Immer wenn ich traurig bin - Rosa Lindberg - E-Book

Immer wenn ich traurig bin E-Book

Rosa Lindberg

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Volker sagte gerade: »Aber das Kino hat eine Klimaanlage…«, als das Mädchen durch die Halle auf die Theke zugetrippelt kam. Volker hatte versucht, die Kollegin Annette zu einem Kinobesuch zu überreden, doch die zierte sich, als brauchte sie acht Tage Bedenkzeit für eine solche Einladung. Im Grunde machte er sich nichts aus Annette, offen: eigentlich reichte es, wenn er sie während der acht Dienststunden um sich hatte. Aber die Abende waren so lang… Das Mädchen mochte neun sein, vielleicht auch schon zehn, oder erst acht. Es war zierlich, hatte ein schmales Gesicht mit großen grünen Augen und vielen Sommersprossen. Ihre Haare waren lang und rot und hingen ihr bis über die Schultern. In der Anzeigenannahme einer Tageszeitung sind solche Erscheinungen selten. Nicht wegen der roten Haare, sondern wegen des jugendlichen Alters. Fräulein Annette verließ die Anzeigenannahme, und Volker wandte sich dem Kind zu, das sehr wohlerzogen »Guten Morgen« sagte. »Guten Morgen«, erwiderte Volker freundlich, »was kann ich für dich tun?« »Ich heiße Constanze Adams«, erklärte das Kind lächelnd und zeigte hübsche, kräftige Zähne. »Sehr angenehm. Ich heiße Deichmann.« »Haben Sie keinen Vornamen?« Volker staunte und sagte automatisch: »Doch.« »Und wie ist der?«

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Mami Bestseller – 73 –

Immer wenn ich traurig bin

Meine Kinder sind mein Lebensglück

Rosa Lindberg

Volker sagte gerade: »Aber das Kino hat eine Klimaanlage…«, als das Mädchen durch die Halle auf die Theke zugetrippelt kam.

Volker hatte versucht, die Kollegin Annette zu einem Kinobesuch zu überreden, doch die zierte sich, als brauchte sie acht Tage Bedenkzeit für eine solche Einladung. Im Grunde machte er sich nichts aus Annette, offen: eigentlich reichte es, wenn er sie während der acht Dienststunden um sich hatte. Aber die Abende waren so lang… Das Mädchen mochte neun sein, vielleicht auch schon zehn, oder erst acht. Es war zierlich, hatte ein schmales Gesicht mit großen grünen Augen und vielen Sommersprossen. Ihre Haare waren lang und rot und hingen ihr bis über die Schultern.

In der Anzeigenannahme einer Tageszeitung sind solche Erscheinungen selten. Nicht wegen der roten Haare, sondern wegen des jugendlichen Alters. Fräulein Annette verließ die Anzeigenannahme, und Volker wandte sich dem Kind zu, das sehr wohlerzogen »Guten Morgen« sagte.

»Guten Morgen«, erwiderte Volker freundlich, »was kann ich für dich tun?«

»Ich heiße Constanze Adams«, erklärte das Kind lächelnd und zeigte hübsche, kräftige Zähne.

»Sehr angenehm. Ich heiße Deichmann.«

»Haben Sie keinen Vornamen?«

Volker staunte und sagte automatisch: »Doch.«

»Und wie ist der?«

»Volker.«

»Danke.«

»Bitte. – Also, was kann ich für dich tun?«

Das Kind warf seinen Schultornister mit elegantem Schwung auf die Theke, reckte sich und kam so nah es ging zu Volker heran, der sich unwillkürlich vorbeugte.

»Ich möchte eine Anzeige aufgeben«, wisperte das rothaarige Mädchen.

»Dafür sind wir da.«

Das Mädchen machte Augen, die besagten: das weiß ich doch!

»Eine Anzeige, um einen Mann zu finden…«, erklärte es flüsternd weiter.

Volker war plötzlich amüsiert.

»Bist du nicht ein bißchen zu jung dafür?«

»Doch nicht für mich!«

»Für wen denn?«

»Für uns alle!«

»Und wer ist das?«

Das Mädchen blickte erst nach links, dann nach rechts, dann Volker an. Gott, waren die Augen schön! Wenn sie groß war, würde sie damit den Männern ganz schön einheizen.

»Oma«, erklärte das Mädchen Constanze, »Astrid, Beatrice, ich und natürlich Mami.«

»Natürlich…!«

»Ja.«

Sie blickten sich an, schweigend. Bis Volker sich räusperte.

»Dann zeige mir doch mal den Text.«

»Welchen Text?«

»Den für die Anzeige.«

»Ich habe keinen Text.«

»Nein?«

»Nee. Ich dachte, hier würde einem geholfen…«

Das war ein so unüberhörbarer Vorwurf, daß Volker zu einem Blatt griff und zu einem Kugelschreiber.

»Okay, du suchst also einen Mann für deine Mutter, wenn ich dich richtig verstanden habe?«

»Ja, sicher, heiraten müßte sie ihn schon.

»Klar. Du bist schließlich zu jung dafür.«

»Ja, ja. Und er soll ja auch unser Vater sein, wenn er schon mal da ist.«

»Ah, ja. Sicher. Euer Vater?«

»Ja. Astrids, Beatrices und meiner. Ich habe das doch schon gesagt!«

Volker Deichmanns Vater war Arzt und Volker war dazu ausersehen, eines Tages die väterliche Arztpraxis zu übernehmen. Sein Abitur war aber nicht so ausgefallen, als daß er gleich mit dem Medizinstudium beginnen konnte, er mußte warten. Und da Papa ein Mann der Tat war, hatte er Volker sicherheitshalber für die Zwischenzeit eine Lehrstelle bei einer Bank vorgeschlagen, was auch für einen Arzt von Vorteil sein kann. Aber Bank, das hatte Volker nicht gefallen, und so hatte er sich für einen Zeitungsverlag entschieden. Doch jetzt, während er die riesigen Augen des Mädchens vertrauensvoll auf sich gerichtet sah, dachte er ernsthaft darüber nach, ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, wenn er zur Bank gegangen wäre…

»Nun gut«, sagte er ruhig, »dann erkläre mir mal, wie er sein soll!«

»Reich!« kam es wie aus einer Pistole geschossen.

»Reich. So. Und weiter?«

»Gut.«

»Gut ist gut«, er lachte, doch das Mädchen lachte nicht mit, und Volkers Lachen erstickte. »Also ein guter Mensch soll er sein?«

»Muß«, berichtigte Constanze ihn geduldig, »muß er sein!«

»Gut. Und was noch?«

Constanze warf ihren Kopf und damit auch ihre rote Mähne nach hinten. Dabei fiel ihr ein, daß sie nicht vergessen durfte, kurz vor zu Hause die Zöpfe zu flechten. Denn wenn Mami sie so sah, wäre ein Donnerwetter los. Aber sie würde es schon nicht vergessen.

»Viel weg wäre gut…«, sagte sie, denn im Grunde widerstrebte es ihr, einen fremden Mann im Hause zu haben.

Sie sah Volkers Gesicht, merkte, wie er ganz perplex aussah und fragte: »Geht wohl nicht, wie?«

»Na, ich weiß nicht. Jetzt erzähle mir erst mal, wie deine Mutter aussieht…«

»Schön!« behauptete das Mädchen.

»Ein bißchen wenig…«

»Nein-nein. Sie ist schon ganz schön. Wirklich. Und sie hat auch rote Haare und grüne Augen. Und auch Sommersprossen…«

Plötzlich wurde der Kindermund breit und die Augen schmal vor Lachen. »Wir haben alle rote Haare und Sommersprossen und grüne Augen. Sogar die Omi!«

»Wie schön…«

Volker fühlte sich überfordert. Er würde froh sein, wenn die drei Monate hier am Anzeigenschalter um wären und er in eine ordentliche Abteilung käme!

»Ja. Schön ist es. – Was kostet so eine Anzeige überhaupt.«

»Es kommt auf die Menge des Textes und die Größe an…«

»Ich habe Geld«, sagte Constanze und griff nach hinten in die Jeanstasche. Sie förderte ein paar Eurostücke hervor, vier Zehn-Centstücke und ein paar Kupferstücke.

»Das reicht ja wohl…«

Volker blickte auf den verworrenen Text, von dem er sich Stichworte notiert hatte und dann auf das Geld.

»Leider nicht«, sagte er mit echtem Bedauern, denn man hätte wirklich eine prima Anzeige zaubern können mit diesen vielen rothaarigen Damen und den Wünschen dieser Constanze.

»Was? Es reicht nicht?«

»Nein. Leider…«

»Was mache ich denn da?«

»Tja – da bin ich überfragt.«

»Tja…«, machte Constanze und sah sehr bedrückt aus, »ich auch!«

»Können deine Schwestern denn nicht auch etwas dazu tun?«

Wenn grüne Augen funkeln, leuchten sie geradezu, diese grünen Augen aber gaben wahre Strahlenbündel zu ihm rüber.

»Dann müßte ich ja alles erzählen…«

Volker verstand. Ha, sagte er sich, Junge, du machst dich!

Vertraulich legte er einen Arm auf die Theke und beugte sich noch näher zu Constanze.

»Es weiß also niemand davon?«

»Nur ich!«

»Auch deine Mutter nicht?«

»Die doch gerade nicht! Es soll eine ganz große Überraschung sein! Es wäre doch eine große Überraschung?« erkundigte sie sich schnell hinterher und sah mit einem Male sehr unsicher aus.

»Weiß Gott!« sagte Volker überzeugt.

»Prima. Und wissen Sie was?«

»Ich – nun – ich weiß so manches…«

»Also: ich lasse Ihnen dies Geld schon mal hier. Als Anzahlung. Und ich bringe Ihnen immer was, wenn ich wieder was habe. Bis ich die Anzeige bezahlt habe.«

Constanze strahlte über ihren fabelhaften Einfall und stellte glatt zehn brennende Kerzen damit in den Schatten.

Volker seufzte.

So gut der Vorschlag für Constanze war, so schlecht war er für ihn. Nicht nur, daß er den Geschäftsgepflogenheiten dieses Hauses zuwiderhandelte, es würde auch eine Kreditierung über lange Zeit sein. Das heißt, eigentlich war es ja gar keine Kreditierung. Nur: wie sollte man den Vorgang verbuchen?

Volker war es jetzt, der sich vorsichtig umblickte. Niemand in Hörweite.

»Paß auf«, sagte er, »wenn wir das Geschäft machen wollen, muß es privat sein.«

Constanzes gesamtes Gesicht war pure Verständnislosigkeit.

»Wieso?« fragte sie. »Also: ich verwahre für dich das Geld so lange, bis es so viel ist, daß du eine Heiratsanzeige bezahlen kannst.«

»Dann kann ich es auch selbst verwahren!«

Volker machte ein strafendes Gesichte »Wirklich?«

Constanze wand sich.

»Nun – ja – also…«

Sie war aufrichtig genug zu sich selbst, daß sie sich eingestand, daß sie das Geld mit leichter Hand und in weniger als einer Viertelstunde in Süßigkeiten umsetzen könnte. Die Sache mit einem Mann für Mami und einem Vater für sich und einem Geldbringer für sie alle lag ihr am Herzen, wirklich, aber das Geld – wenn sie es so immer bei sich trug – und auf dem Schulweg an drei Süßwarenlädchen vorüberkam – ach…

Ein Kunde betrat die Halle und kam zu Volkers Schalter.

»Warte einen Augenblick«, sagte Volker rasch, und Constanze nickte.

Der Mann holte Zuschriften ab. Es war eine ganze Menge, wie Constanze bemerkte, und sie sah sich den Mann an. Nein – so einen nicht, dachte sie, und eine vage Ahnung flog sie an, daß die Sache nicht leicht werden würde.

»So…«

Der Mann war weg.

»Suchte er eine Frau?«

»Nein«, sagte Volker, »jetzt aber weiter. Hast du es dir überlegt.«

Constanze hatte.

»Ja. Behalten Sie das Geld. Vielleicht komme ich morgen schon wieder.«

»Sehr schön. Warte, ich gebe dir eine Quittung.«

»Nein danke. Ich kenne Sie ja.«

»Trotzdem wäre es besser…«

»Mensch«, erklärte Constanze, verwundert über so viel Begriffsstutzigkeit bei einem so netten Mann, »und wenn einer die Quittung findet?! Ha?«

»Allerdings…«, sagte Volker, »da hast du recht. Aber zähle wenigstens noch mal nach.«

Das tat Constanze und entschied dann, um die Sache abzurunden, auf vier Euro und siebenundzwanzig Cent, zwei von den Zehn-Cent-Stücken zu nehmen, um sich selbst ein bißchen für ihren selbstlosen Einsatz für eine bessere Zukunft der gesamten Familie zu belohnen.

Volker blickte ihr lange nach und hatte das unerklärliche Gefühl, soeben eine Menge gelernt zu haben.

*

Constanze machte nur einen winzigen Umweg an der Bude vorbei, wo die Gelee-Erdbeeren am billigsten waren. Die Preise für Süßigkeiten waren ihr so geläufig, wie einer guten Hausfrau die Preise der Lebensmittel.

Sie war fast um die Ecke, als ihr ihre Mähne wieder einfiel. Achtlos teilte sie das Haar und flocht zwei Zöpfe. Meine Güte, wo waren denn die Haarspangen schon wieder? Sie fand sie in dem Etui, neben den Filzstiften. Möchte bloß wissen, wer sie dahin getan hat! So, fertig.

Als sie ins Haus kam, stand Omi in der Diele und telefonierte.

»Natürlich – natürlich!« sagte sie gerade in einem ganz besonderen Tonfall, der Constanze erkennen ließ, mit wem Omi telefonierte. Mit Mami.

»Kann ich auch mal mit Mami sprechen?« fragte sie und hob schon den Arm.

Omi machte strenge Augen.

»Du wirst wohl – bitte! – warten, bis ich fertig bin! – Nein, nicht du! Constanze ist gerade hereingekommen. Sie möchte mit dir reden. Wir wären ja denn soweit. Wenn du also meinst, es mit deiner Gesundheit vereinbaren zu können, nicht zum Essen zu kommen… Bitte! Hier deine Tochter.«

Constanze nahm den Hörer, wartete, bis Omi in der Küche war, und fragte dann leise: »Was hat sie denn bloß?«

Mami hatte ein sattes, dunkles Lachen, das einem immer so richtig guttat.

»Schnuckeline!« sagte sie danach halb vorwurfsvoll, »wie sprichst du denn von deine Großmutter?«

»Ach – du weißt doch, wie ich das meine…!«

»Sie macht sich Sorgen.«

»Warum denn?«

»Sie meint, ich arbeite zuviel, weißt du, und jede Mutter macht sich eben Sorgen um ihr Kind. Sie sich um mich, und ich mir um euch.«

»Das…«, verkündete Constanze großspurig und siegessicher, »ist ja nun bald nicht mehr nötig…«

»Im selben Moment legte sie sich die Hand vor den Mund. Zu spät!

Mamis Stimme klang amüsiert.

»Ach! Wirklich? Und wieso nicht?«

»Weil, ja, guck mal, wir werden immer größer – und größer und…«

»Con-stan-ze!«

»Ja?«

»Also, was ist? Hast du im Lotto gespielt?«

Constanze dachte, daß das eine zweite Möglichkeit wäre! Ein Jammer war nur, daß alle Dinge, aber auch alle Geld kosteten. Und genau das war es, was sie selbst am wenigsten hatte.

»Noch nicht. Aber ich spare.«

Mami lachte wieder, und Constanze fand, daß sie sich geschickt aus der Affäre gezogen hatte. Sie rief: »Also dann bis heute abend, Mami.«

»Ja. Bis später mein Herzblatt – und sei brav, hörst du? Mach Omi keine Sorgen.«

»Bestimmt nicht!« versprach Constanze großherzig, legte auf, ging in die Küche, roch, zog die Nase kraus und motzte: »Das mag ich nicht!«

Omi war gänzlich ungerührt.

»Das macht nichts. – Wasch dir die Hände, Süße, und dann komm zu Tisch.«

»Sind wir heute ganz allein?«

»Ja, Mami kommt nicht. Astrid hat länger Schule, und Beatrice gibt ihre Nachhilfestunden bei dem Jungen von Klettmanns.«

»Die haben’s gut…«, sagte Constanze und starrte feindselig die Wirsingrouladen an, deren Füllung es war, die ihr nicht schmeckte. Aber Omi war furchtbar in dieser Beziehung.

»Durchessen«, war eines ihrer geflügelten Worte, »bedeutet auch gleichzeitig Charakter.«

Constanze hatte keinen blassen Schimmer, wie Omi das meinte, hütete sich aber, danach zu fragen.

Omi redete gern. Vor allem, wenn sie den ganzen Vormittag allein gewesen war. Es war, als habe sich dann so einiges angestaut, das nun herausgelassen werden mußte.

Während Constanze bei Tisch scheinbar geduldig und interessiert Omis Rede lauschte, teilte sie geschickt die Roulade von ihrer Füllung und gab die Füllung Stückchen für Stückchen eine Etage tiefer, wo Bazillus saß.

Bazillus, ein Dackel, war ungeheuer gefräßig, sehr liebebedürftig und schnell beleidigt. Aber in manchen Dingen war er von überdurchschnittlicher Geschicklichkeit und Diskretion. Dieses Spielchen beispielsweise, beherrschte er so hervorragend, daß selbst der aufmerksamen Omi bisher nicht der Hauch eines Verdachts gekommen war.

Omi sah auf.

»Na, siehst du«, sagte sie anerkennend, »mit ein bißchen gutem Willen geht alles.«

»Ja, Omi«, sagte Constanze und streichelte mit dem Fuß Bazillus.

*

EVA ADAMS – stand über dem einzigen Schaufenster, MODELLSCHNEIDEREI. Und unten, in der linken Ecke des Schaufensters, in dem Eva mit viel Phantasie Stoffe dekoriert hatte, stand das kleine Schild Meisterbetrieb.

Weder das eine noch das andere änderten etwas daran, daß das Geschäft nicht viel mehr war, als eine bessere Änderungsschneiderei. Die paar Stammkundinnen, die nach wie vor einzelne Teile hier anfertigen ließen, machten den Braten nicht fetter.

Eva schloß die Tür ab, es war Mittagszeit. Sie knabberte an einem Apfel, legte die Beine hoch und schloß die Augen.

Sofort, ohne Übergang, erschienen vor ihrem geistigen Auge Zahlen, immer wieder Zahlen. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal, ohne diese allgegenwärtige Zahlenkolonne fürchten zu müssen, die Augen hatte schließen können Zehn Jahre.

Oder doch fast.

Seit dem Unglück, dem großen, das dann auch noch eine ganze Kette kleinerer hinterherbrachte.

»Als Ernst verunglückte, weil er viel zu lange am Steuer gesessen hatte vermutlich, da war Constanze ein Baby gewesen, und die Welt und das Leben waren voller Glück und Verheißung gewesen. Von einer Stunde zur anderen hatte sie sich dann verändert, die Welt. Jedenfalls für Eva.

Das Speditionsunternehmen, mit dem sie zu Reichtum, oder doch zumindest zu Wohlstand kommen wollten, lebte noch von Krediten, die nun nicht mehr eingelöst werden konnten. Dann gab es keine Spedition Adams mehr.

Und Lebensversicherung, Altersversorgung und dergleichen, das hatten sie dann alles machen wollen, wenn die Firma mehr abwarf.

Zu dem Schmerz, der Eva mitten ins Herz traf, kamen die Sorgen.

Es war gut, daß sie eine Mutter hatte, die ohne Zögern ihr bequemes Pensionärinnen-Leben aufgab, kam und blieb. Und Omi hatte sie dann schließlich auch soweit gebracht, daß sie ihren Meisterbrief machte.

Eva dachte an ihre Träume, die Jung-Mädchen-Träume, geträumt damals, als sie Ernst noch nicht kannte. Paris wollte sie erobern, bei Dior wollte sie arbeiten oder Chanell. Chanell am liebsten. Sie wollte Träume von Kleidern entwerfen, in denen die Frauen, die sie trugen, wiederum träumen konnten. Alle Voraussetzungen dafür hatte man ihr auf der Modeschule bescheinigt, nichts stand der Eroberung im Wege.

Doch.

Ein Mann.

Ernst…

Für ihn ließ sie alle Träume fahren.

Sie träumte nun einen anderen Traum, einen gemeinsamen Traum. Den Traum der Liebe, der Erfüllung fand. Die Erfüllung schlechthin.

Sieben Jahre lang.

»Wir gehen das Alphabet von vorn durch…«, hatten sie sich lachend gesagt, und ihr erstes Kind »Astrid« genannt. Das zweite dann, wieder ein Mädchen, »Beatrice«. Und endlich kam das C. nämlich Constanze. Eva glaubte, daß keine Kinder dieser Welt mit mehr Liebe empfangen wurden, und nicht eines mit mehr Liebe erwartet und geboren sein konnte.

Sie dämmerte vor sich hin, müde, schon nach einem halben Tag. Manchmal kam es ihr vor, als wäre sie in letzter Zeit nur noch müde. Vielleicht lag es daran, daß ihr Schlaf so flach war.

Es klopfte gegen die Glastür, dreimal kurz, einmal lang. Astrid also.

Eva stand schnell auf und öffnete die Tür. Astrid begrüßte sie, hielt einen Augenblick ihre Wange an Mamis und sagte: »Alles Mist!«

»Na, na…« Eva zog sie mit nach hinten, und begann, Tee aufzubrühen.

»Ach, es ist doch wahr! In Mathe hat er mir wieder nur eine drei gegeben! Die ganze Klasse sagt, daß das ungerecht wär’!«

Eva schwieg, hantierte mit dem Geschirr. Bei Astrid mußte man schweigen, bis sie »Dampf abgelassen« hatte. Erst dann nämlich war mit ihr ganz normal zu reden. Eva hörte sich das ganze angebliche Klassen- und Lehrer-Dilemma an, das mit der Frage schloß: »Was hast du denn zu essen im Laden?«

Der Alltag hatte Astrid wieder!

»Nur Obst, Kleines. Leider…«

Astrid hatte schon die kleine Schranktür geöffnet.

»Mami?«