Die Souveränität Deutschlands - Karl Albrecht Schachtschneider - E-Book

Die Souveränität Deutschlands E-Book

Karl Albrecht Schachtschneider

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie souverän ist Deutschland wirklich? Deutschland sei »seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen«, bekundete Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen, vor den versammelten Bankern des Europäischen Bankenkongresses am 18. November 2011. Das war geradezu eine Verbeugung des Staates vor dem neuen Souverän des entgrenzten Kapitalismus. In »Europa« sei die Souveränität ohnehin »längst ad absurdum« geführt. Wenn Deutschland aber nicht souverän ist, dann herrscht ein anderer Staat oder eine Staatengemeinschaft oder eine Person oder Personengruppe, irgendeine Macht, über Deutschland und Wolfgang Schäuble ist dessen bzw. deren Agent und nicht Vertreter des Deutschen Volkes. Vielmehr dient er fremden Interessen. Das lässt sich nicht mehr kaschieren. Aus dem Inhalt: -Die Geschichte der Souveränität und die gegenwärtigen Lehren hierzu. -Das Prinzip der kleinen Einheit gebietet die Freiheit. Warum Großstaaten keine Republiken sind, sondern obrigkeitlichen Charakter besitzen und die Bürger zu Untertanen degradieren. -Warum Revolutionen keinen Rechtsbruch darstellen, sondern Befreiungen zum Recht sind. -Deutschlands Souveränität und Deutschland als Staat. -Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Das Deutsche Reich ist nicht untergegangen. -Gelten die SHAEF-Gesetze noch? -Der nicht abgeschlossene Friedensvertrag und Deutschland als Feindstaat des Zweiten Weltkrieges laut Artikel 107 UNO-Charta. -Die zunehmend tabuisierte Problematik der Ostgebiete des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 und die private Eigentumslage an den Grundstücken. -Die Haager Landkriegsverordnung und das in ihr geregelte Vertreibungs- und Enteignungsverbot. -Weshalb den deutschen Bürgern Abstimmungen nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) vorenthalten werden. Die Verletzung der Freiheit der Bürger, der Würde des Menschen und der Souveränität des Volkes. -Die verfassungswidrigen Bemühungen des Staates um die geistige Ausrichtung der Menschen und der Versuch, einen Moralismus, die political correctness, durchzusetzen, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit und damit die Würde des Menschen verletzt. -Verwandelt das vielfache staatliche Unrecht Deutschland zunehmend in einen Unrechtsstaat? Die Bemühungen der deutschen politische Klasse, die Nation als Gliedstaat in einem europäischen Bundesstaat aufgehen zu lassen, ohne das Volk, die Deutschen, um deren Zustimmung zu fragen. -Weshalb die freiheitliche Bürgerlichkeit beseitigt werden soll. -Die diktatorische Euro-Rettungspolitik als Staatsstreich und als Verbrechen gegen die Souveränität. -Der Europäische Gerichtshof – das größte Übel für die allgemeine Freiheit der Bürger und Völker. Ein Gericht, das sich so nennt, aber keines ist. -Die Befriedung des Planeten und die Beendigung von Kriegen durch einen Weltstaat als Endziel? Das Ende der Freiheit und die Herrschaft kleiner Eliten über die ganze Menschheit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



2. Auflage Oktober 2016 als Sonderausgabe Copyright © 2016, 2012 bei Kopp Verlag, Bertha-Benz-Straße 10, D-72108 Rottenburg Alle Rechte vorbehalten Covergestaltung: Jennifer Hellwagner Satz und Layout: Agentur Pegasus, Zella-Mehlis ISBN E-Book 978-3-86445-551-3 eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

Gerne senden wir Ihnen unser Verlagsverzeichnis Kopp Verlag Bertha-Benz-Straße 10 D-72108 Rottenburg E-Mail: [email protected] Tel.: (07472) 98 06-0 Fax: (07472) 98 06-11Unser Buchprogramm finden Sie auch im Internet unter:www.kopp-verlag.de

Vorwort

Den Bürgern Deutschlands

Vorwort

Souveränität ist in aller Munde. Die Verteidigung der Souveränität der Nationalstaaten gegen die postnationale Weltherrschaft ist der heutige Beruf derer, die die Freiheit der Bürger als Menschen nicht aufgeben wollen. Souveränität ist Freiheit. Sie kann nur in Rechtsstaaten, Demokratien und Sozialstaaten, in Republiken also, Wirklichkeit finden. Die Souveränität der europäischen Völker wird durch die europäische und die globale Integration abzuschaffen versucht. Für das Bundesverfassungsgericht ist die Souveränität Deutschlands die Grenze der Integration. Es sieht allerdings diesen Souveränitätsvorbehalt vom Grundgesetz weit zurückgenommen. Der republikanische Souveränitätsbegriff ist nicht geklärt und nicht einmal hinreichend erörtert. Es ist eine Grundlegung freiheitlicher Souveränität zu leisten. Die deutsche Staatsrechtslehre hat die Revolution von 1918 nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Sie konzipiert Souveränität nach wie vor als Herrschaft des Staates, den sie aber von der Gesellschaft trennt. Sie behandelt die Bürger als Untertanen der Obrigkeit mit schmalen Freiheitsrechten. Volkssouveränität beschränkt sie meist auf den pouvoir constituant. Souverän aber ist, wer frei ist, also der Bürger. Er gestaltet sein Leben und seinen Staat mit allen anderen Bürgern und ist darin Politiker. Souverän ist die Bürgerschaft, nicht etwa deren Vertreter in den Organen des Staates. Souveränität als Freiheit kann den Bürgern um ihrer Würde willen nicht genommen werden. Sie kann auch nicht auf die Europäische Union übertragen werden. Sie hat Grenzen im Innern und nach außen. Sie kann verletzt werden und wird verletzt, zutiefst von der Europäische Union in deren gegenwärtigen Form, zumal durch die Währungs- und Wirtschaftsunion. Wer den Deutschen die Souveränität nehmen will, muss ein neues Volk und einen neuen Staat schaffen, das Unionsvolk und den Unionsstaat. Das geht nicht gegen den Willen aller Völker der Union, auch nicht gegen den Willen der Deutschen. Den aber fürchtet die politische Klasse und entleert darum die Souveränität schleichend. Dem müssen die Bürger um ihrer Würde und Freiheit willen Widerstand entgegensetzen.

Alle meine europapolitischen Verfassungsprozesse haben versucht, die Freiheit und das Recht der Deutschen zu verteidigen, deren Souveränität, mit mäßigem, aber auch nicht ohne Erfolg. Dieses Buch unterbreitet eine freiheitliche, demokratische und rechtstaatliche, eine bürgerliche Lehre der Souveränität, die zur Lehre von der Republik gehört. Es handelt auch von den Verletzungen der Souveränität Deutschlands.

Jochen Kopp hat dieses Buch angeregt. Ich danke dem weitsichtigen Verleger für die Veröffentlichung. Ich danke auch seinem Lektor Thomas Mehner, der sehr sorgfältig und hilfreich das Manuskript in die Druckfassung umgearbeitet hat.

Berlin im September 2012

Einleitung

Einleitung

Deutschland sei »seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen«, bekundete Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen, vor den versammelten Bankern des Europäischen Bankenkongresses am 18. November 2011. Das war geradezu eine Verbeugung des Staates vor dem neuen Souverän des entgrenzten Kapitalismus. Es schien, als wolle er damit rechtfertigen, dass die Deutschen die weitere Einschränkung der Souveränität Deutschlands durch eine europäische Fiskalunion, die er in 24 Monaten meinte errichten zu können, hinnehmen müssen. In »Europa« sei die Souveränität ohnehin »längst ad absurdum« geführt. Die Souveränität Deutschlands ist ein zentrales Problem der Integration Deutschlands in die Europäische Union, aber nach wie vor eine Streitfrage über die Stellung Deutschlands in der Staatenwelt.

Wladimir Putin schrieb demgegenüber am 27. Februar 2012, kurz vor seiner erneuten Wahl zum Präsidenten Russlands, in der russischen Tageszeitung Moskovskie Novosti zum Thema »Russland und die Welt im Wandel«: »Die zahlreichen bewaffneten Konflikte, die in jüngster Zeit ausgebrochen sind und die durch humanitäre Ziele gerechtfertigt werden, verletzen das seit Jahrhunderten heilige Prinzip der staatlichen Souveränität. In den internationalen Beziehungen entsteht ein neues Vakuum – ein moralisch-rechtliches. Man sagt oft, die Menschrechte hätten Vorrang gegenüber der staatlichen Souveränität. Das stimmt zweifelsohne – jegliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen von internationalen Gerichten geahndet werden. Wenn aber unter solchen Vorwänden die staatliche Souveränität einfach verletzt wird, wenn die Menschenrechte von äußeren Kräften selektiv beschützt werden, wenn bei der ›Verteidigung der Menschenrechte‹ die Rechte von vielen anderen Menschen verletzt werden, darunter das allerwichtigste und heilige Recht auf Leben, dann handelt es sich nicht um eine edle Sache, sondern um ganz einfache Demagogie.« 1› Hinweis Der russische Jurist versteht von der Souveränität augenscheinlich mehr als der deutsche.

Der immer schon ebenso folgenreiche wie streitige Souveränitätsbegriff war seit Jahrhunderten mehr ein verfassungspolitischer Kampfbegriff als ein subsumtionsfähiger Verfassungsbegriff, stets mit den politischen Verhältnissen im Wandel, mal die höchste Gewalt, besser Gewaltbefugnis, des Fürsten gewissermaßen als Vertreter Gottes auf Erden oder auch als Repräsentant des Volkes (Fürstensouveränität), mal die des Volkes selbst (Volkssouveränität), meist beschränkt durch das Naturrecht, Völkerrecht, Verfassungsrecht oder auch durch Verträge, oft aber auch gänzlich unbeschränkt. Eine umfassende und hilfreiche Darstellung der Geschichte des Souveränitätsbegriffs und damit auch der Geschichte der Souveränität selbst haben Hans Boldt, Werner Conze, Görg Haverkate, Diethelm Klippel und Reinhart Kosseleck in Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprachein Deutschland, Band 6, Geschichtliche Grundbegriffe, St-Vert, 1990, Stichwort »Staat und Souveränität«, S. 1–154, vorgelegt (im Folgenden Geschichtliche Grundbegriffe). Grundlagen hat Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität, Band 1, Die Grundlagen, 1970, gelegt, der noch einmal die Geschichte des Begriffs in Souveränität. Entstehungund Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jahrhundert bis 1806, 1986, bearbeitet hat.

Der Begriff der Souveränität hat demgemäß eine wechselreiche Geschichte. Seine Materie ist jeweils an die Machtlage, aber auch an die Rechtslage gebunden und mit diesen im Umbruch. Die Rechtslehren selbst sind weitgehend den Lebens- und den Machtverhältnissen verpflichtet. Die Paradigmenwechsel der Lebenswelt, ausgelöst durch Religionen, Philosophien, Techniken, Wissenschaften, Politiken, Umstürze oder Revolutionen, haben Auswirkungen auch und gerade auf den Begriff der Souveränität. Aber das Recht der Menschheit des Menschen, das Recht, das mit dem Menschen, jedem Menschen, geboren ist, die Freiheit und die mit der Freiheit untrennbar verbundenen Menschenrechte, steht über den Gegebenheiten, über der Lage. So wenig es die Wirklichkeit bestimmt, so sehr soll das Recht, diese Idee der Menschheit des Menschen, das Handeln der Menschen, deren Wirklichkeit, leiten. Es ist die ewige Aufgabe der Rechtslehre, dem Menschen zu dienen. Meist aber dient sie der Macht, an der allzu viele Rechtslehrer gern teilhaben. Souveränität erfasst begrifflich wie kein anderer Begriff die Verfassungslage menschlicher Gemeinwesen. So haben der Theismus des Christentums und die Jahrhunderte währende gelebte Religiosität mit der geistlichen und weltlichen Macht der Kirche eine andere Souveränitätslehre hervorgebracht als der Atheismus oder auch Deismus der Aufklärung, der die Lebenswelt mehr oder weniger laizistisch gestaltet hat. Zu einem Leitbegriff der Politik und damit der Staatslehre ist der Begriff der Souveränität mit der Entwicklung des Modernen Staates geworden, der durch die Territorialität des politischen Systems im Gegensatz zur Personalität der politischen Verhältnisse gekennzeichnet ist. Demgemäß entwickelt sich die moderne Souveränitätslehre vornehmlich in Frankreich, dem ersten eigentlichen, durch die Territorialherrschaft geprägten Staat nach dem mittelalterlichen Reich der personalen Lehnsherrschaft. Die Befriedung des konfessionellen Bürgerkriegs fordert einen starken Mann, den souveränen Fürsten, den Princeps, Principe oder Prince, der über Recht und Unrecht entscheidet und das Recht, das er setzt, durchzusetzen vermag. Die technischen Voraussetzungen territorialer Herrschaft genügen für eine solche Souveränität.

Der einflussreichste Lehrer dieser von dem mörderischen Bürgerkrieg zwischen den Katholiken und den Protestanten in Frankreich bewegten Befriedungslehre ist Jean Bodin mit seinem Werk Les six livres de la république, 1576. Seine Lehre bleibt, obwohl sie gegen den politischen Einfluss der Stände, zumal der Kirche, gerichtet ist, religiös gebunden. Grenze der Souveränität als der suprema potestas des Fürsten ist das Naturrecht, das göttliche Recht, und damit auch alle Verträge. Der Fürst muss diese Grenze achten, um nicht der Strafe Gottes anheimzufallen. Kein Mensch kann ihn zwingen. Gewaltenteilung ist der Souveränität zuwider. Mit der Entwicklung der Territorialstaaten auch in Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg setzt sich die Bodinsche Souveränitätslehre auch in Deutschland und schließlich in ganz Europa durch. Es entsteht der monarchische Absolutismus. 75 Jahre nach Bodin schreibt 1651 Thomas Hobbes seinen Leviathan, wiederum als Antwort auf die Schrecken des Bürgerkrieges in England zwischen Karl I. und dem Parlament und Oliver Cromwell. Sein Werk stützt den Absolutismus vertragsdogmatisch und rechtfertigt vielen bis heute die Herrschaftlichkeit des Staates. Schon Niccolo Machiavelli, selbst Republikaner, hatte die mit allen Mitteln behauptete Staatsräson in den Stadtstaaten Italiens mit seinem Il Principe, 1513, posthum veröffentlicht 1532, als Notwendigkeit befriedender Herrschaft gerechtfertigt. Der Machiavellismus prägt noch heute die Methoden vieler Politiker. Das Renascimento, die Renaissance, die Wiedergeburt der Antike und damit der griechischen Aufklärung, geht über in die religionskritische Aufklärung der Neuzeit. Diese lehrt die Freiheit des Menschen und verändert die politische Welt. Die Herrschaft kann nicht mehr auf den Willen Gottes gestellt werden, der Monarch ist nicht mehr der Vertreter Gottes auf Erden, schon bei Hobbes nicht mehr, dessen Leviathan Vertreter des Volkes ist. Mehr und mehr wird das Gemeinwesen freiheitlich als Republik konzipiert. Die großen Lehrer der Freiheit sind Jean-Jacques Rousseau mit seinem Contract Social, 1762, und Immanuel Kant mit der Kritik der reinen Vernunft, 1781/87, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785/86, der Kritik derpraktischen Vernunft, 1788, der Metaphysik der Sitten, 1797/98, dem Zum ewigen Frieden, 1795/96, aber auch den weiteren Kritiken. Doch auch John Locke, The Second Treatise of Government, Überdie Regierung, 1690, und Charles Montesquieu, De L’esprit desLoix, Vom Geist der Gesetze, 1748, haben wesentlich zur durch Freiheit geprägten Republiklehre beigetragen. Nachdem Napoleon liberté, égalité, fraternité – also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – in einen neuen Cäsarismus verwandelt und Europa unterworfen hatte, bestanden die Freiheitsidee und das Nationalprinzip in den Befreiungskriegen ihre große Bewährungsprobe. Aber die Restauration Metternichs und die Romantik drängten die politische Freiheit und mit ihr die Volkssouveränität wirksam zurück. Die zarte Revolution in Deutschland 1848 ist gescheitert. Der Philosoph des restaurativen Konstitutionalismus wird Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Seine Grundlinien der Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, kurz: Rechtsphilosophie, 1821, lehrt ein geschichtsmetaphysisches Staatsdogma, das den Staat als Wirklichkeit der Vernunft und der Sittlichkeit begreift und von der Gesellschaft als dem System der Bedürfnisse trennt. Der Staat ist nach innen und außen selbstgewisse und selbstbestimmte Herrschaft. Sein Wille ist nicht nur vernünftig, Ausdruck des Weltgeistes, sondern auch Recht. Politische Freiheit der Bürger im kantischen Sinne ironisiert Hegel wegen der »Seichtigkeit der Gedanken«. Die äußere Souveränität stellt Hegel über das Recht. Über Recht und Unrecht entscheidet der Sieg. Hegel hat der aufklärerischen Freiheitslehre in Deutschland die Wirkung genommen, bis heute, und den Machtstaat ins Recht gesetzt. Das hatte verheerende Folgen, aber Hegel war der bestimmende Philosoph Deutschlands des 19. und noch der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Verfassungstexte Deutschlands, schon die Weimarer Reichsverfassung und erst recht das Grundgesetz, aber sind kantianisch. Hegel hat viele Schüler, nach wie vor. Der auffälligste ist Carl Schmitt, dessen Souveränitätslehre nicht nur existenzialistisch, sondern herrschaftlich und diktatorisch ist. Seine wichtigste Schrift zur Souveränität ist außer der Verfassungslehre, 1927, und der Diktatur, 1923/1927, die Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von derSouveränität, 1922. Der erste Satz dieser Schrift wird viel zitiert: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« Diese Position ist fern des Rechts. Die Freiheit lehnt Schmitt als politisches Formprinzip ab. Carl Schmitt findet noch heute in Deutschland und in der Welt viel Gefolgschaft. Zentrale Begriffe übernimmt die herrschende Staatsrechtslehre noch immer von Schmitt, zumal den herrschaftlichen Begriff der Repräsentation. Hans Kelsen wendet sich auf der Grundlage seiner weltfremden Reinen Rechtslehre vor allem in DasProblem der Souveränität und dieTheorie des Völkerrechts. Beitrag zur reinen Rechtslehre, 1920, 2. Aufl. 1928, gegen die Souveränität. Auch Hermann Heller hat sich intensiv mit der Souveränität auseinandergesetzt, nämlich in Die Souveränität, 1927, und zuvor schon in Hegel und der nationale Machtstaatsgedankein Deutschland, 1921. Seine Souveränitätslehre löst sich trotz harscher Kritik nicht von Hegel und bleibt eine Herrschaftslehre. Unter dem Grundgesetz ist keine bemerkenswerte Souveränitätsdogmatik entwickelt worden. Die verschiedenen Schriften sind meist von einem wenig bewussten Hegelianismus bestimmt, jedenfalls durchgehend herrschaftsorientiert. Martin Kriele akzeptiert in seiner Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichenLegitimationsgrundlagen desdemokratischen Verfassungsstaates, 1975/2003, nur die Souveränität des Volkes als pouvoir constituant, weist aber im Verfassungsstaat des pouvoir constitué eine Souveränität zurück, weil er Souveränität nur als Herrschaftsbefugnis ohne Gewaltenteilung erfasst. Eine freiheitliche Souveränitätslehre, die Anschluss an Rousseau und Kant sucht, ist bisher nicht entworfen worden. Eine solche hat auch Werner Mäder in Kritikder Verfassung Deutschlands. Hegels Vermächtnis 1901und 2001, 2002, und Vom Wesen der Souveränität. Ein deutsches und ein europäisches Problem, 2007, nicht versucht, der in berechtigter Sorge die Souveränität Deutschlands vornehmlich an den Souveränitätsbegriffen Bodins, Hobbes, Hegels, Hellers und Schmitts misst und die europäische Integration richtiger als Souveränitätsverlust kritisiert.

Das Bundesverfassungsgericht nutzt den Souveränitätsbegriff an sich richtig und materialisiert ihn durch gewisse Souveränitätsvorbehalte, hat aber keinen Versuch gemacht, den Begriff zu definieren. Die gegenwärtige Debatte leidet überhaupt daran, dass nicht hinreichend definiert wird, was unter Souveränität zu verstehen ist. Souveränität ist ein Wort der Polemik geworden. Aber es ist ein Begriff des Rechts, sowohl des Völkerrechts als auch des Staatsrechts, dessen Definition folgenreich ist. Recht kann nur als Wirklichkeit der Freiheit verstanden werden. Demgemäß ist die Souveränität eine Kategorie der Freiheit, und zwar der Freiheit der Menschen und Bürger, nämlich die Freiheit des Volkes als Bürgerschaft. Das ist darzulegen, bevor die Grenzen und Verletzungen der inneren und äußeren Souveränität und die besonderen Aspekte der Souveränität Deutschlands erörtert werden.

Die angesprochenen Souveränitätslehren habe ich näher in der Schrift Freiheitliche Souveränität dargelegt und insbesondere die Herrschaftslehren Bodins, Hobbes, Hegels, Hellers und Schmitts, aber auch Krieles kritisiert. Ich stütze mich auf Rousseau und Kant. Ich verweise auf diese Ausführungen, kann aber dem Leser einige Sätze zu diesen Souveränitätslehren wegen ihrer Wirkungen bis in unsere Zeit nicht ersparen. In dieser Schrift geht es darum, die Souveränität Deutschlands, deren Grenzen und Verletzungen darzulegen, zumal die durch die Integration in die Europäische Union. Dafür muss freilich die freiheitliche Souveränitätslehre, die Souveränität der Bürger, als Grundlage unterbreitet werden. Souveränität ist auch in der und für die Republik, der Staatsform der allgemeinen Freiheit, ein zentraler Begriff des Staatsrechts und des Völkerrechts. Wesentliche Unterscheidungen der Souveränitätslehre müssen jedoch zur Sprache gebracht werden, nämlich die zwischen Souveränität als Herrschaft und als Freiheit und die zwischen Souveränität als Macht und als Recht, aber auch zwischen einer Volkssouveränität, in der Volk als von den Bürgern unterschiedene politische Einheit verstanden wird, und Bürgersouveränität. In der vom Verlag Duncker&Humblot, Berlin, veröffentlichten Schrift zur Freiheitlichen Souveränität sind auch die Kapitel, die um der Sache willen in beiden Schriften erörtert werden müssen, durch Zitate auch aus den fremdsprachigen Originalschriften und mannigfache, vielfach auch kritische, Belege verstärkt, die manchen Leser, der sich in die Souveränitätslehre vertiefen will, interessieren könnten, aber für den in dieser Schrift unterbreiteten Gedankengang nicht unbedingt erforderlich sind. Materialfülle dient der wissenschaftlichen Unangreifbarkeit, kann aber auch den Lesefluss erschweren.

Um Missverständnissen meiner Begriffe, die alle je nach dem politischen und rechtlichen System, in dem sie gebraucht werden, unterschiedlichen Begriffsgehalt haben und wegen ihres politischen Gewichts vielfach interessiert ideologisiert werden, vorzubeugen, stelle ich die wichtigsten vor, bevor ich meine Souveränitätslehre entwickle, auf deren Grundlage ich die Grenzen der inneren und äußeren Souveränität und die Verletzungen der Souveränität erörtere. Diese meine Begriffe genügen im Übrigen dem Grundgesetz, das als das Verfassungsgesetz der Deutschen der genannten Verfassung der Menschheit des Menschen genügt und seinen Verfassungskern der politischen Disposition entzieht.

Erster Teil: Vorbegriffe

Erster Teil

Vorbegriffe

Um die Souveränitätsproblematik zu erfassen, müssen einige grundlegende Begriffe des Staatsrechts und des Völkerrechts geklärt werden. All diese Begriffe sind wegen ihrer weitreichenden politischen Konsequenzen streitig.

Grundlegend für jede staats- und völkerrechtliche Rechtsklärung sind die Begriffe Freiheit, Recht und Staat sowie Volk; denn es gibt kein Recht ohne Staat und kein Recht ohne Freiheit. Der Staat aber organisiert eine Menge von Menschen als Volk, und ein Volk hat das Selbstbestimmungsrecht (Art. 1 Nr. 2 der UNO-Charta) und damit die Souveränität. Die Souveränität einer Republik, wie sie Deutschland ist, kann nur freiheitlich begriffen werden, obwohl sie meist herrschaftlich definiert wird. Die Dichotomie Herrschaft oder Freiheit führt in fundamentale Gegensätze der Staats- und Völkerrechtslehre. Allerdings wird der Gegensatz meist verwischt. So spricht das Bundesverfassungsgericht stetig von Herrschaft, ist aber bemüht, eine freiheitliche Dogmatik auch der Souveränität zu entfalten, freilich mittels eines unzureichenden und zudem wenig klaren Freiheitsbegriffs. Typisch ist der folgende Satz des Lissabon-Urteils (BVerfGE 123, 267ff.) in Absatz 233:

»Auch eine weitgehende Verselbstständigung politischer Herrschaft für die Europäische Union durch die Einräumung stetig vermehrter Zuständigkeiten und eine allmähliche Überwindung noch bestehender Einstimmigkeitserfordernisse oder bislang prägender Regularien der Staatengleichheit kann aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts allein aus der Handlungsfreiheit des selbstbestimmten Volkes heraus geschehen.«

Der Widerspruch findet sich schon in der Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im SRP-Urteil BVerfGE 2, 1 (12):

»So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.«

Eine »Herrschaftsordnung« kann nicht »rechtsstaatlich« sein, weil Herrschaft dem Begriff nach Willkür ist. Recht kann, wie dazulegen sein wird, nur als Wirklichkeit von Freiheit gedacht werden. Der Widerspruch setzt sich in dem Hinweis auf die »Selbstbestimmung des Volkes« fort. Sie ist wiederum die Freiheit, wie das Gericht ja auch mit dem Aspekt der »Freiheit und Gleichheit« selbst sagt. Allgemeine Freiheit, also Gleichheit in der Freiheit, verwirklicht sich im allgemeinen Willen, nicht im »Willen der jeweiligen Mehrheit«. Abgesehen davon, dass der Wille der Mehrheit niemals festgestellt wird, würde dessen Verbindlichkeit die Freiheit der Minderheit aufheben. Im KPD-Urteil hat das Gericht den Satz nicht wiederholt, aber im Lissabon-Urteil (BVerfGE 123, 267, Abs. 212), das das Mehrheitsprinzip wie kein anderes Urteil ausbreitet und ausweitet und gar die Entscheidung der Parlamentsmehrheit mit der Mehrheitsentscheidung des Volkes identifiziert (Absätze 212ff.). Die widersprüchlichen Gedanken ziehen sich durch die gesamte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die nie zu einem freiheitlichen Freiheitsbegriff gefunden hat.

Ebenso können die Begriffe Staatsgewalt und existenzielle Staatlichkeit wie auch Staatlichkeit, die ich verwende, nur als Modi zur Verwirklichung der Freiheit erfasst werden.

A: Freiheit

A

Freiheit

I Republikanische Freiheit als praktische Vernunft

I  Republikanische Freiheit als praktische Vernunft

»La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui. Ainsi, l’exercice des droits naturels de chaque homme n’a de bornes que celles qui assurent aux autres membres de la société la jouissance de ces mêmes droits. Ces bornes ne peuvent être déterminées que par la loi«, übersetzt: »Freiheit aber heißt, man darf tun und lassen, was man will, wenn man einem anderen nicht schadet. Die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen hat also nur die Grenzen, die den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss eben dieser Rechte sicherstellt. Diese Grenzen dürfen nur durch das Gesetz bestimmt werden«, wie das die Déclaration des Droitsde l’Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 in Art. 4 definiert hat. Was ein Schaden ist, bestimmen die Gesetze, die Ausdruck des allgemeinen Willes sind (Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 der Déclaration). Dieser Freiheitsbegriff ist der des Weltrechtsprinzips des Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nämlich:

»Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.«

Eine Freiheit, sich zulasten anderer auszuleben, etwa andere auszunutzen, schützt das Grundgesetz genausowenig wie irgendeine andere Rechtsordnung. Freiheit ist nicht das Recht, seinen Neigungen (Habsucht, Herrschsucht und Ehrsucht) zu folgen, sondern Freiheit ist das Prinzip der praktischen Vernunft, also die Unabhängigkeit von determinierenden Kausalitäten, aber auch nötigender Willkür anderer, somit die Idee der »Kausalität der Freiheit«, erwiesen durch das »Faktum des Sollens«, wie Kant das unübertroffen gelehrt hat (Kritik der reinen Vernunft, KrV, Bd. 4, S. 324, 335ff., 426ff., 495ff., 674ff., 697; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, GzMdS, Bd. 6, S. 82ff., 89ff., 94 ff., 98f.; Kritik der praktischen Vernunft, KpV, Bd. 6, S. 107ff., 120f., 141f., 155ff., 161, 193, 218ff., 230ff., 265; Metaphysik der Sitten, MdS, Bd. 7, S. 326ff., 333, 347, 361; dazu K. A. Schachtschneider, Freiheitin der Republik, FridR, S. 36f.).

»Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei« (GzMdS, S. 91). Angesichts der Determiniertheit des Menschen, die durch die Hirnforschung zunehmend bestätigt wird, weiß die Transzendentalphilosophie nur um die Idee der Freiheit. Aber: »Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer Rücksicht, wirklich frei, …« (daselbst S. 83). Die Freiheit ist praktisch die Fähigkeit des Menschen zu handeln, dessen Spontaneität. Trotz aller Determiniertheit menschlichen Seins vermag der Mensch der Idee der Freiheit nach zu handeln, d. h. die Welt nach seiner freien Willkür zu gestalten. Die Idee der Freiheit ist ein notwendiger Standpunkt der Ethik. Die Hirnforschung, die empirisch den freien Willen des Menschen infrage stellt, bestätigt den kantianischen Dualismus der dritten Antinomie, die Differenz von Sein und Sollen. Diese dritte Antinomie (KrV, S. 426 ff.; KpV, S. 242 ff.) ist kein existenzieller Widerspruch, sondern ein Unterschied des Standpunktes der Erkenntnis. Das Ding an sich kennen wir nicht (KrV, S. 30f., 75ff.; GzMdS, S. 87). Die Freiheit erweist sich im Faktum des Sollens (Kritik der reinen Vernunft, S. 426ff., 495ff., 674ff.; GzMdS, S. 82ff., 89ff., 94ff.; MdS, S. 326ff., 347, 361). »Der Begriff der Freiheit ist ein reiner Vernunftbegriff, …« (MdS, S. 326).

II Äußere Freiheit / Unabhängigkeit

II  Äußere Freiheit / Unabhängigkeit

Die äußere Freiheit ist die »Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür«. Sie ist »dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht, sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann« (MdS, S. 345) 2› Hinweis . Die innere Freiheit ist die Sittlichkeit, deren Triebfeder die Moralität ist. Das Gesetz der Freiheit als der Autonomie des Willens (GzMdS, S. 63ff.; KpV, S. 144ff.) ist das Sittengesetz, der kategorische Imperativ (GzMdS, S. 43ff.; KpV, S. 142ff.). Es gibt keine innere Freiheit ohne äußere Freiheit, aber die äußere Freiheit findet ohne innere Freiheit, d. h. Sittlichkeit und Moralität, keine Wirklichkeit (FridR, S. 67 ff., 83 ff.). Weil Freiheit die Unabhängigkeit von der Natur des Menschen ist, nämlich eine Kategorie der Vernunft, ist der Wille aus sich selbst heraus Gesetz und somit Freiheit nichts anderes als die Autonomie des Willens (GzMdS, S. 74ff., 81ff.).

Freiheit verwirklicht sich durch allgemeine Gesetzlichkeit, Rechtlichkeit (FridR, 49ff., 281ff., 420ff., 49ff.). Nur wer unter dem eigenen Gesetz lebt, das logisch zugleich ein Gesetz all derer sein muss, die zusammenleben, ist frei, nämlich unabhängig von eines anderen nötigender Willkür (FridR, S. 67 ff., 274 ff.). Das haben schon John Locke und Jean-Jacques Rousseau so konzipiert. 3› Hinweis »Von dem Willen gehen die Gesetze aus; …« (MdS, S. 332), sodass nur der allgemeine Wille gesetzgebend sein kann. Das folgt aus der »… Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt« (GzMdS, S. 67). Das demokratische Prinzip, mittels dem die Freiheit der Bürger verwirklicht wird, hat darum seine Grundlage in der Würde des Menschen. So sieht das auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 123, 267, Abs. 211; BVerfG, Zweiter Senat, Urteil vom 7. September 2011, Abs. 100f.). »Der Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt ist in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) verankert.« Zu den elementaren Bestandteilen des Demokratieprinzips zählt das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Wahlen, sondern auch die Abstimmungen (BVerfGE 123, 267, Abs. 211). Diese werden den Bürgern auf Bundesebene entgegen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vorenthalten. Dadurch werden die Freiheit der Bürger, die Würde des Menschen und die Souveränität des Volkes verletzt.

III Innere Freiheit / Sittlichkeit

III  Innere Freiheit / Sittlichkeit

Das Gesetz der Sittlichkeit als der inneren Freiheit und damit bestimmendes Prinzip der Freiheit ist der kategorische Imperativ, das Sittengesetz. So steht das in Art. 2 Abs. 1 GG: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.« Im mit »soweit« eingeleiteten Satzteil stehen keine Schranken der Freiheit, keine Schrankentrias, wie das Bundesverfassungsgericht meint (BVerfGE 6, 32 [36 ff.]; 90, 145 [171]; 113, 88 [103]; st. Rspr.) und damit das Grundgesetz folgenreich verändert, sondern darin wird die Freiheit in der Republik, dem freiheitlichen Gemeinwesen, definiert.

Sittlichkeit ist die praktische Vernunft, die unparteiliche Sachlichkeit. In einem Gemeinwesen, dessen politische Grundlage die Idee der Freiheit, also der Gleichheit aller Menschen in der Freiheit, ist, ist diese Sittlichkeit die Logik der Ethik und damit des Rechtsprinzips. Das Sittengesetz ist das Gesetz des Sollens (KrV, S. 701). Das Sittengesetz hat drei Formeln, nämlich: die deontische Formel: »…: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde« (GzMdS, S. 51), oder: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne« (KpV, S. 140), die Naturgesetzformel: »…: Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte« (GzMdS, S. 51), die Selbstzweckformel: »…: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person jedes andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest« (GzMdS, S. 61). »Maxime ist das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive Prinzip (d. i. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das praktische Gesetz« (GzMdS, S. 27), oder: »Maxime aber ist das subjektive Prinzip zu handeln, was sich das Subjekt selbst zur Regel macht (wie es nämlich handeln will)« (MdS, S. 332).

Das Bundesverfassungsgericht hat sich die Selbstzweckformel zu eigen gemacht und mit dieser die Menschenwürde interpretiert, nämlich: »…, der Einzelne soll nicht Objekt der richterlichen Entscheidung sein, …« (BVerfGE 9, 89 [95]), oder: »Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen« (BVerfGE 27, 1 [6], Mikrozensus). Im Urteil zur lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187 [228]) hat das Gericht hinzugefügt: »Der Satz ›der Mensch muss immer Zweck an sich selbst bleiben‹ gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete; denn die unverletzbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, dass er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.«

Das Sittengesetz ist als Ethos des gemeinsamen Lebens in gleicher Freiheit das Prinzip der Brüderlichkeit, also das der Solidarität, nämlich das Sozialprinzip (Rprp, S. 234ff., FridR, S. 636ff.). Das Sittengesetz folgt gerade darin der Logik der allgemeinen Freiheit. Das Sittengesetz als der kategorische Imperativ ist die universalisierte Fassung der biblischen lex aurea (GzMdS, S. 25; KpV, S. 113; MdS, S. 586ff.). Es ist die politische Formulierung des ethischen, zumal christlichen, Liebesprinzips: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; denn ich bin der Herr« (3. Mose 19,18). Darin kommt die Einheit von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zum Ausdruck. Das Sittengesetz ist das Rechtsprinzip (FridR, S. 83ff., 424ff.).

Die Sittlichkeit bedarf der Materialisierung in Gesetzen, die nur Gesetze des Rechts (Rechtsgesetze) sind, wenn sie praktisch vernünftig, nämlich unparteilich und sachlich, sind, also dem kategorischen Imperativ genügen.

IV Moralität / guter Wille

IV Moralität / guter Wille

Die Moral besteht kantianisch nicht aus materialen Vorschriften, wie sie die guten Sitten als Teil der Rechtsordnung enthalten 4› Hinweis , auch nicht aus Vorschriften der kirchlichen Lebensordnung, deren Verbindlichkeit religiös fundiert ist, oder gar in der (sogenannten) political correctness, deren Verbindlichkeit dem Zwang der öffentlichen Meinung erwächst. Das wäre der von Kant ebenso wie von der Weltrechtsordnung und dem Grundgesetz zurückgewiesene Moralismus (ZeF, S. 233). Vielmehr ist die Moralität ein formales Prinzip, das keine materialen Vorschriften in sich trägt. Moral bezeichnet die Triebfeder des guten Handelns. Moral bewirkt den Selbstzwang (MdS, S. 511ff., 525ff.; Rprp, S. 130ff., 279ff.; FridR, S., 67ff.), dessen Imperativ lautet: »Handle pflichtmäßig, aus Pflicht« (MdS, Tugendlehre, S. 521, 523). Die Pflichten folgen entweder aus den Gesetzen des Rechts, sind also Rechtspflichten, oder aus den Gesetzen der Tugend und sind damit Tugendpflichten. Die Rechtspflichten sind äußerlich und damit erzwingbar (MdS, S. 511ff., 525 ff.); denn »das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden« (MdS, S. 338 f., 527). Die Tugendpflichten sind material; denn sie machen Zwecke verbindlich. Tugendpflichten sind aber nicht erzwingbar, sondern unterliegen dem Selbstzwang und sind darum bloß innerlich (MdS, S. 508ff.). Legalität ist nach Kant die Beachtung sowohl der Rechtspflichten als auch der Tugendpflichten (MdS, S. 318f., 323ff.). Die Moral verpflichtet auch zur Achtung des ius, der Rechtspflichten also, nicht nur, den Tugendpflichten zu folgen (MdS, S. 512). Moralität schließt somit Legalität ein. Tugendpflichten können Rechtspflichten nicht aufheben. Keinesfalls rechtfertigt die Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG einen Rechtsverstoß (Rprp, S. 420; unklar BVerfGE 12, 45 [55]).

Kant benutzt das Wort Moral verschiedentlich auch für das Wort Sittlichkeit und auch für die Worte Recht und Rechtslehre (etwa ZeF, S. 248ff.). Im Folgenden wird es nur für das, wenn man so will, Pflichtgefühl im Sinne des guten Willens benutzt. Moral gebietet nicht nur Legalität des Gesetzesvollzugs, sondern auch und vor allem die Beachtung des Sittengesetzes bei allen Handlungen, auch bei der Gesetzgebung. Zum Handeln gehört die Gesetzgebung für die Maximen des Handelns, die Maximenbildung selbst, die die Zwecksetzung einschließt, und schließlich der Zweckvollzug (FridR, S. 311 ff.).

Entgegen der Ethik dieses Freiheitsbegriffs gibt es kein Recht, sondern nur Unrecht.

V Liberalistische Freiheit

V Liberalistische Freiheit

Im Gegensatz zu dem republikanischen Begriff der Freiheit als Autonomie des Willens steht der liberalistische Begriff der Freiheit, der bestimmte, meist grundrechtlich geschützte, Freiheiten (Grundrechte) umfasst, die der Untertan der Obrigkeit entgegenhalten kann, um die Obrigkeit konstitutionalistisch einzuschränken (dazu Rprp, S. 441ff.; FridR, S. 343ff.). Das sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat (BVerfGE 7, 198 [204]). Der Mensch bleibt nach der liberalistischen Konzeption Teil einer vom Staat unterschiedenen Gesellschaft. Er wird zwar Bürger genannt 5› Hinweis , ist aber Bürger allenfalls insoweit, als er durch Wahlen die Ausübung der Staatsgewalt legitimiert, wenn nicht Abstimmungen der Bürger ermöglicht sind.

VI Dualistische Freiheitslehre

VI Dualistische Freiheitslehre

Die dualistische Freiheitslehre kennt neben der politischen Freiheit im republikanischen Sinne eben diese liberalistische Freiheit (Rprp, S. 501ff.; FridR, S. 391 ff.). Die Praxis in Deutschland hat die politische Freiheit als fundamentales Recht der Menschen bisher nicht anerkannt, sondern nur in Ausschnitten akzeptiert, insbesondere im Recht der Meinungsäußerung (etwa BVerfGE 5, 85 [134, 199, 206 f.]; 69, 315 [342 ff.]; st. Rspr.; Rprp, S. 588 ff.) und im Recht auf Volksvertretung oder Demokratie (insb. BVerfGE 89, 155 [171 ff.], Maastricht-Urteil; 123, 267, Absätze 167 ff., Lissabon-Urteil; BVerfG, Zweiter Senat, Urteil vom 7. Sept. 2011, Abs. 100 f.). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat eine politische Freiheit als Grundrecht explizit zurückgewiesen (BayVerfGH, BayVBl. 1999, 719 [726]).

B: Herrschaft

B

Herrschaft

Die repräsentative Ausübung der Staatsgewalt wird vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 2, 1 [12 f.]; 83, 37 [52]; 83, 60 [72]; 95. 1 [15]; 89, 155 [188ff.]; 123, 267 Absätze 213, 217 ff., 250, 263, 268, 270, 272, 280, 294; BVerfG, Zweiter Senat, Urteil vom 7. September 2011, Abs. 98) und fast der gesamten Staatsrechtslehre als Herrschaft oder gar Herrschaftsgewalt hingestellt. So führt das Gericht im Lissabon-Urteil in Absatz 231 aus:

»Die Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union oder andere zwischenstaatliche Einrichtungen erlaubt eine Verlagerung von politischer Herrschaft auf internationale Organisationen.«

Das ist ein Satz, der weder mit der Freiheit noch mit der Souveränität des Volkes, die das Gericht stetig hervorhebt, vereinbar ist. Der Staat ist kein Herrschaftsgebilde. Diese unter dem Grundgesetz niemals begründete Behauptung ist eine folgenreiche Verzerrung der Republik als freiheitlichem Gemeinwesen, der politischen Form der Freiheit. Dass sich der Parteienstaat oft, wenn nicht meist herrschaftlich, ja diktatorisch gebärdet, wie gegenwärtig zunehmend die Bundesrepublik Deutschland, ändert nichts an der Dogmatik des freiheitlichen Staates, der Republik. Das ist vielmehr Missbrauch der Vertretungsbefugnis der Amtswalter, die die Bürger nicht hinnehmen dürfen. Die Freiheit ist mit dem Menschen geboren. Sie ist nicht irgendeiner änderbaren Politik zu danken. Vielmehr muss der Staat die Verfassung der Freiheit durch sein Verfassungsgesetz und seine Gesetze bestmöglich der Lage gemäß verwirklichen (dazu Rprp, S. 71 ff., FridR, S. 115 ff.).

Karl Friedrich von Gerber hat 1865 die Staatsgewalt mit der Beherrschung identifiziert. 6› Hinweis Georg Jellinek definiert 1900: »Herrschergewalt hingegen ist unwiderstehliche Gewalt. Herrschen heißt unbedingt befehlen und Erfüllungszwang üben können« – »Herrschen ist das Kriterium, das die Staatsgewalt von allen anderen Gewalten unterscheidet.« 7› Hinweis Hermann Heller folgt: »Herrschen heißt Gehorsam finden, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Gehorchende den Befehlen innerlich zustimmt oder nicht, vor allem unabhängig von der vom Gehorchenden vorgestellten Interessenförderung.« »Herrschaft bleibt aber immer eine Relation zwischen zwei Willen, Motivation des einen Willens durch den anderen; …« – »Herrschen heißt: mit eignen Mitteln Fügsamkeit finden, gegebenenfalls den Gehorsam mit eignen Mitteln erzwingen können.« 8› Hinweis Carl Schmitt hat die Entscheidung der Weimarer Verfassung für die Demokratie als Entscheidung für die Herrschaft des Volkes, nicht freiheitlich, sondern gleichheitlich, d. h. durch Führer und Akklamation, die liberal-rechtsstaatlich, also bürgerlich, durch den Schutz einer privaten Sphäre gemäßigt sei, verstanden. 9› Hinweis Die deutsche Staatsrechtslehre schreibt, wenn nicht von Georg Jellinek, dann von Carl Schmitt ab, anstatt Immanuel Kant, den wegweisenden Freiheits- und Rechtslehrer und geistigen Vater des Grundgesetzes, und dessen besten Schüler Karl Jaspers zu studieren. Die Herrschaftsideologie hat im Modernen Staat Hegel nicht nur begründet, sondern tief in das Denken und Fühlen deutscher Eliten eingesenkt, mit verheerenden Wirkungen. Oboedientia facit imperantem (Der Gehorsam macht den Befehlshaber) ist die soziologisch richtige Erkenntnis. Aber ein Bürger gehorcht nicht, sondern folgt dem Gesetz; denn das ist auch sein Wille. Die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens ist das Ethos der Freiheit.

C: Recht

C

Recht

»Das Recht(nicht das Gesetz) ist heilig.«

Heinrich Triepel 10› Hinweis

I Begriff des Rechts

I  Begriff des Rechts

Kant definiert das Recht als den »Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann« (MdS, 337). Allgemeine Gesetze sind der allgemeine Wille als der Wille aller Bürger, also des Volkes. Die Allgemeinheit des Willens, die praktische Vernunft oder die Sittlichkeit also (GzMdS, S. 41ff. 58ff., 81ff.; FridR, S. 67ff., 83ff.), wahrt die Allgemeinheit der Freiheit; denn jeder lebt, unabhängig von anderer nötigender Willkür und somit äußerlich frei (MdS, S. 345), weil auch sein Wille das Gesetz gibt (Willensautonomie). Die Freiheit als die Autonomie des Willens schafft die Gesetze des Rechts (FridR, S. 274 ff.; PdR, S. 30 ff., 50 ff.). 11› Hinweis Die Allgemeinheit des gesetzgebenden Willens verwirklicht (der Idee nach) zugleich die Brüderlichkeit, das Sozialprinzip, also bestmöglich das gute Leben aller im Gemeinwesen. Die Gesetze müssen Gesetze auch der inneren Freiheit als der Sittlichkeit sein. Sie müssen die Menschheit des Menschen wahren (GzMdS, S. 63; MdS, S. 345f., 381f.; Rprp, S. 446), vor allem die Freiheit selbst, das jedem Menschen angeborene Recht (MdS, S. 345). Der Rechtsbegriff Kants ist auf die allgemeine und gemeinsame Freiheit hin definiert, die durch die allgemeinen Gesetze ermöglicht und verwirklicht wird. Wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eine Einheit bilden, so auch die (im freiheitlichen Sinne) liberale mit der sozialen Dimension des Rechts. Hobbes hat den Zweck des Souveräns, des Leviathan, richtig benannt. Er soll gegen »die Leidenschaften, Zorn, Stolz und Begierden aller Art« »alles, was die natürlichen Gesetze fordern, wie z. B. Gerechtigkeit, Billigkeit und kurz, andern das zu tun, was wir wünschen, daß es uns von anderen geschehe« mittels der »Furcht vor Strafe« durchsetzen (II, 17. Kap., S. 151). Die lex aurea, das Liebesprinzip, die Sittlichkeit unter den Menschen eines Landes ist der Zweck des Staates. Darin ist ihm Kant wie alle Aufklärer, die als solche dem Naturrecht verpflichtet waren, gefolgt. Kants Definition des Rechts ist somit nicht liberalistisch oder gar insozial, sondern republikanisch, also sozial im Sinne der gemeinschaftlichen Verantwortung der Bürger für das gute Leben in gleicher Freiheit, das nur in Brüderlichkeit, Solidarität, gelebt werden kann. Kants prozeduraler Begriff kann, ohne in der Sache abzuweichen, material formuliert werden, nämlich: Recht ist das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit, das in Gesetzen demokratisch beschlossen wird (vgl. Rprp, S. 567ff., 573 ff., 978 ff, 990 ff. [996]; FridR, S. 274 ff., 405 ff.; PdR, S. 20 ff.). Das gute Leben aller ist die bestmögliche Wirklichkeit der Menschenrechte, sowohl der liberalen (1. Generation) als auch der sozialen (2. Generation) und der ökologischen (3. Generation). Im Rechtsprinzip sind alle Aspekte des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit erfasst, auch und insbesondere die Brüderlichkeit im Sozialprinzip. Nur der Wohlfahrtsstaat ist Rechtsstaat. 12› Hinweis

Recht ist nicht (positivistisch) identisch mit jeder Materie der Gesetze, sondern nur mit einer Gesetzesmaterie, die der Menschheit des Menschen, insbesondere den Menschenrechten, und dem Sittengesetz, dem kategorischen Imperativ, entspricht, also mit »Rechtsgesetzen« (MdS, S. 338). Die Rechtsprinzipien sind die Verfassung jedes menschlichen Gemeinwesens und bedürfen keiner Gesetze. Aber die Gesetze einschließlich der Verfassungsgesetze dürfen diesen nicht widersprechen.

II Recht und Wahrheit

II  Recht und Wahrheit

Es gibt kein Recht ohne Wahrheit, die Theorien von der Wirklichkeit (Rprp, S. 567 ff., 598 ff., 1103f.; i. d.S. auch BVerfGE 49, 89 [143]; 53, 30 [58f.]), die theoretische Vernunft also; denn die Gesetze sollen das gemeinsame Leben regeln, wie es ist, nicht, wie man es sich wünscht, auf der Grundlage von Ideologien etwa. Die Tatbestände der Rechtssätze erfassen die Wirklichkeit, das Sein. Die gesetzlichen Rechtsfolgen schreiben ein Handeln (oder, wenn man so will, auch ein Unterlassen) vor, ein Sollen, um die Wirklichkeit zu beeinflussen. In manchen Rechtssätzen wird aus guten Gründen auf den Schein von Tatsachen abgestellt, die auch ein Faktum sind (Rechtsscheinsprinzip 13› Hinweis ).

»Aus Tatsachen lassen sich keine Normen herleiten« (Karl-Otto Apel 14› Hinweis ). Das Sollen folgt zwar nicht aus dem Sein, ist aber der Wirklichkeit verpflichtet (Rprp, S. 138 f., 522 f., 540 ff., 757f.). 15› Hinweis Die Wahrheitlichkeit ist ein Imperativ der Ethik, genauer: der Sittlichkeit, ein kategorischer Imperativ 16› Hinweis , weil nur richtig im Sinne der Freiheit sein kann, was auf Wahrheit beruht (Rprp, S. 569; PdR, S. 143f. 17› Hinweis ). Unwahrheit behindert die Erkenntnis des Rechts, also die Freiheit. 18› Hinweis Wahrheitlichkeit ist eine Grundpflicht der Republik wie jedes Rechtsstaates. Veritas, non auctoritas facit legem (Wahrheit, nicht Amtsgewalt macht das Gesetz) nicht, wie das Hobbes, der veritas und auctoritas verbunden hat 19› Hinweis , unterschoben wird, auctoritas, non veritas facit legem 20› Hinweis . Carl Schmitt missbraucht wie viele den Leviathan Hobbes für die Herrschaftsdoktrin, zu Unrecht. 21› Hinweis Die praktische Vernunft setzt somit die theoretische Vernunft voraus. Daraus leitet sich das Sachlichkeitsprinzip her (BVerfGE 3, 58 [135 f.]; 76, 256 [329]; st. Rspr.), das Willkürverbot (PdR, S. 329ff.). Die Sache ist die Wirklichkeit und die dieser angemessenen Gesetzlichkeit.

III Gerechtigkeit, Rechtlichkeit, Gesetzlichkeit

III  Gerechtigkeit, Rechtlichkeit, Gesetzlichkeit

Es ist nicht richtig, dass es keine Gerechtigkeit gebe. Sie ist nur durch Sittlichkeit zu verwirklichen, und daran fehlt es meist. Der Rechtsstaat zielt auf Gerechtigkeit (BVerfGE 7, 89 [92]). Gerechtigkeit im Staat ist die Rechtlichkeit durch Gesetzlichkeit. Gesetze schaffen nur Recht, wenn sie sittlich sind. Sie können nur sittlich sein, wenn der Gesetzgeber (das ist das ganze Volk) sich bei der Gesetzgebung vom Sittengesetz leiten lässt. Die gesetzgeberische Moral ist der gute Wille des Gesetzgebers. »Von dem Willen gehen die Gesetze aus« (MdS, S. 332). Er ist ein guter Wille, wenn er den kategorischen Imperativ achtet. Die Republik braucht den »moralischen Politiker, nicht den politischen Moralisten« (ZeF, S. 233). Folglich müssen die Vertreter des ganzen Volkes, die Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 GG), oder das Volk selbst bei der Erkenntnis der Gesetze und deren Beschluss, also bei der Gesetzgebung, moralisch gehandelt, das Sittengesetz beachtet haben (Rprp, S. 279 ff., 519 ff., 637 ff.; FridR, S. 83, 405 ff.).

Gesetzlichkeit heißt, dass alle Rechtsvorschriften materieller und prozeduraler Art unverletzt bleiben. Gerechtigkeit besteht gleichrangig aus materialer Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Beide Prinzipien haben den Verfassungsrang des Rechtsstaatsprinzips (BVerfGE 2, 380 [403]; 7, 89 [92]; 49, 304 [308]; 82, 6 [12]). Der Gesetzgeber habe zu entscheiden, welche Maßnahmen er um der Rechtssicherheit willen zulasten der materiellen Gerechtigkeit treffen wolle, pflegt das Bundesverfassungsgericht zu erklären (BVerfGE 2, 380 [403 ff.]; 3, 225 [237]; st. Rspr.). Materielle Gerechtigkeit und Rechtssicherheit sind Zwecke der Gesetze, die insgesamt das gute Leben in allgemeiner Freiheit verwirklichen und darum nicht relevant nach den beiden Zwecken unterschieden werden können. Rechtsstaatlichkeit zielt auf bestmögliche materiale Gerechtigkeit. Ein wesentliches Instrument der rechtssichernden Gerechtigkeit ist die Rechtskraft, die der Unsicherheit des materiellen Rechts mittels eines Verfahrens ein Ende setzt und dadurch gerechte Rechtssicherheit schafft (PdR, S. 142 ff.). Der Vorwurf, das Gesetz sei nicht Recht, ist sittlich. Sittlich ist die praktische Vernünftigkeit, also die durch Unparteilichkeit gewährleistete Sachlichkeit der Gesetze. Gustav Radbruch, der dem Rechtspositivismus verpflichtet war, hat das Verhältnis von Gesetz und Gerechtigkeit wie folgt definiert (vgl. PdR, S. 21f.):

»Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht hat, dass das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat« (Radbruchsche Formel). 22› Hinweis

Diese Definition wird vom Bundesverfassungsgericht für die Bestimmung des Verhältnisses von »Gesetz und Recht« in Art. 20 Abs. 3 GG aktiviert (BVerfGE 3, 58 [119]; 54, 53 [67f.]; st. Rspr.). Nach Auffassung des Gerichts hält die »Formel« in Art. 20 Abs. 3 GG das Bewusstsein aufrecht, dass sich Gesetz und Recht zwar faktisch im Allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Das Gericht leitet aus dem Wort »Recht« die Befugnisse des Richters zur schöpferischen Rechtsfindung her, die verfassungsmäßige Wertvorstellungen, die in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen Ausdruck erlangt haben, ohne Willkür nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft verwirklicht (BVerfGE 9, 338 [349]; 34, 269 [286ff.]). Das Gericht lehnt damit einen »engen Gesetzespositivismus«, wie Art. 97 Abs. 1 GG, der die Richter an die Gesetze bindet, missverstanden werden könnte, ab und löst den Richter von der Bindung an Gesetze, die nicht dem Recht genügen und darum keine Verbindlichkeit begründen (Rprp, S. 870ff.).

Die Verantwortung für die Sittlichkeit/praktische Vernünftigkeit der Gesetze hat zunächst der Gesetzgeber, aber auch die Rechtsprechung, vornehmlich das Bundesverfassungsgericht (FridR, S. 420ff.), das das dem Gewaltenteilungsgrundsatz abgewonnene Zurückhaltungsgebot (Rprp, S. 955 f.; FridR, S. 428) zunehmend überzieht und offenkundiges Unrecht des Gesetzgebers, wie die Euro-Politik, nicht zurückweist.

D: Verfassung und Verfassungsgesetz

D

Verfassung und Verfassungsgesetz

Verfassung und Verfassungsgesetz sind zu unterscheiden.

Die Verfassung ist mit dem Menschen geboren. Sie steht nicht zur Disposition der Politik. Sie ist die Freiheit des Menschen (MdS, S. 345) und alle mit der Freiheit untrennbaren Rechte, insbesondere die Gleichheit in der Freiheit und damit die Gleichberechtigung, die Selbstständigkeit, »sein eigener Herr, sui iuris« zu sein, aber auch als »unbescholtender Mensch, iusti« zu gelten, weiterhin das Recht der freien Rede, die Glaubens-, Bekenntnis- und Gewissensfreiheit, u. a.m., insgesamt die Würde des Menschen. Dazu gehören aber auch essenziell die Gewährleistung des Eigentums, ohne das der Mensch nicht selbstständig ist, sowohl das Recht am Eigentum als auch das Recht auf Eigentum. Vor allem gehört zur Verfassung der Menschheit des Menschen das Recht auf einen Staat, auf die »bürgerliche Verfassung«, wie Kant sagt, auf deren »Stiftung es ein wirkliches Rechtsgesetz der Natur« gibt (MdS, S. 366, 374). Dieser Staat muss alle unverzichtbar für einen Staat, der das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit verwirklichen soll, notwendigen Befugnisse haben, also die existenzielle Staatlichkeit oder eben die Souveränität.

Das Verfassungsgesetz materialisiert die Verfassung gemäß der Lage des jeweiligen Staates. Die Verfassung darf der Verfassungsgesetzgeber nicht schädigen. Ein solches Verfassungsgesetz ist das Grundgesetz. Seine Geltung als Verfassungsgesetz hängt nicht von dem Zustandekommen 1949 ab, sondern von der Anerkennung durch das Volk und die langjährige Praxis. Art. 79 Abs. 3 GG, die Unabänderlichkeitsklausel, schützt die Verfassung vor dem verfassungsändernden Gesetzgeber, nämlich außer bestimmten Prinzipien des Bundesstaates, die die existenzielle Staatseigenschaft und Staatlichkeit der Länder schützen, die »in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze«. Artikel 1 des Grundgesetzes schützt die Menschenwürde und die Menschenrechte, übrigens »als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt«, also den Primat der Grundrechte. Artikel 20 des Grundgesetzes erklärt in Absatz 1 Deutschland zu einer Bundesrepublik, die ein »demokratischer und sozialer Bundesstaat« ist (sein soll). Absatz 2 verankert das demokratische Fundamentalprinzip: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus«, meist Volkssouveränität genannt, und die unmittelbare und mittelbare demokratische Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk, nämlich durch Wahlen und Abstimmungen (die dem Volk auf Bundesebene von der politischen Klasse verweigert werden) einerseits und »durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung«, also durch Vertreter des Volkes, meist irreführend Repräsentanten genannt, andererseits. Absatz 3 verankert den umfassenden Primat des Rechts, nämlich »die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden«. Dieses Rechtsprinzip wird in jüngerer Zeit um der Europäisierung Deutschlands willen systematisch gebrochen. Rechtsschutz wird verweigert. Absatz 4 räumt »gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, allen Deutschen das Recht zum Widerstand ein, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist«. Auch das Widerstandsrecht ist mit dem Menschen geboren und unaufhebbar; denn immer haben die Menschen das Recht auf Recht, das Recht, in einer bürgerlichen Verfassung zu leben, in einem Rechtsstaat als Staat des Rechts. Das Widerstandsrecht ist zudem ein grundrechtsgleiches Recht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG).

Die Verfassung steht auch nicht zur Disposition der europäischen Integration. Das stellt Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, der Integrationsartikel, der an Art. 20 und Art. 1 angeseilt ist, klar. Mag das Unionsrecht vorrangige Anwendbarkeit vor der nationalen Rechtsordnung beanspruchen (PdR, S. 82ff.), wie das die Judikatur, erzwungen durch umstürzlerische Judikate des Europäischen Gerichtshofs 23› Hinweis , stetig praktiziert, die Grenze des Vorrangs ist die Verfassung, die mit den Menschen geboren ist, und damit das Recht auf Recht, das Recht auf einen eigenständigen Staat, die Souveränität des Deutschen Volkes, mit dem Bundesverfassungsgericht der unabänderliche Kern des Verfassungsgesetzes, den Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsgesetzlichen Änderungen entzieht (BVerfGE 89, 15 [174 f., 184, 187 ff., 191ff., 210 ff.]).

E: Gemeinwesen

E

Gemeinwesen

I Gemeinwesen als Bürgerschaft

I  Gemeinwesen als Bürgerschaft

Das Gemeinwesen als die Rechtsgemeinschaft der Bürger ist als Staat im weiteren Sinne (Rprp, S. 100; PdR, S. 58 f.) eine, die wichtigste, res publica, die Republik. Eine res publica ist jede Veranstaltung, die dem öffentlichen Wohl dient, aber die staatliche Republik, die demokratisch sein muss (Rprp, S. 14 ff.), ist die Republik im meistgebrauchten Sinne des Wortes. Für diese gebietliche Republik gilt der Satz Ciceros: »Est igitur … res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congreatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus«, übersetzt: Es ist also das Gemeinwesen die Sache des Volkes, ein Volk aber nicht jede irgendwie zusammengescharte Ansammlung von Menschen, sondern die Ansammlung einer Menge, die in der Anerkennung des Rechtes und der Gemeinsamkeit des Nutzens vereinigt ist (De republica, Liber primus, 25). Eine als Rechtsgemeinschaft der Bürger, als »iuris societas civium« (Cicero, Liber primus, 32), ein als »civitas«, als Staat verfasstes Volk ist eine Republik. Kant definiert den Staat, die »civitas«, ähnlich Cicero, als die »Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen« (MdS, S. 431). Sie ist die κοινωνίαπολιτική des Aristoteles, die politische Gemeinschaft der Bürger. 24› Hinweis

Weil das Handeln der Menschen die Welt verändert und damit Einfluss auf alle Menschen hat, ist die Welt ein Gemeinwesen, das einer alle befriedenden Rechtsordnung bedarf, die bestmöglich als Republik der Republiken gestaltet ist (PdR, S. 45f., 60f., 66ff.), als »Föderalism freier Staaten«, den Kant konzipiert hat (ZeF, S. 208 ff.). Als Rechtsgemeinschaft muss die Welt bestmöglich die Staaten als bürgerliche Gemeinwesen durch Verträge befrieden.

1. Bürger

1. Bürger

Die Bürger sind die zentralen Figuren des Staates (Rprp, S. 211ff.; FridR, S. 612 ff.). Die Gesetze sind der Wille der Bürger, und die Bürger verwirklichen funktional die Staatlichkeit und damit das Gemeinwohl durch die Legalität ihres Handelns. Der Bürger ist durch Freiheit, Gleichheit in der Freiheit und Selbstständigkeit definiert. Ohne diese Attribute ist er der Autonomie des Willens, die die Republikanität des gemeinsamen Lebens ausmacht, nicht befähigt. Die allgemeine, gleiche Freiheit bringt die Gleichberechtigung der Bürger mit sich, die das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 1 auf alle Menschen ausdehnt. Die Selbstständigkeit erlangt er durch Bildung und Besitz. Darum gibt es ein Bürgerrecht auf Bildung und auf Eigentum, ein Menschen- und Grundrecht (FridR, S. 537 ff., 599 ff.). 25› Hinweis Die Selbstständigkeit der Bürger vor allem wirtschaftlich zu fördern, damit sie Bürger sein können, verpflichtet das Sozial(staats)prinzip den Staat (FridR, S. 636ff.). 26› Hinweis Die Bürger handeln funktional staatlich, soweit sie, ihrer Pflicht gemäß, ihr Handeln an den Gesetzen ausrichten, ohne institutionell zum Staat im engeren Sinne zu gehören. Als Gesetzgeber, sei es unmittelbar oder mittelbar, sind die Bürger Amtswalter des Staates im engeren Sinne. Die Bürger sind funktional privat, soweit sie (im Rahmen der Gesetze) alleinbestimmt ihr Glück suchen (Rprp, S. 370ff.; FridR, S. 449ff.). Diese Privatheit rechtfertigt nicht ein Leben nach den Neigungen, nach Habsucht, Ehrsucht, Herrschsucht (MdS, S. 332f.), nicht den individualistischen Egoismus des homo oeconomicus. Zur Bürgerlichkeit der Bürger, also zur Republikanität, gehört vielmehr die Sittlichkeit der privaten Maximen (FridR, S. 458ff.). In der Republik ist der Bürger immer citoyen (FridR, S. 612ff.). Das bürgerliche Ethos ist schwach. Die demokratischen Institutionen zumal des Parteienstaates stützen die Bürgerlichkeit der Bürger nicht, und der Ökonomismus mit seiner Wettbewerbsideologie scheint die egoistische Interessenverfolgung ins Recht zu setzen. 27› Hinweis

Wenn die freiheitliche Bürgerlichkeit im Staat gelebt werden können soll, müssen die Menschen, die zusammenleben, die Bürgerschaft, ein wirkliches Volk sein, eine Nation, das durch seine Sprache, Geschichte, Schicksal oder in anderer substanziellen Weise, vor allem durch den Willen zur Nation seinen Zusammenhalt und damit Solidarität gewährleistet (Rprp, S. 1177 ff.). 28› Hinweis Die nationale Homogenität gibt der demokratischen Willensbildung die erforderliche Chance. 29› Hinweis Dieses Prinzip hat mit dem Begriff Deutsches Volk, der in der Präambel des Grundgesetzes steht und in Art. 20 GG, der außer Art. 1 GG die fundamentalen Strukturprinzipien Deutschlands formuliert, zum Ausdruck kommt, unabänderlichen Verfassungsrang. Diese Prinzipien würden auch gelten, wenn sie nicht im Grundgesetz stünden; denn die Deutschen sind ein Volk, das, wenn auch nicht ganz, auf einem Gebiet zusammenlebt und eine Verfassung hat, die mit den Deutschen geboren ist. Darum kann niemand in der Welt den Deutschen die Hoheit oder eben die Souveränität über ihr Leben geben oder nehmen.

2. Bürgerschaft

2. Bürgerschaft

In einer Republik kann der Begriff der Gesellschaft neben dem des Staates keine politische Funktion beanspruchen. Die Bürger sind nicht Untertan der Obrigkeit, sondern als Gesamtheit, in Freiheit vereint, nämlich als Bürgerschaft, der Staat im weiteren Sinne, die Republik oder der Bürgerstaat (Rprp, S. 14 ff.; FridR, S. 612 ff.). 30› Hinweis

3. Gesellschaft

3. Gesellschaft

Gesellschaft ist (abgesehen von den privatrechtlichen Gesellschaften wie den Aktiengesellschaften) ein soziologischer Begriff, der als solcher auch den Staat im weiteren und engeren Sinne umfasst und vielfache Facetten hat. 31› Hinweis Als politischer Begriff war die Gesellschaft im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts (1815–1918) der Gegenbegriff zum Staat und erfasste die Bürger in ihrer Privatheit, die Bourgeoisie, im Gegensatz zu den Bürgern als Untertanen der Obrigkeit. Der Konstitutionalismus hat in der Logik des monarchischen Prinzips und der liberalistischen Freiheit Staat und Gesellschaft getrennt (Rprp, S. 159ff.). Nach dem monarchischen Prinzip hatte der Fürst die Staatsgewalt inne. 32› Hinweis Er durfte diese im Konstitutionalismus aber nicht zulasten von Freiheit und Eigentum der Bürger nutzen, wenn deren Vertretung, die landständischen Parlamente, dem nicht durch Gesetz zugestimmt hatten (konstitutioneller Gesetzesvorbehalt 33› Hinweis ).

4. Zivilgesellschaft

4. Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft, ein Wort, das neuerdings gern benutzt wird, meint Menschen und nationale und international organisierte Gruppen, die, ohne in die Ausübung der Staatsgewalt integriert zu sein, auf die Politik vor allem mit dem Mittel der Meinungsäußerung Einfluss nehmen, etwa und vor allem die Nicht-Regierungs-Organisationen 34› Hinweis , meint aber nicht etwa die »Privatrechtsgesellschaft« im Sinne von Franz Böhm 35› Hinweis , auch nicht die konstitutionalistisch begriffene bürgerliche Gesellschaft 36› Hinweis , schon gar nicht die Bevölkerung.

II Gemeinwesen als Volk

II  Gemeinwesen als Volk

1. Volk

1. Volk

»Volk« ist nach Kant »eine Menge von Menschen, …, die im wechselseitigem Einflusse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio) bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden« (MdS, S. 429). In der Republik ist das Volk die Bürgerschaft als die Vielheit der Bürger. Bürger ist, wer zum Staat, dem Gemeinwesen, gehört, der Staatsangehörige, aber jeder Mensch, der dauerhaft in einem Gemeinwesen lebt, muss Bürger sein, weil sonst seine Würde, nämlich seine Freiheit als Ausdruck des sittlichen Willens, verletzt ist (Rprp, S. 207ff., 1201ff.).

Volk ist ein Begriff der Ethik, also des Rechts, genauer: des Staatsrechts. Volk ist nur eine Ethnie, wenn das Staatsrecht das Volk ethnisch definiert. Wenn der Volksbegriff menschheitlich verfasst sein soll, muss er dem weltrechtlichen Prinzip der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit genügen. Zum Volk gehören danach grundsätzlich alle Menschen, die dauerhaft auf einem Gebiet wohnen. Das entspricht dem französischen Begriff der Nation. Der deutsche Nationenbegriff ist durch das heute weitgehend durchbrochene ius sanguinis ethnisch geprägt (Rprp, S. 1186 ff.). In den meisten Staaten, auch in Deutschland, lebt nicht eine Ethnie, sondern leben Menschen unterschiedlicher Herkunft, zumal in den Einwanderungsländern. Den offenen Volksbegriff gebietet das Friedensprinzip. Für den Volksbegriff ist nur ein Kriterium tragfähig, nämlich die Gebietszugehörigkeit eines Menschen (PdR, S. 59 f.). Die territoriale Rechtsgemeinschaft muss prinzipiell alle Menschen erfassen, die ein Gebiet bewohnen, um mit dem Recht den Frieden zu gewährleisten. Neben dem Volk kann eine Bevölkerung von Menschen ohne Staatsangehörigkeit dauerhaft nicht geduldet werden.

Um der allgemeinen Freiheit, die sich demokratisch in der Republik verwirklicht, eine Chance zu geben, muss das Volk hinreichend homogen sein (Rprp, S. 1177ff.). Sonst droht die Unterdrückung der Minderheiten durch eine heterogene Mehrheit mittels des parteienstaatlichen (republikwidrigen) Mehrheitsprinzips (BVerfGE 123, 267, Abs. 210, 212f.; vgl. Rprp, S. 105ff.; FridR, S. 150ff.). Heterogenen Bevölkerungsgruppen mangelt es an der notwendigen inneren Solidarität. Eine heterogene Bevölkerung wird keine Bürgerschaft im freiheitlichen Sinne, sondern zu Untertanen einer elitären Obrigkeit. Eine Ethnie hat die notwenige Homogenität, aber die meisten Völker sind nicht auf Ethnien beschränkt. Aber die sprachliche Homogenität ist unverzichtbar, wenn alle Menschen eines Staates in Freiheit leben können sollen, sowohl privat und beruflich als auch und vor allem staatlich als Bürger, die an der politischen Willensbildung teilhaben. Religiöse Heterogenität ist nur hinnehmbar, wenn die Religionsausübung privatisiert ist und auf jede Einwirkung auf die Politik verzichtet. Das Staatliche muss streng säkularisiert sein. Es gibt keine Religionsfreiheit, die ein Recht gibt, die Gesetze am Glauben oder an einer Heiligen Schrift auszurichten. Jeder Bürger muss sich innerlich säkularisieren und seine Religion von seiner Politik trennen. Sonst kann er nicht an der Erkenntnis des allgemein Richtigen für das gute Leben aller teilhaben. 37› Hinweis Bestmöglich wird die allgemeine Freiheit durch allgemeine Aufgeklärtheit aller Bürger gewährleistet.

2. Deutsches Volk

2. Deutsches Volk

Das Grundgesetz verfasst das Deutsche Volk zu einem Staat, nicht irgendeine Bevölkerung. Das folgt aus der Präambel und aus dem Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG. Die »Deutschen« im Sinne der Präambel und des Art. 20 Abs. 4 GG sind die deutsche Ethnie. Zwar ist die Staatsangehörigkeit durch das Staatsangehörigkeitsrecht formalisiert, aber sie darf nicht beliebig zugesprochen werden, sodass das Deutsche des Deutschen Volkes verlorengeht. Naturalisation ist ihrem Prinzip nach eine Ausnahme aus familiären Gründen. Das Deutsche ist durch die Herkunft und eine christlich fundierte, aufklärerische kulturelle Einheit bestimmt. Deutschland ist aus der Spracheinheit der Menschen in der Mitte Europas entstanden (Rprp, S. 1194). Das Grundgesetz verfasst Deutschland nicht als Einwanderungsland. Das Prinzip des Deutschen steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers, auch nicht des verfassungsändernden Gesetzgebers (Art. 79 Abs. 3 GG).

III Gemeinwesen als Staat

III  Gemeinwesen als Staat

1. Staat und Staatlichkeit

1. Staat und Staatlichkeit

Das Verständnis von Staat und Staatlichkeit erfordert Unterscheidungen, nämlich die zwischen dem Staat im weiteren und dem im engeren Sinne, die zwischen der existenziellen und der funktionalen Staatseigenschaft und die zwischen der existenziellen und der funktionalen Staatlichkeit oder Staatsgewalt. Zudem ist der staatsrechtliche vom völkerrechtlichen Staatsbegriff zu unterscheiden.

Kant definiert den Staat staatsrechtlich wie folgt:

»Der Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen« (MdS, S. 431; Rprp, S. 519ff.; PdR, S. 55ff.). 38› Hinweis Diese Definition des Staates im weiteren Sinne, der Bürgerschaft oder des verfassten Volkes, staatsrechtlich verstanden, muss eine freiheitliche Lehre vom Staat leiten.

Der Staat ist die Einrichtung der Menschen eines begrenzten Gebietes (Territoriums) zur Verwirklichung der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, kurz der allgemeinen Freiheit, durch die allgemeine, dem Recht gemäße Gesetzlichkeit. Jeder Mensch hat aus seiner angeborenen Freiheit ein Recht auf Recht, ein natürliches Recht auf eine »bürgerliche« Verfassung, ein Recht auf einen Staat (MdS, S. 365 f., 430 f.; Rprp, S. 290 ff., FridR, S. 44 ff., 288 ff.). Kant lehrt: »Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei« (MdS, S. 338 ff., 340). 39› Hinweis Der um der Gesetzlichkeit willen notwendige Zwang findet seine letzte Rechtsgrundlage in der allgemeinen Freiheit der Bürger. Die Freiheit erfordert die Zwangsbefugnis; denn der Zwang ist die »Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit« (MdS, S. 338). Der Zwang verwirklicht die Gesetzlichkeit. Er kann aber nur Recht sein, wenn er freiheitlich begründet ist, d. h. auf allgemeinen Gesetzen beruht. Die Menschen, die sich zum gemeinsamen Leben mittels eines Verfassungsgesetzes vereinigt haben, schaffen um des Friedens und damit um der Freiheit willen Zwangsmöglichkeiten gegen diejenigen, die die Gesetze der Freiheit missachten.

Da der Zweck des Staates, das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit, ohne Zwang, nicht verwirklicht werden kann, zugleich aber die friedliche Durchsetzung der Gesetzlichkeit die unwiderstehliche Zwangsmöglichkeit des Volkes als des (existenziellen) Staates (im weiteren Sinne) in einem Gebiet erfordert, ist allein ein Staatsbegriff freiheitlich, der auf die gesicherte Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens und damit auf die grundsätzlich alleinige Zwangsbefugnis des Staates abstellt. Das begründet das Prinzip der Gebietshoheit des Staates 40› Hinweis und das Prinzip der Einzigkeit dessen unwiderstehlicher Gewalt 41› Hinweis in einem Gebiet oder der Ausschließlichkeit der Staatsgewalt im Staatsgebiet 42› Hinweis ; denn weil der Staat um des Friedens willen das Recht durchsetzen können, also die suprema potestas, die Gebietshoheit, beanspruchen muss (Rprp, S. 545ff.), kann es auf einem Territorium nur einen Staat im existenziellen Sinne geben (PdR, S. 58ff.). Die Gebietshoheit ist nichts anderes als die Staatsgewalt des Volkes (PdR, S. 58ff.).

Daraus folgt die republikanische Einheit der Gebietshoheit mit deren freiheitlicher Legalität, d. h.: Die Gebietshoheit darf um der Freiheit willen nur der Staat (i. e.S.) haben, dessen Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Staatlichkeit, die nicht demokratisch legitimiert ist, ist mit Art. 20 Abs. 2 GG unvereinbar. Die Gebietshoheit darf umgekehrt auch nur so weit reichen wie das Legalitätsgebiet. 43› Hinweis Territoriale Grenzen der existenziellen Staatlichkeit sind darum im Begriff des existenziellen Staates genauso angelegt wie die Staatsangehörigkeit. Die Drei-Elemente-Lehre des Völkerrechts definiert insofern richtig den Staat als die Einheit von Gebiet, Volk und Gewalt (PdR, S. 60). 44› Hinweis Günter Dürig hat auf dem »Boden der ontologisch-phänomenologisch orientierten Philosophie« vor allem Nikolai Hartmanns vorgeschlagen, ein viertes entscheidendes Element in die völkerrechtliche Staatsdefinition aufzunehmen, nämlich die »objektive geistige Tradition« als das »Schöpfungs- und Erhaltungsmoment jeder sozialen Einheit« und auch des Staates. 45› Hinweis Er führt für diese Tradition des »objektiven Geistes« die »biologisch-organische« und die »räumliche Zusammengehörigkeit«, die Sprache, die Geschichte und das Recht auf, Elemente der »nationalen Einheit« und des »Nationalbewusstseins«, die den Bestand des Staates auch über Zeiten des organisatorischen Niedergangs, wie Deutschland nach 1945, bewahren. Für den Willen des Volkes, ein Staat und damit ein Volk zu bleiben, ist das wesentlich und hat das Wiedervereinigungsgebot getragen, das freilich vor der nicht mehr erwarteten Wende 1989 in den großen Parteien bereits, wenn nicht zurückgewiesen, so doch aufgegeben war. Das Bundesverfassungsgericht hat es vor allem im Urteil zum Grundlagenvertrag bekräftigt (BVerfGE 36, 1 [17ff.]) und sich damit um Deutschland verdient gemacht. Gegen den Vertrag der Regierung Brandt/Genscher, der die Einheit Deutschlands so, wie er geschrieben war, beendet hätte, hatte der Freistaat Bayern unter Franz Josef Strauß Verfassungsklage erhoben, ein geschichtsbedeutsamer Schritt.