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Lisanne Prinzessin von Terbrüggen hat ein Jahr voller Entbehrungen hinter sich - geprägt von der Pflege ihres schwerkranken Vaters. Jetzt sucht sie in der Villa Dünenrose an der Ostsee nach Ruhe. Doch sie hat die Villa nicht für sich allein. Als sie dem attraktiven Fremden in der Einliegerwohnung der Villa begegnet, ist es mit der Stille vorbei. Jan Richtering, gefeierter Bestsellerautor mit melancholischem Blick, ist abgetaucht und kämpft mit einer lähmenden Schreibblockade. Er will allein sein, um zu schreiben. Sie will zur Ruhe kommen - doch beides scheint auf einmal unmöglich. Die heißen Tage und langen Nächte am Meer bringen sie einander näher. Zwischen Lisanne und Jan wächst eine Anziehung, die sanft beginnt und in leidenschaftlicher Zärtlichkeit explodiert. Beflügelt von Liebe, Sehnsucht und einem Sommer, der sich wie ein Versprechen anfühlt, kehrt Jans Kreativität zurück. Er schreibt wieder. Doch dann entdeckt Lisanne, dass er sie schonungslos in seinem neuen Roman porträtiert. Ihre Gefühle. Ihre Verletzlichkeit. Ihre intimsten Momente. Und plötzlich steht alles auf dem Spiel ...
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Sommerküsse in der Villa Dünenrose
Vorschau
Impressum
Sommerküsse in der Villa Dünenrose
Ein Haus an der Ostsee, eine unverhoffte Begegnung – und die Chance auf ein neues Glück
Von Marion Alexi
Lisanne Prinzessin von Terbrüggen hat ein Jahr voller Entbehrungen hinter sich – geprägt von der Pflege ihres schwerkranken Vaters. Jetzt sucht sie in der Villa Dünenrose an der Ostsee nach Ruhe. Doch sie hat die Villa nicht für sich allein. Als sie dem attraktiven Fremden in der Einliegerwohnung der Villa begegnet, ist es mit der Stille vorbei.
Jan Richtering, gefeierter Bestsellerautor mit melancholischem Blick, ist abgetaucht und kämpft mit einer lähmenden Schreibblockade. Er will allein sein, um zu schreiben. Sie will zur Ruhe kommen – doch beides scheint auf einmal unmöglich.
Die heißen Tage und langen Nächte am Meer bringen sie einander näher. Zwischen Lisanne und Jan wächst eine Anziehung, die sanft beginnt und in leidenschaftlicher Zärtlichkeit explodiert. Beflügelt von Liebe, Sehnsucht und einem Sommer, der sich wie ein Versprechen anfühlt, kehrt Jans Kreativität zurück. Er schreibt wieder. Doch dann entdeckt Lisanne, dass er sie schonungslos in seinem neuen Roman porträtiert. Ihre Gefühle. Ihre Verletzlichkeit. Ihre intimsten Momente. Und plötzlich steht alles auf dem Spiel ...
Alles lief plötzlich bestens. Ihrem geliebten Vater ging es besser, sogar richtig gut. Wann hatte er zuletzt derart unternehmungslustig gewirkt? Und wie lange war es her, dass er sich mit wachen Augen für seine Umgebung interessiert hatte?
Reimar Fürst von Terbrüggen, vor Wochen noch bleich und mager, nur noch ein Schatten seines früher respektablen Egos, war erfreulicherweise wie ausgewechselt. Ihm, den kürzlich noch das Piepen eingehender Mails genervt hatte, schien nicht einmal der Trubel in der Flughafenhalle zu stören.
Lisanne hatte eine Hand durch den Arm ihres Vaters gestreckt, schmiegte sich zärtlich an ihn und empfand grenzenlose Dankbarkeit. Sie lächelte der kaum mittelgroßen, sympathisch fülligen Dame zu, die auf der anderen Seite des Fürsten stand. Nora Gräfin von Asmy wirkte wie der personifizierte Ruhepol, tiefenentspannt in sich ruhend, strahlte sie silberblonde Zufriedenheit aus, mit sich und der Welt. Signalisierten nicht auch die vielen Perlen Harmonie?
Die junge Prinzessin kannte Nora noch gar nicht lange, doch sie hatte ihr von der ersten Minute an vertraut. Auch, weil sie merkte, dass Nora, die entfernt mit ihr und ihrem Vater verwandt war, ihm guttat. Irgendwie verzogen sich graue Wolken wie von allein, wenn Nora in der Nähe war. Wie Medizin wirkte ihr helles Lachen. Und Nora lachte gern und oft. Wie damals, als Reimar und sie im verwunschenen Garten eines gemeinsamen Großonkels Versteck spielen durften.
Und als die Gräfin dann irgendwann eine Reise vorschlug, nur ihr Cousin Reimar und sie, und zwar couragiert weit weg, nach Südfrankreich, war Lisanne sofort einverstanden gewesen. Obzwar ansonsten kritisch und anspruchsvoll, wenn es um das Wohl ihres Vaters ging. Kein Wunder, die Zeit des Bangens und Hoffens während seiner langen und leider schweren Erkrankung war nicht spurlos an ihr vorübergegangen.
»Es wird dir gefallen, Lisanne«, schwärmte Nora. »Natürlich ist es nicht so herrlich ausgestattet wie euer stilvolles Zuhause, erwarte nicht zu viel. Doch man kann sich wohlfühlen.« Sie kicherte. »Sofern man das norddeutsche Wetter nicht mit dem südfranzösischen Klima vergleicht und schon immer mal wie ein Strandpirat leben wollte.«
Strandpirat? Die fein geschwungenen Brauen der Prinzessin rundeten sich.
»Tut mir leid, ich war eben abgelenkt ...«
»Ich spreche von der Villa Dünenrose, meinem behaglichen kleinen Sommerhaus an der Ostsee«, erklärte Nora mit ihrem rosigen Grübchenlächeln, keine Spur von beleidigt. »Es ist, wie gesagt, kein eleganter Palazzo, aber ideal für einen entspannten, ungezwungenen Urlaub. Ich liebe die Region!«
»Du wirst dort ganz allein sein«, warf der Fürst ein.
Lisanne lächelte. »Genau das Richtige für mich, Papa.«
»Na ja, in den ersten Tagen mag das ja nett sein. Aber du könntest dich irgendwann einsam fühlen.«
»O nein, Reimar!«, protestierte Nora mit sanftem Unterton. »Einsam ist es dort oben nie! Es gibt jede Menge Möwen, Seeschwalben, ach, ganze Vogelkolonien. Adler! Mein liebes Mecklenburg-Vorpommern ist außerdem ein Storchenland. Du wirst Weißstörche und Schwarzstörche beobachten. Und wenn du dich langweilst, könntest du freche Austernfischer zählen. Aber du wirst dich nicht langweilen, ich schwör's dir!«
»Vielleicht wäre Südfrankreich für dich besser.« Reimar suchte Noras Blick. »Sie kann doch jederzeit nachkommen, ja? Du bist uns immer willkommen, Lisanne.«
»Natürlich«, bekräftigte Nora. »Doch ich könnte mir vorstellen, dass deine großartige Tochter ein bisschen Abstand braucht. Immerhin hat Lisanne dir ein ganzes Jahr geschenkt. An der See könnte sie darüber nachdenken, wie es weitergehen soll.«
»Stimmt, genau das will ich tun. Ausführlich und ungestört. Mach dir keine Sorgen, Papa, ich freue mich auf die Ostsee, die ich noch nicht kenne. Und nach allem, was mir Nora von ihrem Haus in den Dünen erzählt hat, dürfte es perfekt für mich sein«, versicherte die Prinzessin.
Nora warf einen flüchtigen Blick in Richtung Anzeigetafel für die Starts und Landungen.
»Wir werden in Kürze aufgerufen«, signalisierte sie. »Wie fühlst du dich, Reimar? Fit genug für den Start in ein Abenteuer?«
»Ohne dich hätte ich nicht mal gewagt, an eine Reise zu denken.« Er nahm ihre Hand, um sie an seine Lippen zu führen. »Dank dir, Nora, dass du mich dazu überredet hast.«
Lisanne beobachtete bewegt, wie das Paar sich mittels eines langen, eindeutig verliebten Blicks der gegenseitigen Zuneigung versicherte. Sie war ja so froh und erleichtert, dass ihr Papa und Nora sich wiedergefunden hatten.
Ihr Blick schweifte durch die weite Halle und blieb an einem Plakat hängen. Es zeigte einen jungen dunkelhaarigen Mann, der lässig an einer dicht berankten Mauer lehnte. Um die Schultern hatte er einen gelben Pullover geschlungen, das blaue Oberhemd war halb zugeknöpft. Nachdenklich wirkte er – der attraktive, ernste Mann. Sein Blick schweifte vorbei am Fotografen, als gelte sein Interesse etwas Fernem, Unerreichbarem. Kein Lächeln, keine Spur von Selbstinszenierung. Nichts an ihm schien auf Wirkung bedacht. Sein ganzer Habitus vermittelte den Eindruck, als sei ihm die Meinung der Welt gleichgültig. Als ziehe er es vor, mit sich selbst allein zu sein. Nun gut – wenn ihm diese Gesellschaft genügte. Warum hatte er sich dann fotografieren lassen? Wofür machte er Reklame? Pries er ein neues Shampoo an?
Ah, Lisanne begriff, als sie den Text las. Ein Verlag, international, etabliert und solide, kündigte stolz den nächsten Roman seines Autors Jan Richtering an. Wieder ein Bestseller der Extraklasse, wurde vollmundig behauptet.
Dann passte die Pose ja, genau so hatte man sich wohl einen Romanautor vorzustellen.
Gut aussehend plus erfolgreich, super Kombination, dachte die Prinzessin, während sie das Poster betrachtete. Sie war irgendwie fasziniert, sie vergaß den Lärm um sich herum und hörte nichts von dem, was Nora und ihr Vater erörterten.
Über das plötzliche Herzklopfen wunderte sie sich später.
Erst als die Gräfin sie überschwänglich umarmte und fest an sich drückte und ihr Gesicht mit Abschiedsküssen bedeckte, wie es so ihre Art war, kehrte die junge Frau in die Wirklichkeit zurück.
»Hab eine aufregende Zeit in der Villa Dünenrose, du liebes Mädchen, erhol dich gut und versuch, wieder zu Kräften zu kommen. Hinter dir liegt eine harte Zeit, du hast dein Bestes gegeben. Oh, jetzt müssen wir aber los, Reimar, sonst verpassen wir noch unseren Flieger. Hoffentlich sind unsere Koffer an Bord, am Mittelmeer brauchen wir luftige Garderobe. Ach, wie ich mich auf Nizza freue!«
Den Fürsten fiel der Abschied von seiner Tochter sichtlich schwer.
»Du warst mein guter Engel im letzten Jahr, mein Kleines, nur mit deiner Unterstützung habe ich es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen. Ich kann dir nicht genug danken für das, was du für mich getan und geopfert hast.«
»War doch selbstverständlich, Papa. Ich wünsche dir und Nora einen wunderbaren Sommer. Bis bald!«
Die Gräfin musste ihn fortziehen. Beide winkten lebhaft, bis sie im Gedränge der anderen Passagiere verschwanden.
Lisanne ließ den Arm sinken und atmete durch. Ganz still stand sie inmitten der vielen Menschen, die es alle eilig und ein Ziel zu haben schienen. Wann zuletzt war sie allein gewesen, ohne die Verantwortung für ihren Papa?
Nicht wunderbar frei fühlte es sich an, eher sonderbar, verunsichernd frei. Herzflimmern. Kein Termin bedrängte sie mehr, die Liste der Medikamente für ihren Papa hatte sie Nora ausgehändigt. Denn Nora war ab sofort zuständig.
Zögernd machte sich die hoch gewachsene junge Frau mit dem dicken blonden Zopf auf den Weg zum Parkplatz und war gar nicht sicher, ob sie froh war über die neue Freiheit.
Keine Wolke am Himmel, nirgendwo. Stattdessen seit Stunden unerbittlicher Sonnenschein. So kam es Lisanne jedenfalls vor, als sie auf der Suche nach Noras Strandvilla querfeldein fuhr. Längst hinter sich gelassen hatte sie mehrere prachtvolle Alleen, adrette Dörfer und bunte Wiesen, idyllische Waldstücke und Seen. Norddeutschland kam ihr ziemlich platt vor, in seiner herben Art reizvoll, doch die junge Frau wäre auch gern mal dort angekommen, wo sie die nächsten vier Wochen verbringen wollte.
Absolut einmalig waren die Himmel ohne Anfang und Ende über Mecklenburg-Vorpommern. Und dieses intensive Azurblau! Wieso war Noras Sommerhaus derart unauffindbar?!
Einst war es das Liebesnest der Urgroßmama gewesen. So hatte es Nora zwinkernd angedeutet, Lisanne erinnerte sich und wünschte, sie hätte besser zugehört. Natürlich war das Liebesnest ideal – versteckt in den Dünen, fern von neugierigen Blicken. Und ja, extrem romantisch. Keine Frage.
Allerdings war es auch extrem schwer zu entdecken für jemanden, der sich an der norddeutschen Küste nicht auskannte und leider dem Navi vertraut hatte, das mit dem Job völlig überfordert war.
Lisanne sog die warme Luft tief ein und stieß sie in einem Zug ungehalten aus: »Puh!«
Auf der linken Seite kam nun wieder die leuchtendblaue Ostsee in Sicht, gesäumt von hellem Sand, dieser gesprenkelt mit Steinen verschiedener Größe. Grelles heißes Licht zitterte, sprühte, swingte und schwamm auf dem Wasser, das offenbar auch vor der Hitze kapitulierte – heute keine Lust auf Wellengang. Nur träge Miniwellen rollten über den Sand. Starr und abweisend standen die harten Stängel des Strandhafers.
Seevögel schienen den weiten heißen Himmel zu meiden.
Lisanne fühlte sich erschöpft nach der stundenlangen Autofahrt. Lag nicht auch eine feine Staubschicht auf ihrer Haut? Ihr blonder Zopf war feucht geworden. Ach, wie sehr sehnte sie sich nach einer kalten Dusche! Sie stieß einen leicht genervten Seufzer aus. Würde sie die Villa Dünenrose noch vor Einbruch der Dunkelheit finden? Der Hausschlüssel steckte, so hatte Nora ihr zuletzt verraten, im offenen Maul des bemoosten Steinfischs neben dem Eingang.
Na, super Versteck, dachte die Prinzessin lakonisch und warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Nora und ihr Vater dürften inzwischen in Nizza gelandet sein. Hoffentlich heil. An der Côte d'Azur gab es jede Menge Hotels, für jeden Geschmack war etwas dabei. War es ein Fehler gewesen, sich für den Sommer in Mecklenburg-Vorpommern zu entscheiden?
Wenn das Ferienhaus einigermaßen komfortabel war, überlegte Lisanne, würde sie bleiben. Viel Komfort benötigte sie ja nicht, sie schätzte, dass sie sich sowieso viel im Freien aufhalten würde. Lange Spaziergänge am Strand. Naturstudien. Ja, und schwimmen wollte sie, unbedingt ausgiebig und ganz weit hinausschwimmen. Sich herausfordern nach dem langen Jahr der Untätigkeit. Wie in Zeitlupe war die Zeit des Kümmerns vergangen, kaum Sport, auch ansonsten war sie wie abgeschnitten gewesen von ihrem früheren Leben.
Aber ihrem Papa ging's es wieder prima, das war ihr Lohn, und sie wusste, es war richtig gewesen, seinetwegen zurückzustehen, zurückzustecken, nachzugeben, aufzugeben. Sie waren sich in dem letzten Jahr so nahe gewesen, ihr wundervoller Papa und sie, wie nie zuvor. Ihr schossen Tränen in die Augen, als sie sich an die erste, ziemlich bittere Zeit der Erkrankung erinnerte.
Dann schniefte sie und schüttelte energisch den Kopf. Schluss damit, bloß nicht sentimental werden, nun galt's, ihr Leben neu zu ordnen. Denn dort anzuknüpfen, wo sie... Stopp! Vor allem durfte sie nicht so töricht sein und einen einzigen Gedanken an Florian verschwenden.
Sie bog aufs Geratewohl rechts ab. Irgendwie signalisierte ihr Instinkt, dass sie die Richtung ändern musste. Tiefblau war der Himmel jetzt, am Horizont färbte er sich grauviolett, die Sonne sank tiefer, die Umgebung schien zu erröten. Wie lange würde es noch dauern, bis sie ins Meer sank, die Sonne Mecklenburg-Vorpommerns?, spekulierte Lisanne. Und wie sollte sie ohne Tageslicht ihr Ziel erreichen?
Aufmerksam blickte sie sich um. Hübsches kleines Wäldchen, stellte sie fest. Weder Jahrhunderteichen noch hohe ernste Tannen, doch jede Menge Waldkiefern, die teilweise skurril geformt waren, Rotbuchen und Schwarzerlen. Schräg fielen flimmernde Sonnenstrahlen durch die Stämme. Wunderbare rotgoldene Stille. Aber noch immer keine Menschenseele. Seit Stunden war sie niemandem mehr begegnet. Diese Gegend war fraglos dünn besiedelt.
Der Weg wurde immer unebener. Das Cabrio hopste und wirbelte Staubwolken auf. Doch die Luft schmeckte deutlich nach Salz. Das Meer musste somit wieder ganz in der Nähe sein. Dann lichtete sich auf einmal der Wald und gab den Blick frei auf eine Dünenkette. Und in der Ferne – Herzflimmern – war da nicht so etwas wie ein hechtgraues Dach zu sehen?
Und sie hatte sich ein für die Küste typisches dickes Reetdach vorgestellt, eine wärmende wie kühlende Mütze.
Lisanne reckte sich unwillkürlich, als sie über die Windschutzscheibe starrte, um besser sehen zu können, erst ungläubig, dann entzückt. Denn das musste sie sein, die Dünenvilla, wunderschön gelegen, vielmehr malerisch gebettet zwischen Sandhügeln. Weiße und beige Fassaden, orangerötlich angestrahlt von der untergehenden Sonne. Ein überraschend großes Haus, einstöckig und von eleganter Schlichtheit. Das umlaufende Geländer fasste den großzügigen Balkon ein und zitierte jene Säulenvillen der amerikanischen Südstaaten.
Tatsächlich: Ein klassizistisches Herrenhaus unter zerklüfteten kupferroten Abendwolken!
Aus den Augenwinkeln nahm sie eine unerwartete Bewegung wahr: Etwas Dunkles, Zottiges löste sich vom Hintergrund des niedrigen Gebüschs, um über die Straße zu schießen. Ein Reh? Ein Schaf? Trotz der Schwüle überrieselte es Lisanne kalt.
Schockwellen durchliefen sie. Sie trat instinktiv auf die Bremse und kam ins Rutschen. Um Himmels willen! Bloß nicht in der Einöde havarieren und elend verdursten, verdorren. Bis sie jemand finden würde, sähe sie aus wie der arme Suppenkasper auf dem letzten Bild.
Grauenvoll: Hatte sie, eine grundsätzlich höfliche und rücksichtsvolle Person, mit der Stoßstange ihres Autos beinahe einen Menschen angefahren? Schon imaginierte sie eine menschliche Gestalt, die vor dem Auto durch die Luft flog. Sie reagierte blitzschnell, riss das Lenkrad scharf nach rechts und hoppelte aufs dürre Grasland jenseits der Straße. Welch ein Glück, dass es hier keinen Straßengraben gab.
Wie erstarrt saß sie da, unfähig, sich zu rühren. Und wen hatte sie mit knapper Müh und Not am Leben gelassen? Wer oder was hockte auf dem schmalen, gewundenen, immerhin asphaltierten Weg zwischen den Dünen?
Zottiges schwarzes Fell. Runde glänzende Augen, ebenfalls schwarz. Wie eine Spukgestalt bewegungslos. Das Auto wurde gemustert, die Fahrerin durchdringend angestarrt. Sekundenlang? Minutenlang? Lisanne kam es vor wie eine kleine Ewigkeit. Unheimlich wurde es ihr. Als der Hund sich aufraffte und quer über die Straße davonrannte, atmete sie auf und blinzelte ins Abendlicht.
Dann hievte sie sich an der Windschutzscheibe hoch und brüllte in die Weite: »Tut mir leid, Hund!«
Die Straße war wieder frei. Nichts erinnerte an den Zwischenfall. Hatte sie sich den schwarzen Hund nur eingebildet vor Erschöpfung? Na ja, es lag ein schwieriges Jahr hinter ihr. Die Prinzessin startete den Motor und gab Gas, hatte es jetzt sehr eilig, zu Noras Villa zu kommen. Was indes mehr Zeit in Anspruch nahm, als sie für möglich gehalten hätte.