Raser, Tod und Teufel - Wolfgang Breuer - E-Book

Raser, Tod und Teufel E-Book

Wolfgang Breuer

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Beschreibung

Was haben der idyllische Rösper Weiher, die B62 bei Holzhausen und die Leipziger Uni gemeinsam? Eigentlich nichts. Und doch haben alle drei Örtlichkeiten mit der Aufklärung eines sogenannten 'Cold Case' zu tun. Eines Mordes, für den nie ein Täter und nie die Tatwaffe gefunden worden war. Erst 21 Jahre nach dem Verbrechen hatte der Zufall der Berleburger Kripo jenen Revolver in die Hände gespielt, aus dem damals das tödliche Projektil abgefeuert worden war. Doch dessen Besitzer konnte schon aufgrund seines Alters nicht der Täter gewesen sein. Der Fund war dennoch Initialzündung für die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Und so arbeitete sich das Team um Kripo-Chef Klaus Klaiser mit kriminalistischem Spürsinn und viel Geduld durch ein Dickicht aus bemerkenswerten Begebenheiten und sehr bedauernswerten Lebenswegen. Und das, obwohl die Kommissarinnen und Kommissare weiß Gott genug mit einem anderen Fall zu tun hatten. Denn in Banfe trieb ein Autosaboteur sein lebensgefährliches Unwesen.

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Wolfgang Breuer

Raser, Tod und Teufel

Ein Wittgenstein-Krimi

Dieses Buch ist ein Roman. Handlung und Personen, wie Täter und Opfer, sind frei erfunden. Allerdings spielen darin auch real existierende Personen im sehr realen Wittgensteiner Land eine gewichtige Rolle. Diesen Menschen schulde ich für ihr freundschaftliches Einverständnis dazu meinen aufrichtigen Dank. Sie machen die Geschichte ein ganzes Stück weit authentischer. Bezüge zu und Anspielungen auf Ereignisse des aktuellen Zeitgeschehens sind ebenso gewollt wie notwendig.

Wolfgang Breuer

Raser, Tod und Teufel

Ein Wittgenstein-Krimi

Coverfoto: Wolfgang Breuer

Autorenfoto: Fotoatelier Christiane

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten!

© Winter 2022

Impressum

ratio-books • 53797 Lohmar • Danziger Str. 30

[email protected] (bevorzugt)

Tel.: (0 22 46) 94 92 61

Fax: (0 22 46) 94 92 24

www.ratio-books.de

ISBN 978-3-96136-156-4

E-Book: ISBN 978-3-96136-157-1

published by

Inhalt

Freitag, 4. Oktober

Samstag, 5. Oktober

Samstag, 9. November

Montag, 11. November

Dienstag, 12. November

Mittwoch, 13. November

Freitag, 15. November

Montag, 18. November

Dienstag, 19. November

Mittwoch, 20. November

Freitag, 22. November

Montag, 25. November

Freitag, 4. Oktober

Lutz Haßler fühlte eine eigentümliche Unruhe in sich aufsteigen. Nervös marschierte er in seiner Werkstatt hin und her. „Ich verstehe das nicht. Frank wollte nur kurz ‘ne Runde drehen. Der müsste doch schon längst wieder hier sein. Hoffentlich ist da nichts passiert.“

„Jetzt mach´ Dir mal keinen Kopf“, röhrte eine Stimme aus dem Untergrund. Unter einem Opel GT hörte man einen Schraubenschlüssel in eine Werkzeugkiste fallen. „Der wird schon wieder auftauchen. Immerhin hat er noch ‘ne halbe Flasche Bier hier stehen. Sowas lässt der Neusser nicht verkommen.“

Unter dem Heck des postgelben Kultschlittens tauchte Wilfried Korte aus der Werkstattgrube auf und wischte mit einem Putzlappen Ölreste von seinen Händen. „Wieso hast Du denn so ein mieses Gefühl? Hast Du irgendwas an seinem Hobel versemmelt?“

„Quatsch!“, zischte Lutz und grinste verkniffen. „Was soll ich denn versemmelt haben? Zündkerzen falsch reinschrauben, oder was?“ Haßler schüttelte den Kopf. „Nee, nee, da war ja alles okay. Der Motor schnurrte wie´n Kätzchen.“

„Und sonst habt Ihr nix gemacht? Angeblich wart Ihr doch schon seit neun Uhr heute Vormittag im Einsatz.“

„Klar. Aber da ging‘s um was anderes. Nix an Aggregaten, Bremsen oder so. Ich hab´ ihm neue Führungsschienen für den Fahrersitz eingebaut. Scheißarbeit, sage ich Dir. Weil´s die als Originalersatzteil nicht mehr gab. Ich hab´ sie selbst nachgebaut.“

„Na ja, so schlimm kann das doch nicht gewesen sein.“

„Nee, rein technisch eigentlich nicht. Du hättest ihn aber mal sehen sollen, wie er sich aufgeführt hat, als ich die Schienen auf seinem makellosen Teppichbelag verschraubt hab´. Frank ist rumgesprungen wie Rumpelstilzchen. Der hätte mich massakriert, wenn da auch nur ein Minifleckchen draufgekommen wäre.“

Während er redete, schlüpfte Haßler durchs halboffene Werkstatttor nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Drinnen galt striktes Rauchverbot. Hatte er selbst verhängt.

Lutz sog die kühle trockene Luft in seine Lungen und hatte plötzlich gar keine Lust mehr, die Zigarette anzuzünden. Nachdenklich friemelte er die Kippe zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. „Wollte Frank seinen Capri eigentlich nicht längst verkauft haben?“, rief er über die Schulter in die Halle hinein.

„Keine Ahnung. Musst Du ihn schon selbst fragen“, röhrte es neben ihm. Korte war aus der Grube herausgeklettert und hatte sich unbemerkt neben ihm aufgebaut. „Hat er denn schon einen Interessenten?“

„Keine Ahnung.“ Der Werkstattbesitzer zuckte mit den Achseln. „Gesagt hat er jedenfalls nix. Ich weiß nur, dass er verkaufen will. Allerdings nicht unter 30.000 Fleppen. Die bräuchte er mindestens, hat er gesagt. Der Anbau an sein Haus frisst ihm offenbar die Haare vom Kopf. Aber 30.000, das ist schon ziemlich verrückt.“

„Ha!“, lachte Korte, „welche Haare denn? Der Junge hat doch ‘ne spiegelblanke Pläte. Da kann er sich schon mal die Kosten für den Friseur sparen.“

„Blödmann! Du und Deine Sprüche. Keine Frau, keine Kinder und ’n Sack voll Kohle geerbt. Da ist es leicht, große Bögen zu spucken.“

Nervös zündete sich Haßler schließlich doch seine Zigarette an und stierte rüber zur Poststraße. „Mensch, wo bleibt der Kerl bloß? Die Warterei geht mir so langsam auf den Zeiger.“

„Hast Du noch Kundschaft heute Nachmittag?“

„Nee. Aber ich würde gerne zusperren, wenn Du fertig bist. Oder brauchst Du noch länger?“

„Vielleicht noch ’ne …“

Ohrenbetäubendes Scheppern unterbrach ihn. Die Außenklingel des Werkstatttelefons dröhnte. Das schrille Teil stammte noch aus Zeiten, als die Telekom noch die ‚graue Post’ war. Erschrocken zupfte Lutz mit ölschwarzen Fingern das Mobilteil aus der Kitteltasche. „Haßler Car-Service und Schrauber-Paradies. Was kann ich für Sie tun?“

„Was Du für mich tun kannst?“, fragte Frank Neusser mit tränenerstickter Stimme, „Du kannst mit Deinem Abschlepper kommen und mich hier rausziehen.“

„Wo ist hier?!“

„Hier, am Parkplatz ‚An der Indel‘.“

„Oben, rüber zum Ilsetal?“

„Ja, wo denn sonst? Komm, mach hinne, bevor mir mein Schätzchen hier komplett abschmiert.“

„Schon unterwegs!“, hörte er noch. Dann war es in Neussers Handy still geworden.

Heulend stand der Capri-Besitzer neben seinem blendend schönen Oldtimer, der nur noch mit seinem Hinterteil aus einer Brombeerhecke rausguckte. Seine Jeans, seine Jacke und seine Hände wiesen unzählige kleine Risse auf. Aber das schien ihn in diesem Moment nicht zu stören.

„Junge, Junge, Junge, wie blöd muss man eigentlich sein, um seinen Wagen von einem leeren Parkplatz aus völlig unbedrängt in eine solche Böschung zu bekommen?“ Entgeistert starrte Wilfried Korte auf den Ford-Oldtimer. Er war als Erster aus dem Abschleppwagen geklettert und musste sich zurückhalten, um nicht laut loszulachen.

„Hast nach’m Parken bei laufendem Motor noch’n Gang drin gehabt und die Kupplung fliegen lassen, was?!“

„Nichts dergleichen! Ich wollte hier oben umdrehen, bin bis zur Kante gefahren, um zurückzustechen und hab’ beim Bremsen plötzlich ins Leere getreten. Und ab ging’s in die Böschung“

„Gibt’s doch gar nicht“, mischte sich Lutz ein. „Die Bremsen sind doch komplett neu. Du warst doch gerade erst beim TÜV.“

„Gibt’s doch! Guck mal hier“, jammerte der Capri-Kutscher und zeigte auf den mit Splitt bedeckten Boden. „Das ist wahrscheinlich Bremsflüssigkeit. Da muss ’ne Leitung lose oder gerissen sein.“

„Oh Mist!“ Haßler ging in die Hocke und prüfte mit Daumen und Zeigefinger einen Tropfen der versickernden Flüssigkeit. „Okay, das guck’ ich mir gleich genauer an, wenn wir den Wagen am Haken haben. Jetzt müssen wir erstmal sehen, dass wir Dein Schätzchen möglichst schonend da wieder rauskriegen, bevor es runter auf die Straße rumpelt.“

Mit wenigen Handgriffen hatte der Kfz-Meister den abgestürzten Ford per Schleppkette an seinen LKW gehängt und mit einer Motorsäge die Brombeerbüsche um das Fahrzeug herum gekappt. Dann slippte er den Wagen mit einem speziellen Ladegeschirr am Ausleger seines Abschleppers aus der Böschung auf den Parkplatz.

Aufgeregt rannte Neusser um das Auto herum und konnte sein Glück kaum fassen. Der Capri hatte nur einige leichte Lackkratzer an Kotflügeln und Türen abbekommen. Selbst die Front wies keine wesentlichen Macken auf. „Nichts, was man nicht mit einer ordentlichen Politur wieder in Ordnung bekäme“, bestätigte Korte mit Kennerblick.

„Dein Wort in Gottes Gehörgängen“, versuchte Neusser ein Lächeln und bat darum, den Wagen nochmal anzuheben.

Mit allergrößter Vorsicht ließ Haßler den Ausleger nochmal in Aktion treten. Zu dritt musterten sie den Fahrzeugboden. Sekunden später flippte der Werkstatt-Chef aus.

„So eine Schweinerei! Die Leitung ist nicht einfach so kaputt. Die hat einer angeschnitten. Hier, guck“, zeigte er zur Hinterachse, an der die Bremsleitung entlang lief. „Das ist eindeutig ein Mordversuch! Ich ruf´ die Polizei an.“

„Ja, aber …“, Frank Neusser fehlten die Worte, „… wer, … wer macht denn sowas?“

„Pfff, keine Ahnung. Auf jeden Fall einer, der Dich nicht mag oder Dir aus irgendeinem Grund das Licht ausblasen will. Fotografier’ das mal schnell“, bat Haßler, drehte ab und wählte auf seinem Handy die 110.

Es wurde dann doch nichts mit dem frühen Zusperren an diesem Freitagnachmittag. In Lutz’ Werkstatt brannte noch um halb acht Uhr abends Licht. Und das nicht nur, weil die Polizei alles peinlichst protokolliert hatte, nachdem der Capri dorthin abgeschleppt und genauestens untersucht worden war. Sondern auch, weil Wilfried Korte später entsetzt festgestellt hatte, dass auch das Bremssystem seines Wagens sabotiert worden war.

Ein hauchdünner Schnitt in der Bremsleitung des Opel GT. Das gleiche Muster wie bei dem Ford. Hätte Wilfried beim Herausfahren aus der Werkstatt nicht mehrmals pumpend die Funktion seiner Bremsen überprüft, wäre es womöglich noch am selben Abend zu einem folgenschweren Unfall gekommen.

Wieder waren die Beamten der Wache in Bad Laasphe alarmiert worden. Doch an ihrer Stelle kamen diesmal Sarah Renner und Rüdiger Mertz von der Kripo in Bad Berleburg. Mertz hatte erst kürzlich einen Sonderlehrgang in Sachen Aufklärung von Manipulationen und Sabotage an Fahrzeugen absolviert.

Kopfschüttelnd stand er unter dem gelben GT, den Haßler wegen der besseren Lichtverhältnisse auf die Hebebühne genommen hatte. Noch immer tropfte Bremsflüssigkeit aus dem Leck.

„Dieser Schnitt, behaupte ich jetzt mal, ist nicht älter als einen Tag“, diagnostizierte er. „Da ist keine Verfärbung im Gewebe und kein Krümel Straßenschmutz dran. Einfach nichts. Seit wann steht denn der Wagen hier in der Werkstatt?“, fragte er den Besitzer.

„Seit dem späten Vormittag. So gegen elf bin ich gekommen und hab’ erstmal dort in der Ecke gearbeitet und den Wagen später auf die Grube gefahren. Da kann der Schnitt noch nicht dagewesen sein. Ich war schließlich dann die ganze Zeit unter dem Wagen. Da hätte ich doch gemerkt, dass da was ausläuft.“

„Da ist was dran“, bestätigte Rüdiger und wechselte mit dem GT-Besitzer zu dem Teil der Werkstatt, in dem die sogenannten „Schrauber“ für wenig Geld selbst an ihren Schlitten basteln konnten.

„Haben Sie da so peinlich sauber gemacht, oder ist das hier immer so picobello?“

„Nee, hab’ ich nicht. Dafür sorgt der Chef. Man sollte allerdings nach der Arbeit seinen eigenen Dreck auch immer weg machen. Wieso, was ist?“

Mertz war in der Grube in die Hocke gegangen und mit einem Finger über den nahezu fleckenlosen Belag gefahren. Bei genauerem Hinsehen konnte man dort kleinste Mengen irgendeiner Flüssigkeit erkennen. „Hier ist irgendwas!“, rief er.

„Hast recht“, bestätigte Sarah, die von der gegenüberliegenden Seite gegen die Innenbeleuchtung über die Fläche schaute. Lediglich eine hauchfeine Spur führte von einem Punkt erst über die Treppe hinauf und dann im Bogen aus der Werkstatt heraus. Genau den Weg musste Korte rückwärts aus der Halle gefahren sein.

„Düfte die Bremsflüssigkeit sein“, vermutete sie, nahm mit dem Zeigefinger einen Tropfen auf und rieb mit Daumen dagegen. „Eindeutig.“

„Verdammte Scheiße, wer war das?!“, wurde Wilfried Korte laut. „Wenn ich den Typen erwische, dem schneide ich eigenhändig die Ohren ab!“

„Nichts dergleichen werden Sie tun“, bremste Sarah den Opel-Besitzer. „Alles weitere hier ist unsere Sache. Dafür sind wir ja da. Selbstjustiz hat nicht mal im Wilden Westen zum Erfolg geführt.“

„Ja, ja. Dafür seid Ihr da. Wie wollt Ihr den denn finden?“

„Gegenfrage“, mischte sich Mertz ein, „wie wollen Sie ihn denn finden?“

„Da gibt es Mittel und Wege“, brummte Korte in seinen nicht vorhandenen Bart.

„Sehen Sie. Und genau darüber sollten wir reden.“ Rüdiger schaute sich um. „Können wir uns alle hier mal irgendwo hinsetzen?“

Sie konnten. Und zwar in Lutz Haßlers Wohnküche. Sein Büro hätte für fünf Leute ohnehin keinen Platz geboten. Und belegte Brote und Getränke hätte es dort auch nicht gegeben. In der Küche aber konnte sich jeder nach Belieben selbst versorgen. Nur widerwillig ließen sich die Beamten einladen.

Rüdiger zückte Block und Kuli und wollte gerade mit der Befragung loslegen, als draußen das Fahrzeug der Kriminaltechnik auf den Hof rollte. Mit einem „Moment bitte“ rannte er hinaus zu den Kollegen aus Siegen, um sie zu instruieren.

„Ui, Klassejob für einen Freitagabend“, reagierte der stets gut aufgelegte Steffen Siebert lächelnd auf die wenigen Eckdaten, die er bekommen hatte.

„Wie meinen Sie das?“, fragte Rüdiger prüfend nach.

„Immerhin keine Leiche, wollte ich damit sagen. Und das hat bei Euch ja schon was zu bedeuten“, lachte der Spurensucher und stieg in sein weißes Ganzkörperkondom. „Wie viele Leute haben sich hier in der Werkstatt seit dem Angriff auf den GT rumgetrieben?“

Mertz schob die Unterlippe vor und zählte im Geiste durch. „Sieben habe allein ich erlebt. Aber … keine Ahnung. Ich würde schon mal gar nicht nach Fußspuren suchen wollen.“

„Okay, dann bitte raus hier“, trieb er den Kommissar wie eine renitente Gans vor sich her zum Ausgang. „Meine Kollegen und ich haben auch ein Recht auf freie Wochenenden.“

In der Küche setzte sich Rüdiger wieder zu den anderen und packte seinen Notizblock aus. „Lassen Sie uns nochmal zurückkommen auf die Sabotage an Ihrem Auto, Herr Korte. Die muss ja, wenn ich Sie richtig verstanden habe, hier in der Werkstatt stattgefunden haben. Hat da außer Ihnen sonst noch jemand offiziell daran gearbeitet?“

„Nee, niemand. An meinem GT habe nur ich alleine gearbeitet.“

„Stand der Wagen dabei immer an derselben Stelle?“

„Nein. Erst in der Ecke. Und kurz vor Mittag habe ich ihn knapp drei Meter weiter nach vorne auf die Grube gefahren.“

„Und was haben Sie daran gemacht? Was waren das für Arbeiten?“

„Als Erstes habe ich die Verkabelung für mein rechtes Rücklicht erneuert. Die hatte schon seit einiger Zeit einen Wackler. Dann hab’ ich die Innenverkleidung im Kofferraum mühsam wieder einbauen müssen. Danach habe ich den Luftfilter gereinigt und den Wagen dann über die Grube gefahren, um von unten am Schaltgestänge zu arbeiten.“

„Waren Sie da die ganze Zeit über allein in der Werkstatt?“

Korte überlegte. „Nein. Frank, also Herr Neusser war ja schon längst da.“

„Aber Herr Neusser hat nichts an Ihrem Wagen gearbeitet?“

„Nein. Ich mache an meinem GT grundsätzlich alles allein. Nur der TÜV darf da dran. Oder ein Meister wie Herr Haßler, der das Fahrzeugmuster kennt. Aber nur, wenn ich mal was nicht selbst erledigen kann, oder aus Sicherheitsgründen nicht darf.“

„Wo waren Sie in der Zeit, Herr Haßler?“

„In meinem Büro, Rechnungen schreiben.“

„Sie sind also Kfz-Meister?“, wollte Sarah wissen.

„Selbstverständlich. Sonst hätte ich mich nicht selbstständig machen dürfen.“

„Und? Kennen Sie das Fahrzeugmuster?“

„Haben Sie doch eben von Herrn Korte gehört. Ich habe mich auf Oldtimer dieser Generation spezialisiert.“

„Interessant. Was sind das für Autos? Ich meine, solche aus der Generation, von der Sie sprechen.“

„Opel GT, Ford Capri, Renault Alpine, Alpha Romeo, Fiat Spider und so weiter und so fort.“

„Da sind sicher teilweise richtig teure Teile dabei“, meinte Rüdiger. „Gibt es denn hier in der Gegend so viele Oldtimer-Besitzer? Ich meine, können Sie denn von den Reparaturen leben?“

„Nur um mal mit einem Missverständnis aufzuräumen“, holte Lutz Haßler zu einer größeren Antwort aus, „ich repariere ja nicht nur alte und ältere, sondern alle, also auch neue Fahrzeuge. Ich betreibe eine markenungebundene Meisterwerkstatt. Aber was meine Oldtimer-Kundschaft anbelangt, bin ich ziemlich konkurrenzlos.

Ich hatte schon Besitzer aus Köln, aus Münster, aus Kassel oder dem Frankfurter Raum hier auf dem Hof. Es spricht sich halt rum, dass ich jemand bin, der sauber arbeitet und niemanden über den Tisch zieht. Außerdem vermiete ich ja auch noch die Plätze für solche Schrauber wie Herrn Korte.“

Mertz nahm einen Schluck Mineralwasser und wandte sich an Korte. „Sie waren doch, wie Sie vorhin sagten, mit Herrn Haßler bei der Autobergung auf diesem Wanderparkplatz dort oben an der Indel. Da war Ihr Wagen hier in der Werkstatt doch unbeaufsichtigt?“

„So ist es.“ Der Opel-Enthusiast schaute über den Tisch zu Haßler hinüber. „Aber Du hast doch hier abgeschlossen, oder etwa nicht?“

„Selbstverständlich habe ich abgeschlossen. Du warst doch als erster am Tor, als wir wieder zurückkamen. Da hast Du mich um den Schlüssel gebeten. Weil Du nicht reinkamst. Erinnerst Du Dich?“

„Stimmt.“ Wilfried runzelte die Stirn und grübelte.

„Das heißt also“, setzte Mertz wieder an, „Ihr Auto war in dieser Zeit unbeaufsichtigt, aber es konnte keiner dran.“

„Richtig“, antworteten Korte und Haßler gleichzeitig. „Allerdings“, spann Korte den Gedanken weiter, „war das Tor am Mittag, als wir drei hier drüben bei Lutz was gegessen haben, zum Teil offen.“

„Waaas?“ Lutz starrte ihn entrüstet an. „Warum das denn? Wer hat denn wieder aufgemacht?“

„Ich. Während Du gebrutzelt hast, hab’ ich noch schnell den Luftfilter mit ‘nem Schluck Benzin ausgepinselt. Das hat so massiv gestunken, dass ich lüften musste. Du hättest mir doch sonst den Kopf abgerissen.“

„Hätte ich auch.“ Haßler war richtig sauer. „Wie lange war die Halle offen?“

„Na ja, so ’ne halbe, Dreiviertelstunde. Bis nach dem Essen halt.“

„Ach, Du bist ja …, aaach Mann ey!“

„Haben Sie das auch mitbekommen, Herr Neusser?“

Der nickte. „Klar, aber ich hab’ mir nichts dabei gedacht.“

Haßler musste schwer an sich halten, um nicht auszurasten. „Das hast Du ja klasse hingekriegt. Werkstatt offen, zwei teure Oldies drin und keiner da. Das Tor war doch zu, verdammt nochmal.“

„Heißt das, Sie gehen davon aus, dass die Bremsleitungen genau in dieser Zeit manipuliert wurden?“

Schulterzucken. „Kann sein. Ich weiß es nicht. Ich glaub’s eigentlich nicht. Aber ich mache drüben immer dicht und bitte auch die Kunden darum, wenn niemand in der Werkstatt ist. Hier schleichen manchmal schon komische Vögel rum. Ab und zu ist auch mal was geklaut worden. Mal ein paar Liter Öl, mal Werkzeug. Das wird mir auf die Dauer zu teuer.“

„Haben Sie das schon mal bei der Polizei angezeigt?“

„Das letzte Mal ja. Da hat einer einen schweineteuren Ratschenkasten samt großem Drehmomentschlüssel mitgehen lassen.“

„Und was ist dabei rausgekommen?“

Lutz schüttelte den Kopf. „Nix. Wie auch? Ich konnte ja noch nicht mal genau sagen, wer zu dieser Zeit da draußen rumgesprungen ist.“

Rüdiger schaute den Werkstattbesitzer verständnislos an und fragte: „Ist das bei Ihnen üblich, dass Sie für Ihre Kundschaft kochen?“

Haßler brachte einen gequälten Lacher hervor. „Nee, eigentlich nicht. Aber ich hatte letztes Wochenende Geburtstag und ‘ne kleine Grillfete gefeiert. Da waren noch ein paar Steaks und Kartoffelsalat in der Kühlung. Die mussten weg. Deswegen hab’ ich die beiden eingeladen.“

Sarah stand auf und bat, die Toilette benutzen zu dürfen.

„Gerne“, meinte der Hausherr lächelnd, „sollten Sie sich aber auf die obligatorische Suche nach einer Zahnbürste, einem Kamm oder einem Schminkset machen, werden Sie leer ausgehen. Ich lebe allein hier. Meine Frau ist mir schon vor Jahren davongelaufen“, sagte er mit leichter Bitternis. „Und die Kinder sind längst aus dem Haus.“

„Tut mir leid für Sie“, sagte sie lächelnd und ging ohne jeden weiteren Kommentar den beschriebenen Weg. Natürlich wollte sie sich auch ein Bild von dem Mann machen, mit dem sie es hier als Werkstattbetreiber zu tun hatten. Aber da war nichts, was auch nur annähernd auf eine weitere Person im Haus hätte schließen lassen.

Als sie zurückkam, hörte sie schon durch die Tür, wie der Opel-Besitzer aufgeregt von einem Angebot irgendeines Kaufinteressenten berichtete. „21.500 Tacken wollte mir der Typ geben. Cash auf die Kralle. Aber ich geb’ mein Schätzchen nicht her. Nicht für Geld und gute Worte.“

„Für meinen Capri wollte neulich einer sogar 28.000 Euro bezahlen. Hätt’ ich’s doch bloß gemacht.“ Es war Neusser, der da mit einer versiebten Chance haderte.

„War das ein Mann, den Sie kannten?“, fragte Rüdiger.

„Nnnee“, antwortete er zögerlich. „Ich glaube nicht, dass ich den schon mal gesehen habe. Der ist mir am Dienstag offenbar nachgefahren, bis ich zu Hause vor der Garage stand.“

„Wo wohnen Sie denn?“

„In Zinse.“

„Und Sie?“

„In Richstein“, röhrte Korte. „Aber meiner hat mich in Berleburg an der Tankstelle angesprochen. Allerdings am Mittwoch. Das war so’n Schwarzenegger-Typ mit ‘nem Kreuz, wie’n viertüriger Kleiderschrank.“

Neusser nickte „Dann haben wir’s mit demselben Mann zu tun gehabt. Sie müssen sich das mal vorstellen. Der fuhr einen Aston Martin DB 4.“

„Waaaas?“ Lutz Haßler riss die Augen auf. „Einen DB 4?“

„Ist das was Besonderes?“, fragte Sarah Brenner. Aston Martin kannte sie zwar. Aber so toll fand sie die nun auch wieder nicht.

„Das Teil ist Minimum eine halbe Million Euro wert.“

„Eine halbe Million? Warum, das denn?“

„Von dem wurden, glaube ich, nur knapp 1.200 Stück gebaut. Und der ist heute ein absolutes Juwel.“ Haßler schüttelte den Kopf. „Tse … und mit sowas kurvt der Kerl hier in der Gegend rum?“

Neusser nickte. „Ich hab’ ja auch gedacht, mir fallen die Augen raus, als er hinter mir in unserer Hofeinfahrt auftauchte und sich aus der Karosse herausschälte. ‚So eine irre Kiste‘, dachte ich, ‚und dann dieser Kerl – der krasseste Gegensatz überhaupt.‘

So´n echter Proll-Typ, verstehen Sie? So mit Muskelpaketen, braun gebrannt, Goldkettchen, Sonnenbrille. Aber im Gespräch machte er dann einen durchaus passablen Eindruck.“

„Und hatte Ahnung von Autos“, ergänzte Korte. Der hat mir auf den Kopf zugesagt, wann und wo mein Wagen gebaut worden ist, wie viel PS er hat und was für den Wagen in welcher Ausführung auf dem Markt so geboten wird. An der Tanke fuhr er übrigens mit einem schwarzen 170er Mercedes Cabriolet vor. Baujahr 1950. Ein Traum.“

„Oh Mann ey, macht mir hier den Hals nicht so lang“, schwärmte Haßler erneut. „Für eine topfittes 170er Cabrio legt man heute auch schon mal 150.000 Euro auf den Tisch. Der Bursche scheint es ja wirklich zu haben.“

Die Kriminalisten schauten einander an. Was war das hier eigentlich? Ein Meeting der Oldtimer-Enthusiasten oder eine polizeiliche Ermittlung?

„Meine Herren“, bat Rüdiger, „lassen Sie uns bitte zurück zum Wesentlichen kommen. Immerhin hat hier offensichtlich jemand versucht, Ihnen Schaden, vielleicht sogar an Leib und Leben, zuzufügen. Das ist nun wirklich kein Kavaliersdelikt.“

Die drei nickten betroffen.

„Können Sie sich denn vorstellen, dass ein …, Herr Haßler, wie nennt man einen solchen Kaufinteressenten eigentlich in Ihrer Szene?“

„Keine Ahnung“, beeilte sich Frank Neusser zu sagen. „Aber wir gehören eigentlich zu keiner richtigen Szene. Auf jeden Fall nicht organisiert. Wir sind einfach Oldtimer-Freunde. Und dass bei uns in der Provinz mal einer auftaucht und mit der fetten Marie wedelt …“, er schaute die beiden anderen abwechselnd an, „das ist mir bisher jedenfalls noch nicht untergekommen.“

„Mir auch nicht“, röhrte Korte und schob sich den Rest eines Schinkenbrotes in den Mund. „Awa if kann … Wowent“, griff er mampfend in die Gesäßtasche, „if kann Ihnen …“ ein Schluck Wasser half ihm, den Mund leer zu bekommen, „ich kann Ihnen seine Karte geben. Die hab’ ich … hiiier … iiirgendwooo in meinem Geldbeutelll. Ja, da ist sie!“

Mertz übernahm die Karte, während er schrieb und gab sie gleich an die Kollegin weiter.

„Ui, das ist ja interessant“, sagte sie, nachdem sie einen ersten Blick darauf geworfen hatte.“

„Was ist interessant?“

„Hier steht ‚Jörg Schwender, Classic Cars‘.“

„Mehr nicht?“

„Nö. Natürlich seine Adresse und so weiter. Fürstenallee 49, 33102 Paderborn, Telefon …“

„Ist ja schon gut. Ich meine … nur Classic Cars? Sonst nichts?“

„Sonst nichts.“

Rüdiger sah von seinen Notizen auf und musterte die Karte. „Guck mal bitte, ob Du über den Mann was im Internet findest. Der muss ja ordentlich betucht sein, wenn ich das richtig sehe.“

Sarah nahm das Stückchen Büttenkarton zurück, und setzte sich mit ihrem Tablet-Computer ans andere Ende des Tisches, während Rüdiger mit der Befragung weitermachte. „So, meine Herren, jetzt überlegen Sie mal genau. Wer könnte Ihnen Böses wollen? Dieser offenbar schwerreiche Herr Schwender etwa?“

„Warum sollte er das wollen?“, verteidigte Korte den geheimnisvollen Fremden. „Der liebt doch ganz offensichtlich alte Autos – und macht sie nicht kaputt.“

„Offensichtlich ist für mich nur, was Sie mir erzählt haben. Dass er nämlich gerne Ihren und auch den Wagen von Herrn Neusser kaufen wollte.“

„Und warum kaputt machen?“

„Tja, vielleicht, weil er sie nicht bekommen hat.“

„Oh nee!“, fuhr Haßler dazwischen, „sowas machen Oldtimer-Freunde nicht. Und wenn es wirklich wahr ist, dass der Mann so viel Geld hat, kann er sich doch wohl jede Menge GT´s und Capris kaufen. Der Markt gibt da immer noch was her. Schauen Sie einfach mal ins Internet.“

„Okay, gehen wir mal davon aus, Herr Haßler hat recht. Herr Neusser, wer könnte Ihnen was anhaben wollen? Haben Sie Feinde? Eventuell dieselben wie Herr Korte.“

„Wieso dieselben?“

„Weil ja schließlich Ihrer beider Fahrzeuge Ziel eines ziemlich ähnlichen Sabotageakts wurden.“

„Gute Frage. Ich zermartere mir schon die ganze Zeit das Hirn, was der oder die von mir wollte. Und ich mache mir mittlerweile die bittersten Vorwürfe.“

„Vorwürfe? Warum?“

„Wenn ich diesem Schwender meinen Capri verkauft hätte, wäre es niemals so weit gekommen. Kein Auto, kein Anschlag. So einfach ist das. Und ich hätte das Geld gehabt, das ich im Moment ganz gut hätte gebrauchen können.“

„Darf ich fragen wofür?“

„Klar. Wir haben daheim angebaut. Und das wurde am Ende um einiges teurer als geplant. Ich suche deshalb schon die ganze Zeit jemanden, der mir mein Schmuckstück zu einem ordentlichen Preis abkauft.“

„Das verstehe ich aber jetzt nicht so ganz“, meinte Mertz erstaunt, „warum haben Sie denn bei diesem Angebot nicht gleich zugeschlagen?“

Wieder einmal war Neusser den Tränen nahe. „Weil ich noch ein bisschen pokern wollte, verstehen Sie. Ich dachte, wer aus dem Stand ein solches Angebot raushaut, der hat auch noch mehr auf der Tasche.“

„Und? Wie hat Schwender auf Ihre Ablehnung reagiert? War er sauer?“

„Nein, glaub’ ich nicht. Er hat nur sowas gesagt wie ‚schade, dann eben nicht.‘ Dann ist er nochmal um mein Auto herumgelaufen, hat gemeint, ‚trotzdem, Danke fürs Gucken lassen‘ und ist wieder gefahren.“

„Gut. Wenn Sie also nicht glauben, dass er Ihnen deswegen ein Loch in die Bremsleitung geschnitten hat, wer könnte es denn sonst gewesen sein? Etwa die Leute vom Bau, deren Rechnungen noch offenstehen?“

„Das haben Sie missverstanden, Herr Mertz. Die Handwerker-Rechnungen sind alle bezahlt. Nur sind unsere Konten mittlerweile so leer, dass wir uns nicht mehr so arg viel mehr leisten können. Da wäre die warme Dusche gerade recht gekommen.“

„Warum haben Sie den Herrn Schwender dann nicht doch angerufen und gesagt, Sie hätten es sich anders überlegt?“

„Das ist es ja. Ich habe im Gegensatz zu Korte keine Visitenkarte bekommen. Wie hätte ich ihn da erreichen sollen?“

Samstag, 5. Oktober

Jörg Schwender schaute einigermaßen belustigt aus seiner Oldie-Halle auf den Hof hinaus, als zunächst Rüdiger Mertz aus seinem Mondeo und dann zwei Uniformierte aus ihrem Streifenwagen ausstiegen. „Die Kavallerie hätten Sie auch zu Hause lassen können“, lachte er Mertz entgegen und stellte sich den drei Besuchern vor.

„Bitte kommen Sie herein“, forderte er sie gut gelaunt auf. „Was kann ich denn gegen Sie tun?“

„Och, mal gucken“, antwortete der Kriminalpolizist lachend und spazierte den beiden anderen voraus. „Ich hatte Ihnen ja am Telefon gesagt, dass ich ein paar Fragen habe. Danke, dass Sie sofort eingewilligt haben.“

„Kein Ding. Aber dass Sie extra von Bad Berleburg hierherkommen, macht mich schon ein wenig nachdenklich.“

„Muss es nicht, Herr Schwender, muss es nicht.“

Als die Beamten das weitläufige Gebäude in Größe eines Fußballfeldes betraten, blieben sie zunächst vor lauter Verwunderung stehen und hielten Maulaffenfeil.

Das Bild, das sich ihnen bot, offenbarte einen opulenten Einblick in die internationale Automobilgeschichte. Sicher mehr als 100 hochglanzpolierte, chromblitzende Oldtimer standen dort in Viererreihen. Vom legendären ‚KdF‘-Brezel-Käfer bis zum ‚Rolls-Royce Silver Shadow‘.

Und vor jeder dieser Kostbarkeiten auf vier Rädern stand eine kleine Metallsäule, die zuoberst eine Tafel mit präziser Modellbeschreibung trug.

„Das gibt’s ja gar nicht“, entfleuchte Oberkommissarin Funke ein mehr gehauchter Ausruf totaler Begeisterung.

„Mein ganzer Stolz“, erklärte der ‚Kleiderschrank‘ und entzog sich vorübergehend der Gesellschaft von Mertz. Denn er hatte die strahlenden Blicke der jungen Polizistin registriert. „Jedes einzelne Fahrzeug ist aufwendig restauriert und fahrbereit. Wollen Sie mal in einen der Wagen einsteigen?“

„Oh ja, sehr gerne.“ Die Beamtin warf Rüdiger einen fragenden Blick zu. Der nickte. „Aber nicht wegfahren, bitte. Wir haben heute noch was vor.“

Zielstrebig marschierte Nadja Funke in die dritte Reihe, schnurgerade auf einen Citroen 2CV Kastenwagen zu. Die drei Männer waren baff. Der legendäre ‚AK 350‘ gehörte für sie wirklich nicht zu den Augenweiden unter den glänzenden Boliden. „Top hergerichtet“, flüsterte Rüdiger, „aber potthässlich.“

„Ich glaube, in einem solchen Wagen wurde ich gezeugt“, gab Nadja lächelnd Auskunft. „Meine Eltern tourten damals quer durch Europa und wohnten sogar zeitweise in diesem Modell.“

„Sie hat ihren Eltern offensichtlich gute Dienste erwiesen“, erwiderte Jörg Schwender und öffnete der Bewunderin galant die Fahrertür. „Das Ergebnis kann sich, mit allem Respekt, durchaus sehen lassen. Sie sind wirklich die hübscheste Polizistin, die ich je gesehen habe.“

Nadja Funke errötete leicht und schaute sich unsicher zu den anderen um. War das einfach nur ein nett gemeintes Kompliment, oder wollte dieser Mensch sie anbaggern? Die Kollegen schienen keineswegs irritiert. Vielleicht dachten sie ähnlich. Denn sie hatte nun wirklich nicht die geringste Veranlassung, sich in Sachen Aussehen hinter anderen Frauen zu verstecken.

„Danke, ich kann das schon selbst“, sagte sie freundlich aber fest, stieg ein und schloss die Fahrertür. Und dann musste sie plötzlich laut lachen. Denn so spartanisch hatte sie sich das Interieur des kleinen Franzosen nun doch nicht vorgestellt.

Sitze, die so gut wie keine Polsterung besaßen, nur einige wenige Armaturen und statt eines Handschuhfachs eine offene Ablage. Die von der Fahrer- bis zur Beifahrertür reichte. Der Hit aber waren die sogenannte ‚Milchkannenschaltung‘ und das zur Hälfte aufklappbare Seitenfenster.

Kaum hatte sie die Entriegelung betätigt, griff schon eine braungebrannte Hand nach der halben Scheibe und klappte sie hoch.

„Na, gefällt sie Ihnen?“, fragte der ‚Oldtimer-Papst‘, der so nahe an der Fensterluke aufgetaucht war, dass sie sogar dessen Rasierwasser riechen konnte.

„Wer ‚sie‘?“, fragte sie irritiert.

„Na, die Ente.“

„Ach so“, lachte die Beamtin verlegen. „Ja. Starkes Teil. Wurde Zeit, dass ich mir den Wagen auch mal von innen ansehe. Man sieht das Modell ja kaum noch auf unseren Straßen.“

„Ich könnte Ihnen helfen, das zu einer alltäglichen Gewohnheit zu machen. Wollen Sie die Ente haben? Ich mache Ihnen einen guten Preis.“

„Nee, nee, nee. So groß ist mein Interesse dann doch nicht“, meinte Nadja verlegen und machte den Versuch, auszusteigen. Doch der Muskelmann lag mit seinen kräftigen Armen auf dem Fensterrahmen und veränderte sein Angebot.

„Wollen Sie das Schätzchen vielleicht mal fahren? Wir könnten ja eine Spritztour machen. Morgen, Sonntag, meinetwegen.“

„Geht nicht. Ich habe Dienst“, beeilte sie sich, mit einer Notlüge aus einer sich wohl anbahnenden Romanze herauszukommen.

„Dann vielleicht an einem anderen Tag. Von mir aus auch mit einem anderen Oldie.“

Nadja wurde es ungemütlich. „Danke, ist nett von Ihnen. Aber ich bin nicht interessiert. Verbuchen Sie das hier bitte unter ‚kurze Schwärmerei‘.“

Wie bestellt tauchte Nadjas Kollege Klotz neben Schwender auf. „Alles gut da drinnen?“

„Ja, ja, ich würde nur ganz gerne wieder aussteigen.“

„Ja, dann tun Sie das doch.“ Der Besitzer richtete sich auf und gab die Tür mit einer eleganten Armbewegung frei. Als gälte es, mindestens einer Generaldirektorin beim Aussteigen behilflich zu sein. „Bitteschön.“

Nadja bemühte sich, nicht aufgeregt zu wirken. Mit einem souveränen Lächeln nickte sie Schwender zu und schlenderte zwischen den Autos hindurch in Richtung Mertz.

„Na, vom Fahrkomfort des 2 CV überzeugt worden?“, fragte Mertz lächelnd. Ihm war keineswegs entgangen, dass der Oldtimer-Besitzer die Kollegin schon seit der Ankunft mit lüsternen Blicken musterte.

„Oh ja“, antwortete sie und verdrehte die Augen, „muss irre gewesen sein, mit solch einem Teil quer über den Kontinent zu schaukeln.“

„Machen Sie mir meine Jugenderinnerungen nicht kaputt“, wehrte sich Rüdiger grinsend. „Es gab Abende, da sind wir nach der Disco mit sechs Leuten in der Ente meines Kumpels über die Dörfer nach Hause gefahren.“

„Geben Sie’s zu. Weil Sie dabei mal von der Polizei erwischt worden sind, haben Sie die Seiten gewechselt“, mutmaßte Jörg Schwender lachend. „Vom Sünder zum Fahnder.“

Der Mann schien eine echte Frohnatur zu sein. Den Korb von Nadja Funke hatte er längst weggesteckt.

„Apropos Fahnder“, fuhr er fort, „was wollten Sie mich denn eigentlich fragen? Und warum sind Sie in Begleitung der uniformierten Kollegen?“

Mertz steckte die Hände in die Hosentaschen und versuchte so, als der lockere Kripo-Mann rüberzukommen. „Letzteres ist ganz schnell beantwortet. Weil ich im Gebiet der Kollegin und des Kollegen wildere. Als Beamter der Landespolizei bin ich hier strenggenommen zwar auch zuständig. Aber es ist immer besser, wenn bei solchen Ermittlungen ortskundige Kräfte mit einbezogen sind.“

„Ermittlungen?“ Schwender blickte ihn erstaunt an. „Plötzlich sind es also keine Fragen mehr, sondern Ermittlungen. Muss ich mir Sorgen machen und meinen Anwalt hinzuziehen?“

Mertz schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das wird nicht nötig sein. Ich habe wirklich nur ein paar Fragen. Und zwar im Rahmen unserer Ermittlungen. Können wir uns vielleicht irgendwo hinsetzen?“

„Natürlich. Entschuldigung. Kommen Sie, wir gehen rüber ins Büro.“ Mit rasselndem Schlüsselbund ging der Hausherr den drei Beamten voraus durch eine Tür in einen Flur voller Vitrinen mit teuren Oldie-Modellen. Am Ende des Flurs lag rechter Hand ein großes Büro mit edlem Schreibtisch und einer Konferenzecke.

„Nehmen Sie bitte Platz. Wollen Sie was trinken? Tee, Kaffee, Wasser?“

„Danke, nein“, entschied Mertz. Funke und Klotz lehnten ebenfalls ab.

„Dann erlauben Sie aber bitte, dass ich mir eine Zigarette anstecke“, bat der Mann und griff in die Tasche seines Retro-Overalls, der selbstredend seine Bodybuilder-Figur betonte und nicht einen Spritzer Öl oder gar Schmutz aufwies.

„Oh, wenn’s irgendwie geht, bitte nicht“, traute sich Nadja zu sagen. „Ich kriege Hustenanfälle, wenn ich Zigarettenrauch einatme.“

„Dann selbstverständlich nicht.“ Vollendet lächelnd steckte der Ausgebremste die Schachtel wieder weg. „Okay, Herr Mertz, dann lassen Sie’s uns trocken und rauchfrei angehen.“ Der Kripo-Mann schaltete sofort. „Herr Schwender, auf Ihrer Visitenkarte steht ‚Classic Cars‘. Was bedeutet das? Sammeln Sie Classic Cars, oder handeln Sie damit?“

„Sowohl als auch“, legte der Gefragte los und begann, seine wirtschaftliche Situation zu erklären. Er habe, so erzählte er, von seinem Vater ein Unternehmen geerbt, das schon seit den frühen sechziger Jahren mit dem Bau von Spezialgetrieben für Personenwagen und LKW europaweit ohne ernstzunehmende Konkurrenz gewesen sei.

Er selbst habe als junger Ingenieur maßgeblich an der stetigen Verbesserung vor allem teilautomatischer Getriebe mit geplant und entwickelt. „Wir hatten einen riesigen Erfolg. Kein bedeutender Fahrzeughersteller auf dem Kontinent, der nicht auf unserer Kundenliste stand.

Aber dann starben zuerst mein Vater und meine Mutter im Abstand von knapp drei Monaten und dann meine Frau. Sie kam bei einem Reitunfall ums Leben. Ich hatte plötzlich nichts mehr, woran ich noch glauben konnte. Doch zum Glück merkte ich, nicht zuletzt, weil mir gute Freunde zur Seite standen, dass mein persönliches Unglück dem Unternehmen schadet.“

Darauf hin habe er als Alleinerbe die STI, die ‚Schwender-Transmission International‘ an einen der größten Autohersteller der Welt verkauft.

„Doch sicher zu einem recht ordentlichen Preis“, meinte Rüdiger und ergänzte, „da wundern mich Ihr Hobby und Ihr Handel allerdings nicht.“

„Was die Summe anbelangt, haben Sie recht. Sie dürfen allerdings nicht vergessen, dass der Fiskus dabei ordentlich zugelangt hat. Fünfzig Prozent Erbschaftssteuer! Da kommt man erst mal ins Schlucken.“

‚Fünfzig Prozent!‘ Die drei Beamten pfiffen fast zeitgleich durch die Zähne. Das war allerdings eine Hausnummer.

„Ja. Und dann habe ich die Hälfte meines verbliebenen Anteils in eine Stiftung eingebracht, die sozial schwachen Familien unter die Arme greift und deren Kinder in Schule, Ausbildung und Studium unterstützt. Es war meiner Familie schon immer ein Anliegen, sich sozial zu engagieren.

Mein Vater hat übrigens schon beizeiten damit begonnen, bevorzugt solche Frauen und Männer im Montagebereich unseres Werkes arbeiten zu lassen, die wegen ihres Alters auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance mehr hatten. Und ich habe das fortgeführt. Sie glauben gar nicht, welch gute und treue Belegschaftsmitglieder dadurch zu uns kamen.

Einige wenige von denen hat Papa in seiner Oldie-Werkstatt beschäftigt. Denn er hat damals angefangen, die Schätzchen dort vorne in der Halle zu sammeln und möglichst allen wieder alten Glanz zu verleihen. Fünf dieser Leute und zwei Nachrücker beschäftige ich auch heute noch. Und zwar alle zu sehr ordentlichen Gehältern.“

Die Drei staunten nicht schlecht. Schwender erschien ihnen plötzlich in einem ganz anderen Licht. Offenbar war er gar nicht der typische Geldsack, den man glaubte vor sich zu haben. Der Mann hatte zweifellos ordentlich Kohle auf der Bank und einen Autofimmel, aber wohl auch eine ausgeprägte soziale Ader.

Rüdiger reichte damit allerdings auch der Exkurs in die Lebensgeschichte des Gastgebers. Er wollte endlich sein Thema anbringen, allerdings behutsam beginnen. „Das heißt also, dass Sie die Oldtimer, die drüben stehen, gar nicht im perfekten Zustand gekauft, sondern eher selbst wieder hergerichtet haben.“

„Die meisten schon, aber nicht alle. Wissen Sie, genau das macht ja das Salz in der Suppe meines Hobbys und letztlich auch Jobs aus. Aus einer Rostlaube ein Schmuckstück machen. Das treibt mich und meine Leute immer wieder an.“

„Wie passt das damit zusammen, dass Sie in der Weltgeschichte herumfahren und anderen Oldtimer-Besitzern ihre hochglanzpolierten ‚Schätzchen‘ abfuggern wollen?“

„Aah, daher weht der Wind“, lachte Jörg Schwender. „Wo in der Weltgeschichte soll ich denn herumgefahren sein und gefuggert haben?“

„Wie wär’s denn, wenn Sie mir erst mal meine Frage beantworten“, konterte der Ermittler immer noch freundlich.

„Ich müsste schon wissen, um welche Autos es ging. Denn manchmal will ich wirklich einen für die Sammlung kaufen, den ich selbst als Wrack nirgendwo mehr bekommen würde. Und manchmal versuche ich, Fahrzeuge zwischen Besitzern und Interessenten zu vermitteln.“

Das leuchtete Mertz ein. „Okay, dann sag’ ich’s Ihnen halt. Es ging dabei um einen Ford Capri und einen Opel GT.“

„Alles klar, das war neulich da unten im Beritt um Berleburg und Erndte… ääh, Ern…äääh.“

„Erndtebrück, meinen Sie?“

„Genau! Ich kann mir den Namen nicht merken. Ja, da war ich auf Tour. Ich kam am Dienstag mit meinem Aston Martin von einer ganz exklusiven Autoschau in Limburg zurück und bin ein wenig über Land gefahren. Ich mag mit diesen Schätzchen nicht auf der Autobahn cruisen. Und weil ich die Strecke kennenlernen und noch zu einem Freund nach Winterberg wollte, bin ich halt quer rüber gekommen.“

„Und dieses ‚quer rüber‘ hat Sie nach Zinse geführt?“

„Wohin?“

„Nach Zinse.“

„Zinse, Zinse. Wo ist das?“

„Zinse ist ein Ortsteil von Erndtebrück.“

„Ach so, ja. Natürlich. Weil mir dort der Capri aufgefallen ist. Und einen solchen hätte ich einem bekannten Sammler vermitteln können, der mir unbedingt meinen eigenen abkaufen wollte.“

„Vermitteln? Für 24.000 Euro?“, versuchte Mertz einen Trick.

„Nix! Ich habe dem Mann 28.000 geboten. Absoluter Top-Preis. Kennen Sie den Mann etwa? Hat der Ihnen den Preis genannt?“

Der Kriminalist reagierte nicht. „Tags darauf waren Sie aber schon wieder in der Gegend. Diesmal mit einem alten 170er Mercedes. Wo wollten Sie denn mit dem hin?“

„Sie werden es nicht glauben. Zu Mercedes Maier in diesem Erndtebrück. Dort steht er übrigens seit Mittwoch in der Ausstellungshalle. Ich hatte deren Chefverkäufer in Limburg kennengelernt. Und der hatte mich gefragt, ob ich seiner Firma einen meiner Oldies mit Stern zur Verfügung stellen könnte. Mit so etwas kann man schon den einen oder anderen Euro verdienen.“

‚Der Mann hat auf alles eine Antwort. Und dann auch noch eine plausible‘, überlegte Mertz. „Aber Sie haben unterwegs ja noch ein Kaufangebot gemacht. Dabei ging es um einen Opel GT.“

„Stimmt, dieses knallgelbe Zückerchen. Einundzwanzig-fünf hab´ ich dem Besitzer geboten. Aber ich glaube, der wäre nicht mal bei dreißig weich geworden.“

„Haben Sie eigentlich das Geld immer bar in der Tasche, dass Sie solche Angebote machen können.“

„Nein, natürlich nicht. Aber es gibt schließlich überall Banken, wo man sich das besorgen kann. Vorher müssen natürlich noch ein ordentlicher Kaufvertrag gemacht und die Papiere überprüft und übergeben werden. Das sind keine billigen Straßengeschäfte.

Schauen Sie hier“, zeigte der Mann auf mehrere Ordner in einem Regal hinter seinem Schreibtisch, „hier können Sie mal reinschauen. Dann haben Sie einen groben Überblick.“

„Macht Ihr das bitte mal?“, bat der Ermittler die Kollegen, gab einen vollen Ordner mit der Aufschrift ‚Kaufverträge‘ an sie weiter und ging zur Schlussoffensive über.

„Herr Schwender, kann es sein, dass Sie Besitzern, die nicht an Sie verkaufen wollen, so böse sind, dass sie ihnen irgendwie schaden?“

Der Gefragte blickte Mertz verständnislos an. „Das ist doch grotesk. Wieso sollte ich?“

„Na, weil Sie Enttäuschungen eventuell nicht gewohnt sind.“

„Ach Gott!“, lachte der Jäger und Sammler los. „Wissen Sie, was für mich eine echte Enttäuschung ist? Wenn jemand in diesem Genre handelt wie der berühmte billige Jakob und einen dann über den Tisch ziehen will. Die beiden Männer, über die wir gerade geredet haben, gehören eindeutig nicht zu dieser Spezies.

Beide haben mir gerade heraus gesagt, dass sie sich nicht von ihren Kostbarkeiten trennen wollen. Und das habe ich respektiert. So etwas ist purer Enthusiasmus. Von dem lebt unser Hobby, für das mancher sein letztes Hemd gibt.“

Doch in dem lief Jörg Schwender eindeutig nicht herum. Das war Rüdiger auch klar.

„Warum fragen Sie eigentlich danach, ob ich denen schaden würde, die meine Angebote ablehnen?“

„Gegenfrage. Wo waren Sie gestern?“

Schwender überlegte kurz und meinte dann, „ääh Frau Funke oder Herr Klotz, schauen Sie sich doch bitte mal den jüngsten Vertrag in dem Ordner an, den Sie gerade vor sich haben. Den ganz oben drauf. Was steht da unten als Ort und Datum?“

„Bochum, Freitag, 04.10.2019“, las die junge Kollegin vor. – Unterschrieben ist er von einem Julius Hunke als Verkäufer und Jörg Schwender als Käufer.“

„Und was ist da gekauft worden?“

„Ein VW-Bulli, Jahrgang 1970 mit Frontschaden, steht hier.“

„Ein tolles Teil“, ergänzte der Sammler. Hab´ ihn gestern abgeholt. Das fehlt mir noch in meiner Sammlung. Der Bulli steht hinten in der Werkstatt noch auf dem Anhänger, Kann ich Ihnen gleich zeigen, wenn wir rausgehen.

Aber vorher hätte ich gerne noch diese Antwort. Warum fragen Sie danach, ob ich anderen Oldtimer-Besitzern schaden würde und wollen dann auch noch wissen, wo ich gestern gewesen bin? Was ist denn gestern passiert?“

„Gestern hat jemand die Bremsanlagen des Opel GT und des Ford Capri manipuliert. Das waren seltsamerweise die Fahrzeuge, die Sie so gerne gekauft hätten. Der Capri-Fahrer ist mit seinem Wagen in eine Böschung gestürzt.“

Dem Hausherrn entglitten die Gesichtszüge. „Wie bitte? Ist dem Mann etwas passiert?“

„Nein, nur ein paar Kratzer.“

„Was für ein Glück. Und was hat der Wagen abbekommen?“

„Auch nur ein paar Kratzer. Der ist in einer Brombeerhecke gelandet.“

„Boah“, machte Schwender, „da hat er ja richtig Schwein gehabt. Und … und was ist mit dem Opel passiert?“

„Zum Glück nichts. Der Fahrer trat nur beim Rückwärtsfahren plötzlich ins Leere.“

Schwender begriff nicht ganz. „Und jetzt dachten Sie, ich könnte das gewesen sein.“

Mertz nickte und zuckte mit den Schultern. „Wäre immerhin möglich gewesen.“

Der Hausherr holte tief Luft. „Ich fasse es nicht. Was Sie mir hier vorwerfen, ist dermaßen ungehörig, dass ich Sie am liebsten rausschmeißen würde.“

„Ich werfe Ihnen doch gar nichts vor. Ich ermittle“, entgegnete Rüdiger. „Da werden manchmal unangenehme Fragen gestellt. Ich glaube Ihnen ja mittlerweile, dass Sie damit nichts zu tun haben. Aber Sie waren unser einziger gemeinsamer Nenner. Weil Sie sich, noch dazu zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten, für beide Fahrzeuge interessiert haben.“

„Kommen Sie mal alle mit“, forderte der Oldie-Sammler die Beamten auf und nahm von seinem Büro aus einen anderen Weg nach draußen. Im Pulk marschierten sie auf der Rückseite an der Halle entlang. Sie erreichten ein Rolltor, das fast geräuschlos hochfuhr. Schwender hatte eine Fernbedienung in der Hand.

Drinnen gingen mehrere Scheinwerfer an und es wurde taghell in einer riesigen Werkstatt, in der es an nichts zu fehlen schien. Etwas rechts neben einer von drei Hebebühnen stand ein braun-weißer VW-Bulli auf einem Anhänger, der von hinten einen super-gepflegten Eindruck machte. Erst beim Umrunden zeigte sich ein heftiger Schaden in der Frontpartie.

„Der wird wieder top“, sagte der Sammler. „Wir machen keine Oldtimer kaputt, wir machen sie wieder heile. Schauen Sie mal da drüben“, zeigte er auf ein mit Plane abgedecktes Auto mit einer seltsamen Form.

„Das wird unser nächstes Schätzchen. Fast behutsam zog er die Plane von einer Rostlaube, die sich bei näherem Hinsehen als steinuralter Buckel-Volvo entpuppte. „Ein PV 444, Baujahr 1948. Nach so einem habe ich Jahre gesucht.“ Jörg Schwenders Augen glänzten, als er das erzählte.

„Wie lange brauchen Sie, bis Sie den wieder im Originalzustand haben?“, wollte Klotz wissen.

Der Gefragte schürzte die Lippen. „Kommt drauf an, wie viele Originalteile noch zu bekommen sind, was wir selbst nachbauen müssen und so weiter. Aber das ist gerade das Salz in der Suppe.“

„Sehr beeindruckend, wirklich“, bemerkte Rüdiger Mertz und machte ein unmissverständliches Zeichen, aufbrechen zu wollen. Doch eine Frage brannte ihm noch unter den Nägeln. „Kennen Sie eigentlich einen ‚Haßler Car-Service‘?“

Schwender überlegte. „Gehört habe ich davon schon mehrfach. Der Laden bekommt beste Kritiken von Mitgliedern der Oldie-Szene. Aber persönlich kennen? Nee. Brauch´ ich ja nicht. Ich hab´ doch meine eigenen Werkstatt. Wieso fragen Sie?“

„Weil in dieser Werkstatt die beiden Wagen sabotiert wurden.“

„Oh Shit. Na das ist mal nicht besonders gut fürs Renommee.“

„Sieht der Besitzer auch so. Vielen Dank, dass Sie Ihren Samstagvormittag geopfert haben.“

„Da nicht für!“, rief der Andere, „erfolgreiche Jagd noch!“ Dann wandte er sich den beiden Uniformierten zu und rief: „Kommen Sie doch trotzdem mal auf eine Spritztour vorbei. Ich würde mich freuen.“ Kommissar Klotz war damit sicherlich nicht gemeint.

Samstag, 9. November

Justin Kerber hatte es eilig, seinem Schlitten mal wieder ordentlich die Sporen zu geben. Die Fahrt von Banfe bis nach Saßmannshausen hatte ihm schon lange genug gedauert. Obwohl der Holztransporter vor ihm für dessen Verhältnisse schon verdammt flott unterwegs war. Nur eben nicht flott genug. Und Überholen ging auch nicht.

Bei der Einmündung in die B62 aber fand er nach gerade paradiesische Verhältnisse vor. Freie Strecke und die eine oder andere Kurve bis rauf nach Leimstruth. Für den überaus ambitionierten Amateur-Rennfahrer und seinen Mercedes gewissermaßen ein Appetithäppchen.

Kerber horchte in die Maschine hinein. Wie ein Kätzchen schnurrte seine getunte E-Klasse. ‚Kein Wunder mit so viel frischem Öl‘, dachte er fast liebevoll an die kraftvolle Maschine unter der Haube seines Boliden. Erst heute Morgen war sie mit Schmiermitteln allerbester Provenienz verwöhnt worden.

Kerber drückte das Gaspedal bis zum Bodenblech durch, als er die erste schärfere Rechtskurve hinter sich gelassen hatte und beobachtete gebannt die Tachonadel. Er jubelte innerlich. 140 bergauf im dritten Gang, das war der Hammer. Also erbarmte er sich und schaltete hoch. Um wenig später etwas Fahrt wegzunehmen.

Runterschalten, lange Kurve rechts, stumpfe links, Vollgas. Links unter ihm lag bereits Holzhausen, als er vor sich einen silbergrauen Mazda ausmachte. ‚Den pack´ ich noch vor dem Abzweig‘, nahm er sich vor, ließ den Motor durch Runterschalten richtig aufheulen und jagte an dem Japaner vorbei, als stünde der geparkt am Straßenrand.

Auf der Strecke kannte er sich aus. Wie oft war er sie in den vergangenen Jahren gefahren, um seine Freundin Kira in Röspe zu besuchen und ihr mit seinen diversen von Papa gesponserten PS-Monstern zu imponieren.

Die Liaison war längst vorbei und der Mercedes der definitiv letzte Bolide, den ihm Daddy noch gönnen wollte. ‚Macht nichts‘, dachte sich der Sprinter und tätschelte das Lenkrad, ‚besser als du kanns ja auch nicht kommen.‘

Mit pfeifenden Rädern schoss der mit Hosenträgergurten festgezurrte Kerber in die Rechtskurve am Abzweig und beschleunigte sofort wieder. „Geil!“, brüllte er vor Begeisterung, „geil!“

Doch dann krachte plötzlich etwas vorne links in den Radkasten und gleichzeitig ruckte es im Lenker, den er fest in seinen Händen hielt. Dann folgte ein rasendes ‚wo-wo-wo-wo-wo-wo‘, das jäh durch ein dumpfes ‚Poff‘ beendet wurde.

Das einzige, was der Mercedes-Pilot danach noch wahrnahm, war eine trotz Gegenlenkung nicht mehr revidierbare Kehre nach links und ein Aufprall in die Leitplanke in Höhe mehrerer Baumwipfel. Dann knallte ihm der Airbag voll ins Gesicht und nahm ihm die Besinnung.

Stunden später tauchte das Heck der schwarzen E-Klasse an der oberen Kante der Straßenböschung wieder auf. Am Haken eines Kranwagens, der die aufgemotzte Limousine mit Sportfahrwerk und Mörderauspuffrohren aus der Versenkung unterhalb der B62 hochzerrte.

Fingerspitzengefühl des Kranfahrers war hier nicht mehr gefragt. Obwohl der Mercedes sicher noch keine drei Jahre alt war. Aber im Freiflug Richtung Abgrund hatte er schlagartig um die 40.000 Euro an Wert verloren.

„Und der Fahrer nur leicht verletzt? Unglaublich.“ Sarah Renner schüttelte fortwährend den Kopf, als sie den Trümmerhaufen in seiner hässlichen Pracht am Seil baumeln sah.

Kollegin Siegemund stimmte ihr mit Gänsehaut am ganzen Körper zu. „Nicht zu fassen. Erst in die Leitplanke krachen, dann einen gestreckten Salto und knapp 15 Meter Höhenunterschied im freien Flug. Das musst du erstmal aushalten.“ Aus ihren Worten klang fast so etwas wie Anerkennung.

Die beiden Kriminalkommissarinnen waren von den Kollegen der Verkehrspolizei zum Unfallort gerufen worden. Wegen einiger auffälliger Funde kurz vor der Stelle, an der der Benz oberhalb von Holzhausen nach links von der Straße abgekommen war. Und das auf gerader Strecke.

Während der Kranfahrer das Wrack unter scheppernden Blechgeräuschen sachte auf einen Abschleppwagen ablud, tauchten hinter der schwer verbogenen Leitplanke zunächst die grau melierten Haare und dann das vor Anstrengung gerötete Gesicht eines Polizeibeamten auf.

Klemens Rohrer hatte den Weg von der Straße hinunter in den Wiesengrund und zurück mindestens schon zweimal hinter sich gebracht. Und das im extrem steilen Hang mit dichtem Gesträuch und jungen Bäumen, deren Kronen allerdings durch den ‚Abflieger‘ gehörig gelitten hatten.

Heftig atmend kam der Hauptkommissar auf die Kolleginnen von der Kripo zu, nickte zum Gruß und stützte seine Hände nach vorne gebeugt auf die Oberschenkel. „Der Mann muss … phhh … einen Affenzacken … draufgehabt haben, als ihm das linke Vorderrad … phhh … buchstäblich um die Ohren geflogen ist. Anders wäre es …“

„Hey Klemens“, unterbrach ihn Sarah Renner, „hol doch erstmal richtig Luft, bevor Du weiterredest.“

Dankbar nickte ihr der nicht mehr ganz junge Kollege zu und atmete tief durch, während er ein Taschentuch aus seiner Lederjacke nestelte. Schweiß rann von seiner Stirn. „Geht schon“, lächelte er die beiden an und wischte kräftig durchs Gesicht.

„Wieso meinst Du, dass dem Fahrer das linke Vorderrad buchstäblich um die Ohren geflogen ist?“, fragte die Renner schließlich. „Das ist doch noch dran. Das hab´ ich doch gerade gesehen.“

„Noch dran schon. Aber platt und auf gut 30 Zentimeter ohne Lauffläche. Ich meine, das ist schon komisch bei so `nem teuren Auto. Oder? Für mich stinkt das gewaltig nach Manipulation.“

„Woher weißt Du das mit der Lauffläche?“

Weil wir das abgelöste Teil ungefähr 150 Meter weiter unten auf der Straße gefunden haben. Zirka 80 Meter weiter muss dann der Reifen geplatzt sein. Da lagen noch weitere Fetzen. Und guck mal da“, beschrieb er mit ausholender Handbewegung einen Bogen, den offenbar die Felge des kaputten Rades in den Asphalt gefräst hatte. Das Ende des Bogens führte unmittelbar zur demolierten Leitplanke.

„Ja, aber wie kommt Ihr denn darauf, dass da Manipulation im Spiel ist?“, hakte Sarah nach. „Das kann doch durchaus auch ein Materialfehler oder sonst was gewesen sein.“

„Kommt mal mit, ich zeig´ Euch was.“ Raschen Schrittes marschierte der immer noch schwer atmende Rohrer zum Wrack auf dem Abschleppfahrzeug. Das linke Vorderrad ragte gekippt unter dem Blechhaufen hervor. Der Beamte musste etwas an der Felge zerren, schaffte es aber, die Stelle zu finden, die er suchte.

In dem völlig platten Reifen kam eine Abrisskannte zum Vorschein, die so schnurgerade von einer auf die andere Seite verlief, als sei sie dort als Sollbruchstelle vorgesehen gewesen. Dahinter, in Laufrichtung, nacktes aufgerissenes Reifengewebe. „Das Stück Reifendecke, das hier fehlt, kann ich Euch zeigen. Moment bitte.“

Aus seinem Streifenwagen holte er einen großen Plastikbeutel, in dem ein schwarzes, leicht gebogenes Teil steckte. „Hier“, hielt er den Frauen das Behältnis hin, „ein exakt abgetrenntes Stück Reifendecke, oder ‚Laufstreifen‘, wie es offiziell heißt. Ihr könnt es ruhig rausnehmen. Werden wohl keine Fingerspuren dran zu finden sein.“

„Muss man annehmen.“ Claudia griff nach dem Reifenstück, das noch ein recht gutes Profil besaß. Prüfend drehte sie es in den Händen und betrachtete es gemeinsam mit der Kollegin von allen Seiten.

„Das ist ja nicht zu fassen. Das sieht ja so aus, als hätte jemand mit einem Messer oder sowas das Teil präzise angeschnitten und vom Reifen heruntergerissen.“

„Genau so sieht es aus“, bestätigte der Kollege. „Nur, dass es nicht heruntergerissen wurde, sondern beim Fahren weggeflogen ist. Und das Perfide dabei ist, dass dem Täter die Schnitte quer rüber offenbar nicht gereicht haben.“

Zur Erklärung nahm er das Stück Gummi in die Hand. „Hier“, zeigte er, „hier hat er offensichtlich auf der Reifenaußenseite über die 30 Zentimeter auch noch einen Schnitt tief unter die Lauffläche gemacht. Damit sich das Gummi unter Belastung und bei entsprechender Geschwindigkeit auf alle Fälle löst.“

„Was ja ganz offensichtlich auch geklappt hat. Was meinst Du denn, wie schnell der Wagen war, als das passierte?“

„Ich hab´ nicht die geringste Ahnung. Aber so 150 Sachen sollte er schon drauf gehabt haben. Womöglich sogar noch mehr.“

Sarah schaute den Hauptkommissar irritiert an. „Sollte? Wie kommst Du denn darauf?“

„Wir haben einen Zeugen.“

„Was für einen Zeugen?“

„Einen Autofahrer, der den Unfall beobachtet hat.“

„Gibt’s doch nicht. Wie das denn? Wo ist der Mann?“

„Der ist noch unten im Tal. Da, wo der Mercedes aufgeschlagen ist. Er will aber gleich wieder herkommen.“

Claudia Siegemund wurde ungeduldig. „Jetzt mach mal ein bisschen Fleisch an den Knochen. Warum ist er denn unten im Tal?“

„Na ja. Harald Kiefer, so heißt der Zeuge, war auch auf dem Weg Richtung Leimstruth, als er von dem Mercedes mit affenartiger Geschwindigkeit knapp oberhalb von Holzhausen überholt wurde. Demnach hat sich der Fahrer einen Teufel um die scharfe Rechtskurve und den Abzweig runter nach Steinbach gekümmert.

Er sei einfach über die Straßenmitte an ihm vorbei gebrettert. Dann hat unser Mann den Benz kurz aus den Augen verloren. Obwohl er selbst richtig aufs Gas getreten habe, wie er erzählte und selbst an die Hundert gefahren sei.

Hinter der nächsten Kurve habe er dann den Raser aber wieder gesehen und beobachtet, wie dessen Fahrzeug plötzlich quer über die Straße geschossen und nach links von der Fahrbahn verschwunden sei.“

„Ist ja irre. Und warum ist er nicht an der Unfallstelle geblieben?“

‚Was für eine Frage‘, dachte der Beamte. „Natürlich, weil ihm klar war, dass der Benz offenbar den Abhang hinunter ist und dachte, er könne unten helfen.

Also hat er kehrt gemacht und ist am Abzweig ein paar Meter runter Richtung Steinbach gefahren, um von dort aus zu der Aufschlagstelle zu kommen. Unterwegs hat er Rettungsdienst und uns alarmiert und dann diesen jungen Kerl aus seinem Wrack geholt.“

„Guter Mann!“, lobte Claudia. „Aber warum ist er noch immer da unten?“

„Herr Kiefer hat gewartet, bis der Rettungsdienst weg war und dann versucht, seinen festgefahrenen Wagen wieder aus der Wiese heraus zu bekommen. Doch vor lauter Aufregung hat er die Karre immer weiter festgefahren. Aber jetzt sind zwei unserer Kollegen bei ihm. Die helfen ihm, da wieder raus zu kommen.“

„Mal was anderes“, wandte sich die Siegemund an den Uniformierten, „wohin wurde eigentlich der Unfallfahrer gebracht? Ist der in Berleburg?“

„Nein, der wollte unbedingt nach Biedenkopf ins Krankenhaus. Seine Braut sei dort als Krankenschwester tätig, hat er erzählt.“

„Es hieß vorhin, ‚leicht verletzt‘. Wie steht es denn wirklich um ihn.“

„Ha ja, pfff…, er kann laufen, hat aber ziemliche Kreuzschmerzen. Und sein Schädel tut ihm weh. Wahrscheinlich, weil ihm der Airbag ins Gesicht geknallt ist. Zudem hat er noch zwei, drei kleine Schnitt- und Platzwunden und wohl die eine oder andere Rippe geprellt. Aber er war klar und ansprechbar.“

„Wie heißt der Mann denn?“

„Justin Kerber, geboren am 23.03.1993 in Allendorf/Eder“, las Rohrer von seinem Notizblock ab, „wohnt in äääh …, ach so ja, in der Leimstraße 2 … in äääh Rennertehausen.“

„Hä?, Rennertehausen? Wo ist das denn? Kennt man das?“