Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 670 - Marion Alexi - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 670 E-Book

Marion Alexi

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Leopold von Uhlendorff, ein Bekannter der Familie Delius, besitzt an der friesischen Küste ein herrliches Landgut. Hierhin lädt er Barbara nach dem Tod ihrer geliebten Mutter ein, damit sie sich von dem schweren Verlust erholen kann.
Doch schon am ersten Abend auf Gut Rabenhorst hat Barbara ein erschreckendes Erlebnis: Auf dem düsteren Gang zum Esszimmer begegnet ihr ein Mädchen, das in panischer Angst vor ihr flieht. Auch Dorfbewohner laufen davon, wenn sie Barbara sehen. Die junge Französin erfährt, dass sie Leopolds Halbschwester, die auf mysteriöse Weise ums Leben kam, verblüffend ähnlich sieht. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Nach und nach kommen immer mehr dunkle Geheimnisse ans Licht, und bald beginnt Barbara sich regelrecht vor ihrem Gastgeber zu fürchten ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 130

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Vergiss die dunkle Zeit

Vorschau

Impressum

Vergiss die dunkle Zeit

Nach Barbaras Ankunft auf Rabenhorst geschehen geheimnisvolle Dinge

Leopold von Uhlendorff, ein Bekannter der Familie Delius, besitzt an der friesischen Küste ein herrliches Landgut. Hierhin lädt er Barbara nach dem Tod ihrer geliebten Mutter ein, damit sie sich von dem schweren Verlust erholen kann.

Doch schon am ersten Abend auf Gut Rabenhorst hat Barbara ein erschreckendes Erlebnis: Auf dem düsteren Gang zum Esszimmer begegnet ihr ein Mädchen, das in panischer Angst vor ihr flieht. Auch Dorfbewohner laufen davon, wenn sie Barbara sehen. Die junge Französin erfährt, dass sie Leopolds Halbschwester, die auf mysteriöse Weise ums Leben kam, verblüffend ähnlich sieht. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Nach und nach kommen immer mehr dunkle Geheimnisse ans Licht, und bald beginnt Barbara sich regelrecht vor ihrem Gastgeber zu fürchten ...

Die Stille der Wohnung hoch oben im fünften Stockwerk des eleganten Hauses in der Rue de Rivoli in Paris war Barbara Delius unerträglich. Sie riss die Vorhänge zur Seite und öffnete das Fenster.

Tief unter ihr auf der Straße pulsierte das pralle Leben. Barbara seufzte. Sie würde sich in Paris nie zu Hause fühlen, sie würde immer eine Fremde sein, und wenn sie noch einmal zweiundzwanzig Jahre hier leben würde! An manchen Tagen war ihr das schillernde Leben einfach zu viel, da hasste sie all den Luxus dieser Weltstadt.

Lag es daran, dass sie einen deutschen Vater hatte, dass sie sich nach all den Jahren immer noch als Fremde fühlte? Barbara schaute dem temperamentvollen Treiben interessiert zu. Ihr Vater hatte Paris geliebt und sein kühles graues Norddeutschland verlassen, um sich für immer hier niederzulassen.

Claudette du Pont und Paris, das war sein Leben geworden. Er hatte das bildschöne Mädchen vom Fleck weg geheiratet. Sie war in sein Atelier gezogen und hatte ihn, dessen Leben bisher in ruhigen Bahnen verlaufen war, in einen solchen Wirbel von Aktivitäten gestürzt, dass er nie wieder an die Heimat gedacht hatte.

Als hätte er geahnt, dass ihm nur wenige Jahre blieben, hatte er wie besessen gearbeitet, Tag und Nacht gemalt und immer nur an dem einen Thema: Claudette. Später war dann noch seine kleine Tochter hinzugekommen, seine Barbara, von Papa und Mama zärtlich Babette genannt.

Barbara wischte sich flüchtig über die Augen. Ihr Vater war nun schon über drei Jahre tot, doch sie kam über den Verlust nicht hinweg.

Sie schloss das Fenster und spürte, wie die lastende Stille des Salons sie wieder gefangen nahm. Ihr Vater war ein erfolgreicher Maler gewesen, und nie hatte es ihm an Aufträgen gemangelt.

Er hatte ihnen viel Geld hinterlassen, Mama und sie lebten nach wie vor üppig und im Überfluss. Aber wie arm waren sie seit seinem Tod, er hatte alles Glück mitgenommen. Claudette Delius kränkelte seit einigen Monaten, Barbara wurde immer stiller, stummer und blasser.

»Mademoiselle Barbara, so eine Unvernunft, Sie haben noch nicht einmal Kaffee getrunken!« Die brave alte Auguste huschte in Mamas geliebten gelben Salon und baute sich mit vorwurfsvoll vorgeschobener Unterlippe vor dem jungen Mädchen auf. »Sie werden mir viel zu mager, Mademoiselle, wie ein Schatten schauen Sie aus. Die Frau Mama macht sich auch Sorgen!«

Barbara erschrak. »Mama? Aber sie darf sich keine Sorgen machen, das wäre schlecht für ihr Herz!«

Sie wollte an Auguste vorbeihuschen, doch der gute Geist des Hauses wich nicht vom Fleck.

»Erst wird gefrühstückt, Mademoiselle, dann können Sie wieder zu Madame Claudette.«

Die klugen grauen Augen und die hochgezogenen Brauen verrieten nur allzu deutlich, was Auguste von all den Tränen hielt, die im Schlafzimmer von Claudette Delius geweint wurden, nämlich gar nichts. Was half es der schönen Madame, wenn sie ihrem Mann nachtrauerte? Von Tag zu Tag wurde sie durchscheinender. Und Mademoiselle Barbara wurde immer menschenscheuer.

»Aber ich ...«, protestierte Barbara schwach, obwohl sie wusste, dass gegen Augustes eisernen Willen kein Kraut gewachsen war.

»Nichts da«, erwiderte denn auch Auguste unnachgiebig, »im Übrigen ist der Docteur bei Madame, da dürfen wir nicht stören.«

Barbara wurde wie ein Kind am Arm genommen und nach nebenan ins Esszimmer geschoben. Auguste goss ihr Kaffee ein und packte ihr den Teller mit goldgelbem Weizenbrot und Butter voll, schob ihr den Honig hin und wachte wie ein Drache neben Barbaras Stuhl darüber, dass wenigstens ein paar Bissen gegessen wurden.

»Haben Sie denn Monsieur Guy vergessen?«, fragte Auguste. »Er heiratet bestimmt kein Nachtgespenst. Und so werden Sie in Ihrem Brautkleid aussehen, garantiert!«

Barbaras Herz begann heftig zu klopfen. Heiraten? Wie konnte sie das, wo ihr das Herz doch so schwer war, dass sie dachte, es müsste ihr vor lauter Wehmut zerspringen?

Ehe sie etwas erwidern konnte, wurde die Tür leise aufgeschoben. Der Hausarzt der Familie, Docteur Villeurs, betrat still wie immer, gebrechlich, grauhaarig und etwas gebeugt, aber doch sehr würdevoll den Raum. Ein schwaches Lächeln huschte kaum wahrnehmbar über seine schmalen blassen Lippen.

Barbaras Augen wurden rund vor Schreck. Obwohl der Arzt an jedem Vormittag kam, spürte sie, dass etwas anders war, seine dunklen Augen hatten etwas Hoffnungsloses, das kluge Gesicht trug den Ausdruck eines Mannes, der den Kampf für aussichtslos hielt.

Er legte seine kühle Hand auf ihre Schulter.

»Wir werden das Herz Ihrer Frau Mama schon wieder in Ordnung bringen«, sagte der Arzt.

»Ich bin kein Kind mehr, Docteur«, rief Barbara ungewohnt heftig. »Ich will die Wahrheit wissen. Wie geht es Mama?«

»Es ist nicht nur das Herz«, murmelte er mit resignierender Stimme. »Ich weiß nicht weiter, hier müsste ein Seelendoktor her, meine Mittel sind erschöpft. Sie will ja gar nicht mehr leben, es ist, als ob sie keine Kraft zum Leben mehr hätte.«

»Aber heutzutage gibt es doch so viele Medikamente«, rief Barbara verzweifelt.

Der alte Herr hob bedauernd die Hände.

»Gegen gebrochene Herzen ist noch kein Kräutlein gewachsen, ich kann nur lindern, heilen kann ich nicht.«

»Wer hätte das gedacht, unsere arme Madame!« In Augustes Augen traten Tränen. »So lebenslustig und vergnügt und jetzt nur noch ein Häufchen Unglück! Wenn der Himmel doch nur ein Einsehen hätte!«

»Liebe Auguste, wir sollten nicht die Hoffnung verlieren.« Der Arzt klopfte ihr auf den Rücken. »Vielleicht wird ja doch noch alles gut, vielleicht geschieht ein Wunder.«

Barbaras Augen wurden größer und angstvoller.

»So also steht es? Sie warten auf ein Wunder?« Ihre Stimme brach. »Darf ich jetzt zu ihr?« Tränen traten ihr in die Augen.

»Gehen Sie nur, Kindchen. Bleiben Sie, solange Sie mögen, nutzen Sie die wenige Zeit, die noch bleibt.«

Barbara erhob sich und verließ das Esszimmer. Während sie über den langen Flur ging, flossen ihr die Tränen über das blasse Gesicht. Sie weinte um ihre arme Mama, die noch viel zu jung zum Sterben war.

Die Bilder ihres Vaters hingen an den Wänden und begleiteten sie bis zur Tür des Schlafzimmers der Mutter. Es waren Bilder, die an den Sommer auf dem Land erinnerten, helle, fröhliche Farben, sonnengelb, orange, zinnoberrot. Der berühmte Maler Delius hatte sich immer der Sonnenseite des Lebens gewidmet.

Und nun, dachte Barbara traurig, war der Tod ungebeten ins Haus gekommen und hatte sich einquartiert, als wollte er nie wieder gehen. Erst der Vater, jetzt die Mutter. Alles wurde ihr unerbittlich genommen.

»Babette, bist du es, Petite?«

Barbara zuckte schmerzerfüllt zusammen.

»Natürlich, Mama, ich bin's«, rief sie gewollt forsch. »Die Sonne scheint herrlich, der Tag wird wunderschön!«

Sie öffnete die Tür und betrat das Schlafzimmer ihrer Mutter.

♥♥♥

»Mama, aber du weinst ja, hast du Schmerzen?« Leise trat Barbara näher. Ihr Herz krampfte sich angstvoll zusammen, als ihr Blick auf die vielen Arzneien auf dem Nachtschrank fiel.

»Nein, Petite, mir geht es sehr gut«, schwindelte die schöne Claudette Delius.

Immer noch war sie eine anziehende Frau, die Krankheit hatte ihrem zarten Teint, dem pechschwarzen Haar und den schimmernden Samtaugen nichts anhaben können. Sie war aber sehr schmal geworden, sehr blass und sehr anfällig. Seit dem Todestag ihres Mannes war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.

»Ach, Mama!« Barbara warf sich der schönen blassen Frau in die Arme. Wie sollte sie ohne ihre Mutter weiterleben?

»Du wirst es schon schaffen, Petite«, murmelte Madame Claudette und strich der Tochter über das dunkelblonde Haar. »Du bist wie dein Vater, ebenso stark und sicher.«

»Nein«, schluchzte Barbara, »ich bin nicht stark. Ich habe furchtbare Angst, Mama.«

»Guy ist ja bei dir. Du wirst ihn doch heiraten, nicht wahr?«

Guy de Vermond, ein junger Mann aus bestem Haus, sportlich, gewandt und voller Energie.

Barbara zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht, jetzt auf einmal scheint es mir, als passten wir nicht recht zusammen, Mama. Vielleicht sollte ich die Verlobung verschieben. Papa war ja auch nicht hundertprozentig angetan von ihm.«

»Unsinn! Er ist der ideale Mann für dich, Babette«, widersprach Madame Delius.

»Aber ich liebe ihn nicht, Mama.«

»Natürlich tust du das nicht, Chérie, aber keine Bange, du wirst ihn schon lieben lernen, wenn du ihn erst einmal geheiratet hast. Vernunftehen halten ohnehin viel länger.«

Das Reden hatte Madame angestrengt. Erschöpft lag sie in den Kissen aus allerfeinstem Lyoner Leinen. Barbara begriff, dass es keinen Sinn hatte, die Diskussion fortzuführen.

Für ihre Mama war Guy de Vermond der ideale Schwiegersohn, der perfekte Ehemann. Er war erfolgreich, vermögend und elegant – ein Franzose wie aus dem Bilderbuch. Sie würden eine vorbildliche Ehe führen, vorbildlich und entsetzlich langweilig!

Barbara seufzte und erhob sich dann, küsste die Mama zärtlich auf die Wange und machte sich daran, Ordnung im Zimmer zu machen.

Wie oft würde sie das noch tun, wie viele Tage würde sie noch damit zubringen, die Mutter zu pflegen? Wehmut und Trauer fielen über sie her wie wütende Wölfe, und eine eiskalte Hand presste ihr das Herz zusammen. Verzweifelt lehnte sie die Stirn an die kühle Fensterscheibe und starrte in die Ferne.

Ein Seufzen, ein unterdrücktes Stöhnen vom Bett her ließen Barbara entsetzt herumfahren. Sie stürzte zur Mutter, starrte sie an und griff fast automatisch zu den Herztropfen.

»Mama, bitte, sag, was ist, fühlst du dich nicht gut?«

Zwei abgemagerte, sensible Hände fuhren nervös über die seidene, mit exotischen Vögeln bestickte Decke.

»Mama, rede doch, wo tut es denn weh?« Barbara war außer sich vor Angst, Panik erfasste sie, und sie war vor Schreck wie gelähmt.

Claudette Delius lag nun ganz still in ihren Kissen, ein seliges Lächeln verzauberte ihr Gesicht zu einer fast überirdischen Schönheit.

Sie antwortete nicht, doch aus ihren Samtaugen sprach vollkommenes Glück. Sie hatte Schmerzen und Tränen weit hinter sich gelassen, sie sah jetzt aus wie früher, als ihr Mann noch bei ihr gewesen war.

Barbara umklammerte die zarten Hände und küsste sie, als könne die Berührung allein die Mutter zum Sprechen bringen, als könnte ein Teil ihrer Kraft in das mutlos gewordene matte Herz strömen.

»Babette, das Leben ist schön«, hauchte die Kranke, »warum weinst du? Schau nur, Papa ist wieder da ... und er ist so glücklich ...«

»Auguste«, rief Barbara angstvoll, »rasch, ruf Docteur Villeurs, er muss sofort kommen, es geht Mama nicht gut! Oh Auguste, bitte, hilf mir.«

♥♥♥

Schliche die Zeit doch nicht so, wäre das Haus nur nicht so still! Die Dämmerung des Tages breitete weiche Schatten über die schönen kostbaren Möbel und ließ sie geheimnisvoll schimmern.

»Mama«, flüsterte Barbara und presste die Hände ineinander, »was soll ich ohne dich tun?«

Sie wanderte rastlos durch die Zimmerflucht, durchmaß die eleganten Räume mit langen Schritten und wollte doch nirgends sein. Nein, sie hielt es nicht länger in der Wohnung aus, in der alles an die Verstorbene erinnerte!

Es war so still, so unheimlich still! Eine namenlose Angst erfasste Barbara Delius. Was sollte aus ihr werden? Sie hatte niemanden mehr auf der Welt!

Seit Tagen kam niemand mehr zu ihr, alle glaubten, sie wolle mit ihrem Schmerz allein sein. Zuerst waren noch Freunde und Nachbarn gekommen, die flüsternd ihr Beileid ausgesprochen hatten, doch weil Barbara in ihrem fassungslosen Schmerz so unnahbar, so kühl auf sie gewirkt hatte, waren sie ausgeblieben.

Barbaras Hände spielten mit dem Gürtel ihres tiefschwarzen Taftkleides. Und nun? Wie sollte es weitergehen? Sollte sie wie die anderen Mädchen gut situierter Familien warten, bis sie geheiratet wurde, sollte sie sich der Wohltätigkeit widmen und mit dem Körbchen am Arm milde Gaben verteilen? Oder sollte sie sich einen Job suchen, als Zeitvertreib sozusagen, damit ihr Leben sich nicht nur zwischen Coiffeur, Schneider und Klub abspielte? War das ein Leben für sie?

Sie schüttelte heftig den Kopf. Nein, sie suchte nach einer echten Aufgabe, sie wollte ihr Leben sinnvoll gestalten. Aber darauf war sie nicht im Mindesten vorbereitet, außer ein wenig Krankenpflege hatte sie nichts gelernt. Sie konnte von allem ein wenig, aber war das genug?

Es klopfte diskret an der Tür, doch in all der bedrückenden Stille hörte sich dieses verhaltene Klopfen wie ein Dröhnen an.

»Bitte?«

Da die gute Auguste ihren freien Nachmittag hatte, erschien Antoinette, die typische französische Hausangestellte, klein, zierlich, kokett und raffiniert bis in die Fingerspitzen, auf der Türschwelle und kündigte mit einem verhaltenen Lächeln den Besuch von Monsieur de Vermond an.

Barbara sprang aus dem Ledersessel auf.

»Oh, er ist schon da? Ich habe noch nicht mit ihm gerechnet. Bitten Sie ihn, im Flur zu warten, Antoinette. Ich möchte ausgehen, ich muss an die frische Luft.«

Barbara entschloss sich, ohne Mantel zu gehen. Es war ein so schöner Herbsttag, sie würde bestimmt nicht frieren.

Guy begrüßte sie mit einem Kuss auf die Wange, angemessen und maßvoll wie alle seine Zärtlichkeiten. Er würde, da war sich Barbara ganz sicher, der vollkommene Ehemann sein, so wie er der vollkommene gute Freund war. Jedermann war der Meinung, dass sie mit ihm das große Los gezogen habe.

Er machte eine prachtvolle Figur, dieser charmante junge Mann aus erstklassigem Haus, stets wahrte er die Contenance, besaß eine hervorragende Ausbildung und verfügte über ausgezeichnete Verbindungen. Vor ihm lag eine vielversprechende Karriere im diplomatischen Dienst, und Barbara war überzeugt, dass er sich einen Namen machen würde, gesellschaftlich wie politisch.

Sie blickte ihn rasch und ungewohnt kritisch an. Für diesen sonnigen Herbsttag hatte er einen leichten grauen Flanellanzug, ergänzt durch einen anthrazitgrauen weichen Pullover im Rautenmuster gewählt. Beides harmonierte bestens mit seinen schiefergrauen Augen. Absicht? Barbara war fast sicher, dass es sich so verhielt.

Guy de Vermond überließ nichts dem Zufall. Hatte er sie nicht auch aus kühler intelligenter Überlegung heraus gewählt? Sie war schließlich die Tochter eines berühmten Porträtisten, die Tochter einer bildschönen Pariserin aus vornehmer Familie, als Gattin eines Diplomaten in spe verkörperte sie den Idealfall.

Während er sie zum Fahrstuhl im Vestibül führte, sah Barbara ihr Leben an Guys Seite bildhaft vor sich. Sie würde ihm eine vorbildliche Ehefrau sein, ihm Kinder schenken, ein elegantes Haus führen und an seiner Seite die Welt kennenlernen.

»So nachdenklich heute?«, fragte Guy mit weicher Stimme.

»Ja, ich muss über so vieles nachdenken. Es kommt mir so vor, als müsste ich mein Leben neu ordnen, verstehst du? Bislang habe ich das getan, was man von mir erwartete, habe die brave Tochter gespielt ...«

»Damit ist es hoffentlich nicht vorbei, Babette«, scherzte er. Doch sie spürte, dass es ihm Ernst war. Er konnte mit einer emanzipierten Ehefrau nichts anfangen, die passte ganz und gar nicht in seine Pläne. Er brauchte eine wohlerzogene junge Dame, die er sich nach seinen Wünschen formen würde, ein nahtloser Übergang aus dem Autoritätsbereich des Vaters in den des Ehemanns.

»Ich weiß nicht«, wich sie aus und war froh, dass der Fahrstuhl angerattert kam. Guy öffnete für sie die schmiedeeiserne Tür und ließ ihr den Vortritt. Sie schwiegen, bis sie das elegante, weiträumige Entree mit seinen kühlen weißen Marmorplatten und den griechischen Gipsfiguren erreicht hatten.

»Wohin möchtest du?«, fragte Guy höflich.

»Lass uns in den Parc Monceau gehen, bitte. Wir fahren mit dem Wagen dorthin und laufen dann ein paar Schritte.«