14,99 €
In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. E-Book 49: Das Schloss ohne Frauen E-Book 50: Ein Herz im Dornröschenschlaf E-Book 51: Wie in einem Märchen E-Book 52: Die Blumenkomtess E-Book 53: Antonia und der traurige Prinz E-Book 54: Ein Märchenschloss voll Traurigkeit E-Book 1: Das Schloss ohne Frauen E-Book 2: Ein Herz im Dornröschenschlaf E-Book 3: Wie in einem Märchen E-Book 4: Die Blumenkomtess E-Book 5: Antonia und der traurige Prinz E-Book 6: Ein Märchenschloss voll Traurigkeit
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 708
Veröffentlichungsjahr: 2018
Das Schloss ohne Frauen
Ein Herz im Dornröschenschlaf
Wie in einem Märchen
Die Blumenkomtess
Antonia und der traurige Prinz
Ein Märchenschloss voll Traurigkeit
»Euer Erlaucht«, sagte Förster Haselhuber und drehte verlegen seinen Hut in der Hand, »es ist mir sehr peinlich…«
»Na, los, Xaver«, erwiderte Otfried Graf von Erbach mit einem bekümmerten Lächeln, »Sie können nichts dafür, also braucht es Ihnen ja auch nicht peinlich zu sein! Was hat der Holzhändler gesagt?«
»Er kann nicht so viel dafür zahlen! Seit aus dem Osten das billigere Holz kommt…« Haselhuber brach wieder ab. Er war schon beim Vater des Grafen in Dienst gewesen, genauso wie sein Vater. Aber die Zeiten hatten sich seitdem sehr geändert und nicht zum Besten. Dazu kam, daß nicht nur das Leben im allgemeinen viel teurer geworden war seit der Einführung des ›Teuros‹, auch die junge Frau Gräfin war um einiges anspruchsvoller, als es die Mutter des Grafen Otfried gewesen war. Ja, ja, die alten Herrschaften hatten eben noch die schlechte Zeit während und nach dem Krieg mitgemacht. Die konnten noch sparen! Am rechten Fleck! Bei denen blieb etwas übrig, zum Investieren! Aber die Gräfin Gisela investierte nur in ihre Kleider!
Natürlich redete man im Betrieb darüber. Aber der junge Herr Graf war ebenso verliebt in seine Frau, daß er ihr jeden Wunsch erfüllte, auch wenn er noch so ausgefallen und überflüssig war. Selbstverständlich traute sich niemand, etwas zu ihm zu sagen.
Nicht einmal der Verwalter, der auch schon so lange auf dem Betrieb war wie er. Höchstens die alte Julie hatte früher hin und wieder eine Bemerkung gemacht. Sie war beim Grafen Otfried Kinderfrau gewesen und nahm inzwischen die Stellung einer Haushälterin ein, weil die Gräfin Gisela keine Lust hatte, sich um die Hauswirtschaft zu kümmern, wie es noch die alte Gräfin selig getan hatte.
Auf Kinder hatte sie auch keine Lust, sagten die Leute. Aber das war vielleicht übertrieben. Obwohl: sie waren bereits drei Jahre verheiratet, und noch immer meldete sich kein Nachwuchs an. Dabei hätte der Graf Otfried sich garantiert sehr gefreut.
Das merkte man schon daran, daß er immer wieder sagte: wenn wir mal einen Sohn haben, stelle ich wieder ein Pony auf! Oder: Xaver, Sie bleiben bei uns, bis mein Sohn den Jagdschein macht! Obwohl er eigentlich dann schon längst in Rente war!
Otfried überlegte noch immer. Schließlich fragte er:
»Was will er denn zahlen, der Halsabschneider?«
Haselhuber verzog das Gesicht und nannte die Summe.
Der Graf nickte ernst. Das würde bedeuten, daß Gisela auf das Modellkleid für den Standesherren-Ball verzichten mußte. Er hatte damit gerechnet, für den Erlös des Einschlags das teure Kleid zu kaufen. Natürlich war es Verschwendung: Aber Gisela war in der Hinsicht so naiv wie ein Kind! Er lächelte, als er an seine schöne junge Frau dachte. Aber dieses Mal mußte sie einfach vernünftig sein! Das Kleid vom letzten Jahr war weiß Gott noch immer aufregend und elegant, und warum sollte sie es nicht diese Saison wieder tragen?!
»Nein, Haselhuber, dann lassen wir es und schlagen nichts mehr. Es wäre ohnehin mehr, als vom Oberförster zugestanden. Es tut den Bäumen nur gut nach dem trockenen Sommer, wenn sie noch ein Jahr wachsen dürfen.«
»Da haben Sie sehr recht, Erlaucht!« stimmte ihm der Förster sofort zu. Er hatte mit dem vom Staat eingesetzten Oberförster auch schon darüber gesprochen. Der Wald der Grafen Erbach war nicht so groß, daß man sich einen promovierten Förster hätte leisten können, deshalb hatte der staatliche Oberförster die Oberaufsicht. So war das Gesetz. »Dann wäre das also geregelt?« fragte Haselhuber nochmals nach.
Graf Otfried nickte, und der Förster verabschiedete sich. Natürlich war die Entscheidung richtig! Alles andere wäre leichtsinnig gewesen –, und das konnte er sich wirklich nicht leisten. Hoffentlich sah Gisela das ein. Sie war wie ein Kind und konnte auch bockig und gekränkt sein, als wäre sie ein kleines Mädchen von acht, dem man die Puppe verweigerte, und nicht eine erwachsene Frau von achtundzwanzig.
Sie war eben einfach zu schön! Deshalb war ihr das Leben lang alles durchgegangen. Schon als kleines Mädchen war sie von allen verwöhnt worden.
Als sie beide heirateten, hieß es allgemein: das schönste Paar des deutschen Adels. Und mancher wunderte sich, daß die schöne Gisela sich nicht auch den reichsten Mann des Landes ausgesucht hatte, denn das war Otfried nun gewiß nicht.
Er war eine blendende Erscheinung – und vielleicht war ihre Eitelkeit noch größer als ihre Verschwendungssucht. Und vielleicht war sie ja auch wirklich in ihn verliebt! Otfried jedenfalls glaubte an ihre Liebe, und diejenigen, die an der Tiefe ihres Gefühls zweifelten, hüteten sich, etwas zu sagen. Es war bequemer.
Otfried sah nicht nur sehr gut aus, groß, schlank, sportlich, mit dunklem Haar und dunklen Augen unter dichten Brauen und Wimpern, dazu eine schmale, aristokratisch leicht gebogene Nase, einen Leidenschaft verratenden Mund und eine schöne, hohe Stirn. Das Grübchen am Kinn und die gut ausgebildete Kinnpartie verrieten Energie und Durchsetzungsvermögen, was im allgemeinen auch funktionierte – ausgenommen bei Gisela. Er war anerkannt intelligent, gebildet und tüchtig. Nur bei Gisela schienen alle diese guten Eigenschaften auszusetzen oder nicht genug stark entwickelt zu sein.
Jedenfalls genügte ein Blick aus ihren himmelblauen Augen, ein leises Zittern der rosigen Lippen, um alle seine festen Vorsätze ins Wanken zu bringen.
Gisela hatte hin und wieder als Model gearbeitet – ihre Schönheit, aber auch ihre Herkunft hatten ihr eine Karriere leicht gemacht. Hier hatte sie das süße Leben kennengelernt. Es war den berühmten Designern ein Vergnügen gewesen, der schönen Prinzessin ihre Modellkleider nach Wahl zur Verfügung zu stellen, kostenlos! Schließlich war es nur Reklame für sie, wenn Gisela in ihren Kreisen in diesen Modellen erschien. Nicht anders verhielt es sich mit den Juwelieren, die sie nur zu gern mit ihrem kostbaren Schmuck behängten, wenn ein großer Ball bevorstand oder sonst ein Anlaß wie eine Hochzeit, ein Jubiläum oder ein anderes Fest in den großen Häusern Europas.
Doch als sie heiratete, hatte sie keine Lust mehr zu dem anstrengenden und mühsamen Beruf eines Models. Leider war sie aber auch nicht bereit, auf die Annehmlichkeiten, die damit verbunden gewesen waren, zu verzichten.
Natürlich war Otfried erleichtert, daß sie nicht mehr wochenlang in der Welt herumkurvte. Es war auch nicht so, daß sie plötzlich in Sack und Asche gehen mußte – auch wenn man es nach ihren Tränenausbrüchen hätte glauben müssen! Er konnte ihr zweifellos das eine oder andere elegante Kleidungsstück schenken. Und dann war da auch noch der wirklich kostbare Familienschmuck!
Aber es waren eben nicht mehr die neuesten Modelle aus den teuersten Häusern und auch nicht die modischen, pfundschweren Klunker.
Früher hatte man mehr auf feine Goldschmiedearbeit geachtet als darauf, daß der Diamant lupenrein war und fünf Karat oder mehr hatte.
Jetzt fürchtete Otfried die bevorstehende Aussprache mit Gisela. Er liebte sie so sehr und hätte ihr am liebsten jeden Wunsch erfüllt. Sie konnte so zärtlich und bezaubernd sein –, wenn es nach ihrem Kopf ging.
Und natürlich war er auch sehr stolz auf sie! Welcher Mann schmückte sich nicht gern mit der anerkannt schönsten Frau des Abends!
Draußen hörte man das schnelle Klicken ihrer Stiletto-Absätze auf den Marmorfliesen. Es klang irgendwie gereizt… Otfried seufzte.
Da flog auch schon die Tür zu seinem Arbeitszimmer auf, und Gisela platzte herein, in einem hochmodischen Outfit, das genaugenommen eigentlich kein bißchen aufs Land paßte.
»Das darf doch nicht wahr sein!« Ihre Stimme klang schrill. »Ich habe eben Haselhuber getroffen! Und der erfrechte sich, auch noch zu grinsen, als würde er sich über deinen Entschluß freuen! Hast du vergessen, daß du mir versprochen hast –«
»Es tut mir leid, Gisela!« unterbrach Otfried – noch energisch. »Der Holzhändler hat uns einen unannehmbaren Preis gemacht. Abgesehen davon, daß die Bäume, die ich vorgesehen hatte, ohnehin eigentlich zu jung zum Schlagen sind.«
»Du hast es mir versprochen! Du hättest das schließlich schon vorher wissen können! Wie konntest du dann sagen, daß ich das Kleid bekomme?! Ich habe – dir vertraut…« Ihre Stimme brach, Tränen flossen aus ihren schönen Augen. Gisela beherrschte die Kunst zu weinen, ohne das Gesicht zu verziehen, ohne eine rote Nase oder geschwollene Augen zu bekommen.
Solange sie laut war und ihre Stimme schrill, vermochte Otfried hart zu bleiben. Aber jetzt…
»Gisela, versteh doch!« Und er versuchte vergeblich, ihr auseinanderzusetzen, daß es Wahnsinn war, was sie verlangte, und daß das Kleid vom vergangenen Jahr so hinreißend an ihr ausgesehen habe…
Aber alles das wollte sie nicht hören.
»Dann rufst aber du bei Lange an und bestellst das Kleid ab! Ich habe es schon auf mich ändern lassen. Hoffentlich nehmen sie es zurück!« erklärte sie und wischte sich die Tränen ab. »Dann bist wenigstens du blamiert, weil du so geizig bist…«
»Ich bin doch nicht geizig«, erwiderte Otfried deprimiert. »Es – geht nur über meine Möglichkeiten.«
Woraufhin sie wieder zu schluchzen begann.
Er wußte, daß es dumm war – aber er gab wieder nach.
»Es ist das letzte Mal!« Er bemühte sich, mit fester, entschlossener Stimme zu sprechen. Aber er wußte, daß sie ihn doch wieder herumkriegen würde.
Und Gisela wußte es auch.
*
Wie bei jedem festlichen Ereignis, das Graf und Gräfin Erbach besuchten, war Gisela die Sensation. Natürlich gab es auch andere sehr elegante und schöne Frauen bei dergleichen Veranstaltungen, aber Gisela hatte einen angeborenen Schick, eine natürliche Eleganz, die einfach alle in den Schatten stellte. Sie verstand es, zum Beispiel mit einer Ansteckblume – zusätzlich zu ihrer exklusiven Kleidung – ihrem Outfit den Anstrich von natürlicher Selbstverständlichkeit zu geben, so daß man, wenn man nicht unbedingt in modischen Dingen versiert war, überhaupt nicht auf den Gedanken kam, wieviel Geld und Zeit für diese unaufdringliche und gleichzeitig so überwältigende Eleganz notwendig gewesen war.
Heute zum Standesherrenball mit vorhergehendem Diner trug Gisela das so schwer erkämpfte Modell. Es war ein auf Figur geschnittener schwarzer Blazer. In den glänzenden Damast waren Rosen im gleichen Schwarz, aber mit stumpfem Faden, eingewebt. Blitzende Straßknöpfe verschlossen den Blazer streng bis zum Hals. An die Schulter hatte sich Gisela eine halb erblühte, pinkfarbene Rose gesteckt. Anstelle eines Rockes vervollständigten weite, an den Knöcheln zusammengefaßte Haremshosen aus stumpfem, fast durchsichtigem schwarzen Georgette ihre Aufmachung. Man konnte durch den Stoff die Schönheit ihrer Beine ahnen – aber eben nur ahnen! Mit Straß besetzte Riemchensandaletten machten Gisela wieder einmal zur aufregendsten Frau des Abends.
So stolz Otfried einerseits auf sie war, er konnte heute nicht unbeschwert fröhlich sein. Jedes Mal, wenn man ihm ein Kompliment zu seiner Frau machte, gelang ihm nur ein trauriges Lächeln. O ja, er liebte sie über alles, aber er wußte, daß er ihren Ansprüchen nicht mehr lange genügen konnte.
Und was war dann? Sie konnte doch nicht so naiv sein, daß sie nicht sah, wie er wegen ihrer Eitelkeit dringende notwendige Restaurierungsarbeiten an den Wirtschaftsgebäuden immer wieder verschieben mußte. Es sei denn, er würde den Betrieb durch eine Hypothek belasten. Aber dies in der jetzigen Zeit, wo es die Landwirtschaft so schwer hatte, würde bedeuten, daß er nie wieder aus den Schulden herauskam.
Es fiel ihm schwer, sich auf seine liebenswürdige Tischdame zu konzentrieren. Es war eine ältliche, unverheiratete Prinzessin aus ehemals regierendem Haus. Als er ihr zum zweiten Mal eine falsche Antwort gab, sagte sie freundlich:
»Mein lieber Graf, ich habe den Eindruck, daß Sie Sorgen haben. Vielleicht kann ich Ihnen einen Rat geben?«
Otfried entschuldigte sich verlegen. Dann schaute er hinüber zu Gisela, die neben einem sehr interessant wirkenden Herrn, der ihm unbekannt war, saß und sich bestens mit ihm unterhielt.
Die Prinzessin deutete seinen Blick falsch.
»Machen Sie sich Gedanken wegen Gisela? Aber wir wissen doch alle, daß sie Bewunderung braucht wie wir gewöhnlichen Menschen die Luft zum Atmen!«
Otfried lächelte gequält.
»Wer ist dieser Mann?«
Die Prinzessin lachte.
»Er heißt John Burn, ist Amerikaner und schwimmt in Öl!«
»Oh!« sagte Otfried überrascht, denn er wußte, wie exklusiv dieser Ball war und daß man nur eingeladen wurde, wenn man dem Hochadel oder einem regierenden Fürstenhaus angehörte. »Das muß aber sehr viel Öl sein«, scherzte er etwas mühsam.
»Das ist es auch«, erwiderte die Prinzessin. »Trotzdem glaube ich, daß er die Einladung in erster Linie seiner Mutter verdankt. Sie ist eine Großfürstin, Nachfahrin der russischen Zaren, die klug genug war, sich in der Neuen Welt das notwendige Geld für die Krone zu besorgen, die doch sehr an Glanz verloren hatte. Er ist übrigens charmant und intelligent. Sie werden zugeben, daß diese Kombination ihn durchaus akzeptabel auch für diese Veranstaltung macht.«
»Durchaus«, stimmte Otfried ihr zu und fühlte sich keineswegs durch diese Information beruhigt.
Zum ersten Tanz nach dem Diner forderte jeder seine Tischdame auf. Otfried tanzte mit der Prinzessin und bemühte sich, einen Blick auf Gisela und ihren attraktiven Verehrer zu werfen.
Gisela hatte den strengen Blazer abgelegt und trug ein tief dekolletiertes Shirt aus der glänzend pinkfarbenen Seide, mit der auch der Blazer gefüttert war. Ihr einziger Schmuck waren lange, antike Diamantohrgehänge. Sie sah einfach umwerfend aus.
Als Otfried seine Dame zurückbrachte, sie zog es vor, mit anderen, älteren Herrschaften zu plaudern anstatt zu tanzen, sagte sie herzlich:
»Beeilen Sie sich, damit auch Sie einmal dazu kommen, mit Ihrer schönen Frau zu tanzen. Sie waren übrigens ein reizender, wenn auch etwas geistesabwesender Tischherr!«
Otfried glaubte, sich entschuldigen zu müssen, doch sie wehrte nur lachend ab.
Die Prinzessin behielt recht, er kam kaum dazu, mit Gisela zu tanzen. Nur einmal gelang es ihm, sie abzufangen, als sie mit dem Amerikaner von der Terrasse zurückkam, wo sie sich nach den heißen, südamerikanischen Rhythmen etwas abgekühlt hatte.
»Otfried! Da bist du ja! Kennt ihr euch?« Und sie machte ihn mit Burn bekannt. Der Amerikaner musterte ihn halb amüsiert, halb interessiert, doch er blieb sehr höflich, obwohl Otfried seine Ablehnung kaum zu verbergen mochte.
»Wie benimmst du dich?« zischte Gisela zornig, als er mit ihr tanzte.
»Und wie benimmst du dich?« fragte er mindestens so zornig zurück.
Sie lachte gekünstelt.
»Du liebe Zeit! Du bist wirklich spießig! Bist du etwa eifersüchtig?«
»Habe ich Grund dazu?« fragte er kalt.
Sie sah ihn verblüfft an. Dann füllten sich ihre bis dahin so strahlenden Augen mit Tränen, und sie erwiderte mit zitternder Stimme:
»Warum erlaubst du nicht, daß ich mich amüsiere? Wir leben doch ohnehin so trostlos zurückgezogen! Wenn ich an früher denke…« Ihre Stimme brach, und Otfried kam sich wieder einmal sehr ungerecht, egoistisch und kleinlich vor.
Gisela tanzte bis zum frühen Morgen. Gegen fünf Uhr glaubte Otfried, es einfach nicht mehr auszuhalten, und suchte sie, um sie zum Heimfahren zu überreden.
»Sie ist mit dem amerikanischen Großfürsten in der Bar«, erzählte ihm ein Bekannter. »Ja, mein Lieber, das ist der Nachteil, wenn man eine so schöne Frau hat!«
Otfried grinste schief.
»Sie kommt nicht viel unter Leute. Wir leben recht abgelegen«, glaubte er, sie vor dem anderen und sich selbst verteidigen zu müssen.
»Wenn ihr erst einmal Kinder habt, ist sie beschäftigt genug!« meinte der freundschaftlich und schlug ihm aufmunternd auf die Schulter.
In der dämmrigen Bar entdeckte Otfried Gisela nicht gleich. Doch dann schaute er dahin, wo alle anderen Anwesenden auch hinsahen – und dort saß sie, wie immer der Mittelpunkt des Interesses, einfach, weil sie so schön war und vor Charme und Heiterkeit nur so sprühte.
Der Amerikaner saß ihr gegenüber und betrachtete sie, als wollte er sie mit den Augen verschlingen.
Und wieder war Otfried mehr traurig als stolz. Wirklich, es war Zeit, daß sie ein Kind bekamen!
Er ging über die Tanzfläche zu dem Tisch, an dem Gisela und ihr Begleiter saßen.
»Wir müssen heim, mein Schatz. Tut mir leid! Ich habe morgen früh eine nicht gerade angenehme Besprechung.«
»Ach – schon!« schmollte Gisela wie ein kleines Mädchen.
»Es ist gleich fünf Uhr!« erinnerte er sie mit einem nicht ganz echten Lächeln.
John Burn hatte sich erhoben.
»Für mich wird es auch Zeit«, sagte er. »Auch ich habe morgen ein geschäftliches Frühstück.«
»Immer diese dummen Geschäfte!« schmollte Gisela.
»Ohne sie könnten wir uns Frauen wie dich nicht leisten«, gab der Amerikaner ihr zur Antwort und küßte ihr mit einem Blick tief in die Augen die Hand. Dann verabschiedete er sich auch von Otfried.
Und wieder kam es diesem vor, als wäre eine Spur von Mitleid in seinen Augen.
Aber das war bestimmt nur in seiner Einbildung, weil er eifersüchtig und müde war.
*
Otfried saß allein beim Frühstück, Gisela hatte noch nicht aus dem Bett gefunden. Aber er war es so gewöhnt, frühmorgens aufzustehen, daß er einfach nicht mehr schlafen konnte, wenn es Zeit für die Arbeitseinteilung auf dem Betrieb war. Das war an jedem Sonn- und Feiertag so. Meistens machte er vor dem Frühstück einen Spaziergang mit den Hunden über die Felder, um bei der Gelegenheit gleich zu kontrollieren, ob alles in Ordnung war. Oder er ritt in den Wald und sah nach den Einschlägen oder Baumschulen. Aber heute war er zu allem zu müde. Schließlich waren sie erst gegen sechs Uhr ins Bett gekommen. Gisela schlief noch wie ein Murmeltier, aber er war schon eine Stunde später wieder wach gewesen.
Er war deprimiert.
Natürlich hatte er nicht den geringsten Grund dazu, versuchte er sich aufzumuntern. Er war mit der begehrenswertesten Frau verheiratet, die ihm jemals begegnet war. Gisela hatte wieder wunderschön ausgesehen, und er freute ich darüber, daß sie sich so gut unterhalten und einen so großen Erfolg hatte.
Nein, eigentlich freute er sich nicht darüber! Wenn sie, so wie früher, auch mit ihm getanzt und gelacht und geflirtet hätte, aber außer für einen ›Anstandstanz‹ hatte sie keine Zeit für ihn gefunden.
Otfried überlegte, seit wann es so war. Und plötzlich kam es ihm so vor, als wäre das schon länger, Monate. Ein, zwei Jahre?
Nein, nein, das konnte nicht stimmen! Er wollte nicht weiter darüber nachdenken und sich irgendwelchen Hirngespinsten hingeben. Er war glücklich verheiratet und er liebte seine Frau. Und Gisela liebte ihn.
Wieder stieg ein Zweifel in ihm auf.
Unsinn! Selbstverständlich liebte sie ihn! Und er – er betete sie an.
Vielleicht sollte er es nicht so deutlich zeigen, sich nicht ganz so auf der Nase herumtanzen lassen. Es war bestimmt nicht richtig gewesen, daß er mit dem Kleid nachgegeben hatte. Aber wenn sie so weinte, so unglücklich war…
Schade, daß sie immer so spät aus dem Bett fand, daß er an Tagen wie dem heutigen allein frühstücken mußte. Wenn sie hier wäre, würden ihm garantiert nicht so lächerliche Gedanken kommen.
Plötzlich flog die Tür auf, und Gisela stürmte herein. Ihre goldblonden Locken hingen wirr um ihr strahlendes, vom Schlaf noch rosiges Gesicht.
Ihre Augen leuchteten, und während sie sich den Gürtel ihres rosaseidenen Morgenmantels zuband, rief sie über die Schulter zurück:
»Jetzt komm schon, Gerda! Sei nicht so langweilig!« Gerda war eines der beiden Hausmädchen und schon an die Sechzig. Jetzt kam sie herein, das heißt, eigentlich sah man von ihr nichts, denn sie trug einen riesigen Blumenkorb voll der herrlichsten Orchideen und stellte ihn schwer atmend auf den Boden. »Aber doch nicht hierher!« rief Gisela, ungeduldig lachend. »Dort drüben! Auf die Kommode! Vor den Silberspiegel.«
Otfried stand schnell auf.
»Nein, Gerda, lassen Sie das! Der Korb zerkratzt das Furnier. Man muß erst etwas unterlegen. Womöglich ist der Boden auch feucht.«
»Ach, die alte Kommode! Die müßte ohnehin längst zum Restaurieren«, lachte Gisela abwertend.
»Wenn du nicht auf dem Kleid bestanden hättest, könnte ich sie richten lassen«, erwiderte Otfried ruhig. »Danke, Gerda«, sagte er dann freundlich zu der Hausgehilfin.
»Bitte sehr, Erlaucht«, erwiderte sie und verließ rasch den Raum. Die junge Gräfin war nicht beliebt. Aber wenn man schon so lange im Haus war, dann schluckte man manches.
»Wie kannst du mich vor den Angestellten so blamieren!« fauchte Gisela zornig.
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß es unhöflich ist, die Angestellten einfach zu duzen!« gab er zurück.
Sie starrte ihn fassungslos an. Dann lachte sie spöttisch auf.
»Ach so, du bist eifersüchtig!«
Otfried trat neben sie und packte sie hart am Handgelenk.
»Habe ich Grund?«
»Wenn du meinst!« Sie zuckte herausfordernd mit den Schultern.
»Von wem ist dieser für den guten Geschmack viel zu protzige Blumenkorb?« fragte er, obgleich er es sich denken konnte.
»Ich finde ihn hinreißend«, erwiderte Gisela wieder in provozierendem Ton. »So viele kommen dafür eigentlich nicht in Frage!«
Otfried bückte sich und wollte das Kuvert herausziehen, das zwischen den vielfarbigen Ranken steckte, aber Gisela kam ihm zuvor. Otfried wendete sich zornig ab und setzte sich wieder an den Tisch. Er sah auf, weil Gisela einen kleinen Entzückensruf ausstieß.
»Für die schönste und kostbarste Frau das Schönste und Kostbarste!« las sie triumphierend vor.
»Der Mann ist nicht nur geschmacklos, er hat auch keine Manieren!« stellte Otfried sarkastisch fest.
»Ich finde ihn – großartig!« sagte Gisela und trat an den Tisch. »Schau!«
Otfried sah sie an. Er war blaß und tief gekränkt, doch Gisela schien es nicht zu bemerken.
»Schau!« wiederholte sie und ließ etwas vor seiner Nase baumeln.
Er schloß einen Moment die Augen, als könnte er nicht glauben, was er da sah. Es war ein überwältigend schönes Armband aus Rubinen und Brillanten. Die Morgensonne funkelte in den wertvollen Steinen. Es mußte ein Vermögen wert sein.
»Das gibt es nicht«, murmelte er.
»Tja, von dir bekomme ich so etwas nicht!« gab sie lachend zur Antwort und setzte sich auf ihren Platz ihm gegenüber. Dabei legte sie das Armband um ihr schlankes Handgelenk und bewegte die Hand so, daß die Steine noch mehr blitzten.
»Das ist eine so unglaubliche Unverschämtheit, daß es mir an Worten fehlt«, sagte Otfried nach einer langen Pause. »Selbstverständlich kannst du das Armband nicht behalten!«
»Selbstverständlich werde ich es behalten!« gab Gisela kalt zurück.
»Gisela!« Er sah sie ungläubig an.
»Du weißt doch, daß das unmöglich ist! Das sieht ja aus, als – wärest du käuflich!«
»Jedenfalls bietet er einen guten Preis!« erwiderte sie und lachte wie über einen köstlichen Scherz.
Wütend sprang Otfried auf, lief um den Tisch herum und riß ihr das Armband vom Handgelenk. Sie schrie auf, denn er hatte sie dabei verletzt.
Ein roter Kratzer lief über ihren Arm.
»Da, sieh, was du angerichtet hast! Sei doch froh, wenn jemand anderer mir etwas schenkt, dann kannst du auf deinem Geld sitzen!«
»Du bist ungerecht! Und – du kränkst mich!« Er atmete schwer. »Was ist los mit dir, Gisela? Was ist plötzlich in dich gefahren? Wir sind doch glücklich zusammen! Wir lieben uns doch!« Auf einmal war aller Zorn von ihm gewichen, und er war nur mehr unglücklich.
»Glücklich?« zischte sie, und ihre blauen Augen waren so kalt wie Eis. »Du vielleicht, weil dir überhaupt nicht auffällt, was für ein trostloses Leben ich hier führe! Tagelang sehe ich keinen Menschen…«
»Du wußtest, daß der Besitz relativ einsam liegt –, aber wir sind doch fast jedes Wochenende unterwegs – auf Einladungen oder im Theater oder –.«
»Hör auf! Alles ist so kleinkariert!«
»Mach dich doch nicht lächerlich«, erwiderte er ungeduldig. »Wir verkehren in den allerersten Kreisen.«
»Ja«, gab sie ihm böse zur Antwort, »degeneriert, altmodisch, arrogant und dumm.«
Wieder sah er sie eine Weile stumm an.
»Wann ist dir das aufgefallen? Ich hatte immer den Eindruck, daß du gerne Feste wie das gestrige mitmachst. Vor allem verstehe ich nicht, weshalb du dann so versessen darauf warst, dieses sündhaft teure Modell zu kaufen, wenn du doch auf alle Anwesenden glaubst herabschauen zu können.«
»Weil ich keine Lust habe, wie sie zu sein!« warf sie ihm an den Kopf.
»Und das wurde dir gestern abend bewußt?« fragte er bitter.
»Ja, weil ich einem tollen Mann begegnet bin, einer wirklichen Persönlichkeit.«
»Du weißt nicht, was du redest«, sagte Otfried leise und schaute auf das Armband. Es war wirklich wunderschön: abwechselnd Brillanten und Rubine zu einer Blütenform gefaßt. »Es tut mir leid, daß dir solche Äußerlichkeiten so viel bedeuten.« Er hob den Kopf und suchte ihren Blick. Doch sie wich ihm aus. »Ich werde Mr. Burn das Armband zurückschicken und ihn auffordern, sich nicht mehr bei dir zu melden.«
»Das wirst du nicht tun!« schrie Gisela unbeherrscht, sprang auf und riß ihm das Armband aus der Hand.
»Du kannst es nicht behalten. Wenn du es behältst…« Er suchte nach Worten. Das bedeutete, daß er sich von ihr trennen mußte! Und – er liebte und begehrte sie doch! Das Herz blutete ihm. Sah sie denn nicht, was sie ihm antat?!
»Gisela! Ich liebe dich! Ich liebe dich mehr als alles! Ich dachte immer, wir wären zusammen glücklich! Bitte, Gisela…«
Er schlug die Hände vors Gesicht, um die Tränen zurückzuhalten.
Sie betrachtete ihn nachdenklich. Vielleicht sollte sie erst noch mit John sprechen, bevor sie ihm sagte, wie sehr er sie langweilte, mit seiner Liebe zur Heimat und zur Tradition und all diesen langweiligen Dingen.
»Ich werde es…« Im letzten Moment verschluckte sie den Vornamen und sagte statt dessen: »Ich werde es Mr. Burn zurückgeben. Und mich bedanken. Und ihm sagen, daß es bei uns nicht üblich ist, solche Geschenke zu machen. Aber ich möchte es selbst tun«, sagte sie schnell, als er sie unterbrechen wollte. »Wahrscheinlich ist so ein Geschenk in seinen Kreisen wie bei uns ein Blumenstrauß. Ich möchte ihn nicht beleidigen. Er ist Amerikaner – und kennt wahrscheinlich unsere Gepflogenheiten nicht…«
Otfried schloß sie heftig in die Arme.
»Danke! Ich wußte, du hast nur nicht überlegt! Ich bin so froh…«
Er sah nicht, wie sie spöttisch lächelte.
»Schon gut«, erwiderte sie sanft. »Ich kenne ja dein Temperament – und deine Eifersucht!« Und sie ließ es zu, daß er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte.
Sie war nicht leichtfertig! Sie war nur – naiv! Wie ein Kind, das sich über ein Spielzeug gefreut hatte und es dann nicht behalten durfte. Vielleicht ein wenig oberflächlich… aber im Grunde – liebte sie ihn genauso wie er sie.
Otfried wollte es nicht anders sehen.
*
John Burn saß mit den Direktoren zweier Großbanken und eines internationalen Konzerns im Salon seiner Hotelsuite. Sie verhandelten wegen Investitionen und der Eröffnung von Niederlassungen in den neuen EU-Ländern. Als sein Butler den Salon betrat, sah er unwillig auf.
»Ich hatte ausdrücklich gesagt, ich wolle nicht gestört werden!«
»Verzeihung, Mr. Burn, eine Gräfin Erbach ist am Empfang. Sie läßt sich nicht abweisen!«
»Ach!« John Burn erhob sich. Seine Augen blitzten triumphierend. »Meine Herren, ich denke, wir sind uns soweit im klaren. Sprechen Sie nochmals mit Ihren Vorständen, und dann sehen wir uns Anfang nächster Woche noch einmal.«
Man verabschiedete sich schmunzelnd und verständnisvoll. Es war gut, Burn bei Laune zu halten, auch wenn vielleicht noch die eine oder andere Frage offenstand. Burn begleitete sie bis zum Lift, während sein Butler dem Chefportier mitteilte, die Gräfin würde erwartet.
Burn zupfte sich vor dem Spiegel in seinem Ankleidezimmer noch Krawatte und Manschetten zurecht, als er durch die halboffene Tür hörte, daß Gisela die Suite betrat und der Butler sie in den Salon bat. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel – er war mit sich zufrieden.
John Burn war ein großer, sehr schlanker Herr von Mitte Vierzig. Er hatte das schmale, hochgezüchtete Gesicht seiner Mutter geerbt und ihre edlen Hände. Kombiniert mit dem scharfen, rigorosen Verstand seines Vaters war das eine Garantie für Erfolg. Er war zweimal verheiratet gewesen: das erste Mal, er war damals sehr jung, aus Liebe mit der gleichfalls sehr jungen Tochter eines anderen Ölkonzerns. In jeder Hinsicht eine erfreuliche Verbindung. Aber Mildred starb im Kindbett. Ihr Sohn war inzwischen Anfang Zwanzig und versprach, in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Nach einer Menge Affären mit Damen der internationalen Gesellschaft und berühmten Schönheiten aus dem Showgewerbe heiratete er nochmals. Wieder eine Tochter aus der Hochfinanz. Doch diese Ehe ging trotz eines kleinen Mädchens im ersten Jahr bald in die Brüche. Es war von beiden Seiten eine reine Vernunftehe gewesen, und sie fanden es nach zwei Jahren schlicht langweilig. Man trennte sich in bestem Einvernehmen. Und John fand, daß ein Mann wie er besser fuhr, wenn er sich nicht fest band und auf niemanden Rücksicht zu nehmen hatte.
Zumindest die letzten zehn Jahre war das seine Ansicht gewesen.
Jetzt, als er Gisela gegenüber trat, war er sich nicht mehr so sicher.
»John!« rief sie theatralisch und warf sich ihm in die Arme. »Ich bin ja sooo glücklich!«
»Mein armes Häschen!« sagte er und lachte. »Was ist denn passiert?«
»Du nimmst mich nicht ernst!« schmollte sie und schob ihn von sich. Sie hatte sich lange überlegt, was sie anziehen sollte, und sich dann für ein todschickes Kostüm entschieden, dessen Rock vielleicht drei Zentimeter zu kurz war, um klassisch zu sein, dafür aber mehr von ihren bemerkenswerten Beinen zeigte. Es war eine leichte Wolle in frischem Maigrün, mit einer kunstvoll bestickten Weste, apart und sehr ausgefallen. Und mit den langen, offenen goldblonden Locken sah sie eher wie Anfang Zwanzig als wie achtundzwanzig aus –, obwohl das vielleicht bei John nicht so wichtig war.
»Ich nehme dich todernst«, erwiderte er amüsiert. Natürlich merkte er, daß sie Theater spielte, aber – sie gefiel ihm, wie sie war: eine erstklassige Entspannung nach der Arbeit, bildschön und bester Stil
Gisela holte das Armband aus ihrer Handtasche und legte es mit einem Seufzer auf den Tisch. »Ich darf es nicht behalten!«
John lachte laut auf.
»Häschen, mach dich nicht lächerlich!«
»Mein Mann erlaubt es nicht«, gab sie ärgerlich zur Antwort. »Er ist zu geizig, um mir etwas zu schenken, und erlaubt nicht, daß mir jemand anderer etwas schenkt!«
»Nein, so etwas!« Otfried verstand den Grafen nur zu gut. »Behalte es trotzdem – und trage es einfach nur, wenn du ohne ihn ausgehst!«
»Ach, das erlaubt er ja auch nicht!« klagte Gisela nicht ganz wahrheitsgemäß.
»Du Ärmste! Sitzt in einem goldenen Käfig!«
»Von wegen golden! Überall rieselt der Putz und alles gehörte eigentlich restauriert. Wir leben wie die Bauern.«
Wieder lachte er amüsiert.
»Wie gut, daß man es dir nicht ansieht!«
»Du machst dich nur lustig über mich!«
»Aber nein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß das Landleben nichts für dich ist«, erwiderte er nur ernst, legte den Arm um sie und führte sie zum Sofa. »Möchtest du etwas trinken? Essen? Oder was kann ich für dich tun?«
»Ich – weiß nicht…«, murmelte Gisela. Schließlich konnte sie ihm nicht sagen, daß er sie mitnehmen sollte! Weg von hier und Otfried.
John verstand sie auch so. Er nahm sie in die Arme und drückte sie sanft zurück auf das Sofa. Mit einem Seufzer schlang sie ihre Arme um seinen Nacken. Er küßte sie langsam und bedächtig. Er war geschickt und erfahren, und ihr Rock war angenehm kurz. Sie kam ihm mit einer Leidenschaft entgegen, die nicht zu ihrer sonstigen Rolle des unschuldigen, kleinen Mädchens paßte.
»Wie oft hast du deinen Mann schon betrogen?« fragte er später.
»Noch nie!« erwiderte sie empört, und weil er sie zweifelnd ansah, fügte sie zornig hinzu: »Wir sind schließlich erst drei Jahre verheiratet!«
»Ach so!« Das war ein Grund.
»Und da war auch niemand, der mir besser gefallen hätte als Otfried«, sagte sie nachdenklich. »Nur, als ich dich sah –, da wußte ich, daß das die Welt ist, in die ich gehöre. Nicht die einer braven Landedelfrau.«
»Da hast du wohl recht«, gab er zur Antwort und streichelte ihren makellosen Körper. Er hatte viele schöne Frauen besessen: Models, Schauspielerinnen, Damen der Gesellschaft – aber ganz zweifellos war Gisela eine der schönsten. Wenn nicht überhaupt die schönste. Und sie war so jung… John war in dem Alter, in dem er die Jugend bewußt schätzte und genoß. »Ich bin noch einige Zeit hier in Europa. Meinst du, du kannst mich gelegentlich sehen?«
»Ja!« hauchte sie, ohne nachzudenken. »Oh, John, ich glaube, jetzt bin ich noch mehr in dich verliebt. Du bist ein wunderbarer Liebhaber!«
»Besser als Otfried?« fragte er und fand sich selbst albern, weil das die Frage eines jeden Mannes nach seinen Vorgängern war.
»Viel besser!« erwiderte Gisela prompt.
Und er beschloß, es zu glauben.
*
Gisela spielte die Beleidigte länger als sonst. Otfried gab sich große Mühe, sie zu versöhnen, und verwöhnte sie, mehr als er eigentlich konnte. Sie war aus seinem Schlafzimmer ausgezogen, und er sehnte sich nach ihr und ihrer Zärtlichkeit. Sie war ständig unterwegs – aber er wagte nicht, es ihr zu verbieten, obwohl er krank vor Eifersucht war. Trotzdem konnte er sich einfach nicht vorstellen, daß sie ihn betrog. Daß es jemand anderes gab. Er glaubte ihr alles, was sie ihm erzählte.
Und dann fand er sie eines Abends wieder in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer. Er war so glücklich, daß es ihm an Worten fehlte und er sie nur mit Küssen und Zärtlichkeiten überschüttete. Gisela ließ es sich seltsam unbeteiligt gefallen, aber nicht einmal das fiel ihm auf in seiner Erleichterung, sie wieder bei sich zu haben.
Eine Woche später, Burn kam von einer Reise nach Osteuropa zurück, erklärte Gisela ihrem Mann, daß sie in der Stadt etwas zu erledigen habe. Sie verriet nicht, was.
Er sah sie aufmerksam an. Irgendwie war sie ihm während der letzten Tage verändert vorgekommen. Sie war blaß, hatte dunkle Schatten unter den Augen und ihr Haar glänzte nicht so wie sonst.
War sie etwa – schwanger?
Er wollte schon fragen, vermied es aber dann. Vermutlich wollte sie einen Arzt konsultieren, um sicher zu sein, bevor sie etwas sagte. Wahrscheinlich war sie deshalb die vergangenen Monate so unausgeglichen gewesen. Seit dem Ball vor – ja, ungefähr acht Wochen.
Seit einer Woche war sie wieder wie früher. Nein, eigentlich nicht: ruhiger… Otfried atmete auf.
Gisela wußte seit zwei Wochen, daß sie schwanger war. Sie hatte, gleich nachdem ihre Periode ausblieb, einen Arzt in der Stadt konsultiert.
Aber, da sie sich nicht so sicher war, wie er reagieren würde, hatte sie Vorsorge getroffen, daß Otfried glauben konnte, es sei von ihm.
Heute würde sie mit John sprechen, und von ihm hing alles weitere ab.
Er war noch geschäftlich unterwegs, als sie in seiner Hotelsuite eintraf, aber der Butler wußte Bescheid und empfing sie wie die Ehefrau seines Herrn.
Giselas Nervosität wuchs mit jeder Minute, die sie auf John wartete.
Endlich hörte sie im Vorzimmer seine Stimme, und gleich darauf kam er in den Salon.
»Was für eine angenehme Überraschung nach diesem entsetzlichen zähen Gespräch!« begrüßte er sie liebevoll und küßte sie. Dann schob er sie ein wenig von sich und musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. »Ist etwas – anders?«
»Was soll anders sein?« fragte Gisela vorsichtig.
»Hast du dich mit deinem Mann versöhnt?«
Sie lachte erleichtert auf: er hing an ihr! Gott sei Dank!
»Aber nein!« erwiderte sie und sah ihm fest in die Augen. »Wir bekommen ein Baby.«
»Wirklich?«
Oh, er schien sich zu freuen! Richtig zu freuen! Dem Himmel sei Dank.
»Du bist nicht böse? Ich fürchtete schon…!«
»Was für ein Unsinn! Ich freue mich wirklich! Du kommst jetzt natürlich mit mir in die Staaten.«
»Und – und – dort?«
»Nun, da sorgen wir für eine Blitzscheidung und heiraten!«
Sie fiel ihm um den Hals, und die Tränen, die sie jetzt weinte, waren echt.
»Ich bin so froh, John, ach, so froh!«
»Nicht weinen, mein Häschen! Werdende Muttis müssen immer gut gelaunt sein. Das ist gesund für sie selbst und das Kind!«
»Du freust dich wirklich?« fragte sie und lachte unter Tränen. »Du hast doch schon Kinder!«
»Ach, mein Sohn ist erwachsen und meine Tochter lebt bei ihrer Mutter. Hoffentlich wird es ein Mädchen, das ebenso aussieht wie du!«
»Hoffentlich wird es ein Junge, der genauso ist wie du!« gab Gisela verliebt zur Antwort.
Sie schien ja wirklich in ihn verliebt zu sein! Nicht nur in das, was er darstellte! John Burn hatte das Gefühl, wieder ganz jung zu sein.
*
»Wo ist Seine Erlaucht?« rief Gisela, als sie die Eingangshalle des Schlosses betrat. Ein Diener kam ihr diensteifrig entgegen. Sie warf ihm die Autoschlüssel zu und eilte durch die Diele zu dem am Ende des Ganges liegenden Arbeitszimmer ihres Mannes. »Kommen Sie!« rief sie ungeduldig, weil der Diener noch in der Halle stand. Er lief ihr nach und hob die Handschuhe und dann die Jacke auf, die sie einfach hatte fallen lassen. »Was ist? Ist er hier?« fragte sie ungeduldig, weil der Mann nicht geantwortet hatte.
»Jawohl, Euer Erlaucht!« sagte der Mann und verwünschte sie im stillen.
»Schlecht geschultes Personal!« stellte Gisela fest. Nun, das würde in Zukunft anders aussehen. Auf den Gedanken, daß sie ja etwas in dieser Richtung hätte unternehmen können, kam sie überhaupt nicht.
»Wie konnte der Graf nur auf diese Person reinfallen?« brummte der Diener und hoffte beinahe, daß sie es mitbekommen würde.
Aber Gisela hatte bereits die Tür aufgerissen.
Otfried saß am Schreibtisch und sah die Rechnungen durch. Wenn Gisela vernünftig war, dann kam er ohne einen weiteren Einschlag im Wald aus. Doch wenn seine Vermutung zutraf… Er schrak zusammen, als die Tür aufflog.
»Otfried! Ich muß dich sprechen!« rief Gisela. Sie war entschlossen, es ihm sofort mitzuteilen. Solange sie noch den Mut zu einer Aussprache hatte. Hoffentlich machte er ihr keine Szene!
»Gisela!« Er sprang mit strahlendem Gesicht auf. »Es stimmt? Du bekommst ein Baby? Ich habe so etwas vermutet, du warst so verändert in letzter Zeit. Oh, ich freue mich ja so!«
Er war um den Tisch herumgelaufen und schloß seine völlig verblüffte Frau fest in die Arme.
»Ich habe es mir ja schon so lange gewünscht. Du machst mich so glücklich, mein Liebling. Weißt du, wie sehr ich dich liebe? Ich glaube, ich habe es dir in den letzten Tagen viel zu wenig gesagt. Aber – du warst so – abweisend. Wahrscheinlich hängt das mit deinem Zustand zusammen! Ach, Liebes!« Und wieder drückte er sie innig an sich.
Gisela war zumute, als hätte man ihr einen Kübel kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Mit dieser Reaktion hatte sie wahrlich nicht gerechnet. Das würde ja eine fürchterliche Szene geben, wenn sie ihm die Wahrheit eröffnete! Nein, das tat sie sich nicht an. Sollte er es glauben, bis sie aus dem Haus war.
»Drück mich nicht so fest, Otfried! Du tust mir weh!« sagte sie, und er ließ sie besorgt sofort los.
»Entschuldige, mein Liebling! Wann ist es denn soweit?« Er führte sie zu einem Sessel, aber sie wollte sich nicht setzen.
Sie wollte so schnell wie möglich auf ihre Zimmer, ihre persönlichen Dinge zusammenpacken und fliehen. Aus dieser ländlichen Langeweile – und vor seiner Liebe, die ihr so lästig geworden war.
»Nein, ich möchte mich ein wenig hinlegen«, antwortete sie geistesabwesend.
»Natürlich«, stimmte Otfried sofort zu. »Du mußt dich schonen! Aber verrate mir noch schnell…«
»Ich bin Ende des zweiten Monats.«
»Ja! Da mußt du sehr aufpassen, daß du dich nicht übernimmst!«
»O ja, das werde ich!« erwiderte sie ein wenig spöttisch, und als er sie erstaunt ansah, fügte sie beruhigend hinzu: »Es ist keine Krankheit! Es ist etwas ganz Natürliches!«
Er küßte sie, legte den Arm um sie und geleitete sie zur Tür.
»Ich bin gleich soweit! Dann komme ich zu dir!«
Guter Gott! Konnte er sie nicht in Ruhe lassen?!
»Bitte nicht! Womöglich bin ich gerade eingeschlafen. Ich komme zu dir, sobald ich mich etwas – ausgeruht habe.«
»Du hast recht, mein Herz! Ganz wie du willst!« Er küßte ihr nochmals mit glücklichem Lächeln beide Wangen und die Hände und zuletzt ganz zart ihre Lippen.
Es geschieht mir ganz recht, dachte Gisela halb verärgert, halb amüsiert. Ich müßte ihn doch kennen und wissen, wie überschwenglich er in seinen Gefühlen ist.
Ich hätte gar nicht versuchen sollen, mit ihm zu reden. Man muß sich das Leben nicht unnötig schwer machen.
Sie stand vor ihren riesigen, gedrängt vollen Kleiderschränken und überlegte, was sie anfangen sollte.
Ach was! Sie würde sich ihre Sachen nachschicken lassen – nur das Nötigste, was sie für einen Tag brauchte, nahm sie mit. Bestimmt würde John nichts dagegen haben, wenn sie ohne alles zu ihm kam und sich nach seinen Wünschen neu einkleidete.
Gisela packte nur ein kleines Köfferchen, das freilich ziemlich schwer war, denn ihren Schmuck ließ sie nicht zurück. Auch wenn er nicht besonders wertvoll war, er war antik – und damit etwas Besonderes!
Jetzt blieb ihr nur mehr die unangenehme Aufgabe, Otfried zu schreiben.
Nach dem fünften Versuch, es ihm nicht zu unbarmherzig mitzuteilen, gab sie auf.
»Je sachlicher, um so besser«, sagte sie aufmunternd zu sich selbst. »Schließlich ändert all das Gesülze nichts an den Tatsachen.«
Lieber Otfried, mir ist schon lange klar, daß wir im Grunde nicht zueinander passen. Du liebst dieses zurückgezogene Dasein, und ich langweile mich zu Tode. Es hat keinen Sinn, daß wir uns gegenseitig das Leben schwer machen. Deshalb verlasse ich Dich, da ich jemanden kennengelernt habe, der mich liebt und den auch ich liebe. Das Kind ist nicht von Dir, sondern von John Burn. Ich wünsche Dir alles Gute für die Zukunft und eine Frau, die zu Dir paßt. Ein paar schöne Stunden hatten wir ja – und für die danke ich dir herzlich. Gisela.
Sie überflog das Schreiben und fand, daß es eigentlich sehr nett und liebevoll klang. Nun, er hatte ihr ja auch nicht wirklich etwas angetan – außer, daß er sie gelangweilt hatte!
Sie steckte das Schreiben in ein Kuvert, das sie mit ihrem Siegelring versiegelte. Dann zog sie ein elegantes Seidenkleid an und darüber ihren nerzgefütterten Trenchcoat.
An der Tür sah sie sich nochmals um: Nein, es war nicht wirklich schlecht gewesen –, aber jetzt wurde es um einiges besser!
Auf dem Gang begegnete sie der alten Frau Julie Effner, die sie mißtrauisch musterte, nachdem sie höflich gegrüßt hatte. Aber die schaute sie ja immer so an! Gisela lachte kurz auf.
»Ich muß nochmals weg, Frau Effner. Auf meinem Frisiertisch liegt eine Nachricht für Seine Erlaucht. Sorgen Sie dafür, daß er sie erhält!« Beschwingt eilte sie den Gang hinunter.
Das war geschafft! Ihr Leben im Jet-Set konnte beginnen!
*
Da stimmt doch etwas nicht, dachte Julie und sah der Gräfin nach. Dann ging sie zögernd in deren Ankleidezimmer und nahm das Kuvert von der Frisierkommode.
Julie war seit über fünfzig Jahren im Dienst der Grafen Erbach. Sie war vierzehn gewesen, als sie als zweites Hausmädchen anfing. Dann schickte die Großmutter des jetzigen Grafen sie auf eine internationale Kochschule, und später schickte seine Mutter sie auf einen Kurs für Kinderpflege, da sie niemandem so vertraute wie Julie. Inzwischen stand sie dem Haushalt vor. Und so, wie es aussah, würde sie das noch einige Zeit tun! Jetzt war sie fünfundsechzig, und wenn man sie fragte, ob sie nicht bald in Rente gehen würde, erklärte sie nur: Niemals, solange ich gebraucht werde!
Sie war eine kleine, drahtige, noch immer flinke Person mit einem strengen, grauen Knoten im Nacken, klugen, wachen, hellen Augen und freundlichen roten Apfelbäckchen. Energisch und hundertprozentig zuverlässig beaufsichtigte sie den keineswegs unkomplizierten Haushalt. Niemand vom Personal erlaubte sich, gegen sie aufzumucken. So liebenswürdig und hilfsbereit, wie sie war, so unausstehlich konnte sie sein, wenn man sich nicht für die Herrschaft anstrengte.
Auch für die Gräfin Gisela! Obwohl jeder wußte, daß sie diese nicht ausstehen konnte! Sie hätte ›ihrem Grafen‹ eine andere Frau gewünscht. Vielleicht nicht so schön – dafür aber mit einem weichen und warmen Herzen.
Frau Julie drehte das Kuvert in ihrer Hand hin und her: aber es war versiegelt! Und das schwere Büttenpapier ließ nichts durchscheinen. Aber daß es etwas Unangenehmes, etwas sehr Unangenehmes war, dafür hätte sie ihre Seligkeit verwettet.
Es half nichts. Sie mußte den Auftrag ausführen. Wahrscheinlich war es immer noch besser, der Graf wußte Bescheid – als man verheimlichte ihm etwas.
Sie klopfte an die Tür zu seinem Arbeitszimmer. Sein ›Herein!‹ klang so laut und fröhlich wie schon seit Wochen nicht mehr. Irgendwie hatte Julie das Gefühl, daß dadurch alles noch schlimmer würde.
»Störe ich?« fragte sie und blieb unter der Tür stehen.
»Meine liebe, gute Julie!« rief Otfried lachend. »Du kannst doch gar nicht stören! Komm rein, mach die Tür hinter dir zu! Ich muß dir eine wunderbare Neuigkeit mitteilen. Vorläufig wissen nur meine Frau und ich Bescheid, und es soll auch noch unter uns bleiben. Nur dir erzähle ich es, weil – ja, weil du eben unsere Julie bist!«
Wenn sie allein waren, duzte Otfried Julie, so wie er es als kleiner Bub getan hatte. Und auch sie sagte dann gelegentlich ›Du‹ und ›Graf Otfried‹. Und manchmal, in besonderen Situationen, sagte sie sogar nur ›Otfried‹.
»Otfried«, begann sie jetzt zögernd, »ich habe hier einen Brief für dich!«
»Das kann warten!« unterbrach er sie mit einem glücklichen Lächeln. »Julie: wir brauchen eine neue Haushälterin!« Er lachte, weil sie ihn so erschrocken ansah. »Du errätst nicht, weshalb?« Aber er wartete nicht ab, was sie sagte, sondern fuhr fort: »Weil du die Pflege unseres Kindes übernehmen sollst! Gisela ist Ende des zweiten Monats!«
Julie brachte vor Schrecken keinen Ton heraus.
»Was ist los? Warum sagst du nichts? Freust du dich etwa nicht?« Er legte ihr die Hände auf die Schultern und schüttelte sie sanft.
»Otfried«, flüsterte sie und hielt ihm den Brief hin. Er erkannte Giselas Schrift und ließ Julie abrupt los.
»Ein Brief?« murmelte er und riß ungeduldig das Kuvert auf.
Eigentlich hatte er es schon gewußt, als er die Schrift erkannte. Er las den Inhalt und merkte nicht, wie seine Hände bebten. Er war kreidebleich und sank in sich zusammen, als wäre er ein alter Mann. Dann drehte er sich langsam um und schlurfte zum Fenster. Ohne etwas zu sehen, starrte er in den herbstlichen Park hinaus. Der Brief war ihm aus den Händen geglitten und lag vor Julie auf dem Boden.
Sie bückte sich und hob ihn auf und überflog ihn. Gott im Himmel, wie konnte diese Frau ihm das antun! Einem Menschen, der sie über alles geliebt und auf Händen getragen hatte! Der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas und sogar bereit war, seinen Betrieb zu belasten, nur damit sie sich wieder irgendeine Laune leisten konnte. Die Frau hatte kein Herz.
Froh sollte er sein, daß sie fort war!
Aber diese feige, hinterhältige Art! Ihm vorher noch von einem Kind zu erzählen und dann – dies!
»Ich lege den Brief auf den Schreibtisch«, sagte sie leise, weil er noch immer unbeweglich am Fenster stand.
»Verbrenn ihn!« stieß er hervor. Und weil sie Anstalten machte, den Raum zu verlassen, fuhr er ungeduldig fort: »Jetzt! Hier! Sofort!«
»Ja!« sagte Julie leise und wünschte, er wäre noch ein kleiner Bub, den sie in den Arm nehmen und mit einem Stück Schokolade trösten konnte. Sie trat an den Schreibtisch, wo das silberne Tischfeuerzeug mit dem eingravierten Wappen stand, das Gisela ihm zu ihrem ersten gemeinsamen Weihnachten geschenkt hatte, und zündete das Schreiben an. Sie ließ es in den großen Aschenbecher fallen, der noch von seinem Vater her da stand. Sein Vater war ein starker Raucher gewesen.
Jetzt drehte Otfried sich um. Sie sah, daß sein Gesicht naß von Tränen war.
»Otfried«, sagte Julie bittend.
»Laß mich in Frieden!« fuhr er sie an. »Nimm das alles mit! Das Feuerzeug, den Brieföffner, den Füller – alles, was von – ihr ist! Ich will es nicht mehr sehen!«
»Was soll –«, ich damit tun, hatte sie fragen wollen, doch er ließ sie nicht ausreden.
»Mach damit, was du willst! Wirf es in den Müll! Nur: ich will es nicht mehr sehen! Auch das nicht!« schrie er auf, wie von einem plötzlichen Schmerz getroffen, und schleuderte das silbergerahmte, repräsentative Foto von Gisela ihr vor die Füße, daß das Glas splitterte. »Räume alles weg, was von ihr ist! Alles! Und frage mich um nichts! Und jetzt laß mich allein – ich will niemanden sehen!«
Julie sammelte das Bild und die Glassplitter auf und verließ den Raum.
Die nächsten Tage hörte und sah man den Grafen nicht. Er verließ das Schloß durch einen Hinterausgang und rannte ziellos im Wald herum. Er aß so gut wie nichts von dem, was ihm Julie auf sein Zimmer brachte. Er benützte nicht mehr das gemeinsame Schlafzimmer, er hatte sich ein notdürftiges Lager in seinem Arbeitszimmer gerichtet.
Kurz nach dem Auszug der Gräfin, Julie hatte ihre persönlichen Dinge und Kleider zusammenpacken und ihr nachschicken lassen, kam das Schreiben eines Anwalts.
Die Gräfin stelle keinerlei Ansprüche, sie wolle nur ihre Freiheit.
Graf Otfried faxte zurück: Einverstanden!
Einige Wochen danach erhielt er die Mitteilung, daß er geschieden sei.
Natürlich ging die interessante Geschichte durch sämtliche Medien: die schönste Frau Europas und der reichste Mann Amerikas… Julie sorgte dafür, daß ›ihrem Jungen‹ keine solchen Zeitungen und Zeitschriften in die Hände fielen.
Sämtliche Anrufe, ob mitleidig oder schadenfroh, wurden von seinem Sekretariat entgegengenommen. Otfried reagierte auf keinen.
Als er offiziell geschieden war, entließ Graf Otfried sämtliche weiblichen Hausangestellten. Sie wurden gut entlohnt – aber er wollte keiner Frau im Schloß begegnen. Und auch im Gutsbetrieb erhielten sie die Anweisung, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen.
Auch Julie Effner erhielt eine Kündigung.
Sie stürmte empört in sein Zimmer.
»Das denkst du wohl, daß ich von hier weggehe! Niemals! Ich sorge weiter für dich, ob du es willst oder nicht. Und im übrigen ist es in meinem Alter wirklich egal, ob man ein Mann oder eine Frau ist. Also, finde dich mit mir ab!«
Otfried, der hager und grau an seinem Schreibtisch saß, mußte unwillkürlich lachen.
»Na, also«, sagte Julie. »Ich hoffe, du kommst bald wieder zu Verstand!«
Als sie ihn verließ, begegnete sie auf dem Gang dem Gutsverwalter und dem Förster, die beide auf dem Weg zum Grafen waren. Sie lachten und waren bester Stimmung.
»Grüß Gott, Frau Effner. Ist Seine Erlaucht da?«
»Ja! Aber lachen Sie nicht: er ist zur Zeit sehr schwierig!« mahnte sie.
»Wir bringen gute Nachrichten«, erwiderte der Verwalter.
»Im Augenblick gibt es für ihn keine guten Nachrichten!« erwiderte Julie streng.
»Er sollte froh sein«, meinte der Verwalter. »Schon jetzt, nach zwei Monaten merkt man, daß es mit dem Betrieb aufwärts geht. Es werden nicht mehr diese Unsummen herausgezogen.«
»Das wird ihn vielleicht in ein paar Monaten freuen«, warnte Julie. »Aber machen Sie jetzt um Himmels willen keine Andeutung über die Ursache dieses Aufschwungs!«
»Wir werden uns hüten!« versprach der Förster.
Im Grunde bedauerte niemand, daß die schöne Gräfin verschwunden war. Auch wenn allen ihr Herr leid tat und es wegen seiner ungewohnten Ungeduld und Reizbarkeit im Moment alles anders als einfach mit ihm war.
*
Otfried war eigentlich ein begeisterter Jäger und ein ausgezeichneter Schütze. Auch deshalb war er auf den herbstlichen Treib- und Drückjagden ein gern gesehener Gast. Nicht nur, weil er einen erstklassigen Namen und Charme besaß und hervorragend gut aussah. Nachdem einige Zeit verstrichen war und die Medien sich nicht mehr mit den neuesten Nachrichten über die geschiedene Gräfin Erbach und ihren jetzigen Ehemann John Burn überschlugen, glaubte man, genügend taktvoll gewesen zu sein, und überschüttete Otfried mit Einladungen zu Jagden, Reitjagden und anderen Festen aller Art. Schließlich war er wieder frei – und somit erneut auf dem Heiratsmarkt.
Otfried unterdrückte seinen Zorn und ließ samt und sonders sämtliche Einladungen von seinem Sekretär absagen. Die Vorstellung, jemand könnte ihn auf Gisela ansprechen, taktlos oder, noch schlimmer, mitleidig sein, erfüllte ihn geradezu mit Panik. Er vermied es, so weit wie nur möglich, seinen Betrieb und die dazu gehörigen Ländereien und Waldungen zu verlassen, und sogar auf die Jahresversammlung der Wald- und Grundbesitzer schickte er seinen Verwalter.
Seine Angestellten sorgten sich. Nicht nur um ihren Herrn! Auch darum, ob er sie nicht doch eines Tages entlassen würde, den Betrieb verkleinern, verkaufen oder verpachten.
Auch Frau Julie sah mit wachsender Besorgnis, wie er sich immer mehr verschloß und immer ausgefallenere Wege erdachte, um möglichst niemandem zu begegnen. Als Förster Haselhuber ihr bekümmert erzählte, daß Seine Erlaucht nur mehr telefonisch mit ihm sprach, entschloß sie sich, mit ihrem Grafen Otfried ein ernsteres Wörtchen zu reden.
»Was wollen Sie? Ich habe doch ausdrücklich angeordnet, daß ich nicht gestört werden will!« empfing er sie, als Juli, ohne zu klopfen, in sein Arbeitszimmer kam. Das war ein ermunternder Empfang: Schon daß er ›Sie‹ sagte!
Frau Julie schluckte. Es ging ihrem ›Buben‹ zu schlecht, als daß sie es sich hätte leisten können, beleidigt zu sein.
»Graf Otfried«, sagte sie, nachdem sie ihr Gekränktsein auf später einmal verschoben hatte, »so geht es nicht weiter. Das ist diese Person einfach nicht wert!«
Er sprang auf und wollte wütend etwas entgegnen, aber sie erhob ihre Stimme, so daß sie ihn überschrie.
»Jawohl, Otfried! Außer dir hat jeder gesehen, daß sie ein oberflächliches und leichtfertiges Ding ist. Was sie schließlich auch bewiesen hat. Du weißt ja gar nicht, wie sie mit den Leuten umsprang! Alle sind froh, daß sie weg ist, auch wenn sie dich bedauern. Verstehen kann es freilich niemand, daß du so traurig bist. Du mußt doch selber merken, wie es mit dem Betrieb aufwärts geht.«
»Hinaus!« sagte Otfried mit eisiger Stimme.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?« fragte sie unbeirrt.
Er starrte seine aufmüpfige, alte Kinderfrau an. Er wußte, daß sie nur das Beste für ihn wollte. Trotzdem… Was hatte sie gesagt? Erst jetzt drangen ihre Worte in sein Bewußtsein.
Seine wunderschöne Gisela war bei den Leuten unbeliebt gewesen? Er hatte es nicht gemerkt, so blind verliebt, wie er all die Jahre gewesen war.
Natürlich, daß sie eitel und verschwenderisch war, hatte nicht einmal er übersehen können. Genauso wenig wie, daß die ständigen Schwierigkeiten im Betrieb aufgehört hatten. Er mußte seine leitenden Angestellten nicht länger zu etwas überreden, was gegen ihre Ansicht war – und im Grund auch gegen seine eigene.
Hatten seine Freunde und Verwandten das auch so gesehen? Bestimmt waren sie zumindest hellsichtiger als er gewesen.
Aber trotzdem: er liebte sie! Er sehnte sich nach ihr! Und es traf ihn zutiefst, daß sie von ihm kein Kind gewollt hatte, von diesem Amerikaner aber sofort schwanger wurde.
Ja, das war es wohl, was ihn am meisten schmerzte: sie hatte kein Kind gewollt.
Sie hatte immer nur behauptet, noch einige Zeit seine ungeteilte Liebe haben zu wollen, hatte nur vorgegeben, daß es ›nicht klappen‹ würde.
Und er hatte alles geglaubt, weil er es glauben wollte.
»Nun?« fragte Julie, weil er noch immer schweigend da saß und vor sich hin starrte.
»Glaubst du, es tut weniger weh, wenn ich mir das alles klar mache?« fragte er leise.
»Nein«, gab sie voller Mitleid zu. »Aber vielleicht hilft es dir, schneller darüber hinwegzukommen. Warum gehst du nicht unter Menschen? Und wenn es nur ist, um dich abzulenken.«
Er schüttelte nur abweisend den Kopf.
»Wenigstens so treue Leute wie den Verwalter und den Haselhuber solltest du nicht so vor den Kopf stoßen.«
Otfried seufzte. Er wußte, daß sie recht hatte.
»Nimm dir für das kommende Jahr vor, daß du allen Ärger und Kummer im alten Jahr zurückläßt!«
Er sah sie an und mußte trotz allen Schmerzes und aller Bitterkeit lachen.
»Julie, ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich Silvester weiß Gott was vornehmen, um es bereits am 1. Januar nicht einzuhalten.«
»Um so besser, dann hältst du es eben ein!« fand sie.
»So leicht ist das nicht«, gab er traurig zur Antwort.
»Ich behaupte ja auch nicht, daß es leicht ist. Aber man muß oft eben auch das Schwere tun. Den leichten Weg bist du seit deiner Heirat gegangen, indem du einfach die Augen zugemacht hast!«
Er wollte auffahren, unterließ es aber dann. Sie hatte ja recht.
»Du mußt einen Baum für Weihnachten besorgen!« sagte sie energisch. »Es geht nicht, daß wir mit dem alten Brauch brechen, in der Halle einen großen Christbaum aufzustellen und dort die Angestellten zu beschenken.«
Otfried holte tief Luft, als wolle er protestieren.
»Nein!« rief Julia zornig. »Wenn du das nicht tust, dann bin ich dir ernsthaft böse!«
Wieder mußte er lachen. Er stand auf, ging um seinen Schreibtisch herum und nahm die alte Frau in die Arme.
»Das riskiere ich natürlich nicht, Julie! Ich werde heute oder morgen in den Wald gehen und einen Baum aussuchen, der geeignet ist. Und dann werde ich höchstpersönlich dem braven Haselhuber mitteilen, wo er steht, damit er ihn schlagen und her transportieren läßt.«
»Puh!« machte Julie. Das war keine einfache Unterredung gewesen. Und wenn sie ehrlich war, dann war sie sich keineswegs sicher gewesen, daß er so reagieren würde, wie er glücklicherweise reagiert hatte.
»Ich weiß, daß du recht hast. Daß alle recht haben. Aber – es macht es nicht einfacher, daß ich mich wohl auch noch lächerlich gemacht habe!«
»Sei jetzt du nicht auch noch oberflächlich! Durch Liebe macht sich kein Mensch lächerlich!« erklärte Julie und verließ sein Arbeitszimmer, bevor er noch etwas sagen konnte.
Er sah ihr nachdenklich nach. Woher wußte sie das?
Und dann verstand er: Liebe beschränkte sich nicht auf die Beziehung zwischen Mann und Frau, es konnte durchaus auch das Gefühl einer Kinderfrau für den ihr anvertrauten kleinen Menschen so stark sein, daß sie auf eine eigene Familie verzichtete.
Julie zuliebe würde er einen besonders schönen Baum aussuchen!
*
Als Otfried durch das Hauptportal das Schloß verließ, kam ihm der Chauffeur entgegen. Überrascht blieb der Mann stehen.
»Euer Erlaucht!« rief er sichtlich erfreut. »Welchen Wagen darf ich bereitstellen?«
»Danke, Werner«, sagte Otfried freundlich, »ich hole mir im Betrieb den Landrover. Ich muß in den Wald, um nach einem Weihnachtsbaum zu suchen!«
»Soll ich, soll jemand Euer Erlaucht begleiten?« fragte der Chauffeur.
Man hatte ihn anscheinend wirklich vermißt! Sogar ein Mann wie Werner, mit dem er eigentlich nie viel zu tun gehabt hatte. Julie hatte recht: es war nicht gut, sich so zu begraben! Er würde sich wieder mehr um den Betrieb kümmern.
»Ich komme mit, Euer Erlaucht«, sagte Werner eifrig. »Ich will sehen, daß der Wagen in Ordnung und vollgetankt ist.«
Otfried nickte ihm zu.
Alle, denen er begegnete, grüßten überrascht und sahen aus, als wären sie erleichtert. Allerdings bemerkte er, daß auch einige Gestalten sich schnell verdrückten, als sie seiner ansichtig wurden. Später wurde ihm bewußt, daß das wohl die beim Geflügel und in der Molkerei arbeitenden Frauen waren.
»Ich habe jetzt die Wohnung über den Remisen«, erzählte Werner.
»Sie haben bisher im Dorf gewohnt«, erinnerte sich Otfried.
»Ja. Genau. Aber jetzt habe ich geheiratet, und der Verwalter…« Otfried war mit einem Ruck stehen geblieben.
»In Ordnung, Werner, ich komme allein zurecht!« Er ging schnell weiter, das Gesicht plötzlich wieder angespannt und verkrampft.
»Ich Idiot!« murmelte der Chauffeur. »Warum habe ich davon angefangen!«
Lächerlich! Weshalb soll der Mann nicht heiraten? Was kümmert es mich, wenn er in sein Unglück rennt? Otfried erinnerte sich dunkel an eine der landwirtschaftlichen Sekretärinnen, so eine hübsche Rothaarige, die mit dem Chauffeur befreundet gewesen war. Falls er sie auch geheiratet hatte – oder eine andere. Er wollte es nicht wissen! Er wollte überhaupt nie wieder etwas mit einer Frau zu tun haben. Vielleicht ließ es sich arrangieren, daß auch in der Verwaltung nur Männer arbeiteten.
»Euer Erlaucht!« Haselhuber kam ihm erfreut entgegen. »Wollen Sie in den Wald? Soll ich mitkommen?«
»Danke, Haselhuber, heute nicht. Ich nehme den Landrover. Ich will nach einem Weihnachtsbaum schauen. Ich sage Ihnen dann, was ich gefunden habe, und wenn er Ihnen auch gefällt, lassen Sie ihn schlagen.« So hatten sie es immer gehalten, und Haselhuber strahlte, weil es sich nun doch wieder so einrenkte, wie es seit Generationen üblich war.
Auf dem freien Feld lag der Schnee gut einen Meter hoch. Aber die Straße zum Forst war geräumt und zwischen den Bäumen war es geschützt. Unweit einer Futterstelle für Rotwild parkte Otfried den Wagen und ging zu Fuß weiter. Es war kalt, der Schnee knirschte unter seinen schweren Stiefeln. Es war so still, daß man sogar hörte, wenn irgendwo in der Nähe ein Ast seine Schneelast abschüttelte.
Otfried kam an der Futterstelle vorbei: Offensichtlich war Haselhuber heute bereits hier gewesen. Er ging weiter, quer durch den Wald zwischen den Bäumen hindurch, wo er sich an eine besonders schöne, frei stehende Fichte erinnerte. Sie stand auf einer kleinen Anhöhe, auf der vor drei Jahren eine Neupflanzung angelegt worden war. Sie war mindestens fünf Meter hoch und ganz regelmäßig gewachsen, mit starken, grünen Zweigen, die fast bis zum Boden reichten.
Als er sie erreichte, ging es ihm wie in den vergangenen Jahren: es tat ihm leid, sie schlagen zu lassen. Allerdings, wenn man noch länger wartete, würde der Nachwuchs beschädigt werden, wenn man sie fällte. Sie war höher, als er sie in Erinnerung hatte, doch der untere Teil des Stammes hatte keine Zweige und würde ohnehin abgeschnitten.
Ja, er würde Haselhuber sagen, daß sie heuer daran glauben mußte! Er strich mit der Hand über ihren Stamm.
»Es ist eine Ehre, ein Christbaum zu werden!« sagte er – und hoffte, daß sie ihn verstand.
Langsam stieg Otfried auf der anderen Seite der Anhöhe hinunter. Hier war im Sommer eine Suhle des Schwarzwildes, und Haselhuber fütterte die Tiere an dem gewohnten Platz, schon um sie davon abzuhalten, auf den Feldern allzu viel Schaden anzurichten. Auch diese Futterstelle war sichtlich gut besucht – nicht nur von den Wildschweinen, auch von Fasanen und Hasen, wie er an den Spuren erkannte.