Die Rolle seines Lebens - Amalia Zeichnerin - E-Book

Die Rolle seines Lebens E-Book

Amalia Zeichnerin

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Beschreibung

Esteban, ein amerikanischer Schauspieler mit mexikanischen Wurzeln, zieht zu seinem Freund nach London. Dieser trennt sich allerdings von ihm, da er mit Estebans Depressionen nicht zurechtkommt. Esteban hat erst mal die Nase voll von Beziehungen, doch dann lernt er den englischen Schauspieler Oliver kennen…

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Table of Contents

Titelei

Inhaltswarnungen

Vorspann

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Abspann

Nachwort und Danksagung

Die Fortsetzung - "An seiner Seite"

Impressum

Die Rolle seines Lebens

 

Gay Romance

 

© Amalia Zeichnerin 2018

 

Inhaltswarnungen für diesen Roman

 

Symptome einer Depression bis hin zu Suizidgedanken (ohne dass suizidale Handlungen darauf folgen), Ansätze einer sexuellen Belästigung, Andeutungen von Homophobie

 

Esteban

 

Das Blitzlichtgewitter regnete auf Esteban nieder, ein hundertfaches Klicken und grell aufflammende Lichter. Die Rufe der Reporter und Fotografen schwirrten durch die laue Nachtluft hier in L.A. bei der Daytime Emmy-Verleihung an diesem Septemberabend.

„Daniel! Ein Stück hierher bitte!”

„Kate! Noch ein Foto!”

„Linda! Bitte einmal hierher drehen.”

Und auch nach ihm wurde gerufen, immerhin hatte er drei Jahre in einer der altgedienten und noch immer populären Seifenopern mitgespielt: Lifestyle of the Rich and Famous. Bis man seine Rolle herausgeschrieben hatte. Esteban knipste sein Millionen-Dollar-Lächeln an, wie er es heimlich nannte. Er lächelte, bis ihm die Wangen wehtaten.

Das hier war sein Abschied, nicht nur von der Seifenoper, sondern auch von L.A., denn schon bald würde er zu seinem Freund Cedric nach London ziehen. Er hatte bereits die Fühler ausgestreckt, Kontakt aufgenommen mit einer alten Bekannten, die dort in einer Schauspiel-Agentur arbeitete. Gewiss würde sie ihm Jobs besorgen können, und wenn er die Vorsprechen nicht versiebte, konnte er dort hoffentlich gut arbeiten.

„Esteban!” Eine Reporterin wandte sich an ihn, bohrte ihm das Mikrofon fast ins Gesicht. „Wie schön, Sie zu sehen! Sagen Sie, was machen Sie als nächstes, nachdem Sie nicht mehr bei Lifestyle of the Rich and Famous dabei sind? Ich habe gehört, dass Sie auswandern wollen?”

Er vertiefte sein Lächeln, blickte sie schmeichelnd an. „Ja, das stimmt, ich ziehe nach London, zu meinem Freund.”

Es war kein Geheimnis, dass er schwul war. Nicht mehr. Im vergangenen Jahr hatte er sich in einem Interview geoutet. Alle bei der Produktionsfirma der Seifenoper hatten ihm versichert, dass seine Kündigung nichts mit seinem Outing zu tun gehabt hatte. In Lifestyle of the Rich and Famous – oder LoRaF, wie es gern abgekürzt wurde – hatte er den Hetero-Love-Interest einer zickigen Protagonistin gespielt. Die meisten am Set hatten schon lange gewusst, dass er schwul war, denn das war ein offenes Geheimnis gewesen. Und seit letztem Jahr war es auch in der Öffentlichkeit keines mehr.

„Ah, Sie ziehen also der Liebe wegen nach England. Wie romantisch!”, quietschte die Reporterin entzückt.

„Genau.”

„Alles Gute für Sie … und Ihren Freund.”

„Danke!” Er wartete, ob sie noch eine weitere Frage hatte, doch sie verabschiedete sich rasch und wandte sich dem nächsten Serienstar zu.

Während er weiter in die Blitzlichter blinzelte, fragte er sich, wie es wohl mit Cedric und ihm in London werden würde.

 

Esteban

 

Er stand in der Küche und bereitete für Cedric und sich das Abendessen zu; eines der Gerichte, die ihm seine Mutter beigebracht hatte: Enchiladas. Er hackte Tomaten und Peperoni klein und öffnete eine Dose Mais.

Anderthalb Monate war sein Umzug nun her und mittlerweile war es November. Ein Monat, der sich in London regnerisch und grau zeigte. Das drückte ihm auf die Stimmung und es fiel ihm schwer, morgens aufzustehen.

Es war Cedrics Idee gewesen, dass Esteban zu ihm ziehen sollte. Sein Freund kam nicht klar mit Fernbeziehungen, auch nicht, wenn sie offen waren. Und für sie beide kam eine offene Beziehung nicht in Frage.

Esteban hatte nicht lange überlegt, nachdem sein Part aus LoRaF herausgeschrieben worden war. Das passierte immer wieder, auch bei lang etablierten Shows. Um neue Charaktere in die Serie zu bringen, die den Zuschauern Abwechslung zu altbekannten Gesichtern boten. Oder wenn, wie die Produzenten es gern nannten, alles über einen Charakter erzählt worden war, was es zu erzählen gab. Auf solche Entscheidungen hatte er keinerlei Einfluss, zumal er eine Nebenrolle gespielt hatte.

Esteban war optimistisch gewesen, dass er auch in London Arbeit finden würde. Er hatte sich eine Arbeitserlaubnis für England besorgt, was einen Haufen Papierkram nach sich gezogen hatte. Paula, eine Bekannte, die in einer Londoner Talent-Agentur arbeitete, und Cedric hatten ihm dabei geholfen.

Esteban arbeitete auch an einem passenden Akzent. Das fiel ihm nicht schwer, er hatte schon immer ein Talent für Imitation und Nachahmung gehabt, und seit er hier in London den ganzen Tag die entsprechenden Akzente und Dialekte hörte, fand er es leicht, sich eine entsprechende Sprechweise anzueignen. Von Paula hatte er gehört, dass in England gern „farbenblind” gecastet wurde, z.B. gab es im Theater gelegentlich einen schwarzen Hamlet oder eine farbige Hermine Granger. Das hatte ihm Hoffnung gemacht.

Esteban füllte die Mischung aus Hackfleisch und Gemüse in die Teigfladen und öffnete den spanischen Wein. Cedric hatte ihm bei der Wohnungssuche geholfen und mehrere Wohnungen besichtigt, während er selbst noch in Kalifornien gewesen war. Allerdings war es nicht ohne weiteres möglich, als Amerikaner eine Wohnung in London zu mieten – zumindest ohne entsprechende Nachweise einer Arbeitsstelle. Deshalb hatte Cedric ihm angeboten, eine Wohnung für sie beide zu mieten. Darauf war Esteban gern eingegangen. Er vertraute seinem Freund und hatte es nicht bereut. Die Suche hatte einiges an Zeit gekostet, aber es hatte sich gelohnt.

Die gemeinsame Wohnung gefiel ihm richtig gut, sie war hell und geräumig, mit genug Platz für sie beide. Inzwischen waren auch die meisten seiner Sachen angekommen, die er mit einer Spedition per Flugzeug verschickt hatte. Viel war es nicht – er sammelte weder Bücher noch CDs oder andere Dinge und seine Möbel in Kalifornien hatte er verkauft.

Er stellte das Radio an und sah auf die Uhr. Zeit, die Enchiladas in den Ofen zu schieben; Cedric würde bald heimkommen.

Er summte den Song aus dem Radio mit und sah nach draußen. Es war längst dunkel, ein Lichtermeer erstreckte sich vor dem Fenster hier im dritten Stock. Regentropfen rannen wie leuchtende Fäden an der Scheibe herunter. In der Ferne sah er das Schimmern der Themse, welche die Lichter aus der Umgebung reflektierte. Er hätte es wirklich schlechter treffen können. Seine Unsicherheit, die ihn in letzter Zeit angesichts des bevorstehenden Umzugs und all der Veränderungen oft geplagt hatte, war zwar nicht verschwunden, aber sie hielt sich dankenswerterweise zurück. Er wollte so sehr, dass das hier mit Cedric und ihm funktionierte und er würde alles dafür tun, was in seiner Macht stand.

Der Moderator im Radio verlas die Nachrichten. Esteban hörte nur mit halbem Ohr hin, er war in Gedanken bei seinem Liebsten und dachte über Dinge nach, die er gern mit ihm nach dem Essen anstellen wollte...

Er deckte den Esstisch, der sich in der Wohnküche befand und tauschte die heruntergebrannte Kerze gegen eine neue aus. Ein Blick zur Uhr; Cedric war fünf Minuten zu spät.

Esteban strich die Tischdecke glatt. Nach weiteren fünf Minuten sah er auf sein Smartphone; keine Nachricht von seinem Freund.

Er schrieb ihm: Hi, mein Liebster. Verspätest du dich?

Mittlerweile verbreitete sich der Duft von den mit Käse überbackenen Enchiladas in der Küche. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, aber noch waren sie nicht fertig. Doch es kam keine Antwort von Cedric. Auch nicht nach weiteren zwanzig Minuten, die er damit verbrachte, seine E-Mails zu lesen. Etwas Interessantes war nicht dabei.

Esteban nahm das Essen aus dem Ofen und stellte es auf den Tisch. Es würde ohnehin erst abkühlen müssen. Das Warten nervte ihn von Minute zu Minute mehr. Er schenkte sich ein halbes Glas Wein ein und stürzte es ohne Genuss hinunter.

 

Als Cedric eine dreiviertel Stunde später nach Hause kam, war Esteban der Appetit vergangen. Sein Freund wirkte abgehetzt, die Haare waren zerzaust und die Krawatte saß nicht mehr ordentlich. „Tut mir leid wegen der Verspätung. Wir hatten eine Besprechung, bei der ich nicht fehlen durfte, unser Abteilungsleiter hat sie heute spontan angesetzt.”

„Du hättest mir eine Nachricht schreiben können.”

„Wie gesagt, es tut mir leid. Ich hab nicht dran gedacht, es war alles so hektisch.”

„Ich wärme das Essen auf.”

„Danke.”

Im Radio sang Katy Perry etwas von letzter Freitagnacht. Esteban schaltete das Gerät aus, ihm war nicht mehr nach Musik zumute. Es war schon das zweite Mal, dass Cedric ihn ohne Vorwarnung versetzte. Esteban lag ein entsprechender Kommentar auf der Zunge, doch er schluckte ihn herunter.

Cedric arbeitete nun mal viel, was half es, ihm das vorzuwerfen? Dennoch ärgerte es ihn, dass sein Freund ihm nicht einmal eine kurze Textnachricht geschickt hatte.

„Ich muss morgen übrigens auch länger arbeiten, ich springe für einen Kollegen ein, der krank geworden ist”, erklärte Cedric.

Das wird ja immer besser… Esteban zuckte mit den Achseln. „Ist gut, dann weiß ich Bescheid.” Ihm lag ein spitzer Kommentar auf der Zunge, aber er wollte keinen Streit vom Zaun brechen.

„Und wie läuft’s bei dir mit der Arbeitssuche?”, fragte Cedric und öffnete den unordentlichen Knoten an seiner Krawatte.

„Ich hab nächste Woche einen Komparsenjob in einer Serie. Zwei oder drei Tage und vielleicht hab ich auch ein bisschen was zu sagen.”

Paulas Agentur betreute nicht nur Schauspieler, sondern auch Komparsen und Kleindarsteller, und für den Anfang konnte er nicht wählerisch sein, was Rollen betraf.

„Na, immerhin.” Cedric fuhr sich durch das hellbraune Haar. Er nahm die Krawatte ab und hängte sie über den Stuhl. Als nächstes öffnete die obersten Knöpfe seines Hemdes und zog den Kragen auseinander. Danach schenkte er sich ein Glas Wein ein. „Und wie sieht es aus mit der sonstigen Jobsuche?”, fragte Cedric, als Esteban die aufgewärmten Enchiladas auf den Tisch stellte.

Das war ein wunder Punkt. Cedric hatte ihn dazu gedrängt, sich noch einen anderen Job zu suchen, als Kellner, eine Aushilfsstelle oder etwas ähnliches. Aber das war nicht einfach, wenn er zu Vorsprechen ging oder kleinere Jobs als Komparse oder ähnliches übernahm, denn diese dauerten den ganzen Tag.

Außerdem fiel es ihm schwer, sich dazu aufzuraffen, was wiederum mit seinen Depressionen zusammenhing, die ihn in dieser Jahreszeit mehr plagten als sonst. Esteban verwendete lieber seine ganze Energie für Schauspieljobs. Aber wie sollte er Cedric das erklären? Er würde gewiss nur einen bissigen Kommentar ernten.

„Ich hab noch nichts passendes gefunden, aber ich arbeite dran”, sagte er deshalb nur und stocherte in seinen Enchiladas herum.

 

Oliver

 

„Sie stehen gerade auf einer Bühne im West End”, sagte der Journalist des Stadtmagazins Time Out. „Wie lange werden Sie dort noch auftreten, Mister Waits?”

„Noch bis Mitte Januar, und darüber freue ich mich sehr.” Oliver strich sich übers Haar und erzählte von seiner Rolle, dem Benedict in Shakespeares „Viel Lärm um Nichts” – ein wortgewandter, sarkastischer Charakter, dessen Humor er sehr mochte.

Der Journalist zeichnete währenddessen ihr Gespräch mit einem Diktiergerät auf. An diesem kalten Nachmittag in der Vorweihnachtszeit saßen sie in einem Raum des Magazins.

Oliver trank einen Schluck Mineralwasser, ehe er weitersprach. „Das faszinierende ist, finde ich, dass diese Klassiker von Shakespeare und auch anderen Autoren, immer noch so gut beim Publikum ankommen, obwohl sie schon so alt sind. Und es gibt ja auch eine Reihe an sehr modernen Verfilmungen, in denen die Handlung dann in die heutige Zeit transportiert wird. Ich denke, solche klassischen Stoffe sollten immer mit einem Bezug zur Gegenwart betrachtet werden, sonst ist es schwer, sie dem heutigen Publikum verständlich zu machen.”

„Hmm, da ist wohl was dran. Was würden Sie sagen, gefällt Ihnen besonders am Theater?”

„Oh, das ist eine gute Frage. Lassen Sie mich kurz überlegen …” Er sann darüber nach, ehe er antwortete. „Vielleicht, dass wir am Theater mit wenigen Mitteln Illusionen erschaffen können und dabei allem Schein zum Trotz die menschliche Existenz erforschen. Darum geht es ja in den meisten Geschichten – wie Menschen leben, was sie bewegt, warum sie das tun, was sie tun und so weiter. Und im Theater wird das alles verdichtet. Und natürlich liebe ich den Kontakt zum Publikum. Das gibt es ja beim Film in der Form nicht. Im Theater kann ich fast zum Greifen nah fühlen, was das Publikum empfindet – nicht nur am Ende, beim Applaus, sondern auch schon vorher. Manchmal ist da so eine gespannte Stille, als ob die Leute unwillkürlich die Luft anhalten. Und natürlich gibt es auch Gelächter bei lustigen Szenen. Das ist ein ganz direkter Austausch. Auf der Bühne merke ich meistens sehr schnell, wie etwas bei den Zuschauern ankommt.”

Sie sprachen noch eine Weile weiter über das Shakespeare-Stück und das Theater, bis der Journalist das Thema wechselte. „Eine persönliche Frage, wenn ich darf?”

Oliver lächelte über die Anspannung hinweg, die ihn erfasste. „Fragen Sie.” Er ahnte schon, worauf sein Gegenüber hinauswollte. Früher oder später musste er damit rechnen und er konnte nicht alles mit einem „Kein Kommentar” abblocken.

„Vor einiger Zeit kam durch ein Foto das Gerücht auf, Sie seien homosexuell.” Der Journalist legte einen Ausdruck des Fotos vor Oliver auf den Tisch. Darauf stand er Arm in Arm mit Ian am Eingang des Gay Clubs, den sie damals besucht hatten. Bunte Lichtreflexe tanzten über sie, aber dennoch war Olivers Gesicht deutlich zu erkennen, während Ian nur verschwommen zu sehen war. Oliver wusste nicht, wer das Foto gemacht hatte, aber es spielte letztendlich auch keine Rolle. Wenig später war es in der Zeitung gelandet und es machte keinen Sinn, es abzustreiten.

Oliver merkte, dass seine Handflächen feucht wurden. Er fühlte sich daran erinnert, als er mit seinem damaligen Freund zum ersten Mal bei seinen Eltern gewesen war, als er sich vor ihnen geoutet hatte. Wie sehr es sie verwirrt hatte, denn einige Zeit vorher war er noch mit einer Frau zusammen gewesen.

Er wandte einen Moment lang den Blick ab und sah auf seine Fußspitzen. Eigentlich wollte er nicht darüber sprechen, nicht an diesem Tag. Andererseits würde ihn die Presse vermutlich nicht in Ruhe lassen, vielleicht war es besser, es doch anzusprechen. In letzter Zeit hatte er keine Interviews gegeben und bisher war diese Frage noch nicht aufgekommen.

Paula von der Agentur hatte ihm von dem Gerücht erzählt. „Früher oder später musst du dich entscheiden. Das Foto jedenfalls ist ziemlich eindeutig”, hatte sie gesagt. „Es auf Dauer zu leugnen, könnte dich in ein schlechtes Licht rücken. Zum Glück sind allmählich die Zeiten vorbei, in denen Leute, die in der Öffentlichkeit stehen, nicht offen mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen können. Ich meine, wenn sie so wie du nicht heterosexuell sind. In jedem Fall sind wir auf deiner Seite. Also, wie willst du damit umgehen?”

„Ich werde es weder bestätigen noch dementieren, bis mich jemand von der Presse direkt fragt”, hatte er erwidert.

Vor wenigen Monaten hatte er sich von seinem Freund Ian getrennt. Die Beziehung hatte nicht lange gehalten, nur ein halbes Jahr. Immerhin waren sie als Freunde auseinander gegangen, aber seitdem hatte er von Ian nur noch sporadisch etwas gehört. Aber das war ihm recht, denn ihre gemeinsame Zeit war nun einmal vorbei.

„Was möchten Sie dazu sagen?”, hakte der Journalist nach.

Oliver wurde bewusst, dass er wohl einen ziemlich geistesabwesenden Eindruck gemacht hatte. Er räusperte sich. „Das ist nur die halbe Wahrheit, um genau zu sein. Ich war mit Anfang zwanzig mit einer Frau zusammen. Also bin ich strenggenommen bi, aber ich war seitdem nur noch mit Männern zusammen.”

„Ich verstehe.”

Was würde das Magazin wohl daraus machen? Würden sie ihn als bisexuell oder als schwul darstellen?

Oliver sprach hastig weiter. „Dann wissen Sie sicherlich auch, dass sich die sexuelle Orientierung eines Menschen nicht ändert, nur weil er mit einer Person eines bestimmtes Geschlechtes zusammen ist. Damit meine ich, ich bin nicht schwul geworden, nur weil ich in den letzten Jahren ausschließlich mit Männern zusammen war.”

Ein verwirrter Ausdruck im Gesicht seines Gegenübers. Der Journalist kratzte sich am Kopf. „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Oliver.”

Er unterdrückte ein Seufzen. „Es ist so: Ich war in den letzten Jahren nur mit Männern zusammen, aber ich finde weiterhin auch Frauen attraktiv. Googeln Sie sonst mal nach Populäre Irrtümer über Bisexuelle.”

„Ja…”, erwiderte der Mann gedehnt. „Also ... Sie sind bisexuell, nicht homosexuell.”

„Genau.”

Der Journalist kritzelte etwas auf seinen Notizblock. „Ich habe manchmal den Eindruck, das sei fast so was wie ein Trend…”

„Ich glaube eher, dass sich mehr und mehr Prominente damit an die Öffentlichkeit trauen. Jemand – ich weiß nicht wer – hat damit angefangen, und dann sind andere nachgezogen.”

„Das könnte auch sein.” Sein Gesprächspartner zuckte mit den Schultern. „Und Sie hatten bisher nicht das Bedürfnis, sich zu outen?”

Oliver geriet ins Schwitzen. „Es gab für mich keinen Anlass bisher. Weder in beruflicher, noch in privater Hinsicht. Bis dieses Foto aufgetaucht ist.”

„Und sind Sie noch mit dem Herrn verbandelt, wenn ich fragen darf?”

„Nein, ich bin wieder Single. Wir haben uns im Guten getrennt.” Diese Worte bereute er, kaum dass sie seinen Mund verlassen hatten. Niemand brauchte zu wissen, dass er Single war. Aber nun war es zu spät.

Oliver war froh, als das Interview kurz danach zu Ende war und er sich verabschieden konnte. Die bange Frage blieb: Wie würden die Leute auf sein Outing reagieren, wenn es im Magazin erschien?

Nach dem Interview fuhr er direkt zum Royal Haymarket Theatre im West End, denn es dauerte nicht mehr lange bis zur Aufführung. Wann immer er das Gebäude betrat, hatte er das Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen, die den Alltag aussperrte. Einige Leute aus dem Team begrüßten ihn, manche seiner Schauspiel-Kollegen waren auch schon da. Er hörte eine von ihnen sich mit Gesangsübungen einstimmen, die aus Tonleitern bestanden. Er freute sich darauf, bald wieder in die Rolle des Benedicts zu schlüpfen und sich mit der Darstellerin der Beatrice Wortgefechte mit bissigem Humor zu liefern.

 

 

Esteban

 

„Es freut mich, dich kennenzulernen, Esteban.“ Cedrics Vater schüttelte ihm die Hand. Seine Mutter, deren von grauen Strähnen durchzogene Frisur offenbar mit viel Haarspray zusammengehalten wurde, musterte ihn, doch ihr Lächeln erreichte nicht ihre Augen.

Es war der 25. Dezember und Cedrics Eltern hatten sie zum Abendessen eingeladen. Oder vielmehr war es ein obligatorischer Besuch, den Cedric jedes Jahr zu Weihnachten absolvierte, wie er Esteban erzählt hatte. Seine Schwester Margaret war ebenfalls hier, mit ihrem Mann und zwei Kindern.

Cedrics Eltern lebten in Kensington. Die edle Einrichtung erinnerte Esteban ein wenig an die Seifenoper – sie sah aus, als hätte man sie eins zu eins aus einem Landhausstil-Katalog übertragen. Immerhin sorgten mehrere gerahmte Familienfotos an den Wänden für eine persönliche Note.

Kurz darauf saßen sie zusammen am Esstisch. Das Essen erinnerte Esteban an Thanksgiving: Ein gefüllter Truthahn, dessen Duft durch das Zimmer zog und ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Cedrics Vater schenkte ihm ungefragt ein Glas Wein ein.

„Hast du dich hier schon gut eingelebt?“, fragte er.

„Ja, danke. Es ist einiges anders hier als drüben in den Staaten, aber mir gefällt die Stadt.“

„Cedric hat uns erzählt, du bist Schauspieler“, sagte dessen Mutter. „Ist das nicht ein sehr unsicherer Beruf?“ Sie musterte ihn ein weiteres Mal, mit kritischer Miene.

Esteban schluckte. „Ich schätze, er ist nicht unsicherer als andere freiberufliche Tätigkeiten im künstlerischen Bereich.“

„Hast du denn schon einmal daran gedacht, dir eine feste Arbeit zu suchen?“, hakte sie nach.

Was sollte das hier werden? Ein Verhör?

„Weißt du, ich arbeite seit mehr als fünfundzwanzig Jahren als Anwalt“, sagte Cedrics Vater. „Zuerst habe ich als Gehilfe angefangen und mich dann langsam hochgearbeitet und inzwischen leite ich eine Kanzlei. Ich habe meinen Kindern vorgelebt, wie viel man mit harter Arbeit erreichen kann. Margaret ist Ärztin, sie wird bald wieder zu arbeiten anfangen.“

Cedrics Schwester nickte. Sie wirkte wie eine jüngere Ausgabe ihrer Mutter, mit einer ähnlichen Frisur und spitzen Gesichtszügen. In einigen Jahrzehnten, schätzte er, würden ihre Mundwinkel ebenfalls nach unten zeigen und sich die gleichen tiefen Falten durch ihre Stirn ziehen. „Ja, wenn die Kleine in den Kindergarten geht, fange ich wieder an zu arbeiten. Mallory, hör auf, mit den Erbsen zu spielen.“ Sie sah ihre Tochter, die ein rosafarbenes Kleid mit Schleifen trug, warnend an.

Das Mädchen kicherte nur und stocherte weiter in den Erbsen herum. Margaret seufzte und nahm ihrer Tochter die Gabel aus der Hand. Das führte dazu, dass Mallory zu weinen anfing. Margaret stand auf, nahm das Mädchen an der Hand und zerrte sie aus dem Zimmer hinaus. Vermutlich, um ihr eine Standpauke ohne Zuschauer zu halten.

Esteban wandte sich an Cedrics Schwager. „Und was machst du beruflich?“

„Ich arbeite als Unternehmensberater. Ein gut bezahlter Job. Vorher war ich für ein Handelsunternehmen tätig, vielleicht kennst du es?“ Er nannte einen Namen, der Esteban nichts sagte.

Daher schüttelte er den Kopf.

„Na ja, du bist ja nicht von hier“, sagte der Schwager, der einen maßgeschneiderten Anzug trug.

„Esteban ist ein ungewöhnlicher Name”, sagte Cedrics Mutter. „Stammt deine Familie nicht aus den Vereinigten Staaten?”

„Meine Großeltern väterlicherseits sind aus Mexiko eingewandert”, erklärte er. „Und mein Name ist die spanische Variante zu Stephen.”

„Ah, ich verstehe”, erwiderte sie. „Nun wird mir einiges klar.” Sie erklärte nicht näher, was sie damit meinte. Er konnte es sich schon denken. Er hatte nun mal eine dunklere Hautfarbe als die meisten hier und zusammen mit den fast schwarzen Haaren und den braunen Augen sah er nicht unbedingt aus wie ein typischer Amerikaner, von einem Engländer ganz zu schweigen.

„Und was macht dein Vater beruflich?”, fragte sie nun.

Na toll, das Verhör geht weiter. „Er arbeitet in einer Autowerkstatt, als Mechaniker.”

„Und deine Mutter?”

„Sie ist Sprechstundenhilfe bei einem Zahnarzt.”

„Ah ja.” Cedrics Mutter versuchte sich an einem weiteren aufgesetzten Lächeln.

Esteban rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er fühlte sich fast in eine Folge der Seifenoper versetzt, in der fast nur reiche und erfolgreiche Leute eine Rolle spielten. Himmel, er passte nicht hierher. Aber das war nicht weiter wichtig, denn schließlich war er mit Cedric liiert und nicht mit dessen Familie. Trotzdem hatte er gehofft, einen guten Eindruck zu hinterlassen, aber das hier lief überhaupt nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte.

„Esteban sucht nebenbei auch noch einen festen Job“, sagte Cedric nun auch noch überflüssigerweise. „Er hat nur bisher noch keinen gefunden.“

„Ach, und was wäre das für ein Job?“, fragte seine Mutter.

„Vielleicht kellnern. Das habe ich eine Zeitlang in L.A. gemacht“, erwiderte Esteban.

Sie zog die Augenbrauen hoch. „So so.“ Mehr sagte sie nicht dazu, aber ihr skeptischer Blick sprach Bände.

„Gehen Sie manchmal ins Theater?“, erkundigte er sich. Nach Kinobesuchen fragte er lieber gar nicht erst.

„Wir waren letzte Woche in einem Kindertheater, mit der Schule“, platzte Cedrics Neffe heraus. „Das war cool!“

„Nicht so laut“, sagte dessen Vater tadelnd.

Herrjeh, das wird ja immer besser.

„Wir gehen nur manchmal ins Theater, die Karten im West End werden immer teurer. Und ich kann mit diesen überkandidelten modernen Inszenierungen nicht viel anfangen. Ich lese mittlerweile lieber“, sagte Cedrics Mutter.

Esteban gab es auf und aß schweigend von dem Truthahn. Cedric unterhielt sich mit seinem Schwager über dessen Tätigkeit. Esteban konnte dem Gespräch nicht folgen, denn die beiden sprachen über Fachbegriffe, die ihm nichts sagten. Er hätte gern noch mehr Wein getrunken, aber das ging nicht, wegen seiner Antidepressiva. Eigentlich durfte er gar keinen Alkohol trinken, aber hin und wieder gönnte er sich doch ein Glas, zumindest an Feiertagen. Er fühlte sich fehl am Platz und vermisste mit einem Mal seine eigenen Eltern. Aber was tat man nicht alles seiner besseren Hälfte zuliebe?

 

*

 

„Warum hast du mir nie gesagt, was mit dir los ist? Ich meine, bevor du hierher gezogen bist?”

Sie saßen im Wohnzimmer, es war der Tag vor Silvester. Cedric sah ihn an, eine Mischung aus Enttäuschung und Wut spiegelte sich auf seinem Gesicht wider.

Wie sollte er es ihm nur erklären? Vermutlich war es besser, nicht lange herumzudrucksen, sondern die Karten auf den Tisch zu legen. In diesem Moment hasste sich Esteban für die eigene Schwäche. „Ich hatte nicht den Mut dazu”, sagte er leise. „Es tut mir leid.”

Cedric stand auf; er ging im Wohnzimmer auf und ab. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann blieb er vor Esteban stehen und sah ihn eindringlich an. „Weißt du, ich sag’s dir ganz ehrlich: Ich kann damit nicht umgehen. Ich hab’s versucht, aber ich schaffe das nicht. Meine Arbeit ist stressig, und ich brauche einen Ausgleich zu Hause. Wenn ich dann abends nach Feierabend auch noch Stress habe, das wird mir zu viel. Du bist ein netter Kerl, und ich hab dich wirklich gern. Aber ich habe mir mehr erhofft.”

„Immer geht deine Arbeit vor…”, murmelte Esteban.

„Also hör mal, ich mag meine Arbeit zufälligerweise richtig gern. Ist doch bei dir auch so, oder nicht? Wenn du denn mal Arbeit hast. Dieser Werbespot und die Statistenjobs sind auch schon wieder eine Weile her, und das Geld für den Spot hast du immer noch nicht bekommen. Und was ist mit dieser Sprecherrolle für die Doku?”

„Ich warte noch auf einen Anruf…”

„Genau – du sitzt zu Hause und wartest darauf, dass sich jemand bei dir meldet. Und wie du hier rumgammelst, schau dich doch mal an.”

Esteban trug sein Lieblingsshirt, das zugegebenermaßen schon ein, zwei kleine Löcher hatte, dazu eine ausgebeulte Jogginghose. Er hatte gar nicht weiter darüber nachgedacht, was er trug, weil er schließlich zu Hause war und höchstens mal kurz zum Einkaufen zu dem Tesco’s zwei Straßen weiter ging.

Ihm platzte der Kragen. „Verdammt noch mal, ich werd doch wohl wenigsten zu Hause tragen können, was ich möchte! Wenn ich arbeite, stecke ich ständig in Klamotten, die ich mir nicht aussuchen kann. Und ich laufe ja nicht ständig so herum wie jetzt.”

Cedric sah ihn mit einem bohrenden Blick an. „Kannst du dich nicht einfach mal zusammenreißen? Mir zuliebe?”

„Du verstehst mich einfach nicht. Ich mache das doch nicht, um dich zu ärgern. Und mit zusammenreißen hat das nichts zu tun. Ich kann einfach nicht anders, wenn es mir schlecht geht.”

Cedric sah ihn zweifelnd an. „Wenn du es sagst ... Aber kannst du nicht irgendetwas dagegen unternehmen? Was ist mit einer Therapie?”

„Da bin ich dran und ich nehme auch Medikamente, das hab ich dir doch gesagt. Aber Depressionen können immer wieder auftreten, selbst mit Medikamenten.”

„Hör mal, ich kenn mich mit all dem nicht aus und das ist mir auch ehrlich gesagt zu viel. Du hättest mir viel früher davon erzählen müssen, Mann.”

„Das wollte ich ja. Aber ich wusste einfach nicht, wie ich es dir sagen soll.” Was für eine lahme Ausrede, das merkte er selbst. Er hatte alles falsch gemacht, kein Wunder, dass Cedric auf ihn wütend war.

Sein Freund hatte die Medikamente gefunden, die Esteban in einem Kulturbeutel aufbewahrte. Esteban hatte vergessen, den Reißverschluss des Beutels wieder zu schließen. Cedric hatte die Namen der Arzneimittel gegoogelt. Es war nicht schwer herauszufinden, wogegen sie wirkten.

„Ich hasse es, wenn mir etwas verheimlicht wird. Ich hatte mal einen Freund, der Schulden hatte. Er hat es mir nie erzählt und mich ständig um Geld angehauen. Irgendwann hab ich ihn zur Rede gestellt, und dann hat er es mir endlich gesagt. Warum hast du nur so lange damit gewartet?”

Darauf hatte Esteban nur eine Antwort, aber die wollte er nicht sagen. Er hatte schreckliche Angst gehabt. Angst vor einem Streit, oder schlimmerem.

 

*

 

Zwei Wochen war das nun her. An jenem ungemütlich kalten Abend hatten sie noch eine ganze Weile weiter miteinander gesprochen. Das Ende vom Lied war, dass Cedric mit ihm Schluss machte. Er entschuldigte sich mehrfach. Das war wohl seine englische Art, aber es machte die Sache auch nicht besser. Früher oder später wäre es eh soweit gekommen, da war Esteban sich sicher.

Sie passten einfach nicht zusammen, und Estebans Phasen von Antriebslosigkeit trieben Cedric auf die Palme, vermutlich auch weil er als Workaholic das genaue Gegenteil von ihm war. Trotzdem, es war nicht fair. Diese verdammten Depressionen hatten ihn in diese Lage gebracht. Und dabei konnte er sich eigentlich noch glücklich schätzen, denn selbst in seinen finstersten Stunden hatte er nie versucht sich umzubringen. Auch wenn die Gedanken an Selbstmord ihn in schweren Phasen oft heimsuchten. Aber trotz allem, trotz aller Verzweiflung, die ihn manchmal plagte, war ihm sein Leben zu kostbar, um es zu beenden. Und auch diese Trennung würde das nicht ändern. Zumindest hoffte er das.

Am Ende ihres Gesprächs hatte Cedric ihm angeboten, dass er weiter bei ihm wohnen könnte, bis er etwas anderes gefunden hatte, aber das hätte Esteban nicht über sich gebracht.

Hier saß er nun, in einem billigen Hotelzimmer, an dessen Wänden die hässliche Tapete abblätterte und dessen Heizung kaputt war. Immerhin hatte er durch langes Lüften den muffeligen Geruch beseitigen können, allerdings war es danach sehr kühl geworden.

Eigentlich hätte er sich bei seiner Agentur melden sollen, aber er konnte sich nicht dazu aufraffen, die Nummer zu wählen. Das schlimmste Silvester aller Zeiten lag hinter ihm: Am Tag nach ihrer Trennung war er hier eingezogen. Er hatte sich Takeaway-Essen besorgt, das ihm nicht schmeckte und quer durch das TV-Programm gezappt ohne etwas zu finden, was ihn ablenken oder aufmuntern würde. Als gegen Mitternacht die Feuerwerke an verschiedenen Orten in der Stadt begannen, sah er eine Liveübertragung davon und fing an zu heulen. Nicht, weil er es nicht live sehen konnte. Auch nicht, weil er keine Party besuchte, wie all die Jahre zuvor, oder mit Freunden feierte. Sondern, weil er allein war. Und wegen den verdammten Medikamenten konnte er sich noch nicht einmal betrinken.

In den Tagen nach Silvester fing er schon an zu weinen, als er ins Bad ging und feststellen musste, dass ihm die Zahnpasta ausgegangen war und er kein Essen mehr hatte. Er hasste sich dafür, aber das machte alles nur noch schlimmer. Wahrscheinlich sah er nur noch aus wie ein Schatten seiner Selbst, aber er mied den Blick in den Spiegel. Was sollte nur werden? Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Das Hotel war einigermaßen günstig, aber auf Dauer würde er es sich nicht leisten können. Er hatte einiges an Ersparnissen, aber die wollte er natürlich nicht aufbrauchen. Er nahm seine Antidepressiva, wie seit Jahren schon, aber auch die konnten manchmal die Weinkrämpfe und die Niedergeschlagenheit nicht vollends verhindern.

Auch einen normalen gesunden Menschen hätte eine Trennung mitgenommen, das sagte Esteban sich immer wieder. Für ihn war das doppelt schwer. Was hatte er falsch gemacht mit Cedric? Er hätte ihm viel früher von seinen Depressionen erzählen müssen, das war ihm klargeworden. Aber er hatte darauf gehofft, dass es einfacher gewesen wäre, es ihm zu sagen, wenn sie sich schon eine Weile gekannt hätten. Aber vielleicht hätte sich Cedric von vornherein nicht auf eine Beziehung mit ihm eingelassen, wenn er es von Anfang an gewusst hätte?

Vor ihrer Beziehung war Esteban längere Zeit Single gewesen.

---ENDE DER LESEPROBE---