Ein Cottage in Cornwall - Elisabeth Kabatek - E-Book

Ein Cottage in Cornwall E-Book

Elisabeth Kabatek

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Beschreibung

Noch mehr Chaos in Cornwall – große Liebe inbegriffen: Im humorvollen Roman der Bestseller-Autorin Elisabeth Kabatek muss es die 50-jährige Margarete nicht nur mit der Ex-Frau ihrer neuen Liebe aufnehmen, sondern auch noch mit ihrer schwäbischen Mutter! Margarete hat endlich die Liebe ihres Lebens gefunden! Okay, mit 50, und in Cornwall statt im heimischen Stuttgart. Aber der Biofarmer Chris im idyllischen Port Piran ist ein echter Hauptgewinn. Das scheint leider auch seiner Noch-nicht-ex-Frau plötzlich klar zu werden. Sie mischt die neue Beziehung genauso auf wie Margaretes schwäbische Mutter. /Währenddessen verliebt sich Maggies englische Freundin, die Expunkerin Lori im zarten Alter von 61 zum ersten Mal. Zwei Frauen, zwei Freundinnen – und beide müssen um ihr Glück kämpfen...   Elisabeth Kabatek, Bestseller-Autorin der Kult-Romane um die Stuttgarterin Pipeline Praetorius, hat ein Händchen für spritzig-humorvolle Romane mit einem Schuss Romantik – und natürlich ein Faible für Cornwall, wo selbst das größte Liebes-Chaos ein Happy End findet. Von Elisabeth Kabatek sind auch die beiden humorvollen Cornwall-Romane »Chaos in Cornwall« und »Ein Häusle in Cornwall« erschienen.

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Seitenzahl: 523

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Elisabeth Kabatek

Ein Cottage in Cornwall

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Noch mehr Chaos in Cornwall – große Liebe inbegriffen:

Im humorvollen Roman der Bestseller-Autorin Elisabeth Kabatek muss es die 50-jährige Margarete nicht nur mit der Ex-Frau ihrer neuen Liebe aufnehmen, sondern auch noch mit ihrer schwäbischen Mutter!

 

Margarete hat endlich die Liebe ihres Lebens gefunden! Okay, mit 50, und in Cornwall statt im heimischen Stuttgart. Aber der Biofarmer Chris im idyllischen Port Piran ist ein echter Hauptgewinn. Das scheint scheint leider auch seiner Noch-nicht-ex-Frau plötzlich klar zu werden. Sie mischt genauso mit wie Margaretes schwäbische Mutter. ODER: Sie mischt die neue Beziehung genauso auf wie Margaretes schwäbische Mutter. /Währenddessen verliebt sich Maggies englische Freundin, die Expunkerin Lori im zarten Alter von 61 zum ersten Mal. Zwei Frauen, zwei Freundinnen – und beide müssen um ihr Glück kämpfen...  

Inhaltsübersicht

Widmung

1. Teil

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

2. Teil

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

Nachwort

Rezept

Cornish Pasty – vegane Variante

Für meine tapfere Eva S.

1. Teil

1. Kapitel

Margarete

Margarete lag mit dem Gesicht voran im Matsch. Ich bleibe einfach liegen, dachte sie, und mache mich total locker. Ich ignoriere den Hund, der jaulend um mich herumspringt und denkt, ich sei tot. Ich stelle mir vor, ich lasse mich gerade für einen Haufen Geld von der angesagtesten Kosmetikerin in Stuttgart behandeln. Und bin nicht auf einer Viehweide in Cornwall der Länge nach hingeschlagen. Es ist nicht mit Schafscheiße, Kuhmist und mit kleinen Steinchen vermischter Schlamm, der meine nackten Arme einbalsamiert, allmählich durch meine Hose und mein T-Shirt sickert, in meine Nase und meine Ohren dringt und meine Haare verklebt, sondern Heilschlamm aus Bad Kohlgrub. Der muss noch ein bisschen porentiefer einwirken, ehe ich aufstehen darf.

Es klappte beinahe mit der Vorstellung. Dann klingelte ihr Handy. Margarete ließ es bimmeln, zu erschöpft, um das Gerät mit einer verschlammten Hand aus der Gesäßtasche herauszufummeln. Dann fiel ihr ein, dass es vermutlich Chris war, der anrief, wer sonst hatte ihre englische Nummer, und wenn sie nicht ranging, machte er sich Sorgen. Chris machte sich gerade ziemlich viele Sorgen und rief ziemlich oft an. Dabei gab es dafür überhaupt keinen Grund.

Sie stützte sich mit den Händen im Matsch auf, krabbelte mühsam auf die Knie und hockte sich auf die Fersen. Bonnie bellte überglücklich, hechelte heran und versuchte, ihr Gesicht abzuschlecken. Schleimige Hundezunge auf Schlamm, war das nicht eine super Idee für einen neuen Wellness-Trend? Nicht, wenn man keine Hunde mochte, so wie sie. Zum Glück war Bonnie keine Hündin, sondern ein Familienmitglied. Sie tätschelte sie, damit sie sich beruhigte, Margaretes Gesicht in Ruhe ließ und rasch zurück zur Schafherde lief, damit die nicht auch noch abhaute. Das Handy war verstummt, nur um nach zehn Sekunden Pause von Neuem loszubimmeln. »Uff dr Schwäb’sche Eisebahne …« Der Klingelton war pure Nostalgie. Sie wischte sich die verdreckten Hände an den Oberschenkeln ab – jetzt war sowieso alles egal–, zog das Handy aus der Hosentasche und ließ sich auf den Hintern plumpsen. Zumindest war es weich, von den kleinen Steinchen mal abgesehen.

»Mmmja?« Es war schwierig, mit schlammverkrustetem Mund zu telefonieren.

»Hallo, sweetheart. Ich wollte nur kurz hören, ob alles in Ordnung ist?« Es war halb acht und er rief gerade zum dritten Mal an.

»Mmmja.« Ihr Blick fiel auf die Kappe von Chris’ Fußballverein. Chris liebte die Kappe und den Verein gleichermaßen. Zum Glück liebte er auch Margarete. Die Kappe war eben noch grün gewesen. Jetzt war sie schmutzig braun, der Schriftzug »Plymouth Argyle« war nicht mehr lesbar und das Segelschiff war zugekleistert.

»Du klingst etwas undeutlich. Und warum bellt Bonnie so wild?«

»Sie apportiert Stöckchen.«

»Wie bitte? Bonnie macht viel. Apportieren wie ein Schoßhündchen gehört nicht dazu.«

»Sie freut sich, weil ich nicht mehr mit dem Gesicht voraus im Schlamm liege.«

»Oh. Willst du es mir erklären?«

»Nein.«

»Kann ich dir helfen?«

»Nein.«

»Es tut mir leid.«

»Danke. Sehr freundlich.« Warum entschuldigten sich Engländer immer für alles, selbst für Dinge, für die sie nichts, aber auch gar nichts konnten?

»Soll ich später noch einmal anrufen?«

»Ja. Lass dir Zeit.«

Bonnie raste wieder davon, um sich um die Schafherde zu kümmern.

Mit dem Handy in der Hand winkte Margarete beruhigend dem Farmer zu, der gerade den Kopf über seinen Zaun streckte und genauso besorgt guckte, wie Chris am Telefon geklungen hatte. Ihm gehörten die Weiden auf der anderen Seite des Weges.

»You okay, love?«, fragte er.

Margarete hatte seinen Namen vergessen. Sie nickte und versuchte ein Lächeln, das aber an der Dreckkruste scheiterte. Hoffentlich rief er Chris nicht an und erzählte ihm brühwarm, dass Margarete nicht mehr aussah wie Margarete, sondern wie ein mit Schlamm überzogener Schokoladennikolaus, dass sie also ganz offensichtlich nicht klarkam, aber was sollte man von einer Städterin (!) aus Deutschland (!!) auch anderes erwarten, hatte er ihm das nicht gleich gesagt? Margarete konnte jetzt wirklich keine Klugscheißer gebrauchen. Und wo war eigentlich das blöde Schaf, das an allem schuld war?

 

Herrin über Oak Hill Hall! Der Tag hatte so gut angefangen. Okay, es stimmte nicht ganz, sie war nicht Herrin über ein Herrenhaus, sondern eine Farm, und das auch nur für zwei Tage, aber immerhin! Voller Stolz war Margarete vor einer guten Stunde mit dem schicken kleinen Traktor von der Oak Hill Farm aufgebrochen und den schmalen Feldweg entlanggetuckert, als hätte sie in ihrem ganzen Leben nie etwas anderes getan. Als hätte sie nicht bis vor ein paar Monaten bei einem Automobilzulieferer in Stuttgart die Presseabteilung geleitet und Cornwall nur aus den Rosamunde-Pilcher-Filmen gekannt! Bonnie war bellend vorausgerannt und Margarete hatte sich Chris’ Kappe, unter der ihr dickes feuerrotes Haar hervorquoll, lässig in den Nacken geschoben. Noch lässiger hatte sie grüßend die Hand gehoben, als sie an besagtem Nachbarsfarmer vorbeituckerte, der gerade seinen Zaun reparierte und sie mit unverhohlener Skepsis musterte. In England, so hatte sie in den letzten Wochen gelernt, spielte es eine große Rolle, die Hand zu heben, nur für eine Sekunde, vor allem, wenn man mit dem Auto oder Traktor unterwegs war. Man winkte nicht wie die Queen, man grüßte, und vor allem bedankte man sich auf diese Weise, wenn einen jemand an einer engen Stelle passieren ließ. Lichthupe ging auch, aber das lässige Grüßen – nicht zu viel, nicht zu wenig – gefiel Margarete besser. Es gab viele enge Stellen auf den kleinen Sträßchen, und Margarete, die mit großem Eifer alles richtig machen wollte, fühlte sich very British, wenn sie die Hand hob.

Es war ein strahlend schöner Augustmorgen, das Licht war warm und intensiv und fast schon ein bisschen herbstlich. »Der Herbst kommt hier früher als in Deutschland«, hatte Chris sie gewarnt, »die Tage werden rasch kühler und unbeständiger, aber das Wasser wird noch lange schön warm bleiben zum Schwimmen. Wenn wir Glück haben, werden sich die siebzehn, an flachen Stellen sogar achtzehn Grad noch bis in den Oktober hinein halten.« Siebzehn, achtzehn Grad? Das war nicht unbedingt das, was Margarete unter warm verstand! Wie das Wetter heute wohl im Stuttgarter Kessel wird, überlegte sie, bestimmt ein schwülheißer Tag, der mit einem krachenden Gewitter endet. Hier dagegen waren die Temperaturen nie unangenehm heiß. Dafür sorgte schon die frische Brise vom Meer. Andererseits wusste man nie, ob sich ein schöner Morgen nicht noch in einen regnerischen Nachmittag verwandelte.

 

Margarete konnte immer noch nicht fassen, dass sie es gewagt hatte, mit fünfzig Jahren komplett von vorn anzufangen, ihre Stuttgarter Heimat gegen Cornwall und ihr Singledasein gegen die Beziehung mit einem äußerst attraktiven englischen Biofarmer einzutauschen, der noch dazu neun Jahre jünger war als sie.

Ihre Ankunft an der Schafweide löste Hektik aus. Futter im Anmarsch! Die Schafe kamen laut blökend herbeigaloppiert, die Lämmer wichen ihnen nicht von der Seite. Wie ein riesiges schmutzig weißes Wollknäuel drängelte sich die Herde am Gatter. Bonnie schlüpfte unter dem Zaun durch und trieb die Tiere zurück. Zum Glück war sie ein Vollprofi, was man von Margarete nicht behaupten konnte. Sie war eine Großstadtpflanze, das Landleben kannte sie vor allem aus dem »Bergdoktor«. Aber sie hatte ausführlich mit Chris geübt, und alles hatte wie am Schnürchen geklappt. Traktorfahren zum Beispiel!

Margarete ließ den Traktor weitertuckern, sprang herunter, löste die Kette vom Pfosten und schob das Gatter weit auf. Das heißt, sie wollte es weit aufschieben, mit einer schwungvollen Bewegung, so wie bei ihren Übungseinheiten, aber in der Nacht hatte es heftig geregnet und der Boden war so aufgequollen, dass das Gatter im Schlamm wie einbetoniert war. Mit ihrem ganzen, nicht unbedingt elfenhaften Gewicht lehnte sich Margarete gegen das Gatter und drückte es gleichzeitig nach oben. Der Schweiß lief ihr den Rücken und die Arme hinunter, während sie mit ihren Chucks immer tiefer im Matsch versank. Dünne Turnschühchen, was für ein Anfängerfehler! Hätte sie bloß Gummistiefel angezogen.

Mit quälender Langsamkeit öffnete sich das Tor und sie zog ihre Füße aus dem zähen Schlamm, nur um beim nächsten Schritt noch tiefer einzusinken. Obwohl Bonnie einer der besten Hütehunde weit und breit war, hatte sie große Mühe, die Schafherde daran zu hindern, an Margarete vorbeizugaloppieren, wussten die Tiere doch genau, dass auf dem Hänger hinten am Traktor ihr Futter wartete. »Sorry, Bonnie«, schnaufte Margarete. Endlich war das Gatter so weit geöffnet, dass Margarete auf den Traktor springen und auf die Weide tuckern konnte. Sie war sehr stolz, dass sie das erste unerwartete Hindernis gemeistert hatte, auch wenn ihre Chucks wahrscheinlich nie mehr für einen Bummel auf der Stuttgarter Königstraße taugen würden.

Die Schafe umringten jetzt den Anhänger. Das Blökkonzert war ohrenbetäubend. Der nächste Schritt war nun, vom Sitz des Traktors über die Anhängerachse nach hinten auf den Anhänger zu klettern und dann den Schafen das Futter zum Fraß vorzuwerfen. Das war besser, als vom Traktor herunterzusteigen, weil die Schafe dann in Panik verfielen, gleichzeitig aber unbedingt an das Futter wollten – ein für Schafe angesichts überschaubarer Intelligenz nahezu unlösbares Dilemma, wie ihr Chris erklärt hatte. Dieser Teil war ein Kinderspiel! Bei Chris und bei Hans Gruber im »Bergdoktor« hatte das so einfach ausgesehen, dass Margarete keinen Bedarf gesehen hatte, diesen Schritt zu üben. Den Sprung, mit dem Chris vom Traktor direkt auf den Anhänger hechtete, konnte sie sowieso nicht nachmachen. Stattdessen würde sie elegant über die Verbindungsachse des Traktors zum Anhänger balancieren. Auf dem Schwebebalken war sie immer super gewesen.

Sie ließ sich vom Traktorsitz auf die Anhängerkupplung herunter und tastete sich langsam vor. Das funktionierte hervorragend. Genau eine Sekunde lang. Dann rutschte sie mit den schlammigen Turnschuhen auf dem Metall ab. Wild mit den Armen rudernd, versuchte sie, das Gleichgewicht zu halten, während das Blöken um sie herum immer lauter wurde, als seien die Schafe das Publikum, das sie bei ihrer artistischen Darbietung anfeuerte. Dann stürzte sie mit einem lauten Schrei ab, mitten in die Herde hinein. Sie landete rücklings auf mehreren Schafen, was ihren Sturz abmilderte, bevor die Schafe auseinanderstoben und sie eine Etage tiefer in den Schlamm fiel, dass es nur so spritzte. Sie blieb liegen und rang nach Luft. Eben noch hatte sie gedacht, das Trommelfell würde ihr platzen mitten im Schafsgetöse, nun war es auf einmal geradezu unheimlich still.

Sie setzte sich auf und sortierte ihre Gliedmaßen. Alles dran, sie würde nur ein paar blaue Flecken davontragen vom Sturz, und auf ihrem Oberarm zeichnete sich deutlich und sehr rot der Hufabdruck von einem Schaf auf der Flucht ab, ansonsten war nichts passiert. Außer, dass ihre ganze Rückseite schlammpaniert war. Gut, dass sie sich eine alte Jeans aus Stuttgart mitgebracht hatte. Der Kopf war zum Glück schlammfrei geblieben und Chris’ Mütze saß auch noch. Er hing doch so daran!

Die Schafe waren zurückgewichen. Sie verharrten in einem Abstand von ungefähr zehn Metern, dicht aneinandergedrängt, und starrten sie nur an, mit großen Augen und nahezu bewegungslos, während Bonnie vor ihnen auf und ab lief wie eine strenge Lehrerin vor einer Grundschulklasse. Ab und zu meckerte ein Lamm, ganz schüchtern. Margarete glaubte, die panischen Schafsherzen schlagen zu hören. Wahrscheinlich hatten sie noch nie erlebt, dass ein Mensch auf sie niederkrachte. »I’m sorry«, entschuldigte sich Margarete für alle Fälle, es waren schließlich englische Schafe, die waren an Höflichkeit gewöhnt. Mit einiger Mühe kam sie auf die Füße, stöhnte und röchelte und schüttelte sich ein bisschen, bis ihre Arme und Beine wieder da waren, wo sie hingehörten, ging zum Anhänger, öffnete die hintere Ladeklappe, kletterte umständlich auf die Ladefläche und warf nun endlich das Futter herunter.

Wie befreit stürzten sich die Schafe mit einem lauten, beinahe synchronen »Blök« darauf, nachdem die Ordnung in ihrer Schafwelt endlich wiederhergestellt war. Margarete ließ sich auf die Ladefläche sinken und atmete tief durch. Mission erfüllt, wenn auch mit Hindernissen. Es war schließlich ein Lernprozess, oder? Die Schafe mampften. Was für ein friedliches Bild! Sie waren nun mal nicht die Hellsten, das musste man verstehen, und Margarete betrieb Training on the Job.

Nach wenigen Minuten war jedes Heuhälmchen und jedes Kraftfutterkörnchen verspeist und die Schafe trollten sich. Plötzlich fiel Margarete ein, dass das Gatter sperrangelweit offen stand. Hatte Chris ihr nicht eingeschärft, als Erstes das Gatter zu schließen, damit die Schafe nach dem Füttern nicht ausbüxten? Rasch sprang sie vom Anhänger, lief zum Traktor und tuckerte von der Weide. Sie hatte gerade den Motor wieder abgestellt, als ein Schaf zielstrebig an ihr vorbeigaloppierte, nach rechts auf den Feldweg abbog und aus ihrem Blickfeld verschwand.

»Bonnie, das ist dein Job!«, brüllte Margarete. Aber Bonnie war vollauf damit beschäftigt, den Rest der Herde davon abzuhalten, hinter dem fliehenden Einzeltäter herzurennen. Wenn Margarete jetzt das Gatter schloss, war der Ausreißer über alle Berge, außerdem musste sie es dann wieder aufmachen, damit das Schaf zurück auf die Weide konnte. Wenn sie es mit dem Traktor verfolgte, bekam es bestimmt noch mehr Panik. Also rannte Margarete auf dem verschlammten Weg hinter dem Schaf her. Bloß, wie sollte sie das Schaf zum Umkehren bewegen, wenn sie auf einem schmalen Weg hinter ihm dreinraste und den Rückweg blockierte? Die Frage erwies sich als irrelevant. Nach zehn Metern rutschte Margarete erneut im Schlamm aus, um diesmal mit dem Gesicht voran hinzuschlagen …

 

Eine gute Stunde später saß sie auf den Treppenstufen des Farmhauses und blinzelte erschöpft in die Sonne. Nach der wenig rühmlichen Schafepisode sah das Leben wieder etwas verheißungsvoller aus. Am Ende hatte sie doch noch ihren Stolz überwunden und den Nachbarn gebeten, ihr beim Einfangen des flüchtigen Schafs zu helfen. Der hatte nur stirnrunzelnd auf ihr mangelhaftes Schuhwerk geblickt und schließlich gleichmütig und stumm genickt. Gemeinsam hatten sie den Ausreißer zurück auf die Weide getrieben,wo die Schafherde mittlerweile friedlich graste und überhaupt nicht mehr an dem offenen Gatter interessiert zu sein schien. Der Farmer hatte das Tor mit einem einzigen kräftigen Ruck aus dem Schlamm gehoben, geschlossen und Margaretes Dank mit einem stummen Nicken zur Kenntnis genommen. Bonnie war so erschöpft gewesen, dass sie sich für die Rückfahrt auf den Anhänger legte.

Margarete war zur Farm zurückgetuckert, wo Karen, die sie beim Melken unterstützen wollte, schon in ihrer grünen Latzhose an ihrem Pick-up lehnte und auf sie wartete. Bei Margaretes Anblick war sie zunächst in hysterisches Quieken ausgebrochen, dann hatte sie doch Mitleid bekommen und ihr vorgeschlagen, sich erst einmal auf der Treppe zu erholen. Margarete hatte sich am Wasserhahn im Hof notdürftig Gesicht und Hände gewaschen, während Karen aus ihrem Pick-up selbst gemachte Erdbeermarmelade und ein noch ofenwarmes Brot hervorgezaubert hatte. Dann hatte sie ihre Gummistiefel ausgezogen, war auf dicken bunten Strümpfen ins Haus marschiert und mit Marmeladenbroten und zwei Tassen Kaffee wieder herausgekommen. Margarete würde sich nie an den schrecklichen löslichen Kaffee gewöhnen, aber nach dem Schafdurcheinander schmeckte er einfach göttlich. Selbst, wenn man von oben bis unten mit Schlamm überkrustet war.

»Dein Brot und deine Marmelade. Ein Gedicht«, schwärmte sie und biss kräftig ab.

»Freut mich. Die Kühe können auch noch ein paar Minuten warten.«

»In Deutschland geht man immer ganz früh morgens in den Stall.«

»Unsere Kühe sind zeitlich flexibel.« Karen grinste. »Meine sind schon versorgt. Ich hatte den Eindruck, du könntest eine kleine Aufmunterung gebrauchen, bevor du dich der nächsten Herausforderung stellst.«

»Danke. Mein letzter Melkversuch ging ziemlich in die Hose. Ich wollte die Melkmaschine anlegen, da kamen die beiden Ladys auf die grandiose Idee, immer näher zusammenzurücken, offensichtlich mit dem Ziel, mich wie eine Mücke zu zerquetschen. Ich habe ihnen Klapse auf den Hintern gegeben, das hat sie aber kein bisschen interessiert. Es war wie im Albtraum.« Margarete seufzte. »Ich glaube nicht, dass ich zur Farmerin geboren bin.«

»Die Mädels im Stall wissen alle, dass du eine blutige Anfängerin bist. Die kapieren sofort, wer Autorität hat und wer nicht. Aber um ehrlich zu sein, ich wäre auch ein bisschen beleidigt, wenn bei einem Greenhorn wie dir alles wie am Schnürchen klappte. Vergiss nicht, Chris und ich, wir machen das bereits unser ganzes Leben lang. Schon unsere Eltern waren Farmer. Chris hat sogar noch ökologische Landwirtschaft studiert und einen Master draufgesetzt.«

Margarete war sich nicht sicher, ob sie zwischen den Zeilen heraushörte, dass Karen insgeheim genauso wie der Nachbar fand, dass es keine gute Idee gewesen war, das Greenhorn zwei Tage allein auf der Farm zu lassen, während Chris seine Kinder aus Irland holte. Doch auch wenn sie insgeheim skeptisch war, hatte Karen ihre Hilfe angeboten, und Margarete hatte sie dankbar angenommen.

»Was hast du eigentlich vor? Du wirst nicht ewig die Farmersfrau spielen wollen.«

Margarete seufzte. »Keine Ahnung. Chris ist nicht so der Typ, der Pläne macht.«

»Das dachte ich mir schon. Aber deine Pläne, wie sehen die aus?« Karen schlüpfte aus ihren dicken bunten Socken. »Puh, ist das warm.«

»Ohne Chris kann ich schlecht planen. Außerdem sind wir ja erst seit zweieinhalb Monaten zusammen.« Seit zweieinhalb Monaten schwebte sie auf Wolke sieben, und gleichzeitig machte sie sich Sorgen um die Zukunft, aber das ging Karen nichts an.

»Schon, aber in unserem Alter entwickeln sich die Dinge schneller als mit Mitte zwanzig, findest du nicht? Du könntest ihm einen Heiratsantrag machen. Du bist schließlich emanzipiert. Nicht so wie viele Engländerinnen, die voller Ungeduld darauf warten, dass der Kerl endlich vor ihnen auf die Knie sinkt, damit sie errötend ihr Ja hauchen können.«

»Chris ist noch nicht einmal geschieden!«, platzte Margarete heraus und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme einen frustrierten Klang hatte.

»Oh. Das wusste ich nicht«, meinte Karen und schien ehrlich bestürzt. »Bevor du Ende Mai in Port Piran aufgetaucht bist, hatte er vermutlich keinen Grund zur Eile. Warum kümmert er sich jetzt nicht drum?«

»Er müsste Janie im Falle einer Scheidung ihren Anteil an der Farm auszahlen, und das ist ein Batzen Geld, den er nicht flüssig hat. Bisher hat Janie ihm da wohl keinen Druck gemacht. Das ist das eine Problem. Das andere ist das Sorgerecht. Chris hätte die Kinder gern bei sich, aber Janie lehnt das strikt ab. Seit sie vor zwei Jahren mit den Kindern abgehauen ist, haben die beiden kein einziges vernünftiges Gespräch miteinander geführt. Chris sagt, sie wimmelt ihn immer ab. Ich verstehe nicht ganz, warum er nicht längst vor Gericht gezogen ist, sie hat die Kinder ja praktisch entführt, und noch dazu in ein anderes Land. Aber Chris hofft immer noch auf eine gütliche Einigung. Er will jetzt versuchen, heute Abend oder morgen früh mit ihr zu reden, wenn er die Kinder für die Ferien holt.«

»Na, das wird ja auch höchste Zeit. Ich verstehe ja, dass für ihn alles kompliziert ist, aber es ist nicht ganz fair dir gegenüber, findest du nicht? Wenn du auf Dauer hierbleiben willst, brauchst du da nicht eine Perspektive?«

Margarete spürte plötzlich ein gewisses Unwohlsein. Sie mochte Karen, aber die stocherte da in Dingen herum, die sie für sich selbst noch nicht richtig geklärt hatte und nicht unbedingt mit ihr besprechen wollte. Mit Lori, ja, aber nicht mit Karen. So gut kannten sie sich schließlich gar nicht.

»Sei mir nicht böse, Maggie, aber du kommst aus der Großstadt, und ich sehe dich nicht als Farmersfrau«, fuhr Karen fort. »Nicht auf Dauer jedenfalls. Und zum Kinderkriegen dürfte es auch zu spät sein, oder?«

»Mit fünfzig? Definitiv. Ich hatte überlegt … einen Farmshop aufzumachen.«

Margarete hielt die Luft an. Karen ließ sich nichts anmerken.

»Warum nicht?«, gab sie gleichmütig zurück und nippte an ihrem Kaffee.

»Nun, ich bin mir nicht ganz sicher. Chris ist dagegen. Er sagt, es wäre unfair dir gegenüber.«

Karen lachte, aber Margarete war sich nicht sicher, ob das Lachen echt war.

»Wieso? Konkurrenz belebt das Geschäft. Außerdem hast du null Erfahrung. Ich glaube nicht, dass meine Stammkunden so mir nichts, dir nichts zu dir überlaufen würden. Und was könntest du schon groß verkaufen außer Eiern und Äpfeln? Es ist nicht so einfach, Käse, Schinken, Butter oder Brot selber zu produzieren.« Sie grinste spöttisch.

»Nein, natürlich nicht. Aber man kann das ja lernen. Außerdem lieferst du nur aus. Ich dachte an einen richtigen kleinen Laden, hier auf dem Hof. Mit frischem Obst und Gemüse, frischer Milch, selbst gebackenem deutschem Brot und schwäbischem Apfelkuchen. Und vielleicht steuert Mabel, ich meine Lori, ein paar Scones und Pies bei.«

»Aha. Hast du denn in Deutschland regelmäßig gebacken?«

»Äh … nein. Ehrlich gesagt, ich war nie die große Köchin und Bäckerin.«

Karen lachte jetzt laut heraus. »Und dafür gibt es sicher einen Grund.«

»Natürlich gibt es den. Ich hatte nie eine Familie, es hat sich also nie wirklich gelohnt.«

»Man kann auch für Freunde backen oder kochen. Aber du hast dich auch nicht besonders dafür interessiert, und es hat dir auch keinen großen Spaß gemacht, richtig?«

»Nein, hat es nicht«, musste Margarete zugeben. Sie spürte, dass sie sich über Karen zu ärgern begann. Warum bohrte sie so hartnäckig nach, und warum versuchte sie, ihr den Farmshop madig zu machen? Wahrscheinlich fürchtete sie doch die Konkurrenz!

Karen schien ihre Gedanken zu lesen. »Es geht mich nichts an, Maggie, und wir haben genug Touristen, die Lebensmittel für ihre Ferienhäuser brauchen, um uns nicht in die Quere zu kommen, zumindest von Ostern bis Herbst. Aber an deiner Stelle würde ich erst einmal versuchen, mit Chris zu reden und ihm klarzumachen, dass du eine Perspektive brauchst. Und dann würde ich mir überlegen, ob es nicht etwas gibt, das besser zu dir passt. Vielleicht eine Marketingstelle im Tourismus? Es gibt hier nicht so viele Leute, die Deutsch sprechen, und die deutschen Touristen machen einen großen Prozentsatz aus. Wegen dieser komischen Filme, die sonntags bei euch laufen.«

»Das habe ich auch schon überlegt, aber die meisten Deutschen können gut Englisch, die brauchen niemanden, der für sie übersetzt. Und Chris kann die Farm auf Dauer nicht alleine bewirtschaften, das ist viel zu viel Arbeit. Mehr als ab und zu eine Aushilfe einzustellen ist nicht drin, er zahlt ja auch für die Kinder. Was liegt da näher, als dass ich ihm helfe? Dafür wohne ich umsonst.«

Karen griff nach ihren Gummistiefeln und zog sie über die Füße. »Meinst du vielleicht, Joseph hilft mir auf der Farm? Gib meinem Mann eine Mistgabel in die Hand und er sticht sich versehentlich die Augen damit aus. Er verdient Geld, und zwar gutes Geld an der Uni in Exeter, und damit kann ich meine Helfer bezahlen. Wir machen völlig unterschiedliche Dinge, treten uns nicht auf die Füße, können uns abends gegenseitig was erzählen und es funktioniert wunderbar. Das wäre doch auch eine Option? Du suchst dir einen Job, und damit könnt ihr eine Aushilfe finanzieren. Aber wie gesagt: Es geht mich nichts an.«

Dafür, dass es sie nichts anging, hatte sie ganz schön lange darüber gesprochen, befand Margarete insgeheim. Karen stand abrupt auf.

»Wollen wir? Ich habe nicht mehr viel Zeit.«

»Natürlich.« Margarete lag noch einiges auf der Zunge. Aber sie mussten jetzt dringend die Kühe melken, und außerdem klingelte schon wieder ihr Handy.

2. Kapitel

Lori

Es tut mir leid, Mrs Peacock. Wir haben keine Wärmflaschen zum Ausleihen. Ehrlich gesagt hat noch nie jemand nach einer Wärmflasche gefragt.« Vor allem nicht im August, du Schnepfe, fügte Lori in Gedanken wütend hinzu und räumte Mrs Peacocks Müslischüssel und ihren leeren Joghurtbecher ab. August, das war an sich schon Herausforderung genug. August war der Höhepunkt der Urlaubssaison. Halb Großbritannien stopfte Ende Juli Kinder, Großeltern, Hunde, Surfboards und Sandeleimer ins Auto und machte sich auf den Weg, um die staycation zu zelebrieren, also den Urlaub im eigenen Land. Im Lake District, in Devon und in Cornwall war jedes Cottage, jede Parzelle auf dem Campingplatz und jedes Bett in einem B&B ausgebucht. Nicht einmal eine Maus fand dann noch einen Unterschlupf! Auch nicht bei Lori, die sowieso nur vier Zimmer zu vermieten hatte. August hieß außerdem, dass die Saison, die in der Regel um Ostern herum begann, schon mehr als vier Monate andauerte. Seit mehr als vier Monaten schuftete Lori ununterbrochen, ohne einen einzigen Tag Pause, wenn man mal von ihrem ungeplanten Krankenhausaufenthalt absah, und der war auch nicht unbedingt unter die Rubrik Erholungsurlaub gefallen. Jeden Tag stand sie im Morgengrauen auf, um das Frühstück für ihre Gäste in Honeysuckle Cottage zu machen, sie zu empfangen und zu verabschieden, Anfragen, Buchungen und Rechnungen zu managen, sich um die Zimmer zu kümmern und das B&B am Laufen zu halten. Sie würde bis zum Ende des Jahres so weiterschuften und erst im Januar ihren Jahresurlaub nehmen. Wenn man dann noch so entsetzliche Gäste wie Mrs Peacock hatte, die einen schon beim Frühstück ärgerten, fehlte nicht viel, und die sowieso bis zum Zerreißen gespannten Nerven rissen endgültig. Dann wurde Lori ausfällig, um es freundlich zu formulieren, und das mündete mit schöner Regelmäßigkeit in einer sehr, sehr negativen TripAdvisor-Kritik. Die galt es unter allen Umständen zu vermeiden. Es gab schon zu viele davon. Also holte Lori tief Luft, zwang sich zu einem künstlichen Lächeln und gurrte: »Es tut mir wirklich leid, Mrs Peacock.«

»Nun, das ist ja nicht weiter schlimm. Aber Sie könnten doch sicherlich eine Wärmflasche besorgen? Das kostet ja nicht viel. Und es gibt doch bestimmt andere Gäste, die sich später darüber freuen? So eine Wärmflasche hält Jahre, wenn man sie pfleglich behandelt.«

Wenn in den letzten dreißig Jahren, die ich nun Honeysuckle Cottage als B&B und unter dem Namen Mabel geführt habe, niemand nach einer Wärmflasche gefragt hat, dachte Lori genervt, dann wird auch in den nächsten dreißig Jahren niemand eine wollen. Außer Mrs Peacock. Vor drei Tagen hatte sie sich beschwert, das Zimmer sei zu warm und unerträglich stickig, dabei ging das Einzelzimmer Violet nach vorne Richtung Meer, und wenn man die Fenster öffnete, wehte eine frische Brise ins Zimmer. Das Haus lag am Hang, nichts blockierte die Frischluftzufuhr, und Port Piran war schließlich nicht Mallorca! Und nun fror die Lady plötzlich nachts?

»Darum geht es nicht, Mrs Peacock. Natürlich kostet eine Wärmflasche nicht viel, und wenn das das einzige Problem wäre, würde ich Ihnen sofort eine besorgen. Aber Sie wissen ja, dass es keinen Laden in Port Piran gibt. Ich müsste extra nach Truro fahren, und dafür habe ich im Moment keine Zeit.« Und die schmalen Straßen waren hoffnungslos von viel zu vielen Urlaubern überlastet, sodass die Fahrt nach Truro doppelt so lange dauerte wie gewöhnlich. War Mrs Peacock wirklich derart schwer von Begriff? Lori drehte ihrem Tisch rasch den Rücken zu, um die unsägliche Diskussion zu beenden. »Möchte noch jemand Tee oder Toast?«, fragte sie mit gespielter Munterkeit ins Frühstückszimmer hinein.

»Könnten wir noch etwas braunen Toast haben?«, fragte die Deutsche, die mit ihrem Mann auf dem Coast Path wanderte, wie hieß sie noch gleich? Brigitte. »Möchtest du noch Kaffee, Uli?« Ihr Mann sah zerstreut von seinem Smartphone auf und nickte.

»Kaffee und Toast. Aber gern.« Lori nahm die leere Cafetière in die freie Hand.

»Vielen Dank. Dann sind wir gestärkt für unsere lange Tagesetappe.« Die Frau lächelte und bemühte sich ganz offensichtlich, nett zu sein. Warum waren nicht alle Gäste so unkompliziert wie diese Wanderer? Sie machten zwar viel Arbeit, weil sie nur eine Nacht blieben. Doch je mehr Zeit die Gäste in Honeysuckle Cottage verbrachten, desto höhere Ansprüche stellten sie.

Seit mehreren Tagen schlug sich Lori mit Mrs Peacock herum. Die leitete irgendein doofes Museum in London und hielt sich für den intellektuellsten Menschen auf Erden. Sie hatte Lori vor zwei Tagen mitten im Frühstücksstress an ihren Tisch gebeten, nur um sie zu fragen, ob sie zufällig vor ein paar Wochen nach London gefahren war, um die Antony-Gormley-Ausstellung zu sehen, die sie kuratiert hatte. Die Ausstellung hatte rund eine halbe Million Besucher angezogen, meinte Mrs Peacock und strahlte dabei über ihr ganzes braunfleckiges Gesicht, sichtlich überwältigt von ihrer eigenen Wichtigkeit. Lori starrte Mrs Peacock an und hatte große Mühe, nicht ständig an einen vor langer Zeit heruntergefallenen Apfel zu denken. Wie stellt sie sich das denn vor, dachte sie irritiert. Wie soll man ein B&B in Cornwall führen und dann mal eben viereinhalb Stunden mit dem Zug nach London fahren? Sie erklärte Mrs Peacock ziemlich unverblümt, dass sie zwar von Anthony Quinn gehört hatte, aber nicht von Antony Wie-hieß-er-denn-noch-gleich, dass sie zweitens nicht wusste, was kuratieren bedeutete, und dass sie drittens – sie hatte sich diesen, den letzten und besten, Punkt bis zum Schluss aufgehoben – noch nie in ihrem Leben in einem Museum gewesen war. Mrs Peacock strahlte jetzt nicht mehr. Vielmehr froren ihre Gesichtszüge ein. Lori war sehr zufrieden mit sich.

Sie ging zurück in die Küche. »Wir brauchen noch mal braunen Toast und Kaffee«, sagte sie in ihrem üblichen zackigen Ton.

»Wird sofort erledigt, Commander«, antwortete Titilope, salutierte und schob vier Scheiben braunen Toast in das Gerät.

Titilope war erst seit wenigen Wochen bei Lori. Nach ihrem Unfall und einem schlimmen Bänderriss Ende Mai erholte sich Loris Fuß nur langsam und sie humpelte noch immer, deshalb hatte sie zähneknirschend eine Hilfe einstellen müssen. Genauer gesagt war es Maggies Idee gewesen. Sie hatte Titilope in einem Hotel kennengelernt, in dem sie als Zimmermädchen arbeitete. Das Hotel war so entsetzlich, dass Titilope bereitwilligst zu Lori und ins Honeysuckle Cottage wechselte.

Titilope war in ein winziges, schäbiges, überteuertes Zimmer in Port Piran gezogen, wie Maggie erbost berichtete, die als superbewusste Deutsche dahinter sofort Rassismus vermutete. Wahrscheinlich hatte sie recht. Aber dass Maggie sich gegenüber Lori und den Engländern allgemein immer gleich moralisch überlegen fühlte – wie jetzt, sie recycelten kein Plastik, im Ernst? –, konnte einem auch wirklich gewaltig auf die Nerven gehen. Andererseits hatte Maggie Lori nach ihrem Unfall spontan geholfen und war eingesprungen, um sich um Honeysuckle Cottage zu kümmern, obwohl sie von einem englischen B&B nicht die geringste Ahnung hatte, und sie hatte Titilope für sie aufgetrieben. In beiden Fällen hatte sie Lori einen unschätzbaren Dienst erwiesen.

Titilope war nicht nur fröhlich, fleißig, ehrlich und clever, sie sah auch noch aus wie Miss Universum persönlich. Sie nahm es Lori nicht krumm, wenn diese ihren Feldwebel-Ton an den Tag legte, und nannte sie deshalb scherzhaft Commander. Lori wusste genau, dass sie eine schwierige Chefin war und dass es vor allem an Titilopes Sinn für Humor und ihrem Gleichmut lag, dass sie gut miteinander auskamen. Ja, eigentlich war Titilope perfekt. Es gab nur ein Problem, an dem sich leider nichts ändern ließ: Sie kam aus Nigeria und war schwarz. Nicht, dass Lori damit ein Problem hatte. Sie war sich nur ziemlich sicher, dass es Gäste gab, die nicht ganz so glücklich wären, wenn sie von einer Schwarzen bedient würden. Und deshalb hatte Lori Titilope ohne weitere Erklärung (sie wollte schließlich ihre Gefühle nicht verletzen) in die Küche verbannt, wo sie morgens Tee kochte und Rühreier briet, und ließ sie die Zimmer richten, wenn die Gäste aus dem Haus waren. Maggie redete ständig auf sie ein, dass das doch ausgemachter Schwachsinn war, Titilope sollte sie schließlich entlasten! Da war es doch das Sinnvollste, ihr das Bedienen der Gäste zu überlassen, wo Lori am meisten hin- und herlaufen musste!

»Du kennst den Alltagsrassismus der Briten nicht«, antwortete Lori jedes Mal düster. »In deinem komischen Stuttgart mit seinem hohen Ausländeranteil, auf den du so stolz bist, kannst du so was vielleicht bringen. Aber nicht in einem Bed & Breakfast in Cornwall. Glaub mir, ich kenne meine Pappenheimer!«

»Dann wird es allmählich Zeit, dass sich deine Pappenheimer umstellen!«, antwortete Maggie jedes Mal verärgert, und schon waren sie mittendrin in einer heftigen Auseinandersetzung. Wenn Chris dann noch Maggie beisprang, war der Tag für Lori gelaufen. Natürlich freute sie sich, dass ihr bester Freund und die Deutsche ein Paar geworden waren. Im Prinzip jedenfalls. Chris wirkte so viel fröhlicher, seit er mit Maggie zusammen war! Und doch vermisste sie die ausführlichen Küchengespräche mit Chris bei einer Tasse Tee. Nach wie vor hatten sie ein enges Verhältnis, schließlich kannten sie und Chris sich, seit er ein kleiner Junge war, aber es war offensichtlich, dass er jetzt alles Wichtige mit Maggie besprach und nicht mehr mit ihr. Das gab ihr immer wieder einen Stich.

»Lori. Nur kurz, ich hätte da noch eine Idee zum Thema Wärmflasche!« Mrs Peacock stand in der Küchentür.

Lori fuhr herum und richtete ihre Augen erst drohend auf Mrs Peacock und dann auf das Schild an der Tür. »Keep out! Private!« Mrs Peacock, die gerade im Begriff gewesen war, in die Küche zu stolpern, war Loris Blick gefolgt und bremste gerade noch rechtzeitig im Türrahmen ab. Dann fielen ihre Augen auf Titilope. »Sie haben eine schwarze Angestellte?«, rief sie ungläubig aus. Titilope zuckte sichtbar zusammen. »Das ist ja großartig! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie monokulturell Cornwall ist im Vergleich zu London. Selbst das indische Restaurant in Truro wird von Briten betrieben! Von ethnischer Diversität und Interkulturalität keine Rede!«

Titilope warf ihre Rastalocken zurück und lachte laut auf. »Sie sind großartig, Mrs Peacock. Glauben Sie mir, meistens höre ich von den Leuten, ich solle bitte zurück in den Dschungel gehen.«

»Wie können Sie diese Schönheit in der Küche verstecken?«, meinte Mrs Peacock vorwurfsvoll.

Gleich kommt sie rein und knutscht Titi ab vor lauter Begeisterung über die ethnische Diversität, dachte Lori. Das war doch allmählich zu viel der Einmischung.

»Mrs Peacock, seien Sie mir nicht böse, aber wir haben im Augenblick wirklich sehr viel zu tun. Sie sagten, Sie hätten noch eine Idee zum Thema Wärmflasche?«

»Nun ja, ich dachte, ich nehme Ihnen die Arbeit ab. ICH kaufe eine Wärmflasche, und SIE erstatten mir die Rechnung! Dann müssen Sie nicht extra nach Truro fahren! Wie wäre das?«

Die Frau würde niemals freiwillig Ruhe geben. »Das ist eine ganz hervorragende Idee, Mrs Peacock«, zwitscherte Lori und hoffte, dass man ihrer Stimme den heraustriefenden Sarkasmus nicht anhörte. »Damit helfen Sie mir sehr. Aber bitte keine sündhaft teure Designer-Wärmflasche von diesem Antony-wie-hieß-er-denn-noch-gleich.«

Titilope begann heftig zu husten. »Entschuldigen Sie mich bitte, Mrs Peacock«, brachte sie hervor und floh. Wahrscheinlich hatte sie einen Lachanfall.

»Ich freue mich doch, wenn ich Ihnen einen Gefallen tun kann, Lori!« Mrs Peacock schien sehr zufrieden und rauschte endlich ab.

Im Flur hörte Lori Titilope mit John plaudern, ihrem sechsundachtzigjährigen Nachbarn. Er würde gleich in die Küche schneien, um sich seine morgendliche Tasse Tee, einen übrig gebliebenen Scone und ein Schwätzchen abzuholen. Das hatte sich so eingebürgert, seit John mehr oder weniger Titilope finanzierte und daraus gewisse Rechte ableitete, und nicht einmal Lori brachte es übers Herz, ihm die zu verweigern. Er hatte ihr schließlich das Honorar geschenkt, das er für eine kleine Rolle in der populären BBC-Fernsehserie »Cornwall 1900« bekommen hatte. Honeysuckle Cottage hatte in einer Episode als Kulisse für ein Inn gedient, in dem die Helden übernachteten, und John hatte den Wirt gespielt.

Eine gute Stunde später war Ruhe. Endlich! Mrs Peacock war auf dem Weg nach Truro, eine Wärmflasche kaufen. Der allein wandernde Schotte war schon in aller Herrgottsfrühe losmarschiert, er hatte aufs Frühstück verzichtet und stattdessen um ein Lunchpaket gebeten. Mr und Mrs Weatherspoon, die sich schon zum zweiten Mal in dieser Saison in Honeysuckle Cottage eingemietet hatten, weil es ihnen im Frühsommer so gut gefallen hatte, waren ebenfalls früh aufgebrochen, um in St. Ives in den dortigen Ableger der Tate Gallery zu gehen. Das deutsche Pärchen hatte sich verabschiedet und hoch und heilig versichert, sie würden nächsten Sommer wiederkommen und dann eine ganze Woche bleiben. Titilope hatte ein paar Stunden frei, und Lori konnte endlich durchatmen.

Zuerst öffnete sie die Fenster des Frühstückszimmers weit und machte sich einen doppelten Espresso. Für einen Joint war es noch zu früh. Immer mehr Gäste hatten nach Cappuccino oder Espresso gefragt, und so hatte Lori zähneknirschend in eine sündhaft teure italienische Kaffeemaschine investiert, um konkurrenzfähig zu bleiben. Diese Ansprüche! Früher hatte man für die vereinzelten Kaffeetrinker zwei Löffel Nescafé mit heißem Wasser aufgegossen, und niemand hatte sich beschwert. Dann hatten die Gäste nach einer Cafetière verlangt, und nun war nicht einmal mehr das gut genug. Allerdings musste Lori zugeben, dass man sich an den italienischen Kaffee gewöhnen konnte. Mittlerweile brauchte sie mehrere doppelte Espressi am Tag. Aber das war immer noch besser als Drogen und Alkohol zu konsumieren, so wie früher.

Lori trank den Espresso, schloss die Fenster, ging in die kleine Vorratskammer und tauschte ihre Klamotten gegen ihre zerschlissene schwarze Jeans, das schwarze T-Shirt mit den Löchern und das Nietenhalsband. Seit ihrem Coming-out als leidenschaftliche Punkerin beim Port Piran Village Festival ging Lori offener mit ihrer wilden Vergangenheit um. Erst vor ein paar Monaten hatte sie zudem herausgefunden, dass ihre vermeintliche Tante Ruth, die ihr Honeysuckle Cottage vererbt hatte, in Wahrheit ihre Mutter gewesen war. Daraufhin hatte sie ihren echten Namen angenommen, Lori Trelawney, und alle, die sie kannten, mussten sich Mabel abgewöhnen.

Lori fing ein neues Leben an. Sie verkleidete sich nicht mehr als spießige Pensionswirtin, sondern trug im Kontakt mit den Gästen statt Wollrock und Blüschen Jeans und T-Shirt. Sie fühlte sich so viel wohler damit! Nach Jahrzehnten mit einem braven Dutt hatte sie in einen schicken Kurzhaarschnitt investiert, und schon morgens malte sie sich als Erstes einen dicken Kajalstrich um die Augen, so schwarz wie ihre Haare. Reaktionen der Gäste, zumindest sichtbare, waren bisher ausgeblieben, während Maggie und Chris und sogar Karen und Caroline, die in Port Piran einen kleinen Buchladen mit Café betrieb, übereinstimmend fanden, sie sähe wirklich cool aus. Über einen Nasenring dachte Lori noch nach. Zufrieden sah sie an sich herunter. Einundsechzig Jahre und kein Gramm Fett! Und keine einzige graue Haarsträhne. Jetzt musste sie nur noch ihren lädierten Fuß in den Griff bekommen, damit sie sich die horrenden Ausgaben für Titilope sparen konnte. Sie ging in die Hocke – auch das bereitete ihr nicht die geringsten Probleme –, öffnete ihren Plattenschrank und kostete den zweifellos besten Moment des ganzen Tages aus: Welche ihrer unzähligen Punkplatten würde sich heute auf ihrem alten Vinyl-Plattenspieler drehen dürfen?

»I wanna hold her tight, get teenage kicks right through the night«, grölte Lori wenig später mit der Musik mit, während sie das Glas mit den Haferflocken auf dem Frühstücksbüfett auffüllte. Sie hatte die Lautstärke wie immer bis zum Anschlag aufgedreht. Nach ein paar weiteren Takten war der Punk in jede ihrer Poren gedrungen und es gab kein Halten mehr. Lori schnappte sich eine Luftgitarre und spielte ein paar harte Riffs, gepaart mit intensivem Headbanging. Der Nachteil an den kurzen Haaren war, dass man sie nicht mehr so wild herumwerfen konnte. Lori ignorierte den protestierenden Fuß und hüpfte quer über die imaginäre Bühne. Auf den Tisch traute sie sich nicht mehr, von dem war sie im Frühsommer abgestürzt. Es ging auch so. Die Kids da unten, komplett zugedröhnt, waren in Ekstase, und Lori malträtierte die Luftgitarre und gab alles. »Get teenage kicks right through the night …«, kreischte sie, die Augen geschlossen, das Jubeln ihrer Fans im Ohr.

»The Undertones. ›Teenage Kicks‹. Genialer Song.«

Lori fuhr keuchend herum. Verdammt, wo kam der Typ her, der plötzlich in der Tür zum Esszimmer stand?

»Was wollen Sie hier?«, fauchte sie. Ihr Kopf schwirrte vom Headbangen. Saublöde Frage. Der Mann trug einen abgewetzten Koffer in der Hand. Er war mittelgroß, kräftig gebaut und nicht mehr der Jüngste. Haar und Vollbart waren mehr grau als braun. Das Beste an ihm waren seine Augen unter den buschigen Augenbrauen. Sie waren sehr blau, sehr klar und musterten Lori sehr amüsiert. Das Peinlichste war die Tätowierung auf seinem muskulösen Oberarm. Eine Meerjungfrau mit nacktem Busen. Ging’s noch schlimmer? Außerdem hatte er einen Bauch, der überhaupt nicht zu den Muskeln passte.

»Entschuldigen Sie bitte. Ich habe gehustet, um mich bemerkbar zu machen, aber Sie haben es nicht gehört. Ich bin Liam Bennett und habe hier ein Zimmer gebucht. Ich hatte übrigens auch eine Punkphase.«

»Punk ist keine Phase. Es ist eine Lebenseinstellung. Sie sind zu früh, Mr Bennett. Das Zimmer kann erst um 14 Uhr bezogen werden.« Lori war sich bewusst, dass sie nicht im Mindesten wie eine souveräne Pensionswirtin rüberkam, sondern mehr wie ein fauchender Drache, und dass sie auf dem besten Wege war, erneut eine schlechte Bewertung zu kassieren. Aber man latschte nicht einfach bei ihr rein und ertappte sie in ihrem allerintimsten, allerpeinlichsten Moment! Hätte sie bloß die Haustür abgeschlossen!

»Ich weiß. Ich wollte nur meinen Koffer abstellen und den Zimmerschlüssel holen. Ich weiß nicht genau, wann ich heute Abend zurückkomme. Ich fahre jetzt gleich zur Lifeboat Station. Und bitte nennen Sie mich doch Liam, sonst fühle ich mich noch älter, als ich sowieso schon bin.«

»Ach, Sie sind gar kein Urlauber?«, platzte Lori heraus, obwohl es sie nichts anging. Er schüttelte den Kopf und schien noch immer belustigt.

»Hat Karen Ihnen nichts erzählt?«

»Karen? Nein.«

»Sie hat mir Honeysuckle Cottage empfohlen. Wir sind alte Freunde.« Seltsam. Er schien deutlich älter zu sein als Karen. Und die hatte keinen Ton gesagt.

»Nein, ich wusste nicht, dass Sie über Karen in Honeysuckle Cottage gelandet sind.«

»Ich bin Ausbilder beim RNLI, der Royal National Lifeboat Institution.«

Hielt er sie für blöd? Jedes kleine Kind in Cornwall wusste, was die Abkürzung bedeutete und dass der RNLI für die Seenotrettung zuständig war. Die Station lag ein paar Meilen außerhalb von Port Piran an der Steilküste. Wegen der oft stürmischen See und der gefährlichen Küste musste das Rettungsboot ziemlich häufig ausrücken. Oft waren es Freizeitkapitäne auf Segelbooten oder Kajakfahrer, die die starken Strömungen unterschätzten oder von einem plötzlichen Wetterumschwung überrascht wurden und in Seenot gerieten.

»Die Rettungsstation bei Port Piran hat eine Gruppe Volunteers rekrutiert und ich leite ab morgen einen Lehrgang für die Frischlinge«, fuhr er fort. »Umgang mit Ausrüstung und Technik, Rettung aus dem Wasser, Abseilen vom Helikopter, Erste Hilfe, das volle Programm. Das werden zwei harte Wochen für alle Beteiligten, und wir werden alle sehr, sehr nass werden.« Er lachte. Ein ziemlich lautes Lachen. »Deshalb werden Sie nicht allzu viel von mir sehen. Ich fahre gleich hinüber zur Station, um die fest angestellte Crew zu treffen und gemeinsam alles vorzubereiten. Morgen früh würde ich gern um Punkt acht Uhr frühstücken. Geht das?«

»Natürlich.« Er sah eigentlich nicht fit genug aus für jemanden, der sich berufsmäßig von einem Helikopter abseilte. »Full English Breakfast?«

»Vegetarisch, bitte.« Schon wieder eine Überraschung. »Am liebsten Scrambled Eggs mit Tomaten und dazu Vollkorntoast. Und Grüntee, falls Sie welchen haben. Zur Not hätte ich welchen dabei.«

Er sah auch nicht aus wie ein Vegetarier. Eher wie jemand, der auf große Fleischbrocken stand.

»Das ist kein Problem. Sie sind nicht der erste Gast, der Grüntee trinkt. Ich hole den Zimmerschlüssel. Sie können den Koffer gern schon ins Zimmer stellen.«

»Vielen Dank. Es tut mir leid, dass ich Sie beim Headbanging unterbrochen habe.«

»Ich muss sowieso weiterarbeiten«, gab Lori knapp zurück, weil sie den Kommentar übergriffig fand. Sie nahm im Vorbeigehen den Schlüssel aus der Schublade und ging vor ihm die Treppe hinauf. »Leider hat das Zimmer keinen Meerblick«, fügte sie hinzu. Er lachte schon wieder laut heraus. Es nervte.

»Glauben Sie mir, das ist das geringste Problem. Ich habe den ganzen Tag Meerblick. Manchmal ist da sehr viel mehr Meer, als mir lieb ist. Hauptsache, es ist ruhig. Nach einem harten Lehrgangs-Tag will ich nur noch eines: ein Pint und schlafen.« Er warf einen raschen Blick in das Zimmer. »Sehr hübsch.« Er stellte seinen Koffer ab und streckte die Hand nach dem Schlüssel aus.

»Angenehmen Aufenthalt«, sagte Lori automatisch.

»Danke. Dann bis morgen früh.« Er nahm den Schlüssel, drehte sich um und polterte die Treppe hinunter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Lori sah ihm stirnrunzelnd hinterher. Warum hatte Karen Liam Bennett mit keinem Wort erwähnt?

Es kam selten vor, dass Lori Gäste hatte, die keinen Urlaub machten, da ihr B&B in Port Piran zu den hochpreisigeren Unterkünften gehörte. Monteure oder Bauarbeiter stiegen eher in billigeren Motels ab. Das bedeutete, dass Liam einen guten Posten beim RNLI haben musste. Die Seenotrettung war ein wichtiger Teil der Identität Cornwalls, sie finanzierte sich überwiegend aus Spenden und stemmte einen Großteil ihrer Arbeit mit Ehrenamtlichen. Wie sich jemand freiwillig als Volunteer zum knallharten Dienst auf einem Rettungsboot verpflichten konnte, war Lori schleierhaft. Mitten in der Nacht vom Pager geweckt zu werden und aus dem warmen Bett hinaus in die Kälte zu stürzen, um auf einem wackligen Boot hinaus auf die stürmische See zu fahren und irgendwelche Deppen zu retten, die sich aus eigener Doofheit in Gefahr gebracht hatten, war nicht unbedingt Loris Vorstellung von Freizeit. Damit nicht genug, traf sich die Crew auch noch einmal die Woche zum Training für den Notfall. Aber wenn dieser Liam zum Arbeiten gekommen war und den ganzen Tag aus dem Haus war, umso besser. Einer weniger, der die Tür zu ihrer Küche mit einem Platz zum Chillen verwechselte und sie von der Arbeit abhielt.

3. Kapitel

Margarete

Bist du eigentlich mit der Melkmaschine klargekommen? Sie zickt manchmal.«

»Das war mein geringstes Problem. Die Kühe waren das Problem. Und die Schafe. Und die Hühner. Und die Möwe, die mir mitten auf den Kopf gekackt hat, so fett, dass ich mein Haar waschen musste.« Die Kinder kicherten entzückt. »Die Tiere mögen mich nicht. Außer Bonnie. Die Maschinen dagegen, die mögen mich.«

Bonnie sprang auf, als sie ihren Namen hörte, wedelte eifrig mit dem Schwanz und lief von Chris, dem sie seit seiner Rückkehr nicht von der Seite gewichen war, zu Margarete.

»Vielleicht sollte ich es dir noch einmal zeigen. Wie man die Melkmaschine richtig anlegt, meine ich.«

»Ich sagte doch, die Melkmaschine …«

»Am besten gleich. Bevor sich Fehler einschleichen und festsetzen. Danach ist es viel schwieriger, sie sich wieder abzugewöhnen.«

»Du willst in den Stall? Jetzt? Um halb neun?« Was war denn bloß mit Chris los? Sie hatte gehofft, sie würden die völlig übermüdeten Kinder möglichst schnell ins Bett packen, es sich dann mit einem Glas Wein auf dem Sofa gemütlich machen und noch ein bisschen knutschen und kuscheln, und jetzt wollte er in den Kuhstall? Er war jetzt schon der Dritte, der an ihren Fähigkeiten als Farmerin zweifelte.

»Genau. Solange sich die Kinder umziehen, ihre Vitamintabletten einnehmen und die Zähne putzen, erkläre ich dir noch einmal schnell die Melkmaschine. Dann sind wir rechtzeitig zur Gutenachtgeschichte zurück. Das schafft ihr doch, Kinder? Und dann rufen wir noch kurz eure Mutter in Dublin an, damit sie euch Gute Nacht sagen kann.«

»Dürfen wir mit in den Stall? Bitte, bitte!«, bettelte Luke.

»Nein. Es ist zu spät. Die Reise war lang, und du bist schon beim Essen beinahe eingeschlafen. Ihr könnt morgen früh mit in den Stall und helfen. Und am Nachmittag gehen wir alle zusammen an den Strand! Übrigens bekommen wir in den nächsten Tagen ein Kälbchen.«

»Ein Kälbchen!«, strahlte Hattie. Eigentlich hieß sie Harriet, sie hatte Margarete aber sehr ernsthaft erklärt, dass sie auf keinen Fall so genannt werden wollte. Die ganze Welt nannte sie Hattie. »Dürfen wir bei der Geburt dabei sein?«

»Natürlich. Allerdings könnte das ziemlich blutig werden. Kannst du dich noch dran erinnern, Hattie?«

»Klar! Luke war zu klein. Der weiß es bestimmt nicht mehr. Die Geburt selber ist eklig und schleimig, aber wenn das Kalb erst einmal geboren ist und die Mutter leckt es ab, ist alles vergessen. Und wenn es dann zum ersten Mal aufsteht und die Beinchen noch so wackeln, das ist einfach soo süß!«

»Ich kann mich auch erinnern!«, beteuerte Luke. »Ich bin schon fünf Jahre alt! Das ist schon ziemlich groß!«

»Und als Mama mit uns weggegangen ist, warst du drei! Da warst du ziemlich klein!«

»Na und? Glaubst du, nur weil du drei Jahre älter bist, weißt du immer alles besser?«

»Schluss jetzt!«, befahl Chris. »Ab ins Bad! In einer Viertelstunde sind wir zurück und bis dahin seid ihr im Bett! Bonnie hat oben eigentlich nichts zu suchen, aber ihr dürft sie mitnehmen, ausnahmsweise.«

Die Kinder standen murrend auf und schlichen in Zeitlupe zur Treppe, Bonnie im Schlepptau. Chris wartete, bis sie nicht mehr zu sehen waren, dann sprang er auf, nahm Margarete an der Hand und zerrte sie ziemlich unfein hinter sich her.

»Was ist denn in dich gefahren!«, protestierte sie, als Chris sie aus der Haustür schubste. »Wo willst du hin? Brauchen die Kinder nicht Hilfe im Bad? Sie waren doch schon seit zwei Jahren nicht mehr hier!«

»Bist du so schwer von Begriff?«, raunte Chris. »Ich habe dich zwei endlos lange Tage nicht gesehen. Wir waren noch nie so lange voneinander getrennt. Ich habe Nachholbedarf! Die Kinder schaffen das schon. Hattie ist acht, sie kann sich noch gut an alles erinnern.«

»Wie bitte? Du willst jetzt im Stall … in fünfzehn Minuten?«

»Im Haus können wir nicht. Du bist einfach zu laut.« Er drängte sie an die Stallwand und küsste sie so heftig, dass sie keine Luft mehr bekam. Es war einfach herrlich nach den zwei Tagen, in denen sie sich vorgekommen war wie eine Hochspannungsleitung.

»Ich bin zu laut?«, protestierte sie keuchend.

»Shockingly loud. Das muss an deinem südlichen Temperament liegen. Ihr seid ja nicht so weit weg von Italien.«

»Du meinst, Engländerinnen …«

»Viiiel diskreter. Geben fast keinen Laut von sich, und falls doch, entschuldigen sie sich hinterher dafür. Da hätten wir im Schlafzimmer direkt neben den Kindern …«

»Und jetzt willst du stattdessen im Stroh …?«

»Wir haben kein Stroh.«

»Heu?« Er zog sie wieder ungeduldig hinter sich her.

»Ist noch nicht trocken und pikst. Ich habe eine viel bessere Idee.«

Sie waren jetzt im Kuhstall. »Du willst mir also doch erst noch die Melkmaschine demonstrieren? Dann wird es reichlich knapp mit fünfzehn Minuten. Oder willst du mit der Melkmaschine irgendwelche Sauereien …«

»Kühe. Kühe sind total erregend.«

»Das ist mir jetzt zwar neu, aber wie du meinst. Ich hoffe, du hast keine perversen …«

Die angeketteten Kühe bewegten sich unruhig angesichts der späten Eindringlinge. Chris zog Margarete weiter durch den Stall hinter sich her, bis sie bei den letzten beiden Kühen angekommen waren. Er gab beiden einen kräftigen Klaps auf den Hintern, sodass sie sichtlich widerwillig auseinanderrückten. In diese Lücke hinein zog Chris Margarete und drehte sie so, dass sie mit dem Rücken zu ihm am warmen Leib der Kuh lehnte. Margarete fühlte, wie sich der Bauch der Kuh mit jedem Atemzug ausdehnte und wieder zusammenzog, während sich Chris hinter ihr in Position brachte. Auf Du und Du mit der Kuh. Leider ließ sich das schlecht übersetzen. Ein albernes Glucksen kam in ihr hoch.

»Ist das die Kuhstellung? Aus dem Bestseller ›Sex für Farmer‹?«

»Ich hatte eine Vision. Beim Abendessen. Von Kühen und Sex und dir.«

»In dieser Kombination? Muss an meinen schrecklichen Spaghetti bolognese gelegen haben.«

»Es war eine Vision. Kein Albtraum. Hose runter. Arme über die Kuh.«

»Seit wann bist du so ein Macho?«

Er presste sich an sie. »Wir nehmen die Kühe als Schutzschild. Wenn die Kinder wider Erwarten doch auftauchen, sehen sie nur zwei Köpfe zwischen den Kühen und nicht das, was sich drunter abspielt«, flüsterte er heiser, während seine Hände an ihrem Hosenknopf herumfummelten und ihr schließlich die Jeans herunterzogen. Die Jeans rutschte zu den Knien, der Slip hinterher. Chris nestelte an seiner Bermuda. »Keine Zeit für Vorgeplänkel«, keuchte er. »Irgendwelche Einwände?«

»Brauchst du es schriftlich?« Margarete ergab sich in ihr grausames Schicksal und warf die Arme über den Rücken der Kuh. Chris legte beide Hände auf ihre Hüften und drang von hinten in sie ein, hart und schnell, und Margarete konnte einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken. Er hielt inne, unendlich lange, bis sie es beinahe nicht mehr ertrug, dann begann er, sich in ihr zu bewegen, langsam und unendlich sexy, während sie sich an der Kuh festkrallte. Er hatte sein Gesicht in ihrem Haar vergraben und sie lauschte seinem erregten Keuchen, ihrem eigenen lustvollen Stöhnen und der laut rasselnden Kette. Seit ich mit Chris zusammen bin, habe ich den besten Sex der Welt, dachte Margarete entzückt. Moment mal. Kette? Welche Kette? Chris erstarrte plötzlich mitten in der Bewegung. Dann schrie er auf. Hinter Margaretes Rücken gab es irgendeine Auseinandersetzung. Chris löste sich abrupt von ihr und fluchte. Die Kuh rasselte mit ihrer Kette, stampfte auf und muhte empört.

»Lass das!«, rief Chris, gleichfalls empört.

»Na, das ging aber schnell.«

»Nein! Die Kuh!«, stöhnte er. »Es ist einfach unfassbar!«

»Was ist mit der Kuh?« Die Jeans zwischen ihren Knien schränkte ihre Bewegungsfähigkeit gewaltig ein und sie konnte nur den Kopf drehen. Chris und die Kuh lieferten sich hinter ihr einen seltsamen Zweikampf. Die Kuh versuchte offensichtlich hartnäckig, Chris auf die Zehen zu treten, während dieser ihren Kopf wegschubste. So ging es hin und her.

»Was macht ihr da? Ist aus der Kuhnummer eine Zirkusnummer geworden? Ich dachte, wir haben gerade Sex?«

»Es … es ist unaussprechlich. Zumindest für einen Engländer!«

»Versuch’s einfach.«

Chris räusperte sich dreimal ausführlich. »Sie … sie muss mein Hinterteil mit einem Salzleckstein verwechselt haben.«

»Wie bitte?« Aus Margaretes Glucksen wurde jetzt haltloses Kichern. »Die Kuh. Sie … hat deinen Hintern abgeschleckt? Weil ebendieser Hintern so strahlend weiß ist wie ein Salzleckstein?«

»Ich sehe meinen Hintern eher selten, aber ich denke, das trifft es ziemlich genau.«

»Es tut mir leid, dass ich lache, wirklich. Aber die Vorstellung, dass die Kuh mit ihrer rauen Zunge deinen Hintern … während wir eigentlich versuchen, Sex …« Margarete brachte den Satz nicht zu Ende. Sie lag halb über der Kuh, krallte sich in das Fell und bog sich vor Lachen.

»Pfui. Du verletzt meinen männlichen Stolz.«

»Sorry.«

»Wenn das noch was werden soll, müssen wir die Position wechseln.«

»An der Position war eigentlich nichts auszusetzen.«

»Etwas weiter nach rechts! So, dass die Kuh nicht an mich rankommt!«

»Daddy! Daddy, wo seid ihr? Wir haben die Zähne geputzt, aber wir sind gar nicht müde. Du bist uns doch nicht böse, Daddy? Wo seid ihr?«

»Fuck«, fluchte Chris und erstarrte zum zweiten Mal.

»Kein Fuck«, widersprach Margarete und hielt die Luft an.

»Daddy! Maggie! Wo seid ihr?« Die Stimmen klangen jetzt ein wenig kläglich im halbdunklen Stall.

»Wir sind hier!«, rief Margarete und wedelte mit ihren Armen, die noch immer über der Kuh hingen. »Hosen hoch! Und zwar flott!«, raunte sie.

Sie schafften es gerade noch, im Schutz der Kühe Jeans und Bermuda anzuziehen und die Reißverschlüsse der Hosen zu schließen, bevor die Kinder angetrabt kamen.

»Du bist uns nicht böse, Daddy, oder? Luke hat sich ein bisschen gefürchtet, so allein im Haus.« Hattie stand mit gesenktem Kopf vor ihnen, Luke an der Hand.

»Nein, natürlich nicht!«, rief Chris. »Komm her, Luke. Du bist ja schon im Schlafanzug!« Luke sprang glücklich in seine Arme.

»Hat es geklappt mit dem Melken? Wo ist denn die Melkmaschine?«, fragte Hattie weiter.

»Wir … wir waren gerade fertig«, behauptete Chris.

»Nicht ganz«, murmelte Margarete.

 

Eine gute Stunde später brachten sie endlich das zu Ende, was sie im Stall angefangen hatten, ganz bequem auf dem Sofa und ohne tierische Ablenkung. Margarete hatte sich sehr angestrengt, nicht so laut zu sein wie sonst, und hatte verräterische Geräusche im entscheidenden Moment mit einem Sofakissen gedämpft. Die Kinder lagen hoffentlich im Tiefschlaf, von Bonnie bewacht. Hattie hatte im Stall vertrauensvoll ihre Hand in Margaretes gelegt, worüber sie sich riesig gefreut hatte. So waren sie zurück zum Haus gegangen. Fast wie eine richtige Familie, hatte Margarete wehmütig gedacht, aber als Chris sie gefragt hatte, ob sie ihm helfen wolle, die Kinder ins Bett zu bringen, hatte sie den Kopf geschüttelt. Es war schließlich seit zwei Jahren das erste Mal, dass die Kinder ohne ihre Mutter waren, das war Umstellung und Herausforderung genug. Sollten sich die drei erst einmal wieder aneinander gewöhnen, Margarete würde da nur stören. Außerdem wollte sie Chris diesen kostbaren Augenblick, auf den er so lange hatte warten müssen, nicht nehmen.

Während sich Chris um Luke und Hattie kümmerte, räumte sie die Küche auf, entkorkte einen spanischen Rotwein und zündete die Kerzen an. Weder die Kinder noch Chris hatten besonders viel von Margaretes Spaghetti bolognese gegessen, dabei hatten sie vorher beteuert, von der langen Reise schrecklichen Hunger zu haben. Als Margarete überlegt hatte, was es zur Feier des Tages zum Abendessen geben sollte, war ihr eine schreckliche Erkenntnis gekommen: Sie konnte nicht kochen.

Bevor sie Chris kennengelernt hatte, war sie jahrelang Single gewesen, die kurze Zeit mit Roland einmal ausgenommen. Sie hatte nicht aufs Geld schauen müssen und in Stuttgart mittags überwiegend in Firmenkantinen, Cafés oder Restaurants gegessen, oder sie hatte sich etwas bei einem Take-away geholt. Abends hatte sie sich mit einem kalten Vesper begnügt. In den paar Wochen, in denen sie Lori in ihrem B&B vertreten hatte, hatte sie ausschließlich Frühstück gemacht. Lori hatte ihr nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus Eier in allen Varianten beigebracht, und natürlich Scones. Margarete konnte Spiegeleier und Rühreier, pochierte Eier und Eggs Benedict, Eier mit Lachs, Schnittlauch oder Champignons, gekochte Eier und Omelett, kurz: Sie war Eier-Profi. Das war es dann aber auch.

Sie hatte kurz überlegt, ein Omelett mit Schinken und Pilzen zu machen, aber sie war sich nicht sicher, ob die Kinder Eier mochten. Bestimmt mochten sie Pfannkuchen, aber ausgerechnet das hatte Lori ihr nicht beigebracht. Dann war ihr eingefallen, dass alle Kinder Spaghetti bolognese liebten, und sie hatte sich dafür entschieden. Leider war das Hackfleisch angebrannt, weil Chris im falschen Moment angerufen hatte, und die Spaghetti waren zusammengeklebt, und Luke mochte keine Zwiebeln, und sie hatte zu scharf gewürzt, und als die Kinder nach Parmesan gefragt hatten, hatte sie zerknirscht zugeben müssen, dass sie den vergessen hatte. Das war alles nicht besonders ermutigend angesichts der Tatsache, dass Margarete ernsthaft überlegte, einen Farmshop aufzumachen.

Außerdem hatte sie noch einen weiteren schrecklichen Fauxpas begangen: Als Luke mit leuchtenden Augen fragte, was es zum Nachtisch gebe, hatte sie gestehen müssen, dass sie keinen eingeplant hatte. Chris und sie aßen nie Nachtisch, Chris, weil er nicht so scharf drauf war, und Margarete, weil sie auch ohne Nachtisch ständig mit ihrem Gewicht kämpfte. Sie hatte es schlichtweg vergessen. Luke hatte sie so jämmerlich angesehen, als sei gerade seine komplette heile Kinderwelt zu Bruch gegangen. Chris hatte ihm daraufhin ganz schnell ein großes Eis für den nächsten Tag versprochen.

Nun also waren die Kinder im Bett, sie hatten fabelhaften Wiedersehens-Sex gehabt und kuschelten nackt unter einer Decke auf dem Sofa. Zum ersten Mal seit Chris’ Abreise fühlte sich Margarete entspannt, auch wenn all ihre Knochen schmerzten. Die letzten beiden Tage hatte sie körperlich so hart gearbeitet wie noch nie in ihrem Leben. Nach dem Schafdesaster hatte sie ständig Angst vor weiteren Katastrophen gehabt, die irgendetwas mit Kühen oder Schafen oder Hühnern zu tun haben könnten, und sie wollte doch Chris nicht enttäuschen! Dazu kam die Angst, die Kinder könnten sie nicht mögen, aber danach sah es eigentlich nicht aus, trotz der verunglückten Bolognese.

»Hast du die beiden gut ins Bett gekriegt?« Sie zog die Hand unter der Decke hervor und griff nach ihrem Rotweinglas. Sogar diese Bewegung tat weh.