claus Hinrich ihnen in die Raufe gegeben hatte. Es war seine Aufgabe als älterer Sohn – er war 15 Jahre alt – für die Tiere zu sorgen. Aber auch beim Torfstechen musste er tüchtig mit anpacken. Wenn auf ihrem Acker der Buchweizen geschnitten wurde, war die gesamte Familie eingespannt.

Nur wenige Anbauern und nur die, deren Höfe an der Hamme lagen, besaßen ein Arbeitspferd. Wenn der Fluss bei Hochwasser das angrenzende Land überflutete, gedieh dort später auf dem kargen Boden Gras, um ein genügsames Arbeitspferd mit Futter zu versorgen.

Claus Hinrichs Traum war es, ein Pferd anzuschaffen, damit für die Familie die schwere Arbeit erleichtert würde.

Wenn er diese Idee äußerte, winkte sein Vater nur ab:

„Der Verkauf von Backtorf bringt nicht genug Geld. Es reicht einfach nicht für die Anschaffung eines Pferdes.“

Jetzt, nach der Geburt seines kleinen Bruders, war Claus Hinrichs Traum von einem Pferd in weite Ferne gerückt.

Diedrich kam vom Standesamt in Worpswede, wo die Geburt seines Sohnes Johann beurkundet worden war. Im Schapp auf dem Flett zog er eine Schublade auf und legte die schriftliche Bestätigung zu seiner Heiratsurkunde mit Anna Catharina und den Geburtsurkunden seiner Söhne Claus Hinrich und Georg sowie den anderen Familienunterlagen.

Jetzt stand er auf dem nassen Boden vor seiner Kate und kam ins Grübeln. Die ständige Feuchtigkeit war es, die mit dazu beigetragen hatte, dass eines ihrer Kinder 1867 nur 15 Tage überlebte und ein weiteres Kind 1874 eine Totgeburt war.

Sein Vater Claus in dem Ortsteil Torfmoor verlor zwei Ehefrauen durch das entbehrungsreiche Leben im Moor. Aber sechs Kinder sorgten auch dafür, dass der Vater die schwere Arbeit der Moorkolonisierung schaffte.

Geburtsurkunde Johann Garbaden

Dadurch hatte Diedrich sich erst spät zur Eigenständigkeit entschließen können. Den väterlichen Hof erbte sein Bruder, der zwei Jahre vor ihm geboren und somit der älteste Sohn war. Auch sein ältester Sohn Claus Hinrich würde den Hof erben. Aber was würde das Schicksal für Georg und Johann bereit halten, die ihr Glück irgendwann woanders suchen mussten?

Diedrich blickte auf das ihm zugewiesene Stück Land. Auf einer kleinen Anhöhe mit wenig Moorvegetation blieb sein Blick hängen. Dort wuchsen einige kleine Birken, Zwergsträucher wie Moosbeere, Wollgras, deren erste Fruchthaare schon ausgebildet waren, und ein paar Gagelsträucher. Ein Stück Land, auf dem nicht einmal seine Ziegen Nahrung fanden.

Hier sollte es stehen! Das Fachwerkhaus für seine Familie.

Er ging zurück in die Kate und sah, dass Anna Catharina reichlich Buchweizenpfannkuchen zubereitete. Der Torfrauch von der Feuerstelle zog hoch an das geschwärzte Gebälk und von dort durch ein Fenster ins Freie. Nachdem die Männer mit ihren Pfannkuchen versorgt waren, begab sie sich – noch von der Geburt geschwächt – in die Butze zu dem kleinen Johann.

Die Butze von Mutter und Kind lag an einer der Längsseiten der Kate, auf der sich drei Schlafstellen befanden. Eine für die Eltern und zwei für die Kinder. Auf der anderen Längsseite befanden sich die einfachen, offenen Verschläge für die Kuh, die Schafe und Ziegen. Als Streu wurde den Tieren abgemähte Heide hinein gegeben. Eine Aufgabe, die Claus Hinrich erledigte.

Nachdem die Buchweizenpfannkuchen gegessen waren, erklärte der Vater seinen Söhnen, worum es sich bei dem Besuch eines Beamten der Regierung vor einigen Tagen gehandelt hatte:

„Wir müssen bauen. Das hat der Mann gefordert. Bei der Ausweisung unserer Siedlungsstelle wurde – wie auch bei anderen Bauern – zur Bedingung gemacht, die Kate nach einer gewissen Zeit durch ein richtiges Fachwerkhaus zu ersetzen. Das Bauholz wird zur Verfügung gestellt und binnen eines Jahres muss das Haus stehen. Ich habe mit Zimmermann Lüder Helmken in Worpswede gesprochen. Aber wir drei und eure Mutter werden kräftig mit anpacken müssen.“

Claus Hinrich wurde hellwach:

„Wird das Haus auch einen Stall für ein Pferd haben?“

Der Vater schüttelte den Kopf:

„Daraus wird nichts. Unser Erspartes reicht doch nicht einmal für den Bau des Hauses. Unsere Nachbarn Cord Murken und Harm Geffken werden beim Bau helfen. Aber der Zimmermann muss bezahlt werden. Außerdem werde ich noch einen Kredit aufnehmen müssen. Erst wenn wir später die Möglichkeit haben, mehr Weideland zu bekommen, können wir an die Anschaffung eines Arbeitspferdes denken. Außerdem habe ich andere Pläne: Du bist als ältester Sohn Hoferbe und wirst, so hoffe ich, mit einer tüchtigen Frau in dem neuen Haus wohnen. Deine Mutter und ich werden uns dann in der alten Kate auf das Altenteil zurückziehen.“

Diedrich Garbaden legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes Georg:

„Auch du wirst mithelfen müssen.“

Der schweigsamere der Brüder sagte nur:

„Ich bin schon fast so stark wie Claus Hinrich.“

Der Moorbauer stand auf und ging wieder vor die schmale Tür der Kate. Dabei bekam er sofort nasse Füße. Die Regenschauer waren in ein leichtes Nieseln übergegangen. Er blickte auf den von ihm ausgehobenen Abzugsgraben, der die Kate umgab, um das schwammige Moor im Hausbereich zu entwässern. Das dunkle Wasser stand jetzt bis an die Türschwelle. So etwas würde es vor dem Fachwerkhaus auf dem Bulten nicht mehr geben.

Er ging in Gedanken die Finanzierung des Neubaus durch. Trotz der Zoll- und Kanalgebühren und Beträgen, die bei Deichüberquerungen fällig waren, wenn er seinen Torf nach Bremen verschiffte, war ein finanzieller Grundstock vorhanden. Mit der Aufnahme eines Kredits und überwiegend Eigenhilfe müsste der Bau zu schaffen sein. Voraussetzung war, dass er den Verkauf von Backtorf noch steigerte. Ihm war klar, dass er das nur mit Hilfe von Anna Catharina und den Söhnen schaffen konnte.

ZWEI GEORG 1883

Wieder gab es auf dem Hof der Garbadens eine Geburt: Liese, ihre Milchkuh kalbte.

„Ein Mädchen“, jubelte der vierjährige Johann, der bei der Geburt dabei sein durfte.

Vater Diedrich war froh, dass es ein weibliches Tier war. Sie würde sicher irgendwann wie die Mutter Liese reichlich Milch geben. Die Geburt verlief ohne Komplikationen. Tierarzt Dirk Boschen musste nicht gerufen werden.

Johann gab der kleinen Kuh auch gleich einen Namen: „Lotte soll sie heißen.“

Der Vater war einverstanden. Er war von dem kleinen Johann begeistert, der sich prächtig entwickelte. Ganz anders als sein ältester Sohn.

Der Baubeginn des Fachwerkhauses gestaltete sich nicht einfach. Das Haus sollte auf einem Bulten, der überwiegend aus Sand bestand, errichtet werden. Gleich am Anfang gab es Schwierigkeiten. Diedrich musste feststellen, dass sich unterhalb des Sandbodens noch Torfschichten befanden. Nachdem die abgebaut waren, musste Sand herbei geschafft werden, um die Grube damit zu füllen. Außerdem machten Unwetter mit Überschwemmungen die Arbeit zusätzlich schwer.

Während der Bau des Hauses trotz allem Fortschritte machte, war es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen dem Vater und seinem Sohn Claus Hinrich gekommen. Der Sohn, der sich oft im Pferdestall des Nachbarbauern herumtrieb, drängte den Vater, aus der alten, bald leer stehenden Kate mit wenigen Veränderungen einen Pferdestall zu bauen.

Diedrichs Pläne sahen anders aus. Milchkühe und eine kleine Schweinezucht würden soviel Ertrag bringen, dass die Darlehnsbelastungen reduziert werden könnten. Und auch die strapaziösen Torfverkaufsfahrten nach Bremen müssten nicht mehr so häufig gemacht werden.

Als Claus Hinrich zu einer dieser Fahrten mitkommen sollte, kam es zum Eklat.

„Statt auf Handkarren die ganze Ladung zum Anlegeplatz zu schaffen, könnten wir es doch einfacher haben, wenn wir ein Arbeitspferd anspannen würden“, schrie der Sohn seinen Vater an und verschwand zum Pferdestall des Nachbarn.

„Ich kann es nicht mehr hören. Du bist ja ein richtiger Pferdenarr“, rief sein Vater ihm nach. Aber das hörte Claus Hinrich nicht mehr.

Als Diedrich Garbaden seinen Sohn später zur Rede stellte, auf die noch laufenden Kredite für den Hausbau hinwies und mit Enterbung drohte, verließ Claus Hinrich das Haus mit der Bemerkung:

„Dann werde ich jetzt Hollandgänger.“

Diedrich ließ ihn gehen.

Hollandgänger waren Männer, die keinen Hof besaßen, aber auch Moorbauern, die ihre Roggen- und Buchweizenfelder auf ihren kargen Böden bestellten und die Pflege ihren Frauen und Kindern überließen. Sie selbst waren in den Niederlanden als Arbeitskräfte gefragt, als tüchtige Landarbeiter geschätzt und auch sehr gut bezahlt. Rechtzeitig zur Ernte kamen sie in die Heimat zurück.

Anna Catharina war nach der Geburt von Johann nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Trotzdem half sie beim Torfabbau, bei der Verschiffung und schob dabei auch die voll beladenen Karren. Die ständigen Streitigkeiten zwischen ihrem Mann und dem ältesten Sohn belasteten sie zusätzlich. Nicht ganz überraschend war sie vor einem Jahr verstorben.

So waren jetzt nur Vater Diedrich, der zwölfjährige Georg und der kleine Johann bei der Geburt des Kalbes im Stall.

Während Diedrich das Neugeborene mit Stroh trocken rieb, blickte er zu der Altkuh hoch:

„Gut gemacht, Liese.“

Der Bau ihres neuen Fachwerkhauses musste zügig bewerkstelligt werden, weil die Beamten des Mooramtes Diedrich in der Vergangenheit schon mehrfach mit Abmeierung, dem Entzug seiner Siedlerstelle gedroht hatten.

Die von den Ämtern zur Kolonisierung des Moores zur Verfügung gestellten Parzellen und das kostenlose Bauholz für eine einfache Kate war mit der Verpflichtung verbunden, kurzfristig ein Fachwerkhaus zu errichten. Eine für Diedrich fast unmögliche Aufgabe. Aber die Ämter legten die Vorschrift mit der Zeitspanne sehr großzügig aus, weil sie um die schwierigen Lebensverhältnisse der Moorsiedler wussten.

Den Sand für die Verfüllung und Erhöhung des Bultens schaffte Diedrich mit seinem Torfkahn in mehreren Fuhren heran. Das Eichenholz stellte wieder die staatliche Forstverwaltung zur Verfügung. Auch das musste auf dem Wasserweg heran geschafft werden; genau wie die Findlinge, auf denen die Eichenschwellen beim Bau gelagert wurden. Auf den Rahmen der Eichenschwellen stellte Zimmermann Lüder Helmken das Fachwerk des Hauses. Die Stämme wurden mit der Zweihandsäge von Helmken und Diedrich zu Balken aufgeschnitten. In die Fächer des Fachwerkes setzten sie Gitter aus Knüppeln, die mit Stroh durchflochten waren. Von der Geest holte Diedrich mehrere Fuhren Lehm, mit dem die quadratischen Gitter verputzt wurden.

Wie schon bei der Errichtung der Kate war die Beschaffung des Lehms nicht einfach. Die Geestbauern, die seit Generationen ihre Höfe besaßen und deutlich besser gestellt waren als die Moorkolonisten, sahen es nicht gern, wenn diese aus ihren Lehmkuhlen einige Fuhren mit dem Handkarren abholten.

Diedrich hatte den am nächsten gelegenen Bauernhof in der Geest angesteuert. Gevert Schnaars, Besitzer einer der größten Höfe in der Gegend, reagierte sehr unwirsch. Letztlich gestattete er dem Bittsteller großzügig, die benötigte Menge abzufahren.

Der zwölfjährige Georg bekam die Aufgabe, die Lehmwände weiß zu kalken.

Wie in ihrer Kate bestand auch hier die Diele aus festgestampftem Lehm. Rechts und links lagen die offenen Stallungen ihrer Tiere. Lotte mit dem Kalb, Ziegen und Schafe, von denen zwei gelammt hatten. In einem festen Stall lag ein Schwein. Eine Sau, die gedeckt worden war. Diedrich hoffte auf viele Ferkel.

Durch eine kleine Seitentür wurde der Dung nach draußen geschafft. Der Misthaufen und die Jauchegrube lagen neben dem Haus. Eine getigerte Katze sorgte dafür, dass sich keine Mäuse über die Speisevorräte hermachten.

An der Stirnseite der Diele lag die aus Ziegeln gemauerte Herdstelle, über der ein gusseiserner Kessel hing. Der aufsteigende Rauch aus dem offenen Feuer zog durch die Uhlenflucht und durch die vierteilige Dielentür, bei der die oberen Türen bei guter Witterung immer geöffnet waren. Hinter der Feuerstelle lagen die Kammern mit den Schlafbutzen. Sie waren durch Lehmwände getrennt. Eine Kammer für Vater Diedrich und zwei kleinere für Georg und Johann.

Die beiden würden zusammenrücken müssen und eine Kammer frei machen, falls Claus Hinrich wieder auftauchen sollte. Der Vater und auch die Brüder hofften sehr darauf.

Einen Steinwurf weit hinter dem Haus stand ihre roh gezimmerte Scheune. Darin war der Stall für die Hühner, die sich tagsüber im Umfeld des Hofes ihr Futter suchten. Auch einen Verschlag, in dem ein paar Gänse und Enten ihre Nächte verbrachten, gab es. Tagsüber gründelten sie auf einem von Vater und Söhnen angelegten Teich.

Neben der Weide für die Kuh Liese und ihrem Kalb bebaute Diedrich ein Feld mit Buchweizen.

Bevor die Saat ausgebracht werden konnte, musste auf dem krautigen Boden ein großflächiges kontrolliertes Feuer entfacht werden. Diedrich und Georg patroullierten an den Rändern und verhinderten ein Ausufern des Brandes.

Nach der Brandrodung war aus dem kargen Feld, auf dem kaum etwas gedieh, durch die Asche und ohne Dünger einzubringen, ein fruchtbares Stück Land entstanden. Der anspruchslose Buchweizen lieferte die Grütze für gekochte Klöße und Pfannkuchen. Die Hauptnahrung von Vater und Söhnen.

Diedrich Garbaden war durch den Hausbau, das Torfstechen und die Fahrten nach Bremen mit dem Verkauf des Torfes so ausgelastet, dass er nicht dazu kam, sich nach einer neuen Frau umzusehen.

Natürlich war ihm der Sohn Georg eine große Hilfe, aber die Hauptlast der Arbeit lag auf seinen Schultern. Nur abends im Bett, bevor er einschlief, dachte er daran, dass ihm eine Frau fehlte. Auch als Arbeitskraft war eine Frau im Haus unverzichtbar. Aber er dachte auch an seinen 1787 geborenen Vater Claus. Der überlebte auf seinem Hof in Torfmoor zwei Ehefrauen. Die schwere entbehrungsreiche Arbeit neben mehreren Geburten hatte die beiden Frauen früh ins Grab gebracht.

Diedrich spürte auch sein Alter von 59 Jahren. Nachdem er von seinem Ältesten seit ihrem Streit nichts mehr gehört hatte, setzte er seine ganze Hoffnung auf seinen Sohn Georg. Und dann gab es noch den kleinen Johann. Er war sich sicher: Der würde seinen Weg machen. Auch wenn sein älterer Bruder den Hof weiterführen würde.

Besuche zwischen seiner Familie und den Verwandten gab es kaum. Auch wenn es zwischen den Dörfern um Worpswede herum immer nur kurze Entfernungen mit beschwerlichen Wegen war, kosteten sie Zeit, die wegen der vielen Arbeit nicht vorhanden war.

Etwas intensiverer Kontakt bestand nur zur Nachbarin Wübbeke Tietjen, deren Kinder erwachsen waren. Sie mochte den kleinen Johann, der ihr seit seiner Geburt ans Herz gewachsen war, sehr gern. Besonders nach dem Tod seiner Mutter kümmerte sie sich liebevoll um ihn. Sie war eine propere, trotz ihres Alters noch sehr ansehnliche Frau. Als Witwe machte sie sich Hoffnungen die verstorbene Frau von Diedrich zu ersetzen. Sie verstand sich auf dem Hof, auf dem jetzt ihr ältester Sohn herrschte, nicht mit der Schwiegertochter. Ein Grund mehr, lieber heute als morgen den Hof zu wechseln. Das ließ sie Diedrich auch wissen. Er aber ging auf ihre deutlichen Signale nicht ein. Er rechnete immer damit, dass sein ältester Sohn Claus Hinrich einmal mit einer passenden Frau auftauchen würde und damit auf dem Hof wieder alles ins Lot käme.

Auch heute war Wübbeke Tiejen wieder gefordert. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Diedrich und Georg den getrockneten Backtorf auf ihren Kumpwagen zu ihrem Kahn schafften.

Ziehend und schiebend ging es über den moorigen Grund zum in der Nähe verlaufenden Schiffgraben. Nachdem der Backtorf an Bord verstaut war, wurde ihr Kumpwagen auf der Ladung festgeschnürt. Der Reiseproviant – in Tüchern eingewickelte Buchweizenpfannkuchen – wurde in der winzigen Kajüte am Bug des Kahns untergebracht. In der Kajüte befand sich neben der einfachen Schlafgelegenheit ein transportabler Ofen, der an kalten Tagen Wärme spendete. Bei länger dauernden Fahrten konnten sie darauf ein kleines Mahl zubereiten.

Der Torfverkauf sicherte ihren Lebensunterhalt. Es war höchste Zeit, diese Fahrt nach Bremen zu unternehmen, denn in Diedrichs Kasse war Ebbe und ein für den Verkauf bereit liegender Stapel Torfsoden war von der Sonne getrocknet. Auch der Wind schien heute günstig zu wehen.

Während Diedrich auf dem zum Schiffgraben parallel verlaufenden Treidelpfad den flachen Kahn Richtung Hamme zog, stand Georg an der Ruderpinne und achtete darauf, dass sie nicht an die Uferböschung stießen. Bei gutem Wetter kamen sie flott voran. Der Schiffgraben mündete nach einigen Kilometern in die Hamme. Diedrich sprang an Bord und gemeinsam setzten sie das einfache dunkle Segel. Da es inzwischen aufbrieste, passierten sie bald die Einmündung der Hamme in die Wümme.