Die Mutter ließ sie alles vergessen - Rosa Lindberg - E-Book

Die Mutter ließ sie alles vergessen E-Book

Rosa Lindberg

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Es ist, dachte Juliane, während sie sonderbar ruhelos durch die Wohnung wanderte, mein erster Geburtstag, an dem ich allein bin. Ganz allein. Sie blieb vor dem Bild von Joachim stehen, das nur der Kinder wegen in der Wohnung stand. Er lächelte auf dem Bild, so wie er immer gelächelt hatte. Ein bißchen überlegen, ein bißchen leichtsinnig und auch ein bißchen weltfern. Bis auf leichtsinnig trafen die anderen Eigenschaften nicht zu. Schon gar nicht weltfern! Ach! Sie wußte noch nicht, wie sie es ihnen erklären würde. Jetzt noch nicht. Und noch war es ja auch nicht soweit. Bis zum letzten Jahr hatte Joachim sich an ihre Vereinbarung gehalten und war einmal jährlich aus Paris angereist, wo er sich als Maler niedergelassen hatte. Ob er das allein getan hatte, wußte Juliane nicht und jetzt interessierte es sie auch nicht mehr. Für die Kinder war Papa auf Reisen. Noch fragten sie kaum. Aber – Juliane gab sich da keinen trügerischen Hoffnungen hin – das würde kommen, mit Sicherheit! Sie schrak regelrecht zusammen, als das Telefon in der stillen Wohnung läutete. »Hellberg…« »Happy birthday to you – happy birthday to you… Happy birthday, dear Julchen, happy birthday to you…« Juliane lachte.

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Mami Bestseller – 60 –

Die Mutter ließ sie alles vergessen

Kein Kummer sollte die Kinder treffen

Rosa Lindberg

Es ist, dachte Juliane, während sie sonderbar ruhelos durch die Wohnung wanderte, mein erster Geburtstag, an dem ich allein bin.

Ganz allein.

Sie blieb vor dem Bild von Joachim stehen, das nur der Kinder wegen in der Wohnung stand. Er lächelte auf dem Bild, so wie er immer gelächelt hatte. Ein bißchen überlegen, ein bißchen leichtsinnig und auch ein bißchen weltfern. Bis auf leichtsinnig trafen die anderen Eigenschaften nicht zu. Schon gar nicht weltfern!

Ihre Ehe bestand nur noch auf dem Papier und auch dort nur noch so lange, bis die Kinder groß genug waren, daß Juliane ihnen würde erklären können, daß es…

Ach! Sie wußte noch nicht, wie sie es ihnen erklären würde. Jetzt noch nicht. Und noch war es ja auch nicht soweit.

Bis zum letzten Jahr hatte Joachim sich an ihre Vereinbarung gehalten und war einmal jährlich aus Paris angereist, wo er sich als Maler niedergelassen hatte. Ob er das allein getan hatte, wußte Juliane nicht und jetzt interessierte es sie auch nicht mehr.

Für die Kinder war Papa auf Reisen. Noch fragten sie kaum. Aber – Juliane gab sich da keinen trügerischen Hoffnungen hin – das würde kommen, mit Sicherheit!

Sie schrak regelrecht zusammen, als das Telefon in der stillen Wohnung läutete.

»Hellberg…«, meldete sie sich, und aus der Muschel klang mehr laut als schön:

»Happy birthday to you – happy birthday to you… Happy birthday, dear Julchen, happy birthday to you…«

Juliane lachte.

Nur Annegret konnte das sein, und sie war es auch.

»Na…«, fragte sie, nachdem sie tausend gute Wünsche durchtelefoniert hatte, »wie fühlt man sich denn so mit dreißig?

Juliane setzte sich.

»Ach, ich weiß nicht… Eigentlich genauso wie mit neunundzwanzig.«

»Tztz…«, machte Annegret, »du hast aber auch gar keinen Sinn für einschneidende Ereignisse im Leben einer Frau!«

»Vielleicht, weil ich die Ereignisse kenne und den Sinn deshalb nicht.«

»Ach, komm, werde nicht komisch! hast du Schampus im Hause?«

»Ich glaube ja.«

»Warst du schon bei den Kindern?«

»Ja…«, sagte Juliane, und sie lächelte unvermittelt und sah auf die Bilder und Gedichte, die ihre drei für sie im Krankenhaus angefertigt hatten. Denn wie immer, wenn eine Infektionskrankheit im Hause Hellberg anstand, machten alle drei Kinder sie durch. Diesmal war es Scharlach, und trotz Julianes beschwörender Bitten durfte sie die Kinder nicht zu Hause behalten. Wie alle Mütter, litt sie selbst mehr als die drei, die auf der Station im Anna-Hospital eine besondere Stellung hatten. Einfach auf Grund der Tatsache, daß sie zu dritt waren.

»Und wie geht es ihnen?«

Juliane lachte leise und verlegen auf. »Besser als mir, glaube ich…« Einen Augenblick war es still.

»Julchen?« kam es dann fragend.

»Ja?«

Man hörte, wie Annegret tief Luft holte.

»Bist du etwa ganz allein?«

Juliane mußte schlucken.

»Ja, sicher. Aber das macht doch nichts…«

»Und ob das etwas macht! Lege den Schampus auf Eis, ich mache einfach Schluß und komme sofort. Ich wollte schon immer mal sehen, wie das ist, wenn man Champagner am Nachmittag trinkt!«

»Aber…«, versuchte Juliane einzuwenden, deren Pflichtbewußtsein dank einer fast autoritären Erziehung ungemein ausgeprägt war.

Annegret rief schon: »Papperlapapp…!!« dazwischen, bevor sie ein zweites Wort sagen konnte, und hatte dann auch schon aufgelegt. Juliane freute sich plötzlich und lief, den Sekt auf Eis zu legen und nachzusehen, was sie zum Knabbern im Hause hatte.

Annegret mußte immer knabbern, und der Himmel allein wußte, wo sie das ließ, was sie pausenlos in sich hineinstopfte, denn sie war gertenschlank wie Audrey Hepburn und sah auch ein bißchen so aus, was sie ganz bewußt betonte.

Wieder läutete das Telefon, und wieder meldete Juliane sich.

»Ich bin es«, sagte die dunkle Frauenstimme, die jugendlich und forsch klang, obwohl sie einer Siebzigjährigen gehörte. Genau gesagt: dreiundsiebzig. »Großmutter…«, rief Juliane erfreut, denn nur wer Großmutter Barlach und nur wer ihre sprichwörtliche Sparsamkeit kannte, wußte dieses Ferngespräch zu würdigen.

»Ich wollte nur ganz kurz gratulieren«, sagte Großmutter, und Juliane hatte jäh und schmerzhaft Sehnsucht nach der alten Frau, an der sie so hing, weil sie sie aufgezogen hatte.

»Das finde ich aber…«

»Es wird zu teuer«, lachte Großmutter, obwohl sie es ernst meinte, »wenn du auch noch lange redest!«

»Dann, danke!« rief Juliane, »ist das kurz genug?«

»Sehr schön! Geht es dir und den Kindern gut?«

»Ja«, sagte Juliane und verschwieg, daß die Kinder krank waren. Erstens, weil sie ja ohnehin in ein paar Tagen wieder zu Hause waren, gesund und munter, und zweitens, weil sie die alte Frau nicht aufregen wollte.

»Fein! Hast du Lust umzuziehen?«

Juliane plumpste auf den Telefonhocker. Nur Großmutter konnte derartige Überraschungsfragen stellen, die immer nur scheinbar unmotiviert waren.

»Um-zu-ziehen?«

»Genau!«

»Aber…«

»Hast du – oder hast du nicht?«

»Großmutter, bitte! Welch eine Frage!«

»Also ja!« legte Großmutter Barlach diese Antwort zu ihren Gunsten aus, sagte noch:

»Tschüß dann, feiert schön, ich schreibe dir gleich einen Brief!«

Die Leitung war leer. Juliane starrte die Sprechmuschel fassungslos an, als könne die ihr antworten. Natürlich konnte die nicht, und langsam legte sie den Hörer zurück auf die Gabel.

Für eine Weile, genauso lange, bis Annegret anschellte, waren Julianes Gedanken mit Vermutungen beschäftigt, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Sie öffnete die Tür.

»Hallo, da bin ich!«

Schön wie immer und gutgelaunt wie immer hielt Annegret ihr einen Strauß hin, der nach Sommer duftete und auch genauso aussah.

»Oh, vielen Dank!« Juliane freute sich ehrlich, denn sie hatte gelernt, sparsame Blumenkäufe zu tätigen, weil sonst ihr genau ausgetüfteltes Rechensystem, mit dem wenigen Geld auszukommen, das sie hatte, zusammengebrochen wäre. Einen solchen Strauß jedenfalls hätte sie sich nie geleistet. Annegret haßte es, Licht unter den Scheffel zu stellen und fragte deshalb in schöner Ungeniertheit:

»Schön, was?«

»Wunderschön…«, entgegnete Juliane und hätte am liebsten ihr ganzes Gesicht in den Strauß gesteckt. »Hier…« Annegret reichte ihr ein Cellophanpäckchen.

»Was ist das?«

»Blumenfrisch, das kriegt man gratis dazu, wenn der Strauß teurer als zwanzig Euro ist!«

Juliane mußte lachen, wie sie oft über Annegret lachen mußte. Der Tag, an dem sie Annegret kennengelernt hatte, in einer dunklen Stunde ihres kleinen Lebens, konnte einem zweiten Geburtstag gleichgestellt werden. Niemals vorher hatte sie gewußt, was es war, eine wirkliche Freundin zu haben. Einen Kameraden, einen Kumpel, der da war, wenn man ihn brauchte. Hinzu kam noch, daß Annegret zu der speziellen Sorte Mensch gehörte, die nicht viel Fragen stellten, nicht neugierig waren und sich nicht anmaßten, Urteile abzugeben über das Verhalten und die Art ihrer Mitmenschen. Was weiter wichtig war, war die Distanz, die immer noch zwischen ihnen bestand, bei aller Freundschaft. Eine Art Freiraum, den man nur auf Aufforderung betrat, ihn aber niemals verletzte.

»So viel Geld!« meinte Juliane, genoß aber dabei das Gefühl von Luxus, einen solchen Strauß zu besitzen.

Sie bemerkte den aufmerksamen Blick Annegrets und die kleine aber steile Falte zwischen deren schmalen dunklen Brauen und fragte:

»Ist irgend etwas mit mir?«

Annegret entledigte sich ihres Blazers und warf ihn achtlos irgendwohin. Wenn man sie so betrachtete, wie sie mit ihren Sachen umging, verwunderte es jeden, der sie nicht näher kannte, daß sie trotzdem stets aussah wie aus dem Ei gepellt.

Selbst für Juliane ein kleines Phänomen.

»Nichts, Mütterchen«, antwortete Annegret, »es ist nur einfach eine Schande!«

Juliane hatte ein Vase hochgenommen, um die Blumen hineinzutun.

»Eine Schande?« fragte sie verwundert und sah sehr jung aus mit den halb angehobenen Armen, in der rechten Hand die Vase, in der linken die Blumen.

»Ja«, Annegret zog die hochhackigen Schuhe aus, stieß sie aus dem Weg und war auf der Stelle klein und zart, »daß eine Frau von deiner Schönheit nicht von den Männern mit Blumen bombardiert wird! Rosen! Orchideen! Du müßtest…«

Mit raschen Schritten ging Juliane zur Tür, die zur Küche führte. Unter dem Rauschen des Wassers rief sie:

»Höre mir auf mit Männern! Mir reicht meine eine Erfahrung.«

Annegret stand jetzt in der Tür, lässig gegen den Rahmen gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt.

»Eine ist entschieden zuwenig!«

»Drei Kinder sorgen dafür, daß es bei der einen bleibt!«

»Bist du eigentlich unglücklich?«

Juliane war so überrascht, daß sie mitten in der Bewegung erstarrte.

»Unglücklich?«

»Genau. Also?«

»Nein«, Juliane ordnete die Blumen, die, von ihrer Verschnürung befreit, jetzt erst ihre ganze Schönheit entfalteten, »nein…«, wiederholte sie noch einmal, »jetzt nicht mehr.«

»Bist du sicher?«

Juliane lächelte und dachte an die drei, die jetzt noch im Krankenhaus waren und die ihr gehörten und auch sonderbarerweise nur ihr ähnelten. Sie hatte einen weltfernen Augenausdruck bekommen, und Annegret, die überzeugte Junggesellin und erfolgreiche Karrierefrau, hatte für einige Wimpernschläge lang das Gefühl, daß Juliane hätte sie fragen müssen, ob sie eigentlich unglücklich sei! Und nicht umgekehrt. Sonderbarer Gedanke! Sie verscheuchte ihn.

»Ganz sicher!« antwortete Juliane da, hob die Vase an und trug sie ins Wohnzimmer.

Annegret folgte ihr auf Strümpfen.

»Und wenn er zurückkäme?« fragte sie beiläufig, »könnte doch sein…«

Juliane sah die Freundin an und lächelte noch einmal.

»Ich liebe ihn nicht mehr…«, war ihre ruhige Antwort, und damit war alles gesagt.

Während sie den Sekt öffnete und Gläser holte, fragte Juliane sich, ob sie Joachim wirklich nicht mehr liebte. Nein!

Er hatte alles zerstört. Alles.

Damals, ja, damals, da hatte sie geglaubt, kein Mensch auf der Welt könne unglücklicher sein als sie. Sie hatte es nicht begreifen können, daß Joachim fortging. Fort von ihr, fort von den Kindern.

Sie hatte auf der Brücke gestanden, die über den Fluß führte; mitten in der Nacht hatte sie dort gestanden und hinuntergestarrt in das träge fließende Wasser. Es lockte in seiner Trägheit, lockte, ruheversprechend und fließend: komm – komm – und sie hatte tatsächlich so etwas verspürt wie Todessehnsucht.

Dann hatte ein Wagen am Straßenrand gehalten, eine Tür war aufgegangen und eine Frauenstimme hatte gesagt:

»Ich würde es nicht tun…«

Juliane drehte den Kopf in Richtung der Stimme und sah in ein schmales Gesicht mit großen dunklen Augen. Es war ein junges Gesicht, ebenso jung wie sie ihr eigenes.

»Tun…?« hatte Juliane verständnislos gefragt und bemerkte erst dann, daß sie mit beiden Händen die steinerne Brüstung umfangen hielt, als wolle sie sich daraufschwingen zum Absprung in die Tiefe. Sie nahm die Hände zurück.

Die Frau wies mit dem Kopf, ohne dabei Julianes Augen loszulassen, hinab zum Wasser des Flusses.

»Sie wollten doch hinunterspringen, oder?«

Die Stimme war ganz sachlich, die so etwas Ungeheuerliches aussprach.

»O nein, nein – nein…« Juliane mußte nach Atem ringen.

»Dann«, vermutete die junge Frau ruhig, »haben Sie aber bestimmt mit dem Gedanken gespielt.«

Juliane hatte wild den Kopf geschüttelt, und die Frau lächelte nur.

»Ich fahre Sie nach Hause«, sagte sie dann, und sie sagte das so bestimmt, daß Juliane ihr, die auf den Wagen zuging, ohne sich nach ihr umzusehen, folgte. Ganz automatisch.

Es war ein kleiner Wagen mit einem verblüffend lauten Motor.

»Wo wohnen Sie?«

Juliane nannte die Adresse, und ihr wurde siedend heiß. Denn zu Hause, das hieß: Die Kinder, die ahnungslos in ihren Betten schliefen. Und sie – sie hatte – o Gott!!

Hemmungslos begann sie zu weinen.

»Weinen Sie nur«, sagte die Frau, die den kleinen Wagen durch die nächtliche Stadt steuerte, als wäre das die natürlichste Sache der Welt.

»Es – es ist…«, begann Juliane, doch sie wurde unterbrochen:

»Sie brauchen mir nichts zu sagen, wenn Sie es nicht wollen oder können…«, ein Blick hatte sie gestreift, »vielleicht später einmal. Ja? Einverstanden?«

Juliane hatte nur nicken können.

So hatte sie Annegret kennengelernt.

Annegret war in dieser Nacht noch mit in die Wohnung gegangen, und schweigend hatte Juliane ihr die drei schlafenden Kinder gezeigt.

Annegret hatte lediglich genickt, so, als hätte sie schon verstanden, obwohl man, nur wenn man drei schlafende Kinder gezeigt bekommt, nichts verstehen kann. Viel später hatte Annegret ihr erzählt, daß sie die Zusammenhänge geahnt habe und ihre Ahnungen sich beinahe exakt mit den Tatsachen deckten.

»Ich schäme mich so sehr…«, hatte Juliane noch gesagt, und sie meinte damit, daß sie in ihrem Schmerz ihre Kinder hatte vergessen können, wenn auch nur für einen winzigen, verzweifelten Augenblick. »Sie brauchen sich nicht zu schämen«, hatte Annegret im Hinausgehen gesagt und als sie fort war, als der laute Motor schon längst davongerattert war, hatte Juliane gedacht: Ich hätte sie nach ihrem Namen fragen sollen…

Doch das war nicht nötig gewesen, denn Annegret war am nächsten Mittag aufgekreuzt, gerade in dem Moment, in dem Juliane aus dem Hause ging, um Tanja vom Kindergarten abzuholen.

»Alles okay?« hatte Annegret als Begrüßung gefragt, und ihr Blick war schnell, forschend und ein fast prüfender gewesen. »Alles okay!« hatte Juliane fest geantwortet. Damit hatte ihre Freundschaft begonnen.

Jetzt saß Annegret also als einziger Geburtstagsgast mit hochgezogenen Beinen auf der Couch und schlürfte gut gekühlten Sekt. Sie tat das mit großem Behagen, man sah es ihr an.

Juliane bemerkte, daß Annegret sie beobachtet hatte.

»Entschuldige…«, sagte sie rasch, »manchmal gerate ich immer noch ins Grübeln.«

»Warum auch nicht? Nur endgültig durchdachte Dinge können eines Tages ad acta gelegt werden. Die meisten Menschen wissen das nur nicht…«

Dann sprachen sie über die Kinder, über Alltagskram, bis sie auf Großmutter Barlach zu sprechen kamen und Juliane von der kuriosen Frage am Telefon erzählte. »Ha!« machte Annegret.

»Was heißt das?« erkundigte Juliane sich.

»Das heißt«, antwortete Annegret triumphierend, »daß sie dir vermutlich das Haus vermachen will! Menschenskind, dann wärst du ja endlich aus dem Schneider!«

»O Gott!« sagte Juliane und schob die Schale mit dem Gebäck näher hin zu Annegret, »du und deine Ahnungen! Sie hat doch Mieter drin.«

»Denen kann man kündigen.«

»Ach – ach…«, machte Juliane, und doch war die Möglichkeit gar nicht so abwegig.

»Wenn es so sein sollte«, sprach Annegret weiter, »würdest du dann nach Hamburg ziehen?«

Juliane brauchte nicht darüber nachzudenken. »Warum nicht?«

»Hm«, Annegret betrachtete die Freundin, »weißt du, daß ich auch schon lange die Absicht hatte, in eine Großstadt überzusiedeln?«

»Ja? Wirklich? Das wußte ich ja gar nicht!«

»Doch, es ist so. Denn hier, in diesem Kaff, sind ja alle heiratsfähigen Männer bereits unter der Haube!«

Juliane legte den Kopf schräg, wie immer, wenn sie etwas bezweifelte.

»Ich denke, du willst Junggesellin bleiben.«

»Im Vertrauen: Das sage ich immer nur wegen des Mangels an Gelegenheit!«

»Im Ernst?«

»Nicht ganz.«

»Also, was nun?«

Annegret schob die Beine von der Couch, stellte die Füße nebeneinander auf den Boden und betrachtete sie eingehend.

»Ich…«, sagte sie dann gespielt düster, »warte immer noch auf die große Liebe. Und sie kommt und kommt nicht! Also scheint sie hier nicht zu sein, deshalb werde ich mich entschließen, sie anderswo zu suchen!«

»Du hast dich aber noch nicht entschlossen?«

»Es hängt von Großmutter Barlach ab…«, lachte Annegret und griff nach dem Sektglas. Ihre Augen jedoch, sah Juliane, waren ganz ernst.

*

Großmutter Barlach mußte den Brief wirklich noch sofort nach dem Telefongespräch geschrieben haben, denn er war bereits am nächsten Tag bei ihr im Briefkasten.

Juliane las ihn, einmal und noch einmal. Dann ließ sie sich in einen Sessel fallen und starrte, den Kopf in den Nacken gelegt, die Decke an, die auch mal wieder getüncht werden mußte.

Großmutter wollte ihr tatsächlich das Haus vermachen.

Und zwar jetzt schon! Sie sollte mit den Kindern kommen und ihren zukünftigen Besitz bewohnen, damit sie auch noch etwas davon habe, denn, so schrieb Großmutter, sie habe die Absicht, wenn nicht hundert, so doch wenigstens neunzig Jahre alt zu werden, und dann wäre sie – Juliane – bereits fünfzig, die Kinder groß und – und – und… Vor Julianes zur Decke gerichteten Augen tauchte das Haus auf, hell und geduckt mit seinen eineinhalb Stockwerken und den gevierteilten Fenstern, mit dem Garten, dem großen Birnbaum, der Bank darunter, unter der Joachim ihr…

Sie stand auf, das Haus zerfloß und die Erinnerung an Joachim mit ihm.

Juliane ging zum Kühlschrank, fand noch einen kleinen Rest eines klaren Schnapses, goß ihn sich ein und trank ihn. Er brandete gegen ihre Magenwände, brannte kurz und wärmte dann, um gleich darauf Ruhe und Wohlbehagen in den ganzen Körper strömen zu lassen.

Sie wanderte an der Schrankwand entlang, auf der Suche nach Zigaretten, die sie, die Gelegenheitsraucherin, immer zu kaufen vergaß.