Dr. Stefan Frank 2814 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2814 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Sofia Langrebe hat alles verloren: ihr geerbtes Elternhaus, ihren Job und beinahe sämtliche Ersparnisse. Eine winzige, einfache Wohnung in einem anonymen Hochhaus ist nun ihre neue Bleibe, für mehr reicht das Geld einfach nicht. Schuld ist ihr unsteter Bruder Endris, für den sie sich nach wie vor als Mutter-Ersatz sieht, und der Sofia zum Dank für ihre Bemühungen nach Strich und Faden mit seinen zwielichtigen Geschäften um ihren gesamten Besitz betrogen hat. Dieser Absturz, die verzweifelte Suche nach einem neuen Job und dann tagtägliche harte Arbeit fordern schon bald ihren Tribut: Immer wieder wird die eigentlich fitte und gesunde junge Frau von Panikattacken, Schwindel und Übelkeit übermannt, einmal sogar im Auto. Bevor Schlimmeres passiert, kann Sofia gerade noch einen Waldparkplatz ansteuern und steigt zitternd aus dem Wagen, als sich ein Jogger nähert. "Guten Tag, kann ich Ihnen helfen? Ich bin Arzt. Mein Name ist Dr. Stefan Frank."

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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Alarmierende Signale

Vorschau

Impressum

Alarmierende Signale

Von Tinnitus und Herzrasen: Wenn Stress den Körper beherrscht

Sofia Langrebe hat alles verloren: ihr geerbtes Elternhaus, ihren Job und beinahe sämtliche Ersparnisse. Eine winzige, einfache Wohnung in einem anonymen Hochhaus ist nun ihre neue Bleibe, für mehr reicht das Geld einfach nicht. Schuld ist ihr unsteter Bruder Endris, für den sie sich nach wie vor als Mutter-Ersatz sieht, und der Sofia zum Dank für ihre Bemühungen nach Strich und Faden mit seinen zwielichtigen Geschäften um ihren gesamten Besitz betrogen hat. Dieser Absturz, die verzweifelte Suche nach einem neuen Job und dann tagtägliche harte Arbeit fordern schon bald ihren Tribut: Immer wieder wird die eigentlich fitte und gesunde junge Frau von Panikattacken, Schwindel und Übelkeit übermannt, einmal sogar im Auto. Bevor Schlimmeres passiert, kann Sofia gerade noch einen Waldparkplatz ansteuern und steigt zitternd aus dem Wagen, als sich ein Jogger nähert. »Guten Tag, kann ich Ihnen helfen? Ich bin Arzt. Mein Name ist Dr. Stefan Frank.«

Die Küche war zu schmal für einen Esstisch. Das fiel Sofia Langrebe auf, als sie in der Tür stand und auf die karge Wand gegenüber der Küchenzeile starrte. Kleine schwarze Flecken waren daran zu sehen. Im Licht der hereinfallenden Sonne glänzte ein verbliebenes Stück Tesafilm. Immerhin hatte sie eine Wohnung auf der Südseite erwischt.

Ernüchtert trat Sofia in die Küche und stellte den Karton auf dem Boden ab. Die beigen Fliesen waren von Sprüngen gezeichnet. Wer auch immer vor ihr hier gewohnt hatte, hatte wenig Wert auf den Erhalt der Räumlichkeiten gelegt.

Mit dem Finger strich sie über den Herd. Er war staubfrei. Dafür verfügte er nur über zwei Platten. Ein Menü zu kochen, erforderte also Geschick. Oder kalte Speisen.

Sofia stützte sich an der Arbeitsplatte ab. Wenn sie darüber nachdachte, dass das nun der Raum war, in dem sie sich ab sofort täglich ihr Frühstück zubereitete, überkam sie ein Fluchtgefühl. Nie hatte sie hierherziehen wollen. Nie hatte sie sich auch nur im Traum vorgestellt, dass sie ihr schmuckes Haus verlieren könnte. Und nun stand sie in diesem Albtraum von Wohnung und stellte fest, dass sie ihr Leben, wie es einmal gewesen war, nicht genug genossen hatte.

Als sie wieder genügend Kraft gesammelt hatte, ließ sie von der Küche ab und ging zurück ins Wohnzimmer. Ihre geblümte helle Couch wirkte fehl am Platz. Der weiße Couchtisch im Landhausstil war zu wuchtig für die Größe des Zimmers. Wenn sie ungehindert zur Balkontür kommen wollte, musste sie den Tisch so nahe an die Couch rücken, dass kein Platz mehr für ihre Beine übrig blieb. Ein kleineres Möbelstück wäre die Lösung. Aber dafür würde sie in nächster Zeit kein Geld aufbringen.

Ihr Smartphone klingelte. Sofia lief zurück in den Flur, wo ihre Handtasche an einem Nagel hing. Daraus fischte sie ihr Handy. Einerseits war sie froh für die kurzzeitige Ablenkung. Andererseits ließ sie der Name auf dem Display innehalten.

Tamara. Ein Name aus ihrem vorherigen Leben. Schon vor Wochen hatte Sofia beschlossen, dass sie mit diesem vergangenen Leben abschließen würde. Mit dem Verlust ihres Hauses hatte sie mit allem abgeschlossen, was sie einmal ausgemacht hatte. Ihr Alltag. Ihre Arbeit in dem Nobelrestaurant, das nur edelste Speisen anbot. Ihre Freunde.

Doch so sehr sie es anfangs noch zu verdrängen versucht hatte, so hatte sie im Laufe der Zeit nicht mehr die Augen davor verschließen können, dass die Freunde eh freiwillig gegangen waren. Nur ab und zu meldete sich eine Stimme aus ihrer Vergangenheit – eine Vergangenheit, die erst wenige Monate zurücklag. Nun, mit dem Umzug in einen Wohnkomplex, hatte sie das letzte Stückchen ihres alten Lebens fallengelassen. Das, was noch übrig geblieben war, waren Scherben.

Sofia tippte auf den roten Hörer, um das Telefonat wegzudrücken. Dann ließ sie das Handy wieder in ihrer Tasche verschwinden. So, als wenn sie gleich wieder die Wohnung verlassen würde. Diese kleine Form des Selbstbetrugs gönnte sie sich. Nur währte er nicht lange genug, um sie von der Realität abzulenken.

Also durchquerte sie den Flur, bis sie am hinteren Ende der Wohnung angekommen war. Hinter einer verschlossenen Tür lag ihr neues Schlafzimmer. Als sie die Tür öffnete, fand sie ihr Bett immerhin aufgebaut vor. Zwei Säcke waren dagegen gelehnt. Ohne zu überlegen, ging Sofia darauf zu, öffnete sie und zog die Bettdecke daraus hervor. In dem anderen Sack befand sich ihr Kopfkissen. Auch dieses holte sie heraus und warf es auf die nackte Matratze. Mit der Bettdecke in der Hand kroch sie auf das Bett. Die Decke hielt sie wie ein Kuscheltier in ihren Armen. Das Kissen unter ihrem Kopf schenkte ihr einen Rest Geborgenheit.

Das Fenster stand auf Kipp. Zigarettenrauch wurde mit einem Luftzug hineingeweht.

»Heute Abend wieder Ramba Zamba?«, hörte sie in der Ferne eine Frauenstimme, die wie Schmirgelpapier klang.

»Als wenn jemand mit dir alter Schachtel noch feiern würde«, rief ein Mann zurück.

Sofia schloss die Augen. Das Sonnenlicht ließ ihre Augenlider von innen hellrot aussehen. In ihrem Kopf kreisten Gedanken. Sie war arbeitslos, und es war ungewiss, ob sie in ihrem erlernten Beruf, in ihrer Branche je wieder arbeiten konnte. Ihre kaum vorhandenen Ersparnisse würden noch für zwei Monatsmieten reichen, dann wäre sie vollends pleite.

Sie hatte keinen Freund, der sie stützte. Keine Eltern, die sie trösteten. Und keine Freunde, die sie auffingen. Denn diese gehörten einem Leben und einer Schicht an, von der sich Sofia hatte trennen müssen – der sogenannten Mittelschicht. Ein Auto pro Person, ein Einfamilienhaus in einer beschaulichen Gegend und ein Einkommen, das den angenehmen Lebensstandard sicherte. Sofia war nahezu ungesichert und fühlte sich wie im freien Fall.

***

Als Sofia erwachte, war es dunkel. Verschlafen sah sie sich im Raum um, bis das Erkennen über sie hereinbrach. Die Stimmen von draußen hatten sich vermehrt. Diesmal schienen die Leute jünger zu sein. Sie hörte Gelächter und das Brummen von Motoren. Jemand schrie eine Beleidigung. Um sich zu orientieren, blickte sie auf ihre Armbanduhr. Es war kurz vor Mitternacht.

Da sie es nicht ertragen konnte, in dieser Wohnung gefangen zu sein, ließ sie das Fenster trotz des Lärms offen. Selbst der Gestank von Nikotin war nicht so schlimm wie die Einsamkeit zwischen den fremden Wänden.

Unter Ächzen stand Sofia vom Bett auf. Ihre Arme und Beine taten noch vom Umzug weh. Den Mann, der ihr dabei geholfen hatte, hatte sie schwarz bezahlen müssen. Ein Umzugsunternehmen wäre zu teuer gewesen. Obwohl sie die meisten Kartons selbst hatte schleppen müssen, hatte er immerhin alles nach Neuperlach transportiert und die schwersten Möbelstücke aufgebaut.

In der Küche suchte Sofia nach der Bäckertüte. Noch einmal hatte sie sich Schokoladencroissants von ihrem Lieblingsbäcker gönnen wollen. Jetzt, wo sie die Tüte unter einer Packung Reis in einer der vielen Tragetaschen gefunden hatte, stellte sie fest, dass die verbliebenen Croissants platt gedrückt waren.

Sie schob eines der süßen Hörnchen zwischen Fingern und Daumen die Tüte hoch, bis es hinausblickte. Mit geschlossenen Augen biss sie hinein. Schmeckte das Buttrige des Blätterteigs und das Herbe der dunklen Schokolade. Versuchte, sich vorzustellen, in ihrer alten Küche zu sitzen, eine Tasse dampfenden Kakaos vor sich. Der abgestandene Geruch des Zimmers machte es ihr unmöglich. Also verschlang sie beide Croissants, um wenigstens satt zu werden. Danach blickte sie sich in der Küche um.

Sofia hatte wenig Lust, die Küchenschränke auszuwaschen. Auch wenn es nicht nötig wäre, hätte sich alles in ihr dagegen gesträubt, ihre Lebensmittel hineinzustellen. Sie befand, dass es eine Aufgabe für den morgigen Tag wäre. Also ging sie zurück ins Schlafzimmer.

Bevor sie das Licht einschaltete, zog sie die Vorhänge zu. Obwohl sie sich nicht traute, nachzusehen, von wo die Stimmen kamen, hatte sie Angst, für alle sichtbar zu sein. Dabei wollte sie unsichtbar bleiben.

Erst jetzt ging sie zu ihrem Koffer und öffnete den Reißverschluss. Zuoberst lag die Bettwäsche. Da ihre Wohnung weniger Platz bot als ihr ehemaliges Haus, hatte sie die meisten Garnituren gespendet. Nun besaß sie lediglich zwei Sets.

Nachdem sie das Bett bezogen hatte, ging sie dazu über, ihre Kleidung an der Stange aufzuhängen. Ihren Kleiderschrank hatte sie wegen der Größe verkaufen müssen. Das Geld wollte sie lieber sparen, statt es in einen neuen zu investieren. Also war sie auf eine Kleiderstange und ein billiges Regal umgestiegen. Fürs Erste würden sie ihren Zweck erfüllen.

Danach widmete sie sich dem Karton, der geschlossen in einer Ecke des Zimmers stand. Mit einem mulmigen Gefühl näherte sie sich ihm. Das, was sich darin befand, war etwas, von dem sie wusste, dass es ihr Tränen in die Augen treiben würde.

Sachte ließ sie sich vor dem Karton auf die Knie sinken und strich liebevoll mit ihrer Hand über die Pappe. Dann öffnete sie den Karton. Gleich zuoberst lag das Hochzeitsbild ihrer Eltern. Wie erwartet, stiegen Tränen in ihr auf.

Ihr Bruder Endris hatte sie immer wieder daran erinnert, dass Sofia wie Mama wäre. Er hatte es abschätzig wegen ihrer bemutternden Art gesagt. Sie jedoch hatte es stets als Kompliment aufgefasst. Mit niemandem hatte sie mehr verglichen werden wollen als mit der Frau, die sie mit Liebe und Fürsorge aufs Leben vorbereitet hatte.

Auf dem Bild glänzte der Stolz in Papas Augen. Immer wieder hatte er den Kindern die Geschichte erzählt, wie er um Mama geworben und schließlich ihr Herz gewonnen hatte.

Sofia zog das Bild heraus, griff tiefer in den Karton und fühlte die kleine Plastiktüte mit den Nägeln, die sie mitgenommen hatte. Auf dem Boden lag noch der Hammer, den ihr Umzugshelfer dort liegen gelassen hatte.

Mit dem Bild, einem Nagel und dem Hammer in der Hand ging sie ins Wohnzimmer, suchte nach einer geeigneten Stelle und begann, zu hämmern. Die späte Uhrzeit hatte sie dabei vollkommen verdrängt, ebenso, dass sie ja nicht mehr allein in einem Haus lebte. Wenn die alten Bilder direkt über der Couch hingen, konnte sie sich vorstellen, wie ihre Eltern über sie wachten – das war jetzt wichtig für sie.

Mit einem letzten Schlag versenkte sie den Nagel in der Wand. Kurz darauf ertönte ein lautes Poltern aus dem Flur.

Mit angehaltenem Atem hielt Sofia inne. Ihr Herz raste, als sie auf ein weiteres Zeichen wartete. Dann polterte es wieder.

»He«, rief eine junge weibliche Stimme durch die Wohnungstür.

Nur auf Zehenspitzen schlich Sofia zur Tür und drückte die Klinke nach unten. Sie sah sich einer Frau gegenüber, die ihre früheren Freunde als »Barbie für Arme« bezeichnet hätten. Das weißblonde Haar lag auf ihren Schultern. Die Nägel waren zu langen Krallen manikürt. Auf ihren Lippen prangte ein intensives Rosarot.

»Hallo?« Sofias Gruß klang wie eine Frage.

Da es inzwischen bereits nach Mitternacht war, wunderte sie sich, warum diese Frau vor ihrer Tür stand.

»Hör mal, ich weiß ja nicht, wo du herkommst. Aber bei uns ist das hier Sitte, dass man die Nachtruhe einhält, verstehst du?«

Die Frau hatte ein junges Gesicht, aber aus ihrer Stimme strotzte eine Reife, die Sofia ihr auf den ersten Blick nicht zugetraut hätte.

»Entschuldigung«, beeilte sie sich, zu sagen.

Die blonde Frau musterte sie von oben bis unten, schien aber besänftigt zu sein. Sie nickte einmal kurz, dann drehte sie sich um.

Während sie auf eine offene Wohnungstür zuging, beobachtete Sofia, wie anmutig ihr Gang in der engen Lederleggings war. Nun hatte sie also ihre erste Bekanntschaft gemacht. Sie hoffte, dass die Nachbarin sie schnellstmöglich aus ihrem Gedächtnis verdrängen würde.

***

Die Nacht war einem Albtraum gleichgekommen. Zwar hatte sich Sofia direkt nach der Episode mit der Nachbarin wieder ins Bett gelegt, doch danach hatte sie sich aufgewühlt von einer auf die andere Seite geworfen.

Sie hätte gerne geglaubt, dass es an dem ungeplanten Schlaf am Abend gelegen hatte. Doch die anderen Nächte noch in ihrer alten Umgebung waren gleich verlaufen. Kaum war Sofia eingeschlafen, wachte sie auf, weil es in ihrem Bauch rumorte. Danach warf sie sich so lange herum, bis sie immerhin wegdämmerte. Wenn dann der Wecker klingelte, fühlte sie sich wie erschlagen.

Heute kamen beim Aufwachen Kopfschmerzen dazu. Immerhin roch es in ihrem Schlafzimmer nach frischer Morgenluft und nicht mehr nach Zigarettenqualm. Sofia war sich bewusst, dass sich das im Laufe des Tages ändern würde.

Nachdem sie aus der Dusche gestiegen war, suchte sie in ihrem vorläufigen Kleiderschrank nach passender Kleidung. Die Kleidungsstücke, die sie wählte, passten genauso gut in diese Gegend wie ein Ferrari vor dem Hauseingang. Allerdings legte Sofia viel Hoffnung in das anstehende Vorstellungsgespräch, sodass sie ihre Bedenken beiseite wischte.

Mit einem letzten Blick in den Spiegel und einem dumpfen Pochen im Kopf verließ sie die Wohnung. Von außen schloss sie mehrmals ab, auch wenn ihr bewusst war, dass das keinen Einbrecher abhalten würde.

»Tachchen«, grüßte eine Frau hinter ihr. Erschrocken wandte sich Sofia um. Dort stand die falsche Barbie von letzter Nacht. »Na, das ist aber auch mal ein schicker Fummel, den du da anhast. Was ist das? Prada?«

Fast hätte Sofia gelacht, da sie sich selbst zu ihren besten Zeiten Prada nicht hätte leisten können. Aber sie schüttelte lediglich den Kopf und flüchtete über die Treppe nach unten.

»Hier bei uns grüßt man sich übrigens«, rief die Frau ihr hinterher.

Das einzig Gute an der Großsiedlung Neuperlach war die U-Bahn-Verbindung. Dank ihr gelang es Sofia, innerhalb einer halben Stunde ins Münchner Zentrum zu fahren. Von dort trennte sie nur noch ein kurzer Fußweg von ihrem Vorstellungsgespräch.

Als sie das gehobene Restaurant betrat, schickte Sofia ein Stoßgebet gen Himmel. Hoffentlich hatte sie diesmal Erfolg.

»Frau Langrebe?«, kam ihr ein Mann mit einem Schnäuzer entgegen, der an die Männer aus Gangsterfilmen der Dreißigerjahre erinnerte.

»Das bin ich«, bestätigte sie und lächelte ihn freundlich an.

Sie hielt ihm die Hand entgegen. Unterwegs hatte sie sich daran erinnert, wie wichtig ein fester Händedruck war. Aber der Mann missachtete die Geste.

»Es tut mir leid, es sagen zu müssen, aber wir haben schon jemanden für die Leitung des Restaurants eingestellt«, erklärte er nun.

Seine Stimme klang kühl, als wäre Sofia ein Parasit, der schleunigst verschwinden sollte.

»Wie?«, fragte sie völlig überrascht nach. Die Erschütterung in ihr drohte, sie von den Beinen zu reißen. Aber sie atmete tief ein und zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. »Aber um zehn Uhr habe ich ein Vorstellungsgespräch.«

Der Mann zuckte mit den Augenbrauen und deutete sein Missfallen an.

»Wir hätten Sie selbstverständlich benachrichtigt, aber die Ereignisse haben sich überschlagen.«

»Überschlagen?«, wiederholte sie.

In ihrem Kopf fragte sie sich, welche Ereignisse eingetroffen waren, um einen kurzen Anruf nicht zu tätigen.

»Sie wissen ja, wie das in einem Restaurant ist«, meinte ihr Gegenüber, berührte Sofia am Ellbogen und führte sie in Richtung Ausgang.

Am liebsten hätte sie ihm ihren Arm entzogen und ihm wutschnaubend entgegengeschleudert, dass nur inkompetente Menschen vergaßen, ihre Bewerber darüber zu informieren, dass eine Stelle schon besetzt worden war. Aber was hätte es genützt?

Noch ehe sie sich von dem Mann verabschieden konnte, schloss er hinter ihr die Tür. Vermutlich konnte sie dankbar sein, dass sie überhaupt ins Restaurant gelassen worden war.

Verstohlen sah sich Sofia um. Menschenmassen hasteten an ihr vorbei, trugen teure Einkaufstaschen, unterhielten sich, lachten. Niemand hatte ihre Demütigung bemerkt. Doch sie war sich einer Sache bewusst: Ihr Ruf als Diebin hatte sich in der gesamten gehobenen Gastronomie Münchens verbreitet. Und niemand würde ihr die Chance geben, ihr Können als Restaurantfachfrau unter Beweis zu stellen.

***

Wütende Tränen rannen unablässig über Sofias Wangen. Noch wütender wischte sie sie sich mit dem Handrücken aus dem Gesicht. Die Haustür ihres Wohnhauses stand offen, sodass auch jeder einbruchsfreudige Kriminelle in die Baracke einsteigen könnte. Es war ihr egal.

Sie lief hoch bis zu ihrem Stockwerk. Als sie den Schlüssel aus ihrer Handtasche zog, fiel er zu Boden.

»Mist«, zischte sie und musste den Kloß in ihrem Hals unterdrücken.

»Alles in Ordnung?«

Sofia drehte sich genervt zu der mittlerweile bekannten Stimme um.

»Oh ja, ich weiß, hier grüßt man sich. Weil ihr ja alle so kultiviert seid. Weil hier ja alles so toll ist. Aber soll ich dir mal was sagen?« Die Blonde wich mit einem verblüfften Ausdruck im Gesicht zurück. »So toll ist das hier gar nicht. Und du mit deinem falschen Blond bist so was von klischeehaft, dass es schon wehtut.«

Sofias Nachbarin ließ ihre Schultern sinken. In ihrer Hand hielt sie einen Stapel Briefe.

»Was kann ich denn dafür, dass du einen schlechten Tag hast?«, gab sie mindestens so genervt wie Sofia zurück. »Ich frag doch bloß, weil dir das Geheule schwarze Striemen in die Fratze gemalt hat.«

Die Worte ließen Sofia verstummen. Plötzlich musste sie lachen. Zu ihrem Erstaunen fiel die Blonde mit in ihr Lachen ein.

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Sofia. Erst jetzt ging sie auf ihre Nachbarin zu. »Ich hatte wirklich einen miesen Tag. Einen unglaublich miesen Tag. Aber das sollte ich nicht an den Nachbarn auslassen.«