Mami 1825 – Familienroman - Lindberg Rosa - E-Book

Mami 1825 – Familienroman E-Book

Rosa Lindberg

0,0

Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. Einer der Männer sang mit verblüffend schöner Stimme: "… wir sind schon der Meere so viele gezogen…" Er schenkte Frau Wagner ein Lächeln und Helga sagte: "Mutter, bitte!" Es klang gereizt, und Frau Wagner trat schleppend einen Schritt zur Seite, um die Möbelpacker mit der Porzellankiste vorbei zu lassen. Dabei sah sie ihre Tochter an. Helga stand, ein bißchen zu blond für ihre Jahre, auf gesunden Blockabsätzen und hakte in einer Liste die eben transportierte Kiste ab.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 105

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mami –1825–

Mütter müssen tapfer sein

Roman von Lindberg Rosa

Einer der Männer sang mit verblüffend schöner Stimme: »… wir sind schon der Meere so viele gezogen…« Er schenkte Frau Wagner ein Lächeln und Helga sagte: »Mutter, bitte!«

Es klang gereizt, und Frau Wagner trat schleppend einen Schritt zur Seite, um die Möbelpacker mit der Porzellankiste vorbei zu lassen. Dabei sah sie ihre Tochter an.

Helga stand, ein bißchen zu blond für ihre Jahre, auf gesunden Blockabsätzen und hakte in einer Liste die eben transportierte Kiste ab.

Seit Wochen war dieser Umzug angeblich perfekt vorbereitet. Wieso machte er Helga dennoch so nervös? Bestimmt, Frau Wagner ging langsam zur Tür, weil bei Helga alles perfekt schien aber selten war.

Sie hätte wirklich den Umzug in der alten Wohnung abwarten sollen! Aber wer hockt schon gern in leeren Räumen, in denen die Erinnerungen von den kahlen Wänden rieselten? Zweiundvierzig Jahre hatten sie in dem alten Haus gelebt. Die letzten achtzehn sie mit Helga allein. Nach dem Tod ihres Vaters hatte Helga sich wie besessen auf die vermeintliche Kindespflicht gestürzt, ihre arme alte Mutter zu entmündigen. Schon damals hätte Frau Wagner sich gern endlich von ihrer besitzergreifenden Tochter getrennt, doch sie brachte es nicht fertig. Nicht sie brauchte Helga – Helga brauchte sie. Brauchte sie als Publikum, dem sie ihren beruflichen Siegeszug, in Wahrheit ein normales Beamtengekraxel der mittleren Laufbahn, vorspielen zu können, und ihre Kompetenz in allen aber auch allen Sachen!

»Helga?«

»Mutter! Du siehst doch, daß ich wirklich alle Hände voll zu tun habe!«

Die Stimme! Immer zwei Tick zu hoch und drei zu laut. In achtundfünfzig Jahren hatte sie nicht begriffen, wie wichtig Stimme und Sprache waren.

»Deshalb…«, sagte Frau Wagner und spürte eine niedergeschlagene Müdigkeit irgendwo in der Herzgegend, »gehe ich ja rüber in den Park, bis du hier fertig bist.«

»Eine gute Idee!«

Und dann, denn ebenfalls Einziehende kamen an der offenen Tür vorbei, fürsorglich:

»Soll ich dich nicht lieber rüberbringen?«

»Ach was!« sagte Frau Wagner und lächelte der jungen Frau zu, die eine Gitarre und einen Eierkarton summend und tänzelnd die Stufen hinauftrug.

Im Parterre kam ihr ein Hund entgegen, umschnüffelte sie und wollte gestreichelt werden. Sein Aussehen ließ den Schluß auf viel freie und wahllose Liebe seiner Vorfahren zu.

»Das ist Attus«, erklärte ein plötzlich aus dem Boden geschossener Knabe mit einem Sommersprossenteppich auf zarter Haut, »er tut nichts! Ziehen Sie auch hier ein?«

Frau Wagner wies mit dem Stock nach oben.

»In die zweite Etage.«

Eine energische Knabenhand hob sich.

»Dann komme ich Sie mal besuchen! Ich bin der Lukas Alsen. Wir ziehen hier ein.«

Aus »hier« kam unter Hammerschlägen eine lachendschimpfende Männerstimme:

»Hör auf zu meckern, Friederike! Warum gehst du nicht irgendwo einen Kaffee trinken oder so was, bis wir hier mit den Männerarbeiten fertig sind?«

Die antwortende Stimme lachte auch.

»Das ist doch mal ein Vorschlag. Ein guter wie selten. Bis gleich dann.«

Schritte, leicht und schnell, näherten sich. Der Knabe Lukas und der Hund Attus hoben den Kopf.

»Hallo!«

»Guten Tag«, sagte Frau Wagner und freute sich unvermittelt, ohne genau sagen zu können, warum. Es war, als stünde plötzlich Heiterkeit mit im Flur.

»Werden wir Nachbarn?«

Braune Augen in einem rötlich braunen Gesicht unter wie polierte Kastanien glänzendem Haar lächelten.

»Sie zieht in die zweite Etage«, sekundierte Lukas.

Der Händedruck der Frau war so angenehm wie der ihres Sohnes.

»Dann auf gute Nachbarschaft. Ich bin Friederike Alsen und ziehe hier mit meinen sechs Männern ein.«

Frau Wagner lachte, die Müdigkeit flog weg.

»Mit sechs Männern?«

»Genau sechs!« bestätigte Lukas und grinste.

»Ja…«, Friederike Alsens Lachen klang samten.

Ein Mutterlachen, dachte Frau Wagner, wie man es leider nur noch ganz selten hört. Die jungen Mütter von heute wirkten auf sie stets ein wenig gehetzt.

»Ein Ehemann, ein Schwiegervater, drei Söhne und ein männlicher Hund. Und die alle, die lasse ich jetzt einfach allein wurschteln und setze mich derweil eine halbe Stunde drüben im Park in die Sonne!«

»Ich komm mit!« rief Lukas, doch aus »hier« rief eine Männerstimme.

»Lukas, wo bist du? Wir brauchen dich!«

»Kann man nix machen«, erklärte Lukas ohne Bedauern, dafür mit sichtlichem Stolz ob seiner Wichtigkeit und trollte sich. Attus folgte ihm.

»Das hatte ich auch vor«, Frau Wagner hob den Blick kurz nach oben, »ich bin nämlich ein bißchen im Wege.«

Friederike freute sich, man sah es ihr an.

»Damit wären wir ja zwei. Wollen wir gemeinsam gehen? Oder wären Sie lieber allein?«

»Ich bin manchmal gern allein. Im Moment allerdings nicht.«

»Das ist schön! Ich bin übrigens auch manchmal gern allein, genieße das dann richtig.«

»Alleinsein wird so oft mit Einsamkeit verwechselt.«

»Ja, leider. Sehr schade, nicht wahr?«

»Sehr!«

Sie passierten das gegenüberliegende Haus, vor dem ebenfalls ein Möbelwagen stand.

»Großer Einzugstag heute!«

»Sieht ganz so aus!«

Das Ende einer Teppichrolle streifte ihren Nacken.

»Entschuldigung, bitte!« rief eine junge Frau.

»Keine Ursache!« rief Friederike zurück und fragte Frau Wagner: »Haben Sie jemals eine so schöne Frau gesehen?« In ihrer Stimme lag neidlose Bewunderung.

»Nur im Fernsehen«, gestand Frau Wagner und dachte, daß Helga beim Anblick der feenhaften Schönen vermutlich schmallippig und hellstimmig bemerkt hätte: Bestimmt irgend so ein Flittchen!

Ein gellender Pfiff ließ Friederike erneut stehenbleiben. Drüben in der Haustür stand Lukas und winkte.

»Was ist los?« rief Friederike.

»Opa läßt fragen, wann es was zu essen gibt.«

»Sobald alle Arbeit getan ist.«

»Und was gibt es dann?«

»Lauter Überraschungen.«

Mutter und Sohn lachten über die Straßenbreite hinweg einander zu. Sie verstanden sich.

»Okay, bleib nicht so lange«, rief Lukas zurück.

Diese Bemerkung wurde von einem kurzen Bellen Attus begleitet.

Friederike hielt Frau Wagner ihren Arm hin.

»Möchten Sie sich einhaken?« fragte sie.

»Sehr gern«, antwortete Frau Wagner und hatte das Gefühl, daß sie sich hier am Lindenplatz wohl fühlen würde.

*

Die schmale Person, deren Schönheit Friederike so bewundert hatte, stand inzwischen in ihrem neu erworbenen Dachgeschoß und überlegte, wohin sie den Teppich legen sollte. Es war ein kleines kostbares Stück, das viel Platz verdiente, um richtig zur Geltung zu kommen. Zunächst stellte die Schöne ihn an die Wand und sich daneben.

Jenny Berger stieß den Atem aus, griff ihre schwarze Mähne und zurrte sie zu einem Zopf zusammen.

Sie war müde. Eigentlich war sie in letzter Zeit immer müde, unruhig und ängstlich. Und dauernd schweiften ihre Gedanken ab.

Der Anfang ihres neuen Lebens, das sie sich in einer Art Selbsterhaltungstrieb verordnet hatte, war jedenfalls anstrengender, als sie gedacht hatte.

»So!« Die beiden lederbeschurzten Muskelmänner trugen das letzte Stück, die Dielenvitrine, herein. »Wohin damit?«

»Gleich da, wo Sie stehen, an die Wand, bitte.«

Jenny überlegte, ob sie den beiden Bier oder Kaffee anbieten sollte. Sprudel hatte sie ihnen bereits gegeben. Aber sie wollte gern allein sein und entschied sich für einen größeren Geldschein. Dann schloß sie die Tür.

Diese Wohnung war es dann wohl. Für den Preis war sie wirklich unglaublich schön und – alles, was ihr von elf Jahren vor den Kameras in aller Welt geblieben war.

Jenny stieß sich von der Tür ab und stellte die Kaffeemaschine an. Während sie auf das Durchlaufen des Wassers wartete, durchschritt sie die sparsam möblierten Räume. Im Atelier blieb sie stehen. Eine Wohnung für eine Familie. Zumindest für ein Paar.

Paar! Vermutlich lag es an ihrer von glücklichen Eltern überbehüteten Jugend, daß sie von Männern soviel erwartete, mehr als die zu geben imstande waren. Nach ihren Erfahrungen waren sie Meister im Heucheln und Weltmeister im Verzehr von Gefühlen. Ihre, nach dem Tod der Eltern, in dem jähen Alleingelassensein wild wuchernden, hatten sie jedenfalls sozusagen aufgezehrt. Jenny hoffte inständig, den kärglichen Rest wieder zum Wachsen zu bringen. Leicht werden würde das nicht. Sie war ein gebranntes Wunderkind, und gebrannte Wunderkinder scheuen das Wunder. Oder so ähnlich.

Sie lächelte resigniert, wollte schon das Radio einschalten, ließ es aber dann. Statt dessen nahm sie sich aus der ausblubbernden Kaffeemaschine einen Becher Kaffee und setzte sich damit auf den Balkon.

Gegenüber wurde sachkundig und lautstark ein Klavier ausgeladen. Ein Hund sprang und bellte dazwischen. Vielleicht sollte sie sich auch einen Hund anschaffen? War doch eine reizvolle Vorstellung, immer jemanden zu haben, der einem treu ergeben war. Nie allein zu sein…

Drüben kläffte der muntere Mischling das Klavier ins Haus. Wenn er ein Dauerkläffer war, konnte es im Hause Ärger geben. Hoffentlich nicht. Und hoffentlich waren ihre neuen Nachbarn umgänglich. Jennys Toleranzgrenze war relativ hoch, jedoch keineswegs unendlich. Eine Nachbarin kannte sie bereits: Nora Lensink. Sie war ihre Frisörin, eine Künstlerin auf ihrem Gebiet. Von ihr hatte sie seinerzeit den Tip mit der Wohnung bekommen.

Ein Hund! Wirklich keine schlechte Idee. Als Therapie! Sie lachte leise in den Kaffeebecher. Therapie wogegen? Gegen die derzeit ungeheuer trostlose Angelegenheit, die ihr Leben war? Gegen den Berg der enttäuschten Hoffnungen und Aussichtslosigkeiten, der sich hoch und höher türmte, praktisch unüberwindbar?

Armer Hund, du tust mir jetzt schon leid!

Aber der Kaffee, der hatte gutgetan.

Der hintere der beiden Möbelwagen gegenüber wurde geschlossen. Fahrer und Beifahrer stiegen in die Kabine und donnerten ab. Jenny sah auf die Uhr. Umzug hin – Umzug her: Schlampen ist tödlich. Also würde sie jetzt da hinten bei den Linden oder in dem kleinen Park ihre Runde joggen. Und wenn es nur zwanzig Minuten wurden! In Shorts und Shirt hüpfte sie die Treppe hinab. Es sah plötzlich nach Regen aus. Kein Grund, sich zu drücken. Den fand man immer, wenn man wollte. Jenny kannte das.

Der Park war hübsch. Sehr hübsch. Die Lindenreihe auch, die der Wohnanlage den Namen gab: Lindenplatz. Jenny zählte dreizehn Stämme. Die hohen Bäume standen mit hellem Grün am oberen Bogen des Platzes. Es leuchtete hell vor dem schnell dunkler werdenden Perlgrau des Himmels. Jenny mochte Linden. Und Gänseblümchen. Die vor allem, weil sie die Sorte der stillen beharrlichen Kämpfer waren. Ich bin eines von den Gänseblümchen, dachte sie, wenn ich auch nicht gerade so aussehe. Das sanfte Wohlbehagen stellte sich immer nach den ersten hundert getrabten Metern ein. Vergleichbar mit einem Glas guten alten Cognacs, bei dem man es bewenden lassen sollte.

Jenny machte sich nichts aus Alkohol. Das abendliche Glas Rotwein fiel nicht darunter. Es gehörte zum Ernährungsplan, der in dieser Woche aus dreimal täglich einem Apfel und einem Stückchen Appenzeller bestand. Sie kiffte und kokste auch nicht, wie es die meisten in ihrer Umgebung taten. Dabei hatte Henry, der alte Fotograf in London, gesagt: »Solltest du ruhig tun. Es macht fotogen.«

»Vielen Dank!« hatte sie geantwortet. »Mir ist der Preis zu hoch.«

Jenny fand sich fotogen genug. Die Kameras liebten ihr Gesicht und ihren Körper. Manchmal war sie selbst verblüfft über die Ausstrahlung ihrer Fotos.

Ach, sogar ein paar Enten gab es auf dem Parkteich. Jenny blieb stehen.

»Hübsch, nicht wahr?«

Sie drehte sich um. Auf einer der Bänke saßen die alte und die junge Frau, denen sie um ein Haar ihren Teppich umgelegt hätte. Die Stimme gehörte der jüngeren.

»Wirklich hübsch.«

Jenny ging auf sie zu, weil es sich vermutlich um neue Nachbarn handelte und sie die große und nützliche Entdeckung, daß Freundlichkeit Türen und Herzen öffnet, seit langem sinnvoll nutzte.

»Ziehen Sie auch neu ein?«

»Ja, aber nicht in Nummer zweiunddreißig wie Sie, sondern dort in Nummer sechsunddreißig, gleich gegenüber.«

»Freut mich, Sie gleich am ersten Tag kennenzulernen. Ich bin Jenny Berger.«

»Freut mich auch.« Die junge Frau schien die Allsorgende zu sein. »Dies ist Frau Wagner, und ich bin Friederike Alsen.«

»Die Frau mit den sechs Männern«, lächelte Frau Wagner und mußte feststellen, daß dieses Wesen auch verschwitzt und rot von der Anstrengung des Laufens noch eine Schönheit war. Eine etwas melancholische, wenn sie das richtig beurteilte. Es lag in den Traumaugen so ein Hauch von Trauer.

Jenny mußte lachen.

»Ich rate mal: Klavier, Hund und Parterre. Richtig?«

»Ja, aber unvollständig: Dazu nämlich Mann, Schwiegervater und drei Söhne.«

»Sie Glückliche«, sagte Jenny herzlich.

Sie wechselten noch ein paar Verbindlichkeiten, dann trabte Jenny weiter.

Als sie zurück zum Haus kam, sah sie daran hoch. Hier war sie wohl die erste und einzige, die heute einzog. Allein in dem großen Haus – nicht sehr einladend. Ein Hund – fiel ihr wieder ein.

Die linke Wohnungstür der ersten Etage öffnete sich, als Jenny sie passierte. Eine sehr schlanke, sehr elegante Frau trat heraus und verschloß von außen.

»Frau Lensink!« Jenny war erleichtert. »Wie schön. Ich dachte schon, ich wäre ganz allein im Haus. Es ist noch niemand sonst eingezogen.«

Nora Lensink besaß die dunkelblauesten Augen der Welt. Sie hatte gleichmäßige Gesichtszüge, die immer ein bißchen starr wirkten. Lachen hatte Jenny sie eigentlich noch nie gesehen. Nur lächeln, und das auch lediglich sparsam.

»Ich muß Sie enttäuschen, aber ich ziehe auch erst am Montag ein. Das paßt mir besser, weil meine Läden dann geschlossen sind.«