Die neuen Strategen - Günter Müller-Stewens - E-Book

Die neuen Strategen E-Book

Günter Müller-Stewens

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Beschreibung

Angesichts der fundamentalen Veränderungen muss Strategie und die Rolle des Strategen neu gedacht werden. Das Buch soll Strategen im Unternehmen helfen, ihre eigene Rolle zu reflektieren und zu legitimieren und Führungskräfte in der strategischen Führungsverantwortung unterstützen und stärken. Dabei geht es weniger um die Vermittlung der Methoden eines strategischen Managements. Vielmehr geht es um das "Handwerk", also das "Wie" professionelle Strategen arbeiten. - Was tun sie genau? - Wie arbeiten und organisieren sie sich? - Welche Kompetenzen benötigen sie? - Welcher Methoden und Techniken bedienen sie sich?Das Buch wendet sich primär an die strategischen Entscheidungsträger selbst, ist aber auch für Studierende und Dozenten geeignet.

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Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumVorwortVerzeichnis der Abbildungen1 Plädoyer für eine Professionalisierung der Strategen1.1 Eine humanitäre Philosophie für strategische Entscheidungsträger1.1.1 Strategiearbeit im Kontext eines hoch dynamischen Umfelds 1.1.2 Die Strategen als Treuhänder dieser Welt1.1.3 Eine normative Basis legen1.2 Was es heißt, ein »Professional« zu sein1.2.1 Forderungen nach einer Professionalisierung des Managements1.2.2 Zur Professionalität der Strategen1.2.3 Grundpfeiler einer Professionalisierung 1.2.4 Der Beitrag der Business Schools zur Professionalisierung 1.2.5 Zeit zum Handeln1.3 Die sich verändernde Rolle der Strategen1.3.1 Die institutionelle Entwicklung: Aus der Praxis heraus entstanden mit heute starken Wurzeln in der Wissenschaft1.3.2 Die inhaltliche Entwicklung: Vom Langfristplaner zum Geschäftsmodellentwickler1.3.3 Den Fokus auf strategische Schlüsselfragen richten1.4 Anforderungen an Strategen im Kontext der Moderne1.4.1 Stärkere Berücksichtigung sinnstiftender Elemente1.4.2 Umfassendere Wahrnehmung sozialer Verantwortung1.4.3 Weitreichendere Nutzung der Vorteilspotenziale aus Kollaboration 1.4.4 Entschlossenheit und Besonnenheit im technologischen Wandel1.5 Schlussbetrachtung: Auf das Augenmaß kommt es an!1.5.1 Zum Umgang mit konkurrierenden Interessen von Anspruchsgruppen1.5.2 Das richtige Maß finden1.5.3 Multi-Stakeholder-Engagement und Streben nach Fairness1.5.4 Die Suche nach einfachen Regeln bei komplexen Entscheidungen1.5.5 Der Stratege als Architekt der Unternehmenszukunft: Die 2010er/2020er JahreAnmerkungen2 Die Führungskraft als Stratege2.1 Die obersten Strategen als letztendliche Entscheider2.1.1 Aufsichtsgremien: Die Verantwortung für die strategische Ausrichtung2.1.2 Der Strategieausschuss: Spezialisierung bei zunehmender Komplexität2.1.3 Der CEO und das Topmanagementteam 2.1.4 Corporate-Management: Strategische Fragen, die es zu beantworten gilt2.1.5 Hindernisse auf dem Weg zu einer professionellen Strategiearbeit 2.2 Die Scharnierfunktion der mittleren Manager2.2.1 Die mittleren Manager: Wer sind sie und wo findet man sie?2.2.2 Sichtweisen von Strategieprozessen prägen die Rolle mittlerer Manager2.2.3 Die multiplen Rollen der mittleren Manager2.2.4 Voraussetzungen für wirkungsvolle mittlere Manager2.3 Strategieberater als Lieferanten von Professional Services2.3.1 Strategieberatung als externe Dienstleistung2.3.2 Eine kurze Geschichte der Strategieberatung 2.3.3 Strategieberater in unterschiedlichen Rollen2.3.4 Hindernisse für eine nachhaltig erfolgreiche Strategieberatung 2.3.5 Zur Professionalisierung der Professionals 2.4 Schlussbetrachtung: Die Potenziale einer Professionalisierung nutzen!Anmerkungen3 Der Chief Strategy Officer3.1 Der CSO als rechte Hand des CEO 3.2 Der CSO im Spannungsfeld seiner Anspruchsgruppen3.2.1 Kommunikation und Vertrauensaufbau 3.2.2 Förderung cross-funktionaler Zusammenarbeit3.3 Aktivitäten, Fähigkeiten und Typen von CSOs 3.3.1 Weit gestreutes Portfolio an Aktivitäten3.3.2 Der CSO als Treiber der Unternehmensentwicklung3.3.3 Wichtige Fähigkeiten eines CSO 3.3.4 Die Wahl des passenden CSO-Typs3.4 Schlussbetrachtung: Die strategische Agenda treiben!Anmerkungen4 Die Strategen in der Zentralabteilung4.1 Die Ausgestaltung der Strategieabteilung 4.1.1 Größe und Struktur: Auf Effizienz getrimmt4.1.2 Rolle, Aufgabenspektrum und Mehrwert: Auf dem Weg zum Drehkreuz4.2 Die Messung des Wertbeitrags4.2.1 Wie bedeutsam eine Messung ist und wie sie bislang durchgeführt wird4.2.2 Entwicklung eines Messverfahrens4.3 Optionen der Professionalisierung 4.3.1 Selbsteinschätzung und Anspruchsgruppenbefragung4.3.2 Interviews mit Schlüssel-Stakeholdern4.3.3 Verknüpfung der Ergebnisse und Empfehlungen zur Professionalisierung 4.3.4 Treiber der Legitimität4.4 Schlussbetrachtung: Transformation zum Drehkreuz!Anmerkungen5 Kompetenzen der Strategen5.1 Auf dem Weg zum Kompetenzmodell5.1.1 Zum Verständnis von Kompetenzen5.1.2 Von der Kompetenz zum Kompetenzmodell5.2 Das MSF-Modell zur Bewertung von Strategen5.2.1 Der Aufbau des MSF-Modells5.2.2 Die Kompetenzkategorien5.3 Anleitung zur Durchführung von Bewertungen5.3.1 Vorbereitung der Interviews5.3.2 Erstellung eines Zielprofils und Kandidatenansprache5.3.3 Durchführung der Interviews5.3.4 Beurteilung der Kandidaten und Abgabe einer Empfehlung5.4 Schlussbetrachtung: Ein Leitkonzept, aber kein DogmaDanksagung Anmerkungen6 Das Handwerkszeug der Strategen6.1 Methoden der Strategiearbeit 6.1.1 Formen methodischer Unterstützung6.1.2 Das Methodenspektrum6.2 Strategieprozesse: Die Steuerung der Interaktion6.2.1 Kommandoansatz6.2.2 Planungsansatz 6.2.3 Initiativenansatz 6.2.4 Visionsansatz 6.2.5 Emergenzansatz 6.3 Strategische Initiativen: Die Beschleunigung des Wandels6.3.1 Von der strategischen Planung zur gelenkten Evolution6.3.2 Von strategischen Initiativen zu strategischen Projekten6.3.3 Handlungsfelder im Management strategischer Initiativen6.4 Strategische Diskurse: Die Suche nach Einverständnis6.4.1 Strategen ins Gespräch bringen6.4.2 Gestaltung von Strategie-Workshops6.5 Schlussbetrachtung: Die Vergemeinschaftung fördern!Anmerkungen7 Der Blick in die Zukunft7.1 Strategie muss neu gedacht werden7.2 Den modernen Strategen als Akteur ins Zentrum stellen7.3 Die normative Basis legen7.4 Dem neuen Strategen ein Profil geben7.5 Das Professionalisierungspotenzial ausschöpfen7.6 Wenn einer sein Handwerk versteht7.7 Fazit: Strategen können unsere Welt verbessernAnmerkungen8 AnhängeAnhang A1: Die Herleitung des Messverfahrens zur Bestimmungdes Wertbeitrags einer Zentralabteilung Strategie (Kapitel 4)Anhang A2: Die Herleitung des MSF-Modells zur Bewertungder strategischen Kompetenzen einer Führungskraft (Kapitel 5)Anhang A3: Templates zum MSF-Modell (Kapitel 5)AnmerkungenLiteraturverzeichnisStichwortverzeichnis
[1]

Hinweis zum Urheberrecht

Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH, Stuttgart

Impressum

Autor:

Prof. em. Dr. Günter Müller-Stewens, Universität St. Gallen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Print:ISBN 978-3-7910-4381-4Bestell-Nr. 10308-0001ePDF:ISBN 978-3-7910-4383-8Bestell-Nr. 10308-0150ePub:ISBN 978-3-7910-4382-1Bestell-Nr. 10308-0100

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2019 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht [email protected]

Illustrationen: Ferdinand Müller-Stewens Umschlagentwurf: Goldener Westen, Berlin Umschlaggestaltung: Kienle gestaltet, Stuttgart (Illustration: Ferdinand Müller-Stewens) Satz: Claudia Wild, Konstanz

März 2019

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart Ein Unternehmen der Haufe Group

Vorwort

Zentrale Botschaft dieses Buches ist, dass angesichts der stattfindenden Veränderungen Strategie für die 2020er Jahre neu gedacht werden muss, ebenso die Rolle der strategischen Entscheidungsträger. Dafür skizzieren wir hier ein Bild dessen, was aus unserer Sicht die neuen Strategen, die unsere Zukunft mitgestalten, ausmacht. Diese neuen Strategen sollen moderne Strategen sein, die sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen vermögen.1

Wir wollen die Führungskräfte in der professionellen Wahrnehmung ihrer strategischen Führungsverantwortung unterstützen und stärken. So soll das Buch den Strategen im Unternehmen helfen, ihre eigene Rolle zu reflektieren und zu legitimieren. Dabei geht es weniger um die Vermittlung der Methoden eines Strategischen Managements. Dazu sei auf unsere ausführlichen und etablierten Lehrbücher »Strategisches Management« sowie »Corporate Strategy & Governance« verwiesen. Vielmehr geht es um das »Handwerk«, also darum, wie professionelle Strategen arbeiten: Was tun sie genau? Wie arbeiten sie? Wie organisieren sie sich? Welche Kompetenzen benötigen sie? Welcher Methoden und Techniken bedienen sie sich? Etc.

Wir wollen mit diesem Buch also einen Blick auf die alltägliche Strategiearbeit in ihrer heutigen, modernen Prägung werfen, diese auf ihre Zukunftsfähigkeit hin überprüfen und damit auch einen Beitrag zu deren Professionalisierung leisten. Damit wenden wir uns mit diesem Buch natürlich an die Strategen selbst. Zielgruppe sind aber auch Dozierende und Studierende, die gegenüber dieser veränderten Sichtweise auf das Strategische Management offen sind.

Der Bezug zur Moderne will hier so verstanden werden, dass es um den Versuch geht, das Gegenwärtige, das Zeitgemäße, das Relevante, das heißt die Zeichen unserer eigenen Zeit zu identifizieren. Schon George Orwell wusste: »Erkennen, was vor der eigenen Nase passiert, bedarf ständiger Anstrengung.« Dies soll uns helfen, noch mehr in unserer Jetztzeit zu leben, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Erfahrung ist ja nur dann für späteren Erfolg von Bedeutung, wenn die Zukunft ähnlich der Vergangenheit ist. Ansonsten leitet sie uns fehl und wir versäumen das rechtzeitige Erlernen und Erproben des Neuen.

Zu Anfang des Buches, in Kapitel 1, bereiten wir die Bühne für die neuen Strategen vor, indem wir ihre programmatische Basis auch normativ festlegen. In Kapitel 2 widmen wir uns den verschiedenen Typen von Akteuren beziehungsweise Strategen auf dieser Bühne. Wir stellen fest, dass strategische Entscheidungen meist nicht alleine gefällt werden, sondern dass viele verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Rollen und Sichtweisen daran beteiligt sind und die Entscheidungen aus einer Vielzahl von Gesprächen und Diskursen, in- und externen Analysen sowie Meetings und Workshops erwachsen. Wir beginnen unsere Vorstellung der Akteure dort, wo wir den Chefstrategen vermuten, beim CEO und den obersten Führungsgremien. Wichtig sind aber auch die mittleren Manager, die das Scharnier von oben nach unten und umgekehrt übernehmen. Auf der Bühne dürfen außerdem die Strategieberater als externe Inputgeber nicht vergessen werden. In vielen großen Unternehmen sind sie zu Begleitern auf Dauer geworden.

In den Kapiteln 3 und 4 beschäftigen wir uns mit den Vollzeitstrategen. Angeführt werden diese heutzutage oft durch einen Chief Strategy Officer (CSO), der den Strategen einer Zentralabteilung Strategie vorsteht. Sie koordinieren auch die Strategen, die oft noch dezentral in den operativen Einheiten angesiedelt sind.

In den Kapiteln 5 und 6 fragen wir uns dann, was die neuen Strategen mitbringen müssen, damit sie auf der Bühne reüssieren. Wir suchen zum einen nach den Kompetenzen, mit denen sie in ihrer Rolle als »Strategic Leader« ausgestattet sein sollten. Zum anderen fragen wir, welches Handwerkszeug ihnen in der Ausübung ihrer Rolle unterstützend zur Verfügung steht.

Wer nur am Kern der Thematik interessiert ist, kann seine Lektüre des Buches auf das Kapitel 1 und das zusammenfassende Kapitel 7 beschränken.

Die Inhalte dieses Buches bauen auf den Erkenntnissen aus einer Vielzahl von am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen durchgeführten Forschungs-, Beratungs- und Trainingsprojekten auf, die hier unter der Leitfigur des neuen beziehungsweise modernen Strategen zusammengeführt werden.

Ich begann dieses Buch 2017, im Jahr meiner Emeritierung, zu schreiben. Seit fast 40 Jahren fasziniert mich das Thema der strategischen Führung, davon 25 Jahre als Forscher und Lehrender an der Universität St. Gallen. Für diese Jahre bin ich der Universität sehr dankbar, da sie mir die bestmöglichen Rahmenbedingungen für meine Arbeit bot. In diesen Jahren ist mir meine Frau Isabelle Müller-Stewens stets liebevoll mit Rat und Tat zur Seite gestanden, weshalb ich ihr dieses Buch widme.

In all diesen Jahren waren sehr viele Mitmenschen bereit, ihre reichhaltigen Erfahrungen, Gedanken und Eindrücke in Sachen Strategie mit mir zu teilen. Wilhelm von Humboldt hat dies einmal treffend benannt: »Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.« Die aus diesen Begegnungen gewonnenen Erfahrungen sollen hier vor dem Hintergrund des Stands der wissenschaftlichen Diskussion und der aktuellen Entwicklungen dargelegt, aber auch kritisch hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für die Zukunft hinterfragt werden.

Auch wenn in diesem Buch als Bezugsobjekt meist von Unternehmen gesprochen wird, so wurden viele der erwähnten Erfahrungen auch in anderen Typen von Organisationen gewonnen, etwa in humanitären Organisationen, kirchlichen und kulturellen Institutionen, Krankenhäusern oder auch Universitäten. Dabei ging es darum, Methoden und Ansätze aus der Unternehmenswelt in deren institutionellen Kontexten zur Anwendung zu bringen. Dass diese Art des »Managerialismus« zur Professionalisierung solcher Organisationen natürlich Grenzen hat, ist naheliegend. Diese galt es zu begreifen und zu respektieren.

Betrachten wir die Praktiken der Strategen über alle Unternehmen hinweg, dann erhalten wir eine enorme Varianz an Ausprägungen. Diese kann dieses Buch niemals erfassen. So habe ich hier Organisationen vor Augen, die schon eine gewisse Größe und Ausdifferenzierung ihres Handlungsspektrums erreicht haben. Auch ist dieses Buch tendenziell aus einer Perspektive der westlichen Welt geschrieben.

Das Buch ist bewusst knapp gehalten, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Eine große Anzahl von Anmerkungen gibt ergänzende Hinweise auf Vertiefungen. Weiter ist das Buch so geschrieben, dass auch Nicht-Strategie-Spezialisten das Buch gut lesen können, aber auch Spezialisten darin hoffentlich interessante Denkanstöße finden.

Herzlich zu danken habe ich nun all jenen, die dazu beitrugen, dass dieses Buch zustande kam. Dies sind all die universitären Kollegen und Mitarbeitenden für ihre wertvollen Anregungen. Insbesondere geht mein aufrichtiger Dank an die Herren Dr. Henning Düsterhoff, Prof. Dr. Torsten Schmid sowie Joachim Stonig für ihr wertvolles Feedback bei der Erstellung dieses Buches. Dann sind es die Führungskräfte aus den unzähligen Executive-Education-Veranstaltungen, Beratungsprojekten, Gremiensitzungen und Einzelgesprächen, die mir ihre Sichtweisen zum Thema anvertrauten. Mein Dank geht außerdem an meine Studierenden mit ihrem frischen Blick auf das Feld. Danken möchte ich aber auch Frau Marita Mollenhauer und ihrem Team für ihre wie immer sehr sorgsame, persönliche und professionelle verlegerische Betreuung dieses Buches.

Mein besonderer Dank geht an meinen Sohn Ferdinand Müller-Stewens, der mit großem Einfühlungsvermögen die Karikaturen gezeichnet hat. Passend zur Akteursperspektive des Buches greifen seine liebevoll menschlich skizzierten Strategen mit einem Augenzwinkern deren Eigenarten auf. So auch auf dem Buchtitel der Stratege, der noch etwas unsicher auf dem Globus tänzelt und oft mehr Bälle gleichzeitig in der Luft halten muss, als ihm lieb ist. Wer mehr Arbeiten von Ferdinand Müller-Stewens sehen will, dem empfehle ich seinen Blog: https://spitzwegerich-illustrationen.com.

Wer mehr zum Thema Strategie aus meiner Feder erfahren möchte, den verweise ich auf meine Website https://smartstrategizing.com.

Nun möchte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, auf eine kleine Reise durch die Welt der Strategen einladen und mitnehmen. Dabei hoffe ich, dass Ihnen auf dieser Reise Interessantes begegnet, das Ihnen auch Anstöße gibt Dinge, die uns in der Führungsarbeit zu einer gewissen Selbstverständlichkeit und Routine geworden sind, zu hinterfragen und neu zu denken.

St. Gallen, im Januar 2019Günter Müller-Stewens

1 Wenn ich in diesem Buch von Strategen spreche, dann sind damit selbstredend Strateginnen und Strategen gemeint.

Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 1.1:Die drei weltweit wertvollsten Unternehmen ihrer Zeit (Marktkapitalisierung in Mrd. US-$)

Abb. 1.2:Entwicklungsphasen des Strategischen Managements und die Rolle der Strategen

Abb. 1.3:Tweet von Joe Kaeser, CEO Siemens

Abb. 1.4:Zentrale Elemente der zukünftigen Rolle der Strategen

Abb. 1.5:Die Rolle der Strategen in den 2010er/2020er Jahren: Die Architekten der Zukunft

Abb. 2.1:Das 10-Planeten-Modell zum Corporate-Level-Management

Abb. 2.2:Zehn Schlüsselfragen zur Strategiearbeit auf der obersten Führungsebene

Abb. 2.3:Zentrale Aufgabenfelder und Herausforderungen der vier Typen von Strategen

Abb. 3.1:Bedeutung des CSO und der Strategieabteilung

Abb. 3.2:Elemente von CSO-Titeln

Abb. 3.3:Berichtslinien des CSO

Abb. 3.4:Karrierepfade von CSOs

Abb. 3.5:Die Koordination der internen Anspruchsgruppen eines CSO

Abb. 3.6:Kommunikationshäufigkeit des CSO

Abb. 3.7:Grad der Einbindung in strategische Entscheidungen

Abb. 3.8:Einfluss ausgewählter Zentralfunktionen auf Strategieentscheidungen

Abb. 3.9:Einfluss ausgewählter Zentralfunktionen auf Strategieentscheidungen

Abb. 3.10:Aktivitäten von CSOs

Abb. 3.11:Einbindung von CSOs in Corporate-Transformationsprogramme

Abb. 3.12:Fähigkeiten von CSOs

Abb. 3.13:Stellenausschreibung Leiter/in Strategie und Organisations-entwicklung

Abb. 3.14:Typen von CSOs

Abb. 3.15:Zentrale Aufgabenfelder und Herausforderungen der CSOs

Abb. 4.1:Tätigkeitsfelder der Strategen in den strategischen Zentralabteilungen

Abb. 4.2:Stellenausschreibung für einen Senior Projektleiter Business Development in der Medienbranche

Abb. 4.3:Die Messung des Wertbeitrags der Strategieabteilung

Abb. 4.4:Fragebogen zur Messung des Wertbeitrags der Strategieabteilung

Abb. 4.5:Zentrale Aufgabenfelder und Herausforderungen der Strategen in der Zentralabteilung

Abb. 5.1:Das Rad der strategischen Führungskompetenz

Abb. 5.2:Die Ausprägungsstufen einer Teilkompetenz

Abb. 5.3:Definition und Skala der Teilkompetenz »Strategische Orientierung geben«

Abb. 5.4:Template für die Zusammenfassung des Zielprofils beziehungsweise des Assessments

Abb. 6.1:Die 10 am häufigsten genutzten Methoden

Abb. 6.2:Im strategischen Planungsprozess eingesetzte Methoden

Abb. 6.3:Nutzung und Zufriedenheit mit den Top 25-Management-Tools

Abb. 6.4:Einbezug von Strategen in den strategischen Planungsprozess

Abb. 6.5:Alternative Strategieprozessansätze

Abb. 6.6:Der jährliche strategische Gruppenstrategieprozess der Migros-Genossenschaft

Abb. 6.7:Zur Bedeutung strategischer Initiativen/Programme

Abb. 6.8:Zentrale Handlungsfelder eines Managements strategischer Initiativen

Abb. 6.9:Ausbaustufen einer Steuerung strategischer Initiativen

Abb. 6.10:Typen organisatorischer Einbettung strategischer Initiativen

Abb. 6.11:Wissensmanagement zur Förderung der Innovationsneigung

Abb. 6.12:Der doppelte Zweck von Strategieprozessen

Abb. 6.13:Entwicklungsfelder beim Methodeneinsatz

Abb. 7.1:Zentrale Aufgabenfelder und Herausforderungen verschiedener Typen von Strategen

Abb. A3.1:Das »Strategic Leadership Competence Wheel«

Abb. A3.2:Definition und Skala der Teilkompetenz »Providing Strategic Orientation«

Abb. A3.3:Definition und Skala der Teilkompetenz »Aligning the Organization«

Abb. A3.4:Definition und Skala der Teilkompetenz »Managing Tensions«

Abb. A3.5:Definition und Skala der Teilkompetenz »Taking Responsibility«

Abb. A3.6:Definition und Skala der Teilkompetenz »Empowering People«

Abb. A3.7:Definition und Skala der Teilkompetenz »Self-Reflection«

Abb. A3.8:Definition und Skala der Teilkompetenz »Decision Strength«

Abb. A3.9:Definition und Skala der Teilkompetenz »Entrepreneurial Spirit«

Abb. A3.10:Definition und Skala der Teilkompetenz »Open-Mindedness«

Abb. A3.11:Template für die Zusammenfassung des Zielprofils beziehungsweise des Assessments

Abb. A3.12:»One Pager« zum SLC-Model

[1]1 Plädoyer für eine Professionalisierung der Strategen

Jede Führungskraft sollte auch ein professioneller Stratege sein! In gleicher Weise, wie man von einer Führungskraft erwartet, dass sie das betriebliche Rechnungswesen zu interpretieren vermag, etwas über Finanzierung und Controlling Bescheid weiß, organisatorische Strukturen und Prozesse gestalten kann, zumindest über ein Grundwissen in Marketing und Branding verfügt oder Mitarbeiter zu führen vermag, wird von jeder Führungskraft auch erwartet, dass sie in der Lage ist, professionell Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Diese General-Management-Kompetenzen haben sich komplementär zu ergänzen.

Dabei soll der Begriff der strategischen Führungskraft hier nicht von einer Ebene abhängig gemacht werden. »Strategic Leaders« kann und sollte es auf jeder Ebene einer Organisation geben. Die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dies zu ermöglichen und die Beteiligten und Betroffenen auch dazu zu ermuntern ist wiederum Aufgabe der Führungsmannschaft. Ihre Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, dass dieses Führungsverständnis zum Teil der Organisationskultur wird.1

Natürlich ist der zeitliche Anteil der Strategiearbeit bei den einzelnen Führungskräften sehr unterschiedlich. Ein CEO hat relativ viel mit Strategie zu tun, aber sicher nicht so viel wie zum Beispiel ein Chief Strategy Officer, der in Vollzeit eine interne Strategieabteilung leitet. Aber auch die Leiterin eines Profit-Centers, einer Zentralfunktion oder einer Ländergesellschaft hat Strategieverantwortung für ihre operative Einheit gegenüber ihren Linienverantwortlichen. Diese Strategieverantwortung gilt es jeweils professionell wahrzunehmen.

Nun gibt es natürlich bereits eine große Anzahl bewährter Strategiebücher, die Anleitung zur Ausübung dieser Strategiearbeit geben. Doch sie sind meist aus einer abstrakt analytischen Perspektive geschrieben. Dort werden entlang eines strategischen Planungsprozesses Methoden zur Handhabung dieser Planungsaufgabe vorgestellt, was im Sinne des Handwerkszeugs von Strategen sicherlich bedeutsam ist. Dagegen wird in diesem [2]Buch keine Prozessperspektive eingenommen, sondern eine Akteursperspektive, das heißt die Sichtweise einer Führungskraft mit Strategieverantwortung.

Eine solche Sichtweise ist aus verschiedenen Gründen hilfreich: Erstens können durch diese Sichtweise konkrete Felder für persönliche Entwicklungsbereiche und -potenziale aufgezeigt werden, hin zu einer zeitgemäßen strategischen Führungskompetenz. Zweitens hilft sie bei der Ausgestaltung des eigenen Aufgabenportfolios. Drittens werden dadurch Wege aufgezeigt, wie sich Strategiearbeit legitimieren lässt und wie der aus ihr resultierende Mehrwert systematisch dargestellt werden kann. Viertens soll sie helfen, die eigene Strategiearbeit in den Kontext der Moderne zu setzen, der von großen Umbrüchen und technologischen Veränderungen geprägt ist, die nach einer Neugestaltung der strategischen Führungsarbeit verlangen. Letztlich werden durch sie auch die sozialen Aspekte erfolgreicher Strategiearbeit adressiert, die insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmenden Implementierungsverantwortung der Strategen von Bedeutung sind. Damit soll das analytisch-rationale Element der Führungsarbeit, das die Strategiediskussion über die vergangenen Jahre immer mehr dominierte, wieder vermehrt mit der unternehmerischen und sozialen Dimension einer integrativen Strategiearbeit verknüpft werden.

1.1 Eine humanitäre Philosophie für strategische Entscheidungsträger

Bevor wir in die einzelnen Aspekte einer solchen Professionalisierung der Strategen tiefer einsteigen, soll zuerst die normative Grundlage dieses Buches gelegt werden: Auf welche Art und Weise wollen wir in diesem Buch Unternehmen und deren Rolle in der Gesellschaft betrachten? Was ist unsere Philosophie dazu, was das Sein und Streben von Unternehmen letztendlich ausmacht und deren Entscheidungsträger auch entsprechend prägen sollte?

Diese normative Basis baut nicht nur auf Wissen auf, sondern auch auf aus der Unternehmenspraxis gewonnenen und geronnenen Erfahrungen. Die vielen Gespräche und Debatten mit Führungskräften aller Art und über viele Jahrzehnte wurden von uns immer als Begegnungen und Austausche gleichwertiger Partner betrachtet. Nur in dieser Form der Interaktion und Verbundenheit erscheint es uns möglich, zum einen Verständnis für die dort angewandten sozialen Praktiken zu erlangen, zum anderen dort mit unseren Beobachtungen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen gehört und verstanden zu werden.2 Ein drittes Element dieser normativen Basis ist »Glauben«. Damit hat sie auch idealistische Züge.

1.1.1 Strategiearbeit im Kontext eines hoch dynamischen Umfelds

Die Strategen sehen sich in ihrem heutigen Umfeld mit ganz erheblichen, oft diskontinuierlich verlaufenden Veränderungen konfrontiert. Seien dies neue technologische Entwicklungen (Digitalisierung, neue Materialien, Bio-, Computer- und Nanowissenschaften usw.), geopolitische Verwerfungen (Konfliktherd Naher Osten usw.), die Verlagerung von Machtzentren (aufstrebende Großmacht China, Krise der EU, wachsender Nationalismus, Entso[3]lidarisierung der internationalen Gemeinschaft usw.), der demografische Wandel (Alterung der Gesellschaft usw.), neue Einstellungen in der Bevölkerung (Teilen statt Besitzen, Streben nach Glück und langem Leben, Zunahme der geografischen Mobilität usw.), wachsende Ungleichgewichte (Einkommen, Vermögen usw.), der Klimawandel (zunehmende geografische Mobilität, Migrationsströme usw.), Urbanisierung (Landflucht, Mega-Citys usw.) oder die zunehmende Abhängigkeit vom Internet (Vernetzung, Cyber-Kriminalität, Datenmissbrauch usw.). Viele dieser Entwicklungen beeinflussen sich wechselseitig, was die Komplexität des Umfelds weiter erhöht.

Es kommt dabei zu einer Neuverteilung von Ressourcen und Wohlstand. Auch wenn Größe nicht alles ist, so wird diese Veränderung durch einen Blick auf die wertvollsten Unternehmen der Welt in Abbildung 1.1 verdeutlicht. 2018 stehen klar an der Spitze drei IT-Konzerne aus den USA. Ihr Gesamtwert ist mehr als 8-mal größer als der der Top 3 von 1990. 2017 kamen auf der Liste der Top 100 nur noch 22 aus Europa, 2008 – im Jahr der globalen Finanzkrise – waren es noch 41 gewesen. China holt mit Unternehmen wie Tencent und Alibaba auf den Plätzen 6 und 9 zunehmend auf.

Abb. 1.1: Die drei weltweit wertvollsten Unternehmen ihrer Zeit (Marktkapitalisierung in Mrd. US-$ am 21.12.18)

Viele Unternehmen sowie ganze Branchen sind aufgrund dieser Veränderungen mit ihren traditionellen Geschäftsmodellen stark in Bedrängnis geraten. Ganz zu Anfang waren zum Beispiel die Medien- und Musikbranche davon betroffen, aktuell sind es zum Beispiel die Banken- und Energiebranche, andere werden folgen. Vielerorts ist diesbezüglich von Disruptionen die Rede. Diese haben ihre Chancen, aber auch ihre Schattenseiten, die es zu bedenken gilt.

Einerseits bringt das Internet viele Chancen mit sich. Inzwischen ist die Verfügbarkeit über Konnektivität fast schon so selbstverständlich geworden wie die über Elektrizität. Andererseits sind damit auch erhebliche soziale und wirtschaftliche Herausforderungen verbunden. Es stellt sich die Frage, ob wir überhaupt in der Lage sind, die explodierende Konnektivität zu beherrschen – auch unter Sicherheitsaspekten hinsichtlich krimineller und feindlicher Akteure.Die neuen Formen der Automatisierung und Roboterisierung, ermöglicht durch die Fortschritte des Maschinenlernens, versprechen einerseits hohe Effizienzgewinne. Doch bislang fehlt der Nachweis einer Zunahme der Produktivität, da ja auch erhebliche Kosten damit verbunden sind. Zudem schaffen sie Ausschluss, wie zum Beispiel am Arbeitsmarkt, wenn es nicht gelingt, über die Anpassung der Aus- und Weiterbildungssysteme die Mitarbeiter, die ihre Arbeitsplätze an Roboter verloren haben, recht[4]zeitig umzuschulen. Doch welche Ausbildungssysteme vermögen dies wirkungsvoll zu leisten? Und welche Art von Expertise ist dann zukünftig überhaupt noch gefragt? Soziale und emotionale Intelligenz? Kreativität? Kollaborations- und Kommunikationsfähigkeit in komplexen Umfeldern? Abstraktions- und Konzeptionalisierungsfähigkeit? Weiter lässt sich fragen, ob wir noch den Überblick über die Algorithmen haben, die immer mehr darüber entscheiden, was in unserer Gesellschaft geschieht?Die sozialen Netzwerke sind zu einer sozialen Kraft und einer Quelle von Macht in der Gesellschaft geworden. Sie ermöglichen uns einerseits zum Beispiel ein sehr einfaches Teilen von Wissen oder neue Formen sozialer Mobilisierung, etwa um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Andererseits machen sie uns mit der von ihnen angebotenen Zweckmäßigkeit bequem, blauäugig und verletzlich. So werden zum Beispiel bedenkenlos sensible Daten preisgegeben, obgleich weder geklärt ist, wem sie gehören, noch, wer sie wie nutzen darf. Auch werden sie aus Machtstreben genutzt, um bewusst und wirkungsvoll Unwahrheiten zu verbreiten.Und ganz grundsätzlich lässt sich fragen, was diese Entwicklungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Solidarität bedeuten? Daraus, dass immer mehr Menschen miteinander verbunden sind, sollte keineswegs geschlossen werden, dass es auch mehr Vertrauen, Solidarität und Hilfsbereitschaft untereinander gibt. Vieles deutet aktuell auf das Gegenteil hin.

So finden sich die strategischen Entscheidungsträger in einem äußerst komplexen Umfeld wieder, in dem sie mit einer Vielzahl von teilweise konfliktären Ansprüchen und Abhängigkeiten konfrontiert sind bei gleichzeitig hoher Volatilität und Unvorhersagbarkeit der Entwicklungen. Die Gesellschaft, und damit die Wirtschaft als Teil von ihr, steht an einem Wendepunkt. Neue Regeln im gesellschaftlichen Zusammenwirken sind lokal und global im Entstehen begriffen. Strategische Entscheidungen sind für eine neu entstehende Weltordnung zu treffen. Teilweise sind die Strategen dabei Getriebene der Megatrends und es geht um die erforderlichen Anpassungen. Sie müssen aber auch ausloten, inwieweit sie gleichzeitig innovative Mitgestalter der Zukunft zu sein vermögen.

In diesem Kontext müssen sich die Strategen neu bewähren. Sie müssen ihre Rolle, die sie einnehmen wollen, grundsätzlich überdenken und wohl auch neu definieren. Es gilt zu fragen, ob die »Philosophie der Firma«, an der wir uns orientieren, also das Grundmodell, an dem wir unser Denken und Handeln ausrichten, der neuen Ausgangssituation überhaupt noch gerecht zu werden vermag. Wohl immer weniger.

Was benötigt wird, ist eine Philosophie, die nicht nur den rein rationalen Entscheidungsträger kennt, sondern auch die nichtökonomischen Quellen von Wertschaffung in Organisationen berücksichtigt. Jeder weiß, dass sich beim Entscheiden der Verstand nicht von Emotionen und Einstellungen trennen lässt. So sind manche Bedürfnisse wie etwa Integrität, Zuverlässigkeit, Fairness oder Mitgefühl kaum über eine klassische Produktionsfunktion zu befriedigen. Das heißt, es müsste eine Philosophie sein, die über die neoklassischen Ansätze hinausgeht. Im Folgenden sollen erste Ansatzpunkte zu einer solchen Philosophie der Unternehmung aufgezeigt werden, auf der dann die Diskussion zur Professionalisierung der Strategen aufbauen kann.

[5]1.1.2 Die Strategen als Treuhänder dieser Welt

Die Philosophie der Unternehmung, nach der hier gesucht wird, muss auch eine normative, also eine wertbehaftete sein. Sie benötigt eine normative Grundaussage dazu, wofür Unternehmen grundsätzlich da sein sollten und auf welcher Wertbasis dies geschehen sollte. Es ist wenig zielführend, über die einzelnen Aktivitäten und beschreibenden Elemente zu sprechen, solange unklar ist, auf welchen übergeordneten Zweck sie ausgerichtet sind.3

Fragt man nach der Zwecksetzung von Unternehmen, so gibt es keine klare Antwort: Gewinn für die Eigentümer, die mit ihrem Kapital ins Risiko gehen? Oder Arbeit, nach dem Motto: »Sozial ist, was Arbeit schafft«? Oder Innovation zur Erzielung von gesellschaftlichem Fortschritt? Ganz anders verhält es sich bei der Medizin, wo der zentrale Zweck die Gesundheit ist, oder im Rechtswesen, wo es die Gerechtigkeit ist.

Die Diskussion zur Frage nach dem Zweck und der Verantwortlichkeit von Unternehmen wird schon seit Dekaden geführt. Die Meinungen dazu sind nach wie vor sehr divers. Auf dem Rückzug befindet sich dabei der neoklassische Ansatz, wonach es um die Maximierung des Firmenwerts für die Eigentümer geht. Ein gewisser Minimalkonsens scheint heute zumindest darin zu bestehen, dass es um die Schaffung von Wert geht – Wert, der bei seinen Empfängern zu einem Nutzen wird.4

Eine solche Philosophie soll zur grundsätzlichen Justierung des Denkens und Handelns der Akteure im Unternehmen dienen. Sie besagt normativ, welche Art von Welt wir uns wünschen. In diesem Sinne definieren wir hier den übergeordneten Zweck von Unternehmen: Der gesellschaftliche Grundauftrag von Unternehmen besteht darin, die Welt, in der sie operieren dürfen, noch menschendienlicher zu machen.5 Sie sind in und für die Gesellschaft tätig, durch Menschen für Menschen geschaffen. Dies entspricht auch der im deutschen Grundgesetz Art. 14 (Abs. 2) festgehaltenen Gemeinwohlbindung: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.«

Strategiearbeit passiert damit nicht im (wert-)freien Raum. Unternehmen sind Teil der Gesellschaft. Für eine fortschrittliche Entwicklung benötigen beide einander. Unternehmen erwarten geeignete Rahmenbedingungen. Die Gesellschaft erwartet eine Mitverantwortung an ihrer Entwicklung. Die Verantwortung, die ein Management trägt, ergibt sich damit aus den Freiheiten, die uns die Gesellschaft beim Wirtschaften gibt. Die Würde des Menschen ist Zentrum und Ziel, auf die sich auch die wirtschaftlichen Aktivitäten zweckdienlich auszurichten haben.

Heutzutage möchte natürlich kaum ein Unternehmen nicht auch als Partner der Gesellschaft bei der Bewältigung globaler Herausforderungen gesehen werden. So werden Werteversprechen, die unmittelbar auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse auf unserem Planeten zielen, abgegeben. Ein Beispiel hierfür ist etwa Bayer mit »Science for a better life« oder das mexikanische Bauunternehmen CEMEX mit »Building a better future«.6 Entscheidend dabei ist die Integrität, das heißt, dass sich das Handeln mit solchen Aussagen auch deckt.

Doch unsere Diskussion geschieht in einer Zeit, in der – trotz aller hehren Absichtserklärungen – ein Fehlverhalten von Führungskräften vielerorts in den Augen der Öffentlichkeit Zweifel an der Redlichkeit von manchen Entscheidungsträgern in der Wirtschaft ausgelöst hat. Man denke zum Beispiel an die Erkenntnisse aus den Paradise-Papers-Enthüllungen [6]im Herbst 2017. Oder man nehme die Volkswagen-Gruppe, die in ihrer neuen Strategie 2025 verlautbaren lässt, dass sie nun »Vorbild bei Umwelt, Sicherheit und Integrität«7 sein will. Doch nach dem Öffentlich-Werden von »Dieselgate« aus dem Herbst 2015 ist hier die Skepsis groß und es gilt, diese Aussage erst einmal nachhaltig unter Beweis zu stellen. So ist bis heute die vom damals neu eingesetzten CEO Matthias Müller versprochene lückenlose Aufklärung nicht erfolgt. Auch er musste seinen Sessel im Frühjahr 2018 räumen, in einer Situation, in der die grundsätzlichen Führungsprobleme, die das Desaster erzeugt hatten, noch keineswegs beseitigt waren. So lässt die nächste Krise auf sich warten. Doch gleichzeitig scheint dies die Konsumenten wenig zu kümmern, denn das Unternehmen schrieb für das Jahr 2017 Rekordergebnisse. Zyniker könnten also fragen, was denn die ganze Aufregung um den Betrug soll? Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit gegenüber den Unternehmen bezüglich dessen, in welchem Umfang diese Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zu übernehmen haben, in den letzten Jahren erheblich gestiegen.

Manchmal handelt es sich bei dem Fehlverhalten nicht einmal um Gesetzesverstöße wie bei VW, sondern um ein aus Sicht der Öffentlichkeit moralisch illegitimes Handeln. Ein Beispiel hierfür ist der hochdotierte Vertrag, den Novartis mit dem New Yorker Anwalt und Vertrauten von US-Präsident Donald Trump, Michael Cohen, abgeschlossen hatte, um über ihn an relevante Informationen zu kommen und besseren Lobbyismus in der damaligen Umbruchsituation der Branche beim Präsidenten betreiben zu können. Doch wie sich herausstellte, hatte Cohen nichts zu liefern. Trotzdem wurden die Zahlungen fortgeführt. Als dieser Vorgang öffentlich bekannt wurde, war die Empörung in der Öffentlichkeit groß, obgleich hier – zumindest aus heutiger Sicht – alles juristisch korrekt verlief. Allerdings kam der Verdacht der Bestechung auf, da Novartis hierüber versucht haben könnte, den Präsidenten zu beeinflussen. Doch dies wird kaum zu beweisen sein. Der gerade neu ins Amt gekommene CEO Vasant Narasimhan entschuldigte sich umgehend und umfassend in der Öffentlichkeit, um einen größeren Reputationsschaden vom Unternehmen abzuwenden, obgleich der Vertrag 2017 noch unter seinem Vorgänger geschlossen wurde. In einer E-Mail an die weltweite Belegschaft schrieb er: »We made a mistake in entering into this engagement, and, as a consequence, are being criticized by a world that expects more from us.« Eine weitere Konsequenz dieser Affäre war, dass ein Mitglied der Geschäftsleitung, und zwar der Leiter der Rechtsabteilung, im Mai 2018 das Unternehmen verlassen musste.

Weiter sollte mit einer normativen Theorie auch eine Aussage darüber verbunden sein, welche grundlegende Einstellung, auf der die Beziehungen einer Organisation zu ihren Anspruchsgruppen ganz grundsätzlich beruht, beim Verfolgen dieses übergeordneten Zwecks einzuhalten ist. Sie besagt, welches Verhalten akzeptabel ist und welches nicht. Damit werden die Geschäftsoptionen und -aktivitäten, die Strategen abwägen und für die sie sich entscheiden, bewusst nicht von den Werten getrennt, auf deren Basis sie gefällt werden, denn letztendlich geben Entscheidungen auch immer Aufschluss über die Werte, auf denen sie – ob nun bewusst oder unbewusst – gründen. Die Ökonomen Thomas Donaldson und James Walsh schlagen hierfür die Menschenwürde (Dignity) vor.8Es gelte, ein zu definierendes Minimalniveau an Respekt gegenüber allen Beteiligten und Betroffenen einzuhalten. Dieses bildet das moralische Fundament der Aktivitäten eines Unternehmens. Missachten wir es, dann unterlaufen wir damit die Menschlichkeit in uns selbst.9 Dazu sei beispielsweise auf die vom UNO-Menschenrechtsrat erarbeiteten Leitprinzipien [7]für Wirtschaft und Menschenrechte verwiesen, die auch eine Pflicht der Unternehmen, die Menschenrechte zu respektieren, beinhalten.10

Leitidee ist demnach eine humanitäre Philosophie des Unternehmens, das heißt eine menschenfreundliche, auf den Menschen und dessen soziale Beziehungen ausgerichtete Philosophie auf der Basis des Grundwerts einer universal verstandenen Menschenwürde.11Sie fördert die Entfaltung des Menschen zur selbstbestimmten Persönlichkeit. Wir distanzieren uns dabei von der Annahme, dass Menschen nur durch den Wunsch nach materiellem Wohlstand motiviert werden. Jedem Menschen inne ist auch das Verlangen nach Würde, nach Gleichwertigkeit. Ein Unternehmen, das über engagierte Mitarbeiter verfügen möchte, sollte im Denken und Handeln aller umfassend von der Haltung getragen werden, dass es dazu da ist, den Menschen beziehungsweise der Menschheit zu dienen, und die Strategen agieren als Treuhänder dieses Auftrags (Stewardship).12 Wir alle sind Treuhänder dieser Welt in der Zeit, in der wir ein Teil von ihr sind.

Solch eine übergeordnete Zwecksetzung auf der Primärebene, verbunden mit dem in alle Beziehungen einzubringenden Grundwert der Menschenwürde, gibt Orientierung und kann helfen, Zielkonflikte auf unteren Ebenen zu lösen. Es kommt zu einer bewussten Reduktion einer kontinuierlich anwachsenden Komplexität. Dee Hock, der Gründer und frühere CEO von Visa International, hat dies einmal wie folgt ausgedrückt: »Simple, clear purpose and principles give rise to complex, intelligent behavior. Complex rules and regulations give rise to simple, stupid behavior.«13

Das einzelne Unternehmen kann sich nun auf der Sekundärebene konkret daran ausrichten. Es kann diese normativen Festsetzungen vor dem Hintergrund des eigenen Kontextes präzisieren und ausdifferenzieren. Führungsinstrumente wie Vision und Ziele sowie Mission und Werte können dies aufgreifen und dadurch der Strategieentwicklung einen normativen Rahmen geben, den es entsprechend wirkungsvoll zu implementieren gilt.

In einem nächsten Schritt geht es nun darum, dass wir uns von der Ebene der generell gesetzten Normen auf die Ebene des einzelnen Unternehmens begeben.

1.1.2.1 Die Optimierung des Gesamtnutzens bei den Anspruchsgruppen

Folgen wir den obigen Ausführungen, so ist es der Zweck des Unternehmens und damit auch die Aufgabe der Strategen, den durch das Unternehmen erzeugten Gesamtnutzen innerhalb der oben gesetzten Normen zu optimieren.14 Darüber erfährt das Unternehmen auch seine letztendliche Legitimierung in der Gesellschaft. Es gilt, das unter der gegebenen Vielfalt von Intentionen, Erwartungen und Bedingungen höchste erreichbare Ausmaß an Optimierung möglichst effizient und effektiv zu erreichen.

Daraus folgen direkt zwei Fragen:

Gegenüber wem sieht man sich beziehungsweise ist man verantwortlich und will welchen Nutzen stiften?In welcher Form soll dies geschehen?

Um diese Aufgabe zu strukturieren, steht uns seit vielen Jahren der Ansatz eines Stakeholder-Managements zur Verfügung.15 Nach ihm sollten Unternehmen in den Interessen ihrer jeweiligen Anspruchsgruppen geführt werden.16 Auf ihm können wir aufbauen.

[8]Adressaten der Nutzenstiftung sind die relevanten Anspruchsgruppen des Unternehmens. Dies sind die Akteursgruppen, die das Unternehmen mit seinen Aktivitäten beeinflussen und die durch seine Aktivitäten beeinflusst werden.17 Sie haben ein legitimes Interesse am Unternehmen und dessen Wirken. Ihnen gegenüber ist das Unternehmen verantwortlich. Dazu zählen zum Beispiel Eigentümer, Kunden, Mitarbeiter, Regulatoren, Meinungsmacher, Lieferanten oder die Gesellschaft.

Diese Verantwortung gilt in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, denn nachhaltiger Erfolg resultiert aus dem harmonischen Zusammenwirken der Verantwortung bei allen drei.18 Gegenüber der Zukunft, weil es unser Streben und Vermächtnis sein sollte, dass wir die Welt besser verlassen, als wir sie angetreten haben. Das heißt weiter, dass wir die Bedürfnisse der Gegenwärtigen nur insoweit berücksichtigen, als wir dadurch die Möglichkeiten der zukünftigen Generationen nicht beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.19 Bezogen auf die Vergangenheit sollten wir danach streben, unsere Vorfahren stolz auf uns zu machen. Wir sollten wertschätzen, dass wir die Welt, in die wir geboren werden, von unseren Vorfahren erben, denn eines Tages sind wir selbst wieder Geschichte. So greift die Zukunft auch immer wieder auf die Vergangenheit zurück.

Von den Strategen wird erwartet, dass sie sich Gedanken machen, welche Anspruchsgruppen sie priorisieren wollen und wie sie in der Führungsmannschaft Konsens dazu erreichen. Ein Auswahlkriterium ist sicherlich einmal der Einfluss den eine Anspruchsgruppe gegenüber dem Unternehmen aus der Sicht von dessen Strategen ausüben kann. Relevant sind aber auch Anspruchsgruppen, die nicht unbedingt über Macht, aber über eine moralische Legitimierung verfügen. Ein anderer Fall mögen auch Anspruchsgruppen sein, die ein besonders dringliches Anliegen haben.20 Hinzu kommen Anspruchsgruppen bei deren Hervorhebung die Strategen Vorteile in der Positionierung ihrer Geschäfte sehen. Ein Beispiel könnten hier die Angehörigen von Patienten in einem Krankenhaus sein. Schon die Auswahl der Anspruchsgruppen bietet also Potenzial für eine strategische Differenzierung.

Mit diesen Anspruchsgruppen steht das Unternehmen nun in mehr oder minder intensiven und regelmäßigen sozialen Beziehungen. Um erfolgreich zu sein, gilt es, diese Beziehungen ausgewogen auszugestalten. So meinten denn auch 68 % der CEOs in einer internationalen Umfrage, dass es der Zweck und die langfristige Existenzvoraussetzung jedes Unternehmens sei, die Interessen aller Anspruchsgruppen angemessen auszubalancieren21 – so wie in der Zeichnung zum Auftakt des Kapitels dargestellt. Ausgewogen heißt einerseits, dass die Erwartungen und Interessen der Anspruchsgruppen aus deren Sicht ausreichend berücksichtigt werden. Dazu kann ein Unternehmen ein Nutzenversprechen abgeben, das es dann auch einzulösen gilt. Es beschreibt den Wert, der der jeweiligen Anspruchsgruppe durch die Aktivitäten des Unternehmens zugutekommen soll. Daraus sollte auch hervorgehen, worin die Einzigartigkeit des Angebots besteht. In welchem Ausmaß dabei auf die Erwartungen einer Anspruchsgruppe eingegangen wird, hängt vom Einzelfall und auch von deren Verhandlungsmacht ab. Andererseits will auch das Unternehmen seine Interessen und Ambitionen gegenüber den jeweiligen Anspruchsgruppen ausreichend verwirklicht sehen. Das heißt, das Unternehmen will aus der Beziehung ebenfalls einen Nutzen ziehen. So kann jede dieser Anspruchsgruppenbeziehungen als ein ständiger Aushandlungsprozess mit dem Ziel der Ausgewogenheit aus beiden Blickwinkeln verstanden werden.

[9]Dass im Allgemeinen nicht voll auf alle Erwartungen der einzelnen Anspruchsgruppen eingegangen werden kann, hängt auch damit zusammen, dass die durch das Unternehmen auf die Anspruchsgruppen verteilbare Wertschöpfung limitiert ist. Dadurch konkurrieren die Anspruchsgruppen untereinander um diese Wertschöpfung: Der Mitarbeiter will mehr Lohn, der Kunde einen besseren Preis usw.

1.1.2.2 Vom Erfolg und dessen Mess- und Entscheidungsproblemen

Dieses Ausbalancieren der Interessen der Anspruchsgruppen sollte am zu optimierenden Gesamtnutzen ausgerichtet sein. Das erlangte Ausmaß an Optimierung des Gesamtnutzens ist dann der Maßstab für die Performance des Unternehmens. Je näher man also dieser Optimierung kommt, desto erfolgreicher ist das Unternehmen. Dabei gibt es aufgrund der vielen Kombinationsmöglichkeiten der Komponenten von Wertschaffung viele Wege zum Erfolg. Dies gilt auch angesichts der Diversität von Partnern und Aktivitäten in einer Wertschöpfungsökologie sowie angesichts der verschiedenen Koordinationsschemata. Der Erfolg ist damit ein Konzept, das reichhaltiger ist als nur das Aggregieren ökonomischen Nutzens.

Doch dies ist einfacher gesagt als getan. So gibt es starke Limitationen in den Möglichkeiten, einen erhaltenen und erzeugten Nutzen zu messen und das Zusammenwirken mehrerer Nutzen als Nutzenbündel zu betrachten. Das Messproblem beginnt schon beim erzeugten Nutzen pro Anspruchsgruppe.22 Verschiedene Empfänger werden ihn möglicherweise unterschiedlich bewerten. Auch ist zu bedenken, dass die Art und Weise wie gemessen wird, Rückwirkungen auf die nutzenstiftenden Aktivitäten haben kann.

Noch schwieriger wird es bei der Ermittlung des Gesamtnutzens. Da die Einzelnutzen untereinander meist nicht direkt vergleichbar sind, geht das nicht über eine einfache Aggregation. Auch entspricht der Gesamtnutzen nicht unbedingt der Summe der Teilnutzen, denn die Fähigkeit zu ihrer Kombination vermag nochmals einen Zusatznutzen zu erzeugen. Das Gesamte ist mehr als eine Summe dyadischer Beziehungen zwischen dem Unternehmen und den einzelnen Anspruchsgruppen, da es eine Vielzahl von Wechselwirkungen zwischen ihnen gibt. Damit ist die Sichtweise eines Netzwerks zutreffender.

Doch spätestens beim Entscheiden haben wir es mit etwas Umfassendem zu tun, das offenbar nicht kohärent, nicht leicht »aufaddierbar« ist. Trotzdem kommt es zu Entscheidungen, die wir nun aber nicht mehr rein rational abbilden können. Es kommen nun aller Voraussicht nach andere Aspekte, wie zum Beispiel Einstellungen und Emotionen, ins Spiel. Anscheinend haben Entscheidungsträger dann auf diese Weise Wege für sich gefunden, dieses Bündel von Teilnutzen aus ihrer Sicht zu »optimieren«, das heißt auch weniger optimale Kombinationen von Nutzenstiftung von besseren zu unterscheiden. Doch die »Formel« nach der eine solche Entscheidung getroffen wurde, wird uns dabei nicht offensichtlich. Auch erfahren wird nicht, ob es eine »Zielgröße« gab, auf die hin optimiert wurde.

Trotz dieser konzeptionellen Herausforderungen kommt dieser humanitäre, auf die Anspruchsgruppen ausgerichtete Ansatz wohl den an einer nachhaltigen Entwicklung ausgerichteten Erwartungen zumindest als Leitidee noch am nächsten.23 Er entspricht auch den Träumen großer Teile der Zivilgesellschaft von sozialer Harmonie und einem treuhänderisch-sorgsamen Umgang mit der Umwelt bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Prosperität. [10]Deshalb werden wir weiter unten erste Vorschläge unterbreiten, wie mit diesen konzeptionellen Herausforderungen verfahren werden kann.

1.1.3 Eine normative Basis legen

In vorigen Abschnitt haben wir nach einer normativen Basis für unser Tun und Wirken gesucht. Ohne eine solche Basis ist die Arbeit der Strategen beliebig und orientierungslos.

Der hier unterbreitete Vorschlag ist eine humanitäre Philosophie des Unternehmens. Sie ist eine auf den Menschen und dessen soziale Beziehungen ausgerichtete Philosophie auf der Basis des Grundwerts der Menschenwürde. Unternehmen sind hiernach dazu da, den Menschen beziehungsweise der Menschheit zu dienen. Die Strategen agieren dabei, wie bereits erwähnt, als Treuhänder dieses Auftrags (»Stewardship«).

Ein solcher Ansatz gibt Orientierung und hilft, Zielkonflikte auf unteren Ebenen zu lösen. Er hilft außerdem, die zunehmende Komplexität strategischer Problemstellungen zu reduzieren. Natürlich muss ein solcher Ansatz vor dem Hintergrund des eigenen Kontextes interpretiert und über den normativen Rahmen ausgestaltet werden.

Konzeptionell fassen wir diese Philosophie über den Ansatz eines Stakeholder-Managements, bei dem es darum geht, zu möglichst ausgewogenen Beziehungen mit den relevanten Anspruchsgruppen zu gelangen. Da deren Erwartungen und Interessen im Allgemeinen nicht gleichgerichtet sind, bedarf es wirkungsvoller Prozesse pluralistischen Austarierens und politischen Ausgleichens.

Doch was bedeutet dies nun für einen modernen, professionellen Strategen? Mit welchen Herausforderungen sieht er sich insbesondere konfrontiert, wenn er diese Unternehmensphilosophie aufgreift und zu leben versucht? Wie kann er diese Aushandlungsprozesse konkret ausgestalten, damit sie auch zum Erfolg führen? Welcher unterstützenden Konzepte kann er sich dabei bedienen?

Bevor diesen Fragen in Abschnitt 1.4 näher nachgegangen werden soll, soll zuerst geklärt werden, was es denn überhaupt bedeutet, ein Professional zu sein, und wie sich die Rolle des Strategen über die Jahrzehnte im Lichte der jeweiligen Herausforderungen geändert hat.

1.2 Was es heißt, ein »Professional« zu sein

Seit ihren Anfängen in den 1950er Jahren wird die Arbeit an und mit Strategien als eine Aufgabe betrachtet, die durch Experten mithilfe bestimmter Praktiken zu erledigen ist.24 Diese Akteure der Strategiearbeit tun dies in ihrer Funktion als Führungskräfte in unterschiedlichsten Organisationen und sie tun es in unterschiedlichem Ausmaß. Das betrifft zum einen den Umfang der inhaltlichen Verantwortung. So kann sich heute ein Chief Strategy Officer vielerorts nicht mehr auf das bloße Entwerfen von Zukunftsplänen zurückziehen25, vielmehr wird er bei strategischen Projekten durchaus auch in die Umsetzungsverantwortung genommen. Zum anderen betrifft es die Zeit, die für die Strategiearbeit aufgewendet [11]werden kann. Die Leiterin einer Stabsabteilung Corporate Strategy ist in Vollzeit damit beschäftigt. Für ein Mitglied der Geschäftsleitung hingegen ist die Strategiearbeit nur Teil seines Tätigkeitenspektrums neben seinen anderen General-Management-Aufgaben wie etwa Marketing oder Controlling. Doch egal, ob Vollzeit- oder Teilzeitstratege, jeder sollte nach den professionalen Standards der Disziplin des Strategischen Managements arbeiten, wenn er sich nicht der Fahrlässigkeit schuldig machen will.

Gemessen an klassischen Maßstäben, anhand derer ein Berufsstand definiert wird, gibt es bis dato keinen etablierten Berufsstand des Managers, geschweige denn den des Strategen. Vermutlich wird es in absehbarer Zeit auch nicht dazu kommen. So lässt das Arbeitsfeld der Strategen noch einen weiten Raum für die Professionalisierung und – angesichts der aktuellen Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld – für die Modernisierung.

Dass diese Professionalisierung und Modernisierung gezielt angegangen wird, ist wesentlich. Die Notwendigkeit dazu folgt insbesondere aus dem gravierenden Reputationsverlust, den Manager als Repräsentanten der wirtschaftlichen Elite in den letzten Jahren in den Augen der Öffentlichkeit erfuhren. Strategen nehmen gerne für sich in Anspruch, dass sie sich um das große Ganze – das »Big Picture« – sowie die langfristige Ausrichtung und Entwicklung des Unternehmens kümmern. Wenn dem so ist, haben sie auch eine besondere Verantwortung als Führungskräfte zu übernehmen.

Im nächsten Abschnitt wollen wir uns näher damit befassen, was einen Berufsstand ausmacht, was den Manager und den Strategen davon trennt, und wo wir Potenziale einer notwendigen Professionalisierung sehen.

1.2.1 Forderungen nach einer Professionalisierung des Managements

Der Manager gehört einer noch sehr jungen Berufsgattung an, zumindest im Verhältnis zu Berufen wie denen des Arztes oder Juristen. Die Professionalität dieses Arbeitsgebietes ist als noch wenig fortgeschritten zu bewerten, sodass kaum von einem wirklichen Berufsstand gesprochen werden kann. Diese Einschätzung stützt sich nicht nur auf den relativ geringen Stand gesicherten Wissens, sondern auch auf die Tatsache, dass es bis dato keine allgemeinen und berufsständisch überwachten Verhaltensregeln gibt.

Übt jemand hingegen den Beruf eines Arztes oder Juristen aus, so gibt es klare professionelle Standards. Er oder sie handelt auf der Basis von Verhaltensregeln, Grundsätzen und Praktiken, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben. Deren Beachtung wird von Institutionen dieser Berufsstände eingefordert und überwacht sowie bei Nichtbeachtung geahndet. Sie geben denen, die mit Vertretern dieses Berufsstands zu tun haben, eine gewisse Sicherheit. Aber auch dem einzelnen Anwalt oder Mediziner geben sie Sicherheit, da er sich nun in Zweifelsfällen auf den Wissensstand und die Leitlinien seiner Profession berufen kann.26 Oder man denke an Piloten, die sich bei Ausübung ihres Berufes Checklisten bedienen müssen, um folgenreiche Fehler zu vermeiden. Diese Checklisten wurden über Jahrzehnte aus Mängeln der Vergangenheit erarbeitet. Von all dem ist man im Falle von Vollzeitstrategen weit entfernt.27

Zwar hat sich das Berufsfeld Management seit seinem Entstehen zu einer lebendigen und einflussreichen Branche mit vielen verschiedenen Institutionen (Business Schools, [12]Beratungen, Verbände usw.) entwickelt, jedoch besteht an vielen Stellen noch Nachholbedarf. Um Manager zu werden, wird bis dato keine formale Zulassung benötigt. Topmanager – selbst von sogenannten systemrelevanten Unternehmen – darf schlichtweg jeder werden, der die individuell definierten Kriterien des Aufsichts- beziehungsweise Verwaltungsrats erfüllt. Das heißt auch, dass keine spezielle Ausbildung vorgeschrieben ist. Wie jemand den Beruf des Managers zuverlässig und würdig ausübt, ist nicht definiert und es wacht auch niemand darüber. Außerdem sind Manager nicht verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden.

Gleichzeitig erhöht sich der Druck, zu klären, was genau einen verantwortlich und kompetent handelnden Manager auszeichnet. Dieser Druck wächst auch vor dem Hintergrund zum Teil grober Fehlentscheidungen und moralisch verwerflichen Handelns einiger Führungskräfte, die massive soziale und ökonomische Kosten verursachten. Das Management und seine Institutionen haben als Berufsstand seit der Finanzkrise einen wohl noch nie dagewesenen Reputationsschaden erlitten. So kamen nicht nur erhebliche Zweifel an der Kompetenz einiger ihrer Vertreter auf, sondern auch an deren Moral und Rechtschaffenheit. Von diesen Vorwürfen blieben auch die Business Schools als Management-Forschungsanstalten und Ausbildungsstätten von Managern nicht verschont.28

Aufgrund der teilweise eklatanten Rückwirkungen wirtschaftlichen Handelns auf die Gesellschaft wünscht die Gesellschaft mehr Verbindlichkeit hinsichtlich der Voraussetzungen, die diejenigen Personen mitbringen, die in der Wirtschaft große Verantwortung übernehmen. Zudem wächst der juristische Druck, genauere Aussagen dazu treffen zu können, wann ein Manager professionell arbeitet und wann nicht.

Doch was beinhaltet eine Professionalisierung des Managements? Um das Tätigkeitsfeld des Managements zu einer wirklichen Profession weiterzuentwickeln, schlägt der Harvard-Soziologe Rakesh Khurana vier Elemente vor, die sich an der jeweiligen Anwendungspraxis zu orientieren haben. Diese umfassen:29

einen allgemein akzeptierten Wissensfundus (Body of Knowledge), auf dem die Ausbildung aufbaut;eine Verpflichtung (Commitment), dem Gemeinwohl dienen zu wollen;einklag- und durchsetzbare Richtlinien für ethisches Verhalten sowieein System, über das Individuen zertifiziert werden können, um nachzuweisen, dass sie diesen Wissensfundus besitzen, bevor man ihnen erlaubt, ihren Beruf auszuüben.

Teilt man diese Anforderungen an eine Professionalisierung, so erwächst daraus die Frage, welche Wege dafür zur Verfügung stehen. In einigen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen ist es bereits gelungen, die Grundlagen, auf denen die Vertreter der Profession tätig werden, präziser zu fassen und als Standards durchzusetzen.30 Dabei ist wiederum zu unterscheiden, ob diese Standards auf freiwilliger oder gesetzlicher Basis in Kraft gesetzt wurden.

Auf einer freiwilligen Basis erfolgt zum Beispiel eine Zertifizierung zum CFA (Chartered Financial Analyst). Mit dem erwerbbaren Zertifikat sollen gewisse Wissens- und Verhaltensstandards garantiert werden. Ein weiteres Beispiel ist die European Foundation for Quality Management (EFQM), die sich um höhere Standards im Management bemüht. An­geboten werden zum Beispiel Assessments beziehungsweise eine Ausbildung zum Asses[13]sor. Gesetzlich weit mehr geregelt ist die Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers. Bei diesem handelt es sich nicht nur um einen Beruf, sondern auch um ein öffentliches Amt. Ihm obliegt die Prüfung der ordnungsmäßigen Buchführung eines Unternehmens sowie die Prüfung eines den einschlägigen Vorschriften entsprechenden Jahresabschlusses. Zur Ausübung der Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers ist eine ganze Reihe von Berufspflichten zu erfüllen. Dazu zählen Unabhängigkeit, Unbefangenheit, Unparteilichkeit, Verschwiegenheit, Gewissenhaftigkeit, Eigenverantwortlichkeit, berufswürdiges Verhalten und Verzicht auf berufswidrige Werbung.

Unabhängig von solcherlei Optionen spielt in all diesen Ansätzen die Aus- und Weiterbildung eine wesentliche Rolle auf dem Weg zu einer Professionalisierung. Dabei sollten die Business Schools als führende Institutionen in diesem Sektor eine prägende Rolle einnehmen.

1.2.2 Zur Professionalität der Strategen

Ein Managementbereich, in dem es bislang noch nicht zu berufsständisch geprägten Professionalisierungsbemühungen gekommen ist, ist der Strategiebereich. Strategische Entscheidungen werden in Organisationen in vielen Bereichen und relativ häufig getroffen. Auch wenn sich in den Inhalten der Lehrbücher zum Strategischen Management gewisse internationale Standards herausgebildet haben, kann in der Strategiepraxis nicht davon gesprochen werden, dass bei Vorliegen bestimmter strategischer Problemstellungen, die ein gewisses Maß an Risiko und Unsicherheit beinhalten, ein ganz spezifischer und allgemein akzeptierter Bestand an Wissen zur Anwendung gelangt.31

Auch gibt es bei den Strategen kein »zunftartiges« Zugehörigkeitsempfinden, wie man es etwa bei Personalmanagern oft antrifft. Der Stratege ist Stratege gewissermaßen im Nebenberuf, wenn man den CEO als Beispiel heranzieht. Oder er ist Vollzeitstratege auf Zeit, wenn man beispielsweise die Karrierepfade der Chief Strategy Officers anschaut. Das heißt, beim Strategen haben wir es eher mit einer Rolle zu tun, die eine Führungskraft mit zu übernehmen hat und die mit einem spezifischen Aufgabenfeld verbunden ist.

Dies alles ist umso erstaunlicher, als gerade die Strategen besonders wichtige Entscheidungen für die Entwicklung und das Wohlbefinden nicht nur der Unternehmen, sondern auch der Gesellschaft treffen. So stellt sich die Frage: Wie ist es generell um die Professionalität der Strategen bestellt?

Betrachtet man zuerst einmal die Vollzeitstrategen in den Strategieabteilungen oder Strategieberatungen näher, dann kann man selbst bei ihnen nicht von einer ausgereiften Profession sprechen. So gibt es keine Regeln oder gar Vorschriften dazu, was ein Strategieexperte können muss und wie er sich zu verhalten hat. Bis dato gibt es auch keine Pflicht zu einer bestimmten Aus- und Weiterbildung von professionellen Strategen. So kann sich heute jeder, der es möchte, Strategieberater nennen, ohne irgendwelche Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Der Markt allein entscheidet, ob er reüssiert oder nicht.

Selbst die akademische Forschung beschäftigt sich nur am Rande mit dem Strategieexperten, obgleich es in der Unternehmenspraxis zu einer dauerhaften organisatorischen Verankerung der Strategen als funktionale Experten gekommen ist. Auch wenn der lang[14]fristige Abstieg der Vollzeitstrategen immer wieder prophezeit wurde32, so ist festzustellen, dass er in den größeren Unternehmen inzwischen einen festen Platz eingenommen hat, und auch die Strategieberater gibt es nach wie vor, was in einem ihnen zuordenbaren weltweiten Marktvolumen von etwa 5 Milliarden US-$ doch recht klar zum Ausdruck kommt.33

Beobachten lässt sich allerdings, dass die Präsenz der Vollzeitstrategen zyklischen Einflüssen unterworfen ist.34 So werden Stabsabteilungen in rezessiven Phasen gerne abgebaut, aber in Phasen großer Zukunftsunsicherheit wieder aufgebaut. Auch gibt es häufige Wechsel der Chief Strategy Officers (CSO) bei Neubesetzung der CEO-Position, denn die enge Zusammenarbeit erfordert eine entsprechende Vertrauensbasis. Verändernd wirken auch unterschiedliche Auffassungen über die wirkungsvollste Organisation der Strategiearbeit. So war zum Beispiel in den 1990er Jahren ein Trend zur Dezentralisierung der Strategiearbeit und Verlagerung von der Corporate-Ebene in die dezentralen operativen Einheiten und mehr hin zum mittleren Management zu beobachten.35 Seit den 2000er Jahren hingegen zeichnet sich mit wachsender Umfelddynamik auch eine Zunahme von CSOs in der C-Suite ab.36

Wie später noch zu zeigen sein wird, kommen zum Beispiel die CSOs nicht auf der Basis einer speziellen Strategieausbildung zu ihrer Position, vielmehr haben sie vorher auf allen möglichen Positionen Managementerfahrung gesammelt und ziehen üblicherweise nach ein paar Jahren weiter in eine andere Führungsposition. Vermutlich auch deshalb zeigen sie wenig Neigung, sich irgendwelchen Organisationen anzuschließen, die sich um die Vollzeitstrategen bemühen.37 Eine Konsequenz daraus ist, dass solche Organisationen Mühe mit ihrem Fortbestand haben. Auch trifft man in den Strategieabteilungen Mitarbeiter mit den unterschiedlichsten Ausbildungen an. Eine solche Diversität ist grundsätzlich durchaus nützlich und wünschenswert angesichts der Komplexität der Problemstellungen. Doch was ist die gemeinsame Basis ihres Handelns in der Funktion eines Strategen, in der sie nun sind? Wäre es nicht zweckmäßig, dass die Strategen bei ihrer Arbeit auf einem gewissen gemeinsamen Wissensfundus aufbauen, und wäre es nicht auch wünschenswert, dass sie sich zur Einhaltung bestimmter Verhaltensnormen verpflichten?

Selbst wenn man diese Fragen mit ja beantwortet, stellt sich eine Reihe kritischer Folgefragen: Wie gesichert ist überhaupt die Wissensbasis, auf der das Entwickeln, Entscheiden und Umsetzen von Strategien aufbauen kann? Inwieweit kann es gelingen, diese Wissensbasis zur Grundlage von Entscheidungen in der Unternehmenspraxis zu machen? Wird in der Forschung bei der Suche nach Wettbewerbsvorteilen der Effekt auf die soziale Leistung eines Unternehmens in ausreichendem Maße berücksichtigt? Gibt es alltagstaugliche und faktisch wirksame Verhaltensrichtlinien im Hinblick auf ein ethisch verantwortungsvolles Handeln für die Arbeit von professionellen Strategen?

Im folgenden Abschnitt soll nach Antworten auf diese Fragen und nach Möglichkeiten zu einer Professionalisierung der Strategen gesucht werden. Wie lässt sich das Profil des professionellen Strategen schärfen, um ihm mehr Verbindlichkeit zu geben, ohne in eine Überregulierung zu verfallen?

[15]1.2.3 Grundpfeiler einer Professionalisierung

Auf der Basis der weiter oben genannten vier Elemente, die eine Profession manifestieren, sollten auf dem Weg zu einem professionellen Strategen vier Teilaufgabenfelder angegangen werden.38

1.2.3.1 Aufbau eines allgemein akzeptierten Wissensfundus

Kern einer Profession ist immer die allgemeine Wissensbasis (Common Body of Knowledge): Sie umfasst den aus heutiger Sicht gesicherten und akzeptierten gemeinsamen Wissensfundus, auf dem eine Aus- und Weiterbildung sowie die Arbeit von Strategen aufbauen kann. Die zentrale Frage, die sich daraus ableitet, ist: (a) Wer muss (b) was lernen?

(a) Wer? Um nützliches Wissen zu generieren und zu vermitteln, sollten die Inhalte einer Ausbildung möglichst nahe an den Rollen der handelnden Strategieprofessionals ausgerichtet sein. Grundsätzlich lassen sich vier Zielgruppen unterscheiden:

Die obersten Strategen: Zur ersten Gruppe gehören die obersten Führungsebenen eines Unternehmens. Dies sind insbesondere der Aufsichts-/Verwaltungsrat sowie die Geschäftsleitung mit dem CEO an ihrer Spitze.39Der CSO und die Zentralabteilung Strategie: Zweitens sind mit strategischen Themen befasste Mitarbeiter in Stäben zu nennen. Dazu zählen als Vollzeitstrategen vor allem die Mitarbeitenden in strategischen Stäben wie Konzern-/Unternehmensentwicklung, Corporate Strategy, Mergers & Acquisitions, strategische Vorausschau oder strategische Planung. Dazu gehört aber auch die immer häufiger anzutreffende Funktion des Chief Strategy Officer (CSO) als Leiter solcher Strategiestäbe, der zumindest der C-Suite, in wenigen Fällen sogar der Geschäftsleitung angehört.40Die mittleren Manager: Die dritte und zahlenmäßig größte Gruppe betrifft die mittleren Manager.41 Sie verantworten ihren Bereich, zum Beispiel in der Funktion als Leiter von Geschäftseinheiten, und besitzen eine mehr oder weniger hohe Autonomie bei der Erstellung und Umsetzung ihrer Strategien. Insbesondere bilden sie das Scharnier zwischen den obersten Strategen und den sonstigen Führungskräften in den operativen Einheiten.Die Strategieberater: Viertens ist die Gruppe der Strategieberater zu nennen, die auch als Vollzeitstrategen ihre Expertise zu strategischen Themen Klienten zur Verfügung stellen.42

Auf diese vier Zielgruppen in ihrer Rolle als Strategen soll in den Kapiteln 2, 3 und 4 dieses Buches dezidiert eingegangen werden.

Um der in diesem Buch eingenommenen Akteursperspektive auf den Strategen gerecht zu werden, reicht es allerdings nicht aus, nur auf die Zielgruppen beziehungsweise Typen von Strategen einzugehen. Ebenso wichtig ist die Frage nach den Kompetenzen, die von diesen Strategen in der Ausübung ihrer Rolle als Strategic Leader erwartet werden. Darauf wird in Kapitel 5 eine Antwort gegeben.

(b) Was? Hier stellt sich die Frage, welche Wissenskategorien besonders wichtig sind, sowie, welches Wissen es in den jeweiligen Kategorien gibt und welches davon sich als nützlich erwiesen hat und also vermittelt werden sollte.

[16]Themen & Konzepte: Unter dieser Kategorie sind die verschiedenen inhaltlichen Teilaspekte des Strategischen Managements zu verstehen, wie zum Beispiel Corporate-Strategien, Geschäfts- und Wettbewerbsstrategien, Innovations- und Entrepreneurship-Strategien, Kooperationsstrategien, Internationalisierungsstrategien oder Strategieprozesse. Zur Bearbeitung dieser Themen stehen verschiedene unterstützende Hilfsmittel bereit: das Themengebiet strukturierende, ordnende und integrierende Bezugsrahmen,erprobte Methoden und Instrumente zur strategischen Analyse sowieTheorien und empirische Erkenntnisse zu Kausalzusammenhängen.

Strategen sollten dazu angeregt werden, ihre meist impliziten Alltagstheorien an den Erkenntnissen alternativer, wissenschaftlich entwickelter Theorien zu überprüfen. Umgekehrt ist die Strategieforschung dazu aufgefordert, ihre Erkenntnisse so aufzubereiten, dass sie für den Praktiker zur Analyse und Bearbeitung seiner Problemstellungen relevant und nutzbar sind. Nicht zu Unrecht argumentiert André Kudelski, Schweizer Unternehmer und Präsident von Innosuisse, dass zwar sehr viel in die akademische Forschung investiert wird, doch er stellt auch fest: »Es besteht aber ein inhärentes Risiko, dass sich die Forschung an den Hochschulen zu weit von den wirtschaftlichen Realitäten entkoppelt.«43Dieses Buch hat nicht zum Ziel, auf die einzelnen Themenfelder des Strategischen Managements einzugehen. Dazu kann auf die zahlreichen Lehrbücher zum Strategischen Management zurückgegriffen werden.44 Es soll jedoch im Abschnitt 1.3 eine grobe Darstellung der historischen Entwicklung des Strategischen Managements gegeben werden, um auf dieser Basis nach der Rolle der Strategen und den durch sie verfolgten Themen und Konzepten zu fragen.

Methoden & Techniken: Grundsätzlich wird kritisiert, dass das Strategische Management im Allgemeinen viel zu sehr auf Analysetechniken ausgerichtet ist und weniger das Handwerk der Strategiearbeit im Fokus hat. Ähnlich sieht dies der Strategieforscher Henry Mintzberg: »Sogar mein eigener Bereich, die Strategie, (…) setzt mehr auf die ›Zahlenverarbeiter‹, die mehr an ,Konkurrenzanalyse‹ als an den Feinheiten der kunsthandwerklichen Strategieentwicklung interessiert sind.«45 Die professionellen Kernfähigkeiten werden sträflich vernachlässigt. Doch die Ursache für das Scheitern von Führungskräften ist häufig nicht ein Mangel an technischer Expertise. Es fehlen eher die interpersonellen Fähigkeiten, ein Überblick über die gängigen Praktiken oder die moralische Fundierung.

Vielversprechend ist diesbezüglich die gegenwärtige Auseinandersetzung eines Teils der Strategieforschung mit den Praktiken des Strategizing.46 Diese Forschungsbemühungen zielen zum Beispiel darauf ab, die Spezifika der einzelnen Tätigkeitsfelder von Strategiefachleuten besser zu verstehen. Es geht dabei nicht mehr nur um die Techniken und Konzepte des Strategischen Managements, die zum Einsatz gelangen, sondern auch um die Methodik des Strategizing (Sammeln relevanter Informationen, Durchführung von Workshops, Gestalten strategische Planungsprozesse usw.) sowie um die erforderlichen persönlichen Fähigkeiten (Durchführen von Verhandlungen, der Umgang mit Interessenkonflik[17]ten, Vorhandensein von Überzeugungskraft usw.). Auf diese Aspekte der Praktiken von Strategen wird vertiefend in Kapitel 6 eingegangen.

Natürlich können die einzelnen Wissensbausteine nicht einfach aus ihrem soziokulturellen Umfeld, in dem sie entstanden sind beziehungsweise entwickelt wurden, herauslöst werden. Es muss sorgfältig reflektiert werden, was eine Anwendung in veränderten Kontexten bedeutet und zur Folge haben würde. Insofern benötigt das Strategische Management noch eine erhebliche Kontextualisierung seiner Inhalte.

Generell ist zu sagen, dass dieser gemeinsame Wissensfundus im Strategischen Management noch recht bescheiden ausfällt. Auch auf viele grundsätzliche Fragen der ersten Stunde gibt es bis heute keine verbindlichen Antworten. Die Erkenntnisse der inzwischen unzähligen vorliegenden empirischen Untersuchungen sind hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit meist fragwürdig, da es kaum replikative Studien gibt.

1.2.3.2 Das Eingehen der Verpflichtung, dem Gemeinwohl dienen zu wollen

Um als wirkliche Profession wahrgenommen zu werden, ist überdies – wie bereits weiter oben begründet – ein klares Commitment jenseits der Verantwortung gegenüber dem Eigentümer vonnöten, das heißt auch ein ziviles und persönliches Commitment zu den eigenen Pflichten als Treuhänder gesellschaftlicher Interessen.47

Der immer lauter werdende Ruf nach einer umfassenderen Übernahme von sozialer Verantwortung manifestiert sich im Prinzip der Nachhaltigkeit, in dessen Duktus dann auch die Strategiearbeit stattfinden sollte:

Konsumiere den Ertrag und nicht das Kapital (ökonomisches, soziales und natürliches Kapital).Integriere kurz- und langfristige Aspekte.Schaffe mehrdimensional Wert (ökonomisch, sozial und ökologisch).Vermeide beziehungsweise minimiere die Risiken und nutze die Chancen aus den emergierenden gesellschaftlichen Themen (Social Issues).

Der heute bei vielen Unternehmen schon relativ weitverbreitete Ansatz der Corporate Social Responsibility (CSR) greift dieses Prinzip der Nachhaltigkeit auf.48 Dabei werden drei Anspruchsgruppen ins Zentrum gerückt: die Eigentümer, die Gesellschaft und die Umwelt.

Eine Fortsetzung erfährt die CSR-Debatte mit den UN Sustainable Development Goals (SDGs). Dies sind 17 Entwicklungsziele für eine nachhaltige Entwicklung, die bis 2030 global und von allen 195 UNO-Mitgliedstaaten erreicht werden sollen. Dies bedeutet, dass sich auch die Unternehmen dieser Länder damit auseinanderzusetzen haben. In der »Agenda 2030« geht es unter anderem um die weitere Reduktion von Armut und Hunger, um den Klimaschutz, um eine funktionierende Gesundheitsversorgung sowie die Sicherstellung von Wohlstand für alle. Dieser Ansatz stellt gegenüber dem CSR-Ansatz eine gewisse normative Wende dar, denn er fokussiert nicht auf drei als besonders relevant erachtete Anspruchsgruppen, sondern auf strategisch besonders bedeutsame Themen (Issues Management). Für die Strategen heißt dies konkret, dass sie im Sinne eines Anspruchsgruppenmanagements diese im Nutzenversprechen an die prioritären Stakeholder zu bedenken haben und sich [18]auch für deren Umsetzung mit zuständig fühlen. In Abschnitt 1.4.2 wird darauf näher eingegangen.

1.2.3.3 Einsetzen von Richtlinien für ethisches Verhalten und deren Sicherstellung