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Unsere Freiheit steht auf dem Spiel. Autoritäre und rechte Kräfte gewinnen rasant an Einfluss, die EU steht plötzlich allein da. Friedrich Merz’ Regierung reagiert darauf mit Milliarden: Deutschland rüstet auf, zum Schutz vor aggressiven Autokraten. Aber diese Sicherheit ist eine Illusion: Weder der Kanzler noch EU-Chefin Ursula von der Leyen haben Lehren gezogen aus Putins Angriffskrieg und Trumps Außenpolitik. Dabei ist es simpel: Solange wir Energie von Autokraten und unvorhersehbaren US-Präsidenten kaufen, werden wir nicht sicher leben. Was passiert, wenn sie in Handelskonflikten den Gashahn zudrehen? Wenn in Kriegszeiten Öltanker versenkt werden? Kann eine Armee uns schützen, deren Waffen und Panzer nur mit importierter Energie funktionieren? Während die USA, China und Russland ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen, wird Europa zum erpressbaren Bittsteller um Energie. Seit 25 Jahren beobachten Susanne Götze und Annika Joeres die deutsche und europäische Politik. Mit fundierten Recherchen informieren sie über Klima, Umwelt und Energie – stets nüchtern. Nun legen sie erstmals eine Streitschrift vor, einen Weckruf: Europa muss entschlossen auf erneuerbare Energien und Unabhängigkeit setzen. Nur so können wir den Teufelskreis fossiler Aufrüstung für fossile Konflikte durchbrechen. Eine scharfe Analyse – unbedingt lesen, bevor es zu spät ist.
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Seitenzahl: 93
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2025 oekom verlag, München
oekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation
mit beschränkter Haftung
Goethestraße 28, 80336 München
+49 89 544184-200
Lektorat: Laura Kohlrausch
Korrektorat: Maike Specht
Satz: Tobias Wantzen, Bremen
Druck: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg
ISBN: 978-3-98726-197-8
https://doi.org/10.14512/9783987264917
SUSANNE GÖTZE
ANNIKA JOERES
DIE SICHERHEITSLÜGE
Wie Europa sich mit Waffen schützen will – aber mit Öl und Gas erpressbar macht
Eine Streitschrift
Kapitel I Europa steht allein
Fachleute warnen vor »Siechtum Europas« _Die Merz-Regierung: Feuer mit Öl löschen _Willentlich ausgeblendete Gefahr _Das Handels-Friedensmärchen _Unabhängigkeit als Überlebensstrategie
Kapitel II Deutschland: Verletzbar an allen Fronten
Stellt euch vor, es ist Krieg und keiner kommt vom Fleck _Nistkästen auf Truppenübungsplätzen _Lieferketten unter Beschuss _Jede Raffinerie ist ein Sicherheitsrisiko _Bei Naturkatastrophen helfen – und sie verschlimmern
Kapitel III Bedrohung von innen und außen
Das System hinter Trump _Die nationalistische Allianz der Abhängigen _Die AfD: »Ausländer raus, ausländisches Öl rein« _Lobbyismus gegen deutsche Unabhängigkeit _Wir finanzieren die Zerstörung der Demokratie _Die Kriegskassen klingeln _Welche dubiosen Regime könnten wir noch unterstützen?
Kapitel IV Unabhängigkeit ist möglich
Lokale Energie: Konzerne hassen diesen Trick _Das Öl und die Männlichkeit _»Grünes« Militär _Europa muss sich von China befreien _Das große Tabu: Energie einsparen
Kapitel V Souveräne Sicherheit
Anmerkungen
KAPITEL I
Dieses Buch dürfte nicht existieren. Es ist das Zeugnis jahrzehntelangen politischen Versagens. Es wäre überflüssig, hätten Regierungen und Konzerne aus der Vergangenheit gelernt und der Realität ins Auge geblickt.
Wir hatten nie vor, diese Streitschrift zu verfassen: Im Frühsommer 2025 lag die Kraftanstrengung unseres gerade erschienenen Buches hinter uns – eigentlich ein guter Moment, um kurz durchzuatmen. Doch die neue Bundesregierung machte Fehler, gravierende Fehler: Sie versprach Sicherheit, begann aber prompt, die Energiewende zu sabotieren. Blind forcierte sie weitere Öl- und Gasverträge, während der Iran drohte, die Straße von Hormus zu blockieren – die wichtigste Route für Öl- und Gastanker. Gleichzeitig versenkten Huthi-Rebellen Lieferschiffe im Roten Meer, Trump zwang der EU mit dreister Erpressung für Hunderte Milliarden Dollar Flüssiggas auf und pries dies als »besten Deal der Geschichte«. Wir waren fassungslos. Das soll Sicherheitspolitik sein? Uns von solchen Regenten immer weiter abhängig zu machen? Dass die Regierung unter Friedrich Merz die nationale Sicherheit, ein konservatives Kernthema, derart missachtet, ließ uns nicht los. Also schrieben wir die heißen Sommernächte durch. Dieses Buch dürfte nicht existieren, aber hier ist es.
Die geopolitischen Ereignisse, die sich gerade abspielen, sollten jedem von uns den Schlaf rauben. Denn Deutschland und die EU sind in eine Falle getappt – die gerade zuschnappt. Seit den 2020er-Jahren wird die Welt feindseliger. Verlässliche Handelspartner wie Russland brechen weg, treue Verbündete wie die USA wenden sich ab. Wir aber können uns nicht abwenden: Deutschland und die EU hängen weiterhin an Energiequellen aus Ländern, die uns nicht mehr wohlgesinnt sind – oder es nie waren. Die Probleme liegen auf der Hand, und doch dreht sich die Debatte über Sicherheit fast ausschließlich um Aufrüstung, kaum um Unabhängigkeit.
Unser unersättlicher Hunger nach Öl und Gas hat schon immer Leben gefährdet, weil ihre Verbrennung den Klimawandel anheizt. In der veränderten geopolitischen Lage stellen sie jedoch noch ein ganz anderes, unmittelbares Sicherheitsrisiko dar: Weil wir sie importieren müssen, sind wir erpressbar, weltpolitisch geschwächt und verletzlich. Fachleute haben für solche Zwänge einen Begriff: »weaponizable dependencies«, Abhängigkeiten, die als Waffe eingesetzt werden können. Die EU deckt über 90 Prozent ihres Gas- und Ölbedarfs durch Importe, nur ein winziger Bruchteil stammt aus eigenen Vorkommen. Ohne Energie aus der ganzen Welt wäre Deutschland ein Agrarland. Und kein Exportweltmeister.1
Die aktuelle schwarz-rote Regierung unter Friedrich Merz und Europas Führung unter Ursula von der Leyen verfolgen eine hochriskante Politik. Energie ist längst eine Waffe im geopolitischen Machtspiel und muss als solche benannt werden. Sicherheit schaffen nur heimische Energiequellen – Europa hat aber schlicht wenig Öl- und Gasvorkommen (was wir zur Genüge hätten, wären Wind und Sonne). Solange die Europäer sich entscheiden, ihre Energie bei einem Old-Boys-Club aus Öl-Autokraten, Trump-Anhängern und rückwärtsgewandten Wirtschaftsvertretern einzukaufen, sind wir diesen ausgeliefert. Einem Club, dem tatsächlich fast nur Männer angehören, weshalb in diesem Buch übrigens nur selten gegendert wird.
Diese Erpressung findet längst statt: Erst drehte Putin den russischen Gashahn ab. Nun setzen weitere Geschäftspartner Europa unter Druck: Mal muss von der Leyen zusagen, für 750 Milliarden Euro Flüssigerdgas (LNG) aus den USA zu kaufen, um US-Präsident Donald Trump bei den Zollverhandlungen zu besänftigen. Mal verlangt Katar, die EU solle ihr Lieferkettengesetz – gedacht, um Arbeiterinnen und Arbeiter zu schützen – massiv abschwächen, andernfalls blieben seine LNG-Lieferungen aus.2
Diese Exportländer können Deutschland jederzeit unter Druck setzen. Ein mögliches Szenario: Die USA oder Länder aus dem Nahen Osten drosseln ihre Lieferungen oder erhöhen willkürlich die Preise. Die deutsche Industrie bräche ein, könnte ihre Produkte kaum noch auf dem Weltmarkt verkaufen. Viele Bürgerinnen und Bürger müssten schlagartig mehr bezahlen für ihre Tankfüllung und warme Wohnungen. Die deutschen Gas- und Ölspeicher reichen nur für wenige Wochen. Eine Knappheit bedroht die gesamte Gesellschaft: Es fährt kein Auto, kein Feld wird gedüngt, kein Stahl entsteht. Das ist ein ernstes Sicherheitsproblem – unser Alltag funktioniert nur dank dieser Importe. Ohne sie gehen Jobs verloren, drohen Unruhen, Regierungskrisen und geraten Geringverdiener in Not. Um die Krise zu bewältigen und mehr Öl und Gas zu beschaffen, schließt Deutschland immer fragwürdigere Geschäfte ab.
Bei Importen aus Russland kommt noch ein weiterer bedrohlicher Faktor hinzu: Wir finanzieren gegen unseren Willen Kriegsparteien. Zwar beschwören unzählige Reden im Bundestag, wie gefährlich Russland ist. Bundeskanzler Merz behauptete gar, Deutschland sei »im Krieg« mit Russland. Verschwiegen wird dabei jedoch geflissentlich, dass wir immer noch Milliarden Kubikmeter Erdgas von der Halbinsel Jamal in Sibirien nach Europa verschiffen, Tendenz steigend. 2024 zahlten EU-Länder noch rund 22 Milliarden Euro für Energie aus Russland.3 Dabei geht es nicht nur um Gas, sondern auch um Öl: Laut der europäischen Investigativredaktion »Follow the Money« liefern rund 600 Tanker unter falscher Flagge russisches Öl nach Europa, was dem Kreml jedes Jahr einen Profit von rund 900 Milliarden Euro einspielt.4 Deutschland verurteilt Russlands Angriffskrieg – und überweist dennoch enorme Summen an Putin. Der Autokrat überfällt Nachbarstaaten, und die EU schafft es nicht, ihn erfolgreich zu sanktionieren.
Warum europäische Konzerne Russland und anderen Staaten weiterhin kopflos Geld überweisen, ist offensichtlich – doch kaum jemand spricht es aus: Unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zwingt uns, moralische und strategische Bedenken beiseitezuschieben. In jeder Bundestagsdebatte pochen Abgeordnete auf Prinzipien, betonen etwa unsere Pflicht, der ukrainischen Bevölkerung aus Menschlichkeit zu helfen. Sie argumentieren, die Waffenlieferungen an die Ukraine schützten auch Deutschland vor künftigen russischen Angriffen. Doch für Gas und Öl opfern wir Moral und strategisches Denken.
Wer glaubt, dass sich diese enorme Sicherheitslücke bald automatisch in Luft auslöst, weil die europäische Energiewende nicht mehr aufzuhalten ist, irrt. Konservative Kräfte und mächtige Lobbyisten in der EU sind gerade dabei, das wichtigste Zukunftsprojekt, den Green Deal, abzuwickeln. Sie wollen etwa den Emissionshandel, der Öl und Gas verteuerte und grüne Energien verbilligte, schwächen und das Verbot für neue Verbrennerautos ab 2035 kippen. Zwar versprachen Greenwashing-Kampagnen der fossilen Industrie, sie würden alle inzwischen brav in Solar- und Windparks investieren, Stadtwerke geben vor, bald mit grünem Wasserstoff zu heizen. Doch nichts davon hat nennenswerte Dimensionen erreicht. Noch immer stammen knapp 80 Prozent unserer Primärenergie aus fossilen Energien. Die aktuelle deutsche Regierung bremst den Wandel zusätzlich. Denn erneuerbare Energien setzen sich nicht automatisch durch, sondern benötigen politische Hilfe. Öl und Gas erzielen höhere Renditen: BP, Chevron, Shell oder Total locken ihre Anleger mit üppigen Ausschüttungen und investieren Hunderte Milliarden in neue Öl- und Gasfelder. Die vielbeschworene »Carbon bubble« platzt einfach nicht. Stattdessen kämpfen nun Windkraftbetreiber mit Einbußen.
Die fatale Abhängigkeit von Öl und Gas und wer dafür die Strippen zieht, legten wir in unseren vier gemeinsamen Büchern offen. Aber die Bedrohung hat eine neue Dimension erreicht. Internationale Bündnisse zerfallen. Trump droht und erpresst auf offener Bühne. Und der US-Präsident ist kein Unfall der Geschichte, der bald wieder verschwindet. Seine politische Linie ist gekommen, um zu bleiben: Seine mächtigsten Unterstützer schmieden bereits Pläne für die Zeit nach dem fast 80-jährigen Präsidenten, mit JD Vance als Nachfolger (siehe Kapitel III). Unsere Abhängigkeit von ihrem Öl und Gas könnte uns dann noch teurer zu stehen kommen: Vance und seine Mitstreiter verachten internationale Abkommen, setzen auf niedrige Steuern und ein geschwächtes Europa.
Es gibt bereits viele warnende Berichte vor dieser düsteren Zukunft. Einer stammt von Mario Draghi, dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank. Sicherlich kein radikal linker Denker. In seinem Report über Europas Wettbewerbsfähigkeit steht klipp und klar: Europa läuft Gefahr, zunehmend erpressbar zu werden. Draghi spricht von einer »slow agony« – einem langsamen Siechtum. Laut dem Bericht stammen 50 Prozent unserer Importe aus Ländern, mit denen wir keine strategische Partnerschaft pflegen, die uns also im Zweifel höhere Preise abpressen oder ganz im Stich lassen. »Diese Abhängigkeit kann zur geopolitischen Waffe werden.«5
Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst warnt. In einem Bericht von 2025 definiert er die fünf größten Risiken für Deutschlands Sicherheit. Drei davon hängen direkt mit unserer Abhängigkeit von fossilen und importierten Ressourcen zusammen: die Klimakrise, weitere russische Invasionen und Chinas weltweite Expansion. In einer gemeinsamen Studie ziehen der BND und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ein klares Fazit: Weniger Abhängigkeit von Öl und Gas würde Deutschlands Sicherheit stärken, weil es waffenfähige Verflechtungen verringert. Ebenso wichtig sei es, Einnahmequellen aggressiver Staaten zu kappen, die ihre Macht aus dem Export fossiler Brennstoffe schöpfen.6
Momentan kappen wir allerdings nicht die Geldflüsse an aggressive Staaten. Wir erhöhen sie. Denn auch die Armeen, die Deutschland und andere europäische Staaten aufrüsten, verschlingen Abermillionen Barrel Öl. »We need oil for military and military to secure oil«, lautet das Credo vieler Analysen.7 Militär braucht Unmengen Öl – und Öl muss militärisch gesichert werden. Für Öl werden Kriege geführt und Armeen mobilisiert. Aber was nutzen uns all die neuen teuren Panzer und Kampfflugzeuge, wenn Pipelines in die Luft gesprengt und Öllieferungen über Nacht gekappt werden können?
Europäische Politikerinnen und Politiker versprechen, uns mit Aufrüstung vor aggressiven Autokraten zu schützen. Und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter für den Deal der EU mit Trump. Doch kaum jemand spricht den wahren Grund für diese US-Deals an, die zulasten der europäischen Bevölkerung gehen. Stattdessen berichteten französische Medien detailreich, ob Macron Trump mit seinem festen Händedruck beeindrucken konnte, deutsche Zeitungen sezierten Friedrich Merz’ Körperhaltung im Oval Office. Wie absurd und irreführend. Jeder Austausch mit Trump und seinem ebenso aggressiven Vize JD Vance dreht sich letztlich um fossile Rohstoffe – ob Verbrennerautos, Flüssiggas oder Rohöl.
