Durchgeknallt - Wolfgang Breuer - E-Book

Durchgeknallt E-Book

Wolfgang Breuer

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Beschreibung

Klaus Klaiser will eigentlich nur seinen Wagen aus der Werkstatt abholen und Feierabend machen. Doch da fährt direkt vor ihm ein offenbar durchgedrehter Verkehrsrowdy fast zwei Rollerfahrer über den Haufen. Für den Hauptkommissar der Berleburger Kripo ist das kein Kavaliersdelikt. Er will den Raser zur Rede stellen und aus dem Verkehr ziehen. Doch dabei gerät er nicht nur selbst in echte Lebensgefahr. Er steckt unversehens in einem Kriminalfall, der im Wittgensteiner Land und anderswo hohe Wellen schlägt. Keine Frage, dass der junge Beamte scharf darauf ist, den oder die Täter zu ermitteln und fest zu setzen. Doch dabei begegnen ihm, seiner Kollegin Corinna Lauber und den Leuten von der SOKO Menschen, die alle irgendwie zufällig auf eine abartig schiefe Bahn geraten sind. Mit fatalen Konsequenzen.

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Wolfgang Breuer

Durchgeknallt

Ein Wittgenstein-Krimi

Wolfgang BreuerDurchgeknallt Wittgenstein-Krimi

Cover: Flugplatz Schameder, Foto Wolfgang Breuer Autorenfoto: Fotoatelier Christiane

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten!© Herbst 2016

Impressum ratio-books • 53797 Lohmar • Danziger Str. [email protected] (bevorzugt) Tel.: (0 22 46) 94 92 61Fax: (0 22 46) 94 92 24 www.ratio-books.de

eISBN 978-3-96136-002-4

published by

Dieses Buch ist ein Roman. Handlung und Personen, wie Täter und Opfer, sind frei erfunden. Allerdings spielen darin auch real existierende Personen im sehr realen Wittgensteiner Land eine gewichtige Rolle. Diesen Menschen schulde ich für ihr freundschaftliches Einverständnis dazu meinen aufrichtigen Dank. Sie machen die Geschichte ein ganzes Stück weit authentischer. Bezüge zu und Anspielungen auf Ereignisse des aktuellen Zeitgeschehens sind ebenso gewollt wie notwendig.

Wolfgang Breuer

Inhalt

Mittwoch, 16. September

Donnerstag, 17. September

Freitag, 18. September

Samstag, 19. September

Montag, 21. September

Dienstag, 22. September

Mittwoch, 16. September

Eins war klar. Der Hüne, der da oben an der Straßenböschung stand, wollte Klaus jetzt endgültig ans Leder.Richtig massiv ans Leder. Und kein Schwein weit und breit, das ihm hätte helfen können.

Dem Kripo-Mann wurde gleichzeitig heiß und kalt. Schweiß rann ihm von der Stirn, tropfte auf den trockenen Boden unter ihm, in den er sich förmlich hinein krallte. Und den Rückenstrang herunter schauderte es ihn. Klaus Klaiser ging der Stift eins zu zweihunderttausend.

Aber der Typ konnte ihn wohl nicht sehen, so von oben herunter. Obwohl er keine drei Meter oberhalb von ihm stand. Die Büsche waren einfach zu dicht. Zum Glück war das linke Auge dieses Irren so zugeschwollen, dass er für die nächsten Tage wohl mehr wie ein Zyklop durch die Landschaft tapern würde. Glück für den Gesetzeshüter. Im Moment jedenfalls.

Was für ein Ekel, dieser Typ. Seine lädierte Visage glänzte in der Abendsonne. Seine überdimensionierten Bizepse mit den geschmacklosesten Tattoos, die man jemals gesehen hatte, glitzerten schweißnass. Und seine abgerissenen Klamotten klebten dort, wo sie keine Löcher hatten, an seinem gigantischen Körper. Ein dreckiger Widerling in Schwarzenegger-Ausgabe. Mit einer neun Millimeter SIG Sauer in der Rechten.

Nicht einmal eine halbe Stunde trennte Klaus von seinem vermeintlichen Triumph über den Muskelprotz und diesem Moment, in dem er sein Ende kommen sah.

Mit einem Wahnsinnstempo war dieses Arschloch durch Berghausen gerast, hatte zwei Autos beim Überholen demoliert und fast einen alten Mann mit Fahrrad über den Haufen gefahren. Der Senior hatte gerade bei Laie über die Straße in Richtung Lehmbach gewollt. Gott, war das knapp! Zum Glück verfehlte der Irre mit seinem rasenden Boliden den Mann um wenige Zentimeter und schoss nun durch Rehans´ Kurve. Dann allerdings musste er richtig Gummi auf der Straße lassen. Richtig viel Gummi.

Denn er war nicht nur viel zu schnell. Nur etwa achtzig Meter weiter, in der nächsten Linkskurve, rangierte nämlich ein Lkw mit überlangem Spezialanhänger. Um einen Riesenkran ins Neubaugebiet auf den Brunkel hinauf zu bugsieren. Die Straße war dicht. Vollbremsung!

Fahlgelbe Schwaden schossen unter den Kotflügeln des metallicblauen Porsche Panamera heraus. Und jeder gebremste Meter wurde dokumentiert durch dicke schwarze Streifen auf der Fahrbahn. Vier 265er Schlappen verloren deutlich sichtbar an Profil.

Nur ganz knapp vor dem Gespann kam er quer zum Stillstand. Mitten auf der Fahrbahn. Hauptkommissar Klaiser sah den Wahnsinnigen fluchen und toben, als er sich der Szenerie langsam mit seinem Audi näherte. Der Typ war ausgestiegen und hatte wild mit seinen Fäusten gestikulierend dem Lkw-Fahrer Schläge angedroht, wenn er die Straße nicht endlich frei mache. Klaus, der von hinten mit seinem Audi A5 heran gekommen war, interessierte ihn offenbar nicht die Bohne. Obwohl der Kripo-Mann schon seit Dotzlar immer wieder in seinem Rückspiegel aufgetaucht war. Zum Schluss sogar mit Blaulicht. Womöglich hatte er ihn in seiner Raserei überhaupt nicht registriert.

Klaiser hatte gerade seinen Dienstwagen aus der Inspektion geholt und noch schnell einen neuen Wagen vor dem Autohaus Paul angeschaut, als der Porsche mit Hochgeschwindigkeit die Straße von Sassenhausen herunter kam. Dieses unverwechselbare raue Motorengeräusch, das beim Runterschalten an ein hochgezüchtetes Kreischen erinnert, ließ ihn neugierig herumfahren. Klaus konnte gerade noch sehen, wie der Panamera ungebremst und ohne Rücksicht auf zwei Motorroller in Richtung Raumland einbog und davon raste. Vollgas, mit röhrendem Auspuff. In kürzester Zeit hatte der Wagen schon wieder mehr als hundert Klamotten erreicht. Mitten im Ort.

Die Jungs auf ihren Rollern hatten eine sehenswerte Vollbremsung hingelegt. Und das war gut so. Was hilft einem schon das Wissen um die eigene Vorfahrt, wenn man ohne Knautschzone und Airbag unterwegs ist.

Klaiser war zwar schon um halb vier am Morgen wegen eines Raubüberfalls auf einen Rotlicht-Kneipier aus dem Bett geschmissen worden. Und sein Dienst war längst rum. ‚Doch diesen Typen hier‘, dachte er sich, ‚den schaust du dir trotzdem mal genauer an. Falls du an den ran kommst.’ Auf der kurvigen Strecke am Steinbruch vorbei würde der jetzt nicht so los brettern und ohne weiteres überholen können. Da war zu dieser Zeit noch zu viel LKW-Verkehr. Die Chancen standen daher nicht gerade schlecht.

Und es klappte auch. Kurze Zeit später hing der Zivilstreifenwagen hinter dem Porsche. Davor zwei schwer mit Schotter beladene Sattelzüge. Und ständig Gegenverkehr.

Es war zwölf nach vier Uhr nachmittags. Die Büros und Kliniken im benachbarten Bad Berleburg und die Firmen in den umliegenden Orten spuckten ihre Belegschaft in Richtung Feierabend aus.

Obwohl Klaiser mit Hochgeschwindigkeit aufgeschlossen und sogar in seinem Sichtfeld ein recht haariges Überholmanöver riskiert hatte, war er dem Porsche-Fahrer wohl nicht aufgefallen. Immer wieder zog der Raser seinen Wagen leicht nach links, um dann wegen des Gegenverkehrs blitzschnell wieder einzuscheren. Nix war’s mit Überholen. Zumindest nicht bis kurz vor der Raumländer Kirche.

Dort hatte der Irre endlich eine Lücke auf der Gegenspur entdeckt. Und schon jagte er den sündhaft teuren Wagen auf Hochtouren an den Lastern vorbei. Um ein Haar wäre er in eine bepflanzte Verkehrsinsel gekracht, die er links umschiffte. Und wenige Meter weiter riss eine Mutter ihr Kind mitsamt Dreirad instinktiv in einen Vorgarten.

Der Bolide schoss vorbei und lag nun wie ein Brett in der folgenden scharfen Linkskurve auf der Straße. Diese Kurve um den Bergrücken herum muss es schon gegeben haben, als der Heilige Bonifatius hier die erste Kirche baute. Doch der Gottesmann fuhr damals allenfalls Ochsenkarren. Der Sportflitzer war da bedeutend flotter.

So schnell, wie er ihn eingeholt hatte, so schnell hatte Klaiser den Panamera wieder aus den Augen verloren. ‚Das war´s‘, dachte er. ‚Ende seines außerdienstlichen Einsatzes‘, der ihm wahrscheinlich ohnehin nicht auf dem Überstundenkonto gutgeschrieben worden wäre.

Bis zur „Klinker-Kreuzung“ gab es keine Chance mehr für ihn, an den Vierzigtonnern vorbeizukommen. Dröhnend bogen die PS-Monster mit ihrer Schotterladung dort links ab auf die B480, Richtung Hemschlar. Das schwäbische Galaprodukt in blau war da schon längst über alle Berge.

Klaiser beschloss, für heute die Schnauze voll zu haben. Er wollte heim. Duschen, mit Ute zu Abend essen und dann mit Heiner Fußball gucken. Champions League.

Die Geschichte mit dem überfallenen Puffbesitzer hatte ohnehin genug Zeit gekostet. Und Nerven. Dieser Einfaltspinsel war mit den gesamten Einnahmen der Nacht in einem Plastikbeutel quer durch die Stadt gelatscht und hatte angeblich nicht gemerkt, dass er seit Verlassen seines Etablissements von einem Kerl verfolgt worden war. Der hatte in dem Bordell sein ganzes Geld vervögelt und in Champagner für Nutten angelegt.

Kurz vor dem Nachtschalter der Sparkasse hatte der mittlerweile klamme Freier dem Rotlichtkönig dann ein mächtiges Hörnchen geklopft und ihm die Kohle trotz heftigster Gegenwehr aus den Händen gerissen. Danach war er stiften gegangen. Mehrere Tausend Euro reicher und mit zunächst unbekanntem Ziel.

Nicht aber mit unbekanntem Gesicht. Denn eine Überwachungskamera hatte das Schauspiel der gewaltsamen Geldübernahme aus dem Bankinneren heraus auf Chip festgehalten. So hatte der Hüter der leichten Damen leichtes Spiel bei der Identifizierung. Trotz einer veritablen Beule, die im Kopf ein gewaltiges Dröhnen verursachte und mit Eisbeutel gekühlt werden musste, hatte er am nächsten Morgen den Mann auf dem Überwachungsvideo sofort wieder erkannt. Als einen überaus großzügigen Kunden, den er wegen seines honorigen Verhaltens über den grünen Klee lobte. Bis ihm klar wurde, dass der ja der Grund allen Übels war.

War es der viele Alkohol, der ihn so verwirrt machte? Oder hatte er am Ende doch eine Gehirnerschütterung davon getragen? ‚Kaum vorstellbar‘, dachte Klaus. „Wo nichts ist, da kann man nichts erschüttern“, hatte sein Vater schon immer gesagt.

Sei´s drum. In den Minuten nach dem etwas sehr anstrengenden und zeitraubenden Gespräch mit dem „Sondergastronomen“ ging es Schlag auf Schlag. Der Abgleich der fast Passbild-tauglichen Aufnahmen des Räubers mit Fotos in der elektronischen Gangsterkartei führte verblüffend schnell zu einem Ergebnis. Der Typ, ein Mann aus Siegen-Weidenau, war schon mehrfach wegen Eigentumsdelikten und Überfällen in Erscheinung getreten. Nur Minuten später starteten unauffällige Kollegen vom Weidenauer Revier aus in einem ebenso unauffälligen Fahrzeug, um vor dem Elternhaus des Übeltäters auf dessen Wiederkehr zu warten.

Dass er auftauchen würde, daran hatten die Siegener Kollegen keinen Zweifel. Denn bei aller kriminellen Energie mit Hang zur käuflichen Liebe zeichnete den 38-jährigen Gelegenheitsjobber eines besonders aus: seine hohe soziale Kompetenz nämlich. Er versorgte seit Jahren eine einseitig gelähmte und bettlägerige Frau, die eine kleine Mietwohnung im Hause seiner längst verstorbenen Eltern bewohnte.

Nicht, dass er irgendwelche womöglich schrägen sexuellen Ambitionen gehabt hätte. Nein. Es gefiel ihm einfach, für die Endfünfzigerin einzukaufen und sie mit all dem zu versorgen, was die Leute vom sozialen Dienst nicht leisten konnten. Irgendwie war sie wohl so etwas wie ein Mutterersatz für Hendrik Schlemper, den Ganoven mit karitativen Zügen.

Oft unterhielt er sich stundenlang mit seiner Mieterin. Und sie plauderten über Gott und die Welt. Wenn er nicht gerade mal wieder für ein paar Monate in den Knast eingefahren war. Solange mussten andere die Einkäufe übernehmen.

‚Und so einer fährt bis nach Berleburg, poppt sich die Seele aus dem Leib, säuft literweise Dom Perignon und schmeißt mit Geld nur so um sich. Um dann zu erkennen, dass er total pleite ist und daher beschließt, sich die Kohle auf spektakuläre Art und Weise wieder zurück zu holen.’ Klaus schüttelte jetzt noch den Kopf während der Fahrt. ‚Wirklich eine schräge Nummer. Aber in Nullkommanix aufgeklärt. Vielleicht geht er den Kollegen ja bald ins Netz.’

Den Porsche und seinen bekloppten Fahrer würde Klaiser wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber immerhin hatte er ja seine Nummer. OE-JJ 276. Gleich morgen würde der Kripobeamte das Zentralregister und POLAS abfragen. Ob mit dem Wagen alles in Ordnung ist, wem er gehört und ob der Besitzer schon mal irgendwo aufgefallen ist. Falls denn der Pilot dieses Geschosses auf vier Rädern auch dessen Besitzer war.

Wer immer heute hinter dem Steuer saß, seine rücksichtslose Fahrweise war nicht mehr zu toppen. Aber leider war die Größe des Fahrers das einzige, was in Bruchteilen von Sekunden in seinem „optischen Gedächtnis“ hängen geblieben war. Ein richtig kompakter Mann, eigentlich zu massig für einen solch schlanken Wagen. Mehr ging in der Kürze des Vorbeirasens in Dotzlar nicht. Das glich einem Versuch, in einen vorbeidonnernden Zug zu schauen. ‚Solch einem Idioten müsste man einfach den Lappen wegnehmen dürfen‘, dachte der Polizist. Fertig aus!

Als Klaus durch Raumland Bahnhof in Richtung Berghausen fuhr und der altehrwürdige Gasthof Kunze in Sicht kam, musste er unwillkürlich an seinen Kumpel Heiner denken. Der sprudelte förmlich über, wenn er von seinen Erlebnissen in dem ehemaligen Vereinslokal der Sportfreunde Edertal erzählte. Was müssen die hier für tolle Siege mit Unmengen Pils begossen und was für bittere Niederlagen mit eben solchen Mengen hinuntergespült haben. Heiner hatte gar nicht aufgehört zu schwärmen, von diesen „glorreichen Zeiten der Edertaler“.

Sekundenbruchteile später wurde der Beamte aus seiner Feierabendstimmung herausgerissen. Denn von rechts, vom Stöppel, kam der Porsche in die Einmündung herunter gedonnert, schnitt seinen Weg und veranlasste ihn zu einem abartigen Bremsmanöver. Während Klaus´ rechter Fuß samt Bremspedal das Bodenblech zu durchdringen drohte, er nach links auswich und nur noch auf Krachen, Splittern und Blackout wartete, röhrten die vermutlich mehr als 400 PS dieses Zuffenhausener Wunderwerkes einmal heftig auf. Und schon lag der Irre wieder über der Tempobegrenzung.

Jetzt kam in Klaiser endgültig der Bulle durch. ‚So nicht, Kumpel‘, jagte es ihm durch den Kopf. Aus der Schockstarre schaltete er in den Jagdmodus um. Doch Vorsicht war geboten. Eine Verfolgungsjagd durch geschlossene Ortschaften – das geht gar nicht. Und bis Berghausen waren es keine 500 Meter um die nächste Kurve herum.

Sein Dienst-Audi machte einen Satz nach vorn, als er das Gaspedal durchdrückte, während er die Kojak-Lampe aufs Dach knallte. Der Saugnapf hielt auf Anhieb.

Eine Blaulicht-Verfolgung war zwar eher selten hier in Wittgenstein. Das erinnert mehr an Chicago-Zustände. Aber dem Polizisten war es wichtig, die Menschen auf und an der Straße zu warnen. Auch wenn er deutlich hinter der eigentlichen Gefahr herraste. Vielleicht machten Entgegenkommende ja schon vorsorglich und auf Distanz Platz. Und damit diesem wahnsinnigen Porschekutscher die Fahrbahn frei.

Aber das reichte nicht. Auch wenn Klaiser erkennen konnte, dass auf der schnurgeraden Straße zur Ortsmitte hinauf nicht so viel Verkehr war. Schnell informierte er per Funk die Wache in Bad Berleburg über seinen Einsatz. Der PvD, der Polizeiführer vom Dienst, versprach, sofort eine Streife loszuschicken.

Höhe Friedhof jagte der Durchgeknallte gerade wieder an zwei Vorausfahrenden vorbei, hatte aber den Gegenverkehr unterschätzt. Er musste nach rechts ausweichen. Doch auf dieser einen Fahrspur konnte so eine „Dreiernummer“ nicht gut gehen.

Es knatschte und knallte zweimal recht fies, Reifen quietschten. Und dann rollten ein ziemlich angekratzter Mondeo und ein verbeulter Passat rechts ran. Die Fahrer waren außer sich, als Klaiser wenige Sekunden später vorbei kam. Sie waren unverletzt, stellte er erleichtert fest. Auch das gab er noch per Funk durch. Aber sie mussten jetzt auf die Kollegen warten. Denn die Verfolgung wollte er unbedingt fortsetzen. Unter seinen Rädern krachte es. Ein abgerissener Außenspiegel zerlegte sich in Fetzen.

Dass den alten Mann mit dem Fahrrad ein paar hundert Meter weiter dieses Schicksal nicht ereilte, dafür sei der Herr im Himmel gepriesen. Klaiser hatte ihn samt seinem Untersatz im Geiste bereits fliegen sehen. Aber der Rentner stand nur wie angefroren da und stierte in die Richtung, in die der Rasende verschwunden war. Sekunden später hörte er die kreischenden Reifen hinter der Rechtskurve. Vielleicht hatte der Senior dabei ja auf ein dumpfes Aufschlaggeräusch gehofft. Doch das war vergeblich.

Der Porschefahrer ignorierte Klaiser nach wie vor. Obwohl der nun ganz dicht an den Ort des Geschehens herangerollt war und den Wagen rechts abgestellt hatte. Aber der Hüne raste vor Wut und hatte genug damit zu tun, den Lkw-Fahrer zur Sau zu machen. Weil der, von Aue her kommend, sein Gespann nicht um die enge Biegung herum bekam. Mehrere geparkte Pkw am Wegesrand machten dieses Ansinnen noch spannender. Jetzt hätte sich ein Beifahrer einen Orden als Einweiser verdienen können. Hatte der Kranwagen-Chauffeur aber nicht.

So bekam Berghausens Hauptverkehrsader einen Verschluss. Eine Thrombose, um im Bild zu bleiben. Samt Zufahrt zu allen Nebenstraßen.

Für den Moment eigentlich nichts Aufregendes. Die wenigen aufgehaltenen Autofahrer aus vier Richtungen übten sich in erstaunlicher Geduld. Sie sahen ja, dass es nicht weiter ging und der Schwerlastkutscher sein Bestes versuchte.

Nur der Porschefahrer, für den es offenbar kein Zurück in die entgegengesetzte Richtung gab, tobte wie ein Irrer und versuchte nun, den Trucker von seinem Sitz zu holen. Doch der hatte sich die Schimpfkanonaden nicht länger gefallen lassen, dem Aggressor schlicht den Stinkefinger gezeigt und die Fahrertür verrammelt. ‚Macht man nicht‘, dachte Klaiser. Trotzdem: der Mann auf dem hohen Lkw-Thron hatte seine volle Sympathie.

Allerdings wurde es für den Mutigen hinter der Tür jetzt brenzlig, denn sein Widersacher vom Typ „handliches Schrankformat“ war um den Brummi herum gerannt und im Begriff, die Beifahrertür aufzureißen. Die drei stählernen Stufen hatte er bereits erklommen. Der Polizist musste also eingreifen.

Und das tat Klaiser auch. Er ging ein paar Schritte vor und riss den Fleischberg an seinem gürtelverstärkten Hosenbund mit einem Ruck einfach vom Bock. Einfach so. Klaus war perplex, wie leicht das ging. Dieser aggressive Sack allerdings auch. Denn der hatte nicht mit einer Attacke von hinten gerechnet. Frei schwebend drehte er sich halb um die eigene Achse, nachdem ihm der Türgriff entglitten war, stierte Klaiser im Vorbeifliegen verwundert an und knallte der Länge nach auf die Straße. Freier Fall aus gut einem Meter fünfzig Höhe, plus Körpergröße, auf Asphalt. Das klatscht richtig. Vor allem, wenn sich die Hände, nach Halt suchend, irgendwo, aber nicht vor dem Gesicht befinden.

Für Sekunden war es still. Sogar der Motor des Lkw brummelte nur im Standgas. Und der schreckensbleiche Fahrer gönnte sich einen Moment hingebungsvollen Gaffens auf den Gestrauchelten. Ein dankbares Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Gesetzeshüter ansah. Dann verschwand er wie in Zeitlupe im Inneren des Führerhauses. Vermutlich musste er jetzt erst einmal ordentlich lüften in der Kabine.

Klaiser stand breitbeinig über dem reglosen Sturzopfer am Boden. Wie ein Jäger über seiner Beute. Nur weniger zufrieden. Denn so konnte er den Mann schließlich nicht liegen lassen. Idiot hin oder her. Er musste was tun. Erste Hilfe leisten womöglich. Doch der Beamte war alleine mit diesem gewaltbereiten Koloss. Ihm war extrem unwohl zumute.

Berechtigterweise, wie sich herausstellen sollte. Denn als er ihn zaghaft an der rechten Schulter anfasste, um ihn umdrehen und nach ihm schauen zu können, stieß der Porsche-Rüpel einen tierischen Schrei aus. „Uuuuuuuuaaaaaaaaaah, Scheiffe, verfluchte. Jetf iff allef im Eimer“, brüllte der Fleischberg mit total lädierter Oberlippe und drehte sich auf die Seite.

Blut quoll aus einer Platzwunde an der Stirn und aus Mund und Nase. Letztere hatte eine seltsame Kartoffelform. „Fo ein Mift, fo ein verdammter!“ Er kriegte sich gar nicht mehr ein. „Wer bift Du eigentlich, Du dämlicher Narr!“, schrie er Klaiser an. „Gnade Dir, wenn ich Dich fu packen kriege! Ich bring´ Dich um, du Wickfer!“

„Interessant“, versuchte der Angebrüllte cool zu bleiben. „Ich bin Hauptkommissar Klaus Klaiser, Kripo Bad Berleburg. Und du regst dich jetzt am besten erstmal ab.“

Seinem Gegenüber blieb vor Schreck das blutende Maul offen stehen, als Klaus ihm seinen Dienstausweis vor die verbogene Nase hielt.

Wie von der Tarantel gestochen war der Typ urplötzlich auf den Beinen und wollte weg. Doch der Bulle erwischte ihn an einem Handgelenk, riss ihn am Arm herum und hatte dessen Pranke blitzschnell so weit auf den Rücken gedreht, dass der Muskelprotz leise aufjaulte und auf die Knie ging. Gut, dass der Polizist in Zivil die Handschellen noch am Hosenbund hatte.

Der Rest war Routine. Die Hamburger Acht klickte zweimal und Klaiser entspannte innerlich ein wenig. Mit festgezurrten Händen auf dem Rücken schien ihm der Riese jetzt weit weniger gefährlich. Auch wenn der immer wieder brüllte wie ein Ochse und ihn auf´s Übelste beschimpfte.

Als der heftig Verbeulte allerdings versuchte, nach Klaus zu treten, knickte sein linkes Standbein ein. Begleitet von einem noch lauteren Aufheulen. Offenbar war der Sturz auch für die unteren Regionen seines massigen Körpers nicht ohne Folgen geblieben.

Irgendwie war es dem Trucker zwischenzeitlich gelungen, sein sperriges Gefährt um die Kurve zu bringen und endlich weiter zu fahren. Röhrend zog der Brummi den Tieflader samt Kran den Berg hinauf. Klaisers Armbanduhr zeigte drei Minuten nach halb fünf.

‚Alles super’, dachte Klaus. ‚Den Typen können die Kollegen ja gleich mit nach Berleburg nehmen.’ Und er hätte endlich Feierabend. Es gab nur noch ein Problem. Der Verkehr wollte nicht so recht anrollen. Es setzte jetzt eher ein Hupkonzert ein.

Und das war kein Wunder. Denn der Porsche stand ja noch immer quer zur Fahrbahn in der Kurve. Da traute sich kaum jemand mit seinem Wagen vorbei. Hätte ja noch zusätzliche Macken geben können, an dem edlen Gefährt. Obwohl es rechts schon ziemlich lädiert war. Aber da wollte keiner noch zusätzliche Schuld auf sich laden. Und natürlich auch den eigenen Wagen heile lassen.

„Meine Karre muff da weg, Du Arsch!“, brüllte der Bodybuilder. „Mach‘ mich lof!“

Demonstrativ dreht er dem Polizisten den schrankbreiten Rücken mit seinen zusammengeschnallten Pfoten zu.

„Leck mich doch“, entgegnete Klaiser. Nicht für Geld und gute Worte hätte er den Typen zu seinem Wagen zurück gelassen. Auch wenn der sich jetzt gebärdete wie Rumpelstilzchen. Vorher wollte der Hauptkommissar wissen, was der Kerl so alles auf dem Kerbholz hat. Außerdem war der Porschekutscher schon allein wegen seiner Raserei, der Kollision mit den beiden Wagen im Dorf und der Bedrohung des Truckers fällig. Den würde er nicht mehr laufen lassen.

Aber es wäre jetzt wirklich an der Zeit, den Porsche von der Piste und die bluttriefenden Wunden in der Visage dieses Zweieinhalbzentnermannes versorgt zu bekommen. Und die Gaffer weg zu schicken. Denn mittlerweile hatte sich eine ansehnliche Menge Mensch im Kreis um das Geschehen aufgebaut. Natürlich in respektvollem Abstand. Wann kriegst du so was schon mal geboten auf dem Dorf?

Klaiser war ganz und gar nicht nach Publikum zumute. Er wollte die Sache hier so schnell wie möglich beenden und hoffte inständig auf die versprochenen Streifenkollegen. Mit der Linken zerrte er den Demolierten an der Handschellenkette neben sich her, während er mit der Rechten sein Handy in Gang setzte. Mal nachfragen, wo die Kollegen bleiben.

Doch da stoppte dicht neben ihm ein blau-silberner VW-Bus mit der tollsten Werbeaufschrift, die er sich im Moment nur denken konnte: POLIZEI. Der war wohl über eine der Nebenstraßen gekommen, die jetzt wieder frei waren. Heraus sprangen zwei junge Kollegen, die Klaiser nur vom Sehen kannte. Beamte, die als Verstärkung bei der Sicherung des Flüchtlingserstaufnahmelagers von Köln nach Bad Berleburg abgeordnet worden waren.

Die Jungs hatten Figürchen wie Zehnkämpfer. Breite Schultern, schlanke Hüften und ein massives Fahrgestell. In ihren Einsatzkombis und mit Springerstiefeln machten sie echt was her. Selbst der Gefesselte schien ein wenig ins Grübeln zu geraten, als er sie sah. Richtig topfitte Jungbullen.

In kurzen Zügen erklärte Klaiser ihnen, dass es sich bei dem Mann um einen Verkehrsrowdy und üblen Schläger mit reichlichen Drohgebärden handele. Dann überließ er den Kraftprotz ihrer Obhut, um endlich die Straße frei zu machen. Das Hupkonzert hatte ein wenig nachgelassen. Den Autofahrern war das Auftauchen der Uniformierten wohl zu mulmig. Außerdem war klar, dass sich bald an der Situation etwas ändern würde.

Der Porsche-Schlüssel lag zum Glück auf der Mittelkonsole, als Klaus sich in den Sportsitz gleiten ließ. ‚Was für ein Auto. Und dazu noch ziemlich neu‘, dachte er, als er startete. Mit unbändiger Kraft zog der Bolide schon im Standgas an wie ein wilder Hengst. Aber der Beamte machte mit dem Traumfahrzeug lediglich eine Kehrtwende und stellte es neben seinem Quattro auf dem Hof vor dem ehemaligen Union-Stübchen ab. Eine legendäre Kneipe. Sein Nachbar hatte dort der Erzählung nach so manche Nacht Doppelkopf gespielt und geknobelt. Und dabei reichlich dem Dortmunder Bier zugesprochen. „Lang ist´s her“, hatte Werner sinniert. Der Zapfhahn war schon seit Jahrzehnten nach oben gedreht.

Klaus machte sich auf die Suche nach Personal- und Fahrzeugpapieren im Wagen. Das jedoch verlief mehr als enttäuschend. Der Panamera war innen so gut wie leer. Seltsam. Lediglich eine Sportjacke ohne Taschen auf dem schmalen Rücksitz. Und die Betriebsanleitung vom Hersteller im Handschuhfach. Die Tankanzeige stand auf etwas über „halbvoll“ und der Tacho auf 12.371 Kilometer. Das Navi war eingeschaltet.

Immerhin war die Straße jetzt wieder frei. Der Stau löste sich langsam auf. Aber als er ausstieg, waren er und das Auto umringt von Schaulustigen, die jede Menge anerkennende Schulterklopfer für den Mutigen übrig hatten. „Das war ja der Hammer, wie Sie den zusammen gefaltet haben“, meinte ein Junge, vielleicht gerade mal 15 Jahre alt.

‚Wenn die wüssten, wie mir zumute war‘, dachte er nur, als er zum Ort des Geschehens zurückging. Aber die Anerkennung tat ihm gut. Klaiser grinste zufrieden in sich hinein.

„Samma, dämm hässe awwa ordentlisch die Fresse poliert. Wie jing dat dann?“, wollte der Größere von den beiden Kollegen in breitestem Kölsch wissen. Während der andere gerade dabei war, per Funk einen Rettungssanitäter heranzuholen. Den mittlerweile verstummten, aber immer noch blutenden Gestrauchelten hatten sie derweil im Inneren des VW-Busses an einem Haltegriff angekettet.

Klaus´ Erklärung zu den wirklichen Umständen wollte der Kölner gar nicht so richtig glauben und grinste breit „Dä häddet sischer verdient“, meinte er nur. „Oder jloubst du, dat dämm Kaventsmann dat jeile Auto jehört? Dat iss doch vill zo kleijn füa dänn. Un zo düa. Dat hät dä doch jarantiert irjendwo jeklout.“

Kurz darauf klemmte er sich an den Funk und fragte die Autonummer in der Zentrale ab.

„Die hann im Moment zo vell zo donn“, kam er kurz darauf wieder zurück. „Do is irjendwo ’n Riesensouereij im Jang. Da is de Kacke rischdisch am Dampfen.“

„Kann ja wohl nicht an uns liegen“, lachte Klaus und freute sich auf seine Frau und ein ordentliches Abendessen. So langsam hing ihm nämlich der Magen zwischen den Knien. Und Ute, Physiotherapeutin in einer der Berleburger Kliniken, dürfte längst zu Hause sein und schon mal alles vorbereitet haben. Am Mittag hatten sie noch telefoniert und sich für fünf Uhr verabredet. Das würde zwar knapp, aber käme immer noch hin. Bis nach Hause bräuchte er von hier aus im Wagen gerade mal zwei, drei Minuten.

Die beiden hatten sich nach Klaisers Versetzung zur Polizei in Berleburg ein schmuckes Häuschen hier im Ort gemietet. 130 Quadratmeter, so gut wie neu, direkt am Ortsrand. Nicht weit weg von der Straße zur Krimmelsdell. Ein herrliches Eckchen mit hoher Feierqualität. Das war wichtig in Berghausen.

Ute war schon zwei Jahre vor ihm in die Kurstadt gekommen, in deren Namen die Einheimischen das „Bad“ gerne wegließen. Aus purer Gewohnheit. Berleburg war zwar schon eine halbe Ewigkeit für Kneippkuren bekannt. Den Titel „Bad“ hatte die Kleinstadt aber erst 1971 bekommen.

Doch das Kuren nach Pfarrer Kneipp hatte die Zeit nicht überdauert. Die meisten Kliniken hatten sich mittlerweile auf Rehabilitationstherapien spezialisiert. Auf die Heilung von Schlaganfallpatienten oder solchen mit schweren Traumata oder massiven Hörschäden, zum Beispiel. Blitzgüsse und Heusäcke hatten Therapien in Neurologie, Psychologie oder Psychosomatik Platz gemacht.

Und genau dort hatte die damals frisch gebackene Physiotherapeutin und Schwimm- und Bademeisterin Ute angeheuert. In einer gerade umfunktionierten Doppelklinik.

Zum Leidwesen von Klaus, damals noch Polizeikommissar bei der Münsteraner Schutzpolizei.

Zwei Jahre lang war der aufstrebende Schutzmann an freien Wochenenden ins Wittgensteiner Land gefahren, um seine bildhübsche Freundin zu besuchen. Die musste in der Klinik häufiger auch an Samstagen Dienst schieben. Da war sein Besuch hier schon praktischer.

Und zwischendrin feilte er an seiner Karriere, wechselte nach Lehrgängen zur Kripo und wurde befördert.

2013 schließlich hatte er die Chance, als Hauptkommissar bei der Kripo in Berleburg einzusteigen. Das passte prima zu den Heiratsplänen des Paares, das sich hier auf dem Land mit seinen etwas knorrigen, aber unheimlich herzlichen Menschen sauwohl fühlte. Er griff zu.

Den Klaisers gefiel Bad Berleburg und seine Umgebung. 23 Ortsteile mit insgesamt nur knapp 20.000 Einwohnern. Das war so richtig nach dem Geschmack der beiden, die bei Telgte im Münsterland groß geworden waren. „Unheimlich viel schöne Gegend hier“, hatte Ute mal gesagt.

Beide liebten das Leben auf dem Land, waren begeisterte Wanderer und Skifahrer und vor allem keine Schönwetter-Anbeter. Das war wichtig in einem Landstrich mit gefühlten 250 Regen- und Schneetagen pro Jahr.

Heute war es übrigens trocken und warm. Ein Septembertag, wie man ihn gerne hatte. Und es versprach ein schöner Abend zu werden, als der Rettungswagen heranrollte. Endlich. Ein Rettungsassistent und eine Notärztin kletterten aus dem Fahrzeug. Der Fahrer wendete und stellte den Wagen neben dem Polizei-Bulli ab. Zwischenzeitlich hatten sich auch die Gaffer am Straßenrand verkrümelt.

Klaus Klaiser und der Kleinere von den beiden Kölner Kollegen kümmerten sich um den Chaoten. Losschließen vom Haltegriff und Hände auf den Rücken. Damit er keine Dummheiten macht.

Nebenbei erklärte der Hauptkommissar den Rettern in kurzen Zügen, was passiert war und wie es zu den Verletzungen des Gefesselten gekommen war. Dann ging es an dessen grobe Untersuchung.

„Das an der Stirn werden wir klammern müssen. Und das hier an der Lippe auch“, erklärte die Ärztin, als sie sich das Gesicht näher angeschaut hatte. „Haben Sie schlimme Schmerzen?“

Der Fleischkloß schwieg.

„Wir nehmen ihn am besten gleich mit ins Krankenhaus nach Bad Berleburg. Da kann er sofort in der chirurgischen Ambulanz behandelt werden“, beschied die junge Medizinerin. Ohne eine Reaktion der Polizisten abzuwarten bat sie darum: „Am besten machen Sie ihm die Handschellen ab. Damit er auf dem Rücken liegend transportiert werden kann. Der Mann hat bei dem Sturz auf die Fahrbahn mit ziemlicher Sicherheit eine Gehirnerschütterung abbekommen. Einer von Ihnen kann uns ja im Rettungswagen begleiten.“

Nebenan im VW-Bus knarzte der Funk. Der große Kölner wurde gerufen und gebeten, sich per Handy zu melden. Was dieser auch sofort tat. Dann wurde er still. Sekunden hörte er gebannt zu, um dann die Augen weit aufzureißen. „Ach du dicke Scheijße!“, rief er, „dat hat uns jerade noch jefehlt. … Juut … Okay, isch meld‘ misch jleisch wieder.“

Fast auf Zehenspitzen pirschte er zum Rettungswagen, wo sie gerade den Porschefahrer auf die Trage legen wollten. Der stand mit dem Rücken zur Tür am Heck. Hinter ihm aber der kleinere Polizist, der mit dem Schlüssel an den Handschellen herumfingerte. Und dahinter der Rettungssanitäter. An der offenen Seitentür innen die Notärztin, außen der Hauptkommissar.

„Hörens“, flüsterte der Kölner Klaus Klaiser ins Ohr, „dä Typ da is‘ extrem jefährlisch. Dä hät nit nua dat Auto jeklout. Dä hät wahrscheijnlisch och dänn Besitzer entführt. Enne Industrielle ous‘em Souerland. Loss dä Kääl bloß anjekettet.“

Aber dazu war es schon zu spät. Mit einem wuchtigen Stoß seines inzwischen nicht mehr gefesselten rechten Arms katapultierte der Bodybuilder die Notärztin aus dem Wagen – direkt in Klaisers Arme und in die des daneben stehenden Kollegen. Die beiden konnten sich kaum auf den Beinen halten. Dann schoss der Koloss förmlich herum, packte den geschockten Polizisten hinter ihm am offenen Kragen der Einsatzkombi und knallte ihn gegen die Brust des Rettungssanitäters, der jetzt das Gleichgewicht verlor und rückwärts aus dem Wagen stürzte.

Sekundenbruchteile später hatte der Gangster die Dienstwaffe des Beamten in der Hand, die dieser offen an der Hüfte getragen hatte. Rausgerissen aus dem Holster.

„Weg hier, fonft mach‘ ich euch alle platt“, nuschelte er und verspritzte dabei eine Menge Blut aus seiner gespalteten Lippe.

Noch ehe Klaiser zur Waffe unter dem Sakko greifen konnte, war er ihnen aus dem Krankenwagen entgegen gesprungen. Doch dabei hatte er sein lädiertes linkes Bein vergessen und beim Aufkommen laut aufgeschrieen.

Der große Kölner erkannte darin seine Chance und machte einen Satz nach vorne, um dem Gestrauchelten die Pistole zu entringen. Aber der schoss sofort.

„Buff“. Der Knall entwickelte sich gar nicht richtig. Der Schuss war aufgesetzt und hatte ein qualmendes kreisrundes Loch in den linken Oberschenkel von Polizeihauptmeister Markus Schröder gebohrt. Fassungslos stierte der auf seine Verletzung und kippte seitlich um. Schmerzen schien er noch nicht zu haben. Aber einen Schock.

Instinktiv umarmte Klaus Klaiser die hysterisch aufschreiende Ärztin und hoffte, sie aus der Schusslinie ziehen zu können. Vergeblich. Der Riese war schon wieder auf den Beinen, stand auf der rechten Hand des am Boden liegenden Verletzten und setzte der Frau die Pistole an den Kopf.

„Her mit Euren Kanonen! Fofort! Handief auch! Und die Flüffel für alle Autof hier! Aber dalli!

Als er den Hahn der Neunmillimeter knackend spannte, gab es keinen Verhandlungsspielraum mehr.

Mit links nestelte Schröder seine Waffe aus dem Schulterholster und warf sie samt Smartphone auf den Boden vor sich. Klaiser tat es ihm gleich. Gleichzeit warf er ihm die Porscheschlüssel hin und seine Fahrzeugschlüssel ebenfalls. Polizeiobermeister Philipp Schmitz, so hieß der kleinere Polizist, musste alles einsammeln, samt aller Schlüssel und Telefone aus dem Streifenwagen und dem Rettungsfahrzeug. Dessen übrige Besatzung war wie schockgefroren.

Markus Schröder wälzte sich nun stöhnend am Boden. Blut quoll aus der Wunde am Bein.

„Du kommft mit“, beschied der Gangster und wollte die Ärztin am Arm wegzerren. Doch Klaiser hielt sie fest und sagte: „Siehst Du nicht, dass die Frau fast stirbt vor Angst. Lass‘ sie hier und nimm mich mit.“

„Halt die Freffe, Bulle! Oder willft Du auch ’ne Kugel?“ Klaus hatte zwar gelegentlich mal probiert, wie es sich anfühlt, wenn man sich eine Pistole an den Kopf hält. Doch Gefühle verändern sich schlagartig, wenn das ein anderer tut. Mit geladener und entsicherter Waffe.

Klaisers Knie wurden weich. Die Ärztin entglitt seinen Armen und wurde mitgeschleift. Kein Laut kam mehr über ihre Lippen. Sie hatte sich wohl oder übel in ihr Schicksal gefügt.

Es sah total bescheuert aus, wie sie im Halbkreis um den nun schmerzgepeinigten Hauptmeister herum standen und in aller Fassungslosigkeit zusahen, wie der Gewaltverbrecher die junge Medizinerin in Richtung Porsche vor sich hertrieb. Die Hosentaschen voll gestopft mit Waffen, Schlüsseln und Handys.

Als sie den Wagen erreicht hatten und die Fahrertür offen war, knallte der Vollidiot der jungen Frau seine flache rechte Hand so heftig ins Gesicht, dass man es laut klatschen hörte. Die Getroffene schrie auf, drehte sich um die eigene Achse und stürzte zu Boden.

Kurz darauf röhrte der Porsche auf und verschwand mit durchdrehenden Rädern in Richtung Bad Berleburg.

Eilig rannten die beiden Retter zu ihrer Kollegin, halfen ihr auf die Füße und brachten die laut Weinende zurück zum Rettungswagen.

Polizist Schmitz kümmerte sich um seinen Kollegen und begann, dessen Oberschenkel mit Trassenband aus dem Streifenwagen abzubinden, das er zu einer Kordel verdrallt hatte. Klaiser rief über Funk Verstärkung und ließ Straßensperren veranlassen.

In Berleburg waren sie aber bereits informiert. Klammheimlich, vom Fahrer des Rettungswagens. Über dessen Notfrequenz. Er hatte die ganze Zeit unbeobachtet am Steuer gesessen.

Der Hauptkommissar war aufgewühlt. Noch nie im Leben hatte Klaiser eine solche Ohnmacht verspürt wie gegenüber diesem Wahnsinnigen. Wer weiß, was der mit dem Industriellen angestellt hatte. Hatte er nur dessen Wagen gewollt und ihn womöglich längst umgebracht? Oder wollte er Lösegeld erpressen?

Dem war alles zuzutrauen. Am Ende war der Unternehmer irgendwo in der Umgebung versteckt oder gar vergraben. Klar. Warum sonst hatte sich der Gangster hier aufgehalten?

Gedankenverloren stemmte Klaiser die Hände in beide Sakkotaschen. Und auf einmal bekamen seine Augen ein seltsames Leuchten. Denn da fühlte er den Werkstattschlüssel seines Dienstwagens in der Hand. Einen zweiten Schlüssel, den Klaus wegen der Inspektion dabei gehabt und ganz vergessen hatte. Super. Plötzlich war er wieder mobil.

Nachdem er sicher war, dass sich die Sanitäter nun auch um seinen angeschossenen Kollegen kümmerten und klar war, dass sowohl ein zweiter Rettungswagen als auch weitere Polizeibeamte kommen würden, rannte der Kripobeamte zu seinem Fahrzeug, um die Verfolgung aufzunehmen.

Er war noch nicht richtig eingestiegen, da raste plötzlich der Porsche wieder vorbei. Diesmal in Richtung Aue. Von weit her hörte man Martinshörner, die sich aber seltsamerweise entfernten. Der Flüchtige musste irgendwo vor einer Polizeisperre kehrt gemacht haben. Und die Kollegen hatten daraufhin die Verfolgung aufgenommen. Scheinbar aber in die falsche Richtung. Hatte er sie genarrt? Klaus hängte sich dran. Schon allein aus dem Willen heraus, sich diesem Gangster auf keinen Fall geschlagen zu geben. Der Quattro A5 nahm Fahrt auf.

Über Funk erfuhr Klaiser, dass das SEK unterwegs sei. Sein Adrenalinspiegel begann wieder zu steigen.

Aber außer hinterherfahren und eventuell sogar den Standort ausfindig machen konnte er ja nichts tun. Das Arschloch hatte ihm ja die Waffe abgenommen und sein Handy. Letzteres wäre unter Umständen noch verzichtbar gewesen. Aber eine Pistole hätte ihm schon einiges mehr an Sicherheit gegeben.

Auf der Strecke unter‘m Willstein konnte man herüber bis ins Altmühlbachtal schauen. Und da sah er den Porsche, wie er gerade am Schäferhans-Hof vorbei fuhr. Der Typ hatte die Eder überquert und donnerte in Richtung Rinthe. ‚Nicht einholbar dieser Vorsprung‘, dachte Klaiser. Aber immerhin konnte er die Kollegen informieren. Vielleicht war ja gerade eine Streife in entgegengesetzter Richtung unterwegs.

Kurz darauf bog er ebenfalls links ab über die Ederbrücke. In rasender Fahrt jagte er bald über den Bahnübergang hinweg und an der Alten Mühle vorbei. Auf der Straße gab es ein paar heikle Stellen. Die kannte er längst. Der Porschefahrer aber wohl kaum. Doch bei der Straßenlage dieses Autos war eher nicht damit zu rechnen, dass es aus irgendeiner Kurve fliegen würde.

Als er schon im „Sauseifen“ war, sah er plötzlich weiter hinten eine Staubwolke aufsteigen. Kurz nur. Dann war sie wieder weg. Und direkt danach kam ihm ein dicker Lkw entgegen. Verdammt schnell für diese doch recht schmale Straße. Vermutlich war der Brummi auf‘s unbefestigte Bankett am Straßenrand gekommen und hatte richtig Staub aufgewirbelt. Das musste echt knapp gewesen sein. Hier kann man nämlich schnell mal im Tal auf der Seite liegen, wenn man mit einem solchen Truck nicht aufpasst und bei Gegenverkehr ein bisschen mehr nach rechts ziehen muss.

Doch was ein Lkw kann, das kann ein Porsche schließlich auch. Perfekter sogar noch. Klaiser traute seinen Augen nicht, als er den Panamera auf dem Dach liegen sah. Direkt am Rand der Straße nach Rinthe. Mit immer noch drehenden Rädern. Das war also der Grund für die Staubfontäne gewesen.

Langsam rollte er näher und konnte seine klammheimliche Freude kaum verbergen. Hatte es diesen Vollidioten einfach so auf‘s Kreuz geschmissen. Mann, Mann, Mann.

Aber was war mit dem Fahrer? Hatte er das überlebt? War er verletzt? Und, falls er bei Bewusstsein wäre, wie würde der Schwerbewaffnete wohl reagieren, wenn er noch im oder in der Nähe des Wagens ist?

„Wieland 14/01 von Wieland 14/23 kommen.“ „Wieland 14/01 hört.“ Schnell informierte der Hauptkommissar die Wache in Berleburg. Kurzer Lagebericht. Dann schaltete er den Funk weg. Weil er fürchten musste, dass man das da draußen hören konnte.

Vorsorglich sperrte der Hauptkommissar die Straße, indem er seinen Wagen zurück setzte und auf die rechte Fahrbahn stellte. Mit eingeschaltetem Blaulicht und noch deutlich vor dem Abzweig, von dem rechts eine Straße um eine scharfe Kurve herum bergauf nach Birkefehl führt.

‚Wahrscheinlich ist genau das dem Irren zum Verhängnis geworden‘, schoss es ihm durch den Kopf. Er war sich sogar sicher. Es konnte gar nicht anders sein. Der Porschekutscher wollte wohl mit Schmackes nach Birkefehl abbiegen, als er im letzten Moment den Lkw von oben herunter um die Kurve kommen sah. Das hätte für beide nebeneinander nie und nimmer gereicht. Also musste der Porschefahrer das Steuer nach links gerissen haben, um weiter auf der Talstrecke zu bleiben. Doch das war dann zu knapp. Genau auf der Spitze der Gabelung beginnt eine nach rechts ansteigende Böschung. Und die hatte dem Sportwagen die entsprechende Links-Drehung um die Längsachse verpasst. Er war also auf‘s Dach geknallt und nach einer ordentlichen Rutschpartie einfach liegen geblieben. Und der Lkw-Fahrer? Der musste das doch gesehen haben. ‚Einfach abgehauen, der Sausack‘, dachte sich der Kripo-Mann. Aber wer weiß, wofür das gut war.

Er verharrte drei, vier Minuten im Wagen und beobachtete das Tal und die Straße vor sich. So weit er sie einsehen konnte. Nichts rührte sich. Aber es half alles nichts. Klaiser musste nach dem Fahrer schauen. Also stieg er aus.

Langsam und so geräuschlos wie möglich marschierte der Polizist in Richtung Unfallwagen. Dessen Räder waren längst zum Stillstand gekommen. Nur ein regelmäßiges Knacken verriet, dass Motor und Auspuff ziemlich heiß waren und jetzt abkühlten. Und es roch nach Motorenöl.

Dem Kriminalisten schoss in diesen Sekunden alles Mögliche durch den Kopf. ‚Du bist nicht bewaffnet, sei vorsichtig.’ Und ‚Ute hast du noch nicht informiert, dass es später wird.’ Hätte er allerdings auch nicht tun können. Womit denn?

Irgendwie stieg ein irrationales Angstgefühl in ihm auf, das er so noch nicht kannte. Denn eigentlich wollte er ja gar nicht in das Wrack schauen. Aber er musste ja.

Doch da vorne bewegte sich nichts. Überhaupt nichts. Doch das besagte gar nichts. Am besten wäre es, dachte Klaus, wenn er auf der gegenüberliegenden Seite die Straßenböschung hinunter steigen, durch die Wiese den Porsche umkreisen und dann weiter vorne wieder hoch klettern würde. Um aus der Deckung heraus knapp über die Fahrbahn hinweg in das demolierte Auto schauen zu können. Das müsste eigentlich klappen und wäre womöglich am ungefährlichsten. Also los. Ab, die Böschung hinunter.

Mist, da waren Brennnesseln, über die er hinabschlidderte. Und dann noch ein Stacheldrahtzaun. Macht nichts. Nichts passiert. Ein Zaunpfosten hatte als Rutschbremse fungiert. Und an dem Zaun konnte er jetzt entlang laufen. ‚Bleib besser auf der Straßenseite‘, dachte er sich. Meter für Meter arbeitete er sich vor.

Aber eins war komisch. Bisher war nicht ein einziges Auto vorbei gekommen. Nicht mal ein Landwirt mit seinem Trecker. Nicht von Rinthe her, nicht von Birkefehl und nicht von Berghausen. Das war doch nicht normal. Auch wenn hier selten richtig viel Verkehr herrschte. Klaus fühlte einen dicken Kloß in seinem Hals. Jetzt müsste er eigentlich an dem Porsche vorbei sein. Jetzt könnte er in den Wagen hinein schauen.

Langsam wollte er sich schon im Schutz eines Baumes die Böschung hocharbeiten. Da traf es ihn wie ein Stromschlag. Denn plötzlich stand er da. Dieser Unmensch. Zwei, drei Meter oberhalb von ihm. Direkt am Straßenrand. Mit Kanone im Anschlag. Aufgetaucht wie Phoenix aus der Asche.

Zum Glück standen zwei Büsche schützend zwischen ihnen. Mit dichtem Blattwerk verdeckten sie wohl die Sicht des Gangsters. Und plötzlich wusste Klaus wieder, was es heißt, seinen eigenen Pulsschlag im Kopf zu hören. „Wupp-wupp, wupp-wupp, wupp-wupp“, dröhnte es. Pulsfrequenz bei mindestens 180.

Langsam, ganz langsam ließ er sich auf den Boden gleiten. Und dabei schwitzte und fror er gleichzeitig zum Gotterbarmen. Der Polizist zitterte wie Espenlaub. ‚Lieber Gott‘, dachte er, ‚bitte lass‘ diesen Typen nur ein paar Schritte weitergehen. Damit ich mal wieder richtig Luft holen kann.’

Ein leichter Windhauch strich durch das wunderschöne Tal. Und drüben machte ein Eichelhäher auf sich aufmerksam, die so genannte „Polizei des Waldes“. ‚Hallo Kollege‘, dachte er.

Wieder und wieder krächzte der Eichelhäher los. ‚Es ist so bizarr‘, schoss es ihm durch den Kopf. ‚Diese unglaubliche Idylle um uns herum. Und da steht der Mann, der mir in wenigen Sekunden ein Loch in den Schädel jagen kann.’ Und dies auch tun würde. Davon war er fest überzeugt.

Plötzlich riss der Gangster da oben den demolierten Kopf herum und schaute talaufwärts. Ein Wagen war von weiter weg zu hören. Und auch von Berghausen kam plötzlich ein Auto heran. Recht schnell sogar. Offenbar bereitete sich dieser Fiesling jetzt darauf vor, einen von denen anzuhalten und zu kidnappen.

Das Fahrzeug, das von Berghausen her kam, blieb drüben hinter seinem Audi stehen. ‚Wegen der Sperre‘, dachte Klaus. Eine Tür schlug zu. Und irgendjemand rief: „Hey, brauchen Sie Hilfe?“

„Ja, brauche ich“, erwiderte der Muskelmann. Sein Nuscheln war unüberhörbar.

„Sind sie verletzt? Soll ich einen Krankenwagen rufen?“ „Nein danke, nicht nötig.“

Aber dann passierte nichts. Eine ganze Weile nicht. Nur ein Sportflugzeug störte die Stille. Offenbar gestartet in Schameder.

„Was ist denn jetzt?“, hieß es von dort hinten. „Sie müssen schon herkommen. Ich fahre mir doch in diesem Trümmerfeld nicht die Reifen platt.“

Das hatte er wohl akzeptiert und setzte sich langsam in Richtung Straßengabelung in Bewegung. Die Knarre hatte er hinten in den Hosenbund gestopft. Wohl, um nicht sofort erkannt zu werden. Das hatte Klaiser noch gesehen. Dann war der Typ aus seinem Sichtfeld verschwunden.

Eine ganze Weile lang hörte man nur das Gluckern des Mühlbaches und Vogelzwitschern. Dann kam schließlich der Wagen von Rinthe her in schneller Fahrt heran.

‚Du musst den Mann da hinten unbedingt warnen‘, dachte der Kriminalpolizist noch. ‚Der hat womöglich gleich eine Pistole am Kopf. Aber wie komme ich dann ungeschoren hier raus? Das ist Wahnsinn, so ganz ohne Waffe.’

Doch er kam nicht mehr zu irgendeiner Aktion. Der Wagen oben fuhr vorbei, nahm Tempo auf und bremste kurz darauf scharf ab. Dann hörte er plötzlich lautes Rufen. Kommandos hallten durch das Tal. „Waffe weg – Sofort! Waffe weg – Waffe weg!“ Die Aufforderung war ultimativ, duldete keinen Widerspruch. Wieder kurze Stille. Dann: „Okay, so ist‘s gut. Und jetzt auf den Boden. Runter auf den Bauch! Runter! Und Handflächen nach oben! … Okay.“

Für Momente war nichts mehr zu hören. Dann schlugen eine Schiebetür und mehrere Wagentüren zu. Mehrere Automotoren sprangen an.

Als Klaiser schließlich die Böschung hoch krabbelte, sah er gerade noch zwei schwarze Mercedes-Limousinen und einen schwarzen Neunsitzer mit verdunkelten Fenstern davon fahren. Am Steuer Männer mit schwarzen Sturmhauben.

‚Das SEK‘, dachte er. ‚Schnell und geräuschlos. Wahnsinn!’

Ute stand mit tränengetränkten Augen in der Tür, als Klaus heimkam. Wortlos fiel sie ihm um den Hals, begann laut zu schluchzen und küsste ihn mit feuchtem Mund ab. Sie wollte gar nicht mehr aufhören. Klaus schloss sie fest in die Arme – und weinte auch.

Sie wusste längst, was an diesem Abend passiert war und in welch brenzliger Lage er sich befunden hatte. Corinna hatte sie sachte eingeweiht. Ihre Busenfreundin und gleichzeitig Kollegin von Klaus. Eigentlich hätte sie gar nichts sagen wollen und auch nicht dürfen. Aber Ute hatte bei Corinna auf der Dienststelle angerufen, um anzukündigen, dass sie später zum geplanten Cocktail- und Quatschabend kommen werde. Klaus sei ganz gegen seine Gewohnheiten noch nicht heim gekommen. Ohne sich zu melden. Und per Handy sei er nicht erreichbar. Nun hatte Ute ein extrem flaues Gefühl im Magen. Weil Radio Siegen von der Entführung eines Industriellen aus Kirchhundem berichtet hatte. Und davon, dass der Wagen des Entführten in Wittgenstein gesehen worden war. Dessen Fahrer, der mutmaßliche Entführer, sei ein geflohener Schwerverbrecher.

Corinna hatte zunächst rumgestammelt. Abstreiten konnte sie den Inhalt der Radiomeldung ja nicht. „Aber damit bin ich überhaupt nicht befasst. Ich hatte heute viel zu viele andere Dinge auf dem Tisch. Gerade eben kam noch ein Tankstellenbetrug dazu.“ Im Übrigen laufe diese Entführungsgeschichte über den Einsatz- und Führungsstab in Siegen. Die Berleburger Wache sei da eher außen vor. Und überhaupt – bei dem Arbeitspensum, das sie im Moment habe, sei das wirklich nichts, was sie sonderlich interessiere.

‚So eine Lügnerin‘, hatte Ute gedacht. Sie kannte ihre Freundin viel zu gut, als dass sie das hätte glauben können. Corinna Lauber, 30-jährige Kommissarin, eigentlich eine grundehrliche Haut, war Polizistin mit Leib und Seele. Und jeder Fall, der über das übliche Tagesgeschäft hinaus ging und mehr war als ein stinknormaler Ladendiebstahl oder ein Trunkenheitsdelikt, interessierte sie brennend. Nein, dieser Frau war eine Entführung mit absoluter Sicherheit nicht egal. Noch dazu eine, die eventuell auch in Wittgenstein stattfand. Ute war sicher, dass da irgend etwas gewaltig brodelte. Und ihr Mann war womöglich mittendrin. Also bohrte sie weiter.

Corinna wusste, dass sie der Freundin jetzt nichts mehr vormachen konnte. Also musste sie die Hosen runterlassen und erzählen, was sich da gerade abspielte. Soweit sie es überhaupt selbst wusste. Tuschelnd gab sie Ute die wichtigsten Infos im Telegrammstil durch‘s Handy. Sie stand gerade in der Nähe des PvD-Pultes. Und die Kollegen dort mussten das nun wirklich nicht mit bekommen. Doch plötzlich brachen die in einen gewaltigen Jubel aus und applaudierten sogar, als per Funk die Meldung über den erfolgreichen SEK-Einsatz kam. Der Gangster war ohne Blutvergießen dingfest gemacht worden war. Und Klaus unverletzt.

Was für ein Abend. Alle hatten sie unter Strom gestanden. Bis in die Haarspitzen. Die da draußen und die hier drinnen auf der Wache. Allen voran Dienststellenleiter Bernd Dickel.

Noch Stunden später war er völlig aufgewühlt. Erst dieser total verrückte Einsatz gegen einen Entführer in Berghausen. Dazu die kurzfristige Geiselnahme einer Ärztin, die danach total zusammengeklappt war, einen angeschossenen Beamten und nahezu null Informationen. Und dann noch dieser spektakuläre SEK-Zugriff, der dank Klaus Klaiser überhaupt erst möglich geworden war. Weil er über den Fluchtweg des Gangsters und dessen Unfall Bescheid wusste und informiert hatte.

Wie sich seine Leute da verhalten hatten, das war wirklich Klasse. Keine Frage. ‚Aber das muss man nun wirklich nicht laufend haben‘, dachte der Mann mit den fünf silbernen Sternen auf den Schulterklappen.

Gott sei Dank war die Schusswunde von Markus Schröder vergleichsweise schnell versorgt worden. Noch am frühen Abend wurde das Geschoss raus operiert. Er hatte riesiges Glück. Weder ein Knochen, noch wichtige Gefäße waren verletzt worden.

Und der Jungbulle aus Köln war schon wieder voll der Sprüche. „Es hätt‘ nochmol joot jejange“, hatte er nach der OP den besorgt wartenden Kollegen verkündet und halb lachend mit zusammen gekniffenen Zähnen hinzugefügt:

„So jet erläwwste nit in Kölle. Doför bruchste dringend enne Besoch im Kurbad. Do weeste ääst zom Mann.“

Die junge Notärztin allerdings hatte ein gewaltiges Trauma und einen dröhnenden Schädel davon getragen. Da konnte man nur hoffen, dass ihr gute Psychotherapeuten zur Seite stehen würden. Eine Waffe am Kopf und eine, wenn auch kurze, Geiselnahme … Das steckt niemand so einfach weg.

In irgendeiner stillen Stunde müsste er dringend mal mit Klaiser reden, überlegte Bernd Dickel. Solche Verfolgungen auf eigene Faust und ohne Selbstschutz wie die von Klaus Klaiser gingen überhaupt nicht. Auch wenn er eigentlich nichts falsch gemacht und seine Aktion im Altmühlbachtal zu einem außergewöhnlichen Erfolg geführt hatte. Zu einem Teilerfolg zumindest. Denn der Schwerverbrecher, als Frank Deppe aus Drolshagen identifiziert, schwieg sich über den Verbleib des Industriellen aus. Man hatte ihn nach ärztlicher Versorgung seiner Wunden in Untersuchungshaft nach Siegen gebracht.

Bei Klaisers im Robinienweg roch es ein wenig angebrannt. Ute hatte die Kartoffeln auf dem Herd vergessen, während sie mit Nachbarn an der Haustür sprach. Wie ein Lauffeuer hatte sich Klaus‘ heldenhafter Einsatz bei der Verteidigung des Kranwagenfahrers herumgesprochen. Der stand gerade unter der Dusche und bekam nichts mit von dem, was in Berghausen mittlerweile die Runde machte. Dazu gehörte natürlich auch, dass er derjenige gewesen sei, der dem SEK den Verbrecher direkt vor die Flinte geliefert habe. Einer aus dem Dorf habe den Einsatz sogar selbst beobachtet, wurde berichtet.

Dass das alles ganz anders abgelaufen war, erzählte der Kripomann seiner Frau dann eine halbe Stunde später. Bei Steak mit Pasta, Pfannengemüse und einer Sauce Bernaise. Eine kühne Kombination – aus der Not geboren. Aber gar keine so schlechte. Und die einzig noch machbare heute Abend. Denn die Kartoffeln waren wirklich nicht mehr zu gebrauchen.

„Unglaublich, wie die SEK-Leute arbeiten“, schwärmte er ihr vor. Aber sie wollte das alles gar nicht hören. Sie hatte Todesängste ausgestanden. Und zum ersten Mal hatte sie so einen Anstrich von Verständnis für die Filmpartnerinnen der meisten Fernsehkommissare, die sich serienweise hatten scheiden lassen oder dieses planten. „Die dummen Weiber wussten doch vorher, auf was sie sich einlassen“, hatte sie bisher immer gedacht.

Nicht, dass sie auch an Trennung oder gar Scheidung gedacht hätte. Aber sie wusste seit heute, dass es Gefühle gibt, die man sich selbst in übelsten Träumen nicht ausmalen kann.

Eines wollte sie aber nun doch wissen. „Warum haben die Dich im Altmühlbachtal eigentlich mutterseelenallein gelassen mit diesem Kerl? Die wussten doch, wo du bist.“

„Ich war nicht allein, Schatz. Die hatten die Situation wahrscheinlich schon zu der Zeit unter Kontrolle, als ich ausgestiegen und auf dem Weg zum umgestürzten Porsche war“, log er. „Nur habe ich sie nicht gesehen.“ Tatsächlich hatte es schon etwas länger gedauert.

Nachdem ihn Streifenkollegen nach dem Verschwinden des Spezialeinsatzkommandos aufgegabelt hatten, erfuhr er, was da alles im Hintergrund gelaufen war. Es war eine fast schicksalhafte Fügung gewesen, dass das SEK aus Dortmund wegen der Entführung in der Nähe des Rhein-Weser-Turms auf Einsatz wartete. Und dann hatte man gezielt Berghausen angefahren, nachdem über Funk bekannt wurde, dass dort ein Porsche und ein Bodybuilder aufgefallen waren, die womöglich die Gesuchten sein könnten.

In dem Moment, in dem Klaus Klaiser meldete, der Porsche sei ins Altmühlbachtal unterwegs, waren 15 SEK-Leute mit vier Fahrzeugen gerade am Restaurant „Grünewald“ vorbei gekommen, ungefähr einen Kilometer außerhalb von Berghausen. Zwei Minuten später standen sie an der Ederbrücke. Eine weitere Minute später eine Streifenwagenbesatzung aus Berleburg. Dann kam Klaus‘ Meldung von dem Unfall des Porsche.

Nach Blick auf die Karte mit Hilfe der ortskundigen Kollegen kam der Einsatzbefehl des SEK-Zugführers rasend schnell. „Sechs Mann mit einer Limousine und dem Neunsitzer vor bis zur Alten Mühle. Drei Mann davon versuchen von dort aus, verdeckt über einen Weg auf die Straße von Birkefehl zu gelangen, um von oben her auf die Gabelung zu kommen.“

Der zweite Mercedes mit drei Mann, einer war Scharfschütze, wurde mit Hochgeschwindigkeit über die Helle, Richtung „In der Delle“ geschickt. Deren Ziel: Sicht- und Schussfeld in Richtung Unfallstelle im Altmühlbachtal. Der dritte Mercedes mit drei Mann musste den Weg ebenfalls über die Helle nehmen, um auf dem schnellsten Wege über Hemschlar von Rinthe her ins Altmühlbachtal zu kommen.

‚Irre, wie schnell die die Situation und die topografischen Verhältnisse drauf haben‘, war schon Pattrick Born verblüfft, einer der Streifenpolizisten. Er hatte mit seiner Kollegin den Auftrag, das Altmühlbachtal von Berghausen her für den Verkehr zu sperren. Andere Beamte hatten das bereits in Birkefehl übernommen. Sie waren auf dem Weg zurück von einer Unfallaufnahme in Schameder. Und der Polizeiführer vom Dienst in Berleburg hatte zudem eine Verkehrskontrollstelle bei Weidenhausen aufgehoben, um die Kollegen ins untere Rohrbachtal zu schicken. Damit sie dort die Straße in Richtung Unfallstelle dicht machen.

Das war also der Grund dafür gewesen, dass kein einziges Auto durchs Tal gefahren war, als Klaus Klaiser in der Böschung lag und der Entführer schussbereit auf der Straße stand. Und der Eichelhäher signalisierte wohl die Ankunft des Scharfschützen gegenüber am Waldrand. Hatte er also gar nicht falsch gelegen mit ‚Kollege‘, dachte Klaus.

Eins war ihm allerdings nach wie vor schleierhaft. Wo war Deppe, dieser Gangster, so plötzlich hergekommen? Beim Blick auf die Unfallstelle und das Wrack war von ihm nichts zu sehen. Und der Porsche hatte ziemlich flach ausgesehen. Drinnen wäre es für ihn vermutlich recht ungemütlich geworden. Deppe musste also raus geflogen sein und irgendwo bewusstlos im Graben gelegen haben. Klar. Sonst hätte er Klaus‘ Wagen ja kommen hören. Auf der anderen Seite, rechts neben dem Porsche, musste er irgendwo in der Wiese gelegen haben. Bewaffnet. Bei seiner Festnahme hatte er noch immer die SIG Sauer P6 dabei, die er dem Kölner Kollegen Schmitz im Rettungswagen aus dem Holster gerissen hatte. Ob er die beim Fahren und beim Überschlag in der Hand behalten hatte? Und sogar bei seinem Abflug aus dem Auto? Musste er wohl.

Die beiden anderen Waffen waren von der Spurensicherung im Porsche gefunden worden. Ebenso die Autoschlüssel und die Handys. Bis auf die Sportjacke vom Rücksitz war bei der ersten Durchsicht des demolierten Boliden sonst auch nichts gefunden worden. Ein Chaos hatte der Überschlag also im Inneren nicht angerichtet. Nur die Fußmatten hatten, weil auf einer Seite mit Druckknöpfen befestigt, ein wenig schief von der Decke heruntergebaumelt, die ja in Wirklichkeit das Bodenblech war.

„Ich frage mich die ganze Zeit, wo der Kerl mit dem Wagen überall war, bevor er dir in die Fänge geraten ist.“ Kriminalrat Jörg Gabriel, Leiter der SOKO „Lenne“ schien juckende Pickel unter seinem dichten krausen Haar zu haben. Heftig schabte er mit den Fingern der rechten Hand über den Hinterkopf.

Gabriel musste von Olpe nach Berleburg geflogen sein. Denn er war schon auf der Wache, als Klaus am Abend dort ankam. Nach der Vor-Ort-Ermittlung und dem mantra-artigen Herunterbeten der Abläufe und eigenen Feststellungen.

Sieben Leute der Spusi und eines speziellen Ermittlungstrupps waren im Altmühlbachtal aufgetaucht. Und mindestens fünfmal hatte Klaus alles so wiedergegeben, dass es jeder, meist mit ungläubigem Kopfschütteln, aber auch der einen oder anderen anerkennenden Geste, begriffen hatte.

Den größten Kampf vor Ort musste er aber mit dem Mann der Spurensicherung führen, der die Waffen und die Handys eingesammelt hatte. Wenigstens sein Telefon hätte er gerne zurück gehabt. Um noch mal einen Anruf bei Ute zu versuchen. Daheim war nämlich die ganze Zeit besetzt gewesen, als er von einem Kollegen-Handy aus probiert hatte. Und die Mobilnummer von Ute hatte er nicht im Kopf. Die war in seinem Smartphone gespeichert.

Zunächst hatte der Mann im weißen Anzug (den trugen die Kollegen offenbar immer) darauf bestanden, alle Fingerabdrücke von dem iPhone 5 zu nehmen. Darüber hinaus wollte er wissen, ob der Gangster damit Gespräche geführt hatte. Hatte der aber nicht, wie sich anhand der Anrufliste schnell feststellen ließ. Und auch keine SMS oder Fotos verschickt. Hätte er aber auch nicht können. Weil er den vierstelligen Code des Gerätes nicht kannte.

Doch Spusi-Leute sind gründlich. Und auch erst nach Rückversicherung bei seinem Vorgesetzten rückte er das Handy raus. Kleisers Dienstwaffe aber blieb im Asservatenbeutel. Und damit bei der Spurensicherung und der KTU.

Klaus kannte den SOKO-Leiter schon seit Jahren. Jetzt saß er ihm direkt gegenüber. Ein Super-Kriminalist, bei dem er einige Lehrgänge besucht hatte. Jörg Gabriel hatte richtig Karriere gemacht. Und das nicht zu Unrecht. Denn er konnte auf eine lange Reihe spektakulärer Ermittlungserfolge und damit verbundener Fallaufklärungen verweisen. „Die Unterwelt zittert vor ihm“, hatte eine nicht gerade kleine Boulevardzeitung unlängst getitelt.

„Ich kann Dir auch nicht sagen, wo er herkam. Ich glaube nur, dass er wahnsinnig unter Zeitdruck war, als ich mich an ihn rangehängt habe“, erklärte der Hauptkommissar seine erste Begegnung mit dem Mann im Porsche. „Obwohl er wohl nicht so genau wusste, wo‘s lang geht. Sonst wäre er nicht irgendwo in Raumland rumgegurkt. Denn er war ja so abgebogen, dass er erst später wieder über den Stöppelsweg von Berleburg her auf die Hauptstrecke zurückkam. … Wenn es denn überhaupt seine Hauptstrecke war. Immerhin war das Navi aber eingeschaltet. Hab´ ich in Berghausen im Wagen festgestellt.“

„Oder er wusste sehr genau, wo´s her geht“, warf Gabriel ein. „Wir suchen gerade an diesem Stöppel und in der Umgebung eine junge Frau, die an dem Wagen von einem Anlieger in der Weststraße gesehen worden war. Nur, ob die ausgestiegen war oder der Fahrer sie nur nach dem Weg gefragt hat, wissen wir wohl erst, wenn wir sie gefunden haben. Der alte Mann hatte auf der Wache angerufen und sich über einen abartigen Raser mit Porsche und Olper Kennzeichen beschwert. Als die Kollegen hier in der Wache wussten, um wen es sich bei dem Fahrer handelt, haben sie den Herrn später noch mal angerufen und etwas genauer befragt.“

„Dass er die Frau dort hingebracht hat, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“, entgegnete Klaus und nahm erstmal einen richtigen Schluck aus der Kaffeetasse, die ihm Gabriel hingestellt hatte. Schwarz und stark. Für die sonst bei der Polizei üblichen Verhältnisse eine wahre Labsal. „Ich habe in Dotzlar und beim Hinterherfahren nur diesen Koloss im Auto gesehen“, erzählte er dem nachdenklich dreinschauenden Chefermittler, der mit abgespreiztem kleinem Finger einen Espresso aus einer winzigen Tasse trank.