Die schöne Schwester Langeweile - Peter Bichsel - E-Book

Die schöne Schwester Langeweile E-Book

Peter Bichsel

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Beschreibung

»Darf ich mich langweilen – angesichts des Weltgeschehens?«, fragt Peter Bichsel einmal, fast provozierend. Was der Autor in dieser neuen Auswahl kurzer Geschichten und Betrachtungen der Langeweile (in den verschiedensten Gestalten und bei ganz unterschiedlicher Beleuchtung) abgewinnt, macht nachdenklich und ist alles andere als langweilig, nämlich erstaunlich, auch amüsant – und stets ermutigend. »Die etwas schwerfällige, aber wunderbare Langeweile hat eine lustige, schöne, aber böse Schwester«, schreibt er, »sie heißt Kurzweil. Sie versaut und verkürzt uns das Leben, denn jene leere Ecke in meinem Hirn, in der die Langeweile sich gemütlich breitmachen möchte … immer wieder ist sie besetzt von der schönen, bösen Schwester Kurzweil. ›Ich bin kein Dichter‹, hat der Dichter Paul Valéry gesagt, ›ich langweile mich nur.‹«

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Seitenzahl: 85

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Cover

Titel

Peter Bichsel

Die schöne Schwester Langeweile

Geschichten für jeden Tag

Herausgegeben von Adrienne Schneider

Insel Verlag

Impressum

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eBook Insel Verlag Berlin 2023

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Umschlaggestaltung: Designbüro Lübbeke, Naumann, Thoben, Köln

eISBN 978-3-458-77812-7

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Die Kenner

Entfremdete Freizeit

Nostradamus

Der Sinn für Interesse

Beim Gießen meiner Palme

Erzähl mir doch was

Furcht vor den eigenen Geschichten

Aktualität und Langeweile

Das ganze Leben

Das Außergewöhnliche und das Erzählen

Eingesperrt in einem Land

Sind wir Zeitgenossen?

Und die Ideen?

Die Legende von Hugo Koblet

Die schöne Schwester der Langeweile

Die Sucht verlieren

Das Metzgerspiel

Schreiben Sie doch mal

Was studierst du?

Die Liebe zur Wiederholung

Zeit, die Zeit zu lesen

Doch, ich gehe wählen

Meine mißlungenen Sammlungen

Nachweise

Informationen zum Buch

Die Kenner

Ich hätte keinen Vorschlag, sie zu verbessern, aber Flughäfen gehören zum Mißlungensten, was sich Menschen gebaut haben. Das liegt nicht an der Unfähigkeit der Menschen, sondern das liegt ganz einfach daran, daß wir mit dem Fliegen nicht fertig werden.

Ich habe nicht nur keinen Vorschlag zur Verbesserung, sondern ich habe nicht einmal eine Kritik an Flughäfen, es scheint so, daß sie funktionieren, und ich bin auch jedesmal weggekommen und auch wieder angekommen. Aber nirgends so wie in Flughäfen interessiert mich die Meinung späterer Archäologen so sehr. Ich möchte wissen, ob und weshalb sie staunen, wenn sie unsere Flughäfen in zwei- oder dreitausend Jahren ausgraben.

Es scheint so, daß das Fliegen den Hauch des Außergewöhnlichen behalten wird und nie so selbstverständlich werden wird wie die Eisenbahn oder das Auto.

Es müßte also so sein, daß wir uns nirgends so ungeschickt bewegen wie auf einem Flughafen, weil Flughäfen für uns außergewöhnlich sind.

Kürzlich habe ich im Flughafen zwei Ungeschickte gesehen. Erst sie haben mich darauf aufmerksam gemacht, wie selten die Ungeschickten hier sind. Ein älteres Ehepaar – etwa so wie man sich Leute vom Land vorstellt –, ich glaube nicht, daß sie Angst hatten, Angst vor dem Fliegen mein ich, aber sie waren ängstlich.

Sie wußten ganz einfach zum voraus, daß sie hier alles falsch machen würden, und das taten sie auch. Sie kamen sich vor wie Eindringlinge in die Welt des Gunter Sachs, und entsprechend wurden sie von den vielen Gunters hier auch angeschaut.

Jedes Reisebüro, jeder Reiseleiter, bestimmt auch der Sohn, der ihnen die Flugkarte geschenkt hatte, jeder hätte ihnen mit Recht gesagt, daß Fliegen gewöhnlich ist und ein Flughafen eine Art Bahnhof und daß sehr viele und eigentlich fast alle Menschen fliegen. Das sagen auch die Fluggesellschaften, und sie bemühen sich auch ein wenig um Menschen, denen es ein bißchen schwerer fällt; aber letztlich ist ihr Geschäft halt dann doch der Duft der großen weiten Welt – und gerade der Geschäftsmann, der wöchentlich und täglich fliegt, möchte zuallerletzt darauf verzichten. Jedenfalls ist der Ausdruck Jet-Set eine präzise Erfindung, und eigentlich trifft sie den Jet noch genauer als das Set.

Die beiden Alten vermiesten selbst mir anfänglich mein Jet-Set-Gefühl, ich meine die kindische Whisky-und-Welt-Vorstellung, und ich solidarisierte mich mit ihnen erst, als mir auffiel, daß dieselben Blicke der Gunters auch mich trafen, daß ich also offensichtlich auch … Immerhin – und das ärgert mich nachträglich –, ich machte alles richtig: ich erhob mich erst beim zweiten Aufruf von meinem Sitz, ich ging langsam und gemessen, ich wußte, was mit meiner Bordkarte geschehen würde, und selbstverständlich kein Fensterplatz.

Die beiden Alten haben Flugzeug und Ziel genauso erreicht wie ich, insofern haben sie also offensichtlich alles richtig gemacht – was machten sie denn falsch? Ganz einfach, sie interessierten sich: sie fragten, fragten noch einmal, erkundigten sich, beachteten die Hinweistafeln, beachteten sie noch einmal, sie gaben ganz einfach zu, daß ihnen die Welt und nicht nur diese Welt – nicht selbstverständlich ist. Sie waren keine Kenner, keine Connaisseurs. Der Trick, die Welt als langweilig zu nehmen, ist ihnen unbekannt, sie haben ihr Verhalten nicht im Kino gelernt.

Das ist es wohl, was Flughäfen als so mißlungen erscheinen läßt. Weil es Orte sind für Menschen, die so tun, als wäre ihnen alles selbstverständlich, die einen Whisky bestellen, wie wenn sie keinen möchten, für die Abflug und Ankunft dasselbe ist, die jeden für einen hoffnungslosen Anfänger halten, der beim Abflug zum Fenster hinausschaut, für Leute, die keine Fragen haben, Orte für Connaisseurs, Orte der blankgeputzten Langeweile.

Ich beneide sie, die beiden Alten. Ich möchte gerne so wie sie. Aber das ist nicht mehr rückgängig zu machen, daß ich Whiskymarken kenne und sogar weiß, daß Maltwhisky was ganz Besonderes ist und Bourbon was anderes, daß ich von chinesischer Küche zwar nichts verstehe und trotzdem nicht allzulang in der Karte rumlese und ja keine Fragen stelle. Ich verstehe etwas von Wein, Herkunft und Jahrgängen, und etwas von Tabakpfeifen und von Tabaken, und ich kenne nicht nur die Gerichte, die meine Mutter gekocht hat. Es erschüttert mich nicht, in der Eisenbahn Erste Klasse zu fahren – und ich habe das alles wirklich nicht gewollt, und es hat mich alles auch anfänglich sehr überrascht.

Dabei ist das alles noch gar nicht so lange her. Es ist mir erst seit kurzem selbstverständlich, der Whisky, die Erste Klasse, die Kenntnisse über Wein und Tabak. Ich war zweiunddreißig, als ich zum ersten Mal dabei war, als ein teurer alter Wein »Zapfen« hatte. Ich hatte zwar vorher schon gehört, daß es das gibt, aber nie geglaubt, daß jemand den Mut hätte – oder die Selbstverständlichkeit –, es festzustellen.

Inzwischen gelingt mir das auch, und ich möchte gern darauf verzichten. Ich würde es vorziehen, wenn man roten Wein Rotwein nennen würde und den weißen Weißwein, sich freuen würde, wenn er gut wäre, und wäre er schlecht, würde man sich nicht an bessern erinnern.

Als ich irgendwo in Amerika mal fragte, wie denn diese großen schwarzen Vögel hießen, da bekam ich zur Antwort: »Es gibt viele davon.« Ich sagte, ja das wisse ich, aber ich möchte wissen, wie sie heißen: »Wir nennen sie ›black birds‹.« So ist das dort, die schwarzen Vögel heißen eben Schwarze Vögel, und alle Pilze heißen Pilze (Mushrooms), und als ich mich mal nach dem Namen einer Nuß erkundigte, die ich bei uns noch nie gesehen hatte, wurden mir Geschichten über diese Nüsse erzählt, aber wie sie heißt, wußten sie nicht, halt eben Nuß.

Ich hielt es für Gelangweiltheit. Nun, hinterher, bin ich nicht mehr so sicher, ob es nicht Absicht ist, die Dinge nicht zu benennen.

Ich möchte zwar gerne wissen, wie die Berge und die Bäume und die Blumen heißen. Aber dann möchte ich auch wissen, wie der Wein heißt, den ich trinke, und woher er kommt. Und dann möchte ich ihn unterscheiden können. Und dann möchte ich wissen, wie das ist auf einem Flughafen, und das ist so einfach, daß man es gleich schafft, weil man es eigentlich schon kennt, und ohne zu wollen, wirst du zum Kenner und erwachst als Connaisseur und bist eingestiegen in die internationale Langeweile.

Wie gesagt, ich habe keine Vorschläge für Flughäfen. Vielleicht werden sie den kommenden Archäologen ein richtiges Bild von unserem Leben vermitteln, leider.

Vielleicht hat das auch Methode, und irgendwer will, daß wir zu gelangweilten Kennern werden, die sich nichts anmerken lassen.

Übrigens, wenn es nur das wäre, ich fahre stets Zweite Klasse, aber ich kenne die Erste, das ärgert mich, und übrigens, es gibt noch ein paar Dinge, die ich noch nie gegessen habe, es gibt eine große Stadt in der Nähe, die ich noch nie gesehen habe – alle wollen, daß ich mal hingehe, und drängen mich; ich wußte bis jetzt nicht, weshalb ich mich grundlos weigerte. Ich möchte eigentlich gern etwas verpaßt haben.

Entfremdete Freizeit

Als der Riesenslalom übertragen wurde, war ich weg – irgendeine Sitzung –, und jeden, der neu dazukam, hat man gefragt, wer denn gewonnen habe. Endlich kam einer, der es zufällig gehört hatte und der sagte, er glaube, es sei ein Norweger gewesen; »ein Schwede wohl«, korrigierte man, und er sagte: »Ja, vielleicht ein Schwede!« – »Stenmark?« – »Weiß ich nicht!«

Ich habe mich erst geärgert, weil er's nicht wußte. Weil man so etwas einfach weiß und weil es immerhin eine Information ist, und weil es immerhin so lange wichtig ist, bis man es weiß.

Ich jedenfalls weiß sehr viel über ihn, er ist still, zurückhaltend, bescheiden, intelligent, angenehm – und vielleicht ist er das. Er ist fair, anständig, unheimlich talentiert, seriös, sauber – warum soll er das nicht sein? Eine Ausnahmeerscheinung, ein Phänomen, und er trägt schwer an seiner Favoritenrolle.

Also.

Dann hat man aber auch davon gesprochen, daß Skirennen eigentlich langweilig seien, daß man eigentlich genug davon habe, daß man eigentlich froh sei, daß es jetzt dann wieder vorbei sei, und sehr telegen seien sie eigentlich nicht, und man verpasse nicht viel, wenn man sie verpasse. Jedenfalls, wenn man sie verpaßt, verpaßt man sie endgültig. Die Spannung ist kurz, und sie wirkt nur live.

Angenommen, nur angenommen, das Publikum würde wirklich nach und nach aussteigen, sich nach und nach wirklich nicht mehr für Skirennen interessieren – einfach so, sich für irgendeinen anderen Sport interessieren –, nur angenommen, würden sie dann wohl verschwinden, unbedeutend werden und im Fernsehen nicht übertragen werden?