Die nationalsozialistische Herrschaft 1933-1939 - Magnus Brechtken - E-Book

Die nationalsozialistische Herrschaft 1933-1939 E-Book

Magnus Brechtken

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Beschreibung

Die sechs Jahre der so genannten Friedenszeit der nationalsozialistischen Herrschaft (1933 – 1939) sind eine der komprimiertesten, ereignisreichsten Epochen der Geschichte. Magnus Brechtken bietet einen optimierten Überblick über die wichtigsten Ereignisse, gesellschaftlichen Entwicklungen sowie über den Radikalisierungsprozess. Anhand thematisch gegliederter Kapitel zu den Bereichen Ideologie, Herrschaftstechnik, Außenpolitik, Wirtschaft und Arbeit, Rassenpolitik und Verfolgung, Vertreibung und Emigration sowie Kunst, Kultur und Wissenschaft gelingt ihm eine strukturierte Gesamtdarstellung nationalsozialistischer Herrschaft von der ›Machtergreifung‹ bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Damit legt er zugleich eine konzise Interpretation dieser Zeit vor, die vor allem auf der Analyse des Wechselverhältnisses von Machtpragmatismus und der Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie basiert.

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Seitenzahl: 350

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Geschichte kompakt

Herausgegeben vonKai Brodersen, Martin Kintzinger,Uwe Puschner, Volker Reinhardt

Herausgeber für den Bereich 19./20. Jahrhundert:Uwe Puschner

Berater für den Bereich 19./20. Jahrhundert:Walter Demel, Merith Niehuss, Hagen Schulze

Magnus Brechtken

Die nationalsozialistischeHerrschaft 1933–1939

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung inund Verarbeitung durch elektronische Systeme.

2., durchgesehene und bibliographische aktualisierte Auflage 2012© 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt1. Auflage 2004Die Herausgabe des Werkes wurde durchdie Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Satz: Janß GmbHEinbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-24892-6

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-72647-9eBook (epub): 978-3-534-72648-6

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Impressum

Inhalt

Geschichte kompakt

Vorwort des Autors

Vorwort zur zweiten Auflage

    I. Einleitung: Nationalsozialistische Herrschaft und deutsche Geschichte

   II. Hitlers Persönlichkeit und Bedeutung für den Nationalsozialismus

  1. Hitlers „Weltanschauung“

  2. Stufen zur Macht und charismatische Stilisierung

  3. Generationenzusammenhang

  4. Image und Öffentlichkeit

  5. Geld und Gunst

  6. Regierungsstil

  7. Fazit

  III. Machtfreigabe und Revolution, Etablierung und Herrschaftstechnik

  1. Wahlkampf und Rolle der SA

  2. „Gleichschaltung“ der Länder

  3. Auflösung der Parteien und Gleichschaltung der Gewerkschaften

  4. NSDAP

  5. Zweite Revolution?

  6. Der Tod Hindenburgs als Abschluss der „Machtergreifung“

  7. Fazit

  IV. Wirtschaft und Arbeit, Rüstung und Ideologie

  1. Arbeitsbeschaffung und Ideologie

  2. Arbeiterschaft und Arbeitskraft

  3. Landwirtschaft

  4. Rüstungsfinanzierung und Modernisierung

  5. Industrie und Unternehmer

  6. Vierjahresplan und Autarkiepolitik

  7. Von der Arbeitslosigkeit zum Arbeitskräftemangel

  8. Fazit

   V. Gesellschaft: Propaganda, Kirchen, Erziehung, Schulen und Universitäten, Kunst und Kultur, Opposition und Widerstand

  1. Propaganda

  2. Nationalsozialismus und Religion

  3. Katholische Kirche

  4. Evangelische Kirche

  5. Erziehung und Schulen

  6. Hitlerjugend

  7. Hochschulen

  8. Frauen

  9. Kunst und Kultur

10. Malerei, Bildhauerei, Architektur

11. Film und Musik

12. Opposition und Widerstand

  VI. Verfolgung und Rassenpolitik, Vertreibung und Emigration

  1. Der Aufbau des SS-Staates

  2. Stufen der Judenpolitik

  3. Auswanderung, Vertreibung und Schicksal der Juden im Wirtschaftsleben

  4. Novemberpogrom und Kriegsperspektive

  5. Schacht-Plan, intergouvernementale Flüchtlingshilfe und „Reichszentrale für die jüdische Auswanderung“

  6. Bilanz

 VII. Außenpolitik

  1. Interne Strategie und öffentliche Bekundungen

  2. Außenpolitische Abschirmung der „Wiederwehrhaftmachung“

  3. Austritt aus Völkerbund und Abrüstungskonferenz

  4. Deutsch-polnischer Nichtangriffsvertrag und Österreichfrage

  5. Parallelinstitutionen der Außenpolitik

  6. Militärmacht als Grundlage „politischer Macht“

  7. Zwischenresümee Anfang 1935

  8. Rückkehr des Saarlandes und Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht

  9. Deutsch-britisches Flottenabkommen

10. Rheinlandbesetzung, Spanischer Bürgerkrieg und internationales Krisenbewusstsein

11. Hoßbach-Niederschrift und Kriegsperspektive

12. Auswärtiges Amt und Ideologisierung

13. Blomberg-Fritsch-Krise

14. „Anschluss“ Österreichs

15. Sudetenkrise und Münchner Abkommen

16. Außenpolitische Bilanz nach sechs Jahren Herrschaft

17. „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ und „Hitler-Stalin-Pakt“

18. Fazit

VIII. Schlussbetrachtung: Das „Dritte Reich“, Hitler und die Deutschen

Auswahlbibliographie

Register

Geschichte kompakt

 

In der Geschichte, wie auch sonst,

 

dürfen Ursachen nicht postuliert werden,

 

man muss sie suchen.

(M. Bloch)

Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.

Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittel alters und der Neuzeit verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.

Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.

Kai BrodersenMartin KintzingerUwe PuschnerVolker Reinhardt

Für Philip

Vorwort des Autors

Die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland und ihre Folgen für Europa und die Welt gelten als das am besten erforschte Untersuchungsfeld der modernen Geschichte. Wer sich anschickt, auf knappem Raum einen verlässlich gewichtenden Überblick zu bieten, tritt neben eine Vielzahl anderer Darstellungen. Doch gerade weil die Forschung stetig voranschreitet, ist es notwendig, regelmäßig Charakter und Gepräge des „Dritten Reiches“ in einer Kombination der großen Linien mit differenzierter Detailpräzision aktuell zu resümieren. Das ist die Absicht dieses Buches.

Zugleich reflektiert es mehr als ein Jahrzehnt universitärer Forschung und Lehre, in deren Rahmen ich als Dozent in Bayreuth und München, Edinburgh und Nottingham sowie bei meinen Forschungen in Frankreich, Polen und den Vereinigten Staaten regelmäßig den historischen Ort des „Dritten Reiches“ im Kontext der deutschen und internationalen Geschichte diskutieren konnte. Die hierbei immer wieder wahrnehmbaren Schwerpunkte des Interesses sowohl auf Seiten der Studierenden wie bei vielen Kolleginnen und Kollegen hinsichtlich der Aufbereitung und Gewichtung einer solchen Zusammenschau spiegeln sich in Aufbau und Struktur der folgenden Darstellung.

Für vielfältige Hilfe, namentlich bei der bisweilen vom Ausland her schwierigen Quellenprüfung in der Schlussphase, danke ich Dr. Ralf Forsbach (Siegburg), Dr. Markus Huttner (Leipzig), Dr. Klaus A. Lankheit (München) und insbesondere Dr. Christoph Studt (Bonn), der seit nun fast zwanzig Jahren in bewundernswerter Beständigkeit freundschaftlichen Rat und mitdenkende Sympathie gewährt.

Dem zuständigen Reihenherausgeber PD Dr. Uwe Puschner (Berlin), der den Band angeregt und mit hilfreicher Sorgfalt gelesen hat, sowie dem betreuenden Lektor Daniel Zimmermann (Darmstadt) danke ich für die außerordentlich angenehme und kooperative Zusammenarbeit.

Die Wurzel des Kreativen liegt im Privaten. Frauke war wie stets anregende Stütze und ablenkende Freude, die mehr ist, als jemand erwarten darf, der sich vom „Kobold des Hervorbringens“ treiben lässt.

Dies Buch ist für Philip, der so oft warten musste, wenn sein Vater im Bemühen um Erkenntnis, Verstehen und Reflexion in die diffizile Zeitgenossenschaft der Vorfahrengenerationen abzutauchen suchte.

Wollaton Park, Pfingsten 2004

Magnus Brechtken

Vorwort zur zweiten Auflage

Für die zweite Auflage wurde der Text durchgesehen und aktualisiert; das Literaturverzeichnis ist auf den neuesten Stand gebracht. Für wichtige Hinweise danke ich Michael Grüttner, Thomas Karlauf und erneut ganz besonders Christoph Studt, dessen Rat und Freundschaft wie stets eine wertvolle Hilfe waren.

Rösenbeck, 13. Februar 2012

Magnus Brechtken

     I. Einleitung: Nationalsozialistische Herrschaft und deutsche Geschichte

„Drittes Reich“ als Kontinuum

Der Blick auf die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland, die mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann und mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 endete, offenbart ein komplexes, zusammengehöriges Kontinuum. Gleichwohl markiert der Beginn des Zweiten Weltkrieges eine Zäsur, die einen separat fokussierenden Blick auf die Friedenszeit des „Dritten Reiches“ sinnvoll erscheinen lässt. Schon diese gut sechseinhalb Jahre enthüllen konturscharf die kennzeichnenden Wesensmerkmale des Nationalsozialismus – eine stetig forcierte Rassenpolitik und einen beharrlichen außenpolitischen Expansionismus –, aber sie bergen doch noch die verbreitete Hoffnung, dass dergleichen aggressive Herrschaft in Deutschland in friedlicher Weise kompatibel bleiben könnte mit den übrigen Staaten Europas. Erst mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen am 1. September 1939 zerbrach auch die letzte Illusion jener, die solcherart Hoffnung über die Krisen und Konflikte der Vormonate hinweg gegen alle Erwartung bewahrt haben mochten. Wenngleich die geschichtsnotorische Erinnerung an das „Dritte Reich“ mit einer gewissen Folgerichtigkeit dominant von den ungleich monströseren Verbrechen der Kriegsherrschaft und Vernichtungspolitik in Europa geprägt bleibt, erscheint es doch angezeigt, einen erklärenden Blick auf das unterschwellige und offenbare, jedenfalls schon in den Friedensjahren angelegte Bewegungsgesetz des Nationalsozialismus zu richten, um dessen Charakteristika plastisch werden zu lassen.

Der ungekannt gewaltsam-revolutionäre Charakter und die verbrecherische Bilanz dieser zwölf Jahre deutscher Geschichte provozierten seit jeher die Frage nach dessen Ursachen und Wesen. Die Irritation darüber, dass sich ein mitteleuropäisches Kulturvolk schleichend oder im Galopp der Barbarei einer alltäglichen Willkürherrschaft teils widerwillig, teils lethargisch, teils euphorisch hingab, beschäftigte schon manche Zeitgenossen und erklärt, warum das „Dritte Reich“ inzwischen „der wohl am intensivsten bearbeitete Untersuchungsgegenstand in der modernen Geschichte überhaupt“ (Klaus Hildebrand) geworden ist.

Deutscher Sonderweg?

Auf der Suche nach Erklärungen wird bis in die Gegenwart immer wieder diskutiert, inwieweit Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert auf einem „Sonderweg“ der europäischen Geschichte geschritten sei. Dergleichen Diskussionen haben eine zweifache Perspektive. In der Tat hätten wohl viele Deutsche, die in den Jahren vor 1914 und darüber hinaus über die Rolle der eigenen Nation in der Welt nachdachten, die Frage nach ihrer nationalen Besonderheit mit innerer Überzeugung bejaht. Insofern sich also zahlreiche Deutsche sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik und dann, rassistisch übersteigert, im „Dritten Reich“ als eine „besondere Nation“ mit einer spezifischen „Sendung“ betrachteten, ist die Rede vom „positiven“ Sonderweg als verbreitetes Selbstbild zumindest bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges regelmäßig erkennbar.

Die zweite Perspektive resultiert aus dem verständlichen Bemühen, den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus zu erklären. Die These vom „negativen Sonderweg“ interpretiert die deutsche Geschichte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als ein Verlassen des vermeintlich „normalen“ Entwicklungspfades, wie ihn ökonomisch ähnlich strukturierte Länder in Westeuropa, allen voran Großbritannien und Frankreich, in ihrer politischen Evolution beschritten hatten. Die gescheiterten Revolutionen von 1848 und die konstant erfolgreiche Reformfeindlichkeit des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates nach der Reichsgründung 1871 gegenüber den Forderungen nach einer Parlamentarisierung und durchdringenden Demokratisierung konstituieren in dieser Perspektive eine vielfältig angereicherte Kontinuitätslinie „von Bismarck zu Hitler“, in der Nationalismus, Obrigkeitsorientierung und Antiparlamentarismus, Militarismus und Effizienzstreben, Bürokratievertrauen und Fürsorgeerwartung, Antimodernismus und historisch mythifizierender Irrationalismus, tief wurzelnde Präferenzen für Ordnung vor Freiheit gleichsam spezifisch deutsch zur Bereitwilligkeit kumulieren, dem scheinbar all dies neuartig amalgamierenden Nationalsozialismus die Macht zu überlassen.

Argumente zur Sonderwegsdebatte

Zwei Argumente vor allem widersprechen dieser Betrachtung. Zum einen die Vorstellung, dass es einen historischen „Normalweg“ gebe, auf dem Deutschland bis zu einem gewissen Punkt, beispielsweise 1848, 1862 oder 1871, geschritten und dann abgeirrt sei, um schließlich nach 1945 auf diesen Weg zurückzukehren. In manchen Augen mag diese Interpretation insofern etwas Verlockendes haben, als sie die grundsätzliche Anlage der deutschen Geschichte hin zur liberaldemokratischen Gegenwart als das „Normale“ impliziert, freilich, indem sie das „vergangene Reich“ (Klaus Hildebrand) der Jahre 1871 bis 1945 einer gewissen generellen Stigmatisierung preiszugeben droht, bei der man fragen muss, ob sie den seinerzeit Lebenden in toto gerecht zu werden vermag.

Das zweite Argument zielt auf die in dieser Konstruktion notwendigerweise angelegte Perspektive, dass aus bestimmten Konstellationen bestimmte Folgen entstehen. Denn problematisch, weil im Grunde unerklärlich bleibt, warum Hitler im Januar 1933 zur Macht kam. Die beschriebenen Kontinuitätslinien existierten lange vorher, brachten aber weder 1923 noch 1929 Hitler an die Regierung. Die Ernennung zum Reichskanzler war keine notwendige, sondern eine aus den Intrigen einer kleinen Kamarilla gespeiste Entscheidung, die Manchen verlockend und wünschenswert erschien, aber zu keinem Zeitpunkt zwangsläufig war. Wenngleich also viele Kontinuitätslinien deutscher Geschichte in Hitlers Herrschaft zusammenlaufen und ihn auch trugen, so ist er gleichwohl nicht ihr notwendiges Produkt.

Wenn man also die Theorie eines „Sonderweges“ als Konstruktion charakterisiert, die eine bestimmte Erwartungshaltung an einen vermeintlich „normalen“ Verlauf historischer Prozesse als Maßstab impliziert, so ist das beschriebene deutsche „Sonderbewusstsein“ (Karl Dietrich Bracher) dennoch unübersehbar. Der Regierungsauftrag an Hitler hatte nach den Krisenjahren zwischen 1929 und 1932 in vielen Augen etwas Zwingend-Verlockendes, weil sein Machtanspruch über die Wahlurnen legitimiert erschien. In Zusammenschau mit den beschriebenen Traditionen sowie einem erkennbaren Hang zur autoritätsorientierten Selbstentmündigung generierte dies eine weit reichende Akzeptanzbereitschaft, die der NS-Herrschaft vielfältig erleichternd entgegenkam. Zugleich beeinflusste auch die Deutschen jene europäische Zeittendenz der Zwischenkriegsjahre, die autoritäre Regime wie Pilze aus dem fiebrigen Boden eines allgemeinen Krisenempfindens emporsprießen ließ und dazu beitrug, dass von 25 Demokratien des Jahres 1919 im Jahr 1938 nur noch elf existierten. Gleichwohl ist festzuhalten, dass dergleichen Anfälligkeit stets auch das Maß des humanzivilisatorischen Niveaus reflektiert, das eine Gesellschaft im Verlauf ihrer Geschichte als kulturelle Tradition entwickelt hatte und zu stabilisieren vermochte. Deutschland war ein wissenschaftlich, technisch, sozial und kulturell hochdifferenziertes, im Maßstab anderer Nationen in vielen Bereichen ein über Jahrzehnte führendes Land. Vor diesem Hintergrund markiert das „Dritte Reich“ tatsächlich einen Zivilisationsbruch.

Zeitgenössische Wahrnehmung

Versetzen wir uns allerdings in die zeitgenössische Perspektive des 30. Januar 1933, als Adolf Hitler als Führer der stärksten Reichstagsfraktion zum Kanzler berufen wurde, so wird deutlich, dass die meisten Menschen in Deutschland wie in Europa kaum zu ahnen vermochten, dass dieser Vorgang etwas grundlegend Anderes hervorbringen würde als die beinahe zur frustrierenden Gewohnheit gewordenen Regierungswechsel der Monate und Jahre zuvor. Gewiss, das NSDAP-Parteiprogramm präsentierte in 25 „unabänderlichen“ Punkten die Axiome der so genannten nationalsozialistischen „Bewegung“ und „Weltanschauung“, und im Vorwort seines programmatischen Werkes Mein Kampf verkündete Hitler, dass darin „das Grundsätzliche […] für immer“ niedergelegt sei. Aber die meisten Menschen rechneten darauf, dass die aggressiv-gewaltverheißende Programmatik zwar latent bleiben, die politische Wirklichkeit aber halbwegs pragmatisch und letztlich berechenbar sein würde.

Neben den problematischen Traditionen der deutschen Geschichte, die ein autoritäres Regime begünstigten – ohne dass den meisten Menschen zugleich voll bewusst war, wem sie da die Tore öffneten –, spielten auch außenpolitisch-internationale Faktoren eine gewichtige Rolle, die der ehemalige preußische Ministerpräsident Otto Braun (1872–1955) unter den Schlagworten „Versailles und Moskau“ zusammenfasste. Ohne die offensichtlichen Unzulänglichkeiten des Versailler Vertrages – der je nach Perspektive zu weich war, weil er Deutschland als potentielle Großmacht intakt hielt, oder zu hart, weil er den Besiegten mit materiellen und psychologischen Bürden überlud – wäre die allgemeine Revanchegier wohl moderater und schwerer instrumentalisierbar gewesen. Und ohne die permanente Furcht vor einer kommunistischen Machtübernahme in Deutschland und der drohenden Bolschewisierung Europas wäre die Toleranz der Westmächte, namentlich Großbritanniens, für den vermeintlichen Wellenbrecher Hitler zweifellos kaum so ausdauernd geblieben. Wäre die internationale Staatengemeinschaft, wären vor allem Frankreich und Großbritannien der Hitlerschen Salamitaktik von Beginn an entgegengetreten, so hätte dessen Dynamik, wenn nicht im Keim erstickt, so doch zumindest enorm und vielleicht, was die Option zur Kriegführung betrifft, entscheidend gebremst werden können. Der Hinweis auf die internationale Situation zeigt allerdings zugleich, dass eine nennenswerte innerdeutsche Bremse gegen die Politik Hitlers mit den Jahren immer weniger erkennbar war und sich praktisch nie durchzusetzen vermochte. Es waren die Deutschen, die den Nationalsozialismus an sich mächtig machten, aber es waren auch die anderen Großmächte, die ihn international immer mächtiger werden ließen.

E

Faschismus – Totalitarismus – Politische Religion?Bis in die Gegenwart wird diskutiert, wie die nationalsozialistische Herrschaft am treffendsten auf einen Begriff gebracht, wie ihr Wesenskern präzise charakterisiert werden kann. Die gängigsten Begriffe interpretieren den Nationalsozialismus als „deutschen Faschismus“, als Totalitarismus oder als politische Religion. Wer sich unvoreingenommen darum bemüht, die NS-Herrschaft analytisch zu verstehen, wird feststellen, dass der Versuch, sie auf einen einzigen Begriff zu reduzieren, eine erkenntnisbehindernde Reduktion bedeutet.

Aus kommunistischer Perspektive war der Nationalsozialismus schlicht „der Faschismus an der Macht“ und bedeutete nach der von Georgi Dimitrow 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern in Moskau geprägten Formel theoriegetreu „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ Daraus folgte: „Die reaktionärste Spielart des Faschismus ist der Faschismus deutschen Schlages.“ Auch ein weniger orthodoxer Faschismusbegriff bietet in der Anwendung auf den Nationalsozialismus einen vergleichsweise begrenzten Erkenntnisgewinn. Zu groß waren bei Lichte betrachtet die Unterschiede zwischen der Diktatur Mussolinis oder anderer ähnlicher „faschistischer“ Regimes und der Herrschaft Hitlers in Deutschland und dann in Europa, wobei die genuine Differenz nicht allein, aber vor allem in der gezielten und systematischen nationalsozialistischen Massenvernichtung identifizierbar ist.

Der Begriff Totalitarismus liefert mit seinen weitgehend formalen Kriterien – offizielle Ideologie, Massenpartei, Kontrolle der Massenkommunikationsmittel, terroristische Polizeimaßnahmen und Geheimpolizei, Waffenmonopol, Kontrolle bis hin zur zentralen Lenkung der Wirtschaft (Carl J. Friedrich), ergänzt durch revolutionäre Dynamik, totalen Herrschaftsanspruch, Führerprinzip, Fiktion der Identität von Herrschern und Beherrschten (Karl Dietrich Bracher) – einen höheren Gegenwert analytischer Erkenntnis und ermöglicht nicht zuletzt, die entscheidenden Differenzen zwischen Demokratie und Diktatur herauszupräparieren. Allerdings fokussiert der hochgradig formale Totalitarismusbegriff auf die Analyse der Herrschaftstechnik, während er sozioökonomische Antriebe, mentale Dispositionen und politische Ziele vernachlässigt.

Die Interpretation des Nationalsozialismus als politische Religion rekuriert vor allem auf religionssoziologische und religionspsychologische Kategorien, in denen etwa die Adaption liturgischer Elemente, Masseninszenierungen und Rituale, eine auf Initiation und Berufung fußende Auserwähltheitsprogrammatik mit Heilsversprechen und Heilserwartung bis hin zur „Vergöttlichung“ des „Führers“ als „Erlöser“ in das Zentrum gerückt werden. Demgegenüber bleiben die Techniken des Machterwerbs, der Machtdurchsetzung und Machtbehauptung unterbelichtet.

Eine undogmatische Offenheit des Betrachters eröffnet in der Zusammenschau dieser und weiterer analytischer Zugriffe ein sich ergänzendes Bild von Machttechnik und Mentalität, Terror und Tradition, Gewalt und Gesinnung, Folgsamkeit und Verführung, das für ein Verständnis der Komplexität der NS-Herrschaft, ihrer Beweggründe, Funktionsweisen und Ziele unerlässlich erscheint.

Hitler und Satrapen

Wenn im Folgenden vom NS-Regime die Rede ist, so stets eingedenk von Hitlers Rolle und Funktion im Zentrum des Herrschaftsprozesses, um den, je nach Politikbereich, ein Kreis wechselnd einflussreicher Männer der zweiten Reihe zu identifizieren ist: von Hermann Göring und Joseph Goebbels über Rudolf Heß und Martin Bormann, Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich bis zu zahlreichen Gauleitern und „Beauftragten des Führers“. Für jeden dieser NS-Partialherrscher lässt sich eine Kurve seines Einflusses und seiner Wirksamkeit zeichnen. Göring beispielsweise steigerte seine Macht vom Tag des Regierungsantritts kontinuierlich über seine Funktion als preußischer Innenminister, Ministerpräsident und Reichsluftfahrtminister bis zu seiner Rolle als „Beauftragter für den Vierjahresplan“, die ihn mit den Vollmachten eines Quasi-Wirtschaftsdiktators auf den Höhepunkt seiner Macht führte. Von hier fiel er mit Kriegsbeginn angesichts der vielfältigen unbeherrschten Probleme in seinem kaum mehr überschaubaren Verantwortungsbereich wieder ab und wurde von anderen, effizienteren „Helfern“ Hitlers wie Albert Speer (1905–1981) so verdrängt, wie Göring selbst einst Hjalmar Schacht verdrängt hatte. Die Karriere Heinrich Himmlers ist hinsichtlich seines Machtzuwachses wohl die steilste – er avancierte vom Anführer einer wenige hundert Mann starken Truppe zum Kommandeur eines effizient Macht raffenden SS-Korpus von mehreren hunderttausend Köpfen.

Gleichwohl ist kaum vorstellbar, dass eine dieser Figuren der zweiten Reihe für sich allein genommen in der Lage gewesen wäre, genügend Macht zu akkumulieren und eine Gefolgschaft zu sichern, mit der das Reich zu regieren gewesen wäre. Göring war ob seiner vordergründigen Jovialität ein beliebter Politiker, aber weder stand seine Treue zu Hitler jemals in Zweifel noch wurde er aus seinen eigenen politisch-ideologischen Vorstellungen heraus wohl zu jenem Vabanquespiel um Weltmacht oder Untergang angetrieben, wie es bei Hitler der Fall war. Himmler verfügte mit den Jahren über immer mehr Machtinstrumente, um die Bevölkerung einzuschüchtern und zu kontrollieren. Zugleich war er selbst höchst unpopulär, und es erscheint zutiefst fraglich, ob ihm eine Herrschaft aus eigener Kraft möglich gewesen wäre – und Ähnliches gilt für alle anderen Exponenten der Clique um Hitler.

Komplexität des „Dritten Reiches“

Schließlich ist zu betonen, dass alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens im „Dritten Reich“, wie sie im Folgenden dargestellt werden, selbstverständlich vielfältig miteinander verwoben waren. Die Differenzierung der folgenden Kapiteleinteilung dient allein der analytischen Transparenz und sollte sich bei der Lektüre, in der Zusammenschau des Gesamttextes, zu einem detaillierten, gleichwohl konturscharfen Bild nationalsozialistischer Herrschaft formen, der viele Deutsche erlagen, der sie willig folgten, die sie lange tatkräftig, ja euphorisch unterstützten, und bei der dennoch die Vielen oft nicht erkannten, was ihnen eigentlich geschah.

Millionen Deutsche waren überzeugte Nationalsozialisten; sie „glaubten an Hitler“, wie Reichsjugendführer Baldur von Schirach (1907–1974) später schrieb. Sie trugen und gestalteten das „Dritte Reich“ und handelten im Dienst der immer radikaleren Ziele, die vor allem in den Kriegsjahren sichtbar wurden. Deren Kernelemente – vor allem die Rassen-, Rüstungs- und Expansionspolitik waren schon in den Friedensjahren angelegt – stehen im Mittelpunkt der weiteren Darstellung.

   II. Hitlers Persönlichkeit und Bedeutung für den Nationalsozialismus

Zentrale Bedeutung Hitlers

Adolf Hitler war der Anfang und das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Ohne ihn wäre seine Partei nicht in dieser Form an die Macht, wäre das „Dritte Reich“ so nicht ins Leben gekommen. Ohne ihn hätte es keine unbeirrte, ja stringente Politik zum Krieg, keinen permanenten, perspektivisch grenzenlosen Willen zur territorialen Expansion bis hin zum Vabanquespiel um Weltmacht oder Untergang, keine Politik des „Rassenkriegs“ mit millionenfachem Menschenmord gegeben.

Zugleich war Adolf Hitler nichts ohne die nach hunderttausenden zählenden Anhänger und Millionen Wähler, die seit Ende der zwanziger Jahre in freien Abstimmungen immer wieder für ihn und seine Partei votierten, die ihn 1932 mittels Straßenradau und Wahlurne vor die Tür der Reichskanzlei trugen, wo ihn eine kleine Clique sich selbst überschätzender konservativ-nationalistischer Türsteher um den senilen Reichspräsidenten Hindenburg schließlich nach langem Zögern am 30. Januar 1933 einließ. Wäre Hitler nicht auf die Bereitschaft vieler Deutscher gestoßen, seinen Versprechungen und Imaginationen in partieller oder weit reichender Übereinstimmung zu folgen, es hätte das „Dritte Reich“ nicht gegeben. Aber es sei wiederholt: Hätte es Hitler nicht gegeben, dann wohl auch nicht dieses „Dritte Reich“. Es erscheint angebracht, diese doppelseitige Perspektive so explizit zu betonen, um den bisweilen wahrnehmbaren Eindruck zu vermeiden, man könne das eine ohne das andere denken – das „Dritte Reich“ ohne Hitler oder Hitler ohne das millionenfache Mitmachen der Deutschen.

Deutsche Traditionen und Mentalitäten

Wer Hitlers entscheidende Rolle für die Existenz des „Dritten Reiches“ erkennt und betont, nimmt zugleich keinerlei Verantwortung von denjenigen, die ihm zur Macht verhalfen und sich an den Verbrechen der NS-Herrschaft zwischen 1933 und 1945 beteiligten. Dieser Hinweis erscheint angebracht, weil in der Diskussion um die Rolle Hitlers in der deutschen Geschichte, vereinfacht gesagt, bisweilen eine falsche Alternative impliziert wird: Wer Hitlers herausragende Rolle betont, dem wird nicht selten unterstellt, er wolle den Zivilisationsbruch, den das „Dritte Reich“ in der deutschen Geschichte repräsentiert, auf die Schuld eines Mannes und weniger Satrapen reduzieren, um die übrigen Deutschen gleichsam als bloß Verführte zu exkulpieren. Das wäre ebenso irreführend, wie wenn man demgegenüber Hitler als genuin-eigenwilligen Faktor vernachlässigte und allein die kompliziert-spannungsreiche Entwicklung der deutschen Gesellschaft, ihrer nationalistischen Eliten und autokratischen Mentalitäten, ihrer antiparlamentarischen Traditionen und ihres antidemokratischen Bewusstseins als allein entscheidend, womöglich gar als eine Art Einbahnstraße ins „Dritte Reich“ interpretieren wollte.

Wenngleich zweifellos niemand den Nationalsozialismus mit Hitler gleichsetzen würde, lässt sich bei allen Vorbehalten gegen historische Spekulationen doch behaupten, dass die NS-Bewegung ohne Hitler vermutlich eine zersplitterte Form verschiedener radikaler, nationalistischer, völkischer, antisemitischer, mystisch-esoterischer, antikapitalistischer, teilweise auch sozialistischer Gruppierungen geblieben wäre, wie sie in den zwanziger Jahren zuhauf in Deutschland existierten. Betrachten wir Hitlers engste Anhänger, so wird dieses Argument plastisch: Die einen, wie etwa Göring, waren radikal nationalistisch, dabei eher wirtschaftskonservativ und zugleich informell imperialistisch auf einen mitteleuropäischen Großwirtschaftsraum ausgerichtet, standen damit für sich genommen den Vorstellungen Alfred Hugenbergs und der DNVP oder auch Hjalmar Schachts nahe. Die anderen, etwa Gregor Straßer, bis 1926 auch Goebbels, oder auch Robert Ley, orientierten sich an sozialistisch-antikapitalistischen Gemeinschaftsvorstellungen. Eine dritte Gruppe wiederum, etwa um Ernst Röhm, favorisierte faschistisch-militaristische Ideale mit sozialistischen Untertönen. Weitere Orientierungen ließen sich nennen, etwa der esoterische Mystizismus, dem Heß ebenso huldigte wie Himmler. Gleichwohl ist niemand erkennbar, der diese heterogenen, zum Teil antagonistischen Strömungen integrierend zu bündeln vermochte, wie es Hitler so offensichtlich mit einer in alle Richtungen wirkenden Glaubwürdigkeit gelang. Mit Blick auf die verbrecherische Wirkungsgeschichte der NS-Herrschaft in Europa würde heute zudem „wahrscheinlich die große Mehrzahl der Historikerinnen und Historiker, die sich mit der Geschichte des ‘Dritten Reiches’ beschäftigen, die These unterschreiben: ‘Ohne Hitler kein Holocaust’“ (Peter Longerich). Anders formuliert und zusammengefasst: Hitler war vor 1933 und blieb bis zu seinem Selbstmord die pseudomissionarisch treibende, ideologisch orientierende, politisch inspirierende und integrierende Kraft des Nationalsozialismus und des „Dritten Reiches“. Wer Hitler aus den Jahren 1933 bis 1945 wegdenkt – und dies unterscheidet ihn von allen anderen Tätern dieser Jahre –, der kommt zu einem grundsätzlich anderen Verlauf der Weltgeschichte.

„Ohne Hitler kein Holocaust“

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Hitlers Lebenslauf bis 1933Als Kind eines aus ärmlichen Verhältnissen aufgestiegenen österreichischen Zollbeamten und seiner 23 Jahre jüngeren Frau am 20. April 1889 in Braunau geboren, zeigte Hitlers Lebenslauf in den ersten dreißig Jahren politisch wenig Auffälliges. Seine schulischen Leistungen blieben mittelmäßig und wiederholt musste er Nachprüfungen bestehen, um versetzt zu werden. Mit dem plötzlichen Tod des Vaters im Januar 1903 endete auch ein Erziehungskonflikt, da der Sohn sich beharrlich sträubte, die ihm zugedachte Beamtenkarriere einzuschlagen. Sechzehnjährig schloss er 1905 unter Schwierigkeiten die ungeliebte Realschule ab und führte fortan das „Leben eines schmarotzenden Faulenzers“ (Ian Kershaw), das seine finanziell abgesicherte, weiche Mutter aus sorgender Liebe ihrem einzigen Sohn ermöglichte. Schon in diesen Jahren scheint Hitlers hyperegozentrisches, träge tagträumendes Wesen hervor. Er posierte vor sich selbst und der Welt als verkanntes Genie, dessen Stunde kommen werde. Arbeiten, systematisch und zielstrebig, wollte er nicht. Jähzornig und verwöhnt, kontaktarm und sexuell gestört, phobisch und phlegmatisch, unerzogen in den Tag dilettierend, rechthaberisch gegen seine Mitmenschen illustrierte seine egomane Unduldsamkeit schon jene Anlage zum voluntaristischen Größenwahn, die seine Jahre als Politiker und Diktator kennzeichnen sollten. Doch abgesehen von seiner unmittelbaren Umgebung, die ihn zu ertragen hatte, blieb dies noch bedeutungslos. Als Hitler sich im Herbst 1907 erfolglos an der Wiener Akademie für Bildende Künste bewarb, war seine Mutter bereits schwer erkrankt. Ihr Tod im Dezember 1907 bedeutete neben tiefsten seelischen Schmerzen auch das Ende seiner verwöhnten Sorglosexistenz. Im Februar 1908 zog er nach Wien, wo ihm statt der Linzer Behaglichkeit nun täglich die fordernde Lebenswelt einer spannungsreichen Weltstadt entgegentrat, und viele seiner Phobien, Vorurteile und späteren „Welterklärungsmodelle“ sich zu entwickeln begannen. Nachdem er im Oktober 1908 von der Akademie erneut abgelehnt worden war, tauchte er ein in die Welt der Wiener Männerheime, bis ihm die Auszahlung des väterlichen Erbteils im Mai 1913 den Umzug in das viel bewunderte München ermöglichte – wie auch das vorläufige Entweichen vor den österreichischen Militärbehörden. In Österreich glücklich ausgemustert, meldete er sich bei Kriegsbeginn freiwillig zur bayerischen Armee und kämpfte vier Jahre lang, vornehmlich als zuverlässiger Meldegänger, ohne je für irgendeine Führungsposition erwogen zu werden. Nach der Niederlage, die er wie viele Zeitgenossen als traumatischen Einschnitt seines Lebens empfand, blieb er zunächst Soldat und zählte zu einer Spitzeltruppe, die über Gruppierungen der Münchner Lokalpolitik zu berichten hatte. Dieser Kontakt eröffnete ihm seinen weiteren Lebensweg. Hitlers politische Karriere begann, nachdem er am 12. September 1919 als V-Mann der Reichswehr über eine Veranstaltung der „Deutschen Arbeiterpartei“ (DAP) berichten sollte. Er entdeckte seine Affinität zu dieser Splittergruppe, deren Führung wiederum Hitlers rhetorisches Talent erkannte – einige Tage später trat er mit der Mitgliedsnummer 555 bei. Nachdem er Ende März 1920 aus der Reichswehr verabschiedet worden war, widmete er sich ganz der politischen Propaganda. Hitler avancierte rasch zu einem über die Grenzen Münchens hinaus bekannten Bierkelleragitator, dessen volkstümliche Rhetorik und autosuggestive Erlösungsgläubigkeit so überzeugend auf viele Zuhörer wirkten, dass sie in ihm einen visionären Retter zu sehen bereit waren. Auf einer Großveranstaltung im Festsaal des Münchner Hofbräuhauses verkündete Hitler am 24. Februar 1920 ein 25-Punkte-Programm der DAP. Die Versammlung wurde im Nachhinein zur „Gründungsversammlung“ der NSDAP stilisiert, zu deren Vorsitzenden mit diktatorischen Vollmachten Hitler am 29. Juli 1921 avancierte. Am 9. November 1923 versuchte er vergeblich durch einen Putsch, an dem auch der prominente Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff (1865–1937) teilnahm, die Staatsmacht zu erobern. Von der bayerischen Justiz mit größter Nachsicht behandelt, wurde Hitler zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt und bereits nach knapp acht Monaten Ende 1924 entlassen. Im Landsberger Gefängnis diktierte er den ersten Band seiner Programmschrift Mein Kampf, der 1925 erschien. Ein zweiter Band folgte im Jahr darauf. Die NSDAP war während Hitlers Haft zersplittert. Er gründete sie 1925 neu und legte sich fortan auf den strikten Legalitätskurs fest, über Wahlen an die Macht zu gelangen, um anschließend das parlamentarisch-demokratische Regierungssystem zu beseitigen. Die NSDAP blieb zunächst eine Splittergruppe, Hitler eine ins Vergessen geratene Randfigur. Doch die Reichstagswahlen vom 14. September 1930 katapultierten die Partei von 12 auf 107 Mandate und damit auf den zweiten Platz hinter der SPD. Die NSDAP profilierte sich als „Volkspartei des Protests“ (Jürgen Falter), mobilisierte traditionelle und neue Wählergruppen, verdoppelte ihren Stimmenanteil bei der nächsten Wahl im Juli 1932 und wurde mit 37,3 % die stärkste Partei. Hitler hatte damit offensichtlich das Maximum seines Wählerreservoirs ausgeschöpft. In den nächsten Wahlen am 6. November 1932 sank der Stimmenanteil der NSDAP auf 33,1 %. Angesichts der fortdauernden Regierungskrise und der Stärke seiner Fraktion pochte Hitler auf das Amt des Reichskanzlers, stieß damit allerdings bei Reichspräsident Hindenburg und dessen beratender Kamarilla bis zum Januar 1933 auf Ablehnung. Obwohl „Führer“ der stärksten politischen Bewegung und in vielen Augen ein legitimer Anwärter auf die Regierungsübernahme, konnte er diese aus eigener Kraft nicht erreichen. Erst das Nachgeben des von seinen Beratern gedrängten Reichspräsidenten ebnete Hitler den Weg ins Kanzleramt.

1. Hitlers „Weltanschauung“

Bedeutung der „Weltanschauung “

Hitlers politisches Wirken nach 1933 ist nicht angemessen zu verstehen, sofern man es nicht zu jenen ideologischen Axiomen in Beziehung setzt, die er selbst als seine „Weltanschauung“ bezeichnete und die den langfristigen Rahmen seines Handelns bestimmen sollten. Hitler hat diese „Weltanschauung“ seit seinem ersten politischen Wirken mit ungeschminkter Offenheit in Reden und Schriften verbreitet. Das bekannteste und zeitgenössisch am weitesten verbreitete Werk über seine Gedankenwelt ist das Buch Mein Kampf. Ein weiteres Buch, das er 1928 verfasste und das vor allem seine außenpolitischen Vorstellungen abhandelt, blieb zu Hitlers Lebzeiten unveröffentlicht.

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Hitlers Mein KampfMein Kampf erschien ursprünglich in zwei Bänden. Der erste mit dem Titel „Eine Abrechnung“, den Hitler weitgehend während seiner Haftzeit in Landsberg diktiert hatte, erschien 1925. Der zweite Band mit dem Titel „Die nationalsozialistische Bewegung“ folgte Ende 1926. Eine Volksausgabe, die erstmals 1930 erschien, vereinigte beide Bände. Mein Kampf ist vermutlich von mehreren Bearbeitern im Laufe der Jahre immer wieder durchgesehen und an manchen Stellen stilistisch und orthographisch verbessert worden, ohne allerdings den Inhalt zu verändern, der authentisch Hitlers Gedanken und Weltsicht ausdrückt. Als Hitler zum Kanzler berufen wurde, lag die Auflage bei rund 287.000 Exemplaren, bis Ende 1933 stieg sie um rund eine Million, was Hitler unabhängig von seiner politischen Macht zum wohlhabenden Mann werden ließ. In einem Rundschreiben der Parteikanzlei vom Februar 1939 hieß es, es sei „anzustreben, dass eines Tages jede deutsche Familie, auch die ärmste, des Führers grundlegendes Werk besitzt.” Bis 1945 wurde das Buch in Deutschland rund zehn Millionen Mal gedruckt und außerdem in sechzehn Sprachen übersetzt.

Inhaltlich ist Mein Kampf ein weitschweifiges Buch prahlerischer Halbbildung, dessen bramarbasierend redundanter Stil die Lektüre selbst dann zur Tortur macht, wenn man über den durchweg inhumanen Rassismus und seine totalitären Weiterungen hinwegzusehen vermag. Es galt schon Hitlers Zeitgenossen als schwer erträgliche Lektüre und als Bestseller, den kaum jemand gelesen hatte.

Das Buch ist durchzogen vom Mantra des immerwährenden Vergleichs zwischen menschlichem Körper und Volkskörper. Mensch und Volk seien analoge Entitäten, beide ins Leben gesetzt mit der Notwendigkeit, sich gegen anderes Leben zu behaupten. Der einzelne Mensch gehe zugrunde, wenn er „ungesund“ lebe, sich nicht pflege und Krankheiten in seinem Körper nicht entschieden bekämpfe. So auch der Volkskörper. Wem die ubiquitären Körperanalogien in Mein Kampf simplizistisch erscheinen, der hat Recht. Gleichwohl: Hitler glaubte, was er sagte, und zog aus der kumulierenden Selbstbestätigung seiner politisch-propagandistischen Aktionen eine messianistische Motivation, die Millionen in ihren Bann zu ziehen vermochte.

Rassismus als Lebensgesetz

Die Grundfigur von Hitlers Weltanschauung ist ein manichäistischer Rassismus. Auf der einen Seite stehen die „Arier“, von denen die Deutschen den größten zusammenhängenden Siedlungsblock der Erde bilden – Hitler spricht mal von achtzig, mal von über hundert Millionen Menschen. Diesen „Rassenkern“ gilt es zunächst zusammenzufassen, zugleich militärisch und mental aufzurüsten und für den weiteren Kampf zu präparieren. Alle Geschichte ist für Hitler eine Geschichte von Rassenkämpfen. Während auf der einen Seite „menschliche Kultur und Zivilisation“ stets „gebunden“ sind „an das Vorhandensein des Ariers“, so personifiziert für ihn gleichzeitig „den gewaltigsten Gegensatz zum Arier […] der Jude.“ Dieses Axiom ist in Hitlers Augen ein Naturgesetz, das alles weitere Handeln bestimmen muss.

„Instinkt der Natur“

Entscheidend für Hitlers Weltsicht und Politik ist darüber hinaus die fortgesetzte Dominanz des „Instinkts der Natur“, den es gegen alle ablenkenden Gedanken und Werte, sei es Liberalismus, sei es Sozialismus, sei es Christentum, seien es andere Formen von human-zivilisierter Orientierung menschlichen Zusammenlebens, neu zu wecken und zu erhalten gelte. „Folge dem Instinkt der Natur“ lautet gleichsam Hitlers kategorischer Imperativ. Der entsprechende „Verstand“ muss rassisch „angeboren“ sein, um die Natur instinktiv zu erkennen und angemessen zu verstehen. Mit Blick auf die „arischen“ Deutschen ist es daher die Aufgabe der Politik, diesen Instinkt wieder anzufachen und das deutsche Volk umfassend zu präparieren. Die in diesem Zusammenhang erkennbaren Modernisierungsambitionen sind instrumenteller Natur, kein genuines Ziel allgemeiner Wohlfahrt. Insofern den „arischen“ Deutschen – und nur diesen – moderne Sozialeinrichtungen, gesunde Arbeitsplätze und die Errungenschaften der technischen Moderne verfügbar gemacht werden, verbindet sich damit zwangsläufig die Forderung nach volksgemeinschaftlicher Konformität und entindividualisierter Funktion im Zeichen des globalen Rassenkampfes, den, analog zum Menschenbild, nur ein gesunder „Volkskörper“ zu bestehen vermag. Sobald die „arischen“ Deutschen in ihrem Siedlungsgebiet vereint, „rasserein“ und gerüstet sind, sollen sie, dem wieder entfesselten „Instinkt der Natur“ folgend, die Zukunft ihrer nachfolgenden Generationen sichern, indem sie neuen „Lebensraum“ erobern. Zu keinem Zeitpunkt akzeptierte Hitler daher eine Politik der Wiederherstellung der Grenzen von 1914, denn das seinerzeitige Territorium war in seinen Augen für die Zukunft entschieden zu klein und ein Kolonialreich macht- und siedlungstechnisch zu distanziert. Nach Hitlers Auffassung konnte der zu erobernde Lebensraum nur in Verbindung zum „arischen Kernland“ im Osten Europas liegen.

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Hitler über das Naturrecht auf Krieg zur Lebensraumeroberung

Denn die Dinge liegen doch so, daß auf dieser Erde zur Zeit noch immer Boden in ganz ungeheuren Flächen ungenutzt vorhanden ist und nur des Bebauers harrt. Ebenso ist auch richtig, daß dieser Boden nicht von der Natur an und für sich einer bestimmten Nation oder Rasse als Reservatfläche für die Zukunft aufgehoben wurde, sondern er ist Land und Boden für das Volk, das die Kraft besitzt, ihn zu nehmen, und den Fleiß, ihn zu bebauen. Die Natur kennt keine politischen Grenzen. Sie setzt die Lebewesen zunächst auf diesen Erdball und sieht dem freien Spiel der Kräfte zu. Der Stärkste an Mut und Fleiß erhält dann als ihr liebstes Kind das Herrenrecht des Daseins zugesprochen. (Zit. n.: Hitler, Mein Kampf, S. 147.)

Es gibt nur ein einziges Volk der Erde, das in großer Geschlossenheit, in einheitlicher Rasse und Sprache eng zusammengedrängt im Herzen Europas zusammenwohnt, das ist das deutsche Volk mit seinen 110 Millionen Deutschen in Mitteleuropa. […] diesem geschlossenen Block Mitteleuropas wird und muß einmal die Welt gehören. (Zit. n.: Hitler vor Generälen, 21. Januar 1938, in: Müller, Armee und Drittes Reich 1933–1939, S. 244.)

Juden als „Feindrasse“

Das Postulat des Kampfes um Lebensraum ist untrennbar verbunden mit dem Kampf gegen die „Feindrasse“, das Judentum. Hitler nimmt hier europaweit verbreitete antisemitische Phobien auf, mit deren österreichischen Varianten er schon während seiner Jugendzeit in Kontakt kam (ohne dass eindeutig zu klären ist, ob er selbst in diesen Jahren schon Antisemit war). Diese Theorien verdichteten sich in seiner Weltwahrnehmung nach der Kriegsniederlage zu einer radikal-manichäistischen rassistischen Ideologie, die von 1919 bis zu seinem Selbstmord im Bunker sein politisches Denken und Handeln bestimmen sollte. Hitlers Antisemitismus zeigte sich dabei früher als sein Antibolschewismus und sein Lebensraumkonzept. Beides – Antibolschewismus und osteuropäisch orientierte Lebensraumvorstellungen – entwickelte er erst sukzessive seit Anfang der zwanziger Jahre.

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Kontinuität und Stringenz in Hitlers Antisemitismus

Erste „politische“ Äußerung, Brief an Adolf Gemlich, 16. September 1919Der Antisemitismus aus rein gefühlsmäßigen Gründen muß seinen letzten Ausdruck finden in der Form von Pogromen [im Original: „Progromen“, M.B.]. Der Antisemitismus der Vernunft jedoch muß führen zur planmäßigen gesetzlichen Bekämpfung und Beseitigung der Vorrechte des Juden, die er zum Unterschied der anderen zwischen uns lebenden Fremden besitzt (Fremdengesetzgebung). Sein letztes Ziel aber muß unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt sein. (Zit. n.: Jäckel/Kuhn, Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen, S. 89–90 [Dok. 61].)

Punkt vier des NSDAP-Parteiprogramms, 24. Februar 1920Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein. (Zit. n.: Feder, Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken, S. 8.)

Mein Kampf (1924/25)Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totenkranz der Menschheit sein, dann wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den Äther ziehen. Die ewige Natur rächt unerbittlich die Übertretung ihrer Gebote. So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn. (Zit. n.: Hitler, Mein Kampf, S. 70.)

Hitlers politisches Testament, 29. April 1945Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum. (Zit. n.: Ursachen und Folgen, Bd. 23, S. 199, [Dok. 3636].)

In Hitlers Antisemitismus amalgamierten persönliche Ängste und gesellschaftlich weit verbreitete Bedrohungsperzeptionen zu einem pseudorationalen Welterklärungsmodell, in dem „das Judentum“ und „der Marxismus“ als die entscheidenden Ursachen allen Übels imaginiert wurden. Dieses Welterklärungsmodell war notwendigerweise hermetisch und rationaler Einsicht nicht zugänglich: Nur wer glaubte statt zu denken, konnte sich diesem religiös anverwandten Irrationalismus ergeben, in dem alle Probleme des Alltags in einer simplen Formel zusammengefasst und gleichsam aufgehoben waren. Alles, was aus seinem Antisemitismus folgte, von seiner Bierkelleragitation der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zur genozidalen „Endlösung“ im Zweiten Weltkrieg, war für Hitler ein originär „weltanschauliches“ Ziel, abgeleitetet aus dieser rassistischen Pseudorationalität, keine Reaktion mithin auf konkrete Vernichtungsängste etwa seitens der Revolution in Russland, keine Kopie, sondern genuines, ideologisch rationalisiertes, „idealistisch“ verbrämtes Verlangen aus missionarischem Überzeugungseifer.

2. Stufen zur Macht und charismatische Stilisierung

Politischer Instinkt und Charisma

Hitler war ein Instinktpolitiker und über die längste Zeit seines Wirkens, was immer man moralisch über ihn urteilen mag, ein gewiefter politischer Taktiker, der dies bisweilen gern mit einem selbstvergessenen Wohlgefühl kundtat. Er hielt sich für berufen, auserwählt und genial, und die Reaktionsmuster seiner innerdeutschen wie seiner internationalen Kontrahenten lieferten ihm mit den Jahren immer weniger Anlass, in Selbstzweifel zu geraten. Die moralische Verwerflichkeit seiner verbrecherischen Lebensbilanz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hitler einer der praktisch raffiniertesten, taktisch skrupellosesten und machiavellistisch intelligentesten Politiker seiner Epoche war. Seine autosuggestiv induzierte charismatische Ausstrahlung traf auf eine bald millionenfache Glaubens- und Hingabebereitschaft.

Hitler erreichte jene Machtposition, die ihn zu einem ernstzunehmenden Kandidaten für das Amt des Reichskanzlers werden ließen, über seine politische Massenbewegung und durch Wahlen. Im Unterschied zur cliquenhaften Machtusurpation Lenins oder Mussolinis waren es Millionen Deutsche, die Hitler über die Wahlurnen zum politischen Faktor aufbauten. Von jeweils rund 44 Millionen Stimmberechtigten hatten im September 1930 mehr als 6,4 Millionen Deutsche für die NSDAP votiert, im Juli 1932 mit über 13,7 Millionen fast doppelt so viele und im November desselben Jahres immerhin noch mehr als 11,7 Millionen. Beim ersten Wahlgang für das Amt des Reichspräsidenten im März 1932 erhielt Hitler mehr als 11,3 Millionen, bei der Stichwahl am 10. April 1932 über 13,4 Millionen Wählerstimmen. Er rief später wiederholt verklärend in Erinnerung, wie er „auf 13 Millionen gestiegen“ sei und den „Bolschewismus in Deutschland“ weit hinter sich gelassen habe.

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Charismatische HerrschaftDer Begriff der charismatischen Herrschaft ist Max Webers Herrschaftstypologie entnommen und basiert nach dessen Definition „auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“. Diese heuristische Konstruktion hat eine partiell hohe Erklärungswirkung für Aufstieg, Rolle, Funktion und Stellung Hitlers seit 1919. Sie lässt sich in vielen Bereichen sinnvoll auf die Position des „Führers“ in der nationalsozialistischen Partei und „Bewegung“ wie auch auf seine Rolle und Funktion in Staat und Gesellschaft nach 1933 anwenden. In jüngster Zeit ist der Begriff mehrfach mal mehr, mal weniger stringent (Hans-Ulrich Wehler; Ian Kershaw) benutzt worden, um einer Erklärung der herausragenden und letztlich in den Kernfragen entscheidenden Persönlichkeit Hitlers im Gefüge der NS-Herrschaft aus einer strukturellen Perspektive, die Einzelpersönlichkeiten ansonsten historiographisch zu nivellieren geneigt ist, adäquat näher zu kommen. Wenn Ian Kershaw das Zitat vom „dem Führer entgegen arbeiten“ in das Zentrum seines Ansatzes zur biographischen Erfassung Hitlers gesetzt hat, so illustriert gerade dieses Interpretament, dass es nur solange erklärenden Sinn macht, wie man „Führer“ und „Hitler“ gleichsetzt. Das intendierte „Hitler entgegen arbeiten“ besaß in der Tat eine motivierende Kraft, die alternativen Konnotationen unzweideutig abging – „Göring entgegen arbeiten“, „Goebbels entgegen arbeiten“ oder „Himmler entgegen arbeiten“ ist als Grundmovens schwer vorstellbar –, was die Fixierung dieser Interpretationsperspektive ebenso deutlich werden lässt wie sie Hitlers im Kern singuläre Rolle erneut unterstreicht.

3. Generationenzusammenhang

„Feldzugsgeneration“

Ohne das Generationenmerkmal überbewerten zu wollen, lässt sich festhalten, dass es für die Führungsschicht der NS-„Bewegung“ und des „Dritten Reiches“ einen generationellen Zusammenhang gab, in dem die Erfahrung des Ersten Weltkrieges von prägender Bedeutung war. Diese Generation war mithin weit reichend repräsentativ für das Empfinden weiter Teile der deutschen Bevölkerung, die dieses Urerlebnis der Gewalt in einer ähnlichen Weise erlebt und durchlitten hatten und ihre politische und mentale Gedankenwelt prägend daraus ableiteten. Hitler selbst charakterisierte seinesgleichen als „Feldzugsgeneration“; in der Forschung ist diese „Kohorte“ als „junge Frontgeneration“ (zwischen 1890 und 1900 Geborene) bezeichnet worden.

Tatsächlich repräsentierte die Führungsclique des Regimes um Hitler zu einem großen Teil diese „Feldzugsgeneration“. Die Kohorte von Robert Ley (Jahrgang 1890), Fritz Todt und Max Amann (Jahrgang 1891), Hermann Göring, Joachim von Ribbentrop und Alfred Rosenberg (Jahrgang 1893), Rudolf Heß und Fritz Sauckel (Jahrgang 1894), Richard Walther Darré (Jahrgang 1895), Joseph Goebbels und Otto Dietrich (Jahrgang 1897) illustriert den Zusammenhang. Nimmt man für den Aufstieg des Nationalsozialismus wichtige Persönlichkeiten wie Gregor und Otto Straßer (Jahrgang 1892 und 1897) hinzu, verstärkt sich dieses Bild.

Sie unterschieden sich deutlich von der eher konservativ-nationalistischen Kaiserreich-Generation, der sie sich ebenso zu bedienen wussten wie sie ihnen nach und nach die Macht entrissen, wie Alfred Hugenberg (Jahrgang 1865), Konstantin von Neurath (Jahrgang 1873), Hjalmar Schacht (Jahrgang 1877), Franz von Papen (Jahrgang 1879) oder gar dem im Grunde weiter im monarchischen Idealbild seiner Lebensjahrzehnte vor 1914 wurzelnden Paul von Hindenburg (Jahrgang 1847).

„Kriegsjugendgeneration“

Sie unterschieden sich aber auch von der zwischen 1900 und 1910 geborenen „Kriegsjugendgeneration“, die schon auf eine ideologisch-technokratischere zweite Generation des „Dritten Reiches“ verwies. Zu ihr zählten neben Heinrich Himmler, Hans Frank und Martin Bormann (Jahrgang