Die verfluchten Eier - Michail Bulgakow - E-Book

Die verfluchten Eier E-Book

Michail Bulgakow

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Beschreibung

Michail Bulgakows und Alexander Nitzbergs dritter Streich: Eine beißende Satire mit bizarren Science-Fiction-Auswüchsen, die ein weiteres Mal zeigt, wie erschreckend aktuell Bulgakows Texte auch beinahe 100 Jahre nach ihrem Entstehen noch sind. Professor Pfirsichow, an der Moskauer Universität eine echte Institution auf dem Gebiet der Zoologie, macht bei seinen Forschungen eine zufällige Entdeckung: einen »roten Strahl«, der auf alles, was von ihm bestrahlt wird, eine enorm wachstumsbeschleunigende Wirkung zu haben scheint. Angesichts katzengroßer Frösche im Labor bleibt der bahnbrechende Fund nicht lange im Verborgenen: Schon bald entwendet man Pfirsichow seine Gerätschaften und der noch unerprobte Strahl wird fahrlässig eingesetzt: Denn statt der eigentlich vorgesehenen Hühnereier, die mit seiner Hilfe vergrößert und gegen den Hunger auf Moskaus Straßen verwendet werden sollen, lässt ein ebenso skrupel- wie ahnungsloser Funktionär große Mengen Reptilieneier bestrahlen … Michail Bulgakow schrieb Die verfluchten Eier 1925 – während Stalin im Machtgefüge der Sowjetunion unaufhaltsam aufstieg, entwarf der dem späteren Diktator verhasste Schriftsteller eine bizarre Zukunftsvision (die Erzählung spielt im Jahr 1928), in der ein vermeintlicher »Lebensstrahl« schauderhafte Folgen hat und eine Armee riesenhaft mutierter Schlangen und Echsen Moskau bedroht.In Alexander Nitzbergs Neuübersetzung – nach Meister und Margarita und Das hündische Herz widmet er sich zum dritten Mal einem Werk von Bulgakow – kommt der gesamte Reichtum der Sprache des russischen Jahrhundertautors zur Geltung. Ein Buch, das Witz und Galle spuckt.

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Michail Bulgakow

Die verfluchten Eier

Roman

Aus dem Russischen übertragen, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Alexander Nitzberg

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Michail Bulgakow

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel I Professor Pfirsichow, Curriculum VitaeKapitel II Das bunte GekräuselKapitel III Pfirsichow schnappt ihnKapitel IV Die Popenwitwe DrosdowaKapitel V Die HühnergeschichteKapitel VI Moskau im Juni 1928Kapitel VII VluchKapitel VIII Die Chose im SowchosKapitel IX Der lebende BreiKapitel X Die KatastropheKapitel XI Die Schlacht und der TodKapitel XII Boreas ex machinaAnhangTextnachweis und verwendete russische OriginalausgabenEine höllische OstergeschichteDanksagungFördernachweis
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Kapitel IProfessor Pfirsichow, Curriculum Vitae

Es geschah am 16. April des Jahres 1928, gegen Abend: Der Zoologieprofessor der IV. Staatlichen Universität und Direktor des Moskauer Instituts für Tierkunde Pfirsichow[1] betrat sein Kabinett im selbigen Institut, welches da steht in der Herzen-Straße[2]. Der Professor entfachte oben die matte Kugel und sah sich um.

Die Saat der entsetzlichen Katastrophe, so viel ist sicher, wurde gelegt am besagten unseligen Abend, und ihr Verursacher, auch so viel ist sicher, war besagter Professor Wladimir Ipatjewitsch Pfirsichow.

Er zählte exakt 58 Jahre. Der Kopf – ein Hammer[3] und fabelhaft: kahl, mit wuschligen Büscheln von falben Haaren. Das Gesicht glatt rasiert, die Unterlippe nach vorn gestülpt. Weshalb Pfirsichows Miene stets etwas Schnippisches an sich hatte. Auf der knalligen Nase die altmodische kleine Brille mit Silberfassung, glänzende Äuglein, nicht sonderlich groß, der Wuchs beachtlich, der Rücken leicht krumm. Sprechen tat er mit knarzigem quäkigem fisseligem Stimmchen, und eine seiner vielen Marotten war die: Sobald er was Substanzielles respektive Solides von sich gab, verwandelte er den Zeigefinger der rechten Hand in eine Sichel und kniff die winzigen Lider zusammen. Sintemalen er aber auch wirklich immer etwas Solides von sich gab, ob der immensen Gelehrsamkeit, welche er auf seinem Fachgebiet angesammelt, erschien die Sichel sehr, sehr oft vor den Augen von Professor Pfirsichows Gesellschaft. Außerhalb seines Fachgebiets indes – welches wohlgemerkt Tierkunde, Embryologie, Anatomie, Botanik und Geographie umfasste – gab Professor Pfirsichow kaum etwas von sich.

Zeitungen las Professor Pfirsichow keine, Theatervorstellungen besuchte er nie, und die Frau des Professors verließ ihn fluchtartig mit einem Tenor von der Simin-Oper[4], und zwar bereits 1913, zurück blieb ein Zettel folgenden Inhalts:

»Einfach nur grässlich deine Frösche. Meine Lebensfreude ist für immer dahin.«

Der Professor blieb danach unbeweibt und kinderlos. Ein rechter Hitzkopf, doch andererseits auch wieder versöhnlich, liebte Tee mit Moltebeere, wohnte in der Pretschistenka[5], in einer 5-Zimmer-Wohnung, wovon eines ein dürres Mütterchen einnahm, die Haushälterin Marja Stepanowna, die sich um den Professor wie ein Kindermädchen kümmerte.

1919 wurden dem Professor von den 5 Zimmern 3 gekürzt[6]. Worauf er zu Marja Stepanowna sagte:

– Sie sollten wissen, Marja Stepanowna, wenn dieser Unfug nicht aufhört, zwingen die mich noch zur Ausreise.

Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass der Professor, gesetzt den Fall, dieser Plan wäre verwirklicht worden, ganz mühelos an jedem x-beliebigen zoologischen Lehrstuhl der Welt eine Anstellung gefunden hätte, schließlich war er als Wissenschaftler eine Kapazität allerersten Ranges, und was Lurche alias Amphibien anbelangt, konnte ihm keiner das Wasser reichen, höchstens noch William Wakle in Cambridge und Giacomo Bartolomeo Beccari[7] in Rom. Außer Russisch las der Professor vier Sprachen, und Deutsch und Französisch beherrschte er bis zur Perfektion. Sein Vorhaben, nämlich auszureisen, hatte Pfirsichow nicht ausgeführt, und so kam es im Jahr 1920 schlimmer als in dem Jahr zuvor. Allerhand Dinge waren geschehen, und zwar am laufenden Band. Die Große Nikitskaja wurde umbenannt und hieß mit einem Mal Herzen-Straße. Dann blieb die Uhr an der Hauswand Herzen- Ecke Mochowaja-Straße[8] bei 11¼ stehen, anschließend waren in den Terrarien des Instituts für Tierkunde, unfähig, all die Strapazen des denkwürdigen Jahres zu überstehen, 8 prächtige Laubfrösche verreckt, 15 gemeine Kröten und schließlich 1 rares Exemplar der surinamischen Pipa pipa[9].

Den Kröten, welche jene erste Ordnung der Lurche ausgehöhlt hatten, die da mit Fug und Recht als die Gruppe der Schwanzlosen bezeichnet wird, folgte sogleich in die bessere Welt der alte Wächter des Instituts, der unersetzbare Hausmeister Wlas, der da nicht zur Gruppe der Lurche zählte. Die Ursache seines Todes freilich war dieselbe wie bei den armen Lurchen und wurde von Pfirsichow auf Anhieb erkannt:

– Futterentzug!

Der Wissenschaftler hatte recht: Wlas hätte gefüttert werden müssen[10], und zwar mit Mehl, und die Kröten mit Mehlwürmern, alldieweil aber Ersteres abhandenkam, waren auch Letztere verschwunden. Professor Pfirsichow schickte sich an, die ihm gebliebenen 20 Laubfrösche auf Ernährung mit Schaben abzurichten, aber sogar die Schaben waren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt und bekundeten damit ganz offen ihre Ablehnung des Kriegskommunismus[11]. So landeten die letzten Exemplare ebenfalls in der Jauchegrube draußen am Hof.

Dieser um sich greifende Tod, insbesondere jener der Pipa pipa, hinterließ bei Pfirsichow einen Eindruck, welcher kaum in Worte zu fassen ist. Warum auch immer glaubte er, schuld an dem Tod sei der damalige Volkskommissar für Bildung[12] persönlich.

In Mütze und Galoschen im Korridor des eisigen Instituts stehend, sagte Pfirsichow seinem Assistenten Iwanow, einem äußerst adretten Gentleman mit einem hellen spitzen Bärtchen:

– Ich könnte ihn glatt umbringen, eigenhändig, Pjotr Stepanowitsch! Was tun sie denn? Sie ruinieren das Institut! Vortreffliches Männchen, rares Exemplar, Pipa americana, 13 Zentimeter …

Je später, je schlimmer. Nach Wlas’ Hinscheiden waren die Institutsfenster schier durchfroren, die blumige Eisschicht schimmerte jetzt auf der Innenfläche der Glasscheiben. Karnickel, Füchse, Wölfe, Fische, sämtliche Nattern waren krepiert. Pfirsichow verstummte für lange Tage, erkrankte an einer Lungenentzündung, starb aber nicht. Nach seiner Gesundung suchte er das Institut 2 Mal wöchentlich auf und hielt daselbst im runden Saal, in dem die Temperatur von –5 Grad warum auch immer konstant blieb, ganz unabhängig von der da draußen, in Galoschen, Pelzmütze und Schal, Schwaden weißen Dampfs schnaufend, vor 8 Hörern einen Vorlesungszyklus zum Thema »Kriechtiere heißer Zonen«. Die gesamte restliche Zeit verbrachte er bei sich, in der Pretschistenka, auf dem Sofa, in einem Zimmer, wo sich die Bücher nur so stapelten, unter einer Steppdecke, röchelte, starrte in den Rachen des feurigen Öfchens, das Marja Stepanowna mit vergoldeten Stühlen speiste, und trauerte um die Pipa pipa.

Aber alles auf Erden geht einmal zu Ende. Zu Ende ging auch das Jahr 20, dann 21, während 22 gleichsam eine Gegenbewegung einsetzte. Erstens: Anstelle des verstorbenen Wlas erschien Pankrat, ein noch jugendlicher, doch hoffnungsvoller zoologischer Wächter, auch wurde das Institut nach und nach beheizt. Und im Sommer fischte Pfirsichow, mit Pankrats Hilfe, aus der Kljasma[13] 14 Stück Bufo vulgaris. Das Leben in den Terrarien blubberte wieder … Im Jahr 23 konnte Pfirsichow bereits 8 Mal wöchentlich Vorlesungen halten – 3 am Institut und 5 an der Universität, und 24 ganze 13 Mal wöchentlich, manche davon an der Arbeiterfakultät, und im Frühjahr 25 erregte er Aufsehen, da er sage und schreibe 76 Studenten bei der Prüfung abgesägt hatte – allesamt der Lurche wegen:

– Soll das heißen, Sie können Reptilien nicht von Amphibien unterscheiden? –, fragte Pfirsichow. – Das ist einfach nur lächerlich, junger Mann. Amphibien besitzen keine Beckenniere. Die ist gar nicht vorhanden. Pfui. Schämen Sie sich. Darf ich raten – Sie sind Marxist?

– Richtig –, erlosch der Abgesägte.

– Na dann, bis zum Herbst –, sagte Pfirsichow höflich und rief Pankrat: – Rasch, der Nächste!

Ähnlich den Lurchen, die sich nach einer langen Dürreperiode beim prasselnden Regen neu beleben, belebte sich Professor Pfirsichow neu, nachdem 1926 die Vereinigte Russisch-amerikanische Baugesellschaft, an der Zeitungsgasse Ecke Twerskaja beginnend, also mitten im Zentrum von Moskau, 15 Häuser à 15 Etagen und in den Außenbezirken 300 Arbeitercottages errichten ließ, jedes davon 8 Wohneinheiten fassend, was mit einem Schlag jene tragikomische Krise beendete[14], die 1919–25 die Moskauer so sehr gebeutelt hatte.

Überhaupt war dies der beste Sommer in Professor Pfirsichows Leben, und manches Mal gedachte er mit einem leisen, doch breiten Grinsen der Zeiten, da er und Marja Stepanowna sich in 2 winzige Kämmerchen drücken mussten. Jetzt erhielt er alle seine 5 Zimmer zurück, durfte sich wieder ausbreiten, sortierte die 2½-tausend Bücher, die Tierpräparate, die Diagramme und ließ auf dem Schreibpult im Kabinett eine grüne Tischlampe leuchten.

Auch das Institut war nicht wiederzuerkennen: mit seinem neuen cremefarbenen Anstrich, seiner gesonderten Wasserleitung für die Zimmer der Kriechtiere, den frisch ausgewechselten Spiegelfenstern, den kürzlich gelieferten 5 Mikroskopen, gläsernen Präpariertischen, Kugeln mit jeweils 2000 Reflektorlampen, Ausstellungsschränken.

Ja, Pfirsichow belebte sich neu, und die Welt erfuhr es wie aus heiterem Himmel, sobald im Dezember 1926 eine schmale Broschüre erschien:

»Neue Forschungsergebnisse zur Vermehrung von Käferschnecken (Chitonidae)«, 126 S. »Publikationen der IV. Universität«.

Und 1927, im Herbst, ein Standardwerk, 350 Seiten stark, das in 6 Sprachen, darunter auch ins Japanische, übersetzt wurde:

»Embryologie der Frösche, pipae und pelobatidae«. 3 Rubel. Staatsverlag.

Im Sommer 1928 geschah dann das unverhoffte Schreckliche …

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Kapitel IIDas bunte Gekräusel

Wie gesagt, der Professor entfachte oben die matte Kugel und sah sich um. Entfachte den Reflektor an dem langen Versuchstisch, zog den weißen Kittel an, ließ irgendwelche Instrumente klirren …

Viele der insgesamt 30-tausend mechanischen Fahrzeuge, die sich im Jahr 28 in Moskau tummelten, huschten an der Herzen-Straße vorbei, über dem glatten Holzpflaster[15] raschelnd, außerdem rollte allaugenblicklich von der Herzen zur Mochowaja mit Gedröhn und Geknirsch eine Tram – die Nummer 16, 22, 48, manchmal auch 53. Ein matter silbriger Halbmond warf durchs Spiegelfenster des Kabinetts – von fern, von der finstren und schweren Haube der Christ-Erlöser-Kathedrale[16] – sein schillerndes Licht.

Doch weder er noch das Moskauer Frühlingsrauschen beschäftigten jetzt Professor Pfirsichow. Auf einem sich schraubenden dreigebeinten Stuhl sitzend, drehte er mit seinen tabakgebräunten Fingern am Rad eines prächtigen ZeissMikroskops, gerichtet auf ein gewöhnliches frisches ungefärbtes Amöbenpräparat. In der Sekunde, als Pfirsichow die Vergrößerung von 5- auf 10-tausend schob, ging die Tür einen Spaltbreit auf, dahinter erschien das spitze Bärtchen, der lederne Brustschutz, und sein Assistent rief:

– Wladimir Ipatjewitsch, das Gekröse wäre jetzt so weit, einen Blick gefällig?

Pfirsichow rutschte sogleich vom Stuhl, ließ die Zahnstange des Mikroskops auf halber Strecke, rollte die Papirossa zwischen den Fingern und begab sich ins Kabinett des Assistenten. Dort, auf dem Glastisch, halb erdrosselt, halb vor Angst und Schmerzen erstarrt, auf einem Stativ aus Kork gekreuzigt, hing ein Frosch, und seine glimmrig durchschimmernden Innereien waren aus dem blutigen Bauch unter das Mikroskop gespannt.

– Prima –, sprach Pfirsichow und presste seine Pupille ans Okular.

Offenbar zeigte sich im Froschgekröse etwas hochgradig Kurioses, und zwar dort, wo durch die Bahnen der Gefäße, in voller Sicht, lebende Blutbällchen trippelten. Pfirsichow vergaß seine Amöben, geschlagene 1½ Stunden lang beugte er sich, abwechselnd mit Iwanow, über die Linse des Mikroskops. Dabei warfen sich die beiden Gelehrten flinke, doch für das einfache Volk unverständliche Wörter zu.

Endlich riss sich Pfirsichow vom Mikroskop los und sagte:

– Das Blut gerinnt, tja, nichts zu machen.

Der Frosch wackelte schwer mit dem Kopf, und in seinen erlöschenden Augen waren deutlich die Worte zu lesen: »Ihr Schweinehunde, ihr …«

Pfirsichow stand auf, brachte die eingeschlafenen Beine wieder in Form, kehrte ins Kabinett zurück, gähnte, rieb mit den Fingerspitzen die ewig angeschwollenen Lider, sank auf den Stuhl und führte die Hand bereits an die Zahnstange, doch bewegte sie nicht. Mit dem rechten Auge erblickte Pfirsichow die mattweiße Scheibe und darauf die milchigen und fahlen Amöben, aber da – in der Scheibenmitte – da war es – da saß dieses bunte Gekräusel, ähnlich einer Damenlocke. Das Gekräusel hatte Pfirsichow selbst – wie auch Hunderte seiner Schüler – sehr, sehr oft zu Gesicht bekommen, ohne sich dafür zu begeistern – wozu auch? Die farbige Lichtgarbe störte bloß die Beobachtung und machte deutlich, das Präparat sei nicht scharf fixiert. Darum wurde es gnadenlos mit einer einzigen Drehung der Schraube hinweggefegt, indem man das Feld mit gleichmäßig weißem Licht überflutete. Die langen Finger des Zoologen waren schon ans Gewinde gelegt, erbebten auf einmal und glitten ab. Die Ursache: Pfirsichows rechte Pupille – gespannt, erstaunt, ja mit Sorge erfüllt. Nicht eine von diesen talentlosen Nullen saß jetzt hier vor dem Mikroskop. Nein, zum Leide des neuen Staats war es Professor Pfirsichow selbst! Sein Leben, sein Geist sammelten sich ganz und gar in der rechten Pupille. 5 Minuten lang, in steinerner Stummheit, sah das höhere Wesen herab auf das niedere, quälte, strengte sein Auge an mit dem unscharf fixierten Präparat. Rings schwieg alles. Pankrat tat ein Nickerchen in seinem Dienstraum im Eingangsbereich, einmal schepperten in der Ferne die Schrankfenster mit zartem Cantabile, verursacht von Iwanow, der sein Kabinett verriegelte. Danach stöhnte die Außenpforte. Erst dann ertönte die Stimme des Professors. Wen er fragte, ist nicht bekannt.

– Was ist los? Ich verstehe rein gar nichts mehr …

Ein später Lastwagen passierte die Herzen-Straße und brachte die alten Institutsfenster zum Wackeln. Die flache Glasschale mit Pinzetten rasselte leise auf dem Tisch. Der Professor erblasste und hielt seine Hände schützend über das Mikroskop, wie eine Mutter über ihr Kleines, das in Gefahr ist. Davon, dass er, Pfirsichow, weiter an dem Schräubchen drehte, konnte keine Rede mehr sein, mitnichten, jetzt fürchtete er sogar, eine fremde Macht könnte das, was er sah, plötzlich aus seinem Gesichtsfeld stoßen.

Es war ein kräftiger weißer Morgen, die cremefarbenen Stufen des Instituts schnitt ein goldener Streifen entzwei, als der Professor vom Mikroskop abrückte und steif ans Fenster trat. Mit zitternden Fingern betätigte er einen Knopf, und die schwarzen dichten Vorhänge schlossen den Morgen, schon erstand im Kabinett die weise gelehrte Nacht. Der gelbe und inspirierte Pfirsichow machte die Beine breit und begann zu reden, wobei er seine tränenden Augen die ganze Zeit über zu Boden senkte:

– Wie geht das? Einfach nur ungeheuerlich! … Ja, meine Herren, ungeheuerlich –, wiederholte er, an die Kröten gewandt, welche da im Terrarium saßen, doch die Kröten schliefen und würdigten ihn keiner Antwort.

Er schwieg eine Weile und näherte sich dem Schalter, zog die Vorhänge hoch, löschte sämtliche Lichter und tat erneut einen Blick durchs Mikroskop. Sein Gesicht war gespannt, er runzelte die buschigen gelben Brauen.

– Hmm-hmm –, brummelte er, – und futsch. Verstehe. Verste-e-ehe –, näselte er, im wahnhaften Rausch die erloschene Kugel über seinem Kopf betrachtend, – einfach futsch.

Und wieder ließ er die zischelnden Vorhänge herunter und entfachte die leuchtende Kugel. Schaute durchs Mikroskop hindurch, worauf er mit raubtierhafter Freude die Zähne fletschte.

– Ich schnapp dich schon –, verkündete er feierlich mit erhobenem Zeigefinger, – ich schnapp dich. Hmm, vielleicht die Sonne.

Wieder schwirrten die Vorhänge hoch. Die Sonne war jetzt ganz eklatant. Überflutete munter die Institutsmauern und legte sich schief auf das Herzen-Pflaster. Der Professor schaute hinaus und grübelte, wo die Sonne am Tag wohl sein würde. Mal wich er zurück, mal trat er näher, tänzelte leicht und sackte schließlich mit dem Bauch nach vorn aufs Fensterbrett.

Begann ein bedeutsames Mysterium. Bedeckte das Mikroskop mit einer gläsernen Haube. In der bläulichen Brennerflamme ließ er ein Stück Siegellack schmelzen und stempelte die Ränder der Glocke an der Tischplatte fest, wobei er die Siegellackflecken mit seinem Daumenabdruck versah. Knipste das Gas aus, schritt hinaus, verriegelte noch das Sicherheitsschloss.

Zwielicht im Flur des Instituts. Der Professor erreichte das Zimmer von Pankrat und klopfte daran lange und fruchtlos. Endlich erklang hinter der Tür, ähnlich dem Knurren eines Kettenköters, glucksendes Geröchel, und Pankrat – in gestreifter Hose, geschnürt an den Knöcheln – erschien in einem Klecks aus Licht. Wild glotzte er den Gelehrten an und jaulte noch ein wenig vom Schlaf.

– Pankrat –, sprach der Professor und blickte über seine Brille hinweg, – tut mir leid, dass ich dich wecken muss. Folgendes, Freundchen, morgen früh wird mein Zimmer auf keinen Fall betreten. Ich arbeite dort an einem Projekt, das nicht angerührt werden darf. Verstanden?

– Jau-u-uh, ve-verstanden –, schnauzte Pankrat, ohne irgendwas zu verstehen. Er torkelte und schnaufte.

– Nein, hör mal, Pankrat, nicht geschlafen! –, sagte der Zoologe und schubste Pankrat einige Male leicht in die Rippen, woraus bei jenem im Gesicht Furcht erwuchs und eine gewisse Spur von Vernunft in den Augen. – Das Kabinett habe ich zugesperrt –, setzte Pfirsichow fort, – also nicht aufräumen, bis ich wieder da bin. Verstanden?

– Jawohl –, keuchte Pankrat.

– Na prima, dann leg dich wieder schlafen.

Pankrat machte kehrt, verschwand in der Tür und fiel sogleich über das Bett her, der Professor aber begab sich in den Eingangsbereich und zog sich dort an. Da stand er im grauen Sommermantel, mit weichem Hut, erinnerte sich an das Schauspiel im Mikroskop und starrte ein paar Augenblicke seine Galoschen an, so, als sähe er sie zum ersten Mal. Er zog die linke an und versuchte, über die linke die rechte zu stülpen, allein sie passte nicht.

– Welch ein ungeheurer Zufall, dass er mich unbedingt rufen musste –, sagte der Wissenschaftler, – sonst hätte ich es nie und nimmer bemerkt. Was aber verspricht es? … Weiß der Teufel, was es verspricht! …

Der Professor schmunzelte, sah die Galoschen mit zusammengekniffenen Augen an, zog die linke aus und die rechte an. – Mein Gott! Die Folgen, nicht auszumalen … – Der Professor stieß voller Verachtung seine linke Galosche von sich, sie ärgerte ihn, da sie sich weigerte, über die rechte zu passen, und begab sich zum Ausgang in nur einer Galosche. Zugleich verlor er sein Taschentuch, trat hinaus und ließ die schwere Tür knallen. Auf den Stufen durchwühlte er noch lange seine Taschen nach einer Streichholzschachtel, wobei er sich auf die Schenkel klatschte, fand sie und marschierte los mit einer unangezündeten Papirossa im Mund.

Kein Mensch begegnete dem Wissenschaftler unterwegs bis zur Kathedrale. Dort angelangt, hob er den Kopf, angezogen von dem goldenen Helm. Diesen beleckte genüsslich die Sonne.

– Dass ich das früher nicht gesehen habe, na so ein Zufall aber auch! … Ach, Idiot –, der Professor beugte sich vor und versank im Grübeln beim Betrachten seiner verschieden beschuhten Füße, – hmm … was tun? Zurück zu Pankrat? Besser nicht, der schläft wie ein Murmeltier. Das elende Ding einfach wegschmeißen? Nein, zu schade. Bleibt nur noch schleppen. – Er hob die Galosche auf und trug sie voll Widerwillen.

In einer klapprigen Karosse rollte von der Pretschistenka her ein Trio. Zwei hatten was intus, auf ihrem Schoß thronte eine schrill aufgetakelte Frau in seidenen Pluderhosen – so à la 1928[17].

– He, Hübscher –, schrie sie mit heiserem Bass, – hast die andere wohl versoffen?

– Ach geh, Alterchen hat sich im Alkazar[18] ’nen Kleinen genehmigt –, johlte der linke von denen, die was intus hatten, und der rechte lehnte sich aus dem Wagen hinaus und rief:

– He, Kumpel, ist auf der Wolchonka[19] noch auf? Da fahren wir hin!

Der Professor blickte sie streng an, über den Brillenrand hinweg, verlor die Papirossa aus dem Mundwinkel und all die Gestalten hier aus dem Sinn. Dort, am Pretschistenski-Boulevard, ward eine Sonnenspalte geboren, dass der Helm Christi[20] in Flammen stand. Und hervor trat die Sonne.

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Kapitel IIIPfirsichow schnappt ihn

Was los war? – Nun, als der Professor seine geniale Pupille ans Okular schob, sah er zum allerersten Mal durch das bunte Gekräusel einen recht grellen und prallen Strahl hervorstechen. Dieser Strahl war beißend rot und brach aus dem übrigen Gekräusel heraus wie die Spitze – nun, sagen wir – einer Nadel.

Also wirklich ein Jammer, dass dieser Strahl für Sekunden das wohlgeübte Auge des Virtuosen fesselte.