Ein neuer Vertrag (Perimeterverteidigung Buch 3) LitRPG-Serie - Michael Atamanov - E-Book

Ein neuer Vertrag (Perimeterverteidigung Buch 3) LitRPG-Serie E-Book

Michael Atamanov

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Beschreibung

Der Feind kommt immer näher, ein Sternsystem nach dem anderen fällt ihm zum Opfer. Mit jeder Sekunde wird die Lage dramatischer. Unatari - das Sternsystem von Kronprinz Georg - wird von den Aliens bedroht. Höchste Zeit, dass Ruslan zurückkommt, um alles, was ihm am Herzen liegt, vor der drohenden Vernichtung zu bewahren und Perimeterverteidigung zu retten - das Spiel, das sein Lebensinhalt geworden ist. Mit roher Gewalt lässt sich der Feind nicht aufhalten, deshalb bittet Ruslan seine Verbündeten um Hilfe: Raumschiffe des Schwarms sollen die Ursprungsplaneten der Aliens angreifen, damit diese umkehren, um ihre Heimat zu schützen. Doch die Schwarmkönigin ist von diesem Plan nicht überzeugt: Das intelligente Insekt zweifelt daran, dass Ruslan gewinnen kann. Das lässt unserem Helden nur eine Wahl: Er muss unter Beweis stellen, dass er eine vereinte Flotte aus sämtlichen Rassen der Galaxie kommandieren kann, und die Armada der Aliens in der entscheidenden Schlacht besiegen.

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Inhaltsverzeichnis

Offene Worte

Umzingelte Hauptstadt

Die Flotte von Sektor Acht

Neue Pläne

Versammlung der Verschwörer

Brennpunkt

Erste Verbündete

Hoffnungsschimmer

Nützliche Kontakte

Schwarmprinzessin

Rituelles Duell

Mechanoiden

Gegenangriff

Namenloses System

Robens Ende

Prozess vor dem Imperator

Über den Autor

Ein neuer Vertrag

Roman

von Michael Atamanov

Perimeterverteidigung

Buch 3

Magic Dome Books

Ein neuer Vertrag: Perimeterverteidigung, Buch 3

Originaltitel: New Contact: Perimeter Defense, Book 3

Copyright ©M. Atamanov, 2016

Covergestaltung ©V. Manyukhin, 2016

Deutsche Übersetzung © Annika Tschöpe 2021

Lektor: Lilian R. Franke

Erschienen 2021 bei Magic Dome Books

Alle Rechte vorbehalten

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Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

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Offene Worte

ICH BEFAND MICH GERADE zur regelmäßigen Entzugsbehandlung in der Klinik in der Nähe meiner Wohnung, als auf meinem Handy eine unbekannte Nummer auftauchte. Bei meiner Rückkehr aus Perimeterverteidigung war meine Drogen- und Alkoholabhängigkeit nicht zu verbergen gewesen, und selbst jetzt, drei Monate später, bekam ich in der Klinik nach wie vor dreimal wöchentlich Glukose und Vitamine, die Leber und Blut reinigen und andere schädlichen Nebenwirkungen lindern sollten. Ich konnte nicht in Worte fassen, wie sehr ich Mr. G. I. innerlich verfluchte, wenn ich mit der Nadel im Arm dasaß und die lästige Prozedur über mich ergehen ließ. In den sechs kurzen Monaten, die er in meinem Körper verbracht hatte, war ich ein regelrechtes Wrack geworden. Mr. G. I. musste so viel getrunken haben, dass ich mich fragte, wie er sich überhaupt auf den Beinen halten konnte.

„Ja?“, fragte ich, nachdem ich den Anruf mit der freien Hand angenommen hatte.

„Ruslan, ich möchte dir ein ernsthaftes Angebot machen.“

Obwohl ich sie so lange nicht gehört hatte, hätte ich diese Stimme auf Anhieb unter Millionen anderen erkannt. Miya! Seit Wochen bereitete ich mich innerlich auf ein Gespräch mit meinem ehemaligen Auftraggeber vor und hatte sogar versucht, ihm absichtlich über den Weg zu laufen, um diesem Mistkerl endlich ins Gesicht zu sagen, was ich von ihm hielt. Auf eine Unterhaltung mit seiner engen Vertrauten war ich jedoch nicht eingestellt und deshalb ein wenig überrumpelt. Da mir keine smarte Erwiderung einfiel, schaltete ich das Telefon kurzerhand aus.

In meinem Kopf rasten die Gedanken. Wieso meldete sich Miya und nicht Mr. G. I.? Hatte er solche Angst vor einer Begegnung mit mir, dass er seine Freundin vorschickte? Es war so lange her … Vermutlich brauchten sie mich jetzt doch.

„Du hast recht“, ertönte die Stimme der Wahrheitssucherin in meinem Kopf. „Mr. G. I. erwartet dich in 40 Minuten dort, wo ihr euch beim letzten Mal getroffen habt.“

Was sollte ich davon halten? Einerseits wollte ich mich liebend gern wieder in die Fantasiewelt von Perimeterverteidigung stürzen. So seltsam es klingen mochte, dort hatte ich zum ersten Mal im Leben das Gefühl gehabt, meine Berufung gefunden zu haben und wirklich an etwas zu glauben. Dort hatte ich erstmals die berauschende Wirkung von Ruhm und Anerkennung erlebt. Ich hatte Geschichte geschrieben. Die mächtigen Raumschiffe meiner Flotte hatten Sterne ausgelöscht und alle, die uns in die Quere kamen, vor Furcht erzittern lassen. Ich hätte stellvertretender Herrscher über Milliarden von Insekten werden können, oder sogar das Oberhaupt von Haus Orange. Alles hatte mir offen gestanden. Doch vor allen Dingen hatte ich in Perimeterverteidigung gespürt, dass die Menschheit mich brauchte. Ich galt dort als Retter der gesamten Rasse …

Andererseits würde eine Rückkehr ins Spiel mindestens genauso viele Nachteile mit sich bringen. Für mein letztes Abenteuer hatte ich teuer bezahlt. Mein Honorar hatte kaum ausgereicht, um die zahlreichen Gebühren und Strafen zu begleichen, die Mr. G. I. mir hinterlassen hatte. Meine Freunde hatten sich von mir abgewandt, ich hatte mich mit der Verwandtschaft zerstritten und die Frau, mit der ich mich hin und wieder getroffen hatte, hielt mich nun für einen hoffnungslosen Junkie. Und leider war dieser Vorwurf nicht ganz unbegründet. Während meiner Zeit im Spiel hatte mein Körper durch den maßlosen Konsum von harten Drogen und Alkohol sehr gelitten. Mir war, als wäre ich in diesen sechs Monaten um zehn Jahre gealtert. Die Rückkehr aus der magischen Traumwelt von Perimeterverteidigung in die Realität war somit eine äußerst bittere Erfahrung gewesen.

„Was sollte mich dazu bewegen, mich erneut auf Perimeterverteidigung einzulassen − nach allem, was mir beim letzten Mal angetan wurde? Vermutlich würde das meinem Körper den Rest geben!“

Meine unsichtbare Gesprächspartnerin schwieg kurz, bevor sie mir antwortete.

„Die Flotte der Königin der Aliens hat mit 3.000 Schiffen Hnelle erobert. Deine Hauptstadt Unatari wurde vom Imperium abgeschnitten und macht sich auf eine aussichtslose Schlacht gefasst. Ohne dich gibt es keinerlei Hoffnung auf einen Sieg. Alles, was du dir mit so viel Mühe aufgebaut hast, könnte auf einen Streich vernichtet werden, und alle, die dir nahestehen, werden sterben.“

Ich hatte nicht daran geglaubt, dass sie mich überreden könnte, doch ich hatte mich geirrt. Miya erwähnte genau das, was mir in letzter Zeit so sehr gefehlt hatte. Man brauchte mich. Man traute mir zu, andere zu retten, und sehnte sich nach meiner Rückkehr. Ich spürte, wie sich nach vielen langen Wochen der Apathie Tatendrang in mir regte.

„Diesmal lege ich die Vertragsbedingungen fest!“, erklärte ich entschieden.

„Einverstanden“, erwiderte Miya sofort, ohne sich erst bei ihrem Herrn zu vergewissern.

„In Ordnung, ich bin in zehn Minuten da“, sagte ich, zog mir die Nadel aus der Vene und stürmte zum Ausgang.

* * *

„Hallo, Ruslan. Wo willst du denn hin?“ Der mürrische Türsteher, der den Eingang zum Restaurant bewachte, hielt mich an der Schulter fest.

Mit Mühe schluckte ich eine nicht druckreife Bemerkung hinunter. Immer wieder das Gleiche. Auch hier bekam ich die Konsequenzen von Perimeterverteidigung zu spüren. Ich hätte schwören können, dass ich diesem Mann noch nie begegnet war, während er mich ganz offensichtlich kannte und für einen Ganoven hielt. Dass mein Ruf durch Mr. G. I. so gelitten hatte, fand ich fast noch schlimmer als die körperlichen Folgen des Drogenkonsums. Die Sucht hatte meinem Körper zwar schwer zugesetzt, doch davon konnte ich mich immerhin wieder erholen, während mein Ansehen dauerhaft ruiniert war.

Frauen, die ich noch nie im Leben gesehen hatte, warfen mir vielsagende Blicke zu und lächelten mich an wie einen guten Bekannten. Mehrmals hatten mir vollkommen Fremde mich auf offener Straße unvermittelt ins Gesicht geschlagen, sobald sie mich erkannt hatten. Manchmal weigerten sich Kassiererinnen in Supermärkten, meine Einkäufe zu scannen. Stattdessen ließen sie mich vom Sicherheitsdienst vor die Tür setzen. Noch dazu bekam ich nachts häufig ungebetenen Besuch. Mir stand das alles bis zum Hals!

Vor allem in den ersten Wochen nach meiner Rückkehr aus Perimeterverteidigung hatte ich nie gewusst, wer mich erwartete, wenn es an der Tür schellte. Es konnte ein Eskortmädchen sein, das sich in meiner Wohnung erstaunlich gut auskannte und mir versicherte, bis Jahresende wäre alles bezahlt. Genauso gut aber auch finstere Verbrechertypen, die Baseballschläger oder Schlagringe schwangen und die Bezahlung von Schulden verlangten, zu denen horrende Zinsen angefallen waren.

Ich hatte mir fest vorgenommen, meinem ehemaligen Auftraggeber ausführlich zu schildern, was ich seinetwegen erdulden musste, und eine üppige Entschädigung dafür zu verlangen, dass meine Gesundheit und mein guter Ruf so gelitten hatten. Außerdem würde ich ihm nur dann helfen, wenn der neue Vertrag ausdrücklich ausschloss, dass sich derartige Vorfälle wiederholten. Um überhaupt mit Mr. G. I. reden zu können, musste ich jedoch erst einmal in das Restaurant gelangen.

„Ich bin hier mit jemandem verabredet. Er hat einen Tisch bestellt“, erklärte ich dem wachsamen Türsteher ruhig.

Er ließ meinen Arm los, rief einen Kellner herbei und flüsterte ihm etwas zu, während er auf mich deutete.

„Auf welchen Namen ist der Tisch reserviert?“, erkundigte sich der Restaurantmitarbeiter, schlug ein Notizbuch auf und sah die dort verzeichnete Gästeliste durch.

„Georgiy Innokentievich ... uhh ... Mesfelle“, riet ich, doch das war leider nicht die richtige Antwort. Unter diesem Namen gab es für den heutigen Tag keine Reservierung.

„Hab‘ ich’s mir doch gedacht, nichts wie raus mit ihm!“, rief der missmutige Türsteher, doch ich unternahm noch einen Versuch.

„Schauen Sie bitte nach Miya Mesfelle. Vielleicht ist der Tisch auf ihren Namen bestellt.“

Seine enttäuschte Miene verriet mir, dass ich diesmal richtig gelegen hatte.

„Aber keine Fisimatenten, Ruslan. Dein letzter Besuch hat dich eine Stange Geld für die zerstörten Möbel und anderen Schäden gekostet. Noch einmal kommst du nicht so leicht davon!“, drohte der Türsteher, bevor er mich endlich hineinließ.

Als ich das letzte Mal hier gewesen war, in aller Frühe an einem Wintermorgen, war das Lokal leer gewesen. Diesmal war es gut besucht, dennoch entdeckte ich Miya sofort in der Menge. Die elegante junge Frau mit den langen roten Haaren zog mit ihrem knielangen Kleid in leuchtendem Orange den Blick auf sich wie eine Flamme in dunkler Nacht. Sie saß allein an einem Tisch mitten in dem großen Raum, vor sich eine Art Fruchtpüree und ein Glas Orangensaft.

„Setz dich, Ruslan“, sagte die Wahrheitssucherin anstelle einer Begrüßung und deutete auf einen freien Stuhl. „Du bist früh dran. Mr. G. I. ist noch nicht hier, du wirst auf ihn warten müssen. Bestell dir, was du möchtest.“

Ein Kellner erschien, reichte mir die Speisekarte und nahm dann meine Bestellung auf. Dabei wirkte er so ängstlich, als fürchtete er, ich könnte ihn beißen.

„Du scheinst hier einen fragwürdigen Ruf zu genießen, Ruslan“, bemerkte Miya, der das seltsame Verhalten des Kellners ebenfalls aufgefallen war.

„Woran könnte das wohl liegen?“ Ich konnte nicht an mich halten. „Vor meinen sechs Monaten in Perimeterverteidigung hätten mich nicht einmal meine Nachbarn erkannt. Jetzt dagegen droht man mir ständig Prügel an!“

„Dann hättest du deine Rückkehr vielleicht etwas zurückhaltender feiern sollen“, erwiderte die rothaarige Hexe ebenso spöttisch.

Vor Empörung bliebt mir fast die Luft weg. Sollte das etwa heißen, ich wäre selbst an allem schuld? Der Vorwurf kam so unerwartet und war so dreist, dass mir der Kragen platzte. Miya nahm meinen Wutausbruch lächelnd hin.

„Ruslan, wir sollten für dieses Gespräch bestimmte Eckdaten festlegen, damit es keine Missverständnisse gibt. Dein Privatleben außerhalb von Perimeterverteidigung interessiert weder mich noch Mr. G. I. Was du gemacht hast oder nicht oder wieso bestimmte Nachbarn dich nicht mehr leiden können, geht uns nichts an und hat nicht das Geringste mit diesen Verhandlungen zu tun …“

An dieser Stelle unterbrach die Wahrheitssucherin ihren Vortrag, da ein Kellner an unseren Tisch kam und Miya eine Flasche Champagner vorsetzte, die sie nicht bestellt hatte.

„Ein Geschenk von den mutigen jungen Burschen dort drüben“, erklärte der Kellner und wies auf eine Gruppe Männer aus dem Kaukasus, die gemeinsam beim Essen saßen. Einer von ihnen lächelte Miya an und warf ihr eine Kusshand zu.

Ich bemerkte, wie sie rasch den Blick durch den Raum schweifen ließ und an einer Gruppe Studentinnen am Nachbartisch hängenblieb. Miya machte eine lässige Geste, und der Blick des Kellners wurde glasig. Er nahm die Flasche, stellte sie vor den Mädchen auf den Tisch und erzählte ihnen die gleiche Geschichte von den dreisten Draufgängern. Das Grüppchen kicherte fröhlich und freute sich sichtlich über das Geschenk.

„Nicht der beste Ort für Verhandlungen“, sagte Miya verärgert. „Aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Uns bleibt nicht viel Zeit. Also, Ruslan, ich wiederhole noch einmal: Es geht jetzt nur um die Bedingungen des nächsten Vertrags, alle Beschwerden und Unstimmigkeiten kannst du mit Mr. G. I. persönlich klären, sobald er gekommen ist.“

„Was erwartet mich diesmal? Soll ich quer durch den Fluss schwimmen, um mir eine Rettungsweste zu sichern?“ Ich lachte gequält. „Nein, Miya, so läuft das nicht. Seit meinem letzten Einsatz habe ich riesige Probleme, und bevor ich mich auf neue Abenteuer einlasse, muss ich das mit Mr. G. I. ausdiskutieren.“

Miya leerte ihr Saftglas, stellte es zur Seite und sah mir fest in die Augen.

„Ruslan, merkwürdigerweise scheinst du zu glauben, dass dein Auftraggeber dir zu Dank verpflichtet ist. Da liegst du falsch. Ihr hattet eine rein geschäftliche Abmachung. Du hast deinen Auftrag ausgeführt und wurdest dafür bezahlt. Alles, was danach passiert ist, ist nicht unser Problem. Etwaige Schwierigkeiten mit deinem ersten Vertrag sind jetzt nicht das Thema. Und falls du meinst, du hättest so beeindruckende Erfolge vorzuweisen, dass dein Auftraggeber dir dringend seine immense Dankbarkeit versichern will, muss ich dich leider schon wieder enttäuschen. Mr. G. I. war über deinen Einsatz in Perimeterverteidigung alles andere als glücklich und hatte nicht vor, noch einmal mit dir zusammenzuarbeiten. Er hat diesem Treffen nur zugestimmt, um mir angesichts der aktuellen Umstände einen persönlichen Gefallen zu tun. Deine angeblich so tollen Errungenschaften und Erfolge haben damit nichts zu tun. Rein gar nichts.“

„Soll das etwa heißen, ich hätte nichts Besonderes geleistet?“ Ich traute meinen Ohren nicht. „Ich habe die Flotte von Sektor Acht weiter ausgebaut, als sich irgendjemand vorstellen konnte, weder Mr. G. I. noch du selbst, nicht einmal das Oberhaupt von Haus Orange oder der Imperator persönlich. Anfangs hatte ich nur 16 leichte Schiffe mit einer resignierten Besatzung, die noch dazu von Spionen der Großen Häuser unterwandert war. Bei Vertragsende konnte ich die größte Flotte des Imperiums mit insgesamt 500 Schiffen vorweisen, darunter sechs Schlachtschiffe, 20 schwere Kreuzer und ein furchteinflößendes Mutterschiff! Ganz zu schweigen von der Ausbildung, die die Veteranen meines Feldzugs im Gebiet der Aliens genossen haben. In Sachen Kompetenz, Effektivität und Loyalität waren sie mit dem unorganisierten Haufen, den ich übernommen hatte, nicht mehr zu vergleichen.“

„Ruslan, wir wollen doch bei der Wahrheit bleiben.“ Miya verzog ärgerlich das Gesicht und winkte dann den Kellner herbei. Nachdem sie sich noch einen Saft bestellt hatte, sprach sie weiter.

„Jetzt will ich dir verraten, wie sich die Lage für mich und Mr. G. I. darstellt. Bei Ablauf des Vertrags bestand die Hälfte deiner Flotte aus Schiffen der Iseyeks, die allesamt auf das Gebiet des Schwarms zurückgekehrt sind. Also erzähl mir nichts von 500 Schiffen. Du hast Mr. G. I. bestenfalls 200 übergeben, davon nicht sechs, sondern fünf Schlachtschiffe und nur 15 schwere Angriffskreuzer. Darüber hinaus waren alle anderen schweren Schiffe ‚idiotisch ausgerüstet‘, wie unser neuer Admiral sich ausdrückte, sodass wir Unsummen des Geldes, das du uns überlassen hast, für den Umbau aufwenden mussten. Dein schlimmster Fehler war allerdings, dass du die Königin der Sünde verkauft hast, ohne deinen Boss auch nur zu fragen. Der Kronprinz musste seine Luxusjacht von Roben zurückkaufen und dafür vier Schlachtschiffe sowie mehrere Kreuzer opfern. Das sind die Fakten, also erzähl mir keine Märchen. Im Augenblick gibt es in der Flotte nur noch ein einziges Schlachtschiff, die Kronprinzessin Likanna, und fünf schwere Angriffskreuzer. Der Rest ist nicht mehr da und hat dir sowieso nie gehört.“

Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. Braut des Chaos, Prinzessin Astra, Herrscher von Tesse und Indigo-Schönheit, die gerade erst zur Flotte gestoßen waren, nachdem ich in Sektor Neun eine Stange Geld für die komplette Renovierung und Modernisierung ausgegeben hatte, waren verloren. Diese Schwachköpfe hatten vier nagelneue Schlachtschiffe und zehn Angriffskreuzer für eine magere Jacht geopfert!

Miya jedoch schenkte meiner Fassungslosigkeit keine Beachtung, sondern berichtete weiter.

„Niemand bestreitet, dass die Flotte in den sechs Monaten, die du im Spiel verbracht hast, wirklich stärker geworden ist. Wir haben immerhin ein Schlachtschiff und mehrere schwere Kreuzer dazugewonnen. Allerdings sind Mr. G. I. und ich überzeugt davon, dass dies auch ohne dich möglich gewesen wäre. Schließlich hast du das Geld für die Schiffe vom Imperator und vom Oberhaupt von Haus Orange bekommen. Wenn der eigentliche Account-Inhaber gespielt hätte, hätte er den kostspieligen Disput mit Herzog Paolo vermutlich vermeiden können. In diesem Fall wäre die Flotte noch viel größer und stärker als jetzt.“

Miyas Worte klangen seltsam plausibel. Vermutlich versuchte sie, mich mit Hypnose zu manipulieren. Einige Sekunden lang glaubte ich beinahe selbst, ich wäre ein unfähiger Trottel, der alles vermasselt hatte. Wenn ich nicht so fest vom Gegenteil überzeugt gewesen wäre, hätte die Wahrheitssucherin ihr Ziel vielleicht sogar erreicht. Ich schüttelte heftig den Kopf, um die trügerischen Gedanken zu vertreiben.

„Wenn Mr. G. I. die Jacht für wichtiger gehalten hat als vier umfassend modernisierte, luxuriös ausgestattete Schlachtschiffe, dann wäre die Flotte unter seiner Leitung wohl kaum stärker geworden. Dein Begleiter hätte das Geld verjubelt, wie er es seit jeher getan hat. Diese vier Schlachtschiffe und zehn schweren Kreuzer waren zusammen mindestens 2 Millionen Guthabenpunkte wert, ganz zu schweigen von der bestens ausgebildeten Besatzung. Und dieses Vermögen hat er für eine Jacht eingetauscht, die bei großzügiger Schätzung höchstens 3 Millionen wert ist?“

„Darüber steht dir kein Urteil zu, Ruslan! Es geht hier ums Prinzip. Die Königin der Sünde war ein Geschenk von Kronprinz Georg an mich. Oder genauer gesagt an uns beide. Sie war unser fliegender Palast. Wir haben gut 15 Jahre gemeinsam darauf gelebt. In all diesen Jahren hat Georg zahlreiche Dekorationsstücke für unser Zuhause zusammengetragen, die verschiedensten Raritäten und Meisterwerke. Das war sein liebstes Hobby. Er hat in die Königin der Sünde so viel Zeit, Mühe und Millionen von Guthabenpunkten investiert, dass kein Kampfschiff auch nur annähernd ihren Wert erreichen kann, ganz zu schweigen von den Annehmlichkeiten. Allein die Skulpturen des großen Veron ton Gep auf der Jacht sind mindestens 700 Millionen Guthabenpunkte wert! Darüber hinaus befindet sich dort auch meine fast vollständige Sammlung durchnummerierter Smaragde von Sivalla, die im großen Krieg gegen den Schwarm erobert wurden. Die sind schlicht unbezahlbar. Und du hast den ganzen Luxus für eine lausige Milliarde an Roben verkauft! Der Bruder hat dich um den Finger gewickelt, und du hast es nicht einmal bemerkt.“

Mein Essen kam, deshalb musste Miya wieder eine Pause einlegen. Die rothaarige Schönheit warf einen Blick auf meinen Teller.

„Was ist das denn, Ruslan?“, fragte sie erstaunt. „Bist du etwa auf Diät? Salat und Mineralwasser. Dabei hättest du Fleisch und Beilagen, gegrillten Fisch und natürlich auch Alkohol bestellen können. Beim letzten Mal hast du dich nicht so zurückgehalten.“

„Beim letzten Mal hatte ich einen jungen, gesunden Körper, Aber nach den leeren Wodkaflaschen in meinem Zimmer zu urteilen hat Mr. G. I. ihm in sechs Monaten keine trockene Sekunde gegönnt. Meine Leber macht Probleme, mein Blutdruck spielt verrückt und meine Venen sind völlig zerstochen. Dreimal pro Woche muss ich in eine Entzugsklinik. Das ist der Preis für meinen ersten Vertrag mit euch. Und deshalb halte ich mich jetzt an Mineralwasser und verzichte auf Stärkeres.“

Miya schloss kurz die Augen und schüttelte dann ein wenig erschöpft den Kopf.

„Ruslan, ich dachte, wir hätten uns auf bestimmte Regeln für diese Unterredung geeignet. Ich möchte noch einmal klarstellen, dass dein Leben außerhalb von Perimeterverteidigung Mr. G. I. nicht im Geringsten interessiert. Während deines Einsatzes lag dein Körper in einer Virtual-Reality-Kapsel und wurde dort bestens versorgt. Deine Geschichten über Alkoholmissbrauch und kaputte Venen sind reine Hirngespinste, genau wie der Vorwurf, jemand anderes sei schuld an deinem Streit mit den Nachbarn. Du kannst nichts beweisen, deine Behauptungen sind allesamt haltlos.“

Ich suchte in meinen Taschen und kramte etwas hervor, das ich von zu Hause mitgebracht hatte. Eine durchsichtige Dose, in der ein glänzendes Kügelchen lag. Ich stellte die Dose vor Miya auf den Tisch. Die Wahrheitssucherin nahm sie in die Hand, betrachtete sie aufmerksam von allen Seiten und stellte sie dann wieder zurück. Ich war mir sicher, sie mit unwiderlegbaren Beweisen in die Enge getrieben zu haben.

„Stammt die aus Mr. G.I.s persönlichem Vorrat oder von dem Kristall, das du vom Piratenstützpunkt auf Unatari mitgenommen hast?“

Miya lächelte belustigt. „Ruslan, das ist doch kein Kristall. Ich sollte es schließlich wissen, oder? Vermutlich ist das nur ein Plastik-Souvenir, das du dir zur Erinnerung an Perimeterverteidigung bestellt hast.“

„Nehmen wir einmal an, das würde stimmen. Dann verrate mir bitte, Miya, woher du meine Telefonnummer hast?“

„Was ist nur los mit dir, Ruslan? So misstrauisch! Hast du etwa schon vergessen, dass ich den letzten Winter in deiner Wohnung verbracht habe? Mr. G. I. hat es dir doch gesagt. Ich habe deine Nummer auf einer Rechnung gesehen und sie mir für alle Fälle abgespeichert.“

„Das wäre durchaus plausibel, Miya, und vielleicht hätte ich dir sogar geglaubt, aber ich habe seitdem meine Nummer geändert. Die nächtlichen Drohanrufe wurden mir schlicht zu viel. Die neue Nummer habe ich erst seit knapp einer Woche, und ich habe sie nur meiner Mutter und meinem besten Freund verraten. Außerdem möchte ich dir einen wertvollen Tipp geben: Wenn du in Zukunft jemanden anrufst, solltest du tatsächlich sprechen und nicht nur Gedanken direkt in den Kopf schicken. Es war sehr beunruhigend, dass ich dich immer noch hörte, obwohl ich das Telefon abgeschaltet hatte.“

„Ruslan, du sagst sehr seltsame Dinge“, beschwerte Miya sich und schürzte die Lippen. „Stimmen im Kopf, Gespräche mit abgeschalteten Telefonen … Vielleicht solltest du mal zum Psychiater gehen.“

Ich schob den Teller entschieden von mir weg und stand auf.

„In Ordnung, Miya. Ich habe mich wohl geirrt. Ein konstruktives Gespräch zwischen uns ist nicht möglich. Viele Grüße an deinen Boss, und richte ihm bitte aus, dass ich ihn niemals wiedersehen will. Wenn ich ihm irgendwann doch begegne, werde ich diesem Abschaum einen Schlag ins Gesicht verpassen, das schwöre ich!“

Ich wandte mich zum Gehen und brachte zwei ganze Schritte zustande, bevor ich von zwei athletisch gebauten Männern aufgehalten wurde, die sich bislang ruhig an einem Nachbartisch unterhalten hatten. Einer von ihnen drehte mir gekonnt den Arm auf den Rücken und drückte mein Gesicht vor Miya auf die Tischplatte.

„Die Chefin hat nicht erlaubt, dass du gehst“, flüsterte das Monster mir ins Ohr.

Alle um uns herum aßen weiter, als wäre nichts geschehen. Ein Kellner trug direkt vor meiner Nase ein Tablett vorbei, und keiner der vielen Restaurantgäste interessierte sich dafür, was an unserem Tisch vor sich ging. Es war, als wären wir gar nicht da. Vielleicht sollte ich schreien, um auf mich aufmerksam zu machen.

„Spar dir die Mühe, Ruslan. Sie würden dich nicht hören“, sagte Miya mit einer unmenschlichen, eisigen Stimme, während ich mich vergeblich wehrte. „Kein guter Zeitpunkt, dich an meine Fähigkeiten als Wahrheitssucherin erinnern zu müssen. Da fällt mir etwas ein: Ich hatte versprochen, dich zu töten, wenn wir uns in der Realität begegnen. So etwas verspreche ich nicht leichtfertig. Und da du nicht bereit bist, mit mir zusammenzuarbeiten …“

Da fiel mir auf, dass die beiden Kerle, die mich angegriffen hatten, einander glichen wie ein Ei dem anderen. Zwillinge? Oder vielleicht ….

„Par to nek Tuki-tuka-de-sa! Pori-la-navi!“ (Lasst mich los! Gehorcht der Stammesältesten! Sofort!)

Meine Reaktion war rein instinktiv, stellte sich jedoch als richtig heraus. Die beiden Typen ließen sofort von mir ab, knieten nieder und senkten die Köpfe. Wie gut, dass ich die Gespräche meiner Chamäleon-Leibwächter oft belauscht hatte. Die Sprache der Ravaash beherrschte ich zwar nicht, aber einige Sätze hatte ich mir eingeprägt.

Voller Stolz auf meinen kleinen Triumph salutierte ich spöttisch vor Miya und machte mich auf den Weg aus dem Restaurant. Nun, zumindest versuchte ich das. Nach wenigen Metern spürte ich beträchtlichen Widerstand. Jeder Schritt wurde schwerer als der vorherige. Sechs Schritte brachte ich zustande, doch dann kam ich keinen Millimeter weiter. Nun, ich war nicht dumm, ich verstand. Ich gab mich geschlagen, ging zurück zum Tisch und ließ mich gegenüber von Miya nieder.

„Damit steht es wohl eins zu eins.“ Die mächtige Wahrheitssucherin kicherte hämisch. „In Ordnung, Ruslan. Jetzt können wir endlich offen reden.“

* * *

Miya sah schon wieder auf die Uhr. Ihre Miene war verärgert und mittlerweile sogar ein wenig besorgt.

„Dein Auftraggeber verspätet sich unerklärlicherweise. Sehr seltsam. Georgiy ist normalerweise pünktlich. Nun gut, wir sollten ohne ihn anfangen. Ruslan, ich mache dir folgendes Angebot: Ich verspreche, dir drei Fragen offen und ehrlich zu beantworten. Nach diesen Antworten verschwenden wir keine Zeit mehr, sondern widmen uns dem neuen Vertrag. Du sagst mir Punkt für Punkt, was du dir vorstellst, und ich entscheide, ob sich das erfüllen lässt. Falls es noch Unklarheiten gibt, können wir abwarten, was Mr. G. I. dazu meint. Abgemacht?“

Ich überlegte kurz und nickte dann. Damit war ich einverstanden. Miya seufzte erleichtert. Offenbar war sie sich nicht sicher gewesen, ob ich zustimmen würde. Die rothaarige Wahrheitssucherin entspannte sich ein wenig, und hinter der Maske der tödlichen Raubkatze kam eine unfassbar schöne Frau zum Vorschein, vielleicht sogar die schönste, die ich je gesehen hatte. Nur Astra mit ihrer exquisiten, zerbrechlichen Eleganz konnte es mit dieser gefährlichen Männerfresserin aufnehmen. Ich musste daran denken, wie Florianna die beiden einst verglichen hatte: „Astra ist eine Schneeflocke und Miya eine Flamme.“ Sehr treffend beobachtet.

Miya lächelte unvermittelt − offenbar hatte sie meine Gedanken gelesen.

„Ohne Babybauch bist du ein ungewohnter Anblick. Wie heißt denn die Kleine?“, stellte ich die erste der drei Fragen, die sie mir zugestanden hatte.

Miya sah mich überrascht an, setzte dann aber rasch wieder ihr Lächeln auf.

„Mit dieser Frage hätte ich wahrlich nicht gerechnet, Ruslan. Aber sie freut mich, das muss ich zugeben. Sie heißt Deia, Kronprinzessin Deianna royl Georg ton Mesfelle.“

Wenn Miyas Tochter eine Kronprinzessin geworden war, musste der echte Georg mittlerweile die Scheidung von Marta vollzogen haben. Was seine Ex-Frau dafür verlangt haben mochte? Sollte ich Miya danach fragen? Nein, dafür wollte ich keine weitere Frage opfern, sondern würde es im Laufe des Spiels herausfinden. Außerdem war mir schon eine weitaus interessantere Frage eingefallen.

„Seit ich aus Perimeterverteidigung zurückgekehrt bin, habe ich viel Zeit darauf verwendet, online Informationen über das Spiel zu suchen. Außerdem habe ich versucht, eine Virtual-Reality-Kapsel wie die aufzutreiben, aus der ich gestiegen bin. Leider vergeblich. Dass ein privates Spiel für die Elite geheim gehalten wird, kann ich noch verstehen, aber wieso auch die VR-Kapseln? Man sollte doch meinen, dass die Hersteller fleißig Werbung für ihr Produkt machen. Ich habe fast den Eindruck, dass diese Technik gar nicht existiert. Was kannst du mir darüber sagen?“

Wieder lächelte Miya zufrieden.

„Endlich denkst du logisch und lässt dich nicht mehr von deinen Gefühlen leiten. Gute Frage, Ruslan. So hättest du das Gespräch angehen sollen, statt nur in Selbstmitleid zu schwelgen und dich über unverschämte Nachbarn zu beschweren. Alle deine Vermutungen sind richtig, aber du übersiehst einen wichtigen Aspekt. Du hast eine funktionstüchtige VR-Kapsel in der Realität gesehen, und zwar ein Modell aus der Massenproduktion, keinen experimentellen Prototypen. Damit habe ich dir genug Hinweise gegeben, den Rest kannst du dir selbst zusammenreimen. Mal sehen, ob in deinem Kopf ausreichend Grips steckt.“

Miya lehnte sich mit dem Saftglas in der Hand auf dem Stuhl zurück und musterte mich, während ich grübelte. Sie hatte offenbar nicht die Absicht, mir weitere Informationen zu liefern.

Ich überlegte fieberhaft, wie das zusammenpasste. Das Gerät stammte aus der Massenproduktion, doch es gab keinerlei Berichte darüber? Vielleicht ein militärisches Geheimnis? Um unterschiedliche Szenarios in einer virtuellen Welt jenseits der Realität zu untersuchen? Etwa für die Arbeit unter feindlichem Beschuss oder in Gegenden, in denen hoch ansteckende Krankheiten wüteten? Oder vielleicht wurden Soldaten damit trainiert, ihre Todesangst zu überwinden. Nach 100 virtuellen Toden war die Angst verschwunden. Oder wählte man so geeignete Personen für besonders ungewöhnliche Missionen aus, zum Beispiel für eine Landung auf dem Mars oder Erstkontakt mit außerirdischen Lebensformen? Das allerdings erschien mir alles zu weit hergeholt.

„Doch, die Antwort ist richtig“, bestätigte Miya sichtlich zufrieden. „Schön, dass du nicht so engstirnig bist wie die allermeisten Menschen. Du kannst über das Alltägliche hinaus denken. Ja, die Kapsel soll Einsatzmöglichkeiten für fortschrittliche Technologien ermitteln, die sich noch in der Entwicklung befinden. Das Spiel Perimeterverteidigung und die Ausrüstung dafür gibt es wirklich. Allerdings sind auch mir nicht sämtliche Ziele dieses umfassenden Experiments bekannt. Und ich weiß auch nicht, wo ehemalige Spieler nach einem Game-Over landen. Informationen über Perimeterverteidigung dürfen aus den Labors nicht nach außen dringen. Ich hoffe sehr, dass die Betroffenen neue Charaktere bekommen, doch sicher bin ich mir diesbezüglich nicht. Jetzt bleibt dir nur noch eine Frage, Ruslan. Stelle sie, damit wir zur Sache kommen können.“

Das war leichter gesagt als getan. Ich hatte die Antwort auf die vorherige Frage noch nicht richtig verarbeitet. Offenbar waren Miya und Georgiy an einem groß angelegten Experiment für eine unbekannte Geheimorganisation beteiligt, das sich über mehrere Jahre erstreckte. Unfassbar! Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Die Fragen, die mir gerade noch wichtig erschienen waren, wirkten jetzt sinnlos. Perimeterverteidigung war ein Simulator zur Entwicklung fortschrittlicher Technologien. Das war zwar schwer zu glauben, erklärte jedoch vieles.

„Kann ich meinen eigenen Körper ins Spiel bringen?“, erkundigte ich mich.

Miya runzelte die Stirn und schürzte ungläubig die Lippen.

„Eine seltsame Frage. Du enttäuschst mich sehr, denn die Antwort kennst du doch bereits. Das wäre aus verschiedensten Gründen unmöglich. Wie kommst du auf die Idee, man könnte einen echten Körper in ein Computerspiel bringen? Kein einziger Gegenstand kann in die virtuelle Welt gelangen. Genauso wie sich nichts aus Perimeterverteidigung herausbefördern lässt, nur Gedanken, Wissen und Kenntnisse. Das hier“, sagte sie und deutete auf die Dose, „ist nur ein Geschenkartikel aus China. Eine Plastikperle. Georgiy hat sie an einem Stand im Einkaufszentrum gesehen und für mich gekauft, weil sie so aussieht wie das Objekt aus dem Spiel. Ich habe sie noch etwas verschönert. Perimeterverteidigung dient unter anderem dazu, Personen mit versteckten psionischen Fähigkeiten zu entdecken und zu schulen. Nach langjähriger Ausbildung habe ich gelernt, diese Fähigkeiten nicht nur in der virtuellen Welt einzusetzen, sondern auch außerhalb.“

So skeptisch ich auch war, die Erklärungen der Wahrheitssucherin klangen sehr plausibel. Obwohl … ich deutete auf die Zwillinge am Nachbartisch.

„Und wer spielt die nichtmenschlichen Rassen und die Aliens? Wieso haben sie mich verstanden, als ich Ravaash gesprochen habe?“

Miya schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

„Das verstößt gegen unsere Abmachungen. Du hast bereits alle drei Fragen verbraucht. Halten wir uns doch bitte an die vereinbarten Regeln. Ich habe deine drei Fragen beantwortet, alle anderen wirst du früher oder später selbst klären können. Jetzt brauche ich eine umfassende Liste deiner Vertragsbedingungen. Hier hast du einen Stift und ein Blatt aus meinem Notizbuch. Ich gebe dir ein paar Minuten und werde in der Zwischenzeit nachforschen, wo mein Kompagnon bleibt.“

Aus ihrer kleinen Handtasche holte die rothaarige Schönheit ein winziges Handy, das mit großen, funkelnden Kristallen − vielleicht sogar echten Edelsteinen – besetzt war, und zog sich aus dem lauten Raum ins Treppenhaus zurück. Unwillkürlich fiel mein Blick auf das lederne Täschchen, das auf dem Tisch geblieben war. Darin warteten bestimmt Unmengen interessanter Dinge, vielleicht sogar geheime Erfindungen, die mir verraten könnten, was hier vor sich ging. Doch ich verdrängte die kriminellen Gedanken und griff zum Stift. Also, was sollte ich verlangen?

Sieben Minuten später, als meine Liste fast fertig war, kam Miya zurück. Sie blieb ein paar Sekunden reglos neben dem Tisch stehen und starrte mit leerem Blick an mir vorbei, dann schleuderte sie ihr Telefon heftig zu Boden. Es zerschellte in viele Teile, die Edelsteine kullerten über den Boden. Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, wie aufgebracht, ja, geradezu erbost sie war. Wer mochte die Wahrheitssucherin nur so in Rage versetzt haben?

„Mr. G. I. wird nicht an diesem Treffen teilnehmen“, verkündete Miya, nachdem sie sich wieder ein wenig gefangen hatte. „Offenbar hat er seine Meinung im allerletzten Moment geändert und will dich nicht persönlich treffen, weil er meint, du könntest nicht gut auf ihn zu sprechen sein. Was für ein Narzisst!“

Vielleicht täuschte ich mich, aber ich meinte, in ihren tränenüberschwemmten Augen ein verräterisches Funkeln zu entdecken.

„In Ordnung, Ruslan, da Georgiy mich so hängenlässt, gibt es keinen Grund mehr, ihn zu schützen. Ja, du hast recht. Georgiy befand sich die ganze Zeit in deinem Körper, während du Perimeterverteidigung gespielt hast. Tu nicht so überrascht. Das Spiel wurde unter anderem deshalb entwickelt, weil man die Technologie zur Übertragung des menschlichen Bewusstseins optimieren will. Das erfolgt entweder über eine Spezialmaschine oder durch starke menschliche Psioniker wie mich und Mr. G. I. Du ahnst ja nicht, Ruslan, wie schwer es mir fallen wird, alles selbst zu übernehmen. Wenn ich nur genug Kraft hätte … Aber dazu ist keine Zeit. Wir sind schon sehr spät dran. Also gibt mir den Zettel, ich will mir ansehen, was du aufgeschrieben hast.“

Miya riss mir das Blatt förmlich aus den Händen und überflog es rasch.

„Was den ersten Punkt betrifft: Kein Problem, das Geld bekommst du. Damit gibt es sicher keine Schwierigkeiten. Das hier ist schon komplizierter: ‚Keine Drogen und kein Alkohol in meinem Körper.‘ Vorläufig kann ich das nicht zu 100 % garantieren, aber ich werde mir etwas einfallen lassen. Gleiches gilt für den nächsten Punkt zum asozialen Verhalten. Obwohl … sicher. Wir werden beides akzeptieren. Ich schwöre bei meinen Fähigkeiten und beim Leben meiner einzigen Tochter, dass niemand in diesem Körper asoziales Verhalten zeigen oder Rauschmittel konsumieren wird. Ich hoffe, das reicht dir.“

Ich nickte. Wie ernsthaft sie gerade geschworen hatte, beunruhigte mich ein wenig.

„Die beiden nächsten Punkte verstehe ich nicht richtig“, fuhr Miya fort. „‚Freiheit, mich im Spiel so zu verhalten, wie ich möchte. Garantierte Sicherheit für alle, die mir nahestehen …‘ Ruslan, lass uns das genauer definieren. Was meinst du hier mit Freiheit und Sicherheit? Und mach bitte schnell. Es könnte bald auffallen, dass Mr. G. I. nicht mehr im Spiel ist.“

Bei den letzten Punkten hatte ich mit größerem Widerstand gerechnet, da ich eine beträchtliche Summe Geld forderte, darunter einen erheblichen Betrag an Schadensersatz sowohl für den letzten Vertrag als auch als Vorschuss für den neuen. Deshalb war ich überrascht und sogar ein wenig ungläubig, wie leichthin meine Forderungen akzeptiert wurden. Außerdem konnte ich mich nicht richtig konzentrieren, weil Miya mich so zur Eile drängte.

„Ich will über meine Aktivitäten in Perimeterverteidigung keine Rechenschaft ablegen müssen. Ich muss in der Lage sein, in jeder Situation das zu tun, was ich für richtig halte. Und ich möchte eine Garantie dafür, dass du niemandem nur deshalb etwas antust, weil mir dieser Charakter wichtig geworden ist.“

„Warst du beim letzten Mal etwa eingeschränkt? Und was meine Taten betrifft … Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die drittmächtigste Wahrheitssucherin nichts Besseres zu tun hat, als Personen nachzuspüren, die dir nahestehen, oder?“, fragte Miya erstaunt.

„Hast du schon vergessen, wie du Florianna gelähmt hast? Oder wie du im U-Boot auf Prinzessin Astra losgegangen bist?“

„Ruslan, das hatte nicht im Geringsten mit deiner Beziehung zu diesen Gestalten zu tun!“, erwiderte Miya sichtlich empört. „Mir blieb schlichtweg nichts anderes üblich, als den schwatzhaften kleinen Dummkopf zum Schweigen zu bringen. Das habe ich für uns beide getan, sonst wäre das Geheimnis, dass du im Körper von Mr. G. I. stecktest, im Handumdrehen enthüllt worden, und unser ganzer Plan wäre gescheitert. Auch mir hätte das erheblich geschadet. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie peinlich genau die Administratoren darauf achten, dass jeder Charakter in Perimeterverteidigung nur einen einzigen Spieler hat. Ein paar falsche Bemerkungen über die Realität, schon ist man erledigt. Als wäre der Spieler niemals da gewesen! Und was das zweite Mädchen betrifft, das war reine Berechnung. Ihre Schwangerschaft drohte, meine Pläne zu durchkreuzen. Aber du hast befohlen, dass ich sie nicht anrühre, und ich habe mich daran gehalten.“

„Miya, drücke dich nicht um eine Antwort. Was früher geschehen ist, spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich will eine Garantie für die Zukunft.“

Miya sah mir fest in die Augen.

„Niemand wird dich aufhalten oder dir verbieten, in Perimeterverteidigung Freunde, Freundinnen, Lieblinge oder gar Geliebte zu haben“, verkündete sie ernst und deutlich. „Aber die Regeln des Spiels bleiben unverändert. Du darfst nicht enthüllen, dass du im Körper von Kronprinz Georg steckst, und du musst sechs Monate durchhalten und dabei die Angriffe der Aliens abwehren. Und noch eine Regel, von mir persönlich: Du darfst dich im Spiel nicht von meinem Charakter scheiden lassen. Du darfst nicht noch mehr Kinder bekommen und musst das Sternsystem Unatari um jeden Preis verteidigen. Das sind grundlegende Bedingungen. Wenn eine davon nicht eingehalten wird, endet dein Vertrag ohne Bezahlung. Außerdem hätte ich dann nicht mehr den Hauch von einem Grund, dich in der Realität am Leben zu lassen. Betrachte das als Warnung und offizielle Regel zugleich.“

Ich verzog das Gesicht, obwohl ich verstehen konnte, wieso Miya auf diesen Bedingungen beharrte. Nichts wäre für sie schlimmer als ein anderer Spieler, der ihr in die Quere kam. Ihre Forderungen waren grundsätzlich fair. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden und musste nur eine Sache klarstellen.

„Die Sache mit der Scheidung leuchtet mir ein. In der Spielwelt würde sie die gesellschaftliche Stellung der kleinen Kronprinzessin Deia gefährden. Auch dass ich keine Kinder mehr zeugen soll, verstehe ich. Deine Tochter kann auf Konkurrenz durch andere Erben gut verzichten. Aber wieso ist Unatari dir so wichtig?“

Miya sah mich geradezu mitleidig an, als wäre sie erneut von meinen intellektuellen Fähigkeiten enttäuscht.

„Das weißt du nicht? Laut Storyline des Spiels sollte Deia gerade tief und fest in ihrem Kinderzimmer auf Unatari schlummern. Deine Mission besteht darin, deine Tochter um jeden Preis vor Gefahren zu schützen.“

„Dann sollten wir die Mission klarstellen. Soll ich Deia oder das Sternsystem Unatari beschützen? Wenn ich sie aus Unatari heraus an einen sicheren Ort bringe, hat der Schutz von Unatari dann weiterhin Priorität?“

Miya überlegte kurz.

„Die Frage ist durchaus berechtigt“, sagte sie dann. „Nur kommt deine brillante Idee leider zu spät. Es wird dir nicht gelingen, Deia aus Unatari herauszubringen. Ich bin schließlich keine normale Spielerin, sondern eine Wahrheitssucherin mit furchteinflößenden Fähigkeiten. Die Admins vertrauen mir. Mein Charakter kann sich über längere Zeit aus Perimeterverteidigung entfernen. Gegenwärtig dient mir meine Tochter als Sender. Über sie kann ich jederzeit wieder ins Spiel zurückkehren. Das bedeutet, dass ich ins Spiel gelangen kann, ohne dass die Admins es bemerken. Allerdings gibt es dabei bestimmte technische Finessen, deshalb muss gewährleistet sein, dass diese Austrittsstelle genau dort bleibt, wo sie gerade ist. Kurz und bündig: Der Schutz des Sternsystem Unatari ist nicht nur für mich, sondern auch für dich von entscheidender Bedeutung. Wenn es verloren geht, kannst du nicht mehr in die Realität zurückkehren, sondern bleibst in Perimeterverteidigung.“

„Verstehe ich das richtig, dass du nicht mit mir in Perimeterverteidigung sein wirst?“, vergewisserte ich mich.

„Ja, das stimmt. Im Spiel bin ich meinem Herrn nicht gewachsen, deshalb will ich nicht riskieren, in deiner Nähe zu sein.“

„Du traust mir nicht?“ Ich musste lachen.

„Natürlich nicht. Ich traue niemandem. Weder dir noch Mr. G. I. und auch den Admins nicht. Meinst du, ich hätte so lange in Perimeterverteidigung überlebt, wenn ich vertrauensselig wäre? Ich gebe dir die Möglichkeit, mich dreimal für eine kurze Zeitspanne zu rufen, aber nur, wenn es unbedingt nötig ist. Selbst für mich ist es sehr anstrengend, zwischen dem Spiel und der Realität hin und her zu springen. Sind meine Bedingungen klar?“

Ich bestätigte das mit einem stummen Nicken.

„Dann gilt unser Vertrag als abgemacht. Ich sehe keinen Grund für eine Unterschrift. Beim letzten Mal haben wir das nur der Atmosphäre wegen getan, damit dir die Bedeutung deiner Entscheidung klar wurde. Du kannst sowieso keine Papierunterlagen mit ins Spiel nehmen, und für derartigen Quatsch haben wir keine Zeit. Georgiy kann kaum noch warten. Nun gut, du musst dich geistig auf den Transfer vorbereiten.“

„Und wie mache ich das?“, erkundigte ich mich.

„Du musst einschlafen oder sehr betrunken werden“, erklärte Miya. „Da wir hier nur wenig Zeit haben, schlage ich dir den einfachsten Weg vor: Nimm diese Schlaftabletten.“

Miya streckte die Hand aus und zeigte mir zwei unmarkierte Pillen in einem gelben Blisterpack. Meine Lebenserfahrung und sämtliche Instinkte warnten mich eindringlich davor, unbekannte Drogen von einer Person entgegenzunehmen, die ich kaum kannte. Doch ich brachte die Stimme der Vernunft so gut es ging zum Schweigen, spülte die beiden süßlichen Tabletten mit einem Schluck Mineralwasser hinunter und wartete auf die Reaktion.

Diese stellte sich bereits nach zehn Sekunden ein. Das Restaurant verschwamm vor meinen Augen. Die beiden Wächter am Nachbartisch nahmen die Gestalt von Ravaash-Soldaten an. Miyas Kleidung wandelte sich von dem orangefarbenen Kleid zu einem Gewand aus bunten Bänden, und ihr glattes rotes Haar wand sich zu einem Knoten zusammen. Auf einmal war ich mir absolut sicher, dass ich gerade den größten Fehler meines Lebens begangen hatte.

„Räumt hinter uns auf!“, befahl Miya den Echsen in der Sprache des Imperiums, und die beiden Reptilien nickten zur Bestätigung.

Dann sah die Wahrheitssucherin erst auf die Uhr, dann auf mich.

„Puh, Ruslan. Hoffen wir, dass wir nicht zu spät kommen und ich genug Energie habe …“

Als mir bereits das Bewusstsein schwand, sah ich noch, wie Miya nach dem chinesischen Geschenkartikel auf dem Tisch griff, die durchsichtige Verpackung leichthin aufriss und … sich die „Plastikperle“ in den Mund warf!

* * *

AHHHHHHHHHHHHHHHH!!

Mein Körper krümmte sich vor Schmerzen, und ich riss entsetzt die Augen auf. Ich sah grellweißes Licht. Dunkle Gestalten beugten sich über mich. Die Stimmen klangen gurgelnd, wie unter Wasser.

„Sein Puls sinkt schon wieder!“

„Los!“

Bevor ich wusste, wie mir geschah, kam eine der Gestalten noch näher. Unter dem Stoß aus dem Defibrillator bäumte sich mein Körper auf. Ich schrie. Doch statt eines ohrenbetäubenden Schreis brachte ich nur ein kaum hörbares Wimmern zustande. In meiner Kehle steckten Schläuche, mein Gesicht war von einer Sauerstoffmaske bedeckt.

„Wir haben Puls!“

„Seine Pupillen reagieren auf das Licht!“

„Hirnaktivität erkannt.“

„Blutdruck: 60 zu 30, steigend!“

„Ich brauche zwei Einheiten Nanite-7. Er muss schneller zu sich kommen.“

Ich spürte, wie mir eine Nadel in den Hals gestochen wurde. Mit Mühe versuchte ich, mich zu konzentrieren und meine Augen zu fokussieren, doch das gelang mir nicht. Die Personen um mich herum blieben dunkle, verschwommene Konturen. Mein Gehör wurde jedoch allmählich besser.

„Herzrhythmusstörungen nehmen zu“, ertönte die Stimme einer jungen Frau. „Puls instabil: 15 Schläge pro Minute. Soll er noch einen Stoß bekommen?“

„Nein, das ist nicht nötig. Er müsste bereits genug Sauerstoff im Blut haben. Sein Blutdruck stabilisiert sich“, erwiderte eine weitere Stimme mit seltsamem Akzent, die geradezu unmenschlich klang.

„Puls bei 28, steigt.“

„Blutdruck bei 75 zu 40. Hirnaktivität wird intensiver.“

„Patient bei Bewusstsein!“ Der freudige Ausruf der dritten Gestalt schrillte mir in den Ohren.

Jemand beugte ich über mich. Zu meiner Überraschung erblickte ich Miya in einem Operationskittel mit Maske vor dem Gesicht. Sie wirkte geradezu panisch und sah mir tief in die Augen.

„Ich merke, dass du mich hören und verstehen kannst. Ruslan, du hast mir einen Riesenschreck eingejagt! Der Transfer lief nicht ganz reibungslos. Ich weiß selbst nicht, warum. Vielleicht haben die automatischen Abwehrmechanismen der Admins trotz all meiner Tricks entdeckt, dass die IP-Adresse oder die ID-Kapsel manipuliert wurden. Dein Account wurde gesperrt. Im Spiel sah es wie plötzliches Herzversagen aus. Du warst drei Minuten lang klinisch tot. Ich musste fast meine ganze Energie dafür aufwenden, dich zurück ins Leben zu holen. Aber du hast es geschafft. Der Charakter ist freigeschaltet, nur das zählt.

Pass auf dich auf, komm wieder zu Kräften. Jetzt muss ich dich wie angekündigt allein lassen. In den nächsten paar Wochen kannst du mich nicht ins Spiel zurückrufen. Mir wird es dazu schlichtweg an Kraft fehlen. Du musst also alles allein bewältigen. Die Verteidigung von Unatari wartet auf dich.

Viel Erfolg!“

Umzingelte Hauptstadt

DAS AUFWACHEN FIEL mir schwer. Mein verstörender, bruchstückhafter Traum wollte mich nicht loslassen. Endlich gelang es mir, ein Auge aufzuschlagen und mich umzusehen. An Wänden und Decke hingen vergoldete Lampen in der Form von natürlichen Kristallen. Zu meiner Linken stand eine riesige Bronzestatue, die eine unbekannte Kreatur mit acht Gliedmaßen darstellte. Der Raum kam mir vertraut vor, doch ich kam beim besten Willen nicht darauf, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte. War es vielleicht das Hotel in der Türkei? Nein, das Zimmer dort hatte ein riesiges Panoramafenster gehabt. Instinktiv rief ich die interaktive Karte auf, um mich zu orientieren. In den letzten Monaten hatte ich das aus lauter Gewohnheit häufiger versucht, ohne dass sich etwas getan hatte. Jetzt jedoch erschien vor meinen Augen eine durchscheinende Karte.

Siebter Wohnflügel der Weltraumjacht Königin der Sünde

Sofort waren die letzten Reste des Traums wie weggeblasen. Richtig! Ich war wieder im Spiel! In Sekundenschnelle rasten die Ereignisse des Vortags an mir vorbei. Die Klink, der Anruf von einer unbekannten Nummer, Verhandlungen mit Miya, furchteinflößende Ärzte, die sich über mich beugten …

Wie war die Geschichte mit dem missglückten Charakterwechsel nun ausgegangen, und welche Folgen hatte sie für meine Gesundheit? Vorsichtig bewegte ich Arme und Beine, dann befühlte ich meine Brust. Unter der langen Unterwäsche spürte ich flache, runde Aufkleber auf der Haut, die zweifellos medizinische Zwecke hatten. Da sie weder unangenehm waren noch meine Bewegungsfreiheit beeinträchtigten, ließ ich sie an Ort und Stelle. Zumal ich durch etwas anderes abgelenkt wurde: Eine unübersehbare dicke Wampe, die dort nichts zu suchen hatte! Mein erboster Aufschrei war vermutlich auf dem gesamten Raumschiff zu hören, dann ließ ich einen Schwall an Flüchen vom Stapel.

Sechs Monate hatte ich hart daran gearbeitet, diesen Körper in Form zu bringen, und mein Nachfolger hatte den Erfolg im Handumdrehen zunichtegemacht! G.I., dieser Übeltäter, hatte so zugelegt, dass mein Leib wieder genauso massig war wie ganz zu Anfang. Erneut schwamm ich im Fett.

Um das Ausmaß der Katastrophe richtig einzuschätzen, wollte ich mich aus einer anderen Perspektive betrachten. Vorsichtig setzte ich mich auf, stellte die nackten Füße auf den Boden und stemmte mich hoch. Mir wurde ein wenig schwindelig, aber längst nicht so sehr, wie ich befürchtet hatte. Immerhin war ich gerade noch klinisch tot gewesen, da hatte ich mit Schlimmerem gerechnet. Ich ging die paar Schritte zu einem riesigen Spiegel. Der Mann, der mir entgegenblickte, war sehr fett, mit deutlichen weißen Stellen im dunklen Haar. Na so was. Bei meinem letzten Einsatz hatten sich in der dichten, dunklen Mähne von Kronprinz Georg nur vereinzelte graue Haare gezeigt. Astra hatte sogar versucht, sie auszuzupfen. Jetzt sah ich einen ergrauten Mann, der alt und aufgedunsen wirkte. Und auf den Schultern ... Ich zog den dünnen, weißen Rollkragenpulli aus, um mich zu vergewissern, dass der Spiegel nicht trog. Die eintätowierten dreiäugigen Totenschädel waren verschwunden. Von meiner linken Schulter grinste wieder der kleine geflügelte Esel, dem die Augen aus dem Kopf quollen, als litte er unter Verstopfung, während auf meinem linken Unterarm eine nackte, rothaarige Schönheit in verführerischer Pose prangte. Der unbekannte Künstler hatte sie zwar etwas üppiger dargestellt als in natura, aber man erkannte sofort, wer das sein sollte.

Nun gut, was gab es noch zu entdecken? Mein rechtes Auge, das im Kampf gegen die Aliens verletzt worden war, funktionierte wieder ganz normal, auch das Narbengeflecht war aus Georgs Gesicht verschwunden, sicherlich dank eines Schönheitschirurgen. Nur eine einzige schmale weiße Narbe zog sich noch von der rechten Augenbraue über die Wange bis hinunter zur Lippe. Vermutlich hatte der Kronprinz das so gewollt, um besonders männlich zu wirken. Nur hatte er dabei leider übersehen, dass ein kerniges Soldatengesicht nicht zu seinem birnenförmigen, massigen Leib passte, der bei jedem Schritt wie eine Speckschwarte wabbelte. Sein Körper wirkte geradezu grotesk, wie ein eilig zusammengebastelter Frankenstein aus zwei verschiedenen Personen.

Mit diesem Körper musste ich nun wieder zurechtkommen. Er war in sichtlich schlechter Verfassung, also stand mir erneut fleißiges Training im Fitnessstudio bevor. Nun interessierten mich die Eigenschaften den Kronprinzen, deshalb rief ich die Angaben zu meinem Charakter auf.

Georg royl Inoky ton Mesfelle, Kronprinz des Imperiums

Alter: 48

Rasse: Mensch

Geschlecht: männlich

Klasse: Aristokrat/Mystiker

Errungenschaften:Stammesälteste der Chamäleons, Entdecker der Ariten-Rasse, Alientöter, Erforscher des Unbekannten, Imperialer Eroberer, Ehemaliger Kommandant der Flotte von Sektor Acht, Simulant, Unzuverlässiger Freund, Vaterschaft verweigert

Ruhm: 31

Ansehen: -52

Was? Ich rollte die Augen − nicht nur wegen der zahlreichen neuen „Errungenschaften“, sondern auch, weil mein Ansehen mittlerweile komplett ruiniert war. Schon rein praktisch war es mir unerklärlich, wie ich über 100 Punkte in nur drei Mo… Augenblick mal! Fassungslos starrte ich auf die Datumsanzeige in der Ecke des interaktiven Menüs. Unmöglich. Seit Ablauf meines letzten Vertrags waren nicht nur drei Monate vergangen, sondern sieben! Wie war das möglich?

Sieben Monate! Dann müsste Prinzessin Astra mein Kind bereits zur Welt gebracht haben! Das bedeutete … Vermutlich war das der Grund für die unlöschbare, schändliche Markierung „Vaterschaft verweigert“. Schließlich hatte ich sicher nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen für die Anerkennung der Vaterschaft reagiert. Dadurch war dem Kind nicht nur der Titel Kronprinz entgangen, sondern es hatte auch kein „ton“ im Namen und damit keine Bestätigung für seine adelige Abstammung. Als wäre mein Abbild dafür verantwortlich, schlug ich mit der Faust gegen den Fettwanst, der mir aus dem Spiegel entgegenblickte.

Verdammt, jetzt hatte ich mir die Hand geprellt! Ich schüttelte die schmerzende Faust.

Miya! Wenn ich das Miststück jemals wiedersehen sollte, würde ich ihr den Hals umdrehen! Jetzt war mir sonnenklar, dass die rothaarige Halunkin mich hinters Licht geführt hatte. Ihre Geschichte, das Spiel würde militärischen Zwecken dienen, passte nicht recht zu meinen Erfahrungen. Ein angeblicher „Geschenkartikel“ entpuppte sich als echtes Kristall, die Zeit verging unterschiedlich schnell und wenn ich genau überlegte … waren zwei Chamäleons aus dem Spiel in die Realität gelangt. Man hatte mir einen Bären aufgebunden und mich mit leeren Versprechungen wieder zurück in Perimeterverteidigung befördert.

Ich setzte mich auf die Kante des riesigen Bettes. Sieben Monate waren vergangen. Unfassbar! Und meine Flotte ... Beim Gedanken daran brach mir kalter Schweiß aus. Die Dicke Joan und die Schiffe, die dazu gehörten. Die Besatzungen, die seit über einem Jahr ohne Bezahlung auf dem Trockenen saßen. Noch dazu harrten sie wer weiß wo auf dem Territorium des Schwarms aus! Der Proviant musste ihnen schon längst ausgegangen sein. Vermutlich konnten die Schiffe in den Stationen der Iseyeks nicht einmal für Reparaturen oder technischen Service bezahlen oder auch nur Treibstoff in ihre Reaktoren füllen. Sicherlich verfluchten sie ihren Kommandanten aus Leibeskräften!

Das musste ich sofort in Ordnung bringen. Ich musste Geld an meine Schiffe schicken. Wie stand es um die Finanzen? Ich öffnete die interne Finanzübersicht … und klappte sie direkt wieder zu. Auf dem Konto waren nur noch 1,5 Millionen Guthabenpunkte übrig. Aber wofür mochte Mr. G. I. die 300 Millionen ausgegeben haben, die ich ihm hinterlassen hatte? Neue Skulpturen für die Jacht? Ich versuchte, auf dem Konto eine Transaktionsübersicht aufzurufen, doch der Verlauf war sorgfältig gelöscht worden.

Nun gut, dann musste ich also überlegen, was ich mit dieser neuen Situation anfangen sollte. Ich hatte nur dürftige Mittel, meine Flotte war Gott weiß wo, das Schicksal der Personen, die mir nahestanden, war mir unbekannt, und außerdem gehörte ich laut meinen Charakterangaben wieder zur Klasse der Mystiker. All das ließ keinen Zweifel daran, dass die Sucht nach betäubendem Kristall Georg wieder fest im Griff hatte. Fast verließ mich der Mut …

Ich wollte die Chamäleons herbeirufen, von denen ich mir Antwort auf meine Fragen erhoffte, doch niemand reagierte. Auch das war seltsam.

Schließlich beruhigte ich mich ein wenig und machte mich auf die Suche nach Kleidungsstücken. Für einen vornehmen Kronprinzen des Imperiums geziemte es sich nicht, in Unterwäsche herumzulaufen, auch nicht auf seiner eigenen Jacht. Zum Glück entdeckte ich im gleichen Zimmer einen Kleiderschrank. So sehr ich auch suchte, es war keine einzige Militäruniform zu entdecken, weder diejenige des Kommandanten der Flotte von Sektor Acht noch irgendeine Uniform von Haus Orange. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Der Schrank enthielt lediglich zwei peinlich extravagante Pfauenoutfits, eine bunte Leggings und Schuhe in Hellrosa und Lila. Erst dachte ich, ich wäre versehentlich auf die Kleidung meiner Frau gestoßen, doch in die gigantische Badehose, die ich vorfand, hätte Miya viermal hineingepasst. Auch die pinkfarbenen Schuhe mit Magnetverschlüssen waren eindeutig zu groß für die Wahrheitssucherin.

Ich zog mir etwas über, in dem ich hoffentlich nicht allzu albern wirkte, und sah mich erneut im Zimmer um. Ein Blick auf die interaktive Karte gab mir Gewissheit: Ja, ich war eindeutig schon einmal hier gewesen. Ich befand mich in einem der insgesamt 30 Schlafzimmer, die Kronprinz Georg royl Inoky ton Mesfelle auf der Luxusjacht hatte. In den allerersten Tagen in Perimeterverteidigung hatte ich mich ein paar Mal hier aufgehalten, meistens jedoch in anderen Räumen. Mit Mühe erhob ich mich und ging aus reiner Neugier zum größten Dekoartikel im Zimmer, dem vielarmigen Titanen.

„Ma-radgi, der letzte Soldat“, von Veron ton Gep

Diese knappe Information poppte gehorsam vor meinen Augen auf, die Inschrift auf dem Sockel der Skulptur nannte den gleichen Titel.

Die Bronzestatue sah aus, als wollte sich ein riesiger Oktopus mit zahlreichen zottigen Tentakeln durch einen Spalt in einer Felswand zwängen. Nichts deutete darauf hin, dass es sich bei diesem Wesen um einen mächtigen Krieger handelte − es hätte genauso gut ein Jäger sein können, der sich nach einer üppigen Mahlzeit ausruhte, oder eine fürsorgliche Mutter, die ihre Kinder beschützte. Aber der Künstler wusste es sicher selbst am besten, denn schließlich stammte die Skulptur offenbar vom großen Veron ton Gep, dessen Fähigkeiten Miya kürzlich so gepriesen hatte. Bei meinem ersten Einsatz in Perimeterverteidigung war mir unmissverständlich klar geworden, dass ich von Kunst keine Ahnung hatte, deshalb wunderte ich mich nicht, dass ich keinen Zugang zum Werk des Bildhauers fand.

„Prinz Georg, sind Sie schon wach?“ Hinter mir ertönte so unvermittelt eine kräftige Frauenstimme, dass ich fast erschrocken aufgeschrien hätte.

Ich drehte mich um und bemühte mich um einen gelangweilten, etwas hochmütigen Blick, als wäre es das Normalste auf der Welt, als Kronprinz in diesem Papageienlook herumzulaufen. Doch leider misslang mir die herablassende Miene, weil die träge Masse meines Bauches durch die Bewegung ins Schaukeln geriet und dabei ein gurgelndes Geräusch von sich gab. Ich bemerkte, wie ein kurzes Schmunzeln über das Gesicht der jungen Frau mit kurzem, dunklen Haar huschte, die in einer Uniform der Flotte von Haus Orange vor mir stand.

Ayna Mentor, deine Privatassistentin

Alter: 24

Rasse: Mensch

Geschlecht: weiblich

Klasse: Sportlerin

Errungenschaften: Dreimalige Siegerin des Schützenturniers von Haus Orange. Ehemalige Meisterin im Kampf ohne Regeln im System Nessi. Zur Arbeit mit dem Hochadel zugelassen.

Ruhm: +1

Ansehen: +1

Vermutliche persönliche Einstellung zu dir: +13 (herzlich)

Sie war recht hübsch anzusehen, aber nicht mein Geschmack, denn sie war so groß gewachsen, dass ich neben ihr geradezu klein wirkte. Bis auf ihre trainierten Muskeln hatte sie nichts an sich, das einen bleibenden Eindruck hinterließ. Vermutlich hatte Miya sie deshalb für diese Position zugelassen oder vielleicht sogar persönlich ausgewählt. Wie sollte ich mich ihr gegenüber verhalten? Ich lächelte ihr wohlwollend zu.

„Ich glaube, ich sollte allmählich besser für meinen Körper sorgen. Was meinen Sie dazu, Ayna?“

Das war ein Fehler, wie ich sofort bemerkte. Die junge Frau bekam es sichtlich mit der Angst und nahm Habachtstellung an, presste die Arme seitlich an den Körper und senkte den Blick zu Boden.

„Eure Hoheit sieht hervorragend aus wie immer“, erwiderte sie, die Augen fest nach unten gerichtet.

Sie hatte eindeutig Angst vor mir, und das wunderte mich sehr. Generell sollte man seine Vorgesetzten nicht fürchten, aber insbesondere von meiner Assistentin erwartete ich ein anderes Auftreten.

„Ayna, bitte helfen Sie mir auf die Sprünge. Weshalb genau hat meine Gattin Sie angeheuert? Sicher nicht aufgrund Ihrer Ehrlichkeit, so viel steht fest.“

Die junge Frau bekam noch mehr Angst. Ich befürchtete schon, sie würde jeden Augenblick bewusstlos zu Boden sinken.

„Frau Miya überzeugte vor allen Dingen meine Reaktionsschnelligkeit sowie meine Fähigkeit, ihren Gatten zu beschützen. Und auch, dass ich fleißig, angenehm und gründlich bin.“

„Normalerweise sind Privatassistentinnen nicht für die Sicherheit zuständig. Das ist Aufgabe der Leibwächter. Übrigens, Ayna … Wo sind die unsichtbaren Chamäleons geblieben?“

„Frau Miya hat sie vor vier Monaten gefeuert. Die unsichtbaren Beobachter waren ihr unangenehm.“

„Verstehe …“ Das war eine seltsame Nachricht, aber ich versuchte, mir meine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. „Ich habe eine Reihe von Aufgaben für Sie. Zunächst machen Sie bitte Popori de Cacha ausfindig, die ehemalige Anführerin meiner Leibwächter, und bitten sie, zurückzukommen. Zuletzt war sie auf der Insel der Chamäleons auf Unatari, doch seitdem ist viel Zeit vergangen. Zweitens ermitteln Sie bitte, wo sich meine Cousine Katerina ton Mesfelle aufhält. Drittens stellen Sie eine Liste der wertvollsten Luxusartikel an Bord der Königin der Sünde zusammen. Viertens finden Sie heraus, wer für die Verteidigung von Unatari zuständig ist, und bringen diese Person auf der Stelle zu mir. Ich brauche einen Bericht über die aktuelle Lage. Fünftens benötige ich eine Flottenkommandanten-Uniform. Dieser alberne Aufzug ist nicht geeignet …“

„Aber Prinz Georg! Sie haben selbst angeordnet, sämtliche Kleidungsstücke zu entsorgen, die an Ihre militärische Vergangenheit erinnern, als Sie Ihren Posten als Kommandant der Flotte von Perimetersektor Acht aufgegeben haben, weil Herzog Avalle royl Anjer Ihnen mit einer Anzeige wegen unvereinbarer Berufe drohte.“

Ich war fassungslos. Man hatte versucht, mich zu demütigen, und ich hatte mich mit dem neuen Herzog angelegt und mir selbst den Rückweg verbaut. Tja, der heutige Tag steckte voller Überraschungen.

„Ayna, irgendwo auf dieser Jacht muss doch noch eine meiner Uniformen aufzutreiben sein. Wenn nötig, nehmen Sie dem Kapitän persönlich seine Jacke ab. Übrigens, fordern Sie ihn bitte auf, mich etwas später aufzusuchen. Das wäre vorerst alles. Erledigen Sie jetzt Ihre Aufträge. Obwohl … Moment! Auftrag Nummer sechs führen Sie bitte zuerst aus: Bringen Sie mir Kaffee … ich meine, ein Getränk aus gerösteten Firo-Nüssen. Wäre das möglich? Bitte in mein Büro, dort werde ich mich aufhalten.“

„Ja, mein Prinz, natürlich.“ Die junge Frau salutierte knapp und verließ den Raum.

* * *

Meine Güte! Wie ich all das vermisst hatte! Mit einer Tasse des heißen Getränks in der Hand setzte ich mich vor einen Digitalbildschirm und streckte die Beine genüsslich in der Kabine aus, die ich mir auf der Königin der Sünde einst als Büro eingerichtet hatte. Hier war mir alles vertraut, die Möbel, der Geruch, die Bilder an der Wand. Es war, als wäre ich wieder zu Hause. Auch mein Outfit war jetzt passender, denn jemand hatte eine dunkelblaue Flottenkommandanten-Uniform aufgetrieben, der allerdings die goldenen Schulterklappen und die Worte „Perimetersektor Acht“ fehlten. Das war zwar ärgerlich, aber ich würde sicherlich bald Ersatz finden.

Miya und Mr. G. I. mochten glauben, dass sie mich hereinlegen konnten. Sollten sie das nur denken! Mir blieben in diesem Spiel über sechs Monate — mehr als genug Zeit, um die aktuelle Lage zu ermitteln, meine Fehler zu analysieren und geeignete Lösungen zu finden. Bei unserem Treffen im Restaurant war ich der Wahrheitssucherin nicht gewachsen gewesen, deshalb hatte ich dem Vertrag zugestimmt, nachdem ich vorteilhaftere Bedingungen ausgehandelt hatte. Miya hatte mich so böse und gehässig angeschaut, dass ich sie nicht weiter gegen mich hatte aufbringen wollen. Ich hatte befürchtet, das Restaurant andernfalls nicht lebendig zu verlassen, denn schließlich erinnerte Miya sich noch genau an ihr Versprechen, mich in der Realität zu töten. Hier dagegen, in der Welt von Perimeterverteidigung, musste ich meine Frau nicht fürchten, sondern konnte sie sogar als Flaschengeist nutzen, der mir drei Wünsche erfüllte.

Zunächst jedoch galt es, meine Wissenslücken zu füllen. Ich brauchte dringend Informationen über alles, was in den letzten sieben Monaten geschehen war.

Als es an der Tür klopfte, saß ich gerade auf dem Bett und las mit Tränen in den Augen einen Brief, den meine Tochter mir geschrieben hatte. Sie machte mir den schrecklichen Vorwurf, ich hätte ihre Mutter auf dem Gewissen. Prinzessin Marta royl Valesy ton Mesfelle-Kyle hatte sich das Leben genommen, statt einer Scheidung von Kronprinz Georg zuzustimmen, denn nur so hatte sie ihrer Tochter die Erbfolge sichern können, die Lika bei einer rechtsgültigen Scheidung ihrer Eltern verloren hätte.

Bevor sie den Kopf in die Schlinge gesteckt hatte, hatte Marta einen Brief verfasst, in dem sie ausführlich schilderte, wie Miya sie erpresst hatte, während ihr angetrauter Ehemann ihr nicht zur Hilfe kam, sondern die Wahrheitssucherin sogar unterstützte. Kopien ihres belastenden Abschiedsbriefs gingen an das Kanzleramt des Königreichs Fastel, in die Hauptstadt von Haus Orange, an das Sekretariat des Imperators in der Thronwelt und auch an Lika in der Schule. Das war vor sechs Monaten gewesen. Seither verweigerte das Mädchen jeglichen Kontakt zu ihrem Vater und hatte seinen Namen in Likanna royl Fastel geändert, um jegliche Verbindung zum verhassten Kronprinz Georg und seiner Familie aus ihrem Titel zu löschen.

Diese skrupellose Bande! Wie ich sie hasste! Vieles an Miyas Verhalten konnte ich verstehen und entschuldigen. Und vielleicht würde ich Mr. G. I. mit der Zeit sogar seinen achtlosen Umgang mit meinem Körper verzeihen (für den ganzen Ärger, den ich ihm zu verdanken hatte, würde ich ihm allerdings ein kräftiges blaues Auge verpassen). Aber was sie Likanna angetan hatten – meiner geliebten Tochter, dem Menschen, der mir in dieser Welt am wichtigsten war, das würde ich ihnen niemals vergeben.

„Herein!“, rief ich und wischte mir rasch die Tränen ab.

„Mein Prinz, mir wurde gesagt, Eure Hoheit wollte mich sprechen“, erklärte ein mir unbekannter, kräftig aussehender dunkelhaariger Soldat in der Uniform eines Admirals der Sternenflotte von Haus Orange.