Die mysteriösen Fälle der Miss Murray: Kunstraub in Kensington - Amalia Zeichnerin - E-Book

Die mysteriösen Fälle der Miss Murray: Kunstraub in Kensington E-Book

Amalia Zeichnerin

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Beschreibung

London, 1890. Eine Künstlerin wird bestohlen. Die Groschenromanautorin und Gelegenheitsdetektivin Miss Murray macht sich auf die Suche nach dem verschwundenen Gemälde. Dabei ermittelt sie unter anderem in der örtlichen Kunstszene, doch lange Zeit kann sie die einzelnen Puzzleteile des Falls nicht zu einem Bild zusammensetzen ...

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Table of Contents

Titelei

Inhaltswarnungen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Nachwort und Danksagung

Impressum

Die mysteriösen Fälle der Miss Murray:Kunstraub in Kensington

Teil 4 der „Miss Murray”-Reihe

 

© Amalia Zeichnerin 2019

Inhaltswarnungen zu diesem Roman

 

Gewalt (keine Todesfälle)

1

 

Sonntag, 6. Juli 1890 – Edith Grove, Chelsea

 

Ein brütend heißer Sommertag ohne das kleinste Wölkchen am Himmel neigte sich dem Ende zu, der die Straßen Londons gehörig aufgeheizt hatte. Noch immer wehte eine warme Brise an diesem Abend, die Josephine ein wenig die Frisur unter ihrem Strohhut zerzaust hatte, als sie hergekommen war.

In Lady Thelmas Salon glänzte es wie immer an allen Ecken und Enden; die goldenen Verzierungen auf Bilderrahmen und Möbeln schimmerten im Schein der brennenden Kerzen, ebenso wie die Kristallgläser in den Händen der anwesenden Damen, die daraus Limonade tranken – manch eine mit einem Schuss Gin.

Millicent spielte Klavier, während mehrere Gäste miteinander tanzten. Auch Josephine wollte sich dieses Vergnügen nicht nehmen lassen und drehte sich mit Helen Haynes rasant im Kreis, während die vielen Farben im Saal wie in einem Kaleidoskop umherwirbelten. Angesichts der Wärme, selbst zu dieser späten Stunde, bat ihre Tanzpartnerin nach dem Walzer um eine Erfrischung.

„Himmel, ich muss erst mal wieder Atem schöpfen … möchten Sie auch ein Glas Limonade, meine Liebe?”

„Dazu sage ich nicht nein”, erwiderte Josephine, klappte ihren Spitzenfächer auf und fächelte sich damit Luft zu.

„Wo haben Sie eigentlich Ihre Freundin gelassen?” Miss Haynes griff zu einer Karaffe, die auf einem zierlichen Teewagen stand, und goss ihnen beiden etwas ein.

„Constance hat es vorgezogen, zu Hause zu bleiben, um sich auszukurieren. Sie hat sich erkältet, wissen Sie? Vor einigen Tagen ist sie auf dem Heimweg in dieses Sommergewitter geraten und klitschnass zu Hause angekommen.”

„Oh, wie schade.” Bedauernd blickte Miss Haynes sie an. „Bestellen Sie ihr einen Gruß von mir und gute Genesung.”

„Danke, das richte ich gern aus.”

Im Stehen genossen sie das säuerlich-erfrischende Getränk und sahen den Tanzenden zu. Die Künstlerin Fannie Richardson, Miss Haynes’ Freundin, gesellte sich zu ihnen. Vor einigen Wochen waren die beiden zum ersten Mal in Lady Thelmas Salon für Damen erschienen. Die Künstlerin war eine zierliche Frau von Anfang Dreißig, mit hellbraunem, welligem Haar und Augen von fast derselben Farbe. Sie trug ein beigefarbenes Kleid, das bestens damit harmonierte.

Helen bildete einen starken Kontrast zu ihr – sie hatte eine kurvenreiche Figur, ein weiches Gesicht und honigfarbene Locken, die sie aufwändig hochgetürmt hatte. Einzelne Löckchen kringelten sich in ihre Stirn, was der Frisur ein wenig die Strenge nahm. Ihre Haarfarbe bildete einen interessanten Kontrast zu dem lavendelfarbenen Kleid, das am Saum mit dunkelgrauen Stickereien verziert war.

Miss Haynes war wirklich bildschön. Es war nicht verwunderlich, dass sie Fannie – und deren Mann – Modell gesessen hatte, wie sie erzählte.

Also haben die beiden eine Affäre … ob Fannies Mann davon etwas weiß? Natürlich stand es ihr nicht zu, ihren neuen Bekannten eine solch intime Frage zu stellen. Vielleicht lebten sie ja auch in einer Art Dreiecksbeziehung? Adelaide und ihre Freundin Sophronia, die beide Lady Thelmas Salon seit dem vergangenen Herbst regelmäßig besuchten, lebten mit Adelaides Mann in einer ähnlichen Beziehung, zumindest hatte sie einige Andeutungen in diese Richtung gemacht. An diesem Abend waren die beiden allerdings nicht da.

„Finden Sie nicht auch?“, riss Mrs Richardson sie aus ihren Gedanken.

Josephine schoss die Hitze in die Wangen. „Oh, verzeihen Sie, was sagten Sie gerade? Ich war einen Moment lang geistig abwesend.“

„Ich sagte, in Frankreich gibt es ja nun seit einiger Zeit den Pointillismus, haben Sie davon schon gehört?“, fragte die Künstlerin.

„Nein“, musste Josephine zugeben. „Sollte ich ihn kennen?“

Fannie Richardson zuckte mit den Schultern. „Nun, man kann sagen, daran scheiden sich die Geister. Bilder, die in diesem Stil gemalt werden, sind sehr streng durchkomponiert und dann wird alles, wirklich alles, mithilfe von winzigen Punkten gemalt. Daraus ergibt sich dann letztendlich das eigentliche Bild. Allerdings sehe ich drei große Schwächen dieses Stils.“

„Und die wären?“, erkundigte Josephine sich.

„Nun, zum einen gibt es überhaupt keinen Raum für Improvisation, für intuitive Pinselstriche, oder solche, die aus einem inneren Impuls heraus gesetzt werden. Zum anderen ist es ein enormer Zeitaufwand, auf diese Weise zu malen. Außerdem bekommt man während des gesamten Entstehungsprozesses keinen vernünftigen Eindruck, wie das Bild am Ende aussehen wird, weil man erst einmal nur Hunderte von Punkten sieht.“

„Ich verstehe. Denken Sie, dieser Stil wird sich auch hier durchsetzen, Mrs Richardson?“

Die Dame gab ein glucksendes Geräusch von sich. „Nein, nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich gebe diesem Stil fünf Jahre, maximal, dann wird er gewiss wieder verschwinden. Ach, und bitte, nennen Sie mich Fannie.“

„Angenehm. Dann nennen Sie mich bitte Josephine.“

„Wird mir ein Vergnügen sein. Ja, also, ich denke, was eher Aussichten auf längerfristigen Erfolg hat, ist vielleicht eine neue Kunstrichtung. In Frankreich nennen sie diese Art Noveau. Ich habe etwas darüber in einem Künstlermagazin namens L'Art Moderne gelesen, das mir ein Bekannter geliehen hat. Aber hierzulande ist er noch nicht so bekannt. Oder der Impressionismus, der auch aus Frankreich kommt und dort schon seit einigen Jahren Anhänger hat.”

„Ah ja?”, fragte Josephine.

„Ja. Wissen Sie, der Impressionismus, das ist ein Stil, der vom Licht- und Schattenspiel lebt. Ganz anders als der Realismus. Es sind vor allem Landschaftsgemälde, aber nicht nur. Soweit ich weiß, wurde dieser Stil nach einem Bild von einem gewissen Claude Monet benannt – Impression, soleil levant , also ,Impression, Sonnenaufgang‘. Das hat ein Journalist aufgegriffen und nannte die entsprechende Veranstaltung dann ,Ausstellung der Impressionisten‘. Aber ich fürchte, für viele der hiesigen, eher traditionell eingestellten Künstler ist dieser Stil wohl zu progressiv. Er bricht mit sämtlichen Konventionen. Aber so ist es ja meistens mit avantgardistischen Strömungen, nicht wahr? Das gibt es ja auch in der Literatur, ist es nicht so?”

„Ich muss gestehen, das kann ich Ihnen nicht beantworten. Meine Bildung reicht dafür nicht aus. Ich schreibe ja lediglich unterhaltende Heftromane“, erklärte Josephine.

Fannie runzelte leicht die Stirn. „Und reicht Ihnen das für Ihr künstlerisches Streben als Schriftstellerin, wenn ich fragen darf?”

„Im Moment ja”, erwiderte Josephine frei heraus. Sie zuckte mit den Schultern und lächelte. „Aber wer weiß, was noch kommen mag ...”

Einige Zeit später tanzten mehrere der Damen wieder, während Millicent am Klavier einen schwungvollen, fröhlichen Walzer spielte. Fannie wirbelte ihre Freundin über das Parkett. Josephine machte es sich währenddessen in einem Sessel bequem und schenkte sich ein weiteres Glas der erfrischenden Limonade ein.

Plötzlich erklang aus der Eingangshalle wütendes Gezeter. Eine männliche Stimme. Und das hier? Wie war das möglich? Lady Thelmas Salon war ausschließlich Damen vorbehalten. Josephine stellte ihr Glas ab und stand auf. Einige der Gäste tanzten noch immer. In diesem Moment wurde die Tür zum Salon aufgerissen und ein Mann mit rotem Gesicht stürmte herein. Er hatte pechschwarzes Haar und trug einen Schnurrbart, der ihm gut stand.

„Fannie!“, rief er laut. Als er seine Frau Arm im Arm mit Helen Haynes sah, wurde sein Gesicht noch roter. „Das ist ja ungeheuerlich! Ich hab es ja geahnt, dass du und Helen …“

Er brach ab, rang nach Worten. „Ein schöner Salon ist das!“ Er blickte zu der Gastgeberin hinüber, die ganz blass geworden war. „Das wird ein Nachspiel haben, Lady Thelma!“

Lady Thelma straffte sich. Die ältere Dame, die an diesem Abend ein edel schimmerndes, mitternachtsblaues Kleid trug, presste die Lippen zusammen, klappte mit einem schnappenden Geräusch ihren Fächer zu und trat auf den Eindringling zu. „Sie haben offensichtlich einen ganz falschen Eindruck von meinem Salon, Sir.“

„Das glaube ich keineswegs“, blaffte er sie an.

„Meine Gäste haben den Wunsch geäußert, hier ein wenig das Tanzen zu üben, um sich auf Bälle und andere festliche Gelegenheiten vorzubereiten. Ist es nicht so, meine Damen?“, fragte Lady Thelma in die Runde und hob dabei leicht die Augenbrauen.

„Genauso ist es!“, rief die rothaarige Annabelle, die sich von ihrer Freundin Lydia löste. „Wann haben wir denn sonst die Gelegenheit dazu, in Ruhe zu üben, ohne uns vor Nachbarn, Bekannten oder Angehörigen zu blamieren?“

„Siehst du“, sagte Fannie zu ihrem Gatten. „Du hast das offensichtlich falsch interpretiert, mein Lieber.“

„Wir sprechen uns noch, wenn wir zu Hause sind“, sagte er mit drohender Stimme. „Aber darum geht es mir gar nicht.“ Er sprach nun etwas ruhiger, wirkte aber immer noch aufgebracht. „Eines deiner Bilder wurde gestohlen. Aus Mandelbaums Galerie. Ich habe vorhin eine entsprechende Nachricht erhalten.“

„Oh ...“ Fannie schlug eine Hand vor den Mund.

„Komm, gehen wir. Am besten, wir fahren zur Galerie. Und danach verständigen wir die Polizei, immerhin geht es um einen Kunstraub.“

„Ja, natürlich.“ Fannie drückte einen Moment lang Helens Hand. „Mach dir keine Sorgen. Ich bin mir sicher, das klärt sich bald wieder auf. Wir sehen uns bald wieder, ja?“

„Haben Sie noch einen schönen Abend, meine Damen“, sagte Fannie mit einem entschuldigenden Blick in die Runde. Sie deutete einen Knicks an.

„Sollten Sie Hilfe brauchen, zögern Sie nicht, mir eine Nachricht zu senden“, sagte Lady Thelma zu der Künstlerin.

„Danke, aber das wird nicht notwendig sein, schließlich kann sie sich an mich wenden“, entgegnete Mister Richardson mit kühler Miene.

Lady Thelma hob die Hände. „Wie Sie meinen. Ich hoffe, dass sich das verschwundene Gemälde bald wieder anfindet.“

„Das hoffe ich auch“, erwiderte er grimmig, ehe er seine Frau am Arm packte und mit ihr den Salon verließ.

Josephine wandte sich Miss Haynes zu, die wie ein Häufchen Elend in einen der gepolsterten Sessel gesunken war. Sie weinte leise, ihre Tränen bildeten dunkle kleine Flecken auf dem lavendelfarbenen Stoff ihres Kleides.

Josephine ging zu ihr hinüber. „Möchten Sie etwas trinken?“ fragte sie.

„Nein, vielen Dank.“ Miss Haynes schniefte ganz undamenhaft und wischte sich über die Augen. „Ich hätte ahnen sollen, dass es irgendwann so weit kommt. Manchmal hat er mich so seltsam gemustert. Aber ich habe das wohl falsch aufgefasst. Ich dachte, er hätte ebenfalls ein Interesse an mir. Aber für ihn geht die Kunst über alles, dabei sind Fannies Bilder viel besser als seine.”

Die Worte sprudelten rasch aus der jungen Frau heraus. Als ob sie nur auf eine Gelegenheit gewartet hatte, endlich jemandem von ihrer Misere berichten zu können, um diese nicht länger allein mit sich herumzuschleppen. „Sein Interesse an mir war zu Beginn ein rein Ästhetisches. Zumindest dachte ich das, aber er ist offensichtlich eifersüchtig. Mir würde es gewiss genauso gehen, wenn irgendjemand Fannie …” Sie brach ab.

Josephine nahm auf dem Stuhl neben ihr Platz.

„Wissen Sie, ich hatte noch nie ein gesteigertes Interesse an Männern.“

Da haben wir etwas gemeinsam.

„Sind Sie denn schon lange als Modell für die beiden tätig?“, fragte sie.

Helen Haynes überlegte einen Moment lang. „Fannie und ich kennen uns über ein Jahr. Aber wir sind erst zusammengekommen, seit ich für sie und ihren Mann Modell gestanden habe. Es waren nicht viele Bildmotive und wir waren sehr vorsichtig. Wir haben immer darauf geachtet, dass er außer Haus ist, wenn wir … Sie wissen schon. Er muss trotzdem etwas geahnt haben. Nicht gleich zu Beginn, aber später.“

Ein Schluchzer schüttelte ihren Körper. „Neulich habe ich mich mit Fannie gestritten. Es war nicht das erste Mal. Ich habe sie schon mehr als einmal gebeten, dass sie ihren Mann verlässt. Aber davon will sie nichts wissen. Weil sie ihm nun mal ein Versprechen gegeben hat, bei der Hochzeit. Und sie fühlt sich daran gebunden, auch wenn sie ihn nicht mehr liebt. Oder zumindest nicht mehr so wie früher.“

Josephine fielen keine tröstenden Worte ein. Miss Haynes und Mrs Richardson befanden sich in einer völlig verfahrenen Situation.

 

Als sie später heimkehrte, öffnete Constance ihr die Tür. Ihr blondes Haar war zerzaust, außerdem hatte ihre Freundin gerötete Augen und nieste, als sie hereinkam.

„Gesundheit!”, wünschte sie, schloss die Tür hinter sich und umarmte Constance. „Ach, meine Liebe, es ist schlimmer geworden, oder?”

Constance zuckte mit den Schultern. „Wie heißt es so schön über Erkältungen? Drei Tage kommen sie, drei Tage stehen sie, drei Tage gehen sie. Zum Glück habe ich morgen frei, da muss ich nicht in die Schneiderei. Aber am Dienstag gehe ich wieder hin.” Constances Stimme war noch heiserer als am Morgen und sie hustete.

„Wenn es dir wieder besser geht”, warf Josephine ein.

„Egal, wie es mir geht”, hielt Constance dagegen. „Mister Jones wird mich sonst hochkant rauswerfen.”

Josephine blickte sie streng an. „Constance Phyllis Blackmore, du wirst nicht zur Arbeit gehen, wenn du noch krank bist. Und im Zweifelsfall rede ich mit Mister Jones.”

„Das sehen wir dann”, sagte ihre Freundin ausweichend. „Ich habe eine Hühnersuppe gekocht, aber sie ist etwas versalzen.”

„Ach, das macht doch nichts. Danke.”

Wenig später saßen sie gemeinsam an dem kleinen Esstisch. Ihre Freundin musste sich zwischendurch immer wieder die Nase putzen. Josephine erzählte von dem Vorfall mit dem Künstlerpaar in Lady Thelmas Salon.

„Oh je, müssen wir uns nun Sorgen machen, dass Lady Thelma ihren Salon schließt? Wegen dieser Androhungen von Mister Richardson?”

„Ich weiß es nicht. Hoffentlich nicht. Nun, heute war erst einmal der letzte Termin, sie macht ja nun eine Sommerpause. Ihre Freundin und sie werden nach Brighton reisen. Lady Thelma hat Mister Richardson gesagt, dass die Damen den Salon dazu nutzen, gemeinsam Tanzen zu üben – um später auf Bällen besser mit den Herren tanzen zu können. Und sie klang ziemlich überzeugend, fand ich.”

Constanze seufzte. Sie musste erneut husten. „Ach, es ist ein Jammer. Fannie Richardson und ihre Freundin sind so ein nettes Paar. Aber wenn ihr Ehemann nun hinter diese Affäre gekommen ist … er wird ihr sicherlich verbieten, Helen wiederzusehen.”

„Ja, Fannie – sie hat mir heute angeboten, sie mit dem Vornamen anzureden – und Miss Haynes können einem echt leidtun. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es sein muss, wenn man verheiratet ist und eigentlich das eigene Geschlecht bevorzugt.”

„Aber das Problem haben noch andere Damen aus dem Club, nicht wahr?”

„Ja, schon, aber Margarets Mann hat sich von ihr getrennt. Adelaide und ihre Freundin Sophronia leben mit Adelaides Mann in einer Art Dreiecksbeziehung, jedenfalls haben sie das mal angedeutet. Sophronia ist dabei ganz rot geworden, das weiß ich noch. Erzähl das bloß nicht weiter.”

„Würde ich nie machen und das weißt du.”

Josephine griff über den Tisch und drückte die Hand ihrer Freundin. „Das ist wahr. Annabelle ist aus Surrey abgehauen, aber das ist ja schon Jahre her. Ihr Mann hat sie geschlagen.”

Constance schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Wenn man dir so zuhört, könnte man meinen, du bist eine Klatschtante.”

Josephine grinste. „Ich bin nun mal Autorin. Ich habe ein Interesse an Menschen und deren Geschichten, und nicht nur deshalb.”

Constance lachte, allerdings ging das wieder in ein Husten über. „Schon gut. Ich hoffe, das gestohlene Gemälde von Mrs Richardson findet sich wieder an.”

„Oh, das hoffe ich auch.”

An diesem Abend schliefen sie nicht in ihrem gemeinsamen Bett. Josephine bestand darauf, auf der Couch im Wohnzimmer zu schlafen.

„Ich möchte noch eine Weile schreiben”, erklärte sie. „Und ich möchte mich nicht bei dir anstecken. Ich bin immer so wehleidig, wenn ich erkältet bin, und dann schaffe ich mein Schreibpensum nicht, weil ich Kopfschmerzen habe.”

Constance nickte ihr zu. „In Ordnung. Aber schreib nicht zu lange, du brauchst deinen Schlaf.”

„Ich werde dran denken. Schlaf gut, Liebes.” Sie küsste ihre Freundin auf die Stirn.

Constance umarmte sie einen Moment lang. „Du dann später auch.”

2

 

Dienstag, 8. Juli 1890 – Paddenswick Road, Hammersmith

 

Zwei Tage später war Constance noch immer erkältet und hatte sich doch noch überreden lassen, wenigstens bis Mittwoch zu Hause zu bleiben.

Gleich am Montag war Josephine zur Schneiderei gefahren und hatte ihre Freundin dort entschuldigt. Mister Jones war alles andere als begeistert gewesen und er hatte Andeutungen gemacht, dass Constance nach ihrer Rückkehr einiges an Überstunden machen sollte. Josephine war nicht weiter darauf eingegangen, um ihn nicht noch mehr zu verärgern.

Wieder war es ein brütend heißer Tag gewesen und auch, als es bereits dämmerte, noch immer recht warm. Nachdem Josephine in der Schneiderei gewesen war, hatte sie noch einige Besorgungen in Hammersmith gemacht und war später schweißgebadet heimgekehrt. Was für eine Wohltat, sich zu Hause etwas Luftigeres anzuziehen. Sie wollte sich gerade an ihre Schreibmaschine setzen, als jemand an die Wohnungstür klopfte.

„Erwartest du Besuch?”, fragte Josephine überrascht.

„Nein, du?”

Josephine schüttelte den Kopf und stand auf. „Wollen wir doch mal sehen, wer es ist. Vielleicht ein Bote?”

Kein geringerer als Constances Bruder Eddy stand vor der Tür. Das hellbraune Haar war ungekämmt, seine blauen Augen wirkten verquollen. Der Koffer und die Taschen, die um ihn herum gruppiert waren, sahen nicht gerade nach einer kurzen Stippvisite aus.

„Tut mir leid wegen der späten Störung …”, begann er.

„Komm erst mal herein”, sagte Josephine und half ihm, das Gepäck in die Wohnung zu tragen.

Constance hustete. „Was ist denn passiert?”, fragte sie besorgt, als er im Wohnzimmer mit hängenden Schultern auf der Couch Platz genommen hatte.

Anfang März war er mit einem alleinstehenden Kollegen aus der Papierwaren-Fabrik, in der er nun arbeitete, zusammengezogen. In den unteren Schichten gab es alle möglichen Unterkunftsarrangements, es war keine Seltenheit, dass sich Geschwister oder Alleinstehende des gleichen Geschlechts eine Wohnung teilten. Deshalb konnten Constance und sie hier überhaupt unbehelligt zusammenwohnen, weil ihr Vermieter nichts davon ahnte, dass sie ein Paar waren.

Manche Familien vermieteten sogar ihre Betten für tagsüber, an Leute, die in Schichten arbeiteten und entsprechend teilweise tagsüber schliefen.

Eddy ließ die Schultern hängen. „Stephen hat mich rausgeworfen. Er hat die Sache mit der Cleveland Street 1 spitzgekriegt und dass ich danach im Gefängnis war.”

„Oh, Grundgütiger, wie hat er das denn herausgefunden?”, rief Constance.

„Er war auf dem Postamt, ein Bekannter von ihm arbeitet da. Der hat ihm von dem Skandal erzählt und dann hat Stephen nachgehakt, ob ich denn auch darin verwickelt gewesen bin. Wisst ihr, ich war so dumm und hab mich ihm gegenüber mal verplappert, dass ich früher als Telegrammbote gearbeitet habe.”

„Oh nein.” Constance bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

Eddy stand offenbar kurz davor, in Tränen auszubrechen, seine Unterlippe zitterte. „Und ich wette, morgen schwärzt er mich bei dem Direktor der Fabrik an und dann kann ich meinen Hut nehmen.”

Seine Schwester setzte sich neben ihn auf die Couch und umarmte ihn.

„Kann ich bei euch wohnen?”, fragte er. „Nur, bis ich was Neues gefunden habe”, fügte er schnell hinzu.

Constance wechselte einen Blick mit Josephine. „Natürlich kann du das”, sagte sie zu ihrem Bruder.

Josephine verzog einen Augenblick lang das Gesicht, denn sie genoss die Zweisamkeit mit ihrer Liebsten sehr, auch würde es eng werden in der kleinen Wohnung. Aber Eddy befand sich in einer Notlage und er war nun einmal Constances Bruder. Außerdem war er der einzige Verwandte, zu dem sie noch Kontakt hatte, denn ihr Vater war ein schwieriger Mensch und sie hatte diesen schon lange nicht mehr gesehen.

„Du kannst auf der Couch schlafen”, schlug Constance ihm vor.

---ENDE DER LESEPROBE---