Ein charmanter Schuft - Liz Carlyle - E-Book

Ein charmanter Schuft E-Book

Liz Carlyle

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Beschreibung

Ein sinnliches Tauziehen zwischen himmlischen Sehnsüchten und weltlichem Vergnügen

Sir Alasdair MacLachlan traut seinen Augen kaum, als die schöne Esmée nach einer durchzechten Nacht vor seiner Tür steht. In ihren Armen hält sie ein Baby - angeblich das Ergebnis einer einzigen leidenschaftlichen Begegnung. Alasdair ist sich zwar bewusst, die eine oder andere Sünde begangen zu haben. An diese kann er sich allerdings nicht erinnern. Doch er ist zu sehr Gentleman, um Esmée und die kleine Sorcha abzuweisen. Er gewährt ihnen Einlass in sein Haus - und bald auch in sein Herz ...

Dieser historische Liebesroman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Der süße Preis der Sünde" erschienen.

Weitere Regency-Liebesgeschichten aus der MacLachlan-Saga als eBook bei beHEARTBEAT: "Ein unwiderstehlicher Halunke", "Ein betörender Earl" und "Ein geheimnisvoller Gentleman".

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EPUB

Seitenzahl: 508

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Weitere Titel der Autorin

Stürmisches Spiel der Herzen

Die MacLachlan-Saga

Ein unwiderstehlicher Halunke

Ein betörender Earl

Ein geheimnisvoller Gentleman

Neville Family

Entflammt von deiner Liebe

Verloren in deiner Sehnsucht

Bezwungen von deiner Leidenschaft

Rutledge Family

Verbotenes Begehren

Verführerischer Rebell

Über dieses Buch

Ein sinnliches Tauziehen zwischen himmlischen Sehnsüchten und weltlichem Vergnügen

Sir Alasdair MacLachlan traut seinen Augen kaum, als die schöne Esmée nach einer durchzechten Nacht vor seiner Tür steht. In ihren Armen hält sie ein Baby – angeblich das Ergebnis einer einzigen leidenschaftlichen Begegnung. Alasdair ist sich zwar bewusst, die eine oder andere Sünde begangen zu haben. An diese kann er sich allerdings nicht erinnern. Doch er ist zu sehr Gentleman, um Esmée und die kleine Sorcha abzuweisen. Er gewährt ihnen Einlass in sein Haus - und bald auch in sein Herz …

Über die Autorin

Liz Carlyles große Leidenschaft gilt dem England des 19. Jahrhunderts, den rauschenden Bällen und den festlich gewandeten Damen. Auf ihren zahlreichen Reisen nach England hat die Autorin ihr Korsett und ihre Tanzschuhe stets im Gepäck - auf eine Einladung zu einem Ball wartet sie allerdings immer noch. Dafür kennt sie mittlerweile so ziemlich jede dunkle Gasse und jedes zweifelhafte Wirtshaus in London. Liz Carlyle lebt mit ihrem Ehemann und mehreren Katzen in North Carolina, USA.

Liz Carlyle

EINCHARMANTERSCHUFT

Aus dem amerikanischen Englisch vonSusanne Kregeloh

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2005 by S. T. Woodhouse

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »One little Sin«

Originalverlag: Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Der süße Preis der Sünde«

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © thinkstock: Lillput | misha-photography | InnaFelker; © RomanceNovelCovers

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5514-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für meine Agentin Nancy Yost –in tiefster Dankbarkeit

Prolog

Der Boxkampf

An einem schwülen Nachmittag im September ereilte Sir Alasdair MacLachlan um Haaresbreite das, was seine Großmutter Granny MacGregor ihm seit fast dreißig Jahren prophezeite: die Stunde, in der er seine wohlverdiente Strafe bekommen würde. Trotz der häufigen Wiederholung dieser Warnung hatte er sie nie ernst genommen.

Bis zum Alter von acht Jahren hatte Alasdair geglaubt, das Gerede des alten Mädchens von »der Stunde, die einst schlagen würde« wäre ein schottisches Gebet um noch mehr Glück und Reichtum, denn Granny war für ihren Geiz berüchtigt. Also hatte er diesen Spruch einfach vergessen, ebenso wie die anderen, die da lauteten: Wer mit dem Teufel speist, braucht einen langen Löffel oder – dies war ihr Lieblingsspruch – Hochmut kommt vor dem Fall, und die Hoffärtigen –

Nun, Sir Alasdair konnte sich weder erinnern, was mit den Hoffärtigen geschah, noch strengte er sich sonderlich an, darüber nachzudenken. Schon gar nicht an diesem so drückend heißen Nachmittag, an dem er mit seinen Gedanken ganz woanders war, weil er tief in Bliss, der Frau des Dorfschmieds, steckte, als der erste Gewehrschuss losknallte, und damit für Alasdair die Stunde der Abrechnung nahte.

»Oh verdammt!«, keuchte Bliss und schob Alasdair von sich herunter. »Mein Mann!«

In seine heruntergelassenen Hosen verstrickt, rutschte Sir Alasdair vom Strohballen herunter, wobei er nach seinen Hosenträgern fischte und eine Staubwolke aufwirbelte.

»Mach schon, Bliss! Ich weiß, dass du da drin bist!« Die wütende Stimme hallte durch den dämmrigen Stall. »Los, komm raus! Sofort! Und dieser verfluchte, hinterhältige Schotte auch!«

»Herrgott, nicht das schon wieder«, stöhnte Bliss resigniert. Sie hatte inzwischen ihre Unterhosen hochgezogen und war jetzt dabei, ihren Rock glatt zu streichen. »Meistens kann ich ihn ein bisschen beruhigen«, flüsterte sie. »Aber du kletterst besser über die Wand dort und machst, dass du wegkommst. Mir wird Will nichts tun, aber dich würde er umbringen.«

Alasdair, der sich hastig das Hemd in die Hose stopfte, grinste. »Wirst du um mich trauern, Liebste?«

Bliss zuckte mit den Schultern. Was wohl bedeutete, dass sie den Verlust verschmerzen würde. Alasdair fühlte sich dadurch keineswegs gekränkt, brüstete er sich selbst doch stolz damit, alles leichtzunehmen. Die Stallgasse entlang wurden knarrend die Türen der Boxen aufgerissen und mit unbarmherziger Wut wieder zugeworfen. »Komm raus, du verdammter Bastard!«, brüllte der Schmied. »Es gibt nur einen Weg raus aus dem Stall, und der führt an mir vorbei!«

Alasdair gab Bliss einen schmatzenden Kuss, dann erklomm er einen Mauerabsatz in der Stallwand. »Mach’s gut, meine Liebe«, sagte er und zwinkerte ihr zu. »Das hier warst du wert.«

Bliss warf ihm einen anzüglichen Blick zu, dann zog sie die Tür der Stallbox auf. Mit einem gekonnten Beinschwung schwang sich Alasdair währenddessen das restliche Stück der Bretterwand hinauf und darüber hinweg und ließ sich in die benachbarte Box fallen.

»Will Handy, hast du den Verstand verloren!« Bliss stand jetzt in der Stallgasse und protestierte theatralisch. »Leg die Pistole weg, ehe du dich selbst damit umbringst! Darf eine Frau nicht mal ein Nickerchen machen! Ich hab mich den ganzen Tag lang abgeschuftet, hab wie ein Schankmädchen Wasser und Bier den Berg hoch- und runtergeschleppt.«

»Ich weiß, wem du deine Dienste angeboten hast, Weib.« Die Stimme des Jüngsten Tages war jetzt nur noch wenige Fuß entfernt. »Wo steckt er, he? Bei Gott, dieses Mal wird es einen Toten geben.«

Alasdair öffnete die Boxentür vorsichtig einen Spaltbreit und spähte auf die Stallgasse hinaus. Grundgütiger Gott! Alasdair war beileibe kein kleiner Mann, aber Bliss’ Ehemann sah aus wie ein wütender Ackergaul – mit seinen großen gelben Zähnen und seiner gewaltigen Statur. Und er schwitzte auch so.

Von der schmutzigen Lederschürze an aufwärts nackt, liefen dem Schmied kleine Schweißbäche die raue braune Haut herunter. Wirres schwarzes Haar bedeckte seine breite Brust, die baumdicken Arme und den größten Teil des Rückens. In einer Hand hielt er eine gefährlich aussehende Handsichel, in der anderen eine rostige Duellpistole, deren Gegenstück in seinem Gürtel steckte.

Zwei Pistolen. Noch ein Schuss.

Verdammt! Alasdair hatte in St. Andrews mit einer vorzüglichen Note in Mathematik abgeschlossen. Seine Überlegenheit auf diesem Gebiet behagte ihm jetzt aber ganz und gar nicht. Himmel, in was für einen Schlamassel war er da dieses Mal nur hineingeraten! Aber er liebte das Leben viel zu sehr, um ihm ohne Gegenwehr zu entsagen.

Bliss hatte jetzt einen Zipfel ihrer Schürze angefeuchtet und rieb damit an einem Rußfleck auf dem Gesicht des Scheusals herum. »Schscht, Will«, besänftigte sie ihn. »Hier ist niemand außer mir, ja?«

Alasdair schob die Tür vorsichtig noch einige Zentimeter weiter auf, dann hielt er inne, bis Bliss ihren Ehemann am Arm nahm und ihn mit sich zur Tür zog. Alasdair wartete, bis sie um die Ecke verschwunden waren, bevor er auf Zehenspitzen aus der Box schlich. Und dabei prompt auf einen Rechen trat. Ein sechs Fuß langer Stiel aus harter englischer Eiche schoss aus dem Mist hoch und traf ihn genau zwischen den Augen. Alasdair fluchte, verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden.

»Da ist der Kerl!«, brüllte der Schmied. »Komm her, du Schweinehund!«

Alasdair war zwar benommen, aber nicht dumm. Der Schmied hatte die Hand seiner Frau abgeschüttelt und kam die Stallgasse entlang zurückgerannt. Alasdair stieß den Rechen mit dem Fuß zur Seite, täuschte einen Sprung nach links vor, preschte dann aber an seinem Feind vorbei. Der Schmied brüllte wie ein angestochener Stier und drehte sich um. Jedoch zu spät.

Alasdair rannte in das gleißende Sonnenlicht hinaus. In genau diesem Moment erhob sich aus der Menschenmenge auf der Wiese am Fuß des Hügels ein Aufschrei. Ein illegaler und hoch bewetteter Boxkampf hatte die Hälfte der Londoner Leichtfüße hierher in das kleine Dorf in Surrey gelockt, und der Anblick eines blutenden Aristokraten, der von einem mit einer Handsichel bewaffneten Schmied verfolgt wurde, veranlasste keinen von ihnen zu mehr als einem flüchtigen Blick.

Alasdair hörte hinter sich den Schmied den Hügel hinunterstürmen. Verzweifelt versuchte er, unter den Zuschauern seine Begleiter zu entdecken. Der Schmied schnaufte vor Anstrengung. Alasdair hatte nicht vor aufzugeben. Was ihm an Körpergröße fehlte, konnte er durch Schnelligkeit und Behändigkeit ausgleichen. Doch Will Handy hatte eine geladene Pistole, und ihn trieb ein durchaus zu rechtfertigender Anlass. Es konnte durchaus möglich sein, dass der liebe Gott dieses Mal nicht auf Alasdairs Seite wäre.

Alasdair erreichte den Fuß des Hügels und lief zwischen den geparkten Kutschen hindurch. Schnelles Laufen war nicht die Stärke des Schmieds, und er blieb rasch zurück. Alasdair umrundete die halbe Wiese, lief von Kutsche zu Kutsche, wobei er unter der heißen Sonne verzweifelt Ausschau in dem Meer von Gesichtern hielt. Der Geruch von feuchtem Gras, verschüttetem Bier und frischem Mist vermischte sich in der Hitze zu einem sauer riechenden Dunst.

Die Anfeuerungsrufe und das Aufschreien der Menge waren jetzt deutlich zu hören, unterstrichen von den schnellen klatschenden Geräuschen, wenn Fleisch auf Fleisch traf. Einer der Boxer taumelte zurück, ein weiterer brüllender Jubelschrei brandete auf, und in diesem Augenblick sah Alasdair seinen Bruder, der sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Quin, einen Bierkrug in der Hand, folgte ihm auf den Fersen.

Nahe einer großen, altmodischen Reisekutsche stieß er auf Merrick. »Was zum Teufel ist denn mit dir los?«, fragte der, als Alasdair ihn hinter die Kutsche zog.

»Und wer ist dieser Goliath, der dich verfolgt?«, fügte Quin hinzu. »Sieht aus, als hätte er dir einen Hieb genau zwischen die Augen verpasst.«

Alasdair lehnte sich gegen die Kutsche und rang nach Atem. »Gentlemen«, stieß er hervor, »man könnte sagen, es ist Zeit zu gehen. Sofort.«

»Gehen?«, fragte Quin ungläubig. »Ich habe zwanzig Pfund bei diesem Kampf gesetzt!«

Merricks Miene spannte sich an. »Warum? Was ist los?«

»Es geht schon wieder um einen Weiberrock!«, klagte Quin. »Hättest du nicht jemand anderem Hörner aufsetzen können? Jemandem, der nicht ganz so groß und kräftig ist?«

Alasdair stieß sich von der Kutsche ab, sein Blick suchte den Rand der Wiese ab. Merrick packte ihn hart am Arm. »Sag, dass du das nicht getan hast!«

Alasdair zuckte die Schultern. »Es war Bliss, das Mädchen, das das Bier gebracht hat«, erwiderte er. »Sie sah so aus, als könnte sie es brauchen, sich ein wenig hinzulegen und auszuruhen. Es war ein Akt reiner Menschlichkeit, das versichere ich dir.«

»Mein Gott, Alasdair«, sagte sein Bruder. »Ich wüsste mit meiner Zeit was Besseres anzufangen als diese Eskapade mit …«

»Scheiße!«, rief Quin und schleuderte seinen Bierkrug zur Seite. »Er kommt!«

Wie eine Walze kam von der gegenüberliegenden Seite der Wiese der schwitzende, schnaufende Schmied auf sie zugedonnert, noch immer mit der Pistole und der Sichel herumfuchtelnd, die in der Sonne bösartig funkelten. »Wir sollten besser Fersengeld geben«, sagte Alasdair.

»Ich will verdammt sein, wenn ich davonrenne«, entgegnete Merrick kühl. »Außerdem haben wir die Kutsche beim King’s Arms stehen lassen.«

»Eine seiner Pistolen ist noch geladen«, warnte Alasdair. »Vielleicht verdiene ich es ja, Merrick, aber willst du wirklich, dass dieser Dorftrottel einen der Umstehenden tötet?«

»Besser am Leben bleiben und das Kämpfen auf einen anderen Tag verschieben, Freunde«, sagte Quin.

»Zur Hölle damit«, fauchte Merrick.

Die drei wandten sich um und begannen, den Fußweg hinunterzurennen. Er führte um den Hügel herum und dann hinauf zur anderen Seite des Dorfes. Auf dem Weg waren viele Leute unterwegs und an ihm entlang hatten geschäftstüchtige Wirte Wagen und Zelte aufgestellt, um Fleischpasteten und Bier zu verkaufen. Auch fliegende Händler und Zigeuner hatten sich hier niedergelassen und boten alle Arten von handgefertigten Waren, Tinkturen und Amuletten an, während der Wind vom oberhalb gelegenen Dorf die lebhaften Klänge einer Fiedel herantrug.

Quin drängte weiter, bis die Menge sich lichtete. Alasdair und sein Bruder folgten ihm. In der nächsten scharfen Kurve war Quin gezwungen, mit einem Sprung zur Seite einem Mann auszuweichen, der ein kleines Fass auf seiner Schulter trug. Merrick tat es Quin sofort gleich. Alasdair blieb unglücklicherweise mit der Schulter am hervorgestreckten Ellbogen des Mannes hängen. Der Mann stolperte, fluchte und ließ das Fass fallen, das polternd den Weg hinunterrollte.

»Er zeigt eine beeindruckende Beinarbeit!«, bemerkte Merrick spöttisch.

Alasdair warf einen Blick zurück den Hügel hinunter und sah, dass der Schmied aufgeholt hatte. Nur drei Fuß vor ihm fiel das Fass auf den Weg und zerbarst in einer Fontäne aus Bier und Schaum. Der Mann, der es getragen hatte, fasste offensichtlich den Entschluss, mit dem Schmied an einem Strang zu ziehen, und wandte sich um, um sich der Jagd nach den drei Fliehenden anzuschließen.

Nach der nächsten Wegbiegung kam ein in leuchtendem Grün gestrichener Wagen in Sicht. Daneben stand ein großes Zelt aus mit Flecken übersätem und geflicktem Zeltstoff. Quin sprang vom Weg herunter und riss den Zelteingang auf. »Los«, befahl er. »Hier herein.«

Merrick tauchte in die Dunkelheit ein. Alasdair folgte. Für einen Moment war da bis auf das Keuchen ihrer Atemzüge nichts. Alasdairs Augen hatten sich noch nicht ganz an das Dämmerlicht gewöhnt, als ihn aus der Tiefe des Zeltes eine heisere Stimme ansprach.

»Gib mir eine Silbermünze, Engländer.«

Er spähte in die Dunkelheit und erkannte eine Zigeunerin, die hinter einem wackeligen, kleinen Tisch saß und ihm ihre schlanke Hand entgegengestreckt hielt. »Ich – ich bin kein Engländer«, erwiderte er spontan.

Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß, als wäre er ein Stück Pferdefleisch auf dem Hauklotz. »Das stimmt nicht ganz«, sagte sie.

Alasdair war zu einem Viertel englischen Blutes, von der Seite seines Vaters her. Auf einmal war ihm unerklärlich unbehaglich zumute.

»Gib mir eine Silbermünze«, wiederholte die Frau und schnippte mit den schmalgliedrigen Fingern. »Oder ziehst du es vor, zu gehen? Dies hier ist keine Fluchtburg, sondern ein Ort zum Geschäftemachen.«

»Um Himmels willen, nun gib der Frau schon was«, befahl Merrick, der durch den Zelteingang nach draußen spähte. Alasdair konnte den Schmied mit jemandem beratschlagen hören – vermutlich mit dem Burschen, der das Fass getragen hatte –, welche Taktik sie jetzt anwenden sollten. Alasdair griff tief in seine Jackentasche, zog seine Börse heraus und drückte der Frau eine Münze in die ausgestreckte Hand.

»Drei«, sagte sie mit einem weiteren ungeduldigen Schnippen der Finger. »Eine für jeden von euch.«

Alasdair griff noch einmal tief in die Geldbörse.

»Setzen«, befahl sie, nachdem sie die Münzen geprüft hatte. »Alle drei hinsetzen. Diese dummen Männer werden nicht hierherkommen. Sie trauen sich nicht.«

Quin und Merrick wandten sich um und starrten die Frau an.

Sie zog eine Schulter hoch, wobei ihr das schimmernde schwarze Haar wie ein Schleier ins Gesicht fiel und es beschattete. »Was ist?«, fragte sie herausfordernd. »Ihr müsst wohl noch irgendwo anders hin?«

Quin, bei Weitem der Folgsamere der beiden, griff nach zwei dreibeinigen Schemeln und tat, was sie befohlen hatte. »Sei kein Spielverderber, Merrick«, sagte er. »Was sonst hätten wir im Moment zu tun?«

Merrick näherte sich dem Tisch und setzte sich, wobei er Alasdair mit seinen Blicken noch immer zu durchbohren schien.

»Deine Hand«, befahl sie.

Gehorsam streckte Alasdair die Hand aus. Die Frau ergriff sie, drehte die Handfläche nach oben und betrachtete sie eine Zeit lang. Als wollte sie ihren Blick klären, rieb sie mit dem Daumen über die Handlinien. Jenseits der Stille im Zelt schien die Welt mit all ihrem Lärm zu verstummen. Die Zigeunerin zog eine kleine Lampe näher zu sich heran und drehte den Docht höher. Gelbes Licht flutete das Zelt. Die Frau war, wie Alasdair plötzlich erkannte, atemberaubend schön.

»Hast du einen Namen, Engländer?«, murmelte sie, ohne den Blick zu heben.

»MacLachlan.«

»MacLachlan«, wiederholte sie. »Ich denke, du bist ein schlechter Mensch, MacLachlan.«

Alasdair richtete sich auf. »Das bin ich nicht«, widersprach er. »Ich bin ein anständiger Mensch, wirklich. Frag – nun, frag jeden. Ich habe keine Feinde.«

Sie schaute von seiner Hand auf und zog eine fein geschwungene, tintenschwarze Augenbraue hoch. »Und diese Männer da draußen?«, fragte sie. »Waren das deine Freunde?«

Alasdair spürte, wie sein Gesicht sich heiß rötete. »Ein Missverständnis«, sagte er. »Sozusagen.«

Sie zog die Stirn kraus. »Man kann auf mancherlei Weise schlecht sein, MacLachlan«, sagte sie mit tiefer, kehliger Stimme. »Und du hast eine Vielzahl von Sünden begangen.«

»Ah, bist du jetzt etwa eine Priesterin?« Es war Alasdairs Art von Flucht, sarkastisch zu werden. »Also gut, ich bekenne mich schuldig. Jetzt sag mir meine Zukunft voraus, meine Schöne, und die Sache hat sich.«

Doch die Frau ließ seine Hand los und zeigte auf die seines Bruders. Merrick kniff die Augen zusammen. Die Zigeunerin zögerte. Mit seinem zernarbten Gesicht und dem kalten blauen Blick vermittelte Alasdairs Bruder einen alles andere als willkommen heißenden Eindruck. Letztlich jedoch gab er nach.

Sie ergriff Merricks Hand und strich mit dem Daumen über die Linien und Hügel der Innenfläche. »Noch ein MacLachlan«, murmelte sie. »Mit dem Glück des Teufels. Und mit den Augen des Teufels.«

Merrick lachte rau. »Ich bin doppelt verflucht, nicht wahr?«

Sie nickte bedächtig. »Ich sehe es hier –« Sie berührte eine Stelle unterhalb seines Zeigefingers. »Und hier.« Sie strich über die Handmitte, und trotz seiner äußerlichen Gefasstheit erschauderte Merrick. »Du besitzt einen kreativen Geist«, sagte sie schließlich. »Du bist ein Künstler.«

Merrick zögerte. »Auf gewisse Weise«, gab er zu.

»Und wie vielen Künstlern ist dir die Sünde des Stolzes eigen«, sprach sie weiter. »Du hast großen Erfolg erfahren, aber kein Glück. Ausgeprägter Stolz und ein verbittertes Herz haben dich hart gemacht.«

»Wird es so auch in meiner Zukunft sein?«, fragte Merrick zynisch.

Sie sah ihn offen an und nickte. »Mit ziemlicher Sicherheit«, sagte sie. »In deiner Vergangenheit war es ganz offensichtlich so.« Sie schob seine Hand zur Seite und zeigte dann auf Quins Hand.

»Ich habe mehr als ein paar Sünden begangen«, gestand dieser, während er ihr die Hand hinstreckte. »Ich bezweifle, dass sie alle auf meiner Hand Platz haben.«

Sie beugte sich darüber und räusperte sich. »Impulsiv«, sagte sie. »Du handelst spontan. Du redest erst, bevor du denkst.«

Quin lachte nervös. »Ich kann nicht behaupten, dass du dich irrst«, stimmte er zu.

»Du wirst dafür bezahlen«, warnte sie.

Quin schwieg für einen Moment. »Vielleicht habe ich das schon«, meinte er schließlich.

»Du wirst wieder dafür bezahlen«, sagte die Zigeunerin ruhig. »Auf die schlimmste Weise – wenn du das Unrecht nicht wiedergutmachen kannst, das du begangen hast.«

»Welches Unrecht meinst du?«, entgegnete er mit einem unfrohen Lachen. »Die Liste ist lang.«

Sie hob den Blick und sah ihn an. Du weißt es«, sagte sie. »Ja, du weißt es.«

Quin rutschte auf seinem Schemel unbehaglich hin und her. »Ich – ich bin nicht sicher.«

Die Zigeunerin zuckte mit den Schultern und strich mit dem Zeigefinger über den Ballen unter seinem Daumen. »Ich sehe, dass du vor Kurzem einen großen Verlust erlitten hast.«

»Mein Vater«, erklärte Quin. »Er – er ist gestorben.«

»Ah ja«, sagte sie. »Wie ist dein Name?«

»Quin«, antwortete er. »Quinten Hewitt – oder Wynwood, sollte ich wohl sagen. Lord Wynwood.«

Sie räusperte sich wieder. »So viele Namen, ihr Engländer«, murmelte sie und ließ die Hand los, als sei sie plötzlich zu erschöpft, sie zu halten. »Geht jetzt, ihr alle. Geht zu eurer Kutsche und verlasst diesen Ort. Ich kann nichts sagen, was euch davon abhalten wird, euer Leben zu vergeuden. Euer Schicksal ist besiegelt.«

Alasdair wandte den Blick zum Zelteingang.

»Geht«, sagte die Zigeunerin wieder. »Die Männer sind fort. Sie werden nicht zurückkommen. Es ist das Schicksal, das dich für die heutigen Sünden bestrafen wird, MacLachlan, nicht diese einfältigen Dummköpfe.«

Merrick sprang auf. Quin lachte unsicher. »Tut mir leid, Alasdair«, sagte er. »Zumindest Merrick und ich scheinen leichter davonzukommen.« Er lächelte die Frau an, deren exotische Schönheit eine so unübersehbare Wirkung auf Alasdair hatte.

»Leichter?«, wiederholte sie. Sie hob ihre Augen zu Quin und hielt seinen Blick. »Aber ich habe euch nicht eure Zukunft gesagt.«

Es war die Wahrheit, erkannte Alasdair. Sie hatte viel gesagt, aber wenig prophezeit.

Merrick hatte ihnen den Rücken zugekehrt und spähte wieder durch die Zelttür nach draußen.

»Nun, dann nur weiter«, drängte Quin die Frau. »Auf was müssen wir uns gefasst machen, Ma’am? Auf großen Reichtum? Exotische Reisen? Auf was?«

Sie zögerte kurz. »Dies ist kein dummes Spiel in irgendeinem Salon, Mylord«, erwiderte sie. »Wollen Sie es wirklich wissen?«

Quin zögerte. »Ich – ja, warum nicht?«

Der Blick der Zigeunerin war in die Ferne gerichtet. »Wie lautet das Sprichwort, das ihr Engländer benutzt, Lord Wynwood?«, murmelte sie. »Ach ja, ich erinnere mich. Jemand hat noch ein Küken zu rupfen.«

»Hühnchen«, korrigierte Quin. »Man spricht üblicherweise von einem Hühnchen.«

»Sind Sie ganz sicher?« Ihre Stimme klang plötzlich hart. »Wie dem auch sei, keiner von euch wird den Konsequenzen seiner Schandtaten entkommen. Keiner von euch kann damit fortfahren, zu nehmen, zu benutzen und auszunutzen, ohne den Preis dafür zu zahlen. Ihr werdet für eure Sünden bezahlen. Das Schicksal wird es so fügen.«

»Schandtaten?«, fragte Alasdair. »Sünden? Ma’am, das sind harte Worte.«

»Nenn sie, wie du willst«, sagte die Zigeunerin mit einem Schulterzucken, das ihre großen Ohrringe zum Klingen brachte. »Aber du wirst bezahlen, MacLachlan. Du wirst lernen. Und du wirst dabei leiden. Was kommen wird, wird so wirklich und so schmerzhaft sein wie die Wunde zwischen deinen Augen.«

Merrick fluchte leise, wandte sich aber nicht um. »Ich bin dieses Theater langsam leid«, stieß er hervor. »Lasst uns gehen.«

»Warte einen Moment, Merrick.« Quin sah die Frau aufmerksam an. »Ist das eine von diesen Zigeuner-Verwünschungen?«

Bei dieser Frage flammte etwas in den Augen der Frau auf. »Lord Wynwood, Sie sind ein solcher Narr«, sagte sie. »Sie haben zu viele Romane gelesen. Ihr drei habt euch selbst verflucht, meine Hilfe braucht ihr dabei nicht. Jetzt müsst ihr Wiedergutmachung leisten. Ihr müsst es in Ordnung bringen.«

Merrick schaute über die Schulter. »Was für ein ausgemachter Unsinn!«, fauchte er.

»Nichtsdestotrotz wird es so sein«, entgegnete sie ruhig.

Ein heftiger Windstoß fuhr plötzlich durch das Zelt und ließ Alasdair trotz der Sommerhitze frösteln. Er wandte sich um und sah, dass sein Bruder die Zeltplane vor dem Eingang zurückgeworfen hatte und den Weg hinunterging. Quin zuckte die Schultern und folgte Merrick.

Als jemand, der nie leicht zu erschrecken war – auch nicht, wenn er es hätte sein sollen –, lächelte Alasdair und setzte sich auf den mittleren Schemel. »Mein liebes Mädchen«, sagte er und beugte sich über den Tisch. »Jetzt, da diese Philister gegangen sind, muss ich dich das wirklich fragen – hat dir schon einmal jemand gesagt, dass deine Augen die Farbe von feinem Cognac haben? Dass deine Lippen wie erblühende Rosenknospen sind?«

»Ja, und meine Arschbacken sind wie zwei Kugeln aus Carrara-Marmor«, erwiderte sie trocken. »Glaub mir, MacLachlan. Ich habe das alles schon gehört.«

Alasdairs Lächeln schmolz dahin. »Ach, wie schade!«

Die Zigeunerin sah ihn amüsiert an und stand auf. »Fort mit dir«, sagte sie. »Verschwinde aus meinem Zelt, MacLachlan, und nimm deinen abgenutzten Charme mit. Er ist hier fehl am Platz und hat dir schon genug Ärger eingebracht.«

Alasdair warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Heute ist wahrhaftig kein guter Tag«, räumte er ein.

Einen Moment lang schwieg die Zigeunerin. »O mein armer, armer MacLachlan«, flüsterte sie dann. »Ich fürchte, du hast nicht einmal die Hälfte begriffen.«

Die kalte Brise strich wieder über Alasdairs Nacken. Als er dieses Mal aufschaute, war seine schöne Wahrsagerin verschwunden.

Kapitel 1

In dem ein Sturm losbricht

Als er sein Haus in der Great Queen Street betrat, wehrte Alasdair die Fragen seines Butlers nach dem Abendessen mit einer Handbewegung ab, warf seinen Mantel und seine Krawatte auf einen Stuhl und sich selbst auf das abgenutzte Ledersofa in seinem Raucherzimmer. Dort glitt er sofort in die alkoholbedingte Benommenheit zurück, die ihm auch schon während der Kutschfahrt nach Hause so zupassgekommen war.

Eine beachtliche Menge Brandy hatte sich als nötig erwiesen, um die Gesellschaft seiner Reisebegleiter zu ertragen. Quin war wegen seiner in den Sand gesetzten Wette gereizt gewesen und hatte den ganzen Weg bis nach Wandsworth vor sich hin geflucht. Und was Merrick anging, so brauchte Alasdairs jüngerer Bruder keinen Vorwand, um mürrisch zu sein. Es war seine übliche Art, sich so zu geben. Zumindest hat die schöne Zigeunerin das sehr richtig beschrieben, dachte Alasdair, bevor ihn der Schlaf des Vergessens übermannte.

Eine Zeit lang döste er nur, weil er zu träge war, um aufzustehen und zu Bett zu gehen. Aber kurz vor Mitternacht wurde er von einem Höllenspektakel vor seinen Fenstern geweckt. Er blinzelte mit einem Auge und sah, dass die für die Jahreszeit ungewöhnliche Hitze einem heftigen Gewitter gewichen war. Behaglich und auf seinem Sofa im Trockenen gähnte Alasdair, kratzte sich, drehte sich auf die andere Seite und schlief wieder ein, sicher geborgen in dem Leben, wie er es kannte. Doch seine Mattigkeit wurde schon bald erneut gestört, als er von einem unbarmherzigen Klopfen an seiner Haustür aus einem Traum gerissen wurde.

Er gab sich alle Mühe, es zu ignorieren und sich an die Überreste seiner Fantasiebilder zu klammern – sie hatten etwas mit Bliss zu tun, mit der schönen Zigeunerin sowie einer Flasche guten Champagners. Aber das Klopfen erklang ein weiteres Mal, gerade als die Zigeunerin mit ihren Fingerspitzen verführerisch über seinen Rücken strich. Verdammt! Sicherlich würde sich doch Wellings darum kümmern? Aber der tat es nicht, und das Klopfen hörte nicht auf.

Eher aus Ärger denn aus einem Gefühl der Beunruhigung heraus, rappelte Alasdair sich vom Sofa auf, kratzte sich ein weiteres Mal und ging hinaus auf den Flur, von dem aus er die Treppe überschauen konnte. Unten im Foyer hatte Wellings endlich die Tür geöffnet. Alasdair schaute hinunter und sah, dass jemand – eine Dienerin, wie er vermutete – im Regen auf den Stufen stand und, seltsam genug, einen Korb mit feuchter Wäsche in den Händen trug.

Wellings hielt seine Nase noch einige Zentimeter höher als gewöhnlich, ein deutlicher Hinweis auf seine Abscheu. »Wie ich Ihnen bereits zwei Mal erklärt habe, Madam«, sagte er gerade, »empfängt Sir Alasdair keine jungen Frauen ohne Begleitung. Besonders nicht zu dieser Stunde. Bitte steigen Sie wieder in Ihre Droschke, ehe Sie mit einer Lungenentzündung tot auf der Treppe zusammenbrechen.«

Er machte eine Bewegung, als wollte er die Haustür schließen, doch die Frau stellte gnadenlos erst ihren Fuß in die Tür und schob dann ihr Bein hindurch. »Hören Sie auf, Unsinn zu reden und hören Sie zu, Mann!«, sagte die Frau mit einem schottischen Akzent, der so stark wie der Granny MacGregors war. »Sie werden Ihren Herrn hierherholen und das ein bisschen plötzlich, denn ich werde ein Nein als Antwort nicht akzeptieren, und wenn ich an diese Tür klopfen muss, bis Gott selbst und alle seine Engel diese Treppe herunterkommen.«

Alasdair wusste natürlich, dass er einen schlimmen Fehler machte. Aber von etwas angetrieben, das er nicht benennen konnte – vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit, vielleicht –, begann er, langsam die Treppe hinunterzusteigen. Seine Besucherin, erkannte er, war keine Frau, sondern ein Mädchen. Und die Wäsche in ihrem Korb … nun, war keine Wäsche. Mehr als das konnte er noch nicht sagen. Auf halbem Wege die Treppe hinunter räusperte er sich.

Sofort wandte Wellings sich um, und das Mädchen schaute hoch. Im gleichen Augenblick empfand Alasdair das Gefühl eines Schmerzes wie von einem Schlag in die Magengrube. Die Augen des Mädchens waren von dem klarsten und reinsten Grün, das er je gesehen hatte. Wie der peitschende Lauf eines alpinen Gebirgsflusses glitt der kalte, klare Blick über ihn hinweg, machte Alasdair atemlos, als wäre er von dem eisigen Wasser bespritzt worden.

»Sie wünschen mich zu sprechen, Miss?«, brachte er heraus.

Ihr Blick glitt wieder an ihm hinauf und richtete sich auf seine Augen. »Ja, wenn Ihr Name MacLachlan ist, dann wünsche ich das«, sagte sie. »Und Sie sehen genauso aus, wie ich Sie mir vorgestellt habe.«

Alasdair glaubte nicht, dass diese Bemerkung als Kompliment gemeint war. Er wünschte sich zutiefst, er wäre völlig nüchtern. Er hatte das höchst unbehagliche Gefühl, dass er vor dieser Person auf der Hut sein sollte, so erbarmungswürdig, blass und regendurchnässt sie auch sein mochte. Irgendwie schaffte sie es, unter dem Bündel hervor eine Hand auszustrecken. Alasdair ergriff sie und bemerkte dabei, dass sogar ihr Handschuh nass war.

»Miss Esmée Hamilton«, sagte sie förmlich.

Alasdair brachte ein freundliches Lächeln zustande. »Sehr erfreut, Miss Hamilton«, schwindelte er. »Kenne ich Sie?«

»Sie kennen mich nicht«, erwiderte sie. »Nichtsdestotrotz werde ich einen Augenblick Ihrer Zeit in Anspruch nehmen müssen.« Sie warf einen strengen Blick auf Wellings. »Allein, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

Alasdair schaute anzüglich auf sie herunter. »Sie kommen zu einer recht späten, unpassenden Stunde für einen Besuch, Miss Hamilton.«

»Mag sein, aber man gab mir zu verstehen, dass Sie immer lange aufbleiben.«

Alasdairs Unbehagen vertiefte sich, aber seine Neugier war stärker. Mit einer leichten Verbeugung und einem Winken der Hand wies er das Mädchen in den Salon, dann schickte er Wellings fort, Tee und trockene Handtücher zu bringen. Das Mädchen beugte sich über das Sofa, das dem Kamin am nächsten stand, und ordnete einen Moment lang etwas in ihrem Bündel.

Wer zum Teufel war sie? Eine Schottin, ganz sicher, denn sie machte keine Anstalten, ihren Akzent zu verbergen, wie so viele es taten. Sie war zierlich, fast kindlich in ihrer Erscheinung, abgesehen von den verwirrenden grünen Augen. Er schätzte sie nicht älter als siebzehn oder achtzehn, und trotz ihrer durchnässten, irgendwie uneleganten Kleidung sah sie aus, als sei sie von vornehmer Herkunft. Was bedeutete, dass es für sie beide umso angebrachter schien, dass sie sein Haus so schnell wie möglich wieder verließ.

Bei dieser Überlegung ging er zur Tür des Salons und öffnete sie. Sie schaute mit einem missbilligenden Stirnrunzeln auf.

»Ich fürchte, mein Butler könnte Ihre Anwesenheit missverstehen, Miss Hamilton«, sagte Alasdair. »Ich halte es für eine junge Dame Ihres zarten Alters für nicht ratsam, mit mir allein gelassen zu werden.«

Genau in diesem Augenblick bewegte sich das Bündel. Alasdair zuckte vor Schreck zusammen. »Großer Gott!«, rief er und ging hin, um es anzustarren.

Ein kleines Bein schaute unter den Decken hervor. Miss Hamilton schlug die oberste feuchte Decke zurück, und auf einmal begann Alasdairs Blick zu verschwimmen, aber nicht, bevor er noch eine winzige Hand bemerkt hatte, zwei schläfrige Augen mit langen Wimpern und einen wie eine Rosenknospe perfekt geformten Mund.

»Sie heißt Sorcha«, flüsterte Miss Hamilton. »Es sei denn, Sie wünschen, ihren Namen zu ändern.«

Alasdair zuckte zurück, als könnte das Ding explodieren. »Es sei denn, ich wünsche – wünsche – was zu tun?«

»Ihren Namen zu ändern«, wiederholte Miss Hamilton, wobei ihr kalter Blick über ihn glitt. »Sosehr es mich auch schmerzt, sie abzugeben. Ich kann nicht so für sie sorgen, wie sie es verdient.«

Alasdair stieß ein zynisches Lachen aus. »Oh nein«, sagte er, und sein Ton klang unnachgiebig. »So läuft der Hase nicht, Miss Hamilton. Ich habe nie das Bett mit Ihnen geteilt, ich würde mich ganz gewiss daran erinnern.«

Miss Hamilton richtete sich kerzengerade auf. »Mit mir das –? Bei meiner Treu, MacLachlan! Sind Sie übergeschnappt?«

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er steif. »Vielleicht bin ich ein wenig verwirrt. Bitte sagen Sie mir, warum Sie hier sind. Und seien Sie gewarnt, Miss Hamilton, ich lasse mich von niemandem zum Narren halten.«

Ein Mundwinkel des Mädchens verzog sich leicht. »Nun, es freut mich, das zu hören, Sir«, erwiderte sie, wobei sie ihren Blick wieder über ihn gleiten ließ. »Ich hatte schon angefangen, das Gegenteil zu befürchten.«

Alasdair war nicht geneigt, eine Beleidigung von einem Mädchen zu tolerieren, das nichts so sehr ähnelte wie einem nassen Spatzen. Dann fiel ihm ein, wie er aussehen musste. Er hatte in seinen Kleidern geschlafen – in denselben Kleidern, die er am Morgen angezogen hatte, um sie beim Boxkampf zu tragen. Er hatte einen wilden Beischlaf auf einem Strohballen praktiziert, ein Verrückter hatte auf ihn geschossen und ihn verfolgt, und danach hatte er sich während der dreistündigen Heimfahrt mit der Kutsche bis zur Benommenheit betrunken. Er hatte sich seit zwanzig Stunden nicht rasiert, ihn zierte eine rot glänzende, gänseeigroße Beule zwischen den Augen und das Haar stand ihm zweifellos wirr vom Kopfe ab. Selbstbewusst strich er es sich mit der Hand glatt.

Die Fremde sah ihn in einer seltsamen Mischung aus Abscheu und Furcht an, und unerklärlicherweise wünschte er, er trüge seine Jacke und seine Krawatte. »Hören Sie, Miss Hamilton«, brachte er es schließlich fertig, zu sagen. »Ich habe wirklich kein Interesse daran, von Ihnen beleidigt zu werden, besonders wenn –«

»Schon gut, Sie haben recht, ich weiß!« Der Abscheu, wenn nicht die Furcht, verschwanden. »Ich bin müde und mürrisch, ja, aber zu meiner Verteidigung kann ich anführen, dass ich seit vierzehn Tagen unterwegs bin, und zwei weitere Tage habe ich versucht, Sie in dieser höllischen, schmutzigen Stadt zu finden.«

»Allein –?«

»Bis auf Sorcha, ja«, erwiderte sie. »Ich bitte Sie also um Entschuldigung.«

Alasdair zügelte seine Empörung. »Bitte nehmen Sie Platz und legen Sie Ihren nassen Mantel und die Handschuhe ab«, wies er sie an. Nachdem sie das getan hatte, legte er beides in Nähe der Tür auf einen Stuhl und begann, auf und ab zu gehen. »Verraten Sie es mir, Miss Hamilton. Wer ist die Mutter dieses Kindes, wenn Sie es nicht sind?«

Zumindest etwas Farbe trat in ihre Wangen. »Meine Mutter«, sagte sie ruhig. »Lady Achanalt.«

»Lady Acha-wer?«

»Lady Achanalt.« Das Mädchen runzelte die Stirn. »Sie – Sie erinnern sich nicht an den Namen?«

Zu seiner Bestürzung tat er das nicht, und er gab es unumwunden zu.

»Ach herrje!« Ihre Röte vertiefte sich. »Arme Mamma! Ich glaube, sie hat sich eingebildet, dass Sie die Erinnerung an sie mit ins Grab nehmen würden oder sonst welchen romantischen Unsinn.«

»Ins Grab?«, wiederholte er und kämpfte dabei ein Gefühl der Übelkeit nieder, das sich in seinem Magen auszubreiten begann. »Wo zum Teufel ist sie?«

»In das ihre gegangen, wie ich Ihnen leider sagen muss.« Ihre Hand griff zu der schlichten, aber teuer aussehenden Perlenkette um ihren Hals, und sie begann, nervös damit zu spielen. »Sie ist gestorben. Ganz unerwartet.«

»Mein tiefstes Mitgefühl, Miss Hamilton.«

Miss Hamilton erblasste. »Sparen Sie sich Ihr Mitgefühl für Ihre Tochter auf«, sagte sie. »Ihr voller Name lautet übrigens Lady Sorcha Guthrie. Sie ist in der Silvesternacht vor zwei Jahren gezeugt worden. Hilft das Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge?«

Alasdair fühlte sich ein wenig desorientiert. »Nun … nein.«

»Aber Sie müssen sich doch daran erinnern«, drängte Miss Hamilton. »Es war auf einem Ball – einer Maskerade – in Lord Morwens Haus in Edinburgh. Eine feuchtfröhliche Abendgesellschaft, soweit ich weiß. Sie sind ihr dort begegnet. Oder sind Sie das etwa nicht?«

Sein verständnisloser Gesichtsausdruck schien sie zu erschüttern.

»Großer Gott, sie sagte, Sie hätten ihr gesagt, es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen!«, protestierte Miss Hamilton. Ihre Stimme klang jetzt beinahe verzweifelt. »Und dass Sie – nun, dass Sie Ihr ganzes Leben lang auf eine Frau wie sie gewartet hätten! Mutter hatte braunes Haar. Sie hatte eine eher üppige Figur und war recht groß. Und sehr schön. Grundgütiger Gott, erinnern Sie sich denn an gar nichts?«

Alasdair zerbrach sich den Kopf und fühlte sich noch kränker. Er war vor zwei Jahren in Edinburgh gewesen. Er hatte den ungewöhnlichen Schritt gemacht, über die Feiertage nach Hause zu fahren, weil sein Onkel Angus für einen kurzen Besuch aus dem Ausland heimgekommen war. Sie hatten Silvester gemeinsam verbracht. In Edinburgh. Und er war auf einem Ball gewesen. Einem sehr ausgelassenen, wenn seine Erinnerung ihn nicht trog. Angus hatte ihn dorthin mitgeschleppt und ihn danach mehr oder weniger nach Hause getragen. Alasdair erinnerte sich an kaum etwas, eigentlich nur an die fürchterlichen Kopfschmerzen, die ihn am nächsten Tag geplagt hatten.

»Ach herrje!« Ihre Stimme klang resigniert. »Mamma hatte schon immer eine Schwäche für ein hübsches Gesicht.«

Ein hübsches Gesicht? War es das, wofür sie ihn hielt? Und wer zum Teufel war diese Lady Achanalt? Alasdair versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Dieses Mal strich er sich mit beiden Händen durch das Haar. Die junge Frau saß noch immer auf dem Sofa neben dem schlafenden Kind und starrte ihn an. Ihr Blick wirkte nicht mehr so kalt und klar, sondern stattdessen erschöpft und ein wenig traurig.

»Sorcha bedeutet mir sehr viel, MacLachlan«, sagte sie ruhig. »Sie ist meine Schwester, und ich werde sie immer von ganzem Herzen lieben. Aber mein Stiefvater – Lord Achanalt – liebt sie nicht. Er wusste von Anfang an Bescheid.«

»Dass er nicht der Vater ist?«, fragte Alasdair. »Sind Sie ganz sicher?«

Der grüne Blick des Mädchens richtete sich auf den Teppich unter ihren durchweichten Schuhen. »Er war sicher«, wisperte sie. »Weil er und Mamma nicht – nicht …«

»O Gott!«, sagte Alasdair. »Was genau?«

»Ich weiß es nicht!«, schrie sie, und ihr Gesicht färbte sich rot. »Ich weiß gar nichts darüber. Er wusste es. Das ist alles, was Mamma sagte. Und dann eines Tages kam alles heraus! Sie hat es ihm ins Gesicht gesagt. Und so wie sie es sagte, klang es nach einer großen Leidenschaft. Himmel, hat sie Ihnen denn nie geschrieben? Oder Sie ihr?«

Alasdair presste die Fingerspitzen an die Schläfen. »Lieber Gott.«

Sie sah ihn traurig an. »Für Gebete ist es jetzt wohl zu spät«, sagte sie. »Sehen Sie, MacLachlan, die letzten beiden Jahre waren für uns alle die Hölle. Ich habe getan, was ich konnte, die Wogen zu glätten, aber jetzt gibt es nichts mehr zu glätten. Mamma ist tot, und die Verantwortung fällt an Sie. Es tut mir leid.«

Für einen Augenblick senkte sich Schweigen über das Zimmer. Alasdair ging weiter vor dem Kamin hin und her, der Klang seiner Stiefelabsätze hallte hart vom Marmorboden wider. Ein Kind. Ein illegitimes Kind. O Gott! Es konnte nicht sein, dass so etwas ihm passierte. »Wie ist sie gestorben?«, krächzte er schließlich.

»Am Fieber«, erwiderte sie hohl. »An etwas ganz Gewöhnlichem. Sie wollte immer auf dramatische Weise sterben – einen tragischen Tod, pflegte sie es zu nennen – aber das Fieber griff in den Highlands um sich wie ein Waldbrand. Es war Gottes Wille, denke ich.«

Alasdair fragte sich, ob Gott nicht ein wenig Hilfe vonseiten des Ehemannes der Dame gehabt hatte. »Es tut mir unendlich leid um Ihren Verlust, Miss Hamilton«, sagte er schließlich. »Aber ich kann das Kind nicht nehmen. Ist es das, was Sie im Sinn hatten? Dass sie es hier besser haben würde? Glauben Sie mir, nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein als diese Vorstellung.«

Sie sah ihn seltsam an. »Was ich denke, spielt keine Rolle, Sir.«

Aber Alasdair war entschlossen, sich diese ungewollte Bürde nicht aufzuladen. »Ich bin überzeugt, dass Sie sich in Ihrem Kummer über Ihre Mutter von romantischen Ideen haben überwältigen lassen, Miss Hamilton«, entgegnete er. »Aber ich bin ein mit allen Wassern gewaschener, notorischer Spieler. Ein geübter Tunichtgut. Ein Weiberheld der schlimmsten Sorte. Die allerletzte Sorte von Mann, die verantwortlich sein sollte, ein Kind großzuziehen. Fahren Sie wieder nach Hause, Miss Hamilton. Es gab keine Leidenschaft, weder groß noch sonst wie, zwischen Ihrer Mutter und mir. Vor Gott und vor dem Gesetz ist Lord Achanalt Sorchas Vater. Ich bin aufrichtig überzeugt, dass er inzwischen krank vor Sorge sein muss.«

Bei diesen Worten lachte Miss Hamilton auf, doch es war ein scharfes, bitter klingendes Lachen. »Dann sind Sie der einzige romantische Narr in diesem Zimmer, MacLachlan«, entgegnete sie. »Vielleicht ein noch größerer als meine bedauernswerte Mutter. Achanalt schert sich keinen Deut um die Meinung des Gesetzes, und in den Highlands ist er eine Art Gott. Sorcha und ich haben kein Zuhause. Haben Sie mich nicht verstanden, Sir?«

Alasdair unterbrach seine Wanderung und wandte sich zu ihr. Er starrte sie an, wobei er die Hände auf dem Rücken verschränkte, um zu verhindern, dass er mit der Faust auf irgendetwas schlug. »Guter Gott«, flüsterte er. »Der Mann hat Sie hinausgeworfen?«

Miss Hamilton hob eine ihrer zarten Schultern. »Warum hätte er das nicht tun sollen?«, entgegnete sie. »Wir sind mit ihm nicht verwandt. Es gibt keine Blutsbande. Wir haben keine Geschwister, keine Großeltern. Achanalt schuldet uns nichts. Wenn Sie mir nicht glauben, dann schreiben Sie ihm und fragen Sie ihn. Er wird Ihnen das alles bereitwillig bestätigen.«

Alasdair ließ sich in einen Sessel fallen. »Jesus Christus, Ihre Mutter ist gestorben, und er … er hat Sie einfach …«

»Unsere Habseligkeiten wurden vor die Tür gestellt, noch bevor der Arzt ihren Tod festgestellt hatte«, sagte Miss Hamilton. »Glücklicherweise war dieser so freundlich, uns auf seinem Heimweg in seiner Kutsche mitzunehmen. Wir haben eine Zeit lang bei seiner Familie gewohnt, es war eine fürchterliche Belastung für die armen Leute.«

Alasdair war entsetzt. »Achanalt hat sein Kind also verstoßen?«

»Er hat nicht öffentlich erklärt, dass sie nicht seine Tochter ist, nein«, erwiderte Miss Hamilton scharf. »Dafür hat er zu viel Stolz. Aber seine Taten sprechen eine deutlichere Sprache als alle Worte, nicht wahr? Sorcha ist von Ihrer Gnade abhängig. Sie sind Ihre letzte Zuflucht.«

»Aber – aber was ist mit den Verwandten Ihres Vaters? Können die Sie nicht aufnehmen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Mein Vater hatte keine Angehörigen und nur wenig Geld«, erklärte Miss Hamilton. »Auch so ein schöner Tunichtgut, fürchte ich. So wie auch Mutters zweiter Ehemann. Und ihr dritter. Mutter hatte eine Vorliebe für solche Männer.«

»Dieser Achanalt scheint kein Tunichtgut zu sein.«

»Nein, er ist bloß trügerisch schön. Eine schreckliche Fehleinschätzung ihrerseits.«

»Und Sie haben … niemanden sonst?«

Das Mädchen stieß ein kleines, mitleiderregendes Lachen aus. »Mamma hatte eine ältere Schwester, aber sie ist vor über zwei Jahren nach Australien gegangen«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob sie vorhat, jemals wieder zurückzukommen oder ob sie überhaupt noch am Leben ist. Ich habe ihr geschrieben, aber … ich habe eigentlich keine Hoffnung.«

»Ich verstehe«, sagte Alasdair, der zutiefst befürchtete, dass er das wirklich tat.

Plötzlich beugte sich das Mädchen vor und küsste das schlafende Kind. »Ich muss jetzt wirklich gehen«, sagte sie, stand auf und blinzelte einige Male. »Es tut mir leid, aber ich muss.«

Alasdair fühlte sich, als hätte die Erde unter seinen Füßen gerade gebebt. »Gehen?«, fragte er. »Wohin?«

Die junge Frau blinzelte erneut die Tränen zurück. »Ich werde heute Morgen mit der ersten Postkutsche abreisen.« Sie kramte in ihrer Tasche und zog eine kleine braune Flasche heraus. »Sorcha zahnt gerade«, sagte sie hastig. »Es ist der hintere obere Backenzahn. Wenn sie weint und Sie sie nicht beruhigen können, reiben Sie einfach ein bisschen hiervon auf das wunde Zahnfleisch.«

Alasdairs Augen weiteten sich. »Zahnfleisch –?«

Miss Hamilton lächelte ihn leicht an. »Es ist eine Tinktur«, sagte sie. »Stecken Sie einfach Ihren kleinen Finger in ihren Mund und tasten Sie, bis Sie eine harte Stelle finden. Es wird der Zahn sein, der versucht, durchzustoßen. Vertrauen Sie mir – wenn ich das schaffe, können Sie das auch. Und morgen dann, nun, Sie können doch sicher ein Kindermädchen engagieren, oder nicht? Sie werden jemanden einstellen, nicht wahr? Ein wirklich erfahrenes Kindermädchen, denken Sie daran. Sorcha ist ein braves, ruhiges Kind. Sie wird Ihnen überhaupt keine Mühe machen, das schwöre ich.«

Alasdair starrte auf die braune Flasche, die sie ihm in die Hand gedrückt hatte. »Oh nein, Miss Hamilton«, sagte er beunruhigt und sprang auf. »Nein, nein, nein! Ich werde das nicht tun. Ich will diese kleine braune Flasche nicht. Ich stecke meinen Finger nicht nirgendwohin. Ich werde nicht das Zahnfleisch abtasten.«

»Oh, ich kann mir vorstellen, dass Sie Ihre Finger schon an schlimmeren Stellen hatten«, entgegnete sie.

Aber Alasdair war so entsetzt, dass er diese Beleidigung kaum registrierte. Sie würde ihn wirklich allein lassen. Einen Moment lang verschlug es ihm den Atem. Der Mantel der Verantwortung – mitsamt dem nicht zu entrinnenden Schrecken all dessen – legte sich jetzt über ihn, und er sah keine Möglichkeit, ihn beiseitezuschieben.

Sein nasser Spatz zog sich die Handschuhe an und blinzelte die Tränen zurück.

»Warten Sie!«, protestierte er. »Das kann doch alles gar nicht wirklich passieren! Was – wer – wohin – wollen Sie denn gehen?«

»Nach Bournemouth«, erwiderte sie und strich ihren Handschuh glatt. »Ich bin dort als Gouvernante engagiert worden. In der Tat, ich kann mich glücklich schätzen, diese Stelle überhaupt bekommen zu haben. Ich habe keinerlei Erfahrung. Aber Dr. Campbell kennt den Gentleman – einen Colonel im Ruhestand – und hat für mich Erkundigungen eingezogen. Ich habe keine andere Wahl.«

»Keine Wahl?« Eine solche Aussage war fremd für ihn.

Miss Hamilton sah ihn würdevoll an. »Ich bin, wie Sie vermuten werden, zurzeit völlig mittellos«, gestand sie. »Aber Sorcha ist es nicht, nicht wahr? Sie hat Sie. Bitte, MacLachlan. Sie dürfen das Kind nicht im Stich lassen.«

»Bei Gott, ich lasse sie nicht im Stich!«, erwiderte er gereizt. »Ich nehme sie ja nicht einmal.«

Miss Hamilton wich zwei Schritte zurück.

Alasdair starrte sie mit offenem Mund an. »Aber das – das Kind! Warten Sie, Miss Hamilton! Sicherlich können Sie sie behalten? Sie ist – nun, sehen Sie doch nur, wie klein sie ist! Wirklich, sie muss ja kaum etwas essen!«

»Warum müssen Sie es mir so schwer machen?«, rief Miss Hamilton. »Keine Familie wird eine Gouvernante mit einem kleinen Kind nehmen. Sie würden natürlich denken, dass es meines ist, und mich auf der Stelle wieder fortschicken.«

Alasdair sah sie abschätzend an. »Das ist ein sehr guter Punkt«, sagte er. »Wie kann ich wissen, dass es nicht Ihres ist?«

Plötzlich flammten Miss Hamiltons Augen vor Zorn auf. »Sie selbstsüchtiger Schuft!«, rief sie. »Wollen Sie tatsächlich auch weiterhin leugnen, eine … eine eheliche Beziehung mit meiner Mutter gehabt zu haben?«

»Was gehabt zu haben?«, echote er fassungslos. »Ich leugne sogar zu wissen, wie man eheliche Beziehung buchstabiert! Aber wenn Sie mich fragen, ob ich es dem alten Mädchen auf irgendeiner feuchtfröhlichen Neujahrsfeier auf die Schnelle hinter einem Vorhang besorgt haben könnte, ja, dann würde ich sagen, dass … nun, dass es sein könnte – vielleicht – dass ich das möglicherweise getan habe. Ich kann mich nicht genau daran erinnern.«

»Herrgott«, wisperte sie entsetzt. »Sie sind wirklich ein Schuft, nicht wahr?«

»Schuldig!«, rief er und hob beide Arme. »Schuldig im Sinne der Anklage! Und glücklich, Madam, es zu sein!«

Miss Hamilton verzog angewidert den Mund. »Ich bedauere, Sir, dass ich dies einem Kind antun muss, welches ich so sehr liebe«, sagte sie. »Aber die illegitime Tochter eines Schuftes zu sein ist besser als alles, was ich ihr bieten kann, so sehr mich das auch schmerzt.« Sie wischte eine Träne fort, seufzte tief und griff nach ihrem durchnässten Ridikül, das auf dem Sofa lag.

Alasdair bekam sie zwischen Sofa und Tür irgendwie zu fassen. »Miss Hamilton! Hören Sie! Sie können mich nicht in diesen Schlamassel bringen und dann einfach so zur Tür hinausspazieren!«

Miss Hamilton fuhr herum und machte sich um gut zehn Zentimeter größer. »Was Sie in diesen Schlamassel gebracht hat, Sir, war Ihr … Ihr Gemächt! Das und ein kleines Glas oder zwei oder zwanzig! Also denken Sie nicht einmal daran, die Schuld auf mich abzuwälzen!«

Aber Alasdair war in Lachen ausgebrochen. »Mein Gemächt, Miss Hamilton? Tatsächlich?«

Sie hob die Hand, als wollte sie ihn schlagen. »Wagen Sie es nicht, Sir, sich über mich lustig zu machen!«

Irgendwie gelang es ihm, mit dem Lachen aufzuhören, ihre Hand zu ergreifen und sie rasch an seine Lippen zu heben. »Also gut«, sagte er. »Es tut mir leid. Lassen Sie dies als einen Friedenskuss gelten. Und jetzt, Miss Hamilton, werden wir doch sicherlich diese Angelegenheit zu unser beider Vorteil regeln können? Ich sehe da wirklich kein Problem.«

Sie betrachtete seine malträtierte Stirn. »Irgendjemand hat Ihnen einen Schlag auf den Kopf versetzt«, murmelte sie. »Und das hat Ihren Verstand durcheinandergebracht.«

»Hören Sie mir zu, Miss Hamilton«, widersprach er. »Sie wünschen doch gar nicht, Ihre Schwester zurückzulassen. Und ich bin ein sehr reicher Mann.«

»Ja?« Eine Spur von Hoffnung und Vorsicht glimmte in ihren Augen auf. »Sagen Sie es frei heraus, MacLachlan. Was für eine großartige Idee haben Sie?«

Alasdair zuckte gleichmütig die Schultern und setzte eine Unschuldsmiene auf – die, mit der er bei Granny MacGregor nie etwas erreicht hatte. Miss Hamilton jedoch war weniger hartgesotten oder vielleicht auch einfach nur verzweifelt, denn der Ausdruck in ihren Augen wurde etwas sanfter. Guter Gott, er war solch ein Heuchler! Und sie sah verdammt hübsch aus, wenn dieser kristallharte Blick ein wenig schmolz.

»Was, wenn ich Ihnen ein kleines Haus kaufen würde?«, schlug er leichthin vor. »Vielleicht an der Küste? Und Ihnen dazu natürlich eine ansehnliche jährliche Apanage aussetze. Sie sind sehr jung, das ist wohl wahr. Aber ich würde doch meinen, dass Sie mit ein wenig gutem Willen als junge Witwe durchgehen könnten …?«

Miss Hamilton schüttelte heftig den Kopf. »Junge Witwen werden – wenn sie respektabel sind – von der Familie ihres Ehemannes aufgenommen«, sagte sie, wobei sie das R in respektabel so stark rollte, dass es fast wie ein Knurren klang. »Oder von ihrer eigenen Familie. Niemand wird mir diesen ausgemachten Unsinn von der Witwe in ihrem kleinen Cottage abnehmen, MacLachlan, und das wissen Sie sehr gut.« Ihre Stimme klang wieder abschätzig. »Man würde mich für ein leichtfertiges Frauenzimmer halten, und Sorchas Zukunft wäre ruiniert.«

»Nun, nun, Miss Hamilton. Sicherlich dramatisieren Sie das ein wenig.«

»Sie wissen, dass ich das nicht tue«, beharrte sie. »Außerdem verdient Sorcha einen Vater, und sei es auch nur einer, den man nicht gerade ideal nennen kann. Und wenn man sie schon für einen Bastard hält, kann sie ebenso gut als Bastard ›eines sehr reichen Gentleman‹ gelten. Sie können es sich leisten, ihr alles zu geben. Sie können sie angemessen kleiden und ihr eine gute Erziehung ermöglichen. Dadurch wird sie wenigstens die Chance auf ein respektables Leben haben.« Ihre Augen schwammen in Tränen, als sie ihm ihre Hand entzog und sich abwandte. Dann ging sie, mit einem leisen Seufzen, auf die Tür zu.

»Wirklich, Miss Hamilton, Sie können nicht einfach so gehen!«, protestierte Alasdair und folgte ihr. »Denken Sie doch – nun, denken Sie an das Kind! Denken Sie an die Dinge, denen es unter meinem Dach ausgesetzt sein wird! Es könnte passieren, dass ich sie mit Federmessern spielen lasse! Ich könnte ihr Schlafmittel in ihren Haferbrei tun! Oder ihr sogar beibringen, wie man Karten spielt – oder wie man Würfel präpariert. Denken Sie daran, dass ich ein sehr schlechter Mensch bin!«

Miss Hamilton musterte ihn mit einem Blick, der sein edelstes Körperteil zum Schrumpfen gebracht hätte – wenn es sich nicht schon zu Beginn dieses schrecklichen Zusammentreffens zu einem wie gelähmt scheinenden Klümpchen in sich zurückgezogen hätte. »Oh, das würden Sie nicht wagen!«, zischte sie. »Keine präparierten Würfel! Das ist eine traurige und sehr schlimme Sache, MacLachlan.«

Alasdair fühlte sich von dem Gedanken beschämt, denn er hatte noch niemals in seinem Leben betrogen – außer natürlich andere Männer mit deren Frauen. Was genau der Punkt war, der ihn in diese scheußliche Zwangslage gebracht hatte. Und so gern er das Kind auch verleugnet hätte, so machte Miss Hamiltons überzeugende Haltung aufrichtiger Entrüstung dies doch unmöglich. Noch schlimmer jedoch war, dass er eine sehr vage Erinnerung daran hatte, etwas sehr, sehr Schlimmes auf dem Ball getan zu haben, zu dem Angus ihn mitgenommen hatte. Er spürte ein Gefühl von Schuld in sich lauern.

Er hatte schon immer eine Vorliebe für reifere, gut proportionierte Frauen gehabt – dazu möglichst noch brünett. Und offensichtlich war er an jenem Silvesterabend genau solch einer Erscheinung begegnet. Jesus Christus, was hatte er zu dieser armen Frau gesagt, um sie dazu zu bekommen, mit ihm zu vögeln? Und dass es so gewesen war, daran hatte er keinen Zweifel. Nichts als eine schnelle heftige Kopulation. Keine Gefühle. Kein Gedanke an die Konsequenzen. O Gott! Bilderschemen schienen in seinem Kopf zu tanzen. Er erinnerte sich bruchstückhaft an die Vorhänge. Schwere Samtvorhänge, die weich seinen Po gestreift hatten. Und an den muffigen Geruch von altem Leder. Oder war das ein Erinnerungsfetzen an eine andere Sünde, zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort?

Nein, höchstwahrscheinlich die Bibliothek. Bei Bällen und auf Gesellschaften hatte eine einsame Bibliothek für ihn schon immer etwas verdammt Reizvolles gehabt. Vermutlich hatte er diese Lady Achanalt hinter die Vorhänge gelockt, hatte ihr süße Lügen ins Ohr geflüstert, ihr sofort die Unterhosen heruntergestreift und sie dann im Stehen genommen. Es wäre nicht das erste Mal auf diese Art geschehen.

»MacLachlan?« Miss Hamiltons harte Stimme schnitt in sein Bewusstsein. »MacLachlan? Hören Sie, Mann, Sie brechen mir ja die Finger.«

Er schaute herunter und sah, dass er wieder ihre Hände umklammert hielt. Plötzlich durchfuhr es ihn. »Miss Hamilton, warum müssen Sie nach Bournemouth gehen?«

»Weil ich arbeiten muss!« Ihr Ton war entschlossen. »Ich bin mittellos, MacLachlan, haben Sie das nicht begriffen?«

»Aber … aber warum bleiben Sie nicht einfach hier?«

Sie wich um gut einen halben Meter zurück. »Hierbleiben? Bei Ihnen?«

Alasdair sah sie gekränkt an. »Um Himmels willen, Miss Hamilton!«, sagte er. »Als – als meine Gouvernante!«

Miss Hamilton zog eine Augenbraue hoch. »Nun, ich habe keinen Zweifel daran, dass die bisherige bei Ihnen fürchterlich versagt hat«, erwiderte sie. »Aber Sie sehen mir ein wenig zu alt dafür aus und sind mir zu sehr in Ihrer Verruchtheit verwurzelt.«

Alasdair runzelte die Stirn. »Um Himmels willen! Für das Kind! Als Gouvernante für das Kind! Wenn – wenn – ich es hier behalte, warum kann ich dann nicht Sie engagieren, damit Sie sich um die Kleine kümmern? Wer sollte etwas dagegen haben? Und wer wäre besser dafür geeignet?«

Das verblüffte sie. »Ich – ich –« Miss Hamilton blinzelte verunsichert. »Aber das wäre eine Dummheit. Sorcha ist noch keine zwei Jahre alt. Sie braucht ein Kindermädchen, keine Gouvernante.«

Aber Alasdair war entschlossen, einen Weg durch diesen Morast moralischer Verpflichtung zu finden. »Wer sagt das, Miss Hamilton?«, fragte er herausfordernd. »Wer stellt diese Regeln auf? Gibt es so etwas wie einen Leitfaden für Gouvernanten, von dem ich nichts weiß?« Er warf einen raschen Blick auf das schlafende Kind. »Nun, sehen Sie sich sie doch an! Zweifellos ein intelligentes Kind. Alle MacLachlans sind das – nun, die meisten jedenfalls. Mein Bruder Merrick konnte schon mit drei Jahren lesen und addieren und all das.«

»Sie geben also zu, dass Sorcha Ihr Kind ist?«, fragte Miss Hamilton.

Alasdair zögerte. »Ich gebe zu, dass es möglich sein könnte«, wich er aus. »Ich muss nach Edinburgh schreiben und einige Nachforschungen anstellen, ehe ich die volle Ver-ver … – die volle Veran-an-an …« Aus einem unerfindlichen Grund brachte seine Zunge das Wort nicht zustande.

»Die Verantwortung?«, ergänzte Miss Hamilton mit spöttischer Freundlichkeit. »Es ist ein einfaches Wort, MacLachlan. Nur vier Silben. Ich bin sicher, Sie werden es schon noch hinbekommen, es auszusprechen.«

Alasdair befürchtete, dass sie recht hatte. »Sie scheinen alle Vorzüge einer Gouvernante zu haben, Miss Hamilton«, erwiderte er. »Eine scharfe Zunge und eine herablassende Art.«

»Richtig, vielen Dank«, entgegnete sie.

Er betrachtete sie einen Moment lang schweigend, während er seine eigene Verzweiflung verfluchte. »Also, was ist mit meinem Angebot? Wie viel verdient eine Gouvernante überhaupt? Was genau wird mich diese neu an mich herangetragene Verantwortung eigentlich kosten, wenn auch nur vorübergehend?«

Sie zögerte einen Moment. »Hundertfünfzig Pfund jährlich wären angemessen.«

»Hölle und Teufel!« Er versuchte, finster dreinzusehen. »Miss Hamilton, Sie sind eine jämmerlich schlechte Lügnerin.«

Sie blinzelte unschuldig. »Dann sollten Sie mir vielleicht einige hilfreiche Ratschläge hinsichtlich dieses besonderen Talents geben?«, schlug sie vor. »Man hat mich gelehrt, dass man sich immer ein Vorbild suchen soll.«

Alasdair verengte die Augen. »Miss Hamilton, wenn Sie es tun müssen, erpressen Sie mich ruhig wegen der Höhe Ihres Gehaltes – aber werden Sie nun bleiben, oder nicht?«

Sie biss sich auf die Lippen und schaute hinüber zu dem schlafenden Kind. »Dreihundert Pfund für das erste Jahr, im Voraus zu zahlen«, sagte sie. »Und nicht zurückzahlbar, auch nicht, wenn Sie Ihre Meinung ändern. Selbst dann nicht, wenn Sie Ihre Meinung bereits nächste Woche ändern sollten.«

Großer Gott, er wäre ein Narr, würde er einem solchen Handel zustimmen! Die Gehälter aller Dienstboten in diesem Haus zusammengenommen waren nicht so hoch wie das Salär, das sie forderte. Alasdair war drauf und dran, ihr zu sagen, dass sie sich zum Teufel scheren solle, und setzte auch schon dazu an, als das Kind herzzerreißend zu wimmern begann. Das Geld vergessend eilte Miss Hamilton zum Sofa und schlug die Decken zurück. Hastig hob sie das Kind aus dem Korb und drückte es an sich. Zerzauste, rotblonde Locken schauten unter der Wollmütze des Kindes hervor.

»Schtscht, schtscht, kleines Würmchen«, gurrte Miss Hamilton, wobei sie dem Kind rhythmisch den Rücken tätschelte.

Als Antwort darauf machte das Kind einen lauten, gurgelnden Rülpser. Dann, gerade als Alasdair begonnen hatte, wieder zu atmen, hob es den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. In diesem Augenblick empfand er einen weiteren dieser überwältigenden, atemraubenden Schläge in den Magen. Haltsuchend streckte er die Hand nach einem Stuhl aus, unsicher, ob seine Knie nachgeben würden.

Miss Hamilton hatte sich zu ihm umgewandt. »Himmel, MacLachlan, sind Sie krank?«, fragte sie und kam eilig zu ihm.

Alasdair schüttelte das Gefühl der Schwäche ab. »Es geht mir gut, danke.« Er ließ den Stuhl los. »Es war nur ein anstrengender Tag, das ist alles.«

»Oh, ich denke, es liegt an dieser schrecklichen Wunde zwischen Ihren Augen, ohne jeden Zweifel«, erklärte Miss Hamilton, wobei sie die O so aussprach, wie auch Granny MacGregor es tat. »Das Blut ist aus Ihrem Kopf gewichen. Legen Sie etwas Eis darauf und gehen Sie zu Bett.«

Alasdair schüttelte den Kopf. »Zuerst muss ich diese unsägliche Angelegenheit regeln«, beharrte er. »Wie ich also schon sagte, werde ich Ihnen hundertfünfzig Pfund zahlen und –«

»Dreihundert«, erinnerte sie ihn. »Im Voraus zu zahlen.«

Das war Raub, schlicht und einfach, aber Alasdair blieb kaum eine Wahl. »Also gut«, murrte er. »Und Sie werden bleiben und sich um das Kind kümmern, bis … bis ich weiß, was als Nächstes zu tun ist.«

Plötzlich schien ihr Gesicht in sich zusammenzufallen. Es schien höchst ungewöhnlich, wirkte aber absolut echt.

»O Gott!«, sagte er. »Was ist denn jetzt wieder los?«

Sie holte tief Luft. »Es ist ein so großer Schritt«, gab sie zu. »Ich hatte mich gerade damit abgefunden, dass ich meine kleine süße Sorcha verlassen muss, und jetzt das! Ich war darauf nicht gefasst.«

»Nun, dafür, dass Sie nicht darauf gefasst waren, haben Sie aber verdammt gut gefeilscht«, beklagte er sich. »Wie würde es Ihnen an meiner Stelle gehen? Vor einer halben Stunde noch habe ich mich nur um mich gekümmert und mich im Schlummer den süßesten Fantasien hingegeben, und ehe ich wusste, wie mir geschah, sind Sie und Lady Sorcha in mein Leben geplatzt. Das ist eine verdammte Unbequemlichkeit, um es ganz offen zu sagen.«

Miss Hamilton sah nicht besonders verärgert aus. »Was ich meinte, war, dass dies hier nicht das ist, was man einen respektablen Haushalt nennen würde, nicht wahr?«, sprach sie weiter. »Mein Ruf wird ruiniert sein, fürchte ich. Andererseits bin ich mir ganz und gar nicht sicher, ob das überhaupt noch von Bedeutung ist.«

Alasdair richtete sich kerzengerade auf. »Dies ist ein Junggesellenhaushalt, das ist wahr«, räumte er ein. »Aber ich empfange unter diesem Dach weder meine Liebhaberinnen noch verführe ich hier meine weiblichen Angestellten, Miss Hamilton. Und ganz gewiss vertrödele ich meine Zeit nicht mit halbwüchsigen Mädchen, wenn es das ist, was Sie meinten.«

»Ich weiß nicht, was ich meinte!«, entgegnete Miss Hamilton und tätschelte Sorcha weiterhin den Rücken, während sie hin und her ging. »Das ist Teil meines Problems. Ich habe nur wenig Erfahrung darin, wie es in der Welt zugeht. Wirklich, bis Mamma starb, wusste ich überhaupt nichts vom Kindergroßziehen. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens in kleinen schottischen Dörfern verbracht. Ich weiß nur, dass es Dinge gibt, die eine Lady nicht tun sollte, und ich bin mir relativ sicher, dass eines davon ist, unter Ihrem Dach zu wohnen. Aber Sie bieten mir eine schreckliche Versuchung: eine Möglichkeit, bei meiner Schwester zu bleiben.«

Ihre plötzliche Verletzlichkeit ärgerte ihn, allerdings aus Gründen, die er nicht erklären konnte. »Sehen Sie, Miss Hamilton, wenn das Kind hierbleiben soll, wird es früher oder später eine Gouvernante brauchen«, sagte er. »Wenn Sie alt genug sind, um als Gouvernante zu arbeiten, warum sollten dann nicht Sie diejenige sein? Ich habe keine weiblichen Verwandten, zu denen ich das Kind geben könnte, außer ich schicke es zurück nach Schottland – was, in Anbetracht von Tratsch und Klatsch, wahrscheinlich der letzte Ort auf Erden ist, an dem es aufwachsen sollte. Oder haben Sie vielleicht eine bessere Idee?«

»Nein«, gab sie zu und ihre Stimme klang sehr klein. »Gar keine.«

»Dann werde ich Ihnen Ihre dreihundert Pfund zahlen«, sagte er. »Und als Gegenleistung lösen Sie mein Problem. Klingt das fair?«

Miss Hamilton rümpfte die Nase. »Oh, ich werde das bereuen«, murmelte sie. »Das weiß ich jetzt schon.«