Die Mohnblume am Lilienstein - Erwin Först - E-Book

Die Mohnblume am Lilienstein E-Book

Erwin Först

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Beschreibung

Jan Busch ein Realist und Lehrer am Gymnasium in Dresden. Er rettet auf seiner Studienreise durch Indien einer jungen Frau, namens Nalina, selbstlos das Leben. Während der Dankesfeier wird Jan gemäß einem Brauch hinterlistig mit ihr verheiratet. Doch passt sein Denken mit ihrer Kultur nicht zusammen und trennt sich von ihr. Durch einen Zufall bekommt er ein altes Geschichtsbuch geliehen, in dem es um einen Schatz am Lilienstein geht. Er versucht, diesen zu ergründen, und lernt dabei die Kunstmalerin Mali kennen. Mali veränderte durch ein Gemälde von ihr sein Denken. Wird es für sie beide eine Zukunft geben? Noch steht der Scheidungstermin seiner indischen Ehe bevor. Nach einigen Jahren treffen sich Jan und Nalina in Delhi zum Scheidungstermin. Was wird ihn erwarten? Denn überraschend steht Nalina vor ihm, und …

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ursprung: Bei einem Event, Malen im Freien 2020 in Dresden, erklärte mir eine Künstlerin ihren Malstil. Sie war gerade mit dem Bild beschäftigt, eine Mohnblume mit grauem Hintergrund zu malen. Davon noch beeindruckt, beobachtete ich in der Zuschauermenge ein junges indisches Ehepaar. Die Frau hatte einen wunderschönen Sari an. Kurze Zeit später, bestieg ich den Lilienstein und entdeckt eine Steinplatte mit Gravur. Diese drei Erlebnisse komponierte ich zu dieser Geschichte:

Die Mohnblume am Lilienstein.

Dass niemand den andern versteht, dass keiner, bei denselben Worten, dasselbe denkt wie der andere, hatte ich schon allzu deutlich eingesehen.

Johann Wolfgang von Goethe

Gewidmet: Manfred und Antje

Erwin Först

Die Mohnblume am Lilienstein

Roman

© 2023 Erwin Först

Website: https://www.erwin-foerst.de/

Coverdesign von: Timon Först

Illustration von: Erwin Först

Softcover: 978-3-384-11236-1

E-Book: 978-3-384-11238-5

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Erwin Först, Hartmut-Fiedler-Ring 12, 01809 Heidenau, Germany.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Ein schlimmer Tag in Delhi

Tramp-Urlaub in Indien vor vier Jahren

Das einmalige Hotel

Der Überfall

Eine Einladung mit Folgen

Die berauschende Dankesfeier

In einer anderen Welt erwacht

Auf dem Weg zum Hotel

Ein Hotel mit zwei Gesichter

Das unglückliche Leben von Nalina

Der erste Abend zu zweit

Der Bahnhof des Verhängnisses

Die Fahrt nach Delhi

Die Angst von Nalina

Die Entscheidung bei der Botschaft

Ein besonderer Abend für Nalina

Die Rückreise ins unbekannte Land

Die Entscheidung für zwei Wege

Ein letzter Versuch

Ein neues Leben beginnt

Die unbekannte Malerin

Der Sagenschatz

Die Galerie

Der phänomenale Fund am Lilienstein

Mali suchte dringend Jan

Sehe Dinge, die nicht da sind

Das neue Bild

Die Nachforschungen mit dem Bild

Das Treffen mit Mali

Eine unerwartete Entdeckung

Dem Ziel so nahe

Eine dramatische Verwechslung

Wie erging es Nalina

Die Situation mit Mario

Begegnung in Delhi

Die Erklärung von Jan

Die Besichtigung

Die Geschichte zum Taj Mahal war:

Eine furchtbare Erfahrung

Nalina suchte Jan

Im Mai beim Kaffeetrinken

Ein zufälliges Treffen mit Folgen

Mario der lustige Arbeitskollege

Die Überraschung

Die Reise nach Delhi

Nach vier Jahren

Epilog

Danksagung

Mein neues Buch

Die Mohnblume am Lilienstein

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Ein schlimmer Tag in Delhi

Mein neues Buch

Die Mohnblume am Lilienstein

Cover

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Ein schlimmer Tag in Delhi

Da saß Jan Busch, Lehrer aus Dresden, im Radisson Blu Plaza Airport in Indien. Im besten Anzug ohne Krawatte. Er kam mit der mittags Maschine an und prallte beim Aussteigen in die volle Hitze, die im Oktober herrschte. An dieser Stelle in der behaglichen, wohltemperierten Hotel-Lounge, sinnierte er bei seinem zweiten Cocktail. In der Meinung, dass dieser ihm verhelfen würde entspannter zu werden. Er hatte extra ein Fünf-Sterne-Hotel gewählt, um einen Gegenpol zu seiner Stimmung zu finden. Komischerweise war die Inneneinrichtung zum Teil schwarz gehalten. Schwarzbrauner Marmor an den Wänden und dämmriger Boden. Die Zimmer waren mit Möbeln aus Mahagoni und schwärzlichem Kunstleder de luxe gestaltet. Der Speisesaal war mit nachtfarbenen Stühlen, die mit roten Sitzpolstern versehen waren, ausgestattet. Oder spiegelte das Äußere ungewollt sein Inneres wider? Eine Ausnahme war der Pool. Wie gemalt hellblau und ein absoluter Traum, den er zur Abendzeit benutzen wollte. Sein Cocktail schmeckte dem Anlass entsprechend, mit Früchten verziert, die er nicht kannte und über die er nichts wissen wollte. Die Außentemperaturen in Delhi betrugen 33 Grad, abends bis 21 Grad. Die beste Reisezeit war jetzt vom Oktober bis Mai, weil die Monsunzeit vorbei war. Von da ab die Temperaturen langsam bis zu 36 Grad im Mai angestiegen waren. Das kannte er von seiner letzten Reise in Indien alles zu Genüge.

Er sog an seinem Strohhalm und dachte unwillkürlich darüber nach, wie die letzten vier Jahre im Handumdrehen vergangen waren. Seine Lippen zeigten ein verzerrtes Schmunzeln bei dem Gedanken, weshalb er hier saß. Denn seinen jetzigen Aufenthalt, seine Lebensumstände der letzten Jahre inbegriffen, hatte er einen tollwütigen Hund zu verdanken. Ja, man sollte es nicht glauben, ein wildes, bösartiges Tier war der Auslöser, der sein Leben vorgegeben hatte. Man liest über unglaubliche Begebenheiten, wie: Menschen, die sich in Sekunden verliebten und ihr Leben miteinander verbrachten. S-Bahn-Verspätungen, die dafür sorgten, dass man seinen Flug nicht erreichte und überlebte. Eine grüne Ampel, die nicht überquert wurde und ein Unfall geschah, sowie Träume, die einem verhalfen, die richtigen Entschlüsse zu fassen. Nach seiner Meinung war das Schlimmste, urplötzlich in Konfrontationen zu geraten, von denen man sich hinterher nicht mehr befreien konnte. Das traf besonders zu, wenn Gefühle bei Entscheidungen mitwirken, bzw. Bauchgefühle die Führung übernahmen.

Matthias Nöllke, Autor des Buchs Entscheidungen treffen erklärt, wieso das so ist. »Wer auf seinen Bauch hört, bei dem gibt vielleicht ein Zufall den Ausschlag, die Stimmung, die Tageszeit, die Reihenfolge der Argumente.« Ein weiteres Argument gegen eine Bauchentscheidung war: Man ist einseitig und lässt wesentliche Informationen außer Acht, die für eine kluge Entscheidung wichtig wären.«

Das sah er als Realist genauso. Unwiderruflich war man ein Gefangener der Gefühle oder Empfindungen. »Gedanken sind die Schatten unserer Empfindungen — immer dunkler, leerer, einfacher, als diese«, sagte Friedrich Wilhelm Nietzsche. Jan musste sofort wieder einen Schluck zu sich nehmen, um sein Gleichgewicht zu wahren. Wie bekannt, sagt man, dass Alkohol momentan alles entspannter erscheinen lässt. Dass Erwachen wiederum ein Problem ergeben konnte. Dieses Ergebnis zeigte sich wahrhaft bei ihm. Eine Angelegenheit, die ihm Jahre anhaftete und weshalb er hier war.

Um die Kühle der Nacht zu genießen, setzte er sich mit seinem dritten Cocktail in Sicht des Pools und seine Gedanken flogen um vier Jahre zurück.

Tramp-Urlaub in Indien vor vier Jahren

Jan Busch wuchs in einer Einelternfamilie auf. Seinen Vater hatte er nie kennengelernt. Seine Mutter Gudrun war eine Frau, die sich an Regeln, Geld und Fleiß klammerte. Gudrun hatte ihr Leben genauestens im Griff. Ihre Aufgabe sah sie darin, sich ausschließlich darum zu kümmern, dass es Jan einstmals besser ergehen sollte als ihr. Gudrun sorgte dafür, dass sein Leben hauptsächlich aus Studieren bestand, um sein gestecktes Ziel, in seinem Fall Lehrer zu werden, zu erreichen. Gudrun erzog Jan zu einem Realisten, weil ihr die Träume versagt geblieben waren oder genommen wurden. Sie meinte, dass ein realistischer Persönlichkeitstyp besser mit der physischen Welt umging. Dass ein Realist unabhängig, praxisbezogen, stark und konservativ war. Desgleichen in absoluten Zahlen dachte, anstatt sich durch Gefühle beeindrucken zu lassen. Das würde nach ihrer Meinung Bedeutsames bringen, statt sich Träumereien hinzugeben. »Träume sind wie Schäume«, sagte Gudrun. »Davon kann man sich nichts kaufen und wird nicht satt. Fantasien sind Hirngespinste, die keiner braucht.«

Jan lernte auf diese Weise nicht mit Gefühlen anderer umzugehen, und sah vieles nüchtern an. Mit allem, was mit Frauen zu tun hatte, machte seine Mutter im Vorfeld den Garaus. Mit ihrer Kernaussage. »Zuerst die Ausbildung abschließen, eine Sicherheit schaffen, erst danach sollte man sich nach einer Frau umsehen. Möglichst eine Wohlhabende, damit der Start besser verliefe«, erklärte sie ihre „Philosophie“. Seine Zukünftige musste eine gebildete, hochstehende Frau sein, die weiß, was sie will. Das war nach ihrer Meinung die Beste für Jan, gemäß seiner Ausbildung.

Ihre Meinung kam daher, weil sie sich um alles kümmern musste. Kein Stück geschenkt bekam und sich nichts gönnte. Gudrun betrachtete alles vom Verstand her und gab das an Jan weiter. Das bedeutete nicht, dass Jan keine Freundinnen hatte oder asketisch lebte. Nein! Er war wie alle jungen Männer, nur wog er bei Beziehungsfragen die Situation ab mit. »Was wäre, wenn?«. Danach entschied er sich nüchtern für seinen Weg, zuerst Lehrer zu werden. Einige seiner Mitstudenten hatten eine feste Beziehung, manche sogar mit Kindern. Das sah Jan als eine dreifache Belastung an und beobachtete, wie viele Probleme das beim Studieren mit sich brachte.

Jan war 1,75 Meter, braunem Kurzhaarschnitt, kurzen Bart an Kinn und Oberlippe sowie Brillenträger. Seine Augen waren hellblau glanzvoll, seine Lippen besaßen einen schönen Amorbogen. Er hatte als Lehrer eine sportliche Figur und liebte Nordic Walking. Jan hatte eine gedämpfte, tiefe Stimme und war mehr der gelassene Typ. Das musste er bei den Schülern sowieso sein, um sich nicht aus der Ruhe oder Reserve locken zulassen. Jan legte sein Abitur ab, schloss nach seinem Studium mit der Ersten Staatsprüfung ab und befand sich in der zweiten Phase. Das war das zweite Jahr des Vorbereitungsdienstes (Referendariat).

Der Vorbereitungsdienst für ein Lehramt in Sachsen dauert drei Unterrichtshalbjahre und schließt mit der zweiten Staatsprüfung ab. Jan wollte als Lehrer an einer höheren Schule arbeiten, und seine Schüler bis zum Abschluss der Sekundarstufe II hin unterrichten.

Der Verdienst eines Lehrers in Sachsen war nicht schlecht und lag nach Berufsjahren ab 3.000 Euro im Monat. Genau das war die Sicherheit, die er sich wünschte. Danach erst würde er weitere Schritte unternehmen. Jan war 26 Jahre alt, der Abschluss war in naher Reichweite und dauerte kein Jahr mehr. Um selbstständiger zu werden, hatte er sich eine eigene Drei-Zimmerwohnung eingerichtet. Weil es in seinem Alter nicht gut war, bei seiner Mutter zu wohnen. Sein Besucherzimmer diente als Studienraum für seine zahlreichen Studien- und Geschichtsunterlagen. Irgendwann beabsichtigte er in der weiteren Zukunft, sich ein Eigenheim zu kaufen. Das war seine feste realistische Planung, ohne dass was dazwischenkommen sollte.

Sein absolutes Lieblingsfach und Hobby war Geschichte. Deshalb plante er seit vielen Jahren, in den kommenden Sommerferien eine geschichtliche Rundreise durch Indien zu unternehmen. Er sehnte sich danach, dieses großartige Land zu erkunden und hatte viele Vorbereitungen, was seine Besichtigungspunkte betraf, getroffen.

Damit wollte er speziell die englische Periode in Indien kennenlernen. Jan wollte nicht von einem Reisepunkt zum nächsten Zielpunkt hetzen, sondern alles in Ruhe verarbeiten und dokumentieren. Dieses Land bot ihm zu diesem Zweck unerschöpfliche Möglichkeiten und hatte sich genauestens eingelesen. Was ihm fehlte, war, es persönlich zu sehen und mit seinen eigenen Augen zu erfassen.

Um dieses nicht im Touristen-Schnelldurchlauf zu tun, war er mit einem Trekking-Rucksack und speziellen Nordic Walking Stöcken auf der Reise. Dazu eine Fotoausrüstung, Handy mit den heruntergeladenen Landessprachen und Hut unterwegs. Hauptsächlich fuhr er mit der Eisenbahn, dem Bus und war zwischendurch zu Fuß auf Reisen. Zig Kilometerweite Distanzen lief er quer durch das Land, zum nächsten Bauwerk, Denkmal oder zur nachfolgenden Haltestelle. Jan hatte sich hierfür einen scharfen Lauf angewöhnt. Schob seinen schwarzen Hut in der Hitze in Position, um alles zu besichtigen und die Bevölkerung kennenzulernen. Jan merkte auf seinen Strecken, dass man mit Englisch überall durchkam und sich die wichtigsten Informationen damit einholen konnte. Er fand, dass es ein herrliches Leben war, unabhängig von den Reiseveranstaltern durch das Land zu tingeln. Allerdings war in den Dörfern, die er durchquerte, eine Verständigung mit der Sprache oft nicht gegeben. Dafür waren die Menschen gastfreundlich und neugieriger als andere.

Jan meinte, die beste Urlaubsentscheidung seit Jahren getroffen zu haben. Natürlich nahm er die schlimme Armut wahr. Wie Menschen in den einfachsten Verhältnissen zurechtkamen, oder fortbestehen mussten. Oft nie die Chance hatten, ihre Lebensqualität zu verbessern oder geschweige herauszukommen. Hauptsächlich die Frauen sah er als gebrandmarkt für das Leben, dort zu sein und zu sterben. Manchmal blieb er stehen und konnte nicht begreifen, wovon und wie die Menschen hier lebten. Das war in erster Linie von der Landwirtschaft, vermutete er. Alles auf den Dörfern war furchtbar primitiv und armselig. Gerade er als Lehrer erkannte die Defizite in der Bildung, zwischen Männern und Frauen. Wenn er die Erziehung und die Ziele dieser jungen Menschen im Vergleich zu seinen betrachtete, konnten die Unterschiede nicht größer sein.

Seine Mutter hatte es ihm vorgelebt und ihn dazu erzogen seine Ziele zu erreichen. Was für andere den Anschein erweckte, dass Jan ein Sonderling oder „Streber“ war. Trotzdem war er umgänglich und Werte wie Wort halten und konsequent sein, hatten bei ihm Priorität. Darauf pochte seine Mutter und sie zitierte jeweils das Sprichwort von Lucius Seneca:

»Den Charakter kann man auch aus den kleinsten Handlungen erkennen.«

Seine Schüler erzählten unter sich, dass sie glaubten, dass er mit Geschichtsbüchern ins Bett gehen würde. Er wusste alle Daten und Geschehnisse aus dem Gedächtnis und konnte die Zusammenhänge gut und lebhaft erklären. Für die Schüler war es jeweils ein lebendiger Stoff, als ob sie einen Film vor sich sehen würden, den er ihnen nahebrachte. Dafür hatte er keinerlei Bezug zudem, was in Richtung Kunst, Fantasie oder ins Abstrakte ging.

Jan war ein Realist. In seiner Persönlichkeit selbstsicher, wenn es darum ging, seinen Körper zu benutzen, um mit der physischen Welt zu interagieren. Er war athletisch, gut koordiniert, und seine mechanischen und sportlichen Fähigkeiten stark ausgeprägt. »Ich bin ein realistischer, unabhängiger Persönlichkeitstyp. Löse gerne konkrete, anstatt abstrakte Probleme und tue gern Körperliches«, waren seine Worte, wenn er befragt wurde.

Realistische Persönlichkeiten können gut mit der physischen Welt umgehen, was oft bedeutete, dass sie unabhängig, praktisch, stark, und manchmal konservativ waren. Leider war seine negative Seite, dass die Kommunikationsfähigkeit mit der Frauenwelt weniger gut war. Weil Realisten eher dazu neigen, in absoluten Zahlen zu denken.

Wie stand das dagegen, was die Ziele der jungen Menschen in Indien auf dem Land betraf. Hatten sie die Möglichkeiten ihre Qualitäten oder Vorlieben zu fördern? Wohl kaum. Am allerwenigsten die Frauen. Offensichtlich hatte sich bei ihnen seit Jahrhunderten nichts verändert und würde mit Ausnahmen so bleiben. Obwohl die Frauen, die meiste Arbeit verrichteten, lebten und starben sie unbeachtet. Die Bevölkerung auf dem Lande war auffallend freundlich und er konnte sich an den bunten Saris nicht sattsehen. Wie viele davon hatte er fotografiert. Besonders die dunkelbraunen Frauen hatten es ihm angetan. Weil sie geheimnisvoll aussahen und übten einen besonderen Reiz und Faszination auf ihn aus.

Jan liebte Tee zu trinken und genoss das in Indien in vollen Zügen, sowie vegetarische Speisen. Das zeigte sich daran, dass er kein empfindlicher Typ war, sondern das wahre Leben schätze und nahm, wie es kam. Er schlief ab und zu in primitiven Hütten bei Familien, um ihnen mit den Übernachtungskosten zu helfen. Zwischendurch zum Ausgleich wieder in Hotels. Das war eine Bereicherung für sein ganzes Leben. In diesem Maße die Bevölkerung und die Umstände in denen sie lebten, kennenzulernen.

Vier Wochen war er bereits unterwegs und hatte die Besichtigung von Jaipur hinter sich gelassen.

Gemäß einer Erklärung war Jaipur mit über drei Millionen Einwohnern die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Rajasthan. Die Stadt war voller Zeugnisse der königlichen Familie. Diese regierte einst über die Region und gründete 1727 die heutige Altstadt oder „Pink City“. Jaipur wird deshalb aufgrund der Farbe seiner wichtigsten Bauten so genannt. Im Zentrum des für Indien bemerkenswert imposanten Straßennetzes stand der reich geschmückte Stadtpalast mit seinen Säulengängen. Der Palast mit seinen Gärten, Höfen und Museen waren zum Teil von der königlichen Familie bewohnt. Die bekanntesten Sehenswürdigkeiten waren: Das Fort Amber, das City Palace, ein Palastkomplex aus dem 18. Jahrhundert und für alle Roman-Leser sehr bekannt, der Palast der Winde aus rotem Sandstein. Das hatte Jan beeindruckt und er war geschichtlich gesehen, wie benommen davon.

Mit diesen Eindrücken beabsichtigte er von dort aus mit einem Bus nach Agra, zum Taj Mahal zu fahren. Das sollte für jeden der Indien durchreist, ein absoluter Höhepunkt, und ebenfalls von ihm werden.

Der muslimische Großmogul Shah Jahan ließ den Bau zum Gedenken an seine im Jahre 1631 verstorbene wahre Liebe Mumtaz Mahal errichten. Den Erzählungen zufolge verliebte sich der damalige Prinz unsterblich in sie und nannte seine bildschöne Frau Mumtaz Mahal. Nach seiner Thronbesteigung nahm er sie zur Frau und sie wurde ihm eine treue Gefährtin und Ratgeberin. Allerdings gab es im Jahre 1631 bei der Geburt ihres 14. Kindes Komplikationen, welche die „Erwählte des Palastes“ nicht überlebte. Der Legende nach soll Mumtaz auf dem Sterbebett einen letzten Wunsch geäußert haben. Sie wünschte sich ein Grabmal, wie die Welt bisher keines gesehen hatte. Nach dem Tod seiner Frau widmete der Herrscher sich dem Bau des Taj Mahal am Ufer des Yamuna-Flusses in Agra. Das war in Indien nicht üblich, weil alle verbrannt wurden. Seine ganze Energie floss in den Bau des Taj Mahal und Gesang und Tanz waren nicht mehr am Hofe erwünscht. Sogar sein Bart soll nach dem Tod von Mumtaz über Nacht weiß geworden sein.

Diese Besichtigung der wahren Liebe hatte er sich bis zum Schluss aufbehalten. Danach wollte er mit der Eisenbahn zurück nach Delhi, seinem Ausgangspunkt fahren. Anschließend ein paar Tage im Hotel und in der Stadt verweilen, sodann die Heimreise anzutreten war sein Plan.

Jan begab sich zum Sindhi Bus Camp und kaufte sich ein Ticket. Die Busfahrt sollte ca. sechs Stunden mit Pausen dauern. Zum Glück war dieses Mal der Reisebus klimatisiert, nicht zu überfüllt und konnte sich in aller Ruhe die Landschaft ansehen. Meinte er. Denn laufend wurde er als Weißer ausgefragt und ein Gespräch ergab das andere. Er wusste nicht, dass Inder lustig sein konnten und alles war prima. Nach ungefähr 100 Kilometern Fahrt hielt der Bus in Patoli an, damit man sich Wasser nachfüllen und die Füße vertreten konnte.

Der Busfahrer sprach ein gutes Englisch und unterhielt sich mit Jan. »Sie fahren nach Agra? Wahrscheinlich zum Taj Mahal.« Jan nickte. »Wenn Sie Zeit haben, sollten Sie sich den Keoladeo National Park ansehen, der auf dieser Strecke liegt. Das ist ein Schmuckstück. Man kann sich dort erholen und weit und breit gibt es nirgends so viele verschiedene Vogelarten wie dort. Der Keoladeo Park war ursprünglich das private Entenjagdrevier des Maharajas von Bharatpur. In der Sumpflandschaft überwintern hunderte von Wasservögeln aus Afghanistan, Turkmenistan, China und Sibirien. Es gibt dort über 360 Vogelarten einschließlich des seltenen Nonnenkranichs«, berichtete er stolz.

»Der Park gehört seit 1985 zu dem UNESCO-Weltnaturerbe. Ich war selbst mit meiner Familie dort. Aber Vorsicht. Dort sieht man gelegentlich Tiger Pythons«, lächelte er und gab ihm noch einige Tipps. Jan folgte seiner Erzählung aufmerksam, weil es dort in der Nähe zudem ein riesenhaftes Bronze-Denkmal eines Großmoguls gab. Dieser hatte entscheidende Schlachten geschlagen. »Gibt es dort was zum Übernachten? Denn ich habe ein paar Tage Zeit und könnte es mir ansehen.« Der Fahrer lächelte. »In 70 Kilometern kommt Madoli, dort könnte ich für Sie halten. Glauben Sie mir, Sie werden es nicht bereuen. Das Hotel ist für Europäer gebaut. Sehr nobel. Ich war persönlich dort, kann es mir aber nicht leisten.«, und er beschrieb ihm die Umgebung.

»Haben Sie eine Adresse von dem Hotel? Ich könnte über das Internet nachsehen«, war Jan neugierig geworden. »IHOTEL-House heißt es. Sehen Sie nach«, was Jan sogleich tat. Nach den Daten war es fantastisch. »Und wie komme ich von der Straße dorthin?« Der Inder holte eine Karte und zeigte ihm den Park und wo er halten würde. »Sie sind gut zu Fuß! Ich habe ihre Nordic Walking-Ausrüstung gesehen. Gute Ware.« Jan lächelte. »Sehr gut zu Fuß.« Der Inder nickte. »Sehen Sie. Sie laufen fünf Kilometer immer geradeaus, bis drei Teiche kommen, dann nach links. Drei Kilometer weiter kommt das Hotel. Es ist das höchste Gebäude mit drei Stockwerken und von weitem zu sehen.« Jan war einverstanden, betrat den Bus und buchte ein Zimmer über das Internet mit seinem Handy. Noch mehr erstaunt war er, dass man es im Internet fand. »Das Restgeld bekommen Sie nicht zurück. Alles klar!«, rief der Fahrer ihm lachend zu. 200 Rupien, was sollte das, überlegte Jan.

Das einmalige Hotel

Leider war nur ein Doppelzimmer frei und musste für vier Nächte zu einem Preis von 110 Euro gebucht werden. Jan konnte den Preis nicht fassen, reservierte es sofort und beschrieb, wie er kommen würde. Nach einer weiteren Stunde Busfahrt hielt der Fahrer und überreichte ihm seinen Rucksack. »Sie werden es nie bereuen. Glauben Sie mir!«, und verabschiedeten sich. Jan lief bei 30 Grad Hitze los. Die autobreite Straße war wie mit einem Lineal gezogen und strahlte von unten die Wärme wieder. Ab und zu sah er von der Ferne, wie Leute auf den Feldern beschäftigt waren. Das waren Dimensionen von Feldern, die man in Deutschland nicht kannte. Soweit man sehen konnte. Zwischendurch ein paar Bäume, viele großflächige Teiche mit Sträuchern. Indien war für Jan ein unermessliches Land. Nach zwei Kilometern kam ein College für Ingenieure und nach weiterem Marsch auf der linken Seite Wälder, bis zu den beschriebenen drei Seen. Kein Mensch war weit und breit zu finden. Jan dachte. »Wenn hier was passieren würde, hätte man keine Hilfe noch irgendeinen Zeugen. Notfalls hatte er in der Seitentasche seines Rucksackes ein Pfadfinder-Messer, das sofort greifbar wäre. Jan verspürte keinerlei Angst vor irgendetwas, weil die Gegend ihm friedlich erschien. Alles war herrlich still und das Wetter war wunderschön.

Nach einer kurzen Orientierungspause bog er links ab und war hierauf in drei Kilometern dort. Es war ein weißes Hotel im indischen Stil, auf der Fläche eines Fußballfeldes, umgeben von Bäumen und Wiesen. Inmitten von endlosen Feldern sah es wie eine Oase aus. Wie der Busfahrer beschrieben hatte, ein Fleckchen Paradies. Jan wurde von den zwei Angestellten, Akasch und Pahul, überfreundlich begrüßt und auf sein Zimmer geleitet. Das war für Jan die größte Überraschung. Im europäischen Still erstklassig eingerichtet, ähnlich einem Vier-Sterne-Hotel. Mit eigenem Balkon mit Sicht zum Nationalpark. Von hieraus konnte man über die unüberschaubaren Felder sehen, weil das Land wie eine Scheibe war. Allein dieser Blick zeigte die unendliche Weite des Landes an. Das Bad mit der Dusche war höchster Standard, hell und wunderbar. Das Zimmer war geräumig mit zwei getrennten Betten. Der Ess- und Aufenthaltsraum des Hotels war mit weißem Marmor versehen und freundlich gestaltet. Darin befand sich eine Bibliothek über alle Tierarten im Park.

Die Außenanlage wirkte wie ein paradiesischer Park mit vielen Blumen, exotischen Sträuchern ringsum, entspannenden Liegen in Ruhezonen und nebenan ein See. Der Angestellte, Akasch, meinte lächelnd. »Bei uns ist Vorauszahlung Pflicht. Vielleicht werden Sie von einem Tiger gefressen oder einer Python erdrückt.« Während er Jan betrachtete, bot er zugleich an, seine Wäsche zu waschen. Jan war fasziniert von allem und nahm das Zusatzpaket all inklusive für 200 Euro an. Für Jan war das ein umwerfender Preis für vier Tage. »Morgen früh wird alles vor ihrer Tür hängen«, meinte er lachend und Jan verließ mit einer Flasche Wein den vorzüglichen Empfangsraum.

Auf seinem Balkon standen vier Korbstühle, ein Tisch und er hatte eine unglaubliche Aussicht in der strahlenden Sonne. Der Busfahrer hatte recht behalten und genoss die Entspannung pur. Außer den Vögeln war nichts zu hören. Eine Ruhe wie nie gekannt. Genauso stellte sich Jan den Höhepunkt und Abschluss seiner Reise vor. Entspannung ungetrübt und ohne Sorgen.

Jan trank den kühlen Weißwein und erfreute sich angesichts dessen, was er bereits erreicht und angesehen hatte. Seine Überlegungen schweiften zu seinem Werdegang zurück. Dass er in einem knappen Jahr sein Ziel, Studienrat am Gymnasium zu sein erlangt hatte. Ein großartiges Leben lag vor ihm ohne momentane Probleme, mit der Sicherheit, später Beamter zu werden. Alles lief grandios. Jan blickte zum Nationalpark hinüber, den er morgen besuchen wollte. Am darauffolgenden Tag beschloss er, die herausgesuchte Route zu dem Reitermonument, in einem strammen Lauf zu erreichen. Mit einem herrlichen Gefühl des Friedens schlief er ein.

Der nächste Tag war ein unvergleichlicher. Jan lernte den dritten Angestellten, Kanja kennen, der alles in der Küche erledigte. Bei uns würde man sagen, eine sagenhafte Hausmannskost auf indische Art ohne gleichen, die er die ganzen Tage genoss. Als sie erfuhren, dass er Lehrer war, waren sie fasziniert und eine angeregte Unterhaltung erfolgte. Gleich nach dem Essen begab er sich in den Nationalpark. Jan mietete sich eine Fahrrad-Rikscha und ließ sich zu den besten Stellen kutschieren. Eine derart vielfältige Vogelwelt in Freiheit zu sehen, war phänomenal. Der Park war ungefähr zehn Kilometer lang und fünf breit. Bis zum Abend blieb er dort und beendete den Tag mit einem köstlichen indischen Essen.

Am nächsten Tag wollte er einen langen Lauf zu einem berühmten Denkmal, unternehmen. Maharana Rana von Marwa Sangram Singh Sisodia (von 1482 - 1528), allgemein bekannt als Rana Sanga. Ein indischer Herrscher von Mewar und Leiter einer mächtigen Rajput-Konföderation in Rajputana im 16. Jahrhundert. Auf einem Berggipfel sollen sich drei riesengroße Bronzestatuen befinden, mit Rana, auf einem Pferd sitzend. Das wollte er unbedingt begutachten.

Der Überfall

In der Morgendämmerung lief er mit seinem Rucksack, den Nordic Walking Stöcken, mit Wasserflaschen ausgerüstet los. Sein angeratenes Erste-Hilfe-Set war stets dabei. An unzähligen grünen Feldern und Ackerflächen lief er weiter auf einer geraden, schmalen Teer-Straße entlang. Zuerst war niemand zu sehen. Erst nach ein paar Kilometern erblickte er sieben Frauen und einen Mann, in einiger Entfernung arbeitend. Nicht auszudenken, wenn einem was passieren würde. Zum Glück hatte er die Handy-Nummer und Adresse vom Hotel eingespeichert. Grinsend verstand er den Satz des Angestellten Akasch. »Wir bestehen auf Vorauszahlung. Vielleicht frisst Sie ein Tiger oder Python.«

Nach sechs Kilometern erreichte er ein größeres Dorf, Chak Unchagaon genannt. Das Dorf sah aus, wie Deutschland in den 50-iger Jahren. Zwar waren die Wohnhäuser alle farbig angestrichen, trotz alledem sah das Umfeld erschütternd aus. Die Menschen haben nichts, was sie kaufen könnten und wenn, wäre wenig Geld vorhanden. Sie lebten, um zu überleben. Möglicherweise von dem, was sie auf ihren Feldern anbauten und an verschiedenen Ständen verkauften. Jedes Mal, wenn er ein Dorf betrat und Männer oder Jugendliche da waren, kamen sie sofort auf ihn zu gerannt. Neugierig versuchten sie ein Gespräch zu führen. Wo er herkam, wie ihm Indien gefiele, wohin er ginge und wie es in Deutschland war. Die Männer waren sehr redefreudig und wissbegierig, ebenfalls in diesem Dorf. Jan sagte meistens, dass ihn Indien interessiere, was er gesehen hatte, wodurch die Männer sich freundlich öffneten.

In diesem Dorf baten sie ihn, sich unter einen Baum zu setzen, wobei viele angerannt kamen und ihn über Deutschland ausfragten. Allein die Anwesenheit eines Weißen war sensationell. Die Zeit verging mit diesen netten Leuten wie im Flug, so dass es Mittag geworden war. Dankbar für die Unterhaltung versorgten sie ihn mit Brunnenwasser und Früchten. Das waren schöne Erlebnisse, die Jan nicht missen wollte. Durch dieses lange Gespräch und den damit verbundenen Aufenthalt war ihm klargeworden, dass er sein Ziel nicht mehr schaffen würde. Weil die Befragung für ihn reizvoll war, ärgerte es ihn nicht. Schließlich war er Lehrer und im Urlaub. Jan beschloss, insgesamt zehn Kilometer zu laufen, um rechtzeitig umzukehren. Im Folgenden würde er bequem das Hotel vor der Dämmerung erreichen.

Nach weiteren zwei Kilometern lief er am Dorf vorbei, sonst würde er seine Strecke nicht mehr erreichen. Niemand war auf den Feldern zu sehen.

Inmitten mehrerer Bäume erblickte er, von der Straße versetzt, kleinere Häuser und bog ab. Vielleicht könnte er notfalls hier übernachten. Die Häuser waren zwar aus Stein gebaut, mit Ziegeln gedeckt, aber die Armut pur zu sehen. Jan wollte das näher betrachten. Kühe liefen frei herum und Hunde lagen faul im Sand. Er konnte nicht verstehen, dass Menschen in diesen primitiven Zuständen leben konnten, und von was sie lebten. Das musste von der Landwirtschaft sein, vermutete er wieder oder vom Handel. In diesen Häusern war nur das Nötigste vorhanden sowie jeweils eine Kochstelle. Das wenige Geschirr oder die Töpfe standen daneben oder lagen auf einer Holzbank.

Zu seinem Bedauern waren nur Frauen anwesend, die nicht mit ihm sprechen konnten. Eine Frau, geschätzte 30 Jahre alt, mit einem grünen Sari kam als letzte. Scheu kam sie auf ihn zu, doch leider war eine Verständigung mit ihr nicht möglich. Sie lächelte freundlich, redete laufend. Lachte ihn an und berührte seine Hände. Trotz beider Mühen konnte er sie nicht verstehen. Nahm sein Handy heraus und ließ übersetzen, ob er sich in dem Dorf und den Häusern umsehen konnte. Gefolgt von den anderen Anwesenden, zeigen sie ihm bereitwillig ihre Inventare. Jan staunte und versuchte, mit den Frauen über ihr Leben zu sprechen. Zum Schluss fragte er. »Geht es Ihnen gut? Kann ich, was für Sie tun, weil ich mich in den Häusern umsehen durfte?« Die Frau suchte seine Augen, lächelte bedrückt und nickte langsam. Sie sah trotz ihrer Armut ansehnlich, mit ihrer dunkelbraunen Haut aus. Jan griff in seine Tasche und schenkte ihr 200 Rupien. Das war für sie viel Geld und sie dankte ihm mit einem ernsten Gesicht.

Die Beschenkte betrachtete das Geld auf ihren Händen und flüsterte was, dass er übersetzen ließ. »Friede sei auf allen deinen Wegen. Fremder. Danke. Du bist ein guter Mensch. Mögest du dein Glück hier finden.« Jan grüßte und ging zur Straße zurück. Sie lief ihm nach und rief ihm was für ihn Unverständliches zu. »Was sind 200 Rupien schon und dieser Frau haben sie gewiss geholfen. Warum sollte er sein Glück „hier“ finden? Das war absurd.« Sie kannte ihn nicht, geschweige seine Ziele. Er fühlte sich trotzdem wie ein Samariter.

Nach einiger Wanderzeit und endlosen Feldern kam eine Abzweigung, die zu einem See führte, der 50 Meter entfernt war. Er lief dort hin und setzte sich die Umgebung nach Schlangen oder Getier absuchend, an das Ufer. Trank in der Mittagshitze aus seiner Wasserflasche und gönnte sich einige Minuten Ruhe. In ein paar Kilometern sollte das nächste Dorf erscheinen. Dort hatte er vor, wenn machbar, ein bisschen zu essen und darauffolgend umzukehren. Zudem war ihm das Denkmal nach dieser aufschlussreichen Unterhaltung nicht mehr bedeutungsvoll.

Endlich, nach 30 Minuten strammer Gehzeit sah er wieder jemand im Feld arbeiten. Er blieb stehen und beobachtete eine Frau, die sich mit einer Sichel zu schaffen machte. Durch ihren roten Sari und den gelben Schleier fiel sie ihm von Weitem auf. Sie mähte flink mit einer Handsichel das Getreide ab und legte es zusammen. Während ihrer fleißigen Tätigkeit war sie Jan mit ihrem Rücken zugewandt und konnte ihn nicht wahrnehmen. Jan lief auf der Straße weiter, bis er auf gleicher Höhe mit ihr war. Er blieb stehen und observierte sie heimlich. Sie schien jung zu sein, weil sie trotz der Hitze flink und flott arbeitete. Warum hatte sie keine Angst, fern vom Dorf solo zu arbeiten? Denn kein Mensch war weit und breit zu sehen, fragte er sich und blickte sich um. Er verharrte, geschätzte zwanzig Meter von ihr auf der schmalen Straße und musterte sie still. Die Frau hatte eine zierliche Figur, wunderschöne dunkelbraune Haut, die ihr ärmelloses Gewand freigab. »Oh nein!« Er glaubte nicht richtig, zu sehen. Sie hatte einen langen dicken Zopf, der bis über ihren Po hing, und hin und her schaukelte. Er fand ihre Figur von weitem sehr ansehnlich.

Bedauerlicherweise konnte er ihr Gesicht nicht erkennen und geriet ins Schwärmen. Ob sie verheiratet war? Gewiss. Denn ihm war bekannt, dass die Mädchen zu Lande bald verheiratet wurden. Er hatte irgendwo gelesen, dass die Frauen zur Unterwürfigkeit erzogen wurden. Treu sind und keine Möglichkeit einer Trennung hatten. Wie mögen solche Frauen sein? Sind sie besser als deutsche Ehefrauen? Er wusste es nicht, denn er hatte bisher keine richtige Bindung gehabt. Jan liebte ihre Hautfarbe, was bei ihm einen besonderen Reiz auslöste. In Deutschland gehen viele in das Solarium oder lassen sich in Urlaubsländern bräunen und hier haben sie es in natura. Er würde zu gerne wissen, wie sich ihre dunkelbraune Haut anfühlte. In Gedanken sah er sich ihren Arm von der Schulter an zärtlich streicheln. Jan musste grinsen. Man könnte sie einmal fragen, worauf sie sicherlich schreiend davonlaufen würde.

Zudem interessierte es ihn brennend, wie der Sari gebunden wurde, weil es ein rechteckiger langer Stoff war. Jan träumte weiter beim Anblick der Inderin vor sich hin, bis zu der Frage. »Wie würden Inderinnen küssen, weil sie angeblich rotbraune Lippen haben?« Er fand den Gedanken sehr aufregend, es an dieser zierlichen Frau in seiner Fantasie zu probieren. Jan grinste. »Es muss exotisch und ganz weich sein. Auf jeden Fall hübsch und geheimnisvoll«, sagte ihm seine Vorstellung. In ihm vollzog sich ein herrliches Gefühl in seiner Einbildung, eine dunkelbraune, zierliche Frau im Arm zu halten. Wenn er sie so beobachtete, war sie ohne Zweifel anschmiegsam. »Wie mag sich das konkret anfühlen? Mit ihrer Figur konnte man sie weit tragen oder herumschleudern«, was er amüsant fand und grinste.

Emma, die mit ihm zusammen studierte und ihn öfters zum Tanzen begleitete, war steif und verkrampft. Im Übrigen hatte sie schmale Lippen. Inderinnen sollen Geschmeidige und Reizvolle haben, sagte man. Jan hatte sich mit diesem Gedanken auf seine Stöcke aufgestützt. »Wie mag es mit ihr beim Tanzen sein?« Jan stellte sich sofort vor, wie ihre langen Haare herumfliegen würden. »Ja es wäre ein Genuss«, bestätigte er sich, diese zierliche Figur im Arm zu halten.

Die Frau bückte sich laufend und schnitt unentwegt mit einer Sichel die Halme ab. Jan staunte, wie sie mit dem Sari fix arbeiten konnte, wobei sich ihr Zopf im Rhythmus bewegte. Er schmunzelte, weil sie eine dünne Erscheinung war. Bei uns hätte sie während der Arbeit Hosen an, um sich freier zu bewegen.

Die Hitze und seine Gedanken hatten seinen Hals trocken werden lassen. Er schob seinen Hut zurück, um von seiner Wasserflasche zu trinken. Genoss dabei die Ansicht dieser hübschen Inderin. »Man müsste ein Foto von ihr machen, um sie nicht zu vergessen«, derart begeistert war er von ihr. Wenn er mit ihr in Dresden spazieren gehen würde, würden ihnen hunderte von Augen folgen. »Wie konnte eine Frau einen so langen, dicken Zopf haben? Ihre Haare mussten von Kindheit an stark gewachsen sein.« Jan war sichtlich davon angetan. »Wie würden ihre Haare erst geöffnet aussehen?« Seitdem er sie beobachtet hatte, verspürte er keine Lust mehr, weiter zu laufen und seine Augen klebten an dieser Erscheinung. Unter anderem war er im Urlaub. Rechtfertigte er seine Beobachtungszeit, wollte einen Schluck trinken und bis zum nächsten Dorf weiterlaufen. Mittlerweile hatte sich sein Magen gemeldet und er hoffte, dort was kaufen zu können.

Plötzlich sah er beim Verstauen seiner Wasserflasche, dass sich was im hohen Getreide bewegte. Er konnte nicht erkennen, was da war, aber irgendetwas Braunes näherte sich der Frau. »War es ein Tiger?«, schoss es durch seinen Sinn. »Weil der Mann im Hotel ihm spaßig davor gewarnt hatte. Nein! Das konnte von der Körpergröße und Farbe her nicht sein.« Langsam öffnete er den Reißverschluss zum Pfadfinder-Messer. Eindeutig war aus seiner Sicht ein großes Tier zwischen den langen Halmen wahrzunehmen. »Was war das?« Dieses Tier pirschte sich angreiferisch an die Frau heran. Das Getier erhob sich sachte und entpuppte sich als ausgewachsener brauner Hund. »War es ihr Hund, der über sie wachte? War sie deshalb allein auf dem Feld?« Jan fixierte ihn angespannt und kam eindeutig zu dem Schluss, dass es ein fremder Hund war. Ihr eigener Hund würde doch nicht dieses Verhalten zeigen.

Er hatte fast die Größe und Farbe einer hellbraunen Dogge, nur waren sein Kopf und seine Schnauze kürzer. Seine Rippen waren deutlich zu erkennen und ließen den Schluss zu, dass er lange Zeit nichts mehr gefressen hatte. Solche ausgehungerten Hunde würden alles erlegen wollen, was ihnen in die Quere kam. Gleich musste der Angriff erfolgen, sagte ihm die Reaktion des Hundes. Jan zögerte keinen Moment. Rannte auf die Frau zu und schrie, seinen Stock zum Schlag erhebend. »Heh! Pass auf!« Doch die Frau glaubte an einen Überfall und blieb vor Schreck, die Sichel in der Hand haltend stehen. Sie erblickte, zu Tode erschrocken einen Weißen der auf sie zu rannte und sie schlagen und vergewaltigen würde.

Parallel dazu lief der Hund zähnefletschend auf die erstarrte Frau zu, um sich seine Beute nicht wegnehmen zu lassen. Die Frau hatte durch den auf sie zu rennenden Fremden, den Hund nicht wahrgenommen. Kurz vor dem Angriff drosch Jan mit dem Stock auf den Rücken des Angreifers ein. Der durch den Schmerz jaulend zu einer Drehung abwich und sofort erneut zähnefletschend anstürmte. Jan stellte sich in Verteidigungsstellung mit dem Stock vor die Frau. Seine Rückenhaare hatten sich aufgestellt und stürzte sich auf Jan. Der durch eine Drehung dem Hund seinen Rucksack zugewandt hatte. Worauf dieser sich darin wütend verbiss und daran zerrte. Der Hund bäumte sich auf seine Hinterfüße auf und wollte ihn von hinten zu Boden schütteln. Jetzt erst erkannte die Frau die Gefahr und versteinerte.

Der Hund versuchte auf Jans Rücken und an seinem Hals zu gelangen. Dabei fügte er ihm Kratzwunden an seiner rechten Wade zu. Jan spürte das Gewicht des Hundes. Nahm blitzschnell seinen Stock, beugte sich nach vorne und stieß damit zwischen seinen Beinen in den Bauch des Hundes. Jan hatte nur diese eine Möglichkeit. Worauf der wilde Hund sich jaulend auf die Seite fallen ließ und stark blutete.

Wahrscheinlich trieb der Hunger das geschwächte Tier an. Jan nahm seinen Stock in beide Hände und stellte sich schnellstens mit dem Rücken wieder beschützend vor die Frau. Der stark verletzte und blutende Wildhund raffte sich auf. Zeigte seine ganzen Zähne und versuchte mit gesenktem Kopf, dieses Mal die Frau von der Seite anzugreifen. Das war die Chance für Jan. Blitzschnell stieß er, mit all seiner Kraft und einer Drehung, den Stock mit voller Wucht in die Seite des Hundes. Der Hund fiel getroffen, samt dem Stock zu Boden und Jan mit ihm. In höchster Eile sprang Jan ohne Rucksack auf und griff nach dem zweiten Stock. Bevor der Hund sich wieder erheben konnte, stieß er ihm den Stock ins Herz. Zum Glück hatten die Stöcke eine lange Metallspitze und er holte zusätzlich sein Messer heraus, falls er wieder angreifen würde. Jan postierte sich schützend vor die Frau. Zwar fletschte er nochmals die Zähne, verendete aber kurz darauf. Beschützend stellte er sich abwartend vor sie.

Jan atmete ein paar Mal heftig durch, wobei er den wilden Hund beobachtete. Sein Rucksack hatte ihn gerettet. Er drehte sich zu der benommenen Frau um. Sie stand mit der Hand auf dem Mund wie eine Schaufensterpuppe da. Die Sichel hatte sie fallen lassen. »Bestimmt hatte sie einen Schock erlitten«, waren seine Gedanken und bewegte sich dicht zu ihr. »Alles okay. Es ist alles okay«, flüsterte Jan und legte sachte seine Hände auf ihre Schultern. »Alles gut. Es ist vorbei«, sagte er leise zu ihr.

Darauf beäugte sie ihn mit aufgerissenen, entgeisterten Augen, als wäre er ein weißer Geist. Denn er war plötzlich für sie wie erschienen. »Du hattest großes Glück, dass ich da war, sonst wärest du tot«, flüsterte er und nahm sie sachte in den Arm, um sie zu trösten. Sie bewegte sich nicht, blieb stocksteif und ließ es zu. »Alles ist okay. Es ist vorbei«, flüsterte er ihr sanft ins Ohr. Sie verharrten beide, bis sie leise zu weinen begann und locker wurde. Scheinbar hatte der Schock nachgelassen und er hielt sie fester in seinen Arm. Jan hatte Angst, sie würde zusammensacken. Dabei spürte er, wie zierlich sie sich anfühlte und dass sie einen halben Kopf kleiner war wie er. »Mein Name ist Jan und ich komme aus Deutschland«, flüsterte er beruhigend in Englisch ihr ins Ohr. Sie begann, stark zu schluchzen, und hielt sich mit einem Mal, wie eine Ertrinkende an ihm fest. Jan gefiel das und drückte sie ebenfalls, spürte ihre dünne Figur und ihren dicken Zopf unter dem gelben Schleier. Herrlich schön war es, sie zu umarmen. Wunderschön sie zu spüren, wovon er soeben geträumt hatte. »So fühlte es sich an. Es war einmalig. Wow!«, genoss er innerlich.

Die junge Frau hatte sowas bislang nie erlebt. Ein Weißer, der aus dem Nichts kam, rettete ihr Leben vor dem wilden Hund. Nahm sie behutsam in den Arm und redete leise mit ihr. Wahrlich - hatte sie kein Mann bisher umarmt und gedrückt. Außerdem war das verpönt und man tat es nur zu Hause mit „seinem“ Mann. Sie war überwältigt davon und fand es wunderbar. »Oh nein! Es war zauberhaft ihn zu spüren«, hoffentlich sah sie niemand und sie war dankbar, dass er für sie gekämpft hatte. Langsam umschlich sie ein eigenartiges Gefühl, als ob sie mit diesem schönen Weißen innerlich verbunden wäre. Mit einem Mal umfasste er sie fester und sie fühlte sich himmlisch und erwiderte es. Sie fand es fabelhaft und in ihr machten sich urplötzlich tausend Schmetterlinge bemerkbar und weinte vor Glück. Am liebsten würde sie sich nie wieder lösen wollen und gewahrte, sie war wie „seine Frau“ geworden. Genauso kam es ihr vor, eng mit ihm verbunden zu sein. Dieses Gefühl, eins mit ihm zu sein, erfüllte sie unauslöschlich.

Nalina hatte nicht die geringste Ahnung, was das für sie noch bedeuten und wohin ihr Weg führen würde.

Bloß wer war dieser weiße Mann und woher kam er? Urplötzlich wie ein Geist war er ihr erschienen. Warum hatte er für sie gekämpft? Niemand tat das. Für sie - eine Frau der niederen Kaste. Alles war unerwartet schön für sie und war verzaubert und zitterte.

Beide blieben eng verbunden stehen, bis sie in seine Augen sehen wollte, denn Weiße hatten andere. »Ich heiße Jan und wie heißt du?« Jan wollte damit wissen, ob sie ihn verstehen würde. Sie blickte ihn verklärt an, flüsterte was, und blieb bei ihm dicht stehen. Jan bewertete dies als positives Zeichen und betrachtete ihr Gesicht genauer. Sie war bezaubernd und jung, wie er vermutet hatte. Vielleicht 18 oder allerhöchstens 20 Jahre und hatte ein bildhübsches Gesicht. Wunderschöne Augen und dunkelbraune Haut. Ihre Haare rochen nach Kokosnussöl und ihre Lippen waren tatsächlich rotbraun. Für Jan war es grandios, diese Inderin im Arm zu halten. Gerade träumte er auf der Straße davon, sie zu küssen. Jan hatte bis her kein so ein freudenstrahlendes Gesicht mit einem himmlischen Lächeln gesehen.

Dann sagte sie wieder was und blieb vor ihm stehen. Jan war gewahr, dass sie kein Wort verstanden hatte. Sie hatte wässrige Augen und sprach wieder einiges zu ihm, worauf ihr die Tränen über die Wangen liefen. Dies wäre der richtige Zeitpunkt sie zu küssen, um zu erleben, wie sich ihre wundervollen Lippen anfühlten. Ihre Stimme hörte sich sanft und weich an. Enttäuschend für ihn, schob sie sich langsam aus seiner Umarmung. Sie verneigte sich ein paar Mal und rannte barfuß geschwind davon. Ihr Schleier wehte die ganze Straße entlang hinter ihr her, bis sie aus seinen Augen verschwunden war. Jan staunte, wie rasch sie rennen konnte.

Ihr war klar, dass der Weiße sie nicht verstand und sagte. »Warum hast du das für mich getan? Das war wunderschön. Noch nie hat mich ein Mann umarmt und ich werde es nicht mehr vergessen. Ich fühlte mich, als wäre ich „deine Frau“. Wer bist Du und woher kommst Du? Ich muss schnellstens zu meinen Eltern und ihnen sagen, dass du mir das Leben gerettet hast.« Wie in einem Rausch der Gefühle rannte sie zu ihren Eltern. Nalina hatte durch die Umarmung eine innerliche Verbindung gespürt, die sie nicht kannte. Genauso musste es zwischen einem Mann und seiner Frau sein, war sie sich sicher. Sie war eins mit ihm geworden und fühlte sich wie „seine Frau“. Oh ja, sie hätte ihn am liebsten geküsst. Das war eine Sensation, dass ein Weißer sie gerettet hatte und im Begriff war, ihr Dorf zu besuchen. Niemals war sie einen solchen weißen Mann begegnet und hielt es für einzigartig. Von ihrer Umarmung wollte sie niemanden erzählen. Für sie war es was ganz Besonderes, Schönes und Zauberhaftes zugleich. Sie war zum ersten Mal glücklich.

Jan sah ihr nach und dachte an dieses einmalige Erlebnis. Soeben davon geträumt, schon hatte es sich auf merkwürdige Weise erfüllt. Als sie weg war, begab sich Jan zu dem Hund. Ihm wurde gewahr, dass er selbst Glück gehabt hatte, weil der Hund mager und dadurch geschwächt war. Mit seinem Messer wäre er dem Hund zu nahegekommen. Er entfernte die Stöcke aus dem Bauch, nahm seinen Rucksack und begab sich zur Straße. Sein Tornister hatte zum Glück wenig unter dieser Attacke gelitten und setzte sich am Rand der Straße nieder. Mit einem Mal verspürte er ein Brennen an seiner Wade und sah drei Kratzspuren. Behutsam reinigte er diese mit Mineralwasser. Tat das brennende Jod darauf und wartete, bis es eingetrocknet war. Anschließend legte er einen Verband an und ruhte sich, an seinen Rucksack angelehnt aus. Nach einigen Überlegungen beschloss er lieber gleich zurückzulaufen. Wer wusste schon, was sich durch die Verletzung ergab. Des Weiteren verblieb ihm keine Zeit weiterzugehen. Das Gute war, dass die Wunde durch die Jeans oberflächlich war. Bei seinem Rucksack waren durch die Zähne mehrere Löcher zu sehen sowie der Saum einer Tasche aufgerissen. Sonst war alles okay.

Er fragte sich, warum die Frau davongerannt war, denn er hätte sie gern im Arm behalten. Gewiss war sie zu ihrem Mann geeilt, um ihm alles zu berichten. Was für ein Erlebnis. Eines war ihm im Nachhinein klargeworden, als er den toten Hund betrachtete. Die Frau hätte den Angriff bei dem Gebiss des Hundes niemals überlebt. Er hatte ihr faktisch das Leben gerettet. »Gehörte nicht dem Retter einen Kuss mit den schönen rotbraunen Lippen?«, lächelte Jan. Das machen Inderinnen absolut nicht und er wunderte sich, dass er sie umarmen durfte. Jan nickte wohlwollend zu seinem Gedanken. »Nah ja. Sie stand unter Schock«, entschuldigte er sie.

Wieder musste er lächeln, wie er weiter nachdachte. Die kleine Inderin sah von Nahem sehr hübsch aus. In ihrem roten Sari und mit der Sichel in der Hand. Ärmlich, aber liebenswürdig. Vermutlich war sie verheiratet und dachte über ihr liebliches Gesicht nach. »Schön, dass sie seine Umarmung heftig erwiderte. Scheinbar hatte es ihr gefallen«, freute er sich. Solche unverhofften Episoden sind die Würze des Lebens. An diese wird man sich sein ganzes Leben erinnert. Was würde ihr Mann dazu sagen?« Darüber wurde Jan ernster, denn die Männer sollten eifersüchtig sein, hatte er zumindest gehört. Deshalb wollte er sich schnellstens aus dem Staub machen. Die Berührung mit dem Hund reichte ihm, dazu noch ein eifersüchtiger Ehemann, wäre nicht klug. Er wollte was trinken, und schleunigst zurücklaufen. Schließlich hatte er eine verletzte Wade.

Eine Einladung mit Folgen

Mit diesen Gedanken beschäftigt, hörte er von Ferne ein Geräusch von einem Motorrad, das auf ihn zukam. Er stand auf, um nicht überfahren zu werden und seine Augen beobachteten den Fahrer. »Oh weh! War das vermutlich ihr Mann, weil sie es ihm berichtete, dass er sie gedrückt hatte?«, und bekam Angst. Der Fahrer verringerte die Beschleunigung, ließ das Rad vor ihm auslaufen und stieg ab. Er verbeugte sich zum Gruß und sah den Weißen prüfend an, worauf Jan sich ebenfalls verneigte. Freudig sprach er in Englisch. »Bist Du der weiße Geist, der meine Tochter gerettet hat? Du kannst nicht glauben, wie froh wir alle sind. Mein Name ist Anup. Ich bin ihr Vater. Danke dir!«, er verneigte sich mehrmals mit einem weinerlichen Lächeln.

Jan war darüber erleichtert. Anup war ein normaler Inder mit schwarzem, kurzem Haar, dicken Oberlippenbart, ungefähr 40 Jahre alt in der Größe wie er. Er trug eine beige Hose mit darüber hängendem blauem Hemd. Er war beschuht mit alten Sandalen und schien sich übermäßig zu freuen, Jan zu sehen. »Ich danke dir vielmals und bitte dich, unbedingt unser Gast zu sein. Bitte komm mit. Wir haben vor, dir zu Ehren uns erkenntlich zu zeigen. Wir möchten dich zum Essen einladen, mit einer kleinen Feier verbunden«, bettelte er fortlaufend und dass es für sie alle eine Ehre wäre, weil er ein Weißer sei. Da Jan sowieso was essen wollte und ihm indisches Essen mundete, ließ er sich nach einigen Versuchen schließlich überreden. »Wir machen eine Feier wegen deiner Rettung. Bitte komm mit und ehre uns durch deinen Besuch«, sagte er immer wieder einladend mit vielen Bewegungen.

Ja, der Inder drängte ihn förmlich dazu.

Anup sah sich um und wollte wissen. »Wo ist der Hund?«, worauf Jan vorauslief und auf ihn deutete. Den Mann verschlug es die Sprache, betrachte furchtvoll Jan und den Hund abwechselnd. »Das ist ein mächtig großer Hund. Wie hast du das gemacht?«, wollte er wissen, was ihm Jan ausführlich beschrieb. Anup betrachtete Jan ernst und meinte. »Nach der Erzählung meiner Tochter hätte ich mir den Hund anders vorgestellt. Er hätte meine Tochter umgebracht. Meistens passieren solche Überfälle in der Nähe der Städte. Der muss sich verirrt haben. Am Stadtrand haben Hunderudel schon mehrere Kinder angegriffen und getötet. Stell dir das vor«, betonte er Jan ehrfurchtsvoll betrachtend. »In Indien soll es mehr als dreißig Millionen Straßenhunde geben und keiner macht was dagegen. Dieser Hund hätte sie umgebracht.« Er verbeugte sich zum Dank und fragte. »Warum hast du das gemacht? Du hättest sterben können. Du kennst meine Tochter nicht.«

Jan überlegte, schob seine Brille nach hinten und hielt es für selbstverständlich. Er gab keine Antwort. »Warum bist du nicht weggelaufen?«, und betrachtete ihn fragend. Jan wollte einen kleinen Scherz machen und meinte darauf. »Man kann doch von einem wilden Hund nicht so viel Schönheit fressen lassen.« Zuerst schaute er Jan ernsthaft an, lachte hinaus und konnte sich nicht mehr beruhigen. »Das war gut. Das war gut. Ja, meine Tochter ist sehr schön und noch nicht verheiratet«, meinte er nebenbei. »Noch nicht verheiratet. Das war gut!«, wiederholte er mehrmals. Jan nahm das nicht wahr.

Hierauf packte der Mann den Hund am Bein und schleifte ihn mit Mühe zum Straßenrand und betrachtete Jan. »Warum hast du ihr geholfen? Ich verstehe das nicht. Du bist ein Weißer«, gab er keine Ruhe. Jan zuckte mit der Schulter. »Das ist doch selbstverständlich«, und merkte, dass die Antwort Anup nicht ausreichte. Schließlich holte er aus. »Sie hat mich zuerst nicht gesehen und ich habe sie von der Straße aus beobachtete, wie fleißig sie gearbeitet hat. Ich fand sie sehr schön mit ihrem roten Sari. Stell dir vor ihr Zopf reicht bis über den Po.« Darauf grinste Anup über das ganze Gesicht. Anup konnte das nicht verstehen, weil die meisten Frauen solche Haare hatten. Natürlich hatte er viele weiße Frauen gesehen, die meist blond waren. Diese Aussage von Jan gefiel ihm besser. »Als ich zufällig den Hund sah, musste ich ihr helfen. Sie war allein. Du sagst selbst, dass der Hund sie getötet hätte. Ist der Zopf echt?«, was Anup nicht verstand und Jan fragend ansah. »Was heißt echt?«, worauf er mit der Schulter zuckte.

Anup gefiel es, dass er seine Tochter als schön bezeichnete und sie beschützen wollte. »Ja, sie ist sehr schön und heißt Nalina. Das bedeutet: die Lotusgleiche. Gut, dass du sie beschützen wolltest. Das zeigt, dass du ein Mann bist, dem eine Frau wichtig ist«, schmeichelte er Jan mit den Worten und klopfte ihn auf die Schulter. »Du hast unsere Familie glücklich gemacht. Bist du verheiratet?« Jan lachte laut. »Nein! Ich bin erst 26 Jahre alt und meine, zu jung zu sein.« Das gefiel Anup außerordentlich. Er lachte ebenfalls und klopfte ihn wieder auf die Schulter. »26 Jahre ist ein gutes Alter. Weißt du. Bitte nimm unsere Einladung an. Komm und lass uns gemeinsam essen, trinken und uns erfreuen. Lerne meine Familie und meine Tochter kennen. Du hast ihr das Leben gerettet. Ich habe es ihr geschenkt und du hast es bewahrt.« Sah nochmals den Hund und Jan an. »Ich kann es nicht glauben, dass du sie vor diesen riesigen Hund beschützt hast. Jeder andere wäre davongelaufen«, und kratze sich im Haar.