1,99 €
HEXENSABBAT
von Neal Davenport
Für einen Augenblick verschwammen die Züge des Taxifahrers, und Coco Zamis starrte in Bruno Guozzis Gesicht. Der kleine, knochige Totenkopf mit den stumpfen Augen grinste sie bösartig an.
»Vielleicht bin ich dein Mörder, Coco.«
Das Gesicht zerfloss, und sie sah wieder in die hellblauen Augen des Fahrers. »Ist Ihnen nicht gut, Fräulein? Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen.«
»Es geht schon. Ich fühle mich nur etwas schwach. Fahren Sie weiter!« ...
Das erste Mal hat Coco Zamis den Ruf vor einigen Monaten empfangen. Eine fremde Stimme hat sie aufgefordert, nach Wien zu kommen. Bis vor zwei Tagen hat sie Widerstand geleistet. Doch dann, während Dorians Abwesenheit, stellten sich zusätzlich die Geistererscheinungen ein, und Coco begriff, dass sie keine Wahl hatte. Sie musste zurück in die Stadt ihrer Kindheit. Dorthin, wo sie einst die Hexenweihe empfangen hatte!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
HEXENSABBAT
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
mystery-press
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8865-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Auf Schloss Lethian an der österreichisch-slowenischen Grenze gerät der Reporter Dorian Hunter in ein Abenteuer, das seinen Verstand übersteigt. Die acht Männer, die seine Frau Lilian und ihn begleiten, sind seine Brüder – gezeugt in einer einzigen Nacht, als die Gräfin von Lethian, selbst eine Hexe, sich mit dem Teufel Asmodi vereinigte! Dorians Brüder nehmen die Offenbarung euphorisch auf. Nur Dorian will sein Schicksal nicht akzeptieren. Er tötet seine Mutter und eröffnet die Jagd auf seine Brüder. Danach steckt er das Schloss in Brand und flieht mit seiner Frau. Aber Lilian hat bei der Begegnung mit den Dämonen den Verstand verloren. Übergangsweise bringt Dorian sie in einer Wiener Privatklinik unter, die auf die Behandlung psychischer Störungen spezialisiert ist – und begegnet kurz darauf der jungen Hexe Coco Zamis, die von ihrer Familie den Auftrag erhalten hat, Dorian zu töten. Doch Coco verliebt sich in den Dämonenkiller und wechselt die Seiten, wodurch sie nicht nur ihre magischen Fähigkeiten verliert, sondern darüber hinaus aus der Schwarzen Familie ausgestoßen wird.
Coco wie auch Dorian sind nun gleichzeitig Jäger und Gejagte, denn Dorian hat sich geschworen, seine Brüder, die das Feuer auf Schloss Lethian offenbar allesamt überlebt haben, zur Strecke zu bringen. In London tötet er Roberto Copello, nachdem dieser den Secret-Service-Agenten Donald Chapman auf Puppengröße geschrumpft hat. Mit Hilfe des Secret Service gründet Dorian die »Inquisitionsabteilung«, der nicht nur er selbst, sondern auch Coco und der Puppenmann Chapman fortan angehören. Ein weiteres »inoffizielles« Mitglied ist der geheimnisvolle Hermaphrodit Phillip, dessen Adoptiveltern von Dämonen getötet wurden. Zum Hauptquartier der Inquisitionsabteilung wird die Jugendstilvilla in der Baring Road, in der Phillip aufgewachsen ist, doch gleichzeitig stöbert Dorian Hunter weiter in der Bibliothek seines alten Reihenhauses in der Abraham Road nach Hinweisen auf dämonische Umtriebe – und stößt auf das Tagebuch des Barons Nicolas de Conde, der auf dem Eulenberg nahe Nancy im Jahr 1484 seine Seele dem Teufel verkaufte. De Conde bereute, wurde zum Hexenjäger und Mitautor des »Hexenhammers« und starb als angeblicher Ketzer. Der Fluch erfüllte sich. Seither wird de Condes Seele nach jedem Tod in einem neuen Körper wiedergeboren – und tatsächlich gelingt es ihm als Dorian Hunter, nicht nur sieben seiner Brüder, sondern schließlich auch seinen Vater Asmodi zu vernichten!
Nach dem Kampf gegen die Dämonen-Drillinge gelingt es Dorian, weitere Fälle erfolgreich abzuschließen – zu erfolgreich, sodass der russische Geheimdienst beschließt, ihn zu entführen und in der Ukraine und in Istanbul einzusetzen. Währenddessen verspürt Coco einen seltsamen Drang, nach Wien zurückzukehren. Die Vergangenheit streckt ihre Klauen nach der ehemaligen Hexe aus ...
HEXENSABBAT
von Neal Davenport
Für einen Augenblick verschwammen die Züge des Taxifahrers und änderten sich erschreckend. Plötzlich blickte Coco Zamis in Bruno Guozzis Gesicht. Der kleine, knochige Totenkopf mit den stumpfen Augen grinste sie bösartig an.
»Vielleicht bin ich dein Mörder, Coco.«
Das Gesicht zerfloss, und sie sah wieder in die hellblauen Augen des Fahrers.
»Ist Ihnen nicht gut, Fräulein?«, fragte er besorgt. »Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen.«
Das hatte sie auch, doch sie hütete sich, es dem Fahrer zu sagen. »Es geht schon. Ich fühle mich nur etwas schwach. Fahren Sie weiter!« Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen halb. Sie atmete rascher.
Das erste Mal hatte sie den Ruf vor einigen Monaten empfangen, doch sie hatte ihn nicht beachtet. Dann war er immer lauter, immer drängender geworden. Trotz ihrer teilweise wiedergewonnenen Fähigkeiten war es ihr nicht gelungen, die seltsamen Lockrufe zu ignorieren.
1. Kapitel
Eine fremde Stimme forderte sie auf, nach Wien zu kommen. Bis vor zwei Tagen hatte sie Widerstand geleistet. Doch dann kamen die Geistererscheinungen.
Mitten in der Nacht war sie aufgewacht. Sie war allein im Schlafzimmer gewesen, da sich der Dämonenkiller gerade in Schweden aufhielt. Sie hatte sich aufgesetzt, und rund um ihr Bett hatten ein halbes Dutzend unheimlicher, halb durchsichtiger Gestalten gesessen, die mit langen Armen nach ihr gegriffen hatten. Sie hatte die Spukgestalten vertreiben wollen, doch es war ihr nicht gelungen; keiner ihrer Bannsprüche hatte eine Wirkung gezeigt. Dann waren die Gestalten von einer Minute zur anderen verschwunden, tauchten aber einige Minuten später wieder auf. Das Locken war stärker geworden. Die unbekannte Stimme befahl ihr, unverzüglich London zu verlassen und nach Wien zu fliegen. Coco dachte nicht daran, der Aufforderung zu folgen, obgleich sie tatsächlich einige Erbschaftsangelegenheiten in Ordnung bringen musste. Aber sie wollte warten, bis Dorian Hunter aus Schweden zurück war.
In jener Nacht hatte sie keinen Schlaf mehr gefunden. Ruhelos war sie im Zimmer auf und ab gegangen und hatte sich gefragt, was diese Geistererscheinungen und der Ruf bedeuten mochten.
Doch es war noch schlimmer gekommen. Leute, die sie auf der Straße sah, veränderten sich vor ihren Augen, wurden zu Bekannten, Familienmitgliedern, die schon lange tot waren. Einige der Geister griffen nach ihr, zerrten sie an den Haaren und schlugen auf sie ein. Und sie hatte keinen Gegenzauber, mit dem sie die Spukgestalten vertreiben konnte. Sie lauerten überall auf sie: auf den Straßen, im Auto und in der Jugendstilvilla. Niemand außer ihr nahm sie wahr, nicht einmal Phillip, der Hermaphrodit, der sonst ein feines Gespür für solche Dinge besaß.
Endlich war das Locken übermächtig geworden. Es blieb ihr keine Wahl mehr. Sie musste nach Wien. Sie packte einen Koffer, buchte den Flug und hinterließ, dass sie bei Skarabäus Toth, dem Anwalt ihrer Familie, unterkommen würde. Im Flugzeug hatten die Geistererscheinungen sie nicht verfolgt, aber sobald sie landete, war es mit der Ruhe erneut vorbei.
Coco schloss die Augen. Sie fühlte sich müde, wie gerädert. Nach einigen Minuten blickte sie aus dem Fenster. Es war dunkel geworden. Es schien ihr, als hätte sie Wien erst gestern verlassen. Nichts hatte sich an der Stadt verändert. Vor Kurzem noch hatte sie sich auf den Besuch ihrer Heimatstadt gefreut, doch davon konnte jetzt nicht mehr die Rede sein.
Ursprünglich hatte sie sofort zu Skarabäus Toth fahren wollen, hatte es sich dann aber anders überlegt. Sie wollte erst dem Haus ihrer verstorbenen Familie einen Besuch abstatten.
Der Fahrer fuhr langsam die Jagdschlossgasse entlang. Er suchte nach der Ratmannsdorfgasse.
»Die zweite Gasse nach rechts«, sagte Coco.
»Danke.« Der Fahrer fuhr rascher. »Sagen Sie mir bitte, wann ich halten soll.«
Coco verkrampfte die Hände im Schoß. Ihre Unruhe wuchs. Irgendetwas Furchtbares erwartete sie, doch sie konnte sich nicht vorstellen, was es war. Sie beugte sich vor, als der Taxifahrer in die Ratmannsdorfgasse einbog. An beiden Seiten der Straße standen alte Kastanienbäume, deren blattlosen Äste sich leicht im Wind bewegten.
»Bleiben Sie jetzt stehen!« Sie zahlte und stieg aus dem Wagen. Der Fahrer holte ihren Koffer aus dem Kofferraum.
Coco vergrub die Hände in den Taschen ihres Mantels und sah dem Taxi nach. Als es hinter der nächsten Kurve verschwunden war, hob sie den Koffer und ging auf das Villengrundstück zu. Ihr pechschwarzes Haar hatte sie aufgesteckt. Ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den dunkelgrünen Augen wurde von den Schatten fast vollständig verschluckt.
Sie blickte sich rasch um und überquerte die Gasse. Nach einigen Schritten blieb sie stehen und strich sich flüchtig mit der Zunge über die trockenen Lippen. Die mächtige Villa stand inmitten eines riesigen Gartens, der von einer zwei Meter hohen Steinmauer umgeben war.
Ihr Herz schlug schneller, als sie weiterging. Vor dem Gartentor blieb sie abermals stehen. Sie griff nach der Klinke. Das Tor war abgesperrt. Sie holte einen Schlüsselbund hervor und schloss auf, zögerte jedoch, in den Garten zu treten. Endlich überwand sie ihre Angst und drückte das Tor auf.
Hinter den Fenstern brannte kein Licht. Ein breiter Weg führte schnurgerade zwischen hohen Tannen zum Haus. Coco betrat den Garten. Das Tor fiel hinter ihr krachend ins Schloss, und sie zuckte zusammen. Ein leises Rauschen lag in der Luft, das rasch lauter wurde. Es erinnerte an klagende Stimmen. Plötzlich wurden die Äste der Tannen geschüttelt. Das Heulen wurde durchdringender.
Coco wollte umkehren, den Garten verlassen, doch etwas hielt sie zurück; etwas Unbestimmbares trieb sie vorwärts. Sie lehnte sich vergeblich gegen den unheimlichen Zwang auf. Ihre Finger umkrampften den Koffergriff. Nach einem Dutzend Schritten hörte das Sausen und Brausen auf. Es war nun gespenstisch still.
Und dann sah sie die blauen Lichter. Sie schienen aus dem Boden zu kommen und wurden langsam größer. Anfangs waren sie faustgroß, nach einiger Zeit fußballgroß. Coco blieb stehen, als die Lichter auf sie zukamen. Es mussten mindestens zwanzig sein. Die Kugeln umtanzten sie, erhoben sich in die Luft und rasten auf sie zu.
Sie ließ den Koffer fallen. Jeder Gedanke fiel ihr schwer. Es war, als hätte sich eine Hand auf ihr Gehirn gelegt.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, und die blauen Lichter änderten die Form. Sie dehnten sich blitzschnell aus und wurden zu halbdurchsichtigen Figuren, die rasch Gestalt annahmen. Coco war von zwanzig Spukgestalten umringt, die nach ihr griffen. Sie starrte in hassverzerrte Gesichter, die ihr allesamt nicht unbekannt waren. Es waren Leute, die einmal in enger Beziehung zu ihr gestanden hatten; und alle waren schon seit einiger Zeit tot.
Sie sah ihre vier Brüder und ihre zwei Schwestern, dann erblickte sie ihre Mutter Thekla.
»Wer von uns wird dein Mörder sein?«, fragte Georg und riss ihr das Kopftuch herunter.
»Vielleicht bin ich es!«, schrie Vera, eine ihrer Schwestern, mit der sie sich nie verstanden hatte. Ihr Geist griff Coco ins Haar und riss ihren Kopf zurück.
»Lasst mich los!«, brüllte Coco und versuchte sich zu befreien.
Doch die unheimlichen Spukgestalten rückten immer näher. Kräftige Hände zerrten an ihrem Mantel und packten ihre Hände. Coco wehrte sich verzweifelt, aber die halbdurchsichtigen Gestalten ließen sich nicht abschütteln. Die Knöpfe ihres Mantels rissen ab. Brutal wurde ihr der Mantel über die Schultern gezogen. Eine Hand riss ihr die Halskette herunter, eine andere zerfetzte ihre Bluse. Finger nestelten an ihrer Hose und öffneten den Reißverschluss. Innerhalb weniger Sekunden war sie nackt.
Die Gestalten traten einen Schritt zurück und umtanzten sie. Coco spürte die beißende Kälte nicht. Ihr Körper schien zu glühen. Sie schloss die Augen, als die Untoten zu singen begannen.
»Wer wird dein Mörder sein, Coco«, grölten sie. »Wer? Wer?« Dann waren wieder die Hände an ihrem nackten Körper, eiskalt und feucht. »Ins Haus mit dir, Coco!«, brüllten die Spukgestalten. »Ins Haus mit dir!«
Sie bekam einen Stoß in den Rücken und taumelte auf das Haus zu. Die Gestalten stießen sie vor sich her, den Weg entlang. Coco torkelte wie eine Betrunkene. Sie wurde zur Glasveranda getrieben, und eine der Gestalten öffnete die Tür. Coco sprang die vier Stufen hoch und rannte in die Diele. Dann wandte sie den Kopf, und die unheimlichen Geschöpfe waren verschwunden.
Coco lehnte sich an den Türstock und rang nach Atem. Es war völlig dunkel im Haus; kein Laut war zu hören. Sie tastete nach dem Lichtschalter und drückte ihn nieder, doch die Beleuchtung flammte nicht auf.
»Komm in den Keller!« Die Stimme schien aus dem Nichts zu kommen.
Coco bewegte sich wie in Trance. Sie durchquerte die Diele, öffnete die Tür, die in den Keller führte, und stieg die Treppe hinab. In diesem Keller hatte ihre Familie Schwarze Messen abgehalten und unheimliche Beschwörungen vorgenommen.
»Bleib stehen, Coco!«, sagte die Stimme, die auf einmal wie das Rascheln von Papier klang.
Coco kannte diese Stimme, doch ihr Gehirn war noch immer wie gelähmt; sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Leise Schritte kamen näher, und eine welke Hand legte sich auf ihre Schultern. Coco zuckte zusammen.
»Komm mit!«
Coco konnte nichts sehen. Undurchdringliche Dunkelheit umgab sie. Die Hand verkrallte sich in ihrer Schulter und drückte sie vorwärts. Sie bewegte sich vorsichtig.
»Stehen bleiben!«
Coco folgte wieder. Sie hörte das Scharren eines Stuhls, der gegen ihre Kniekehlen gedrückt wurde.
»Setz dich, Coco!«
Sie nahm Platz und legte die Hände auf die Schenkel.
»Es ist gut, dass du seinem Ruf gefolgt bist.«
Coco runzelte die Stirn. Der Schleier über ihren Gedanken war verflogen. »Sie sind – Skarabäus Toth«, sagte sie stockend.
»Richtig«, bestätigte Toth.
»Was hat das alles zu bedeuten?«
»Kannst du es dir nicht denken, Coco?«
»Nein. Wer hat mich gerufen?«
»Das hat dich vorerst nicht zu interessieren«, schaltete sich eine zweite Stimme ein.
Coco richtete sich überrascht auf. Auch diese Stimme kannte sie nur zu gut.
»Graf Cyrano von Behemoth«, sagte sie fast unhörbar.
»Erraten«, krächzte der Graf.
Unwillkürlich schauderte sie. Behemoth war ihr Onkel, und sie war auf seiner Burg zur Hexe ausgebildet worden. Wie lange lagen diese Ereignisse jetzt bereits zurück? »Was haben Sie mit mir vor?«
»Das wirst du in wenigen Minuten erfahren«, sagte Skarabäus Toth. »Jetzt schweige und bewege dich nicht!«
Ein sanftes Summen erfüllte den Raum, der plötzlich in grelles Licht getaucht wurde. Coco schloss geblendet die Augen. Nach einigen Sekunden hob sie langsam die Lider. Sie saß vor einem niedrigen, runden Tisch mit einer schwarzen Marmorplatte, auf dem eine kürbisgroße Glaskugel stand, die das grelle Licht ausstrahlte: Genau ihr gegenüber sah sie zwei dunkle Gestalten, die in schwarze Umhänge mit spitzen Kapuzen gehüllt waren. Der Keller war mit schwarzem Samt ausgeschlagen. In einer Ecke stand eine Bronzestatue auf einem Sockel, die den Teufel darstellte. Auf die Wände und den Boden waren magische Zeichen gemalt worden.
»Wir sind zusammengekommen, um den letzten Willen Michael Zamis’ zu erfüllen«, sagte Toth.
Coco hob überrascht den Kopf. Michael Zamis war ihr Vater gewesen, der sie aus der Schwarzen Familie verstoßen hatte, nachdem sie sich in Dorian Hunter verliebt hatte und seine Gefährtin geworden war.
»Du bist das letzte Mitglied der Familie Zamis in Wien«, sprach Toth weiter. »Du bist die Alleinerbin des Vermögens der Familie, Coco. Dein Vater hat sich gegen den herrschenden Herrn der Finsternis gestellt und seinen Verrat mit dem Leben bezahlt. Doch Asmodi erfüllte ihm seinen letzten Wunsch. Er gestattete deinem Vater, ein Schwarzes Testament aufzusetzen. Und heute wird er es bekanntgeben.«
Cocos Lippen bebten. Sie wusste nur zu genau, was ein Schwarzes Testament war. Damit konnte der Verstorbene mittels Schwarzer Magie seinen letzten Willen durchsetzen; und es war üblich, dass der Verstorbene seinen letzten Wunsch persönlich bekanntgab. Dazu war eine Geisterbeschwörung notwendig.
Sie blickte sich im Keller um und studierte die magischen Zeichen. Toth hatte alles vorbereitet. Er hatte auch, als es noch dunkel gewesen war, einen magischen Kreis um sie gezogen. Sie wusste, was das zu bedeuten hatte: Sie sollte als Medium dienen.
Toth hob beide Arme, und das Leuchten der Glaskugel wurde schwächer. Der Keller war nun in mattes Licht getaucht, und die magischen Zeichen an den Wänden glühten blutrot. Toth kam einen Schritt näher und schlug die Kapuze zurück. Er war ein hochgewachsener Mann, der wie der wandelnde Tod aussah. Seine Haut war runzelig, gelb und wirkte wie mumifiziert. Er beugte sich vor und konzentrierte sich ganz auf die Glaskugel. Seine bleichen Lippen formten unhörbare Worte.
Coco wollte aufstehen, doch eine unsichtbare Kraft drückte sie auf den Stuhl zurück; sie versuchte etwas zu sagen, doch kein Laut kam über ihre Lippen.
Von der Glaskugel schienen Strahlen auszugehen, die nach ihr greifen wollten. Plötzlich fühlte Coco sich unglaublich müde. Sie spürte ein Ziehen in den Gliedern. Alles verschwamm vor ihren Augen. Toths Gesicht sah sie wie durch einen Nebel hindurch.
Dann trat Cyrano von Behemoth neben Toth. Auch er schob die Kapuze zurück. Der Graf war abstoßend hässlich. Sein Gesicht war durch zwei Narben entstellt; eine verlief über die Stirn, die zweite zog sich von Mundwinkel zu Mundwinkel und weiter bis zum Nasenrücken hoch. Das Erschreckendste war das rechte Auge: ein wachteleigroßes, weißes Ding. Behemoth stimmte in Toths Beschwörungen mit ein.
Coco wand sich auf dem Stuhl. Es war ihr, als würden in Sekundenabständen Stromstöße durch ihren Körper gejagt, die immer stärker wurden. Die Glaskugel pulsierte. Sie sah aus wie ein heftig schlagendes Herz. Langsam änderte sie die Farbe und wurde größer.
Coco verstand nur Bruchstücke der Beschwörungen. Sie hatte es schon lange aufgegeben, sich gegen die unheimliche Ausstrahlung, die von der Kugel ausging, zu wehren. Es war ihr unmöglich, aus dem magischen Kreis zu entkommen; der Zauber war zu mächtig. Sie nahm nur undeutlich wahr, was um sie herum vorging. Nach einigen Minuten füllte sich der Keller mit den unheimlichen, halbdurchsichtigen Spukgestalten, die sie in den vergangenen Tagen verfolgt hatten. Es wurden immer mehr. Sie hielten sich im Hintergrund und bewegten sich nicht.
Für einige Augenblicke wurde Coco bewusstlos. Als sie erwachte, war es dunkel im Keller. Schmerzen hatte sie keine mehr. Sie fühlte sich leicht wie eine Feder und glaubte in der Luft zu schweben.