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Panik stieg in ihm hoch. Er konnte sich an nichts mehr erinnern, nicht mal an seinen Namen. Die Straßenbeleuchtung brannte. Ein roter doppelstöckiger Autobus fuhr an ihm vorbei. Auf einem Haus las er einen Straßennamen: Baring Road, S. E. 12. Die Baring Road war ihm unbekannt, er wusste nur, dass sie sich im Südosten Londons befand, in einem Stadtteil, in dem er nie zuvor gewesen war.
Sein Blick fiel auf ein schmiedeeisernes Tor, das mit scheußlichen Mustern verziert war. Davor erschien ein Zwerg in einem braunen Anzug. Der linke Arm war winzig klein und wirkte wie eine Geschwulst, die sich unter dem Ärmel abzeichnete. Dafür war der rechte Arm fast zwei Meter lang und dünn wie eine Liane.
»Endlich erreiche ich dich, Dorian«, schrie Jerome Hewitt.
Dorian lässt weiterhin nichts unversucht, Coco aus Olivaros Klauen zu retten. Eine Spur führt zu einem Südsee-Atoll, auf dem Olivaro angeblich residiert - aber um dorthin zu gelangen, muss Dorian etwas opfern, das ihm verdammt viel bedeutet: seinen eigenen Körper!
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Was bisher geschah
DES TEUFELS ATOLL
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
mystery-press
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9799-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen. Unterstützung in seinem Kampf erhält er zunächst durch den englischen Secret Service, der auf Hunters Wirken hin die Inquisitionsabteilung gründete.
Bald kommt Dorian jedoch seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren.
Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten. Er jagt die Dämonen auf eigene Faust, und als die Erfolge ausbleiben, gerät Trevor Sullivan, der Leiter der Inquisitionsabteilung, unter Druck. Die Abteilung wird aufgelöst.
Hunter bleibt nur sein engstes Umfeld: die junge Hexe Coco Zamis, die früher selbst ein Mitglied der Schwarzen Familie war, bis sie wegen ihrer Liebe zu Dorian den Großteil ihrer magischen Fähigkeiten verlor; weiterhin der Hermaphrodit Phillip, der weder Mann noch Frau ist und dessen hellseherische Fähigkeiten ihn zu einem lebenden Orakel machen – sowie die Ex-Mitarbeiter des Secret Service Marvin Cohen und Donald Chapman. Letzterer wurde bei einer dämonischen Attacke auf Zwergengröße geschrumpft.
Trotz der Rückschläge gelingt es Dorian, Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, zu vernichten. Doch mit Olivaro steht schon ein Nachfolger bereit, der in der Vergangenheit keinerlei Skrupel hatte, sogar mit Dorian zusammenzuarbeiten, wenn es seinen eigenen Interessen diente.
So hat Olivaro auch Coco Zamis auf seine Seite gezwungen und präsentiert sie während einer Schwarzen Messe auf der griechischen Insel Athos als neue Gefährtin, die sein Kind unter dem Herzen trage. Umso schlimmer trifft ihn Cocos Geständnis: Das Kind stammt von Dorian Hunter! – Dorian, der sich unerkannt unter die Dämonen gemischt hat, wird Zeuge, wie Olivaro mit Coco entschwindet. Sie hat ihn also nie verraten, sondern nur versucht, ihr gemeinsames Kind vor den Dämonen zu schützen! Um Coco aufzuspüren, schmiedet Dorian zusammen mit den Oppositionsdämonen um den Rocker Demur Alkahest einen wahnwitzigen Plan ...
DES TEUFELS ATOLL
von Neal Davenport
Panik stieg in ihm hoch.
Er konnte sich an nichts mehr erinnern, er hatte alles vergessen, sogar seinen Namen. Die Straßenbeleuchtung brannte. Ein roter doppelstöckiger Autobus fuhr an ihm vorbei. Rasch blickte er sich um. Ich bin in London, stellte er fest. Der Autobus und die Wagen fuhren auf der linken Straßenseite. Auf einem Haus konnte er den Straßennamen lesen: Baring Road, S. E. 12. Die Baring Road war ihm unbekannt, er wusste aber, dass er sich im Südosten Londons befand, in einem Stadtteil, in dem er nie zuvor gewesen war. Er starrte seine rechte Hand an. Lange, schlanke Finger; der Handrücken war gebräunt und mit dunklen Haaren bedeckt. Er umklammerte einen Schlüsselbund; einen der Schlüssel hielt er zwischen Zeigefinger und Daumen. Sein Blick wanderte weiter und fiel auf ein gewaltiges schmiedeeisernes Tor, das mit scheußlichen abstoßenden Mustern verziert war. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück. Hinter dem Tor lag ein gepflegter Garten, und er sah eine Villa. Jugendstil, stellte er fest und wunderte sich, woher sein Wissen stammte.
Kein Grund zur Aufregung, versuchte er sich zu beruhigen. In wenigen Augenblicken werde ich mich wieder erinnern können. Ich werde wissen, wer ich bin und was ich hier will.
Nochmals blickte er sich um. Kein Mensch war auf der Straße, nur gelegentlich raste ein Auto vorbei.
Mühsam unterdrückte er das Zittern seiner Hände, hob dann den linken Arm und sah, dass er eine Lederjacke trug. Er schob den Ärmel zurück. Die Rolex zeigte an, dass es zehn Minuten nach neun war. Er wartete einige Minuten, schloss die Augen und dachte angestrengt nach, doch seine Erinnerung kehrte nicht zurück. Er griff in die Außentaschen der Jacke und fand eine angebrochene Packung Players und ein Feuerzeug.
Schritte näherten sich. Er wandte den Kopf nach rechts. Es war ein verwachsener Zwerg, der rasch näher kam. Nie zuvor hatte er etwas Ähnliches gesehen.
Das unheimliche Geschöpf blieb vor ihm stehen. Es trug einen braunen Anzug. Der linke Arm war winzig klein und wirkte wie eine Geschwulst, die sich unter dem Ärmel abzeichnete. Dafür war der rechte Arm fast zwei Meter lang und dünn wie eine Liane. Die Beine waren unterschiedlich lang. Das Gesicht war abstoßend hässlich, mit Geschwüren und eitrigen Beulen übersät.
»Endlich erreiche ich dich, Dorian«, sagte der Zwerg mit schriller Stimme.
»Sie kennen mich?«
Der Zwerg lachte bösartig. »Du willst dich wohl nicht mehr an mich erinnern, Bruder, was?«
»Ich soll Ihr Bruder sein?«
»Stell dich nicht dumm, Hunter!«, knurrte der Zwerg. »Ich will, dass du mich tötest.«
»Wie nannten Sie mich?«
»Jetzt reicht mir diese Komödie!«, schrie der Zwerg. »Du bist Dorian Hunter, und ich bin Jerome Hewitt.«
Der Mann presste die Lippen zusammen. Der Zwerg kannte ihn. Er nannte ihn Dorian Hunter, doch dieser Name rief keine Erinnerung in ihm hervor. »Ich kann mich nicht entsinnen«, sagte er schwach. »Ich habe mein Gedächtnis verloren.«
Hewitt musterte ihn aufmerksam. »Ich glaube dir kein Wort, Hunter.«
»Es ist aber so. Ich habe die Erinnerung an alles verloren.«
»Töte mich endlich! Erlöse mich von meinen Schmerzen!«
Der muss verrückt sein, dachte der Mann. Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen, und er will, dass ich ihn töte.
Der Freak versuchte, ihn zu packen. Der Mann schüttelte den dünnen Arm ab und näherte sich langsam dem Tor. Er steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch. Er passte. Seine Vermutung war richtig gewesen. Er sperrte das Tor auf, drückte einen der Flügel auf, trat in den Garten und wandte den Kopf um. Hewitt verfolgte ihn nicht. Er blieb draußen stehen, hüpfte wie ein Verrückter auf und ab und beschimpfte Dorian.
Ich heiße also Dorian Hunter, dachte der Mann. Und wie es aussieht, wohne ich hier.
Die wilden Verwünschungsschreie des Freaks wurden leiser. Der Mann ging rascher, blieb vor der Haustür stehen, griff nach der Klinke und drückte sie nieder. Die Tür war versperrt. Zögernd blickte er den Schlüsselbund an, steckte ihn in die Jackentasche und drückte auf den Klingelknopf.
Es dauerte mehr als eine Minute, bis die Haustür geöffnet wurde.
Eine ältere Frau, an die Sechzig, stand vor ihm und musterte ihn missbilligend. Sie trug ein altmodisches Kleid, und das graue Haar hatte sie aufgesteckt.
»Sie haben wohl den Schlüssel vergessen, Mr. Hunter?«
»Wer sind Sie?«
»Haben Sie den Verstand verloren, Mr. Hunter?«, fragte die Frau spöttisch.
»Ich kenne Sie nicht.«
»Aber ich bin doch Martha Pickford!«
Der Mann schüttelte den Kopf.
Hinter der Frau tauchte ein Mann auf. »Hallo, Dorian!«, sagte er. Er wirkte bullig, und sein Gesicht hatte brutale Züge.
»Soll ich Sie kennen?«, fragte der Mann.
»Na klar. Ich bin Marvin Cohen.«
Auch dieser Name sagte ihm nichts.
Die Alte trat einen Schritt zur Seite. Der Mann ging an ihr vorbei und blickte sich um. Die Diele rief keine Erinnerung bei ihm hervor. Seine Hoffnung, dass sein Gedächtnis zurückkehren würde, hatte sich nicht erfüllt. Tiefe Verzweiflung stieg in ihm hoch.
Der Mann, der sich als Marvin Cohen vorgestellt hatte, baute sich vor ihm auf. »Was hat das alles zu bedeuten, Dorian?«
Er hob verzweifelt die Schultern.
»Ich weiß es nicht«, sagte er tonlos. »Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Sie behaupten, dass ich Dorian Hunter sei, doch dieser Name sagt mir überhaupt nichts. Ich kenne Sie und die Frau nicht.«
»Sieh mal in den Spiegel, Dorian!«, sagte Cohen. »Vielleicht hilft dir das weiter.«
Er folgte zögernd. Vor einem hohen Spiegel blieb er stehen und beugte sich vor. Er war groß, mindestens ein Meter neunzig, schlank und hatte eine sportliche Figur. Sein Haar war mittellang und schwarz. Das Gesicht mit den stechenden, grünen Augen war dunkelbraun. Die Oberlippe zierte ein dichter Schnurrbart, dessen Spitzen nach unten gezwirbelt waren.
»Kannst du dich jetzt erinnern, Dorian?«
»Nein«, sagte Hunter heiser. »Es kommt mir so vor, als würde ich mich das erste Mal sehen.«
Cohen fuhr sich nachdenklich mit der Zunge über die Lippen. Er führte den Mann, der wie Dorian aussah, in ein großes Wohnzimmer. Auf einem Stuhl saß ein älterer Mann, der langsam aufstand. Er sah durchschnittlich aus. Das einzig Auffallende an ihm war, dass die rechte Gesichtshälfte wesentlich heller als die linke zu sein schien.
»Dorian behauptet, dass er sein Gedächtnis verloren hat«, erklärte Cohen.
»Sie soll ich wohl auch kennen?«, fragte der Mann mit Dorians Gestalt.
»Ja, ich bin Trevor Sullivan.«
»Nie gehört.«
»Setzen Sie sich, Dorian!«, sagte Sullivan.
Er setzte sich auf eine Couch und schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe das einfach nicht«, sagte er. »Ich soll Sie alle kennen, doch ich kenne niemanden.«
Sullivan nickte. »Holen Sie bitte Phillip, Miss Pickford!«
Die Alte nickte und ging rasch aus dem Zimmer.
»Wer ist Phillip?«
»Sagt Ihnen der Name Lilian etwas?«
Er schüttelte den Kopf.
»Das ist Ihre Frau«, sagte Sullivan. »Sie haben noch eine Wohnung, Dorian. In der Abraham Road. Ein Reihenhaus, in dem Sie mit Lilian wohnen.«
»Ich kann mich nicht erinnern«, wiederholte er und stützte den Kopf zwischen seine Hände. »Es ist furchtbar.«
Sullivan und Cohen wechselten einen Blick.
»Ob die Schwarze Familie dahinter steckt?«, fragte Cohen leise.
»Schwarze Familie?«, wiederholte er verwundert.
»Er kann sich tatsächlich an nichts erinnern«, stellte Trevor Sullivan fest. »Das kann ziemlich böse werden.«
»Dorian hat sich doch mit der Dämonengruppe verbündet, die Olivaro feindlich gegenübersteht«, sagte Cohen.
»Vielleicht war das eine Falle«, meinte Sullivan.
»Ich verstehe nicht ein Wort«, sagte der Mann in Dorians Gestalt. »Sie sprechen von Dämonen und Olivaro. Was hat das alles zu bedeuten?«
»Später«, sagte Sullivan.
Die Tür wurde langsam geöffnet, und Phillip trat mit geschlossenen Lidern ins Zimmer. Er schien in Trance zu sein. Der Mann stand überrascht auf. Phillips Haut war fast durchscheinend. Blondgelocktes Haar fiel über die schmalen Schultern. Er blieb vor Dorian stehen und öffnete die Augen. Sie waren goldfarben und schimmerten geheimnisvoll. Phillip lächelte.
»Hallo, Dorian!«, sagte er.
Der Mann nickte schwach. Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung und wandte den Kopf um. Ich muss träumen, dachte er, als sein Blick auf eine dreißig Zentimeter große Gestalt fiel. Sie war normal gekleidet und wirkte trotz der Kleinheit überaus männlich. Das dunkle Haar des Puppenmannes war mit Silberfäden durchzogen.
»Wer ist das?«, fragte er und zeigte auf den Puppenmann.
»Don Chapman«, sagte Cohen.
»Ich träume«, sagte er und ließ sich auf die Couch fallen.
Er fürchtete, verrückt zu werden, schloss die Augen und kniff sich in die rechte Hand. Deutlich spürte er den Schmerz und riss die Augen auf.
Die Versammlung der seltsamen Gestalten verschwand nicht. Das geheimnisvolle Wesen mit dem blondgelockten Haar lächelte freundlich, drehte sich um und ging langsam aus dem Zimmer.
»Phillip zeigte keine Reaktion«, sagte Cohen nachdenklich.
»Ich bin verrückt«, flüsterte der Mann.
»Keine Bange!«, tröstete Cohen ihn. »Wir bekommen dich schon wieder hin. Du wirst dich bald an alles erinnern.«
»Das hoffe ich sehr«, sagte er.
Fred Archer war fünfunddreißig Jahre alt und seit vier Jahren beim Detektivunternehmen Observer angestellt. Er war ein mittelgroßer Mann, der ein wenig zum Dicksein neigte. Sein Gesicht war rosig, das rotblonde Haar kurz geschnitten und der Blick seiner blauen Augen aufmerksam.
Die Villa stand inmitten eines großzügig angelegten Gartens und wirkte streng und modern. Vor der Haustür erwartete ihn ein hochnäsiger Butler.
»Madame erwartet Sie bereits«, sagte der Butler, öffnete die Tür und ließ Archer ins Haus eintreten. »Sie gestatten, dass ich vorgehe, Sir?«
Archer nickte. Der Butler führte ihn einen breiten Gang entlang, blieb vor einer Tür stehen und klopfte leise an. Dann öffnete er die Tür und verbeugte sich leicht. Der Privatdetektiv trat in ein langgestrecktes Zimmer. In der linken Längswand war ein gewaltiges Fenster eingelassen, durch das man in den Garten blicken konnte. Die rechte Wand wurde von kostbaren Gobelins und Gemälden bedeckt. Das Zimmer war im Empirestil eingerichtet.
»Guten Tag«, sagte Archer förmlich. »Fred Archer vom Observer.«
Auf einem der Stühle saß eine dicke Frau, die ein himmelblaues Seidenkleid trug, das sich über der gewaltigen Brust spannte. Ihr Alter war schwer zu schätzen; wahrscheinlich war sie Ende dreißig.
»Setzen Sie sich, Mr. Archer!«, sagte die Frau ungeduldig. »Ich bin Mrs. Chasen.«
Archer deutete eine Verbeugung an und setzte sich der Frau gegenüber. Ihr Gesicht mochte irgendwann einmal hübsch gewesen sein. Jetzt war es aufgedunsen und mit einer dichten Make-up-Schicht bedeckt. Bei jeder ihrer Bewegungen schwabbelte das Doppelkinn. Das dunkelbraune Haar fiel glatt auf ihre breiten Schultern.
»Ihre Agentur wurde mir von Sir William empfohlen«, sagte Carol Chasen und musterte den Detektiv durchdringend. »Es geht um meinen Mann.«
Archer unterdrückte einen Seufzer. Wieder mal eine eifersüchtige Frau, die Angst hatte, dass sich ihr Mann in fremden Betten herumtrieb. »Ich verstehe.«
»Sie verstehen gar nichts«, brummte Carol Chasen. »Ich kann Ihre Gedanken erraten, aber Sie irren sich. Mein Mann war mir bis jetzt treu, aber seit einer Woche erscheint er mir völlig verändert. Möglicherweise steckt eine andere Frau dahinter, aber das kann ich mir bei Ron einfach nicht denken. Ich möchte wissen, wie es möglich ist, dass sich ein Mann innerhalb von wenigen Tagen grundlegend ändert. Und das sollen Sie für mich herausbekommen.«
»Erklären Sie mir, bitte ...«
»Lassen Sie mich erzählen«, sagte Carol Chasen scharf. »Mein Mann war bis vor einer Woche ein Pantoffelheld. Er kam jeden Abend pünktlich um neunzehn Uhr nach Hause, nahm vor dem Abendessen einen Drink, war freundlich und zuvorkommend zu mir. Nach dem Essen spielten wir Karten oder eine Partie Schach. Gelegentlich hatten wir auch Gäste, aber das war in den vergangenen Jahren immer seltener vorgekommen. Meist blieben wir zu Hause. Seit einer Woche ist mein Mann nun verändert. Er ist geistesabwesend, antwortet nicht auf meine Fragen, ja, er brüllte mich sogar an, dass ich ihn in Ruhe lassen sollte. So etwas war bisher einfach undenkbar. Ron hat nie seine Stimme erhoben. Einmal – das war vor zwei Tagen – als ich ihn wieder etwas fragte, stand er auf und schlug mir über den Mund, dann zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück. Ich kann mir nicht erklären, was in ihn gefahren ist. Er ist ein anderer Mann geworden.«
»Vielleicht hat er berufliche Sorgen, Mrs. Chasen?«
»Nein«, sagte Carol entschieden. »Er ist erfolgreich und kann sich kaum vor Aufträgen retten. Mein Mann ist Architekt, ein ganz hervorragender. Aber vielleicht hat es doch etwas mit seinem Beruf zu tun. Er erhielt vor einer Woche den Auftrag, Pläne für ein Großprojekt auszuarbeiten.«
»Worum geht es bei diesem Projekt?«
»Das ist ja so seltsam, Mr. Archer. Er zeigte mir einige Skizzen. Sie waren fantastisch, stellten ein Gebäude dar, das so gigantisch wie der Turm zu Babel aussah. Auf meine Frage, wo dieses Gebäude gebaut werden sollte, gab mir mein Mann keine Antwort. Und seither ist er wie ausgewechselt.«
»Wissen Sie, wer der Auftraggeber ist?«
»Eine Familie Lorrimer«, sagte sie. »Ich kenne sie nicht, habe nie zuvor etwas von ihnen gehört.«
»Kam Ihr Mann in den vergangenen Tagen später nach Hause?«