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Der fast taube Nicholas Quinn wird überraschend zum Mitglied des Verbands für Auslandsprüfungen der Oxford-Universität berufen. Quinn lebt sich schnell ein in die Welt der angesehenen Professoren, der Nachmittagssitzungen mit gutem Rotwein und der bequemen Ledersessel. Nur hat er kaum Gelegenheit, sich an seinem neuen Job zu erfreuen: Schon kurz nach seiner Ernennung wird Quinn vergiftet in seiner Wohnung aufgefunden. Ein Mord ohne die geringsten Anhaltspunkte – wie geschaffen für den brillanten Inspector Morse.
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2018
Nicholas Quinn, neu ernanntes Mitglied der Prüfungskommission der Oxford-Universität, lebt sich schnell ein in die Welt der angesehenen Professoren und bequemen Ledersessel. Bis er eines Tages vergiftet in seiner Wohnung aufgefunden wird. Ein Mord ohne die geringsten Anhaltspunkte – wie geschaffen für den brillanten Inspector Morse.
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Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft. Er ist der Schöpfer der vierzehnteiligen Krimireihe um Inspector Morse. Für sein Lebenswerk wurde er mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.
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Colin Dexter
Die schweigende Welt des Nicholas Quinn
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Ute Tanner
Ein Fall für Inspector Morse 3
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Unionsverlag
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Die englische Originalausgabe erschien 1977 bei Macmillan, London.
Die deutsche Erstausgabe erschien 1986 im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek.
Für die vorliegende Ausgabe hat Eva Berié die deutsche Übersetzung nach dem Original überarbeitet.
Originaltitel: The Silent World of Nicholas Quinn
Die erste Ausgabe dieses Werks im Unionsverlag erschien am 5.11.2018
© by Macmillan, an imprint of Pan Macmillan, a division of Macmillan Publishers International Limited 1977
Übernahme der Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlags, Reinbek
© by Unionsverlag, Zürich 2019
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Jorge Royan (Alamy Stock Foto)
Umschlaggestaltung: Sven Schrape und Peter Löffelholz
ISBN 978-3-293-31026-1
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
DIE SCHWEIGENDE WELT DES NICHOLAS QUINN
Prolog
Warum?
1 – Während die anderen vier sich in die Halle …
2 – Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatten radikale …
3 – Den ganzen Oktober über war der Gesundheitszustand des …
4 – Am Freitag, dem 21. November, bestieg ein etwa …
5 – Morse sah in den großen Spiegel vor sich …
6 – In den vergangenen zehn Jahren hatte der Verband …
7 – Bartlett konstatierte überrascht und etwas enttäuscht, dass der …
8 – Quinns Büro war geräumig und gut eingerichtet …
Wann?
9 – Morse hatte seit jeher nicht das geringste Interesse …
10 – Wenige der nach dem Zweiten Weltkrieg in Oxford …
11 – Bis auf die Tatsache, dass Mrs Greenaway …
12 – Der Polizeiwagen, weiß mit einem breiten hellblauen Querstreifen …
13 – Als Morse am nächsten Nachmittag um zwei mit …
14 – Christopher Roope war sofort zu einem Treffen mit …
15 – Was Sie fragen, ist mir völlig schnuppe« …
16 – Ogleby sah müde aus, und Morse entschloss sich …
17 – Morse saß in seinem Büro. Die Bartletts erwarteten …
18 – Mrs Bartlett hatte Morse sich irgendwie anders vorgestellt …
19 – Um Viertel vor elf stand Mrs Bartlett auf …
20 – Müde und unrasiert erschien Morse am nächsten Morgen …
21 – Eine Dreiviertelstunde später – die Uhr im Büro …
Wie?
22 – Am frühen Samstagabend gab Nigel Denniston sich einen …
23 – Vor Pinewood Close Nummer 1 stand ein Wagen …
24 – Lewis wartete am Montagvormittag vor dem Büro von …
25 – Sie hatten in dieser bösen Geschichte Glück und …
26 – Der Mann im Haus ist besorgt, aber einigermaßen …
27 – Am Mittwochvormittag legte Morse in der Geschäftsstelle des …
28 – Der Fall war praktisch gelaufen, und Morse hatte …
29 – Als Morse sich die Schüler betrachtete, die am …
30 – Um Viertel vor zehn betrat Mrs Seth das …
31 – Diesmal hatte man Lewis wunderbarerweise nicht im Dunkeln …
Wer?
32 – Die Geschäftsstelle war abgeschlossen, das Personal bis auf …
Epilog
Mehr über dieses Buch
Über Colin Dexter
Colin Dexter: »Ich liebe es, von einem Krimi an der Nase herumgeführt zu werden.«
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Tja, was meinen Sie?« Der Präsident des Verbandes für Auslandsprüfungen wandte sich mit seiner Frage direkt an Cedric Voss, den Vorsitzenden des Geschichtsausschusses.
»Nein, nein, lassen Sie erst mal hören, was unser Geschäftsführer meint. Schließlich sind es ja die Hauptamtlichen, die in erster Linie mit dem Mann leben müssen.« In nicht ganz so illustrer Gesellschaft hätte Voss hinzugefügt, dass es ihm herzlich egal war, welcher der Kandidaten den Job bekam. So aber rückte er sich nur in der für ihn typischen schläfrigen Pose wieder in dem bequemen blauen Ledersessel zurecht und hoffte von Herzen, dass man endlich zum Schluss kommen konnte. Die Sitzung dauerte schon fast drei Stunden.
Der Präsident wandte sich an seinen Nachbarn zur Linken, einen kleinen Mann von Mitte bis Ende fünfzig mit randloser Brille und einem knabenhaft verschmitzten Zwinkern. »Dann schießen Sie mal los, Dr. Bartlett.«
Bartlett, Geschäftsführer des Verbandes für Auslandsprüfungen, warf einen freundlichen Blick in die Runde, ehe er sich seinen sauber geschriebenen Notizen zuwandte. Er war solche Sachen gewohnt. »Mir scheint, wir gehen – ganz allgemein gesprochen, alles in allem« (der Präsident und etliche der älteren Kollegen zuckten merklich zusammen) »und generell – darin einig, dass uns eine sehr gute Auswahlliste vorgelegen hat. Die Bewerber machten alle einen recht kompetenten Eindruck, die meisten verfügten über ausreichende Erfahrung für den Posten. Aber …« Er zog wieder seine Notizen zurate. »Ja, also ganz ehrlich gesagt – ich würde mich nicht für eine der Frauen entscheiden. Die Bewerberin aus Cambridge war etwas – wie soll ich sagen – etwas schrill …« Er sah die Mitglieder der Auswahlkommission erwartungsvoll an, einige nickten lebhaft zustimmend. »Die andere schien mir doch eine Spur unerfahren, und einige ihrer Antworten haben mich – äh – innerlich nicht hundertprozentig überzeugt.« Auch jetzt war bei den schweigenden Zuhörern kein Zeichen von Widerspruch wahrzunehmen, und Bartlett streichelte recht zufrieden seinen runden Bauch.
»Kommen wir also zu den drei männlichen Bewerbern. Duckham? Ein bisschen vage, fand ich. Netter Junge, aber ich weiß nicht recht, ob er den Biss, das Durchsetzungsvermögen hat, das ich mir für unsere Geisteswissenschaften wünsche. Er steht in meiner Liste an dritter Stelle. Der Nächste wäre Quinn. Hat mir gefallen. Ehrlicher, intelligenter Bursche, entschiedene Ansichten, guter Kopf. Erfahrungen vielleicht nicht ganz ideal, und dann … Ja, um ganz ehrlich zu sein: Meiner Ansicht nach wäre seine – äh – Behinderung doch etwas zu belastend bei uns. Telefongespräche, Sitzungen und dergleichen, Sie wissen schon … Sehr bedauerlich, aber nicht wegzuleugnen. Ich habe ihn auf Platz zwei gesetzt. Bleibt Fielding. Vorbehaltlos mein Favorit. Verteufelt guter Lehrer, hervorragende Schülerleistungen, genau das richtige Alter, bescheiden, sympathisch. Historiker mit Einserexamen, Balliol. Glänzende Referenzen. Einen besseren Kandidaten könnten wir uns nicht wünschen, und ich spreche mich ohne Einschränkung für ihn aus, Herr Präsident.«
Der Präsident schloss recht ostentativ die Mappe mit den Bewerbungsunterlagen, nickte zustimmend und registrierte befriedigt weiteres Kopfnicken. Der Vorstand des Verbandes war vollständig vertreten, ein Dutzend angesehener Professoren aus Colleges der Universität Oxford, die sich zweimal im Semester im Hause des Verbandes einfanden, um die offiziellen Examensrichtlinien festzulegen. Keiner von ihnen arbeitete hauptamtlich für den Verband, keiner kassierte – bis auf die Reisekosten – einen Penny für die Teilnahme an den Sitzungen. Doch die meisten arbeiteten aktiv in den verschiedenen Fachausschüssen mit, stellten sich im Hinblick auf die profitablen Prozeduren der landesweit einheitlichen Prüfungen auf einen Standpunkt aufgeklärten Eigennutzes und betätigten sich im Juni und Juli, wenn ihre Studenten in den Semesterferien waren, als Prüfer bei den Examen an den staatlichen Schulen. Von den hauptamtlichen Mitarbeitern des Verbandes nahm nur Bartlett ex officio und ohne Stimmrecht an den Beratungen dieses Lenkungsgremiums teil, und mit Bartlett waren sie jetzt dreizehn. Doch der Präsident war nicht abergläubisch. Jetzt sah er sich wohlwollend um. Alles bewährte, vertrauenswürdige Kollegen, nur ein oder zwei der Jüngeren kannte er noch nicht näher. Etwas zu lange Haare. Und einer hatte einen Bart. Auch Quinn hatte einen Bart … Ach was! Die Entscheidung musste jetzt sehr bald fallen, und wenn er Glück hatte, konnte er noch vor sechs wieder im Lonsdale College sein. Heute war das jährliche Galadinner der Collegemitglieder und … Auf zum Endspurt.
»Wenn ich also davon ausgehen darf, dass der Ausschuss mit der Berufung von Fielding einverstanden ist, brauchen wir nur noch über sein Anfangsgehalt zu sprechen. Er ist – warten Sie –, ja, er ist vierunddreißig, da dürfte die unterste Gehaltsgruppe für die B-Dozenten –«
»Darf ich noch etwas sagen, Herr Präsident?« Es war einer der jüngeren Hochschullehrer. Einer der Langhaarigen. Der mit dem Bart. Ein Chemiker von Christ Church.
»Selbstverständlich, Mr Roope, ich wollte keinesfalls den Eindruck erwecken …«
»Für Sie scheint festzustehen, dass wir alle die Ansicht des Geschäftsführers teilen. Für die anderen mag das ja zutreffen, aber nicht für mich, und ich dachte, der Sinn dieser Sitzung sei es gerade –«
»Aber natürlich, Mr Roope. Wie gesagt, es tut mir leid, wenn ich den Eindruck erweckt haben sollte, dass – äh – ja … Das lag natürlich nicht in meiner Absicht. Ich persönlich hatte das Gefühl, wir hätten einen Konsens erreicht, aber wenn Sie meinen …«
»Danke, Herr Präsident. Es tut mir leid, aber ich kann mich mit der Rangfolge, die unser Geschäftsführer aufgestellt hat, nicht einverstanden erklären. Mir ist Fielding, ehrlich gesagt, zu glatt, zu sehr ein Jasagertyp. Ich habe nichts gegen geschmeidige Persönlichkeiten, aber ein Mensch ganz ohne Ecken und Kanten ist auch nicht ganz das Wahre.« Ein belustigtes Gemurmel erhob sich, und die eben noch wahrnehmbare leichte Spannung ließ merklich nach. Einige der älteren Kollegen hörten sich Roopes Ausführungen jetzt mit entschieden mehr Interesse und Aufmerksamkeit an. »Was die anderen Bewerber betrifft, gehe ich mit dem Geschäftsführer – wenn auch nicht unbedingt mit seinen Begründungen – einig.«
»Sie würden also Quinn an die erste Stelle setzen?«
»Auf jeden Fall. Er hat vernünftige Ansichten zum Prüfungswesen, und er hat einen guten Kopf. Was aber noch wichtiger ist – er scheint ein anständiger Kerl zu sein, und heutzutage –«
»Diesen Eindruck hatten Sie bei Fielding nicht?«
»Nein.«
Der Präsident ignorierte das hörbar geflüsterte »Unfug!« des Geschäftsführers, dankte Roope für seine Bemerkungen und blickte sich vage auffordernd um. Doch zunächst kamen keine weiteren Äußerungen. »Möchte noch jemand – äh …«
»Ich finde es reichlich unfair, wenn wir aufgrund einiger weniger Vorstellungsgespräche tiefschürfende Charakteranalysen erstellen«, sagte der Vorsitzende des Englisch-Ausschusses. »Gewiss, wir müssen uns alle unsere Meinung über die Bewerber bilden, nur deshalb sitzen wir ja hier zusammen. Aber ich bin, was die Rangfolge betrifft, derselben Ansicht wie unser Geschäftsführer.«
Roope lehnte sich zurück und blickte, einen gelben Bleistift zwischen den Zähnen balancierend, zur Decke.
»Noch jemand?«
Der Vizepräsident, der sich entsetzlich langweilte und es eilig hatte, hier herauszukommen, rutschte unruhig in seinem Sessel herum. Seine Aufzeichnungen bestanden aus einem kunstvoll komplizierten Schnörkelgebilde. Er bereicherte die schwungvolle Zeichnung um einen weiteren gekonnten Kringel, während er zu seinem ersten und letzten Diskussionsbeitrag ansetzte: »Beide sind offenbar gute Leute. Ich habe den Eindruck, dass es ziemlich egal ist, für welchen wir uns entscheiden. Wenn der Geschäftsführer Fielding haben will, bin ich für Fielding. Vielleicht könnten wir mal eben abstimmen?«
Etliche Ausschussmitglieder gaben gedämpft zustimmende Blöklaute von sich, und etwas missvergnügt schritt der Präsident zur Abstimmung. »Ich bitte um Handzeichen. Wer ist für Fielding?«
Sieben oder acht Hände hoben sich, doch dann ließ sich unvermittelt wieder Roope vernehmen, und die Hände senkten sich.
»Vor der Abstimmung hätte ich gern noch eine Auskunft von unserem Geschäftsführer. Bestimmt kann er mir auswendig sagen, was ich wissen will.«
Bartlett beäugte Roope mit frostiger Ablehnung, und einige Ausschussmitglieder hatten Mühe, Ärger und Ungeduld zu verbergen. Warum hatten sie nur Roope in dieses Gremium gewählt? Gewiss, er war ein glänzender Chemiker, und im Hinblick auf die Verpflichtungen des Verbandes, hatte man sich gesagt, war seine zweijährige Tätigkeit bei der Anglo-Arabian Oil Co. entschieden ein Plus. Aber er war zu jung, zu großspurig, zu laut und spektakulär. Wie ein ordinäres Schnellboot, das die ruhigen Gewässer der Verbandsregatta aufwühlte. Es war nicht sein erster Zusammenstoß mit dem Geschäftsführer. Und er arbeitete nicht einmal aktiv im Chemie-Ausschuss mit, machte keinen Finger für Prüfungen krumm. Er habe zu viel zu tun, behauptete er immer.
»Der Geschäftsführer wird sicherlich gern – äh – Worum geht es denn, Mr Roope?«
»Bekanntlich bin ich ja noch nicht allzu lange dabei, Herr Präsident, aber ich habe mir mal die Satzung des Verbandes angesehen und habe zufällig heute auch ein Exemplar mitgebracht.«
»Das fehlte noch«, brummelte der Vizepräsident.
»In Paragraf 23 – soll ich ihn vorlesen?«
Da die Hälfte der Anwesenden niemals die Satzung zu Gesicht bekommen, geschweige denn gelesen hatte, wäre es verfehlt gewesen, Vertrautheit mit dem Text vorzutäuschen, und der Präsident nickte widerstrebend.
»Hoffentlich nicht zu – äh – umfangreich, Mr Roope?«
»Nein, nein, ganz kurz. Ich zitiere: Der Verband wird sich bemühen, jederzeit im Auge zu behalten, dass er finanziell völlig auf öffentliche Mittel angewiesen ist und deswegen eine entsprechende Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit wie auch gegenüber seinen hauptamtlichen Mitarbeitern hat. Insbesondere verpflichtet er sich, einen kleinen Anteil behinderter Mitarbeiter einzustellen, sofern deren Behinderung der Ausführung der ihnen übertragenen Aufgaben nicht im Wege steht.« Roope klappte die schmale Akte zu und legte sie aus der Hand. »Und jetzt darf ich den Geschäftsführer bitten, uns mitzuteilen, wie viele behinderte Mitarbeiter zurzeit in unserem Verband tätig sind.«
Der Präsident wandte sich erneut an den Geschäftsführer, dessen gewohnte Liebenswürdigkeit offenbar wieder die Oberhand gewonnen hatte.
»Wir hatten mal einen Einäugigen in der Expedition …« Inmitten der ausbrechenden Heiterkeit ging der Vizepräsident, der mit einer schwachen Blase geschlagen war, hinaus, während Roope ohne jede Spur von Humor nachfasste:
»Der aber vermutlich nicht mehr bei uns ist?«
Bartlett schüttelte den Kopf. »Leider nein. Es stellte sich heraus, dass er eine unbezähmbare Schwäche hatte. Er klaute Toilettenpapier. Rollenweise. Und wir …« Der Rest des Satzes ging in wieherndem Gelächter unter, und es dauerte eine Weile, bis der Präsident die Ordnung wiederhergestellt hatte. Er wies darauf hin, dass es sich bei Paragraf 23 natürlich nicht um eine satzungsmäßige Festlegung, sondern um eine marginale Empfehlung im Interesse eines normalen zivilisierten – äh – Zusammenlebens handelte. Doch da hatte er sich offenbar im Ton vergriffen. Er hätte besser daran getan, den Geschäftsführer noch die eine oder andere Anekdote über seine misslichen Erfahrungen mit den vom Leben Benachteiligten zum Besten geben zu lassen. Aber die Weichenstellung war nun mal erfolgt, der behinderte Bewerber war wieder im Rennen. Er holte weiter auf, als Roope geschickt nachstieß:
»Ich möchte ja nur Folgendes wissen, Herr Präsident: Ist in unseren Augen Mr Quinns Schwerhörigkeit eine wesentliche Belastung für die Aufgabe, für die er vorgesehen ist?«
Bartlett übernahm die Antwort. »Da wäre, wie gesagt, zunächst mal das Telefon. Vielleicht übersieht Mr Roope nicht ganz, wie viele Gespräche bei uns eingehen und von uns geführt werden. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich darauf hinweise, dass ich mich da ein bisschen besser auskenne als er. Es ist ziemlich problematisch für einen Schwerhörigen –«
»Das nehme ich Ihnen nicht ab. Denken Sie mal an die vielen technischen Hilfsmittel, die es heutzutage gibt. Diese Dinger, die man hinter dem Ohr trägt zum Beispiel, wo das Mikrofon –«
»Ist Mr Roope persönlich mit jemandem bekannt, der schwerhörig ist und der –«
»Nein, aber –«
»Dann dürfte die Gefahr bestehen, dass er die damit verbundene Problematik unterschätzt, die –«
»Aber meine Herren!« Der Wortwechsel war zunehmend schärfer geworden, und der Präsident legte sich ins Mittel. »Wir sind uns wohl alle darüber einig, dass es hier durchaus Probleme gibt. Die Frage ist: Wie schwer wiegen sie?«
»Es geht ja nicht nur um das Telefon. Jedes Jahr finden Dutzende von Sitzungen statt, eine Sitzung wie diese hier zum Beispiel. Da sitzt einer auf derselben Tischseite, drei oder vier Plätze entfernt …« Bartlett geriet in Schwung und brachte sein Argument vor, ohne unterbrochen zu werden. Er wusste, dass er wieder festeren Boden unter den Füßen hatte. Auch bei ihm machte sich neuerdings eine leichte Schwerhörigkeit bemerkbar.
»Aber es dürfte die menschliche Intelligenz nicht überfordern, die Sitzordnung so zu gestalten, dass –«
»Natürlich nicht«, fuhr Bartlett dazwischen. »Und es dürfte die menschliche Intelligenz ebenfalls nicht überfordern, eine Batterie von Kopfhörern und Mikros und Gott weiß was aufzustellen, und notfalls können wir ja alle die Taubstummensprache lernen.«
Es wurde immer deutlicher, dass zwischen den beiden eine schwelende, sehr persönlich gefärbte Antipathie bestand, was die älteren Kollegen sich alle nicht so recht erklären konnten. Bartlett hatte normalerweise ein geradezu bewundernswert ausgeglichenes Temperament. Und er war noch nicht fertig. »Sie haben alle den Bericht der Klinik gelesen. Sie haben die Audiogramme gesehen. Es steht fest, dass Quinn sehr schwerhörig ist. Sehr schwerhörig.«
»Uns hat er offenbar alle hervorragend verstanden.« Roope sprach so leise, dass seine Worte Quinn, wäre er dabei gewesen, höchstwahrscheinlich entgangen wären. Aber den Anwesenden entgingen sie nicht, und es war klar, dass Roope einen Punkt für sich hatte verbuchen können. Einen dicken Punkt.
Der Präsident wandte sich wieder an den Geschäftsführer. »Hm. Eigentlich wirklich erstaunlich, dass er uns so gut verstanden hat, nicht?«
Eine Weile wurde planlos hin und her geredet, das Gespräch entfernte sich zunehmend von der noch immer ausstehenden Entscheidung. Mrs Seth, die Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses, dachte an ihren Vater. Er hatte mit Ende vierzig, als sie noch zur Schule ging, sehr rasch sein Gehör verloren und war entlassen worden. Arbeitslosengeld und eine dürftige Behindertenrente von der Firma – gewiss, sie hatten versucht, seiner Lage Rechnung zu tragen, fair zu sein. Aber er war ein so klarer, logischer Denker gewesen. Und er hatte nie wieder eine Stellung gefunden. Sein Selbstvertrauen war unwiederbringlich dahin. Dabei hätte er bei sehr vielen Posten seine Sache besser gemacht als die meisten dieser schlappen Typen, die den Hintern auf einem Bürostuhl wetzten. Tiefer Kummer und heftiger Zorn ergriffen sie bei dem Gedanken an ihn.
Plötzlich merkte sie, dass abgestimmt wurde. Fünf Hände hoben sich fast unverzüglich für Fielding. Mrs Seth fand, wie der Geschäftsführer, dass er wohl der beste Kandidat war. Sie würde auch für ihn stimmen. Aber merkwürdigerweise blieb ihre Hand auf der Schreibunterlage liegen.
»Und wer ist für Quinn?«
Drei der Anwesenden, einschließlich Roope, meldeten sich, ein Vierter … Der Präsident zählte, links beginnend: »Eins, zwei, drei … vier …« Da kam die nächste Hand, und er fing noch einmal von vorn an. »Eins, zwei, drei, vier, fünf … Es sieht aus …« Und dann ging langsam und dramatisch Mrs Seths Hand nach oben.
»Sechs. Nun gut, Sie haben entschieden, meine Damen und Herren. Quinn wird den Posten bekommen. Das Stimmenverhältnis ist knapp, sechs zu fünf, aber am Ausgang der Abstimmung besteht kein Zweifel.« Er wandte sich ziemlich befangen nach links. »Sind Sie zufrieden, Dr. Bartlett?«
»Sagen wir so: Jeder hat seine eigenen Ansichten, und meine Ansichten decken sich nicht mit denen der Auswahlkommission. Aber sie hat, wie Sie ganz richtig sagen, ihre Entscheidung getroffen, und ich muss sie akzeptieren.«
Roope lehnte sich zurück und sah wieder unbestimmt zur Decke hoch, den gelben Bleistift zwischen den Zähnen. Mochte er sich auch innerlich an seinem kleinen Triumph weiden – seine Miene blieb unbewegt, wirkte fast distanziert.
Zehn Minuten später gingen der Präsident und der Geschäftsführer nebeneinander die Treppe hinunter, die zum Erdgeschoss und zu Bartletts Büro führte. »Glauben Sie wirklich, dass wir einen schwerwiegenden Fehler gemacht haben, Tom?«
Bartlett blieb stehen und sah zu dem hochgewachsenen, grauhaarigen Theologen hoch. »Ja, Felix, das haben wir.«
Roope schob sich an ihnen vorbei. »Wiedersehen«, murmelte er.
»Äh – guten Abend«, sagte der Präsident, während Bartlett ziemlich betont schwieg und Roope nachsah, bis er verschwunden war. Erst dann ging er die letzten Stufen hinunter und betrat sein Büro.
Oberhalb der Tür war ein über zwei Schalter auf seinem Schreibtisch steuerbares zweifarbiges Signallämpchen angebracht, wie man es in Krankenhäusern hat. Der erste Schalter ließ ein rotes Licht aufleuchten und signalisierte, dass Bartlett eine Besprechung hatte und nicht gestört werden wollte. Der zweite Schalter aktivierte ein grünes Licht und bedeutete dem Einlass Begehrenden, er möge klopfen und näher treten. Wenn niemand die Schalter betätigte, brannte auch kein Licht, und man durfte folgern, dass das Büro nicht besetzt war. Seit Antritt seiner Stellung als Geschäftsführer des Verbandes für Auslandsprüfungen bestand Bartlett energisch darauf, dass jeder, der eine wichtige Angelegenheit mit ihm zu besprechen wünschte, gefälligst selbst für einen ungestörten und vertraulichen Ablauf des Gesprächs Sorge zu tragen habe. Seine Mitarbeiter akzeptierten diese Regelung und hielten sich in den meisten Fällen auch daran. Falls doch einmal – was selten vorkam – gegen diese Regel verstoßen wurde, ließ Bartlett eine für ihn ganz untypische Verärgerung erkennen.
Als er jetzt sein Zimmer betrat, schaltete er das rote Licht ein, öffnete ein Schränkchen und schenkte sich einen Gin mit trockenem Vermouth ein. Dann setzte er sich an den Schreibtisch und holte eine Schachtel Zigaretten heraus. In Sitzungen rauchte er nie, jetzt aber zündete er sich eine Zigarette an, inhalierte tief und nippte gemächlich an seinem Drink. Er würde morgen früh Quinn ein Telegramm schicken, jetzt war es dafür schon zu spät. Er griff noch einmal nach seiner Akte und las die Angaben über Quinn nach. Kein Zweifel, sie hatten sich für den Falschen entschieden. Und daran war nur Roope schuld, dieser verdammte Idiot.
Er räumte seine Papiere weg, schaffte Ordnung auf dem Schreibtisch und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Um seine Lippen lag ein leises, eigentümliches Lächeln.
Während die anderen vier sich in die Halle des Cherwell-Motels setzten, ging er zur Bar und bestellte den Aperitif: Zwei Gin-and-Tonics, zwei halbtrockene Sherrys und einen trockenen Sherry. Letzteren hatte er für sich geordert. Er liebte trockenen Sherry.
»Schreiben Sie es auf die Rechnung des Verbandes für Auslandsprüfungen, bitte. Wir wollen hier essen. Bitte sagen Sie dem Ober Bescheid, wir sitzen da drüben.« Sein nordenglischer Akzent schlug noch durch, allerdings nicht mehr so merklich wie früher.
»Hatten Sie einen Tisch bestellt, Sir?«
Das »Sir« tat ihm gut. »Ja. Auf den Namen Quinn.« Er griff sich eine Handvoll Erdnüsse und das Tablett mit den Gläsern und setzte sich zu den anderen Historikern.
Es war seine dritte Sitzung seit Antritt seiner Stellung, weitere würden folgen. Er machte es sich in dem niedrigen Ledersessel bequem, trank sein Glas auf einen Zug halb leer und sah auf den lebhaften Mittagsverkehr hinaus, der über die A40 rollte. So ließ es sich leben. Ein gutes Essen, Wein, Kaffee – und dann zurück in die Beratungen. Wenn er Glück hatte, war um fünf Schluss, vielleicht schon früher. Die Vormittagssitzung war konzentriert und anstrengend gewesen, aber sie waren gut vorangekommen. Die Prüfungsbögen über die Zeiträume von den Kreuzzügen bis zum englischen Bürgerkrieg standen. In dieser Form würden sie im Sommer den Kandidaten für den Mittelschulabschluss im Fach Geschichte vorgelegt werden. Es fehlte nur noch die Fortsetzung – von den Hannoveranern bis zum Versailler Vertrag –, und in moderner Geschichte kannte er sich sehr viel besser aus. In der Schule war Geschichte sein Lieblingsfach gewesen, und seinen Leistungen auf diesem Gebiet verdankte er auch sein Stipendium für Cambridge. Doch nach der Vorprüfung war er auf Englisch umgestiegen, und an der Priestley Grammar School in Bradford, nur einige zwanzig Meilen von seinem Heimatdorf in Yorkshire entfernt, als Englischlehrer eingestellt worden. Rückblickend begriff er, was für ein Glücksfall es gewesen war, dass er auf Englisch umgesattelt hatte. In der Stellenausschreibung waren Lehrerfahrung in Geschichte und Englisch zur Bedingung gemacht worden, und er hatte sich durchaus eine Chance ausgerechnet. Dass er den Posten tatsächlich bekommen hatte, konnte er allerdings noch immer nicht so ganz fassen. Nicht, dass seine Schwerhörigkeit …
»Die Speisekarte, Sir.«
Quinn hatte den Ober nicht kommen hören, er bemerkte ihn erst, als sich die ausladende Karte in sein Gesichtsfeld schob. Ja, vielleicht war seine Schwerhörigkeit doch ein größeres Handicap, als er gedacht hatte. Bisher allerdings war alles erstaunlich gut gelaufen.
Wie die anderen lehnte er sich zurück und studierte die verwirrende Vielfalt der Möglichkeiten auf der Speisekarte. Teuer war fast alles, aber, wie er von seinen beiden früheren Besuchen wusste, von ausgezeichneter Qualität. Hoffentlich wählten die anderen nicht etwas zu Ausgefallenes. Bartlett hatte nach dem letzten Gelage diskret darauf hingewiesen, dass die Rechnung vielleicht eine Spur zu hoch gewesen sei. Die Tagessuppe und danach Schinken mit Ananas, überlegte er, das würde wohl selbst bei den derzeitigen angespannten Verhältnissen den Verband nicht überstrapazieren. Und einen Schluck Rotwein durfte man sich auch noch leisten. Ein anderer Wein stand ohnehin nicht zur Diskussion, das wusste er inzwischen. In Oxford wurde ständig Rotwein getrunken – sogar zur Seezunge.
»Noch Zeit für eine zweite Runde, wie?« Cedric Voss, Vorsitzender der Historiker, schob sein leeres Glas über den Tisch. »Austrinken, Leute. Wir brauchen eine Stärkung für heute Nachmittag.«
Quinn griff sich brav die Gläser und ging zur Bar hinüber, wo soeben eine Gruppe gut betuchter Geschäftsleute eingefallen war. Dass er fünf Minuten warten musste, trug nicht dazu bei, den vagen Groll zu beschwichtigen, der sich in ihm regte.
Als er an den Tisch zurückkam, war der Ober gerade dabei, die Bestellungen aufzunehmen. Nachdem Voss in Erfahrung gebracht hatte, dass die Kirschen aus der Dose und die Erbsen aus der Tiefkühltruhe stammten und das Steak vom Wochenende war, nahm er von seiner ursprünglichen Wahl Abstand und entschied sich für Schnecken und Hummer, und Quinn zuckte innerlich zusammen, als er die Preise sah. Sie machten das Dreifache seiner bescheidenen Bestellung aus. Er hatte sich bewusst keinen zweiten Drink geholt (obgleich er mit dem größten Vergnügen noch drei oder vier gekippt hätte). Ziemlich unglücklich setzte er sich wieder hin und besah sich die große Luftaufnahme des Stadtkerns von Oxford, die an der Wand hing. Eigentlich recht eindrucksvoll. Die Komplexe von Brasenose und Queen’s und …
»Trinken Sie nichts, Nicholas, alter Junge?« Es war das erste Mal, dass Voss ihn mit Vornamen anredete, und der Groll verflüchtigte sich schlagartig.
»Nein, ich –«
»Hat der alte Bartlett mal wieder über die Kosten gejammert? Das können Sie vergessen. Was glauben Sie, was es den Verband gekostet hat, ihn letztes Jahr in die Ölstaaten zu schicken? Einen ganzen Monat. Allein die Bauchtänzerinnen …«
»Wein zum Essen, Sir?«
Quinn reichte die Weinkarte an Voss weiter, der sie mit professioneller Gier studierte. »Sind alle für Rot?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Das ist ein guter Tropfen, alter Junge.« Er deutete mit seinem Wurstfinger auf einen der Burgunder. »Feiner Jahrgang.«
Quinn stellte fest (aber er hätte es ohnehin gewusst), dass es der teuerste Wein auf der Karte war, und bestellte eine Flasche.
»Mit einer werden wir nicht weit kommen … Schließlich sind wir zu fünft …«
»Anderthalb also?«
»Nein, mein Junge. Zwei. Oder was meinen Sie, meine Herren?«
Die anderen nahmen die Anregung nur zu gern auf.
»Zweimal die Nummer fünf«, bestellte Quinn ergeben. Der Groll begann wieder zu nagen.
»Und machen Sie bitte beide gleich auf«, ergänzte Voss.
Im Restaurant setzte sich Quinn an die linke Ecke. Rechts neben sich hatte er Voss, zwei Mitglieder der Gruppe direkt gegenüber, den Fünften am Kopf der Tafel. Diese Sitzordnung hatte sich als besonders günstig erwiesen. Zwar konnte er die Lippen von Voss kaum beobachten, aber aus dieser geringen Entfernung konnte er ihn noch verstehen. Die anderen sah er deutlich. Auch Lippenlesen hatte seine Grenzen, es nutzte ihm wenig, wenn jemand beim Sprechen nicht den Mund aufmachte oder die Hand vor die Lippen hielt, und wenn der Sprecher einem den Rücken zuwandte oder das Licht ausging, war sowieso alle Liebesmüh vergebens. Aber normalerweise war es ganz erstaunlich, was man mit dieser Fertigkeit anfangen konnte. Quinn hatte vor sechs Jahren damit begonnen und überrascht festgestellt, wie leicht es ihm fiel. Er musste wohl eine seltene Begabung dafür haben. Er war so viel weiter als die anderen im ersten Kurs, dass sein Lehrer schon nach zwei Wochen meinte, er sei wohl im zweiten Kurs besser aufgehoben, und auch da war er der Beste gewesen. Er konnte sich dieses Talent selbst nicht erklären. So, wie es Zeitgenossen gab, die besonders dafür geeignet waren, einen Fußball zu kicken oder Klavier zu spielen, hatte er eben die Begabung, anderen Menschen die Worte von den Lippen abzulesen. So einfach war das. Inzwischen hatte er sich darin so vervollkommnet, dass er sich manchmal einbilden konnte, wieder richtig zu hören. Ganz hatte er sein Hörvermögen ja auch noch nicht verloren. Die teure Hörhilfe am rechten Ohr (links war er völlig taub) verstärkte den Ton aus nächster Nähe so weit, dass er deutlich verstand, wie Voss, dem gerade die Schnecken serviert wurden, bemerkte:
»Wie sagte der alte Sam Johnson doch gleich? ›Wer keine Rücksicht auf seinen Bauch nimmt, dem ist auch sonst keinerlei Rücksicht zuzutrauen.‹ Oder so ähnlich.« Er stopfte sich eine Serviette in den Hosenbund und fixierte den Teller wie Dracula, der sich daranmacht, seine Zähne in eine Jungfrau zu schlagen.
Der Wein war gut, und Quinn hatte genau darauf geachtet, wie Voss ihn handhabte. Wunderbar machte er das, wirklich. Nachdem er sich in das Etikett vertieft hatte wie ein zurückgebliebenes Kind, das versucht, in die Geheimnisse des Alphabets einzudringen, testete er die Temperatur des Weins, indem er leicht und liebevoll die Hände um den Flaschenhals legte. Dann, als der Ober einen Zentimeter des rubinroten Saftes in sein Glas gegossen hatte, kostete er ihn nicht etwa, sondern erschnupperte vier- oder fünfmal argwöhnisch das Bukett wie ein dressierter Schäferhund, der nach Dynamit fahndet. »Nicht übel«, sagte er schließlich. »Schenken Sie ein.«
Quinn merkte sich die Prozedur, so würde er es beim nächsten Mal auch machen. »Und drehen Sie das verdammte Gedudel ein bisschen leiser«, brüllte Voss, als der Ober sich zurückzog. »Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen.« Die Musik wurde um einige Dezibel zurückgenommen, und ein einsamer Esser von einem der benachbarten Tische kam herüber und bedankte sich. Quinn selbst hatte die Hintergrundmusik gar nicht wahrgenommen.
Als schließlich der Kaffee kam, fühlte sich Quinn ausgeglichener, aber auch ein bisschen benommen. Er wusste nicht mehr genau, ob nun Richard III. am Ersten Kreuzzug oder Richard I. am Dritten Kreuzzug teilgenommen oder ob überhaupt ein Richard bei einem der Kreuzzüge mitgemischt hatte. Das Leben war plötzlich wieder eine schöne, runde Sache. Er dachte an Monica. Vielleicht ging er mal bei ihr vorbei, nur ganz kurz, ehe die Nachmittagssitzung anfing. Monica … Es lag wohl am Wein.
Zwanzig vor drei trafen sie wieder in der Geschäftsstelle des Verbandes ein, und während die anderen gemächlich zum Sitzungszimmer hinaufstiegen, ging Quinn rasch den Gang entlang und klopfte leise an die hinterste Tür rechts, auf deren Schild der Name MISS M. M. HEIGHT stand. Er machte versuchsweise die Tür auf und sah hinein. Das Zimmer war leer. Aber unter einem Briefbeschwerer auf dem aufgeräumten Schreibtisch lag gut sichtbar ein Zettel, und er trat näher, um ihn zu lesen. »Bin bei Paolo. Um drei zurück.« Das war typisch für den Umgang hier im Büro. Bartlett störte es nicht, wenn seine Mitarbeiter kamen und gingen, wie sie wollten, sofern ihre Arbeit nicht liegen blieb. Allerdings bestand er strikt darauf (es war fast schon ein Tick), dass alle ihm stets hinterließen, wo sie zu erreichen waren. Monica war also beim Friseur. Auch nicht weiter schlimm, er hätte sowieso nicht gewusst, was er sagen sollte. Vielleicht war es sogar besser so, morgen früh sahen sie sich ja ohnehin wieder.
Er ging zu den anderen in den Sitzungsraum, wo Cedric Voss in seinem Sessel lag, die Augen halb geschlossen, ein stupides Grinsen auf den schlaffen, schläfrigen Zügen. »Wenn ich bitten darf, meine Herren … könnten wir wohl versuchen, den Hannoveranern unsere Aufmerksamkeit zu schenken?«
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatten radikale Reformen in Oxford eingesetzt, und bis zur Jahrhundertwende waren durch zahlreiche Kommissionen, Gesetze und Verordnungen Änderungen eingeleitet worden, die das Leben in Stadt und Universität von Grund auf verändern sollten. In die Lehrpläne der Hochschule wurden die aufstrebenden Naturwissenschaften und neuere Geschichte aufgenommen. Das unter Benjamin Jowett in Balliol entstandene hohe akademische Niveau wurde allmählich auch in den anderen Colleges eingeführt. Die Einrichtung von Lehrstühlen brachte zunehmend Gelehrte von internationalem Ruf nach Oxford. Die Säkularisierung der Hochschullehrerposten begann, den traditionellen, religiös bestimmten Rahmen universitärer Disziplin und Administration zu sprengen. Junge Männer römisch-katholischen und mosaischen Glaubens und Angehörige anderer merkwürdiger Bekenntnisse wurden jetzt als Studenten zugelassen und nicht mehr nolens volens mit Cicero und Chrysostomus aufgezogen. Doch vor allem lag die Lehrtätigkeit an der Hochschule nicht mehr allein in den Händen zölibatärer, weltfremder Geistlicher, von denen etliche, wie zu Gibbons Zeit, wohl wussten, dass ihnen ein Gehalt zustand, darüber aber vergaßen, dass sie auch entsprechende Pflichten hatten. Viele der neu berufenen und auch einige der alteingesessenen Hochschullehrer verzichteten auf die Annehmlichkeiten der Junggesellenräumlichkeiten im College, verehelichten sich, kauften ein Haus für sich, ihre Frau, ihre Sprösslinge und Dienstboten in unmittelbarer Nähe des alten geistigen Zentrums von Holywell und High Street, Broad Street und St. Giles. Insbesondere breiteten sie sich nördlich der breiten, baumbestandenen St. Giles aus – dort, wo die Woodstock Road und die Banbury Road zu den Feldern von Nord-Oxford hinausgehen, in Richtung des Dörfchens Summertown.
Wer heute Oxford besucht und sich von der St. Giles nach Norden wendet, ist beeindruckt von den meist aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden imposanten Häusern in der Woodstock Road und in der Banbury Road und ihren Querstraßen. Von den verwitterten gelben Gesimsen um die weiß gestrichenen Fensterrahmen abgesehen, sind diese dreigeschossigen Häuser aus hübschem rötlichen Backstein. Die steilen Dächer haben kleine rechteckige Ziegel in einem eher orangeroten Ton, zahlreiche Schornsteine erheben sich über den Giebelfenstern. Dass solche Häuser heutzutage noch von einer einzigen Familie bewohnt werden, kommt nur ganz selten vor. Dazu sind sie zu groß, zu kalt, zu teuer im Unterhalt, die Umlagen sind zu hoch, die Gehälter (angeblich) zu niedrig, und die rapide im Aussterben begriffene Spezies der Hausangestellten verlangt einen Farbfernseher im Wohnzimmer. Die meisten Häuser sind deshalb in Mietwohnungen aufgeteilt, zu Hotels umgebaut, von Ärzten, Zahnärzten, Sprachschulen für Ausländer, Fachbereichen der Universität und Krankenhäusern übernommen – und in einem großen, gut ausgestatteten Gebäude in der Chaucer Road ist der Verband für Auslandsprüfungen untergebracht.
Das Haus ist etwa zwanzig Meter von der verhältnismäßig ruhigen Straße zurückgesetzt, die die belebten Durchgangsstraßen Banbury Road und Woodstock Road verbindet, und neugierigen Blicken durch eine Reihe von Rosskastanien entzogen. Von vorn ist es über eine gekieste Auffahrt zu erreichen, an der etwa ein Dutzend Wagen parken können. Doch das Personal der Geschäftsstelle ist neuerdings so angewachsen, dass dieser Platz inzwischen nicht mehr ausreicht, und die Auffahrt ist nach links verlängert worden und führt zu einem kleinen betonierten Hof an der Rückseite, wo die akademischen Mitarbeiter ihre Wagen abstellen.
In dem Verband sind fünf Akademiker als hauptamtliche Mitarbeiter tätig, vier Männer und eine Frau. Jeder betreut in erster Linie das Fachgebiet, das er oder sie studiert und später gelehrt hat. Denn als eherne Regel gilt, dass kein Akademiker Chancen hat, eine Stellung bei dem Verband zu bekommen, wenn er nicht mindestens fünf Jahre Erfahrung im Schuldienst vorweisen kann. Die Namen der fünf Akademiker stehen in dicken blauen Buchstaben auf dem Briefbogen des Verbandes. Und auf solchen Bögen tippen am Freitag, dem 31. Oktober (dem Tag nach Quinns Beratungen mit den Historikern), in einem großen umgebauten Schlafzimmer im ersten Stock vier der fünf Sekretärinnen Briefe an die Direktoren und Direktorinnen jener Schulen im Ausland (eine erlesene, aber wachsende Schar), die bei der staatlichen Prüfung ihre Kandidaten für den Realschulabschluss und die Hochschulzulassung dem Wohlwollen und dem Fachverstand des Verbandes anvertrauen. Die vier jungen Frauen bearbeiten die Tasten ihrer Schreibmaschine mit unterschiedlichem Geschick. Häufig beugt sich eine vor, um einen Tippfehler oder einen Buchstabendreher zu beseitigen. Gelegentlich wird ein Blatt aus der Maschine gerissen, das Kohlepapier gerettet, aber Brief und Durchschläge werden wütend in den Papierkorb gepfeffert. Die fünfte Sekretärin, die sich bisher in Woman’s Weekly vertieft hatte, legt sie jetzt beiseite und schlägt ihren Stenoblock auf. Irgendwann muss man ja mal anfangen. Automatisch greift sie zum Lineal und streicht sauber den dritten Namen auf dem Briefkopf durch. Dr. Bartlett hat angeordnet, dass die Sekretärinnen jedes Blatt von Hand zu verbessern haben, bis die neuen Briefbögen geliefert worden sind – und Margaret Freeman tut meist, was ihr gesagt wird.
T. G. Bartlett, Dr. phil., M. A., Geschäftsführer
P. Ogleby, M. A., Stellvertretender Geschäftsführer
G. Bland; M. A.
Miss M. M. Height, M. A.
D. J. Martin, B. A.
Unter den letzten Namen tippt sie: »N. Quinn, M. A.« So heißt ihr neuer Boss.
Nachdem Margaret Freeman gegangen war, öffnete Quinn einen seiner Aktenschränke und holte die Entwürfe der Prüfungsbögen für Geschichte heraus. Noch ein, zwei Stunden, dann konnten sie in Druck gehen. Alles in allem war er mit seinem Leben recht zufrieden. Das Diktieren (eine für ihn völlig neue Tätigkeit) war gut gelaufen; allmählich kam er dahinter, wie man es anstellt, seine Gedanken unmittelbar in gesprochene Worte umzusetzen, ohne sie erst aufschreiben zu müssen. Und er war sein eigener Herr. Bartlett verstand sich auf die Kunst des Delegierens, und sofern nicht ganz grobe Schnitzer vorkamen, ließ er seine Mitarbeiter völlig selbstständig schalten und walten. Ja, Quinn hatte Spaß an seinem neuen Job. Nur die Telefone machten ihm Kummer und brachten ihn, wie er selbst zugab, immer wieder in die größte Verlegenheit. In jedem Büro standen zwei Apparate, ein weißer für interne Verbindungen, ein grauer für Amtsgespräche. Da hockten sie nun, dick und drohend, rechts von Quinn, und er betete darum, dass sie Ruhe gaben, denn noch immer konnte er das Gefühl der Panik nicht bezwingen, das in ihm aufstieg, wenn ihr leises, fernes Schnarren ihn zwang, den einen oder anderen Hörer abzunehmen (er wusste nie, welchen). Doch an diesem Vormittag blieben beide Apparate still, und Quinn übertrug ruhig und konzentriert die vereinbarten Änderungen in die Prüfungsbögen. Um Viertel vor eins war er mit vier der Fragebögen fertig und stellte angenehm überrascht fest, wie rasch der Vormittag vergangen war. Er schloss die Unterlagen ein (Bartlett war in Sicherheitsfragen unheimlich pingelig) und überlegte, ob Monica wohl mit ihm auf einen Drink und ein Sandwich ins Horse and Trumpet
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