Die schönen Töchter der MORBID INVEST - Johannes O. Jakobi - E-Book

Die schönen Töchter der MORBID INVEST E-Book

Johannes O. Jakobi

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Beschreibung

Bei der MORBID INVEST handelt es sich um ein multinationales Unternehmen, sozusagen eine perfekte globale Heuschrecke. Weil die Konkurrenz auf den herkömmlichen Feldern schon mörderisch genug ist, sucht MORBID INVEST nach den lukrativsten Marktnischen, in denen sensationelle Gewinne winken. Bevor die anderen etwas merken, hat MORBID INVEST schon seine Monopolstellung ausgebaut und gefestigt. Überall auf der Welt werden Tochterfirmen errichtet. Wo aber sind derartige üppige Gewinne zu finden? Nun, jedenfalls nicht beim Kaufmann um die Ecke. Sie liegen weit abseits der hell erleuchteten Straßen, sind sinister, obskur und bizarr. So z.B. die italienische Tochter der MORBID INVEST, die ein ganz spezielles Mehl herstellt, aus dem dann ein ganz besonderes Brot gebacken wird. Wenn dieses „Mördermehl“ von den falschen Leuten verspeist wird, dann bricht sich der apokalyptische Wahn seine mörderische Bahn. Eine zweite MORBID INVEST Tochter ist eine Reederei der anderen Art. Sie fährt direkt in das Fegefeuer der Toten und erweckt diese zu einem zweiten Leben. Auch hier spielt Geld die Hauptrolle: Wer es hat, kann sich vom Teufel bedienen lassen! Eine dritte Tochter der MORBID INVEST wird durch die grandiose Erfindung einer französischen Biochemikerin zum Weltmarktführer. Die Potenzpille Viagra ist ein harmloses Pülverchen gegen diese Superpille. MONNAIGRA macht nicht nur geil, sondern sogar geldgeil! Sämtliche Börsen dieser Welt spielen verrückt. Welche Eltern möchten kein Wunderkind? Eine Tochter von MORBID INVEST macht‘s möglich. Der holländische Arzt Dr. van Wyk arbeitet an der Superfötation. Sein faustisches Interesse kennt keine ethischen Grenzen. Mögen Sie Diamanten? Schwarze? Auch dann, wenn ihr Grundstoff aus menschlicher Ware gewonnen wird? Im südlichen Afrika erklingt das Lied von den „Diamonds are forever“ der MORBID INVEST. Brauchen wir denn noch Lebensversicherungen, wenn wir gar nicht mehr sterben wollen? Hat sich hier MORBID INVEST hoffnungslos verkalkuliert? Erleben sie den Aufstand der Hundertjährigen! Und wohin mit dem kostbaren Rohmaterial, wenn ein Mensch gestorben ist? Bitte, nicht wegwerfen, denn es wird noch gebraucht! Dringend! Die Auferstehung des neuen Menschen aus einem riesigen Ersatzteillager ist nur eine Frage der exakten Energiezufuhr. MORBID INVEST behält sich ein Tötungsrecht vor.

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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Über den Autor

Jahrgang 1948, verheiratet, von 1998 bis 2001 Aufenthalt in Namibia, lebt jetzt in Schlangenbad.

Studium der deutschen Sprache und Literatur, Politologie und Soziologie an der Johann Wolfgang Goethe - Universität in Frankfurt am Main. Erstes und Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien; 1982 Promotion zum Doktor der Philosophie. Studienrat am Gymnasium in Frankfurt am Main.

Veröffentlichungen:

Der lange Tod der Hibiskusblüte

Im Haus der Nachtkatze

Africamerone

Hommage to Africa (in der Anthologie „Meandering Paths“)

Moderation Mord (2011)

Colour Undetermined- Farbe unbestimmt (2011)

Stories for Africa (2012)

Der E-Eater (2012)

Spiel mit mir „Ich töte dich“! (2012)

Für meinen Freund

Holger Reis

Die schönen Töchter der MORBID INVEST

Moral und Hypermoral eines Firmenimperiums

www.tredition.de

©2013 Johannes O. Jakobi

Umschlagbild: Brigitte K. Jakobi

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-0210-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

MÖRDERMEHL

ZU ALT ZUM STERBEN

MONNAIEGRA®

REISE INS FEGEFEUER

GENIAL

DIAMANTENHOCHZEIT

DANN LÖSCHEN WIR WIEDER DEN GLANZ AUS IHREN AUGEN

PROLOG

Bei der MORBID INVEST handelt es sich keineswegs um eine gänzlich neue Geschäftsidee mit dem Ziel, möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit zu verdienen. MORBID INVEST ist ein Konglomerat aus Hedge Fond, Investmentbank, Forschung, Produktionsstätte und Outsourcing. Sie agiert, wie die anderen Konglomerate auch, global, zielorientiert, omnipräsent und im 24-Stundentakt. Was die MORBID INVEST aber auszeichnet, sie so einmalig macht, das ist ihre Philosophie: Optimierung des eingesetzten Kapitals bei gleichzeitiger sozialethischer Verantwortung und allerhöchster Moralität. Und es gibt nur ein einziges Feld, auf welchem sich diese beiden scheinbar gegenläufigen Ansprüche auf das Anmutigste miteinander verbinden, zu einer maximalen Synergie verschmelzen lassen: das Geschäft mit dem Tod.

Der Tod kostet nicht bloß das Leben; er spült auch viel Geld in die Kassen derer, die um seinen wahren Wert wissen. Für den morbiden Investor ist der Tod ungleich kostbarer als das Leben. Das Leben und seine Kapitalanlagen sind volatil, hochrisikoreich und in vielen Bereichen äußerst grenzwertig. Illegalität und Immoralität sind da wie eineiige Zwillinge. Nicht so der Tod; er kommt immer, verlässlich wie der beste Freund, und seine Taschen sind prall gefüllt, ein einzigartiger Bluechip unter den ach so nervösen Kapitalwerten.

MORBID INVEST hat diese absolut risikolosen Anlagefelder für sich entdeckt, ausgebaut und perfektioniert, fast könnte man sagen, sich Gevatter Tod als Vorstandsvorsitzenden, als top Investor ins Boot geholt. Denn dieser Tod ist grenzenlos erfinderisch, wenn es darum geht, überfälliges Leben in klingendes Ableben zu verwandeln. Und wer meint, mit dem abrupten Ende sei auch die Grenze der Rentabilität erreicht, der irrt. Die Renditen fließen, die Dividenden werden weiter ausgeschüttet, unablässig wird neues Geld generiert. Eine faszinierende Erkenntnis hat sich durchgesetzt: Im Leben der Märkte und Anleihen gibt es totes Kapital, aber im Tode leibt und lebt die Rendite. Und MORBID INVEST als große Matrix mit ihren Tochtergesellschaften weiß dies und handelt entsprechend konsequent und geräuschlos; ihre Töchter werden immer schöner.

MÖRDERMEHL

Giovanni, der kleine italienische Wachmann, hat den Lastwagen schon lange bemerkt, der da über die steile Serpentinenstraße hinaufgekrochen kommt. Die weite Ebene unter ihm flirrt in der Julihitze, und das fast immer im milchigen Glast seiner eigenen Ausdünstungen liegende Rom in der Ferne ist mit bloßem Auge gerade noch so auszumachen. Giovanni gähnt, lehnt sich bequemer auf seinem Sitz in der Wachkabine zurück, wohl wissend, dass der Lastwagen noch mindestens zwei Minuten benötigen würde, bevor er hier sein konnte; seinen Karabiner jedoch hat er, wie es Vorschrift ist, bereits entsichert über den Tisch und ins schmale Fenster geschoben, dass sein Lauf wie ein mattschwarz polierter Zeigefinger in die Weite der Landschaft droht.

Giovanni nimmt seine Aufgabe sehr ernst, lässt sich nicht zu einem kurzen Nickerchen in der Zeit der heißen Nachmittagsstunden hinreißen, gähnt dafür lieber etliche Male vor Langeweile, seine Augen jedoch weit offen und misstrauisch. Ein guter Job, den er da hat. Kaum etwas gibt es zu tun, zu kontrollieren, zu melden oder gar abzuwehren. Viel Zeit zum Denken bliebe da, Stoff dazu gäbe es reichlich. Aber Giovanni ist schlau, elftes Kind einer bettelarmen Bauernfamilie aus den Abruzzen, und denkt gar nicht daran, etwas zu denken, weil die Armut seiner Kindheit ihn gelehrt hat, das Denken lieber den Eseln zu überlassen. “Wer dumm genug ist zu denken, dem geschieht es recht, wenn sie ihn henken”, hat seine geliebte, verehrte, leider viel zu früh verstorbene Mama ihm mit auf den steinigen Lebensweg gegeben, und ihr kleiner Giovanni hat sich stets daran gehalten und ist immer gut damit gefahren.

Inzwischen ist der Lastwagen, ein Kühltransporter, angekommen. Ein fetter, verschwitzter Fahrer in Unterhemd und einer ausgebeulten blauen Leinenhose fährt, wie es Vorschrift ist, im Schritttempo an die Pforte des Wachmanns heran und flucht auf die Hitze, den Staub und den Rest der Welt - obligates Begrüßungsritual zwischen ihm und seinem Freund Giovanni, und dieser revanchiert sich, indem er, den Karabiner im Anschlag, den schwitzenden Fahrer mit grimmiger Miene barsch anfährt:

“Was haben sie hier verloren, Signore?”

Der “Signore”, der zufälligerweise ebenfalls Giovanni heißt, spuckt verächtlich aus dem Fenster seines Kühlwagens, knurrt wieder einen unverständlichen Fluch, legt ostentativ den Rückwärtsgang ein und tut so, als wollte er wieder zurückfahren. Giovanni, der Wachmann, hebt die Flinte, Giovanni, der Fahrer, jetzt seine Hände. Dann prusten beide vor Lachen, und Giovanni 1 würde am liebsten eine Salve in den sattblauen Himmel jagen, während Giovanni 2 liebend gerne seinen heißen Fahrersitz mit dem seiner gekühlten Fracht hinten im Kastenwagen getauscht haben würde. Zum Glück weiß er nichts von dessen Inhalt, streckt dem anderen Giovanni stattdessen die Zunge heraus, fragt:

“Hallo, Alter, wie geht's deinen fünf Kindern?”

“Nicht halb so gut wie deinen unehelichen Dreizehn, mein Junge.”

“Also alles bestens?”

“Alles bestens, und bei dir?”

“Bestens.”

Giovanni 1 lässt für ihn das schwere Eisentor zur Seite rollen, und Giovanni 2 fährt, zufrieden grunzend, an ihm vorbei und entlang des Kieswegs in den kühlenden Schatten einer weitläufigen, alten Gartenanlage. Der Wachmann sieht ihm lächelnd nach, den wieder gesicherten Karabiner mit dem Lauf zu Boden gesenkt, poliert dann mit dem Ärmel seiner Dienstjacke stolz das kleine Messingschild, auf dem SAN O‘PHARM, der Name der Firma steht, für die er hier schützend wacht, schaut versonnen hinüber auf das im Dunst liegende Rom und zieht sich wieder in den Schatten seiner Wachkabine zurück; das Denken überlässt er, wie stets, den Eseln. Das ist auch besser so, denn SAN O'PHARM genießt zwar einen etwas anrüchigen Ruf, entlohnt aber sehr gut für verschwiegene Dienste. Allein dieses Argument zählt für Giovanni und seine fünf hungrigen Kindermäuler.

Inzwischen ist Giovanni 2 vor dem Lieferanteneingang des efeuüberwachsenen, ehemaligen Zisterzienserklosters angekommen. Während fleißige Hände die gekühlten Innereien seines Transporters entleeren, schließt er, vor seinem Lenkrad sitzend, entspannt die Augen und döst. Auch er weiß nichts, sieht nichts, will auch gar nichts wissen oder gar sehen. Auch seine Bezahlung ist molto bene; in derlei Dingen ist er sich mit seinem Freund Giovanni 1 absolut einig.

Drinnen im Gebäude, hinter dicken Mauern aus Naturstein, findet soeben eine Abteilungsdirektorensitzung statt. Dottor Ornelli, im dunklen Zweireiher aus feinem englischen Zwirn, führt den Vorsitz:

“Signori, vor genau vier Jahren bei unserer ruhmreichen Firmengründung habe ich hier ebenfalls an dieser Stelle gestanden und zu ihnen gesprochen, hatte die Ehre, ihnen das Konzept unseres jungen Unternehmens vorzustellen. Damals firmierte es noch unter dem Namen SANPHARMA. Inzwischen aber ist aus einer vordergründig paradox anmutenden Idee eine überaus erfolgreiche Wirklichkeit geworden. Sie erinnern sich, Signori, dass es keinesfalls einfach gewesen sein konnte, für ein Projekt Geld zu bekommen, dessen wissenschaftliche Fundierung erst ansatzweise vorhanden gewesen und dessen Übertragung auf die Welt der Menschen und die damit verbundenen finanziellen und ethischen Erfolge jedoch noch rein spekulativer Natur waren. Konnte doch von einer möglichen industriellen Nutzung oder gar von Marktreife mitnichten die Rede sein. Schwierige, risikobelastete Zeiten. Aber das hatte auch sein Gutes, denn dort, wo niemand einen Gewinn vermutet, wird er am Ende am höchsten sein. Denn dort befindet sich auch keine Konkurrenz, die ihn schmälern oder gar streitig machen könnte. Deshalb kann ich sagen, dass die Konkurrenz nicht etwa geschlafen hat, sondern sie war, zu unserem Glück, Signori, noch gar nicht geboren.”

Dottor Ornelli lacht geziert, fährt dann fort:

“Unsere Muttergesellschaft, die MORBIDINVEST, aber war nicht nur großzügig in der Erstausstattung unserer finanziellen Mittel, sondern sie war ebenso ökonomisch vorausschauend wie ethisch vertrauensvoll, getreu ihrer eigenen Firmenphilosophie, dem berühmten und bewährten Triple A: Altruism Advances Adequately. Vorausschauend in der Weise, als sie die unerschöpflichen neuen Forschungserkenntnisse aus der organischen und der anorganischen Natur kreativ immer zu nutzen bereit ist; vertrauensvoll in dem Wissen, dass sie aus den ungewöhnlichsten Ideen die allergrößten Gewinne schlagen kann. Markttechnisch bedeutet das, eine Monopolstellung zu erwerben, ohne irgendwelche Konkurrenten liquidieren zu müssen. Und wenn gar keine Konkurrenz vorhanden ist, kann auch keine Kartellbehörde diese wunderbare Monopolpreisstellung untersagen. Ist es nicht so, Signori?”

Wie es seine Art ist, holt er immer weiter in seinem Bericht aus. Seine Direktoren merken, dass sie sich auf einen langen Vortrag werden einstellen müssen, als der Dottore auch noch ankündigt, sich kurzfassen zu wollen. Darin gleicht er den Steinzeitkommunistenführern überall in der Welt, die sich ebenfalls allesamt nur zu gerne in Szene setzen wollten bzw. immer noch tun und die ihre Reden am liebsten bei Adam und Eva Marx beginnen lassen.

“Signori, ich möchte mich auf das Wesentliche beschränken. Darf ich sie deshalb bitten, gut zuzuhören und mich nicht zu unterbrechen.”

Dottor Ornellis Bitte ist eine unmissverständliche Mahnung und Warnung zugleich. Keiner der anwesenden Direktoren hätte deshalb auch nur gewagt, etwas Anderes als eine positive Reaktion zu demonstrieren. Deshalb ertönt sofort ihr zustimmendes Gemurmel und löst die Zunge ihres Directore.

“Allen, ich wiederhole, allen war dieses Experiment mit den Regenwürmern bekannt, aber keiner, ich betone, keiner hatte bis dahin auch nur das Geringste daraus gelernt, was eine mögliche Marktreife und potentielle Gewinne anbetrifft. Zu klein ist das Vorstellungsvermögen und zu groß das Verharren in konservativen Denkstrukturen. Weil es einer Konkurrenz eben immer einfacher erscheint, in einen bestehenden Markt einzudringen, als sich selbst einen neuen Markt zu schaffen. Aber nur derjenige, der innovativ genug ist, der wird auch den verdienten Lohn des Monopolisten einstreichen dürfen. Habe ich damit recht, Signori?”

Pflichtschuldigst applaudieren die versammelten Direktoren; der Dottore dankt es ihnen mit weit ausholenden Worten und Gesten:

“Was dagegen haben wir von diesen Regenwürmern gelernt? Nicht allein, dass sie tatsächlich über ein Gedächtnis verfügen - das besitzen andere Tiere ebenfalls – sondern, dass sie, wenn sie ihre toten Artgenossen fressen, deren Gedächtnis praktisch mitfressen. In einfachen Worten: Der eine Wurm lernt vom anderen, ohne selbst die Erfahrung des anderen gemacht zu haben, und dies nur durch das Fressen dessen Gedächtnisses. Fabelhaft genial! Wenn also der eine Wurm die Erfahrung gemacht hat, dass ihn jedes Mal beim Aufblitzen eines Lichts ein schmerzhafter Impuls trifft, dass er sich krümmen muss, wird der zweite Wurm, dem der erste zum Fressen verabreicht worden ist, sich danach ebenfalls vor Schmerzen krümmen müssen, wenn das Licht aufblitzt, obwohl dieses Mal kein Reizimpuls damit verbunden ist. Nur, weil der zweite Wurm das Gedächtnis des ersten mitgefressen hat, kann er nun nicht mehr anders. Doch das dürfte ihnen durchaus bekannt sein, Signori?”

Zustimmende Rufe sind zu vernehmen. Dottor Ornelli lächelt selbstzufrieden und fährt fort, zu extemporieren und damit auch zu langweilen:

“Ich weiß aber nicht, ob sie es auch wissen, Signori, dass ich es war, der die zündende Idee hatte, dieses Reinfressen von negativen Informationen aus dem Reich der Weichtiere in die Welt der Menschen zu übertragen. Genauer gesagt, auf die gemeine Welt der Sträflinge und hier - zielgerichtet auf die Spezies der Kapitalverbrecher - der Mörder.”

Stürmisches Beifallsklatschen belohnt seine Ausführungen über seine bescheidenen Meriten.

“Meine eigene Idee war es, den überlasteten Gefängnissen dieser Welt mit ihren räumlich begrenzten Todeszellen die leblosen Überreste der hingerichteten Mörder zur Entsorgung abzunehmen, wofür die nationalen Regierungen natürlich auch entsprechend bezahlen müssen. Und ich sage ihnen, dass es sehr viel zu entsorgen gibt, nicht allein in den sogenannten Schurkenstaaten, sondern auch in denjenigen Ländern, in denen die Todesstrafe offiziell schon lange abgeschafft ist. Immer wieder findet man politische Gefangene erhängt auf, deren terroristische oder hochverräterische Motive keine Begnadigung verdienten. Gegen Entgelt werden anschließend die Leichen dieser Mörder und Selbstmörder an uns abgegeben und von unserer SAN O'PHARM zu einem kostbaren Grundstoff weiterverarbeitet. Dieses derart raffinierte Mördermehl verkaufen wir dann für gutes Geld wieder an die Gefängnisse zurück, wo es als exquisite Zutat ins Brot eingebacken wird, um damit die Häftlinge zu füttern. Insbesondere sind deshalb Jugendstrafanstalten unsere bevorzugte Ansprechgruppe, da die im Mördermehl gespeicherten Informationen des Hingerichtetwerdens durch den Verzehr des Brotes in das Gedächtnis der jugendlichen Delinquenten übergehen und diese damit so konditionieren, dass allein schon der bloße Gedanke an das Begehen einer Straftat körperlich wie elektrisierend wirkt und damit dauerhaft abschreckt.”

Hochrufe ertönen, Begriffe wie grandios, genial und phänomenal fallen; der Dottore vernimmt sie mit stillem Vergnügen.

“Damit, Signori, haben wir viele Fliegen mit nur einer Klappe geschlagen: Wir erhalten von den Gefängnissen ausreichende Mengen an Rohmaterial, werden dafür noch bezahlt, verkaufen dann das Endprodukt für einen Preis, den wir diktieren, haben dafür einen stets aufnahmebereiten Markt und leisten damit gleichzeitig einen wahrhaft humanitären Beitrag zur ethischen und moralischen Gesundung eines bislang als unheilbar geltenden, kranken Teiles unserer Gesellschaft. Und MORBID INVEST hat diese bahnbrechende Errungenschaft von Beginn an großzügig unterstützt und unsere SAN O'PHARM letztlich erst möglich gemacht, während das Bezirksgefängnis Carcere di Poggioreale bei Neapel, welches eines der größten Gefängnisse in Europa mit momentan 2666 Insassen ist, für den frühen Pilotversuch das erste Rohmaterial bereitgestellt hat. In der Abteilung Salerno herrschen wunderbare Zustände; in manchen Zellen teilen sich 9 Personen eine kleine Zelle. Die Eingesperrten müssen sich im Stehen abwechseln, damit die jeweils anderen sich inzwischen hinlegen können. Also Zeit zum Aufräumen und Saubermachen, Signori. Zum Dank hat mich unsere Muttergesellschaft dadurch geehrt, dass in dem neuen Firmennamen nunmehr mein Initial “O” für Ornelli aufgenommen worden ist - SAN O(rnelli)PHARM. Signori, was sagen sie nun? Habe ich ihnen zu viel versprochen? Nun, ich denke nicht, und deshalb ein Hoch der gemeinsamen Philosophie unserer Firmengruppe mit dem Triple A: Altruism Advances Adequately!”

Eine Standing Ovation der sechs Abteilungsdirektoren ist des Dottor Ornellis verdienter Lohn.

“Nun, Signori, habe ich noch das große Vergnügen, ihnen heute die Jahresbilanz unseres jetzigen Unternehmens vorstellen zu dürfen. Lassen sie mich auch sogleich hinzufügen, dass der Abschluss mehr als glänzend ist. Im Vergleich zum vorherigen Geschäftsjahr ist er mit einer Steigerungsrate von 131 Prozent geradezu raketenhaft. Aber sehen sie selbst.” Während der Dottore die ersten Seiten auf dem Whiteboard aufruft, verändert sich schlagartig das Muster der allgemeinen Aufmerksamkeit. Wie auf ein geheimes Zeichen wenden sich die sechs Köpfe der Abteilungsdirektoren in dem abgedunkelten Konferenzraum dem Board zu, auf dem die von Direktor Ornellis Sekretärin, vorbildlich aufbereiteten Bilanzzahlen erst numerisch, dann grafisch erscheinen. Die Präsentation mit Powerpoint führt bis in technische Details. Gegen Ende folgen noch mittel- bis langfristige Hochrechnungen unter den veränderten Modellannahmen der jetzt vorliegenden und möglichen zukünftigen Bilanzzahlen. Die Daten sind in der Tat überwältigend, und nur die Endlichkeit der aufgerufenen Seiten auf dem Whiteboard scheint sie überhaupt nur begrenzen zu können.

“Unser Konzept, Signori, ist von den internationalen Märkten voll angenommen worden. Mehr noch, die Märkte reißen es uns geradezu aus den Händen. Wie ich hörte, sind offenbar allerorten Bestrebungen im Gange, das Mordgesindel nicht mehr wie bisher mit Samthandschuhen anzufassen.”

Wieherndes Lachen und begeistertes Knöchelklopfen der Zustimmung rund um den Tisch.

Während Dottor Ornelli bescheiden, aber hochzufrieden in das Halbdunkel der Gesichter seiner Abteilungsdirektoren hinein lächelt, hebt er mit einer jetzt theatralischen Geste die fein manikürten Hände bis an sein Herz:

“Und, Signori, dieses Marktkonzept zahlt sich für uns alle aus. Ich darf ihnen deshalb hier und heute verkünden, dass uns MORBID INVEST einen Leistungsbonus von 1,3 Millionen Euro zusätzlich für sie, Signori, zur Ausschüttung bereitgestellt hat. Einskommadrei Millionen, Signori!”

Er zeigt die Zahl mit seinen Fingern am Herzen, witzelt:

“Schade nur, dass wir nicht mehr in Lire rechnen, Signori. Es wären dann sogar ganze Milliarden! Aber ich kann ihnen versichern, gleichgültig, ob Lire oder Euro, es ist sehr viel Geld, das unter ihnen - nach dem gegenwärtig geltenden Schlüssel wohlbemerkt - zu verteilen sein wird. Und ihren zufriedenen Mienen kann ich entnehmen, dass sie keine weiteren Fragen mehr haben. Deshalb danke ich ihnen für ihre Aufmerksamkeit und erkläre unsere Sitzung hiermit für beendet.”

Der Dottore verneigt sich knapp und korrekt aus der Hüfte, und während er daraufhin sogar eigenhändig die voluminösen Samtvorhänge wieder beiseite zieht, sodass der große Raum zu neuem Licht erwacht, sind seine sechs Abteilungsdirektoren bereits dabei, ihre Anteile auszurechnen. Unbemerkt und unbeachtet verlässt der Dottore den Raum hinter der schweren Eichentür. Er ist äußerst zufrieden mit sich und seiner SAN O'PHARM. Was er jedoch seinen Unterdirektoren nicht mitgeteilt hat, ist, dass er den Verteilungsschlüssel erst kurz vor der Sitzung geändert hat. Nicht für sich, so etwas hat er nicht nötig, die 1,3 Millionen sind durchaus für sie bestimmt, denn sein eigener Bonus beträgt noch einmal die gleiche Summe. Nein, am Verteilungskampf beteiligt er sich nicht, wohl aber bestimmt er die Regeln dazu gerne selbst. Diese Regeln sollen neue Anreize geben; da ist der Dottor Ornelli außerordentlich progressiv.

Bedauerlicherweise ist nicht zu verhindern, dass seine blendende Laune einen herben Dämpfer erfahren muss, denn draußen, im Gang vor der Konferenztür, wartet bereits ungeduldig seine aufgeregte Sekretärin, Signora Levante. Ganz gegen ihre sonstige, eher betuliche Art überschüttet sie ihn nun mit einem Wortschwall, noch unterstrichen von wilden Gesten und Augenrollen:

“Dottor Ornelli! So hören sie doch, Dottore! Etwas ist schiefgelaufen, und keiner weiß, wo sie abgeblieben ist. Wir haben bereits überall nachgeforscht, aber nichts, nichts! Madonna mia!”

Sie bekreuzigt sich, den Tränen nahe. So aufgeregt ist sie, dass es geraume Zeit des intensiven Nachfragens, ja fast des barschen Eindringens in sie bedarf, ehe die leidlich verständliche Antwort endlich da ist. Die Mehllieferung der SAN O'PHARM an das römische Zentralgefängnis ist dort nicht angekommen. Auch ist nicht mehr rekonstruierbar, wohin diese Lieferung dann tatsächlich gegangen ist.

“Oh Dottore! Mama mia!”

Woraufhin der sonst so distinguierte Dottore einen Fluch zwischen den Zähnen hervorpresst, der selbst einen abgebrühten neapolitanischen Hafenarbeiter hätte erröten lassen.

Doch die verloren gegangene Lieferung hat ihre Abnehmer gefunden. …

Angelica, die junge Novizin, arbeitet im Klostergarten. Seit ihrem Wirken hier hat sich dieser etwas verwahrloste Teil der Klosteranlage in ein wahres Blütenmeer verwandelt. Mit Feuereifer hat sie die Beete neu geordnet, mit den eigenen kleinen Füßen energisch umgegraben, gedüngt und so geschickt bepflanzt, dass nun fast während des gesamten Jahres frische Blumen zur Verfügung stehen. Zum Schmuck und zur Ehre des Altars der Gottesmutter Maria in der Kapelle des Klosters Lacrimae Mariae. Von ihrem Vater, dem Bauernsohn Giovanni, der auf der anderen Seite Roms in den Albaner Bergen bei SAN O'PHARM Wachdienst tut, hat Angelica die Liebe zur und das Wissen um die heimische Scholle geerbt, und mit ihren frommen Mädchenaugen hat sie ein florales Paradies erträumt und auch verwirklicht.

“Angelica komm zum Gebet und dann zum Essen!”