Ein Buch über Dich und alles andere von Bedeutung - Band III - Christoph Niklaus Kuropka - E-Book

Ein Buch über Dich und alles andere von Bedeutung - Band III E-Book

Christoph Niklaus Kuropka

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Beschreibung

Dass der Mensch und das Leben des Menschen sind ändern müssen ist seit den ersten Denkern bekannt und heute schmerzlicher offensichtlich als je zuvor. Ich glaube verstanden zu haben, wie dies zu erreichen ist. Leider wird es dazu eine Geistige Revolution brauchen, zu der die Psychologie bisher weder fähig noch bereit ist. Nichtsdestotrotz wird das Zeitalter der Psychologie, das schon so lange vorhergesagt wurde, mit dieser Geistigen Revolution beginnen. Ich möchte mit diesem Werk beginnen, diese, meine Ideen näher zu erläutern und damit die "Umwertung aller Werte" einläuten, von der schon Friedrich Nietzsche phantasierte. In diesem dritten und letzten Band von "Ein Buch über Dich und alles andere von Bedeutung" sind einerseits weitere Zitate mit geistig-revolutionärem Timbre enthalten und andererseits Gedanken zu philosophischen und wissenschaftlichen Grundfragen.

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Seitenzahl: 767

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

4. Erste und Letzte Fragen

4.1 Belege für die Grundüberzeugungen des Kuropkaismus und seiner Geistigen Revolution.

4.1.1 Ein Neuer Mensch ist möglich.

4.1.2 Der Perfektionstrieb ist der Keim des Neuen Menschen und hinreichend, um ihn zu erzeugen und den Alten Menschen zu erklären.

4.1.3 Verschiedene generelle Gründe, weshalb wir angeblich

keine

Neuen Menschen werden könnten.

4.2 Weitere Schützenhilfe revolutionärer Psychologen, Philosophen und ähnlicher Quellen..

4.2.1 Alfred Adler.

4.2.2 Carl Gustav Jung.

4.2.3 Otto Rank (Rosenfeld).

4.2.4 Wilhelm Stekel.

4.2.5 Erich Fromm.

4.2.6 Sigismund Schlomo Freud.

4.2.7 Wilhelm Reich.

4.2.8 Irvin David Yalom.

4.2.9 Friedrich Salomon Perls.

4.2.10 Viktor Emil Frankl.

4.2.11 Carl Ransom Rogers.

4.2.12 Melanie Klein.

4.2.13 Otto Fenichel.

4.2.14 Rollo May

4.2.15 Donald Winnicott

4.2.16 Erik Homburger Erikson.

4.2.17 Antonio Rosa Damasio.

4.2.18 Marie Jahoda über Freud.

4.2.19 Einige weitere, philosophischpsychologische und andersartige Hinweise und Schlaglichter.

4.3 Die ersten und letzten Fragen der Philosophie

4.3.1 Die Wahrheit

©

4.3.2 Gegenthesen und deren anfängliche Entgegnung und -wertung im Verfahren der Wahrheit

©

gegen ihre Leugner.

4.3.3 Eine unlogische und inkonsistente Welt oder Wirklichkeit kann nur eine Einbildung sein und widerspricht selbst ihrer eigenen Definition un

4.3.4 Die Dimensionen und Bedingungen der Wirklichkeit.

4.3.5 Die menschliche Dimension und ihre Grenzen.

4.3.6 Die menschliche Dimension entspricht einer Komplexitätsamplitude.

4.3.7 Deutung, Rechtfertigung und damit Überführung bisheriger Illusionen.

4.3.8 Freiheit.

4.4 Vernunft, Moral und Ethik.

4.4.1 Bedingungen der Reinen Vernunft.

4.7 Der Körper, seine Seele und ihr Geist.

4.8 Sinn und Bedeutung

4.9 Was ist der Mensch?

4.4 Die ersten und letzten Fragen der Wissenschaft

4.4.0 Einleitung

4.4.1 Wissenschaftler suchen Absolute Wahrheit – gebt es zu und sucht weiter!

4.4.2 Physik, Wahrheit und Wirklichkeit.

4.4.3 Der erste und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik

4.4.4 Zeitreisen und die Relativität der Zeit.

4.4.5 Medizin, Gesundheit, Technik, menschliche Lebensgrundlagen und andere praktische, wissenschaftliche Fragen.

4.4.6 Das Ende des bisherigen Weges rein technologischer Entwicklung.

4.4.7 Kritik der humanistischen oder postmodernen Biologie.

4.4.8 Die nächste und epochale Große Vereinfachung.

4. Erste und Letzte Fragen

4.1 Belege für die Richtigkeit der Grundüberzeugungen des Kuropkaismus und seiner Geistigen Revolution.

Die grundlegende Aussage des Kuropkaismus ist: Der Mensch kann und muss ein Neuer Mensch sein. Er muss ein Mensch sein, der er noch niemals gewesen ist, weil nur ein solcher Zustand vollständiger psychischer Entwicklung es uns ermöglichen wird, unsere drängenden und eskalierenden Probleme und Bedrohungen zu beseitigen. Die Umsetzbarkeit und Wahrhaftigkeit des Konzeptes der Geistigen Revolution steht und fällt somit offenkundlich damit, ob es uns Menschen wirklich möglich ist und sein wird, vollständig entwickelte Neue Menschen zu werden, oder eben nicht.

Es kann leider, wie dies vor dem Erreichen einer neuen technologischen oder kultivierten Entwicklungsstufe immer der Fall ist, solange es dazu nur Pläne und keinen funktionierenden Prototypen gibt, heute noch nicht final bewiesen werden, dass ein Neuer Mensch möglich ist. Vielmehr spricht scheinbar vieles gegen diese Möglichkeit. Der endgültige Beweis, dass der Neue Mensch und damit Utopia möglich sind, wird erst die Existenz erster Neuer Menschen sein können. Ich möchte in diesem Kapitel zusammenfassen und ergänzen, welche Indizien für den Neuen Mensch sprechen und belegen, dass die Geistige Revolution umsetzbar ist.

4.1.1 Ein Neuer Mensch ist möglich.

Ein Mensch kann sich bis zu vollkommener Vernunft und Zufriedenheit entwickeln. Bisher hat dies jedoch noch keiner nur annähernd geschafft, daher wird dies für unmöglich gehalten. Es ist aber zu erkennen, dass:

1. …dies eigentlich die generelle Richtung unserer Entwicklung ist.

2. …es der Mensch in dieser Richtung des vernünftigen Seins und sich Abfinden mit Umständen schon zu erstaunlichen und einzigartigen Leistungen gebracht hat und die grundlegenden Voraussetzungen zu besitzen scheint, um seine psychischen Fähigkeiten zu perfektionieren.

3. …es keinerlei logischen Grund gibt, wieso gerade unser bisheriger psychischer Allgemein- oder Entwicklungszustand, das maximal Mögliche sein sollte, beziehungsweise weshalb wir evolutionär und individuell eine dermaßen schwindelerregende Entwicklung zurücklegten und -legen, um dann – alle an einem anderen Punkt – diese Entwicklung fast schlagartig gar nicht mehr weiterführen oder auch nur modifizieren können.

4. …das menschliche Denken, Fühlen und Handeln und unsere gesamte Religion, Kunst, technologische, philosophische und wissenschaftliche Entwicklung, Mythologie, Spiritualität, Ideologien und Gesellschaftsverträge durchsetzt und ausgerichtet ist oder vielmehr auf der Vorstellung eines perfekten, vernünftigen Wesens, dem Neuen Menschen beruhen. Entweder sind dies schlicht erstaunliche, aber unerklärliche Zufälle und unser Geist quält uns wirklich irrational und sinnfrei mit diesen Visionen sowie Über-Ich-Anforderung oder wir können und wollen im Kern unseres Selbst alle Neue Menschen werden, da wir einen Perfektionstrieb und ein frei programmierbares Großhirn besitzen. Wir spüren und imaginieren dies unentwegt, erfinden deshalb perfektionistische Ansprüche für uns und müssen sie infolge mythologisch relativieren und abschwächen und treiben uns somit unterbewusst in Renaissance nach Renaissance und hoffentlich bald in die Geistige Revolution.

5. …nicht zuletzt ein Neuer Mensch möglich ist und wir eigentlich einem perfekten eigenen Zustand und eine ebensolche Gesellschaftsform anstreben, weil dies etliches in unserem bisher unvollständigen Selbstbild erklären und vervollständigen würde. Ich halte meine Ideen für valide, weil durch diese und nur durch diese Ideen unsere bisherigen Welt- und Selbstbilder und insbesondere die psychologische Lehrmeinung vervollständigt werden und zahlreiche Widersprüche und Unklarheiten beseitigt werden könn(t)en, die wir seit Menschengedenken mit uns und in uns herumschleppen.

Zu diesen Punkten nun meine folgenden Ausführungen:

1. Die Höherentwicklung des Lebens kann daran festgemacht werden, dass Individuen einer Art immer mehr dazu in der Lage waren, intelligent auf ihre Umwelt zu reagieren. (Völlig außer Acht gelassen wird bei dieser beschränkten Bemessungsgrundlage, ob diese Lebewesen autotroph oder heterotroph sind, ob sie ohne die anderen Arten im Ökosystem überleben könnten, wie lange sie erdgeschichtlich existieren, bevor sie aussterben, oder wie mächtig und fähig ihr Stoffwechsel ist – woraus sich ebenfalls eine und dabei eine andere Hierarchie ergeben würde.) Tiere reagieren auf höherer Ebene als Pflanzen, sie können aktiv handeln. Je mehr ein tierisches Lebewesen selbstständig sowie kreativ handeln und lernen kann und nicht nur starre Instinkte einigermaßen virtuos abruft und umsetzt, desto höher ist die Entwicklungs- und Bewusstseinsstufe. Der Mensch befindet sich nicht nur bereits als Alter Mensch an der Spitze dieser Entwicklung, sondern wird es als Neuer Mensch schaffen, das Diktat seiner Triebe, Instinkte und seines Unterbewusstseins ganz abzulegen, also eine Entwicklungstendenz zu ihrem Ziel zu führen, die schon sehr, sehr lange immer höher energetische Lebewesen mit einem immer bewussteren Gehirn hervorbrachte. Wie bei der menschlichen Entwicklung war dies natürlich keine geradlinige, aber sie ist trotzdem klar zu erkennen, etwa vom Fisch, über Amphib und Reptil zu Säuger oder Vogel. Offensichtlich hat also im Laufe der evolutionären Entwicklung des Menschen die Fähigkeit der Individuen immer weiter zugenommen, sich selbstbestimmt zu orientieren, Selbstkontrolle und Vernunft zu erzeugen und sich dafür selbstständig zu programmieren.

Es ist nur logisch, dass unsere weitere Entwicklung weiter in diese Richtung verlaufen wird und auch, dass sie höchstwahrscheinlich noch nicht zu Ende ist – auch wenn wir schon lange als Menschheit in einer Entwicklungskrise stecken und nicht weiterkommen. Der Mensch solle sich selbst nicht vermessen als Spitze und Ziel der Evolution betrachten, sagt man heute in naturwissenschaftlichen Bereichen, doch leider ist damit nicht das Richtige gemeint. Man meint bisher, dass wir Menschen uns nicht über die Tiere stellen und die Evolution nicht als zielgerichtete Entwicklung betrachten sollen, sondern als zufälliges, chaotisches und ungerichtetes Phänomen. Ich widerspreche nicht nur diesen Überzeugungen, sondern möchte die eingängige Aussage so verstehen, dass wir Alten Menschen nicht das Ende der und unserer Evolution darstellen, sondern selbst nur ein Übergangszustand zu einem noch weiter entwickelten Menschen sind. Schon lange ist klar, dass die menschliche Evolution seit langer Zeit schon nicht mehr körperlich und genetisch, sondern technisch und kulturell abläuft. Auch das ist – meiner Meinung nach – ein Hinweis darauf, dass unser nächster Entwicklungsschritt vollkommen geistiger Natur sein wird.

Auch die Individualentwicklung jedes einzelnen Menschen (die unausweichlich ein gewisses Nachvollziehen seiner evolutionären Entwicklungsschritte aufweist) zeigt eine unglaubliche, größtenteils un- und unterbewusst bewerkstelligte, rasante und meisterhafte geistig-seelisch Entwicklung, von einem schreienden und zeternden, hilflosen und unfähigen Kleinkind zu einem Erwachsenen, der absolut alles können kann und mehr Vernunft und Selbstkontrolle besitzt als je ein anderes Lebewesen nur annähernd besessen hat. Diese Entwicklung bleibt bisher immer an einem bestimmten Punkt stecken, eine bestimmte Persönlichkeit verhärtet sich und wird im weiteren Leben kaum noch verändert. Warum stellen wir unsere in der Kindheit so leicht und brillant umgesetzte psychische Entwicklung irgendwann alle ein? Und warum liegt diese persönliche (und damit genauso die kaum bestimmbare, allgemeine) Entwicklungsschwelle, von der wir bisher überzeugt sind, dass sie der Einzelne unter keinen Umständen durch weitere Entwicklung überschreiten kann, bei jedem Menschen wieder so frappierend anders? Dass soll alles in den Genen stehen? Dann müsste dort, außer dem Bauplan des Körpers und jeder seiner Zelle, aber noch sehr viel stehen.

Sieht das nicht eher danach aus, als hätten wir Menschen alle ein gewaltiges Entwicklungspotenzial, das wir schlicht alle nicht ganz und jeder in anderem Rahmen und anderer Richtung nicht voll entfalten? Erklären, weshalb wir als Erwachsene so unglaublich individuell verschieden und so unfähig zu weiterer Entwicklung und Lernen sind, kann meiner Meinung nach nur die orthopsychologische Vorstellung, dass wir unsere eigene psychische Entwicklung selbstständig ablehnen und abbrechen, sobald wir dazu die geeignete psychische Reife entwickelt haben. Da unsere Leben aber so individuell verschieden sind, sind die unterentwickelten Zustände, die dadurch entstehen, ebenfalls sehr verschieden, da bei jedem anderes gefordert und gefördert wurde. Man stelle sich eine Mohnblüte in ihrer Entfaltung vor, die weit vor der vollen Entfaltung der dünnen roten Blütenblätter stehen bleibt und einfriert. Solche nur teilentwickelten Mohnblüten würden wir als fraktal und individuell hoch verschieden erkennen und beschreiben, obwohl ihre vollentwickelte Form immer sehr ähnlich ist.

Dafür, dass diese Entwicklungsrichtung, in die wir uns alle am Anfang unseres Lebens bewegen und in die sich alle unsere Vorfahren entwickelt haben, nicht bis zu ihrer Vollendung im Neuen Menschen weitergeführt werden kann, fehlt psychologisch und physiologisch bisher jegliche stichhaltige Begründung. Es ist noch nicht einmal klar, bis zu welchem Punkt eine psychische Entwicklung des Einzelnen möglich oder notwendig ist, was man also von jedem Menschen eigentlich verlangen müsste oder was man eben nicht erwarten oder „von keinem verlangen“ kann. Es wird notgedrungen behauptet, dass diese Grenze zwischen machbarer Perfektion und menschenunmöglicher Imperfektion bei jedem Menschen wieder an einer ganz anderen, aber doch unverrückbaren Stelle liegen würde. Diese subjektivistische und unklare Einstellung oder (nicht existente) Erklärung und somit der fehlende Anspruch an die Lebensfähigkeit des Individuums sind ein wichtiger Grund dafür, dass die Bewohner der Hochkulturen im Laufe jeder Dekadenz immer verweichlichter und lebensunfähiger werden. Es kann keine exakte Beschreibung unseres Zustandes sein.

2. Eigentlich haben wir bereits als Alte Menschen alle grundlegenden psychischen Fähigkeiten zumindest ansatzweise entwickelt, die wir als Neue Menschen zu Gänze benötigen und besitzen werden: Intelligenz, Selbstkontrolle, Reflexion, emotionales Verständnis und emotionale Kontrolle. Und da sind wir die einzigen bekannten Lebewesen. Wir müssten jetzt „nur noch“ diese exklusiven menschlichen Eigenschaften weiter ausbauen und perfektionieren, was wir auch seit Menschengedenken versuchen, aber darin trotzdem bisher universell scheitern. Genau diese Perfektionierung und Weiterentwicklung ist schon immer der Inhalt von Erziehung, des Über-Ichs und der Selbstreflexion, die unser menschliches Leben unter anderem ausmachen Wir bilden uns sogar heute schon mehr oder weniger ein, ein „perfekter“ Mensch und (nur im normalen bisherigen Rahmen natürlich) völlig zufrieden und vernünftig zu sein und sind meist nur in schweren akuten psychischen Krisen (aber selbst hier nicht immer) bereit, anzuerkennen, dass dem nicht so ist. Ich denke es ist ein weiteres Indiz dafür, dass wir Neue Menschen sein können, dass wir alle dazu nötigen Fähigkeiten im Kern bereits in uns tragen und es nur einer meisterhaften Entwicklung dieser schon vorhandenen Fähigkeiten bräuchte, um eine Neuer Mensch zu werden und darüber hinaus genau dieser Anspruch integraler Teil jeder Psyche und jeder Kultur ist. Wenn wir all die Fähigkeiten zusammennehmen, die der Mensch besaß, der diese bisher jeweils am weitesten entwickeln konnte, und uns vorstellen, dass diese in einem einzigen Menschen verwirklicht sind, sind wir schon recht nah dran am Neuen Menschen und es gibt keine überzeugenden wie auch strukturellen Gründe, weshalb dem nicht so sein sollte und könnte.

3. In Ergänzung zu 1. und 2. sei wiederholt, dass es einen stichhaltigen Grund benötigen würde, aus dem jeder Mensch genau auf dem heutigen allgemeinen und genauso auf seinem eigenen individuell verschiedenen Entwicklungsstand stehen bleibt und sich eisern und biologisch-genetisch unverrückbar keinen Deut mehr weiterentwickeln kann, um nicht davon auszugehen, dass hier nur eine Entwicklungsblockade eines wesentlich weiter entwickelbaren Gehirns vorliegt. Die relativ uniforme Allgemeine Gestörtheit käme somit zustande, weil unsere Gehirne/Psychen sich in ihrer Entwicklung immer ab etwa demselben ungefähren Entwicklungsstand selbst – wenn sie dies in ihrem Psychischen Theater umsetzen können oder aber durch besonders traumatisierende und äußere Umstände leisten müssen – behindert und ihren eigenen Geisteszustand ab diesem Zeitpunkt kontinuierlich sklerotisiert. Die individuell großen Unterschiede sind somit selbstverständlich und rühren wesentlich weniger von einer genetischen Determination des Charakters und des Geschlechtscharakters her, sondern viel mehr daher, dass jedes Gehirn seine Entwicklung aufs Neue und von Grund auf beginnen muss und sich dabei sehr unterschiedliche Ergebnisse einstellen, weil die Umgebung und deren Einflüsse auf das Kind sehr verschieden sind. So bespricht ein Psychologe die privaten Erlebnisse des Patienten in seiner Lebensgeschichte und nicht seinen Genotyp. Es ist zudem nachgewiesen, dass genau dieses kognitive und vor allem emotionale Nachvollziehen der Lebensereignisse, die einen prägten und die eigene Entwicklung antrieben oder lähmten, von besonderem tiefenpsychologischen therapeutischen Nutzen ist.

4. Schon jetzt besteht das menschliche Leben (wie bereits das tierische und pflanzliche zu einem Großteil) vor allem daraus, ständig zu versuchen, alles perfekt und richtig zu machen und immer besser zu werden, sich selbst ständig zu beobachten, infrage zu stellen und aufkommende Triebe – die jedes andere Tier einfach ausleben würde – aufzufangen, aufzuschieben und/oder ganz zu verdrängen. Freud hat diesem Anteil von uns sogar einen eigenen Namen und eine isolierte Wirklichkeit verliehen, das Über-Ich, welches sich in bestimmten Kreisen immer noch großer Beliebtheit erfreut, wobei doch das klassische „Ich“ nichts weiter tut, als ständig zu versuchen, aus den Einwirkungen von Es und Über-Ich eine perfekte, erfolgreiche und realisierbare Handlung zu entwickeln, einen möglichst vernünftigen Kompromiss zwischen ihren beiderseits irreal übertriebenen Ansprüchen oder Erregungen, weshalb ich persönlich keinen kategorischen Unterschied zwischen Ich und Über-Ich erkennen kann.

Natürlich wissen wir alle, dass keiner von uns perfekt ist und es auch nicht sein kann. Wir verwenden viel Zeit und Energie darauf, unsere menschlichen Schwächen und allgemeine Imperfektion zu zelebrieren, über sie zu lachen, Vorsichtsmaßnahmen und Kontrollmechanismen zu installieren, um ihre erwartbaren Konsequenzen zu mildern und vergeben uns bewusst sowie unbewusst ständig gegenseitig und selbstständig die dümmsten Fehler und primitivsten Einstellungen. Wir sind uns also, obwohl wir offensichtlich versuchen „perfekt“ zu sein, mehr oder wenig bewusst, dass wir imperfekt sind – aber nichtsdestotrotz beruht deine Existenz darauf, ständig zu versuchen, perfekt zu sein – wie bereits erwähnt, der zentrale Widerspruch und Konflikt des Menschentieres.

Unsere Handlungen, Unmengen von Handlungen, der Großteil fern jeder direkten triebhaften oder instinktiven Enervierung, führen wir tagtäglich und unermüdlich perfektionistisch aus – nur weil wir einsehen, dass man eine Tür, ein Auto oder ein Smartphone eben genau so behandeln muss, wie es richtig ist, wenn man seine Vorzüge nutzen, es nicht kaputt machen und sich selbst nicht verletzten will. Andere Tiere bewegen sich auch perfekt und meisterhaft, aber viel weniger entlang selbsterdachter und -programmierter und bewusst kontrollierter und bedachter sowie ständig intelligent reflektierter und modifizierter Programme, sondern größtenteils entlang und im Sinne von angeborenen und lediglich individuell verfeinerten Instinktprogramme. Wir schämen uns, wenn wir nur den kleinsten Fehler machen und dabei noch gesehen werden. Alle anderen lachen dann neurotisch erleichtert auf, sind potenziell enttäuscht, angeekelt oder entwickeln andere Antipathien uns gegenüber, weil wir so ungeschickt sind, so „etwas“ gemacht haben oder eine so falsche Meinung haben. Ständig bilden wir uns ein und erzählen, dass wir glücklich sind, so wie wir sind, und dass alle unsere Entscheidungen und Einstellungen vernünftig und logisch – im Grunde alternativlos – sind und wir sind schwer gekränkt oder verstört, wenn eine andere Person oder reale Ereignisse dies anzweifeln. Vor allem in der Öffentlichkeit und sobald ein anderer Mensch anwesend ist versuchen wir (fast) alle, unentwegt einen perfekten Neuen Menschen zu spielen, also immer kontrolliert, vernünftig, aggressionslos, altruistisch zu erscheinen, keine Fehler zu machen, nichts Dummes zu sagen oder jemand anderen zu stören oder zu irritieren. Ständig und besonders am Anfang unserer Entwicklung sollen und wollen wir das Beste aus uns herausholen, über uns selbst hinauswachsen, an uns arbeiten, es zu was bringen und uns zusammenreißen, um etwas zu erreichen und zu werden. Dass sieht mehr nach Wesen aus, die zwanghaft perfekt zu sein versuchen, als nach solchen, die akzeptiert haben, dass sie es nie sein werden. Wohin soll dieses „immer besser“ führen, wenn nicht zur völligen Perfektion?

Psychodynamisch ist dieser Perfektionstrieb in der Orthopsychologie ein essenzieller Teil unserer Psyche, er entspringt der existenziellen Angst eines instinktschwachen aber denkstarken Gehirns und ist nur dadurch zu befriedigen, dass das Individuum völlige Orientierung und Kontrolle erreicht – oder sich dies, wie unter uns Alten Menschen üblich, nur mit Ach und Krach und mindestens drei geschlossenen Augen einbildet. Nach heutigen Vorstellungen ist das ein unschuldiger, ominöser und unerklärlicher Entwicklungstrieb, der irgendwann willkürlich und genauso unerklärlich abbricht und nirgendwo spezifisch hinführt, sodass man mit jedem Ergebnis und Entwicklungszustand zufrieden sein sollte, den man nun mal gerade erreicht hat.

Grundlage der menschlichen Existenz und der Existenz des Menschen ist es, seine Triebe nicht im Lustprinzip direkt auszuleben, sondern im Rahmen des Realitätsprinzips kontrollierte Pläne und Handlungen auszuführen, die mehr von bewussten (und unterbewussten) selbsterzeugten Gedanken und Programmen bestimmt werden als durch angeborene Verhaltensprogramme.

4.1.1.1 Religion.

Die Religion wurde einerseits längst und erschöpfend als Massenwahn, die neurotische Projektion internalisierter Elternfiguren sowie kindlicher Abhängigkeit und eine extrapsychische Erweiterung der innerpsychischen Abwehrmechanismen erkannt und beschrieben, stellt aber andererseits eine meisterliche und geistesgeschichtlich unerlässliche Philosophie und Methode zur gesellschaftlichen Kontrolle und Frieden dar und war sowie ist darüber hinaus ein wichtiger Zwischenschritt unserer Welt- und Selbsterkenntnis. Ganz ablegen werden wir diese magischen und primitiven Rituale und Vorstellungen erst als Neue Menschen, da sie zu genial die Widersprüche und Ängste reduzieren, die unsere Existenz als bewusste Wesen ausmachen und wir als Alte Menschen mehrheitlich genau davon abhängig sind.

Jede Religion behauptet und glaubt, dass es einen oder mehrere perfekte Wesen gibt, die Götter, Halbgötter oder Heilige genannt werden, aber offensichtlich alle vor allem Merkmale von denkenden, fühlenden und agierenden menschlichen Wesen aufweisen und somit nichts Geringeres darstellen, als die Vorstellung von einem perfekten Neuen Menschen. Eine Vorstellung, die wir alle, durch den Drang unseres Perfektionstriebes, in uns tragen. Dass man sich von diesem Gott kein Bild machen soll, ist eine naheliegende Forderung, da es vor allem in den modernen Religionen, in denen Glauben und Glaubensgesetze ausgiebig logisch diskutiert wurden und werden, eine große Gefahr darstellt, wenn Gott von der Allgemeinheit als zu menschlich wahrgenommen oder generell kognitiv zu sehr eingegrenzt und kritisch hinterfragt wird. So tragen diese Reformen und Versuche, die Religion mit der Naturwissenschaft oder dem gesunden Menschenverstand zu verbinden, in jeder Hochkultur wieder zum Aufstieg des Atheismus und dem Niedergang der religiösen Macht bei.

Nicht nur Götter, sondern auch Halbgötter, Helden, mythisch überhöhte Vorfahren, Vorbilder, Idole sind nichts weiter als Imaginationen von zumindest in wichtigen Bereichen perfekten Menschen, denen man nacheifern sollte und will und die einem als Vorbild und moralischer oder real imaginierter Zwang dazu verhelfen sollen, wirklich in ihrer Art besser und perfekter zu werden. Genauso gibt es Verkörperungen des Bösen, die zeigen sollen, was unerwünscht und imperfekt ist, ohne es ganz zu tabuisieren. Götter sind damit Ersatzobjekte für die eigenen Eltern, die man in der Kindheit ebenfalls als perfekt, allmächtig, allwissend, allgnädig und unfehlbar erlebt und bewundert sowie gehasst hat. Wieso bilden wir uns ein, dass unsere Eltern perfekte Wesen sind und die ganze Welt und unser Leben durch ein perfektes Wesen gelenkt werden? Weil wir unbewusst wissen, dass dies die einzige ideale Lebenssituation wäre, in der wir völlig sicher und vollkommen frei sein können und weil wir vermittels des Perfektionstriebes selbst an uns diesen Anspruch haben und in uns spüren, da wir sonst der Orientierungslosigkeit existenzieller Angst ausgeliefert sind.

Ein Heiliger ist ein perfekter Mensch und der Mensch ist kein Heiliger, muss sie aber ehren und wird angeblich im jüngsten Gericht auch nach recht strengen sowie heiligen Maßstäben verurteilt oder erlöst. Und der Himmel ist nichts anderes als die Projektion des Neuen Lebens, in dem wir alle Engel sind und keine Probleme mehr haben. Da kommen wir nach religiöser Vorstellung meist nur nach dem Leben hin, und das auch nur dann, wenn wir in unserem Leben ununterbrochen oder zumindest mehrheitlich versucht haben, perfekt zu sein und das belegen können. Diese Verlagerung des Neuen Lebens in eine imaginäre Zeit nach dem Tod ist zum einen eskapistisch und verlogen, zum anderen aber sehr praktisch und „glaubwürdig“, da man zwar das Verlangen der Menschen nach einem perfekten Leben ernst nimmt, versteht und stillt, aber nicht gezwungen ist, es real erzeugen zu müssen. Oft aber beinhalten Religionen auch einen Zustand des Himmels auf Erden, den wir nur dann erreichen, wenn etwa alle auf der Welt wahre Gläubige unserer eigenen Religion sind oder aber eine Erlöserfigur erscheinen wird. Oft ist mit solchen Szenarien verbunden, dass ein Großteil der Menschheit verschwindet, weil sie nicht bereit sind für das neue himmlische und göttliche Leben. Ich verspreche somit in der Geistigen Revolution nichts anderes und lasse es deshalb gerne gelten, wenn sie als Religion verstanden wird. Allerdings predige ich, dass wir selbst Götter werden müssen und den Himmel auf Erden allein und real erzeugen werden und hoffe, dass dies wenigstens für einige weniger wahnhaft, faschistoid und utopisch klingt als die Glaubensbekenntnisse der anderen, Ungläubigen und Verblendeten.

Der ganze Sinn der Religion, ihrer Imagination von Göttern, einem Leben nach dem Tod und einer Zeit vor der Zeit der Menschen, sowie ihren Regeln und Methoden, über die der Mensch angeblich auf die allmächtigen Götter einwirkt, sie gnädig oder zornig stimmen kann, stellt letztlich eine sehr geschickte soziale Kontrolle und Selbstoptimierung aller Mitglieder dar. Die Götter (wie vorher die Eltern) sind Vorbilder, beobachten jeden mit ihrem scharfen und gerechten Geist, und bestrafen oder belohnen unsere Anstrengungen, wodurch es jedem Einzelnen leichter fällt, perfekter zu handeln, als er dies könnte, wenn er sich völlig frei und unbeobachtet fühlen würde und kein Vorbild hätte, in dessen Richtung er sich verändern könnte. Der Mensch soll deshalb in der Religion zumindest (fremdbestimmt) immer versuchen, perfekt zu sein, um das Vorbild eines perfekten Wesens zu erreichen, seine Ansprüche zu erfüllen und dadurch zufriedenstellen, dass man zumindest einigermaßen und nach Kräften versucht, so perfekt zu werden, wie sie es selbst angeblich sind. Und das funktioniert ganz gut.

Götter und Heilige sind Projektionen unseres perfektionistischen Selbstbildes und wir haben sie und dieses deshalb so weit weg und unerreichbar designt, damit sie einigermaßen glaubhaft sind und uns nicht zu sehr irritieren. Der Mensch gilt aus religiöser Sicht in einer notwendigen Überformung exakt gespiegelt als Abbild oder Schöpfung der Götter, die ja beide eigentlich Abbild und eine Schöpfung unseres Geistes sind. Auch wenn wir nicht perfekt sind, sind wir also durchaus ein Abbild von etwas Perfektem und Teil seiner perfekten Pläne, Ansprüche und Absichten. Somit stellt das ganze religiöse Gedankengebäude nicht weniger dar, als ein mehr oder weniger indirekter, aber doch allgegenwärtiger Anspruch an uns selbst, perfekt zu sein. Religiöse Menschen verinnerlichen diese Verpflichtung mehr oder weniger unterbewusst, doch man kann sie in etlichen Überzeugungen, Gebeten und Gesängen der verschiedensten Kulturen klar heraushören. Der Mensch betrachtet sich vor allem in nicht säkularen, religiösen Ideologien als Mängelwesen, weil er im Vergleich zu den Göttern und dem religiös verbreiteten Ich-Ideal ein Mängelwesen darstellt. Sich und seine Art als Mängelwesen zu betrachten und zu empfinden, bedeutet aber doch nichts anderes, als dass man spürt und ahnt, dass wir zu mehr in Lage sind als wir bisher real zeigen. Generell gilt der Mensch bei vielen Kulturen, Religionen, Denkschulen und Denkern als Zwischenglied zwischen Tier und Gott. Das bedeutet, dass wir mit diesem Spannungsfeld unseres Zwischenzustandes im bisherigen Alten Leben irgendwie klarkommen und ihn akzeptieren müssen, aber im Rahmen der Geistigen Revolution bedeutet das: Wir können selbst Götter werden und müssen das auch.

Warum funktioniert der religiöse und mystische Quatsch so gut, dass er seit Menschengdenken global praktiziert wird und trotz zum Teil völlig schwachsinniger Inhalte im 21. Jahrhundert immer noch geglaubt, für wichtig gehalten wird und real ist? Weil im Grundkonzept der Religion existenzielle Fragen des Menschen scheinbar und emotional äußerst elegant gelöst werden und wir unseren Perfektionstrieb bis ins ganze Universum projizieren können, um ihn dann gleichermaßen abgespeckt wie auch forciert auf real Mögliches wieder auf uns selbst zu richten. Die religiösen Tricks und Versprechungen funktionieren, weil wir nach etwas Perfektem suchen und perfekt sein wollen und dazu ein System benötigen, was uns einerseits abnimmt, bereits wirklich perfekt zu sein, aber genauso einen Idealplan wie den nötigen kognitiven und emotionalen Druck liefert, damit wir in unserer Fremdbestimmtheit klarkommen und zumindest in Richtung Perfektion gehen oder nur gucken können. Dass viele ihrer Inhalte esoterisch, klar unüberprüfbar und mystisch sind und sie deshalb wissenschaftlich und logisch betrachtet höchst unlauter und unverzeihlich logisch sündigen, sind zwar für viele kritische Geister ein Problem, aber eigentlich gerade ihre Stärke beziehungsweise nicht anders denkbar. In der Wirklichkeit ist solche Perfektion noch nicht existent, weshalb es kein System geben kann, das mit Perfektion arbeitet und vollkommen in der vor allem menschlichen Wirklichkeit verbleibt. Genau deshalb haben wir im Humanismus und der Aufklärung ja letztlich nach zähem Ringen die Vorstellung von Perfektion an sich verteufelt und verleugnet.

Wieso denken wir Menschen uns – auch außerhalb von Religionen in Liebesbeziehungen oder bei Idolen und Vorbildern – alle ständig und global uniform ideale perfekte Wesen, Welten oder Umstände aus? Dieses Verhalten erscheint uns als so selbstverständlich, dass wir – ähnlich wie bei unserer menschlichen Intelligenz, die eng mit dieser Eigenschaft verbunden ist – schon damit zufrieden sind, zu wissen, dass dies sowohl privat, psychisch als auch gesellschaftlich vorteilhaft ist. Aber das ist noch kein Grund dafür, dass wir es alle – auch ungezwungen – unablässig tun. Der Grund ist ein Perfektionstrieb, der in uns allen schlummert und rumort und ausreichende wie auch notwendige Grundlage für eine perfekte vollständige psychische Entwicklung ist.

4.1.1.2 Mythologie allgemein.

Mythologie, Märchen, Gleichnisse, Erzählungen, Filme, Romane und unsere eigene, teilweise imaginierte, konstruierte oder zensierte „Lebensgeschichte“ zeichnen uns Menschen so sehr aus, dass viele das Denken und Leben in Geschichten als Grundfunktion unserer Psyche betrachten. Die Struktur der Geschichten, in denen wir denken und fühlen, über die wir kommunizieren und die wir zur psychischen Stabilität bisher unbedingt brauchen, ist, obwohl es die tollsten und unterschiedlichsten Versionen davon gibt, eigentlich uniform und weist starke Parallelen zum psychotherapeutischen Prozess, der innerpsychischen Struktur und der psychischen Individualentwicklung an sich auf. Was wir in restlos allen Geschichten also nachvollziehen, hineinprojizieren und zu finden hoffen, sind „nur“ oder gerade die Antworten auf die existenziellen Fragen unseres eigenen Lebens, wobei letztlich jeder Aspekt unserer Existenz und sogar anderer Dinge und Personen zu existenziellen Fragen werden können, wenn er bewusst verarbeitet und wahrgenommen wird. „Was soll ich tun?“ ist der Ausgang, die Moral und das Ziel jeder nur denkbaren Geschichte, was Grundelemente wie These, Antithese und Synthese oder Agonist und Antagonist, Anfangskonflikt, Spannungsbogen und tragische, romantische oder komödiantische Auflösung repräsentieren. Die (Helden-)Geschichte oder der Monomythos verlaufen (hier – verkürzt – nach Christopher Vogler) immer über dieselben Stationen:

Ausgangspunkt ist die gewohnte, langweilige, bedrohte, frustrierende, suboptimale oder unzureichende Welt des Helden. Der Held wird zum Abenteuer gerufen, das immer mit einer gewissen menschlichen oder eben psychischen Entwicklung verbunden ist. Diesem Ruf verweigert er sich zunächst. Ein Mentor oder mehr oder weniger existenziell bedeutendes Ereignis überreden ihn daraufhin, die sich abzeichnende Reise doch anzutreten, und das Abenteuer, die Reise oder den Entwicklungsweg zu beginnen.

Der Held überschreitet nun meist eine erste Schwelle. Danach gibt es kein Zurück. Der Held wird im Laufe seines Kampfes oder Vorwärtsdrängens vor Bewährungsproben gestellt, entwickelt neue oder entdeckt verborgene Eigenschaften und trifft auf Verbündete und Feinde. Die Welt strukturiert und ordnet sich also für den Helden im Sinne seines Weges und seiner Aufgabe und somit für seine Person. Oft heißt es, sein Lebensweg sei vorgezeichnet etwas ganz besonderes, was wir als Alte Menschen alle ersehnen und genauso fürchten. Nun dringt er bis zur tiefsten Höhle, zum gefährlichsten Punkt vor und trifft auf den letzten großen Gegner und wird somit mit dem eigenen Tod, eigener existenzieller Verzweiflung, Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit konfrontiert, also einer, eine psychische Entwicklung erst möglich machenden, existenziellen, realen und damit aber auch immer psychischen Krise. Hier findet die entscheidende Prüfung statt: Konfrontation und Überwindung des Gegners oder Versagen und Vernichtung der eigenen Person oder Persönlichkeit – die Störung als psychischer Tod. Der Held kann nun den Schatz, eine Position oder ein besonderes Elixier (konkret: ein Gegenstand oder abstrakt: besonderes, neues Wissen) rauben oder retten. Er tritt den Rückweg an, währenddessen es zu seiner Auferstehung aus der Todesnähe kommt. Der Feind ist besiegt, das Elixier befindet sich in der Hand des Helden. Er ist durch das Abenteuer zu einer neuen Persönlichkeit gereift. Das Ende der Reise: Der Rückkehrer wird zu Hause mit Anerkennung belohnt und die ursprünglich suboptimale Situation hat sich verbessert – oder aber seltener in Horrorgeschichten und Dramen ins absolute Verderben gewandelt, was aber ebenfalls psychisch eine pervertierte Erlösung im absoluten Grauen darstellt, aus der ursprünglichen und schwer erträglichen Spannung zwischen unentscheidbaren positiven und negativen Aspekten der eigenen Existenz.

Genauso könnte man auch die notwendigen Schritte psychischer und damit therapeutischer Entwicklung beschreiben: Ein kognitiver oder emotionaler Konflikt wird erkannt oder verspürt. Zunächst kommt es nicht zu einer Entwicklung und Arbeit an diesem Konflikt und somit uns selbst. Es ist zu unangenehm. Wir lehnen also den Ruf unseres eigenen Abenteuers und unserer Bestimmung sowie des des Perfektionstriebes in uns ab. Erst wenn seine Probleme zu groß werden und/oder es von einer anderen Person dazu angestiftet und dabei unterstützt wird, beginnt das Individuum sein psychisches Abenteuer, indem es um sich herum und vor allem in sich selbst mutig und unerschrocken forscht und seinen Sicheren Raum, seine innere Heimat verlassen muss. Viele eigene psychische Elemente und äußere Einflüsse sowie Personen stehen dieser Entwicklung im Wege – andere sind (oft unerwartet) hilfreich – und man lernt generell neue Personen, Lebensbereiche und/oder Teile seines Selbst kennen. Erst eine Konfrontation mit eigenen existenziellen Empfindungen, letztlich mit der Todesangst, der Quelle aller Gefühle, kann zu existenziellen psychischen Krisen und damit zu bedeutenden und tiefen psychischen Änderungen führen, da (zum Glück und logischerweise) nur durch solch extreme emotionale Beteiligung und Einsicht die Psyche und ihre Abwehr ansatzweise bereit sind, alte und bestehende Inhalte zu überschreiben. Man kann nun, nach bestandenen psychischen Krisen und deren Verarbeitung, nach therapeutischen Abenteuern die gefährliche Welt der extremen Gefühle und psychischen Instabilität (alles Anzeichen des Todes) wieder verlassen und in eine alte Heimat oder Normalität zurückkehren, die zumindest für den Helden der Geschichte nun besser sein wird oder sollte.

Wir sind deshalb von so vielen Geschichten durchsetzt, weil unser Bewusstsein nichts weiter ist als die Produktionsstätte von Handlungsfolgen, die alle zerebral entschieden werden, weil sie in erdachten Handlungsgeschichten dargestellt und bewertet wurden. Weil die Wirklichkeit durch das Phänomen der Zeit eine Abfolge von Ereignissen, also unzählige Geschichten beinhaltet und weil diese in einem Denksystem, was diese Wirklichkeit wahrheitsgetreu wiedergeben soll, deshalb vorkommen oder besser strukturgebend sein müssen. Jeder Nervenreiz dessen Signal, und sei es auch nur über das Rückenmark verbunden, einen Muskel zum Zucken bringt oder entspannt und damit die neurologische und die metabolischen Grundfunktionen, stellen eine oder besser unzählige Geschichten dar.

Diese Geschichten enthalten deshalb so oft den Prozess eines persönlichen und psychischen Wachstums, weil wir uns alle lebenslang in einem Entwicklungsprozess zu einem perfekten eigenen Zustand befinden, aber in diesem sehr früh – zusammen mit dem vollen Erwachen unseres Bewusstseins – stagnieren und uns die meiste Zeit des Lebens nur noch anstrengen und unter Druck setzen, aber innerlich und somit in Wirklichkeit und da wo es wirklich wichtig wäre gar nicht mehr weiterkommen. Um diesen Spannungszustand zwischen als Kind selbsterlebter Entwicklung und lähmender Entwicklungsunfähigkeit im zunehmenden Erwachsenenalter auszuhalten, imaginieren wir andere, größere und kleinere Geschichten als diejenigen unserer eigenen psychischen Entwicklung, an denen wir uns gedanklich ausagieren und die wir ersatzweise und oft nur scheinbar verfolgen können.

Logisches Denken selbst ist zum größten Teil aus Geschichten aufgebaut – genauso, weil sie aus episodischen Erlebnissen und Sinneseindrücken bestehen, deren Verarbeitung uns erst abstrakte und alleinstehende Begriffe und Vorstellungen erzeugen lässt und weil Logik nichts anderes bedeutet als die (richtigen) Zusammenhäng zwischen den einzelnen Objekten, Phänomenen und Kräften der Wirklichkeit zu erkennen und abzubilden. Wie gesagt ist die Natur einer Wirklichkeit mit einer Zeitdimension unausweichlich „episodisch“ oder „narrativ“ und damit natürlich auch jedes Logiksystem, was sie darzustellen oder zu erklären versucht. Eine Sache ist die Ursache einer anderen Sache. Nichts geschieht ohne einen Auslöser, keine Veränderung kann ohne Auswirkung bleiben. Nichts verschwindet vollkommen und nichts entsteht völlig aus dem Nichts. Das sind die einzig denkbaren und notwendigen Prämissen für logisches Denken und die Fähigkeit, auch (irgendwann) ohne jede Ausnahme alles zu verstehen. Jeder einzelne Schnipsel unser Selbst- und Welterkenntnis und selbst viele unserer Begriffe sind in sich eine Mikro- oder Makrogeschichte. Trotz dieser offensichtlichen Bedeutung des Narrativen für das Denken an sich meine ich aber, dass Mythen und Geschichten für uns Menschen eine weitere essenzielle Bedeutung haben, die wiederum darauf hinweist, dass wir uns als imperfekt erkennen, aber perfekt sein wollen und somit es sein können.

Wir müssen uns als Akteure in einer Geschichte oder einem Vorgang imaginieren, weil wir nicht perfekt sind, aber einen perfekten Anspruch zu erfüllen versuchen, den Zwang verspüren, diese perfektionistischen Vorstellungen wirklich irgendwie, irgendwo und irgendwann erfüllen zu müssen. Wenn wir uns psychisch in dem Zustand, den wir jetzt und gerade haben, nicht absolut bewerten und betrachten, sondern als in einem Prozess oder einer Geschichte befindlich, dann ist es leichter zu ertragen, dass es die erhoffte Perfektion in und um uns herum offensichtlich jetzt und gerade noch nicht gibt und auch, dass sie vielleicht im Laufe unserer Geschichte kommen wird. (Carl Ransom Rogers drückt dies so wunderbar humanistisch gehemmt als „becoming a person“ aus und meint damit wortwörtlich, dass der Mensch sich ein Leben lang unausweichlich in dem Prozess befindet, eine unabhängige und konsistente Person zu werden, ohne dies aber jemals erreichen oder werden zu können.) Gut geht unsere Geschichte aber nur aus, weil und wenn wir in der „Zwischenzeit“ semiperfekt das tun, was unsere Moral und Emotionen uns einflüstern und diese Perfektion irgendwann entstehen lassen wird. Dadurch können wir eine Existenz besser rechtfertigten, ertragen und rationalisieren, in der wir zwar imperfekt sind, aber verzweifelt und zwanghaft perfekt zu sein versuchen und uns bereits an einigermaßen sicheren Erkenntnissen und Regeln festklammern und uns einbilden können, dass sie und wir durch sie „perfekt“ sind.

Man braucht die Orientierung an und Werte aus der Vergangenheit und genauso der vermuteten ideologisch extrapolierten Zukunft der eigenen oder unserer Geschichte(n), weil man als Alter Mensch in der Gegenwart, im Moment und als Individuum keine eigenständige volle Orientierung, keine für sich selbst tragfähigen Antworten auf alle Fragen hat. Viele unserer existenziellen Fragen werden dadurch und dabei oft nur sehr notdürftig beantwortet, weil ein bestimmtes Verhalten, Lebensumstände oder Ereignisse im Lauf der historischen oder eigenen Lebensgeschichte einen scheinbaren Sinn ergeben, eine Berechtigung haben oder aber ein berechtigtes Ziel verfolgen.

Wir haben als Alte Menschen immer Interesse an extremen Charakteren, an Brüchen und Krisen in unseren Geschichten und Lebensläufen, wichtigen Entscheidungen und Veränderungen, weil uns mehr oder weniger un- und unterbewusst klar ist, dass das normale Alltagsleben des Menschen – unser Leben und unsere Existenz – langweilig, peinlich, stupide, unangenehm, dysfunktional und keinesfalls die Lösung für irgendetwas oder auch nur ein interessanter Schauplatz, an dem irgendetwas Existenzielles passieren könnte, sein können. Wir spüren, dass es Veränderung und Weiterentwicklung gesellschaftlich und psychisch braucht und auch, dass der Weg dorthin durch Kämpfe und Krisen gekennzeichnet ist und sein muss. In verständlicher, aber dennoch verhängnisvoller und feiger Weise projizieren wir diese Kämpfe, Angriffe und Krisen in der Wirklichkeit und im Alltag bisher aber vor allem nach außen und von uns weg.

Immer geht es in unseren mythologischen aber genauso in allen privaten Geschichten und Anekdoten um vorbildliche Helden, um den bestimmten Akteur an sich, der sich entscheiden und bestehen muss, um die richtigen Entscheidungen, Verbesserung und notwendiges Wachstum, also um eine Entwicklung in Richtung eines perfekteren Zustandes, um wichtige Wegscheiden in der Lebensgeschichte, um besondere Ereignisse oder darum, was es bedeutet, eine reine und gute Seele zu haben oder wie man es tendenziell schafft, besonders tolle Leistungen und seltene Erfolge zu erzielen. Besonders häufig geht es um das Scheitern all dessen, weil hier noch mehr als im moralinsauren schönen Schein und reiner Vorbildlichkeit klar wird, was passiert, wenn man vom rechten Weg abkommt.

Die Esoteriker und einige Religionen haben bereits gut erkannt, dass wir, um zu innerem Frieden zu gelangen, dieses getriebene (Alte) Leben in Fremdbestimmtheit, Geschichten und Sozialer Abhängigkeit verlassen müssen, alle Gedanken ausschalten und uns nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren und von allen Objekten, Zielen und Personen lossagen sollten, da wir im Kern unseres Selbst nicht grundlegend in Geschichten denken und existieren, sondern im Zustand wahrer innerer Ruhe in keinem Narrativ mehr eingebunden sind, keinen Druck, ein Ziel zu erreichen, mehr verspüren oder eine Rolle spielen zu müssen oder eben eine Geschichte weiterzuverfolgen und zu Ende führen zu müssen. Geschichten sind wie Gedanken und Gefühle und die gesamte Psyche sind nur Mittel zum Zweck, vernünftiges Verhalten auszuführen und dabei, aber vor allem auch danach, dann in sich zu ruhen. Unsere wahre Natur, aus der wir kommen und zu der wir immer wieder zurückkehren müssen – auch wenn uns das als Menschen oft nur im Schlaf oder wach für Nanosekunden gelingt – ist Emotionslosigkeit und innere Ruhe, in denen keine Geschichten notwendig sind oder zerebral abgespielt werden.

4.1.1.3 Kunst.

Der Künstler ist generell unzufrieden mit sich selbst und noch mehr mit der gesamten menschlichen Existenz, weshalb er einerseits in dieser keine essenzielle Rolle spielen möchte oder kann und andererseits wie ein Getriebener ständig Neues produziert, für das man ihn bewundern und wodurch man ihn infantil durchfüttert. Er versucht auf seine „Art“, Perfektionist zu sein. Oft sind, damit ein Mensch sich ganz der Kunst widmet, aber auch, damit er darin ernst genommen wird, ein Leiden und eine unmenschliche Anstrengung, Fokussierung und Hingabe zur eigenen Kunst oder dessen Inhalt von Bedeutung, die dem normalen Menschen nicht möglich oder zumindest nicht ganz zugänglich zu sein scheinen. Nur zu gerne glauben wir an die Existenz gewisser „Talente“, also angeblich angeborene und durch kein Training der Welt zu ersetzenden Eigenschaften, die die Begabung des Begabten erklärt und über die Ebene des normal und selbst Erreichbaren erhebt. Dies ist zwar verlogen und entwicklungspsychologisch verhängnisvoll, beruhigt uns aber ungemein, weil es uns real frustriert und uns, als Unbegabte, dabei gleichzeitig weniger in unserer Ehre kränkt, weil es ja genetisch (?) gar nicht möglich ist, dass wir auch so toll sind und nicht etwa, weil wir uns nicht genug anstrengt haben und unsere persönlichen Leistungen, Ergebnisse und Anstrengungen zu gering sind. Man kann sich einreden, dass man, wenn man nirgendwo auch nur ansatzweise ein „Ausnahmetalent“ ist, trotzdem selbst das Beste aus sich gemacht hat und macht, auch wenn solch ein Talent eben nicht in einem „angelegt“ wurde. Wie überall zeigt sich die schizoide Spaltung zwischen einem Versuch, Traum, Wunsch oder Anspruch, perfekt und/oder so perfekt und überdurchschnittlich fähig wie andere zu sein und den gleichzeitigen, notwendigerweise mystischen Rechtfertigungen, weshalb dies bei einem selbst und anderen offensichtlich noch nicht der Wirklichkeit entspricht.

Auch und vor allem in der Kunst sind ideale und damit perfekte Körper und Formen von großer Bedeutung, die vor allem traditionell sind aber ebenfalls den Zweck hatten, seelische, religiöse und psychische Ideale darzustellen, und das durch Haltung, Ausdruck und Eindruck ihrer Werke. Auch Künstler haben, wenn auch hier wiederum sehr stark unterbewusst, ein perfektes Produkt im Sinn, das sie ungefähr so umsetzen müssen, wie sie es sich „vorstellten“, um einigermaßen zufrieden damit zu sein. Kunstwerke stellen ästhetisch eindeutige, statisch absolute sowie harmonische Dinge dar, eine perfekt konstruierte, in sich geschlossene Situation – wobei die Postmoderne dies kurzzeitig extrem pervertiert, aber auch damit wieder nur ein dekonstruktives Gesamtbild schafft, dass in seiner Einheitlichkeit genauso „perfekt“ zu sein versucht.

Getreu der Überzeugung, dass jeder Mensch ein Künstler ist, ist generell unser aller übertriebener Sinn, unsere Einschätzung und Bewertung für (die unterschiedlichsten Formen von) Ästhetik ein Hinweis darauf, dass in uns der Wunsch lauert und drängt, perfekt zu sein oder zumindest etwas Perfektes erblicken oder hören oder gar selbst erschaffen zu können. Frauen streben dabei eher nach einer ornamentalen und gesamtheitlichen Ästhetik und Männer mehr nach klaren Formen, Aufgeräumtheit und einzelnen fetischisierten Aspekten und Objekten, die durch ihre funktionelle Ästhetik glänzen. Beide sind jedoch mehr als alle anderen Tiere daran interessiert oder fühlen sich wohler, wenn ihre alltägliche Lebensumwelt eine bestimmte Ordnung, Einrichtung und Ästhetik aufweisen. Ein großer Teil der Wegwerfkultur besteht daraus, dass wir uns und unsere Lebensumwelt in bestimmter Weise schmücken wollen oder es Objekten erlauben, so wichtig zu werden, dass wir uns unwohl fühlen, sie (auch öffentlich) zu besitzen oder zu vermissen. Auch hier zeigt sich meiner Meinung nach wieder, dass wir einen inneren Perfektionstrieb besitzen und verspüren und, um ihn zu befriedigen, wenigstens unsere Umwelt so äußerlich perfekt, zu und passend und stimmig machen wollen, sodass sie uns perfekt erscheint, uns nicht mehr irritiert, verärgert, ästhetisch stört – was natürlich auch dadurch erreicht wird, dass wir sie und uns selbst unserem Charakter und Selbstbild entsprechend einrichten oder zurechtmachen. Künstler sind generell oft Menschen, die besonders infantil bleiben, neurotisch sind und die humanistische Perfektion deshalb häufig vehement erträumen und vertreten – was natürlich einfach ist, wenn man keinerlei Verantwortung trägt, da das eigene Werk per definitionem existenziell unbedeutend und (angeblich) frei interpretierbar ist, doch mehr dazu bei den Musikern.

4.1.1.4 Musik.

Auch und im Speziellen Musiker, die Musik und ihr Talent sowie Vermögen, die Seele angenehm zu berühren wie auch das Musikhören an sich – ewige Zeiten eine absolute Ausnahme- und Luxuserscheinung – sind assoziativ verbunden mit der Vorstellung eines perfekten besseren Menschen und (seines) perfekten Zustandes, einem ozeanischen Gefühl, das einen an den tendenziell perfekten Zustand des Flows in sozialer Einheit, seltenen Momenten oder inneren Frieden erinnert und von idealen Welten sowie Seelenzuständen träumen lässt.

Lange Zeit war der zentrale Sinn und Zweck des ganzen Singens, Trommelns und Tanzens das periodische Erzeugen eines irrealen, aber notwendigen absoluten Gemeinschaftsgefühls, die Erzeugung eines aus emotionaler Sicht perfekten gemeinschaftlich hingerissenen, dionysischen Zustandes, der eine vollherzige und überzeugte Teilnahme an der Gesamtkultur und ihren privaten Einschränkungen emotional-rational rechtfertigen half, weil zumindest zeitweise ein ideales Neues Leben möglich ist. Oder aber es wurde und wird bei der Arbeit oder anderen Alltagsbeschäftigungen gesungen. Im Laufe der Moderne wird die Musik immer mehr zum einerseits perfektionistisch exklusiven Ereignis aber in der Folge zum alltäglichüberflüssigen Wegwerfprodukt und dient immer mehr der Abgrenzung als dem Zusammenhalt, beziehungsweise dem Zusammenhalt in fragmentierten Subkulturen.

Die Musik will Wohlgefühl vermitteln, sie soll ein wenig kitzeln, irritieren und darf sicherlich in ihrer Komplexität nicht zu banal sein. Vor allem soll sie jedoch durch harmonische und rhythmisch einheitliche Klänge beruhigen, wie sie die Natur und der Alltag nur spärlich liefern – bis auf unser eigener Herzschlag. Wieder spielen wir uns durch die und in der Musik eine Welt vor, die perfekter und harmonischer ist und in uns anhaltend positivere Gefühle auslöst, als es in der Wirklichkeit oder dem Alltag der Fall ist. Ein Schlagrhythmus in der Nähe unseres eigenen Herzschlags und dem der Mutter, die sich im Mutterleib oft synchronisierten, signalisiert uns generell und weit vorbewusst, dass wir in unserer jetzigen noch primitiven Form okay sind und uns wohl fühlen, also als perfekt empfinden können. Nur solch primitive oder einfache Muster, wie sie gestimmte Instrumente, Harmonien und gleichbleibender Rhythmus darstellen, können wir als Alte Menschen entspannt verarbeiten, aber wir kommen eben auch nicht ganz ohne unser zwanghaftes Verarbeiten von Außenreizen aus, da sonst das innere Chaos oder die innere Lähmung spürbar würde. Deshalb erzeugen und hören wir ständig diese Imitationen von Wirklichkeit, von wirklicher menschlicher Nähe und einem realen Flowzustand.

Die Musik besitzt den analytischen Vorteil, dass sie oft auch Sprache benutzt und somit, vor allem in der Moderne, viel direkter ihre Einstellungen deutlich machen kann als andere Kunstformen. Außerdem sind vor allem moderne Musiker besonders infantile Künstler, vom harten realen Leben ungebrochen und in diesem unerfahren, charakterlich eher passiv, weichlich und introvertiert (weshalb ihnen die extrovertierte Kunst als einziger bedeutender Kanal nach außen so wichtig erscheint), unaggressiv und sie sind nicht selten (ungebrochene) gesellschaftliche Außenseiter oder Opfer und stehen vermehrt unter Drogeneinfluss, weshalb sie logischerweise in extremem Maße humanistischen Idealbildern nachhängen, wiederum ohne sich darum kümmern zu müssen oder zu können, wie das von ihnen Besungene zu erreichen ist oder welche Wirkung ihre idealistischen Nachrichten gesellschaftlich haben. Auch traditionelle Musiker thematisieren den Perfektionismus, den Neue Menschen und utopische Lebensumstände schon allein deshalb, weil sie lange oft religiösen Inhalt hatten oder eine ideale nationale Identität stärken oder darstellen sollten.

Aber die moderne Musik ist in ihren visionären Bildern vom Neuen Mensch und ihrer Anklage bestehender Missstände sogar noch um einiges direkter, kritischer, visionärer und treffender – wobei auch hier die Texte der Strophen und Refrains immer noch nur verkürzte und einseitige, oft missverstandene und verständliche, unklare oder übertriebene oder schlicht falsche Heilsversprechen und Weisheiten sind, die eher dadurch ihre Richtigkeit erhalten haben, dass sie einem allgemeinen Entwicklungstrauma und -zustand entsprechen, die der Musiker besonders spürt, als dass der Musiker wirklich eine alternative Theorie oder Lebensweise anzubieten hätte, oder als Person einen besonders brillanten, moralisch integren, visionären, vorbildhaften oder wirklich revolutionären Geist und Lebenswandel hat oder haben muss:

„Break on through to the other side” (The Doors) – das heißt hier natürlich auch, auf die andere Seite der drogeninduzierten Wahrnehmung zu wechseln, aber eben nicht nur. Der Wechsel auf eine andere „Seite“ und ein besseres Leben ist ein allgemeines Motiv.

“If you wanna make the world a better place, take a look at yourself and make that change” (Michael Jackson) – wobei hier wieder gilt, dass man nicht (ansatzweise) selbst perfekt sein muss, um perfekte Ratschläge geben zu können. Ich gehe ab hier davon aus, dass klar ist, dass ich in meinen Zitaten nicht die Person des Künstlers in die Waagschale lege, sondern allein seine Botschaft, die oft nicht so sehr genuin seine eigenen visionären Eingebungen, sondern zu großen Teilen den Zeitgeist seiner Epoche darstell(t)en. Folgend weitere illustre Botschaften in musikalischer Verpackung:

„Imagine all the people, sharin´ all the world – and the world will live as one“ (John Lennon).

„Macht kaputt, was euch kaputt macht. Ach, wo ist noch Platz für mich oder ein Dach für dich? Hörst´ du es flüstern im Land? Der Turm stürzt ein Der Turm stürzt ein - Halleluja, der Turm stürzt ein. Der Planet Erde wird uns allen gehören und jeder wird haben, was er braucht.“ (Ton Steine Scherben).

„Empty spaces – what are we living for? (…) Does anybody want to take it anymore? … My make-up may be flaking but my smile still stays on. (…) Outside the dawn is breaking but inside in the dark I´m aching tobe free.” (Queen).

„ All around me are familiar faces, worn out places, worn out faces. Up and early for their daily races. Going nowhere, going nowhere (…) and I find it hard to tell you and I find it hard to take but when people run circles it´s a very, very mad world (…) enlarge your world” (Tears for Fears).

„People equal shit.” (Slipknot).

„But Eden is burning, either get ready for elimination or else your hearts must have the courage for the changing of the guards. Peace will come with tranquility and splendor on the wheels of fire but will bring us no reward when her false idols fall.” (Bob Dylan)

„I wish I could write you a melody so plain that could hold you, dear lady, from going insane. That could ease you and cool you and cease the pain of your useless and pointless knowledge.” (Bob Dylan).

„No more wicked people, what is it: One Love! (…) It's one god, one aim, one destiny for the better in the world, for you and forme. (…) You're living in darkness. You should be living in the light!” (Dr. Alban).

„Die Schwächsten abgehakt, mit sich selbst unversöhnt. Sich um Asyl gebeten: Abgelehnt. Die Seele verhökert, alles sinnentleert; keine innere Heimat. Keine Heimat mehr! (…) Überreiztes Geschrei nach neuer Moral.“ (Herbert Grönemeyer).

„Und auch dich haben sie schon genauso belogen – so wie sie es mit uns heute immer noch tun. Und du hast ihnen alles gegeben: Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.“ (Hannes Wader).

„People get ready. There's a train a-coming. You don't need no baggage, you just get on board. All you need is faith. (…) There ain't no room for the hopeless sinner who would hurt all mankind just to save his own.” (The Impressions)

…und so weiter und sofort – ich habe schon etliche Playlist von solch visionärem Zeugs angelegt. Leider verbergen sich aber auch und vor allem Lyriker sowie Musiker hinter einer angeblichen Subjektivität ihrer Texte, die angeblich von jedem gerne ganz anders verstanden werden können. Um klare und umfassende Lebenshilfe und Wahrheiten zu liefern, sind die Musiker selbst und auch ihre Musik und Texte deshalb oft wenig hilfreich.

Zum Abschluss Friedrich Schillers Götterfunke, in dem schon recht weit versucht wurde, den Zustand eines idealen Lebens strukturell zu entwerfen:

„Deine Zauber binden wieder was der Mode Schwert getrennt.“ (Wir brauchen Einheit und sie ist bisher durch Nichtigkeiten unmöglich.)

„Bettler werden Fürstenbrüder“ (oder: „Alle Menschen werden Brüder“ – wobei erstere Version besser das humanistische Dilemma widerspiegelt, dass theoretisch alle Menschen in den Stand eines Fürsten erhoben werden müssten, damit alle zufrieden und friedlich sind, was aber nicht umsetzbar ist.)

„(…) wo dein sanfter Flügel weilt. (…) Froh wie seine Sonne fliegen, durch des Himmels prächt´gen Plan. Laufet Brüder eure Bahnen freudig wie ein Held zum Siegen.“ (Wir wollen, dass sich unser Leben perfekt und funktional anfühlt und wirklich so ist.)

(…) „Duldet mutig Millionen, duldet für die bess´re Welt. Droben über´m Sternenzelt wird ein großer Gott belohnen.“ (Und wir müssen aushalten, dass unsere Existenz oft nicht perfekt ist, weil es nur durch diesen Verzicht möglich ist, dass alles jetzt einigermaßen stabil ist und zukünftig richtig perfekt sein wird.) –

„Dem Verdienste seine Kronen, Untergang der Lügenbrut, Schließt den Zirkel dichter.“ (Wahrheit und wirkliche Leistung müssen zählen und nur auf dieser allgemeinen, wahrhaftigen Grundlage ist eine tiefe Einheit möglich.)

4.1.1.5 Technologische, philosophische und wissenschaftliche Entwicklung.

Die gesamte Philosophie und die modernen Wissenschaften als deren rechtmäßige Erben steuern darauf zu, die Welt und den Menschen ganz zu verstehen und aufgrund dieses Wissens eine ideale Welt samt Neuem Menschen zu erzeugen. Ihre gigantischen Textberge, verschwurbelten Satzkreaturen (nicht, dass ich mich da auskennen würde) und teilweise immer wieder abgrundtiefen Irrtümer, Wahngebirge und Tautologien zeigen, wie schwer das Ganze, aber genauso, wie stark, berechtigt und fruchtbar dieser Perfektionstrieb zur Überwindung unserer existenziell bedrohlichen Orientierungslosigkeit in uns ist und es wohl einem jeden in menschlichen Dimensionen bewusst und intelligent denkenden Wesens sein muss.

Psychologie und Wissenschaft sind die Spitzen der Philosophie und sie löst sich in diesen konkreten Anwendungen und Einzelfakten schließlich vollständig auf. Auch die technische, kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung hat das Ziel, ein ideales Leben zu erschaffen, allerdings bisher vor allem physisch und handwerklich und leider für einen unverändert suboptimalen Alten Menschen. Dass wir uns selbst dabei noch so wenig bearbeiten, machte dabei aber die bisherigen menschlichen Entwicklungen wesentlich schneller und leichter umsetzbar und sie sind und waren deshalb verführerischer als es eine eigene psychische Entwicklung je sein kann. Die Wissenschaft geht in ihrem Wirken zumindest implizit davon aus, dass es einen perfekten idealen Menschen geben kann, der alles sehen, verstehen, verändern und leisten und nutzen kann, was sie an immer Neuem finden und uns Menschen als Weltwissen aufbürden. Die Wissenschaft, Technik und ihre alltäglichen und exklusiven Erfindungen machen uns schon heute, wenn schon nicht als Individuen, so doch als Menschheit, so gut wie und im Vergleich zu jedem anderen bekannten Lebewesen allwissend und allmächtig. Das Problem ist bis heute nicht unser Einfallsreichtum und unsere Erfolge, sondern dass immer noch dieselben zwar gut dressierbaren aber insgesamt unfähigen Affen an unseren perfekten Maschinen sitzen, sie missbrauchen, über Gebühr benutzen und ihre Fähigkeiten verschwenden.

Alles immer genauer zu wissen, zu beeinflussen, und zu kontrollieren, um immer mehr Sicherheit zu erreichen ist der menschliche Weg und bedeutet implizit ab den ersten Steinwerkzeugen, dass wir als Einzelmenschen immer exaktere, kontrollierte und perfekte Einzelhandlungen ausführen müssen, die nicht in unseren Genen vorgefertigt sein können, weil wir die Praktiken, zu denen sie gebraucht werden, ja selbst und so schnell erfunden haben, dass sie noch keine festen genetischen Spuren hinterlassen konnten. Je perfekter das Leben sein soll, je größer das Wissen ist und je mächtiger die Werkzeuge zu dieser Lebensverbesserung (wozu auch sonst?) sind, desto perfekter muss der Einzelne in dem Ganzen funktionieren, desto mehr Verantwortung, Sorgfalt und Selbstkontrolle muss er auf sich nehmen, damit alles überhaupt einigermaßen funktioniert und darüber hinaus, damit nicht diese lästigen Super-GAUs passieren. Dass dem so ist, verspüren wir als Mitglieder der Moderne und vor allem Postmoderne, als Unbehagen in unserer Kultur, unbestimmbare Ängste, technokratische Gleichschaltung und Bedeutungslosigkeit, sozialer Kälte, in der wir in einem – bisher immer falschen (!) System – perfekt das tun müssen, was die Maschinen, Regeln und Institutionen unseres Gemeinschaftslebens uns diktieren.

4.1.1.6 Spiritualität an sich.

Auch in der Spiritualität träumt man offensichtlich von perfekten äußeren aber vor allem auch von perfekten inneren Zuständen, von der Erleuchtung, der Einheit mit sich selbst, mit allen Menschen, Geschöpfen und dem Universum, von denen man nicht unberechtigt meint, dass sie auch die äußeren Zustände perfekt machen werden, wenn unsere innere Ordnung und Harmonie oder Ruhe selbst vollkommen und global verbreitet sein werden. Auch diese Vorstellungen klingen stark nach Geistiger Revolution und finden sich in restlos allen Religionen und mystischen oder esoterischen Glaubenssystemen. Ich will dazu Eckhardt Tolle aus „Eine neue Erde“ zitieren, weil er in so einfacher und moderner Sprache beschreibt und zusammenfasst, was alle spirituellen Überzeugungen, Weltbilder und Religionen kennzeichnet:

„Die sichtbaren Formen des im Menschen begründeten Wahnsinns füllen den größten Teil der Menschheitsgeschichte. Sie ist weitgehend eine Geschichte des Wahnsinns. Wenn die Geschichte der Menschheit ein Zustandsbericht eines einzelnen Menschen wäre, müsste die Diagnose lauten: chronische paranoide Wahnvorstellungen, ein pathologischer Hang zu Mord und anderen extremen Gewalt- und Gräueltaten gegenüber angeblichen „Feinden“ – Projektion des eigenen Unbewussten nach außen. Verbrecherischer Wahnsinn im Wechsel mit ein paar kurzen lichten Momenten. – Die größte Leistung der Menschheit ist nicht die Kunst, Wissenschaft oder Technik, sondern die Erkenntnis dieser Störung. In ferner Vergangenheit sind bereits ein paar Menschen zu dieser Einsicht gelangt. (…) Mit der Einsicht in den eigenen Wahnsinn war natürlich die Gesundung gekoppelt, die zu Heilung und Transzendenz führte. eine neue Bewusstseinsdimension zeigte sich auf der Erde, eine erste zaghafte Blüte. (…) Das Ego ist dazu bestimmt, sich aufzulösen, und all seine verknöcherten Strukturen, ob religiöse oder andere Strukturen, werden von innen her zerfallen, wie ehern sie nach außen hin auch erscheinen mögen. (…) So ist es dem Sowjetkommunismus bereits ergangen. Er schien felsenfest gegründet, eisern und unerschütterlich zu sein, dabei löste er sich innerhalb weniger Jahre von innen her auf. Niemand hatte das vorausgesehen, alle wurden davon überrascht. Es warten noch eine Menge solcher Überraschungen auf uns. (…) (Er thematisiert biologische Transformationen, zum Beispiel vom Wasser ans Land:) Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sich eine Spezies in solch feindliche Umgebung vorwagt und evolutionäre Verwandlung durchmacht, ohne durch eine gewisse Krisensituation dazu gezwungen worden zu sein. – Auf eine tiefgreifende Krise, die das Überleben aller bedroht, zu reagieren – das ist die Herausforderung, vor der die Menschheit jetzt steht. Die Gestörtheit des menschlichen Egogeistes, die schon vor über 2‘500 Jahren von den alten Weisheitslehrern erkannt wurde und die jetzt durch Wissenschaft und Technik überdeutlich zu Tage tritt, bedroht erstmalig das Überleben der Erde (vor allem wohl das des Menschen! – Anmerkung des Autors). Bis vor kurzem war die Transformation des menschlichen Bewusstseins – auf die ebenfalls die alten Lehrer schon hingewiesen haben – nichts als eine Möglichkeit, die einige wenige Menschen hier und da ungeachtet ihres kulturellen und religiösen Hintergrundes ergriffen. Zu einem weit verbreiteten Aufblühen des menschlichen Bewusstseins kam es noch nicht, weil es noch nicht zwingend erforderlich war. Ein bedeutender Teil der Weltbevölkerung wird bald erkennen – falls er das noch nicht getan hat –, dass die Menschheit jetzt nur noch eine Wahl hat: Weiterentwicklung oder Tod.“

Gut gebrüllt, mein lieber Eckhardt! Jetzt müssen wir nur noch wissen, wie genau diese Transformation zu schaffen ist, denn einfach nur mit Loslassen und In-Sich-Gehen ist es da leider nicht getan. Jeder muss die Krise der Menschheit und seine eigenen Krisen bis ins Mark spüren.

4.1.1.6 Ideologien an sich.

Seit Menschengedenken kultivieren wir moralisch-ethische, gesellschaftliche und religiöse Ideale, also perfekte Vorstellungen davon, wie man als Mensch zu handeln und zu sein hat. Das heißt, dass wir ständig gegenseitig von uns verlangen und uns meist erfolgreich vorspielen, dass wir eigentlich schon völlig vernünftig wären. Diese Ideale und der Zwang, sie möglichst zu erfüllen, sind offensichtlich notwendig dafür, dass wir als Alte Menschen zumindest halbwegs vernünftig leben. Obwohl wir zwischendurch immer wieder mehr oder weniger bewusst versagen, blind unseren Trieben folgen, die Selbstkontrolle verlieren oder gehemmt sind und gesellschaftliche und moralische Regeln brechen, schaffen wir es genauso oft, auch (wieder) vernünftig und gefasst zu sein, indem wir uns selbst oder gegenseitig vorbeten, wie eine richtige Frau, ein richtiger Mann, ein echter Deutscher, wahrer Christ, Moslem oder Buddhist, eben ein „vernünftiger Mensch“ eigentlich handeln sollte. Nur durch diese zwar irrealen, aber eben ein vernünftiges Leben anpeilenden Ideale ist es uns bisher möglich, gesellschaftlich und fremdbestimmt einigermaßen in Harmonie und sogar Kooperation zu leben und uns am Riemen zu reißen, obwohl wir das letztendlich gar nicht vollständig oder eigenständig können

Jede spezielle und ausgereifte Ideologie verengt und spezifiziert diese Vorstellung von einem (teilweise) perfekten Neuen Menschen in ihrem Sinne. In vielen Ideologien, genauso wie in der Religion, wird explizit von einem Neue Mensch fantasiert und gesprochen, auch wenn er oft einen anderen Namen trägt: Aufgabe und Vorstellung der Renaissance war es, durch hohe Bildung und ansatzweise humanistische Erziehung und Lebensbedingungen einen „neuen Menschen“ hervorzubringen. Im Englischen bezeichnet man ferner als renaissance man einen Menschen mit besonders vielen und verschiedenen Fähigkeiten.

Insbesondere die Freimaurer haben – was neben handwerklichen, politischen und organisatorischen, ihre spirituellen Inhalte angeht – die Absicht gehabt, ein besseres Leben und einen Neuen Menschen zu kreieren: Freiheit von Unterdrückung und Ausbeutung als Grundvoraussetzung der Freiheit des Geistes und der individuellen Verwirklichung. Gleichheit der Menschen ohne Klassenunterschiede und Gleichheit vor dem Gesetz. Brüderlichkeit durch Sicherheit, Vertrauen, Fürsorge, Mitverantwortung und der Verständigung mit- und untereinander. Toleranz durch aktives Zuhören und Verständnis anderer Meinungen. Die Summe dieser vier Grundsäulen wird durch den „Tempel der Humanität“ symbolisiert, an dem Freimaurer arbeiten und arbeiteten – entgegen der wahnwitzigen Vorstellung, die man sich heute teilweise von den Illuminati macht.

Alle Religionen arbeiten mit dem Bild eines perfekten (essenziell menschlichen) Wesens und wirken dahingehend, den Einzelnen möglichst weit in diese Perfektion zu treiben, indem sie dieses göttliches perfekte Wesen imaginieren und propagieren, das uns nach seinem Abbild geschaffen hat und uns, spätestens am Ende unseres Lebens, bewerten, belohnen oder bestrafen wird – und zwar nach ihrem göttlichen, religiösen oder perfektionistischen Maßstab.

Auch der Humanismus spricht oft vom Neuen Menschen, etwa Carl Ransom Rogers oder den Utopiern im gleichnamigen Buch „Utopia“ von Thomas Morus. Sowohl Kommunismus wie auch Sozialismus sind, mehr oder weniger radikal, der Meinung, dass wir noch keine perfekten Menschen sind und dies aber werden, wenn man uns nur lange genug erlaubt, in mehr oder weniger zwanghafter Freiheit und Gleichheit ein schon fast ideales Leben zu leben. Selbst der Faschismus ist der Meinung, dass durch rassische und völkische Reinigung schlechter Gene und eine strenge und landesübliche Zucht und Ordnung wesentlich bessere Neue Menschen entstehen werden. Die unterschiedlichsten Ideologien haben trotzdem denselben Kern: Das überwinden des bisherigen Lebens und Geisteszustandes des Menschen in einem Neuen Leben und als Neue Menschen.