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Wer sich exzentrischen Beschäftigungen hingibt, gerät schnell in Ausnahmesituationen und da ist der Mord nicht weit. Die Kurzgeschichten dieses Bandes beschreiben anschaulich ein paar Beispiele dieser Art: Mumien sind äußerst interessante Leichen, sozusagen vermummte Tote. Man weiß nie so genau, wer sich unter diesen düsteren Tüchern verbirgt. Trotzdem werden sie auf den einschlägigen Kunstmärkten dieser Welt für teures Geld gehandelt. Und was passiert, wenn sich jemand ausgerechnet in eine solche Mumie verliebt? Auch der Markt für Schönheitsoperationen boomt. Hier tummeln sich Scharlatane mit falschen Versprechungen. Doch das erkennen die gutgläubigen Opfer erst, wenn etwas schiefgelaufen ist. Wen trifft die Schuld? Den Chirurgen, der seine Grenzen nicht kennt, oder den Patienten, der nimmersatt nach Vollkommenheit strebt? Seit jeher existieren Liebesbeziehungen zwischen Schülerinnen und ihren Lehrern. Besonders im Sportunterricht kommt es bisweilen zu "Handgreiflichkeiten". Hier endet das Ganze tödlich. Auf der Anklagebank des Lebens sitzen Protagonist und Antagonist einander gegenüber. Im Spiel zwischen Liebenden scheint alles erlaubt. Das Maß des Genusses errechnet sich aus dem Abstand zwischen Entbehrung und der Befriedigung, getragen vom Nervenkitzel, wenn es um das eigene Leben geht. Was könnte wohl tödlicher sein als handgefertigte Pralinen, die man gemeinsam verzehrt? Zu allen Zeiten haben sich Menschen vom schönen Schein verführen lassen. Ein Schöpfer von Reliquien will den Olymp der Unsterblichkeit erklimmen. Mit schlimmen Folgen. Der Tod gehört zum Leben wie die Nacht zum Tage. Sein Erscheinungsbild als Mord ist ebenso vielfältig, wie es die Motive sind. Doch erst gilt es, den Mörder überhaupt dingfest zu machen. Wenn sich die Crème der Halb- und Unterwelt zu ihrem ersten kriminellen Symposion versammelt, wird, wie könnte es auch anders sein, gefeiert und gemordet. Natürlich alles im exklusiven Ambiente.
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Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2015
www.tredition.de
Über den Autor
Jahrgang 1948, verheiratet, von 1998 bis 2001 Aufenthalt in Namibia, lebt jetzt in Schlangenbad.
Studium der deutschen Sprache und Literatur, Politologie und Soziologie an der Johann Wolfgang Goethe - Universität in Frankfurt am Main. 1982 Promotion zum Doktor der Philosophie. Lehrtätigkeit am Gymnasium in Frankfurt am Main.
Wenn man einmal Lehrer war, dann kann man es mit der Literatur einfach nicht lassen. Und da man nicht mehr Rechtschreibung, Grammatik und Interpretation mit den Schülern üben muss, so verlegt man sich auf die Dinge, die am meisten Spaß machen, nämlich das Geschichtenerzählen. Zumal wenn man eine gewisse Zeit seines Lebens in Afrika verbracht hat, dann hat man so viel gesehen und erlebt, dass die Fantasie noch lange Purzelbäume schlägt.
Außerdem ist das Palavern, also das lange Erzählen, dort Teil der Lebenskultur. Wenn man sich nicht die Zeit nimmt, ein wenig zu plaudern, dann kommt man nicht weit, weil jeder einen für langweilig und unhöflich hält.
Zum Andenken
An meinen Doktorvater,
Professor Dr. jur. Lothar Schmidt,
in der von ihm so geschätzten aphoristischen
Zuspitzung
Geliebte Mumie
Psychedelische Krimis
Von
www.tredition.de
© 2015 Johannes O. Jakobi
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7323-2267-1
Hardcover:
978-3-7323-2268-8
e-Book:
978-3-7323-2269-5
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INHALTSVERZEICHNIS
GELIEBTE MUMIE
HILFLOS UNTER MESSERN
KICHERN VERBOTEN!
SIEBEN KÖ STLICHKEITEN
DER RELIQIENMACHER
ÜBER DEN TOD HINAUS
1. INTERN. KILLERSYMPOSION
Vorrede
Mumien sind äußerst interessante Leichen, sozusagen vermummte Tote. Man weiß nie so genau, wer sich unter diesen düsteren Tüchern verbirgt. Trotzdem werden sie auf den einschlägigen Kunstmärkten dieser Welt für teures Geld gehandelt. Wer aber entscheidet über Authentizität oder Fälschung? Und was passiert, wenn sich jemand ausgerechnet in eine solche Mumie verliebt?
Auch der Markt für Schönheitsoperationen boomt. Hier tummeln sich Scharlatane, Hochstapler und Quacksalber mit falschen Versprechungen. Doch das erkennen die gutgläubigen Opfer erst, wenn etwas schiefgelaufen ist. Wen trifft die Schuld? Den Chirurgen, der seine Grenzen nicht kennt, oder den Patienten, der nimmersatt nach Vollkommenheit strebt? Was aber, wenn es zum ungewollten Rollentausch kommt? Wie steht es da um die Zufriedenheitsgarantie?
Seit jeher existieren Liebesbeziehungen zwischen Schülerinnen und ihren Lehrern. Besonders im Sportunterricht kommt es bisweilen zu „Handgreiflichkeiten“. Entweder Frau resigniert oder sie kämpft. Nicht selten endet das Ganze tödlich. Auf der Anklagebank des Lebens sitzen Protagonist und Antagonist einander gegenüber.
Im Spiel zwischen Liebenden scheint alles erlaubt. Das Maß des Genusses errechnet sich aus dem Abstand zwischen Entbehrung und der Befriedigung, getragen vom Nervenkitzel, wenn es um das eigene Leben geht. Was könnte wohl tödlicher sein als handgefertigte Pralinen, die man gemeinsam verzehrt?
Zu allen Zeiten haben sich Menschen vom schönen Schein verführen lassen. Besonders Heiligenscheine waren und sind en vogue. Wer aber verleiht wem diese hohe Würde? Die Hüterinnen des Feuers rätseln darüber, während ihr Schöpfer den Olymp der Unsterblichkeit erklimmen möchte.
Der Tod gehört zum Leben wie die Nacht zum Tage. Sein Erscheinungsbild als Mord ist ebenso vielfältig wie es die Motive sind. Dem einen reicht es, wenn dem Gesetz Genüge getan wird, der andere verlangt nach der Vergeltung von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Doch erst gilt es, den Mörder überhaupt dingfest zu machen. „Mein ist die Rache“ scheint dabei ein unwiderstehliches Angebot an den Täter zu sein.
Wenn sich die Crème der Halb- und Unterwelt zu ihrem ersten kriminellen Symposion versammelt, wird, wie könnte es auch anders sein, gefeiert und gemordet. Natürlich alles im exklusiven Ambiente. Doch sobald einer aus dem Rahmen fällt, fallen die anderen sofort über ihn her. Meist ist dabei unklar, wer den Kürzeren zieht, d.h., ins Gras beißen muss. Denn selbst in Gangsterkreisen gilt die grausame, alte Regel: Es trifft immer den Richtigen!
„Mumien – betuchte Leichen“
GELIEBTE MUMIE
Der alte Wachmann sitzt in seiner Ecke, leicht verdeckt vor den Blicken der Museumsbesucher. Seine einzige Aufgabe besteht darin, die kostbare Mumie aus dem antiken Ägypten vor etwaigen Übergriffen zu schützen, aufzupassen, dass ihr keiner zu nahe kommt oder sie gar berührt. In solchen Fällen, die gottlob recht selten sind, wird er rabiat, fährt aus seinem Eckversteck hervor, bereit zu kämpfen. Doch nicht allein, weil es seine Pflicht ist, sie zu schützen, ist er willens, jederzeit sein Leben für sie zu opfern. Oh, er liebt sie! Seine Mumie, wie er stets betont. Es soll sich bei ihr um eine Prinzessin handeln, und in seiner Ecke sitzend, träumt er davon, wie schön sie damals gewesen sein musste. Voll königlicher Anmut und Würde dürfte sie einst durch die Gänge ihres väterlichen Palastes gewandelt sein, ihre treue Sklavin ehrfürchtig mehrere Schritte dahinter gehend. Allmorgendlich wird sie gebadet, mit seltenen Ölen massiert, mit wohlriechenden Essenzen parfümiert, danach in kostbare Gewänder gehüllt. Und der alte Wachmann errötet, wenn er sich ihren vollkommenen Körper vorstellt. Doch sind dies gewiss keine unkeuschen Gedanken, sondern einzig der Stolz eines Vaters auf die edle Schönheit seiner einzigartigen Tochter.
Ein Wermutstropfen indes trübt seine heimlichen Freuden, denn jener Tag seiner Pensionierung rückt unaufhaltsam näher und damit auch der endgültige Abschied von seiner geliebten Mumie. Natürlich könnte er sie jederzeit ansehen kommen, das war ihm vom Direktor versprochen worden. Doch freier Eintritt hin oder her, es würde niemals mehr wie früher sein, wenn er, nachdem der letzte Besucher das Museum verlassen hatte, noch still und entspannt sitzen durfte, weil keine Gefahr mehr für seine tote Geliebte zu erwarten war.
Da irrt er sich nun gewaltig, denn die Bedrohung für die Mumie kommt nicht von außen, sondern von innen. Und dies ausgerechnet von einem, der sie ebenfalls liebt. Jedenfalls weit mehr als seine eigene Ehefrau, mit der er sich täglich wegen ihr streitet. Ständig zweifelt diese deren wissenschaftliche Echtheit an:
„Deine blöde Mumie ist garantiert eine Fälschung. Nicht einmal eine besonders gute, sage ich dir. Sie wirkt so, wie soll ich es ausdrücken, wenig authentisch, zu schlampig verpackt, übertrieben mumienhaft. Du hast dich bei ihrem Erwerb über den Tisch ziehen lassen, mein Lieber, hast deine kritischen Wissenschaftleraugen bewusst geschlossen gehalten, weil du es nicht wissen wolltest! Wickle sie doch aus und du wirst erkennen müssen, dass es sich vermutlich um eine erst kürzlich ermordete Straßendirne aus Kairo handelt und keineswegs um eine echte Prinzessin aus Memphis!“
Es hat gar keinen Sinn, auf diese miesen Anwürfe fachlich replizieren zu wollen, denn seine Frau ist ebenfalls Ägyptologin und eine gute überdies. Sie insistiert:
„Lass sie doch einmal mit dem Tomografen untersuchen, über die Kohlenstoffanalyse ihr wirkliches Alter bestimmen! Du würdest ganz große Augen machen. Könnte durchaus sein, dass sie zwar auch achtzehn war, als man sie mumifizierte. Aber erst vor drei Jahren und nicht vor dreitausend! Eine, billige, kleine Nutte, die in irgendeiner dunklen Ecke im Basar ihr Geld verdiente! Also zieh sie aus!“
Es kostet ihn sehr viel Überwindung, diese gemeinen Schmähungen schweigend zu ertragen. Stattdessen entscheidet er sich, hinunter ins Museum zu steigen und einen weniger gefährlichen Plausch mit dem alten Wachmann zu halten. Dem sollte seine Frau das alles mal an den Kopf werfen! Der würde sie vor Zorn erschlagen und sie hinterher tatsächlich unsachgemäß und keineswegs fachmännisch in fleckiges Butterbrotpapier einwickeln und im Backofen dörren lassen! Das freilich sind bloße Gedankenspiele, die sich wohl kaum realisieren lassen dürften. Höhnisch ruft sie ihm noch nach, dass er ruhig zu seinem Flittchen gehen und es begrapschen könne.
Es wäre durchaus vorstellbar, dass seine Frau mit ihren unverhohlen geäußerten Verdächtigungen nicht ganz unrecht haben könnte, denn die Quelle, aus der er seine Ägypterin bezogen hat, gilt in Fachkreisen als etwas dubios. Doch darüber setzte er sich großzügig hinweg, wollte für sein Museum eben auch eine eigene Mumie in Besitz nehmen. Da durfte man nicht zu zimperlich sein. Zudem musste für ihre Echtheit nicht zuletzt der Preis sprechen, denn der hatte den Jahresetat seines Museums um mehr als das Doppelte überstiegen. Für eine Fälschung derart viel Geld ausgegeben zu haben, das konnte und durfte er sich nicht leisten. Es hätte ihn nicht nur seine Reputation als angesehener Wissenschaftler gekostet, sondern gleichfalls seine leitende Stellung im Museum.
Wohl wären so Zank und Streit mit seiner Frau endlos weiter gegangen, wenn deren Misstrauen sie nicht auf eine wirklich verdächtige Spur gebracht hätte. Irgendwann des Nachts hatte sie, als der Wachmann zu Hause war, die Mumie heimlich gewogen und angeblich eine signifikante Abweichung zum üblichen Gewicht von Mumien dieses Alters und dieser Provenienz festgestellt. Nicht nur eine ernste Ehekrise bahnt sich daraufhin an, nein, sie droht auch, die Mumie auf deren Echtheit durch eine Gruppe junger, ambitionierter Physiker, deren Bekanntschaft sie auf einem Kongress gemacht hatte, untersuchen zu lassen. Das aber kann er nicht zulassen. Mit ihrer Forderung spricht sie gleichsam ihr eigenes Todesurteil aus!
Als sie eines Morgens ahnungslos unter der Dusche steht, ist es soweit. Mit einem gezielten Stich neben ihr linkes Schulterblatt dringt der scharfe Stahl bis hinein in die Herzkammer. Als sie zu Boden fällt, ist sie bereits tot. In voller Absicht belässt er die Leiche dort, damit sie komplett ausbluten kann, ohne Schmutz zu machen oder Spuren zu hinterlassen.
Doch so rasch die Tat auch ausgeführt ist, so sehr bereitet jetzt die Entsorgung der Toten längeres Nachdenken und Kopfzerbrechen. Für eine gewisse Zeit könnte er sie im kühlenden Museumskeller zwischenlagern, ohne dass ihr Verschwinden bemerkt und neugierige Fragen über ihren Verbleib aufgeworfen würden, denn als Wissenschaftlerin ist sie oft monatelang in der ganzen Welt unterwegs, um zu forschen, Vorträge zu halten oder an Ausgrabungen teilzunehmen. Das also stellt kein nennenswertes Problem dar.
Zwei Tage später wird der alte Wachmann in den wohlverdienten Ruhestand entlassen. Dem ist indes so gar nicht nach Feiern zumute, muss er damit auch seine geliebte Mumie schutzlos zurücklassen. Am liebsten hätte er sie zu sich nach Hause mitgenommen, seine doch viel, viel ältere Prinzessin. Genau diesen unerfüllbaren Wunsch bekundet er bei einem kleinen Sektempfang ihm zu Ehren für fast 50-jährige treue Dienste. Der Direktor, der um diese heimliche Liebe des Wachmannes zu seiner Mumie weiß, flachst noch:
„Letzte Woche habe ich noch mit meiner Frau über das wahre Alter unserer kleinen Prinzessin ziemlich heftig diskutiert. Wenn alles klappt, werden wir bald eine neue Mumie ins Museum holen können. Dann dürfen sie diese hier getrost mitnehmen. Bis dahin allerdings müssen sie sich noch ein wenig gedulden. Aber sie läuft ihnen ja nicht weg. Schließlich können sie jeden Tag kommen, sie ansehen und sich darauf freuen!“
Genau das ist die brillante Lösung des leidigen Entsorgungsproblems. Er wird die Leiche seiner Frau einfach mumifizieren und sie anschließend dem Wachmann schenken. Er wird ihm sagen, dass wissenschaftliche Zweifel aufgekommen seien und er die alte gegen die neue Mumie tauschen werde. In Wahrheit jedoch behält er sie, übereignet aber seine Frau an den Wachmann. Der dürfte, mehr als glücklich, Stillschweigen über den Deal bewahren und die falsche Prinzessin stolz in seinen Besitz nehmen. Natürlich würde er, da er ja kein Kenner war, nicht bemerken, um wen es sich da in Wirklichkeit handelte. Auf diese so simple wie geniale Weise wäre beiden gedient: Man tauscht kurzerhand die Frauen!
Nun, da diese delikate Frage beantwortet ist, gilt es, sich flugs an die Arbeit des Präparierens zu machen, denn eine Mumifizierung benötigt Zeit und Kunstfertigkeit, ist auch für den Fachmann ein längerer Prozess.
Zuerst werden die Organe durch einen Schnitt an der linken Bauchseite entnommen. Traditionsgemäß wurden sie in jeweils separaten, sogenannten Kanopenkrügen verwahrt und einem bestimmten Schutzgott zugeordnet: Die Leber dem Imsety, die Lunge dem Hapy, der Magen dem Duamutef und die Gedärme dem Qebehsenuef. Danach wurden die Krüge mit Natron abgedichtet und versiegelt. Einen solch enormen Aufwand mit den Organen will der Direktor schon aus Glaubensgründen verständlicherweise nicht treiben und entsorgt sie äußerst profan auf dem Bio-Müll hinterm Haus. Üblicherweise verblieb das Herz an seinem angestammten Platz im Körper, da man annahm, dass es der Sitz für den Geist und die Gefühle war. Aus Pietät belässt es der Direktor dort auch im Körper seiner toten Ehefrau. Anschließend wird das Gehirn mit einem langen Haken durch die Nase entfernt. Es aufzubewahren, lohnte sich offenbar schon damals nicht. Soweit vorbereitet, muss die Leiche in Salz und Natron gelegt werden, um ihr im Verlauf von 40 Tagen sämtliche Flüssigkeit zu entziehen. Höllisch viel Natriumchlorid ist dafür vonnöten. Allein die Besorgung dieser Menge an Ingredienzen, ohne dass es auffällt, nimmt mehrere Tage in Anspruch. Anfangs kostet es ihn durchaus einige Überwindung, die leere Körperhülle einer einstmals geliebten Person nun dick mit Salz einzureiben, um diese wie einen gemeinen Hering auf Dauer zu konservieren.
Nachdem dieser Vorgang des Trocknens abgeschlossen ist, muss die Leibeshöhle ausgestopft werden. Da es sich um die eigene Frau handelt, wird bevorzugt Unterwäsche aus Baumwolle dazu verwendet, nicht jedoch BHs mit verdrahteten Körbchen, da das Metall oxydieren oder mit einem Detektor geortet werden könnte. Das nochmalige rituelle Waschen mit Nilwasser erspart er sich aus Gründen der Logistik. Sodann wird der Körper mit kostbaren Harzen, streng gehüteten, geheimen Würzmischungen, vor allem aber mit Formaldehyd behandelt und versiegelt, bevor Lage um Lage die Streifen aus Leinenstoff, erst gesondert um die Extremitäten, dann über den ganzen Körper geschlungen und gewunden werden. Durch die verwendeten Harze verkleben die einzelnen Tuchstreifen zu einer kompakten Hülle. Dann folgt der Prozess des Dörrens in künstlicher Hitze, damit die dunklen Pigmente der Spezereien gut in das Leinen ausdünsten und es färben können. Im Verlaufe ihrer Präparation schrumpft die Leiche um bis zu zwanzig Prozent an Größe und wird schließlich zu dem, was sie vorgeblich jetzt sein soll: Eine uralte Prinzessin aus versunkenen Gräbern mitten im Wüstensand! Das noble Geschenk des Museumsdirektors an seinen getreuen Wachmann nähert sich der Vollendung. Mächtig stolz ist er auf sein Werk und das perfekte Verbrechen.
Ein kleines Problem freilich besteht darin, dass er den alten Wachmann einweihen muss, denn dieser würde niemals glauben, dass ihm ein so kostbares Geschenk gemacht wird. Doch der Direktor ist sich sicher, dass dieser für den Preis seiner geliebten Mumie im Austausch für die getötete Ehefrau auf ewig schweigen wird. Auf dem Markt für Fälschungen von Artefakten wird ohnehin nicht so genau geschaut und geprüft.
Man kann aber nicht einfach während des laufenden Museumsbetriebs die Mumie von ihrem Lager nehmen, lässig schultern und sie hinweg tragen. Das muss nach Feierabend und im Schutze der Dunkelheit bewerkstelligt werden. Schließlich sind da Alarmanlagen, die es vorab auszuschalten gilt. Dies vermag der Direktor nur zusammen mit einem zweiten Schlüssel, die gleichzeitig an verschiedenen Stellen gesteckt werden müssen. Gerade der alte Wachmann ist Kenner der internen Überwachungssysteme und weiß um die geheimen Wege zu den Ausgängen.
Beinahe wäre trotz aller sorgfältiger Vorbereitung noch ein Malheur passiert. Der alte Wachmann, der nie zuvor seine so behütete Mumie hat anfassen dürfen, erschrickt wie unter einem elektrischen Schlag bei der intimen Berührung. Zudem meldet sich sofort sein Gewissen, welches ihn auffordert, von jener Untat des Diebstahls abzusehen, was er selbst immer hat verhindern sollen. Es kostet den ungeduldigen Direktor durchaus Zeit, den mit sich kämpfenden Wachmann zu überreden. Erst mit der Drohung, ihn im Weigerungsfalle künftig nicht mehr ins Museum zu lassen, fällt die Entscheidung.
„Mensch, sie kriegen unsere geliebte Prinzessin geschenkt und jammern wie ein altes Waschweib! Also, los jetzt!“
Als die Mumie endlich auf der Rückbank des Dienstwagens verstaut ist, kann sich der Direktor kaum ein Lachen verkneifen. Der alte Wachmann, offenbar in größter Sorge um das Wohlergehen seiner schönen Prinzessin, kniet mit dem Rücken in Fahrtrichtung und hält schützend beide Arme um sie geschlungen. ‚Ja, pass nur gut auf, dass ihr nichts Übles geschieht! Immerhin ist sie ihr Geld doppelt wert, aber das wirst du erst erkennen, wenn du sie lange genug angeschaut hast. Dann werden auch dir die Zweifel an ihrer Echtheit kommen und du wirst sie zurückgeben und die andere dafür haben wollen. Du wirst denken, dass ich ein Schlitzohr gewesen sei und dich über den Tisch gezogen hätte. Du wirst die echte Mumie gegen meine tote Ehefrau zurücktauschen wollen. Ich werde dir den faulen Transfer nicht leicht machen, erst alles abstreiten, es dann doch zugeben, mich deiner Erpressung mit der Polizei scheinbar beugen. Oh, wie gerne werde ich dir die falsche überlassen, wenn du mir dafür die richtige wieder gibst! Dann kannst du dich um meine Ehefrau kümmern und sie befingern, wann und wo du auch immer willst. Du dummer‚ alter Mann!‘
Das hat sich der Museumsdirektor fein ausgedacht. Dem Alten würden irgendwann wirklich die Bedenken kommen, dass er die Fälschung statt des Originals erhalten hat, denn der Direktor würde doch niemals sein bestes Stück herausgeben. Dabei tut dieser genau das, rechnet mit dem bald aufflammenden Misstrauen des Wachmannes bezüglich der Authentizität seiner Beute. Er wird Auffälligkeiten finden, die gar nicht da sind, sondern nur als Phantome vor seinen Augen flimmern. Der Wachmann wird Krach schlagen ob des vermeintlichen Betrugs, und auf seinen Druck hin wird er diesem seine Frau überlassen und die echte Mumie zurücknehmen. Ein Psychospiel der feinen Subtilitäten. Perfekt!
Doch das große Schicksal sorgt für filigranere Verschlingungen als der kleine Mensch so plant. Ein anderes Ereignis schiebt sich dazwischen, verkompliziert alles. Eine Finanzrevision kündigt sich an! Offenbar ist bei einer internen Prüfung aufgefallen, dass nicht allein die Bankkonten des Museums gähnend leer sind, sondern auch der Kreditrahmen mehr als ausgereizt ist, sodass auf absehbare Zeit kein Geld für weitere Neuanschaffungen zur Verfügung steht. In derlei Dingen versteht die Finanzaufsicht selten Spaß. Noch ist es nur der Revisor, dem der Direktor jetzt ziemlich kleinlaut gegenüber sitzt. Nachdem er seinen Übergriff eingestanden und alles gebeichtet hat, kommt auch prompt die Strafpredigt:
„Was haben sie sich nur dabei gedacht, Guttmann? Sind sie von Sinnen? Geben den Etat für fast drei Jahre aus, um eine Mumie zu erstehen, deren Herkunft mehr als dubios ist!“
„Sie ist aber echt!“
Doch der Revisor wischt seinen Einwand einfach weg:
„Das behaupten sie, aber ob das so stimmt, mag dahingestellt sein. Was bleibt, ist ihr grobes Fehlverhalten, das schlicht inakzeptabel ist. Noch bin ich es, der hier recherchiert, aber in Kürze wird es ein ganzes Gremium sein, dem sie Rede und Antwort stehen müssen. Wie deren Befragung und auch letztlich die Entscheidung aussehen wird, das brauche ich ihnen wohl kaum näher zu erläutern!“
Dr. Guttmann sitzt wie ein Häuflein Elend und sieht bereits seine fristlose Kündigung wie ein Menetekel an der Wand. Gegen die Statuten verstoßen zu haben, dürfte sein Karriereende bedeuten. Der Revisor sieht die Zerknirschtheit, weist auf einen Ausweg hin:
„Mensch, Guttmann, machen sie Nägel mit Köpfen! Verkaufen sie das Ding! So schnell es geht! Subito! Legen sie das Geld in die Kasse zurück! Lassen sie eine Extra-Expertise anfertigen, damit die Sache nicht ruchbar wird, und dann weg mit dieser verdammten Mumie! Klar?“
Als Dr. Guttmann zustimmend nickt, legt ihm der Revisor zum Abschied jovial seine Hand auf die Schulter, orakelt:
„Ich habe mir ihre Mumie mal etwas genauer angesehen. Bin kein Fachmann, aber irgendetwas stimmt damit nicht. Doch, sei’s drum, sie kommt ja weg. Verkaufen sie sie einfach nach China! Ha, ha, ha! Und grüßen sie mir die werte Gemahlin! Wo treibt sie sich denn im Moment so rum? Verschollen in den unterirdischen Labyrinthen zwischen Giseh und Luxor, munkelt man. Na, nichts für ungut, solange sie nicht selbst als Mumie plötzlich irgendwo auftaucht. Ha, ha, ha!“
Diese fatale Wendung seines genialen Plans hat der Direktor nicht antizipieren können. Hat der Revisor nur geblufft oder ahnt er was? Er sitzt in der sprichwörtlichen Patsche, soll die Mumie seiner Frau verkaufen, die er doch dem Wachmann im Austausch für seine geliebte Prinzessin andrehen will! Eine vertrackte Situation! Er muss den Wachmann töten, um an die richtige Mumie zu kommen, denn dieser wird freiwillig keinen Verzicht leisten. Danach wird er seine Frau verkaufen, um das nötige Geld aufzutreiben. Doch wohin mit der Leiche des Wachmannes? Keine Frage, eine dritte Mumie muss her! Eile ist jetzt geboten, die leidige Angelegenheit duldet keinen Aufschub! Entschlossen steigt er hinab in den Museumskeller, um dort die nötigen Vorbereitungen für eine weitere Mumifizierung zu treffen. Für den Tipp des Revisors ist er sogar dankbar, denn auch der Wachmann wird dann auf seine letzte Reise nach China gehen. Damit könnte er sogar noch etwas Geld zuschießen, wenn der Verkauf seiner Frau nicht die benötigte Summe erbringen sollte.
Doch halt! Wieder greift ihm das Schicksal ins Steuerrad. Als er an einen Stapel der alten Kartons stößt, die da etwas unorthodox und wacklig übereinander stehen, und einer von ihnen zu Boden fällt und seinen Inhalt frei gibt, glaubt er, seinen Augen nicht trauen zu können. Er hebt das Ding auf, mustert es von allen Seiten und will es dann angewidert in den Karton zurückwerfen. Da kommt ihm eine Idee, über die er erst einmal lachen muss, so skurril scheint sie. Ist sie das wirklich? Nein, keinesfalls! Zumindest ist sie einen Versuch wert. Die ganze unappetitliche Sache würde damit erheblich verkürzt werden, und der alte Wachmann brauchte auch nicht zu sterben.