Ein Wahrzeichen für Hamburg? Spurensuche und ein Wettbewerbsbeitrag zur Gestaltung des ehemaligen Johanneums- bzw. Domplatzes (1957) - Uwe Gleßmer - E-Book

Ein Wahrzeichen für Hamburg? Spurensuche und ein Wettbewerbsbeitrag zur Gestaltung des ehemaligen Johanneums- bzw. Domplatzes (1957) E-Book

Uwe Gleßmer

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Beschreibung

An der Hamburger Außenalster bei der Sechslingspforte am Schwanenwik wurde 1958 die Skulptur von Edwin Scharff "Drei Männer im Boot" auf einem Säulensockel von Fritz Fleer aufgestellt. Zuvor hatte dieses Kunstwerk eine bewegte Vorgeschichte. Eigentlich war es von E. Scharff (1887-1955) als eine monumentale Stele auf dem Jungfernstieg geplant. Ein kleineres Gips-Holz-Modell in der Größe 1:2 wurde 1953 zusammen mit Scharffs Idee zu einer Umgestaltung des Anlegers im Sommer des Jahres in der Kunsthalle dem Publikum vorgestellt - als Entwurf "Wahrzeichen für Hamburg". Dieses ist jedoch in den folgenden Jahren nicht zu Lebzeiten von E. Scharff realisiert worden. Sehr unterschiedliche Hinweise auf die Entstehungsgeschichte der jetzigen Skulptur sind zu finden - u.a. in damaligen Tageszeitungen. Zudem haben sich aus dem Hopp-und-Jäger-Projekt neue Aspekte ergeben: - Die Architekten B. Hopp und R. Jäger (= H&J) hatten diese Skulptur in einem Entwurf vorgesehen, der im Juni 1957 für einen Wettbewerb eingereicht - aber ebenfalls nicht realisiert wurde. - An der Hauptkirche St. Jacobi war der von H&J geleitete Wiederaufbau Anfang der 1960er Jahre kurz vor dem Abschluss. Dort waren jedoch noch einige der aus der kriegszerstörten Stadt u.a. durch H&J 1943ff geborgenen kirchlichen Kunstobjekte aufbewahrt. Als Hilfskraft arbeitete u.a. ein Kunstgeschichts-Student mit B. Hopp zusammen. Beim Sichten und Prüfen der Herkunft fand sich eines der Objekte, das nicht einem der sonstigen religiösen Kontexte zuzuordnen war. Bei B. Hopp erregte es irgendwie so große Abscheu, dass es dem Studenten überlassen wurde, es zu "entsorgen". Im inzwischen hohen Alter hat dieser sich an Hamburger Institutionen gewandt, um das seitdem bei ihm verwahrte Objekt wieder nach Hamburg zurück zu geben. So ist über dieses sechs Jahrzehnte von ihm verwahrte Skulptur-Fragment wieder Kenntnis nach Hamburg gelangt. Es stellt wohl einen Steuermann dar, wie er mit gewisser Ähnlichkeit von E. Scharff u.a. 1929 für den Deutschen Künstlerbund (= DKB) in dessen Signet der "Drei Männer im Boot" überliefert ist. Eine solche Vorversion war u.a. auf den Dokumenten zu einer Ausstellung 1936 in Hamburg zu sehen, aber auch in einem Zeitungs-Artikel 1952 über Scharffs Jungfernstieg-Pläne. Doch wie ist dieses "Steuermann-Objekt" mit den Emotionen von B. Hopp und einer Vorgeschichte in Hamburg wohl verbunden gewesen?

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Zum Inhalt:

An der Außenalster bei der Sechslingspforte am Schwanenwik wurde 1958 die Skulptur von Edwin Scharff „Drei Männer im Boot“ auf einem Säulensockel von Fritz Fleer aufgestellt.

Zuvor hatte dieses Kunstwerk eine bewegte Vorgeschichte. Eigentlich war es von E. Scharff (1887-1955) als eine monumentale Stele auf dem Jungfernstieg geplant. Ein kleineres Gips-Holz-Modell in der Größe 1:2 wurde 1953 zusammen mit Scharffs Idee zu einer Umgestaltung des Anlegers im Sommer des Jahres in der Kunsthalle dem Publikum vorgestellt - als Entwurf „Wahrzeichen für Hamburg“.

Dieses ist jedoch in den folgenden Jahren nicht zu Lebzeiten von E. Scharff realisiert worden. Sehr unterschiedliche Hinweise auf die Entstehungsgeschichte der jetzigen Skulptur sind zu finden – u.a. in damaligen Tageszeitungen. Zudem haben sich aus dem Hopp-und-Jäger-Projekt neue Aspekte ergeben:

- Die Architekten B. Hopp und R. Jäger (= H&J) hatten diese Skulptur in einem Entwurf vorgesehen, der im Juni 1957 für einen Wettbewerb eingereicht – aber ebenfalls nicht realisiert wurde.

- An der Hauptkirche St. Jacobi war der von H&J geleitete Wiederaufbau Anfang der 1960er Jahre kurz vor dem Abschluss. Dort waren jedoch noch einige der aus der kriegszerstörten Stadt u.a. durch H&J 1943ff geborgenen kirchlichen Kunstobjekte aufbewahrt. Als Hilfskraft arbeitete u.a. ein Kunstgeschichts-Student mit B. Hopp zusammen.

Beim Sichten und Prüfen der Herkunft fand sich eines der Objekte, das nicht einem der sonstigen religiösen Kontexte zuzuordnen war. Bei B. Hopp erregte es irgendwie so große Abscheu, dass es dem Studenten überlassen wurde, es zu „entsorgen“. Im inzwischen hohen Alter hat dieser sich an Hamburger Institutionen gewandt, um das seitdem bei ihm verwahrte Objekt wieder nach Hamburg zurück zu geben. So ist über dieses sechs Jahrzehnte von ihm verwahrte Skulptur-Fragment wieder Kenntnis nach Hamburg gelangt.

Es stellt wohl einen Steuermann dar, wie er mit gewisser Ähnlichkeit von E. Scharff u.a. 1929 für den Deutschen Künstlerbund (= DKB) in dessen Signet der „Drei Männer im Boot“ überliefert ist. Eine solche Vorversion war u.a. auf den Dokumenten zu einer Ausstellung 1936 in Hamburg zu sehen, aber auch in einem Zeitungs-Artikel 1952 über Scharffs Jungfernstieg-Pläne.

Doch wie ist dieses „Steuermann-Objekt“ mit den Emotionen von B. Hopp und einer Vorkriegs-Vorgeschichte in Hamburg wohl verbunden gewesen?

Inhaltsverzeichnis

Notiz vorweg

1 Zum Kontext dieser Studie

1.1 Auslösender Brief

1.2 Zweiter Anlauf zur Lösung

2 Zur Vorgeschichte der Bronze-Skulptur

2.1 Gab es einen Guss Anfang der 1950er?

2.2 Rückfrage im Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm

2.3 Zur Entwicklung bzw. Rückschau bei Scharff

2.3.1 Exkurs: Literatur-Illustrationen vor dem I. Weltkrieg

2.3.2 Die weitere Entwicklung des Themas der „Drei Männer im Boot“

2.4 Details aus Unterlagen im StAHH

2.5 Ausstellungs-Eröffnung 1956

2.6 Weitere Hinweise aus Dokumenten im StAHH

2.6.1 StAHH 720-1 2_232-01 und 363-2_Eb 290

2.6.2 StAHH 131-1 II-1131

3 Zum Kontext „Hamburg 1936“

3.1 Hinweise auf eine Aufstellung in HH vor 1945?

3.2 Zwei Kunstausstellungen in Hamburg 1936

3.2.1 Exkurs zu DAF / KdF / Werkausstellungen

3.2.2 Exkurs zu Walter Hansen (1903-1988)

3.2.3 Das Signet des Deutschen Künstlerbundes

4 Recherche-Ergebnis zu Scharff als fraglichem Autor

4.1 Steuermann-Motiv in Veränderung von 1929 / 1950ff

4.2 Naturalistische Stil-Elemente in der NS-Zeit

5 Zusammenhang mit B. Hopp

5.1 Hopp & E. Scharff

5.2 Hopp & Architekt F. Streb

5.3 Hopp & H.H. Biermann-Ratjen

5.4 Hopp & DKB-Mitglieder (Fiedler, Hartmann, Mettel)

5.5 Hopp & Barlach-Plastiken (Kl. Alster, Hamm/Westf.)

5.6 Hopp & die Scharff-Schüler Fleer und Haeger

5.7 Skulptur-Platzierung 1957 - Schritt 1

5.8 Johanneum und Skulptur?

6 Zusammenfassung – Ergebnis?

6.1 Betrachtung des „Steuermann-Objektes“ - Fazit

6.2 Offene Frage zu Stilen in Scharffs Gestaltungen

6.3 Phantasie zum Ergehen des „Steuermann-Objektes“

7 Anhang I: Korrespondenz nach der Anfrage beim ESM

7.1 ESM an UG (20230913)

7.2 UG an ESM (20230914)

7.3 ESM an UG (20230915)

7.4 UG an ESM (20230916)

7.5 UG an ESM (20231016)

7.6 ESM an UG (20231017)

7.7 UG an ESM und .N.N. (20231110)

7.8 N.N. an und von UG (20231121)

8 Anhang II: Abbildungsverzeichnis

9 Abkürzungen, Archivalien und Kurztitel / Literatur

9.1 Abkürzungen

9.2 Archivalien

9.3 Kurztitel und Literatur

10 Indices zu Themen, Personen und Orten

10.1.1 Themen-Index

10.1.2 Personen-Index

10.1.3 Orts-Index (inklusive Straßen-Namen)

11 Zum Autor

12 Beiträge zum Hopp-und-Jäger-Projekt

Notiz vorweg

Die vorliegende Studie ist aus einer Materialsammlung hervorgegangen, die mir selbst und anderen nachvollziehbar machen sollte, wie ich zur Meinungsbildung zu einem bisher nicht öffentlich diskutierten oder publizierten Sachverhalt gekommen bin. Diese Materialsammlung ist im letzten halben Jahr angewachsen. Es geht um ein Bronze-Objekt (weiter unter als „Steuermann-Objekt“ bezeichnet), von dem erst vor wenigen Jahren wieder Kenntnis nach Hamburg gelangt ist. Irgendwie hängt es mit meiner entstehenden Ausarbeitung zur Biographie von Bernhard Hopp (Teil II) zusammen und hat mich deshalb angestachelt, den Sachverhalt weiter zu ergründen.

Zu Anfang der 1960er Jahre hatte ein Studierender in Hamburg als Hilfskraft mit Hopp zusammen gearbeitet und 60 Jahre später vom o.g. Bronze-Objekt berichtet sowie vom Zusammenhang mit Hopp. In einer mit drei Fotos versehenen Mail schrieb er am 1.10.2020 an das Museum für Hamburgische Geschichte (= MHG) – mit der Frage nach genauerer Herkunft. Das MHG leitete die Mail an das Denkmalschutzamt und andererseits an den Kunsthistoriker H. Hipp.

Von den beiden Letztgenannten ist die Mail dann einen Monat später an mich gelangt, aber meine Antwort nicht zurück an den ersten Absender. Das passierte erst im August 2023 mit dem Hinweis auf meine Vermutung, dass wohl ein Zusammenhang bestünde mit der von B. Hopp für seinen Wettbewerbs-Vorschlag zum Johanneums-/Domplatz „wiederverwendeten“ Skulptur der „Drei Männer im Boot“. Das war damals eine vage Vermutung, die für gestandene Kunstgeschichtler aber wegen der stilistischen Unterschiede als sehr gewagt erscheinen musste. – Allerdings ist in der Vergangenheit in der Betrachtung von Scharffs Werk manches nicht bedacht worden – und die Verwendung im Kontext des o.g. Wettbewerbs (1957) ist gar nicht bekannt gewesen. Ebenso war und ist im Blick auf die Frage nach der Scharff-Kunst in der NS-Zeit vieles unbekannt und unbeleuchtet geblieben. Aus dem Fundkontext des „Steuermann- Objektes“ unter den aus der bombenzerstörten Innenstadt geborgenen Kunstobjekten war eine solche NS-zeitliche Entstehungssituation immerhin als denkbar und naheliegend zu überprüfen.

Allerdings zeigte sich bei meiner weiteren Nachforschung zu dem über die Hopp-Perspektive sich ergebenden Kontext auch eine weitere Erklärungsnotwendigkeit – nämlich: einerseits wollte Hopp ca. 1960 dieses Objekt „loswerden“, andererseits war er einer, der 1943ff Kunstobjekte unter Mühen bewahrt hatte. Wie könnte er zu diesem Objekt einerseits und andererseits auch zur Scharff-Skulptur für den Johanneums-/Domplatz 1957 gekommen sein? Die Werkübersicht einer Göttinger Dissertation von 1994 bot für die Vorgeschichte zwar Anhaltspunkte, doch blieben Fragen zu klären. – Disziplinen mit historischem Anspruch benötigen Rekonstruktionen von örtlichen und persönlichen Zusammenhängen, um Lücken zu schließen. Das betrifft Hamburger Themen nach 1945 ebenso wie davor über die Kunstausstellungen 1936 in Hamburg und Mitglieder des Deutschen Künstlerbundes (= DKB). Dessen Signet (s.u. S. → Abb. 34: DKB Mitgliedskarte 1935) hatte Scharff 1929 (mit Steuermann) entworfen. Anfang der 1950er ging es um die DKB-Wiedergründung. War das Signet-Motiv (mit Steuermann) ähnlich für ein „Hamburger Wahrzeichen“ zu verwenden? Wie wurden daraus stehende „Drei Männern im Boot“?

So sind zahlreiche neue Fragen aufgetaucht und einige Lösungs-Phantasien zusammengetragen, für die zuerst die Lektüre des zusammenfassenden Kapitels 6 – vor den Einzelnachweisen – zu empfehlen ist. – Meine Meinung ist dabei nicht unbestritten (auch bei dem o.g. ehemaligen Studierenden, der nicht genannt werden möchte; siehe dazu N.N. in den dokumentierenden Mail-Wechseln und Bezugnahmen). Trotz der respektablen Meinungsunterschiede erscheinen mir die Beobachtungen und Dokumentationen zum zeitgeschichtlichen Kontext jedoch weiter bedenkenswert zu sein.

Und so wage ich, diese auch öffentlich zugänglich zu machen. – Die von mir zusammengetragenen Sachverhalte sind einerseits ergänzend gedacht für eine Rekonstruktion rings um die „Drei Männer im Boot“, die von einigen als „Hauptwerk“ des Bildhauers Edwin Scharff betrachtet werden. Andererseits werfen die Rückfragen nach dieser ehemaligen „Hamburgensie“ neues Licht auf den Umgang mit künstlerischen Denkmalen – in der Phase des hamburgischen Wiederaufbaus nach 1945 ebenso wie auf dessen Vorgeschichte in der NS-Zeit und darüber hinaus auf die Entwicklungen seit Anfang des 20. Jahrhunderts.

Aus meiner Ausbildung kann ich weder kunstgeschichtliches Spezialwissen noch solches aus der profanen Historie der Neuzeit einbringen. Vielmehr waren Texte aus der mediterranen Antike im Umfeld biblischer Überlieferung meine Forschungsgegenstände, aber auch Artefakte und die Kulturentwicklungen rund um die Fragen kalendarischer Grundlagen bildeten einen Schwerpunkt. – Diese erscheinen auf den ersten Blick als weit entfernt zur Lokalgeschichte Hamburgs und künstlerischen Details der Moderne. Bisher sind diese Arbeitsfelder hauptsächlich in den letzten 10 Jahren stärker in mein Blickfeld geraten und bilden als „Ruhestands-Hobbies“ eine Herausforderung. – Doch zeigt sich auch in diesem Milieu, dass der Blick aus anderen Perspektiven und Zugangsweisen Lücken schließen kann, die die jeweiligen Fachwissenschaften nur teilweise wahrnehmen, weil vorgeprägte Sichtweisen dominieren.

Auch andere Leserinnen und Leser werden nicht alle Details aus den verschiedenen Wissens-Sparten der Örtlichkeiten in Hamburg, der Lokal- und Personen- und Kunstgeschichte schon vor ihrem inneren Auge haben. Ich setzte diese nicht als allseits bekannt und selbstverständlich voraus. Vielmehr erscheint es mir, dass auch vorgegebene Mehrheitsmeinungen als in Frage stehend zu betrachten sind, solange nicht Abwägungen zu anderen Sichtweisen eine höhere Plausibilität nahelegen. Erst im politisch-historischen Kontext von Meinungspluralität können Deutungen als mehr oder weniger wahrscheinlich betrachtet werden.

Diese eher prinzipiellen Überlegungen führen zum Stichwort „Kultur-Krimi“. – Diese Beschreibung für eine erste weitergegebene Textfassung stammt von meinem Freund und Kollegen Emmerich Jäger. Aus dem Nachlass seiner Familie war unser fragmentarisches Wissen um den H&J-Wettbewerbsentwurf für den Johanneums- / Domplatz überhaupt erst gegeben: Denn die im Hamburger Architekturarchiv von uns 2015 eingescannten Foto-Negative (des Fotographen W. Lüden) bildeten die beschränkte Quellen-Basis. Die digitalen Ansichten und Vergrößerungen vom Modell für den eingereichten Beitrag erlaubten es, ein wesentliches Detail zu erkennen: die Stele mit der Skulptur „Drei Männer im Boot“. Für sie existierte jedoch keine nähere Erläuterung. Dass sie mit der Geschichte der Jungfernstieg-Umgestaltung 1952/1953 und mit Edwin Scharff (= ES) etwas zu tun hätte – und wie der Kontext möglicherweise zu rekonstruieren sei – brachte ihn am 19.10.2023 zur Reaktion auf meine

„… Spurensuche in Sachen Hopp und ES. Sie gleicht einem ‚Kultur-Krimi‘ …“

Diesen Formulierungsvorschlag nehme ich dankend auf! Denn für mich hat sich das Suchen nach Spuren wirklich spannend gestaltet. Zwar sind die Sachverhalte nicht „kriminalisch“. Aber die Fragen sind ähnlich: Was ist die Tatzeit gewesen? Wer hatte welches Motiv? Welches Instrumentarium wurde genutzt? Wer könnte wann Gelegenheit im Zugriff auf den fraglichen Gegenstand gehabt haben?

Gerade die überlieferten Datierungen zeigen manche gravierenden Widersprüche und Vorurteile in Bezug auf beteiligte Personen. Folglich herrschen große Unsicherheiten in der Deutung der Fakten. Ich kann mich deshalb nur bei denjenigen bedanken, die sich die Zeit genommen haben, meine Versuche zur Aufklärung kritisch zu lesen. Gerade für diejenigen vom Fach, war die Lektüre bestimmt eine besondere Herausfordeung. Deshalb danke ich besonders dem ehemaligen Studierenden N.N., der lieber nicht im Kontext meiner Hypothese genannt werden möchte. Ebenso gilt mein Dank Frau Dr. H. Gutbrod vom Edwin-Scharff-Museum, die trotz schwieriger Arbeitsbedingungen sich Zeit für Kritik und weiterführende Hinweise und Materialien genommen hat. Ebenfalls bin ich dem Ehepaar S. Haustein und B. Biella vom Museum St. Laurentius sehr verpflichtet, die mich weiter auf die Spur gebracht haben, was vor allem die KdF-Werkausstellungen angeht. Und eine spezielle Freude ist es mir, dass ich mit der Autorin Helga Jörgens-Lendrum mich austauschen konnte, die das grundlegende Werk verfasst hat:

„Der Bildhauer Edwin Scharff (1887-1955) - Untersuchungen zu Leben und Werk. Mit einem Katalog der figürlichen Plastik“

Sie hat mir dieses in maschinen-lesbarer Form zur Verfügung gestellt, so dass ich es nochmals ganz in Ruhe studieren und manche meiner Defizite auffüllen sowie nach Details suchen konnte. Ich wünschte mir, Ihre enorme Arbeit wäre nicht nur als Dissertationsdruck von 1994 verfügbar, und ich hätte meine Spurensuche mit diesem Hilfsmittel starten können. Denn diese Forscherin präsentiert das Œvre Schraffs und den Kontext fast umfassend – bis auf natürlich den H&J-Wettbewerbsentwurf 1957 mit der Scharff-Skulptur. Den konnte sie nicht kennen.

Ich bemühe mich deshalb darum, Texte und deren Deutungsprobleme möglichst mit Anschauung zu verbinden. Das kann nicht umfassend geschehen, zumal bei Bildrechten Grenzen gesetzt sind, die ich nicht verletzen möchte. Doch lässt sich kaum aus textlichen Beschreibungen allein ableiten, ob Bilddeutungen als angemessen erscheinen. Ebenso kommen für lokale Gegebenheiten ohne Anschauung vom (z.T. früheren) Aussehen der Örtlichkeit oder vom Betrachtungsobjekt wenig nachvollziehbare Aussagen zustande.

Durch das Internet bestehen jedoch zahlreiche Möglichkeiten, auch ältere Fotos, auf denen textlich Meinungsäußerungen beruhen, zu recherchieren. Für viele Details reichen häufig Ausschnitte aus Abbildungen aus, ohne diese im ganzen reproduzieren zu wollen. In anderen Fällen sind Deutungstext und Bildvorlage sachlich so stark miteinander verbunden, dass ein Textzitat allein nicht die Intention der Bezugnahme widergeben könnte. Z.T. liegen auch Digitalisate vor, für die eine Bindungsfrist nicht mehr existiert und Kopien gemeinfrei zu verwenden sind.

Durch die Unterstützung des Edwin-Scharff-Museums in Neu-Ulm und deren Direktorin, Frau Dr. G. Gutbrod, habe ich dankenswerter Weise auch acht digitale Kopien zur Entwicklung des Themas „Drei Männer im Boot“ erhalten. Für diese hat die „Nachlassgemeinschaft Scharff“ die Bildrechte. Davon habe ich zwei im Text unten verwendet und dafür von der Verwertungs-Agentur VG-Bildkunst am 1.12.2023 die Erlaubnis zur Nutzung in dieser Publikation erhalten.

Falls von anderen Abbildungen, deren Urheber ich nicht angemessen benannt haben sollte bzw. kontaktieren konnte, diese(/r) sich in ihren Rechten verletzt fühlen sollten, so ist das nicht beabsichtigt. Ich bitte um entsprechende Benachrichtigung.

Uwe Gleßmer, Januar 2024

1 Zum Kontext dieser Studie

Zwei Anfragen kamen bei mir am 5.11.2020 mehr oder weniger parallel an: Ein Telefonanruf von dem Kunsthistoriker Hermann Hipp und eine Mail von Herrn Kleineschulte vom Denkmalschutzamt. Beide nahmen mit mir Kontakt auf, weil es um ein Thema ging, das an sie herangetragen wurde und das irgendwie mit Bernhard Hopp zusammenhängt. Aber mit den jeweiligen „Bordmitteln“ der beginnenden Corona-Zeit war das unten zu schildernde Problem nicht zu lösen. Da beide vom Hopp-und-Jäger Projekt wussten1 und wir uns u.a. daher kannten, hatten sie mir eine „Kettenmail“ weitergeleitet, die über mehrere Zwischenstationen auf einen ehemaligen Studierenden der Kunstgeschichte in Hamburg (Jg. 1937) zurückgeht. Dieser schildert darin ein Problem mit einem künstlerischen Bronze-Objekt, das er von seiner Studienzeit in Hamburg zu Beginn der 1960er Jahre an bis in sein inzwischen hohes Alter bewahrt bzw. „mitgeschleppt“ habe, wie er selbst zuletzt schrieb.

1.1 Auslösender Brief

Hier jedoch erst einmal die Fragen und das Thema von Anfang an:

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: <… N.N. snip>

Gesendet: Donnerstag, 1. Oktober 2020 21:54

An: Info(MHG) <[email protected]>

Betreff: [EXTERN].

Sehr geehrter Herr …, ich wende mich an Sie wegen einer "Hamburgensie" in meinen Besitz,

die ich gerne Hamburg zurückgeben möchte. Um zu erklären, wie ich dazu kam, muss ich

etwas weiter ausholen.

Ich bin Kunsthistoriker und bis zu meiner Pensionierung Leiter <… snip>. Ich studierte seit 1960 in Hamburg <… snip>. Ich verdiente mir das Studium zum größten Teil durch Jobben, zunächst in Fabriken etc., dann auf kunsthistorischem Gebiet.

Dadurch lernte ich den Architekten Hopp kennen, der die Hauptkirche St. Jacobi renovierte, bzw. neu baute. Herr Hopp gab mir die Aufgabe, die seit dem Krieg notdürftig, unübersichtlich, sehr verschmutzt in einem Raum in der Kirche zusammengestellten Kunstwerke der verschiedenster Art – liturgische Objekte, Plastiken, Papierarbeiten, Bilder etc. – zu sichten, zu inventarisieren, um sie dann zu einem Restaurator zu bringen, sie für den Kirchenraum oder eine Kapelle verwenden zu können oder letztendlich in einer Ausstellung zu zeigen. Das war im Jahr 1962 /63, wenn ich mich recht erinnere. Ich war noch sehr jung, tat mein Bestes, lernte sehr viel dabei, Herr Hopp war ein großartiger Lehrer in allen praktischen Dingen.

Unter den Kunstwerken fand sich dann auch die im Anhang in Fotos mitgeschickte Bronzeplastik, die in der damaligen Zeit höchste Abscheu erregte. Sie gehörte sicherlich nicht zu den Kunstwerken der Kirche, die den Bombenbrand mehr oder weniger beschadet überdauert hatte. Niemand – weder die Verantwortlichen der Kirche, ob Geistlichkeit oder Verwaltung, noch Herr Hopp und seine Mitarbeiter – , niemand wollte das Stück haben, bzw. behalten, es sollte weg. Wie, wurde mir anheim gestellt und ich brachte es nicht fertig, die Plastik zu entsorgen, wie man heute sagen würde. Also fragte ich die verschiedensten Verantwortlichen, ob ich die Plastik dann zu mir nehmen könnte, wogegen niemand etwas hatte. (An eine schriftliche Bestätigung dafür dachte natürlich niemand: Sooooo wichtig war die Sache nun auch nicht.) So transportierte ich die Plastik mit einigen Schwierigkeiten mit dem Fahrrad nach Barmbek in die Stockhausenstr. 1, wo ich damals wohnte und sie begleitete mich durch meine gesamte Berufszeit, durch alle Bundesländer, Städte, Jahrzehnte.

Ich versuchte damals zu ergründen, woher sie wohl stammte und jemand, ich glaube es war Herr Hopp, sagte, sie stamme wohl vom Gewerkschaftshaus in der Mön[c]kebergstr., aber meine Tante, eine eingesessene Hamburgerin, sagte, dort habe es nie ein Gewerkschaftshaus gegeben und auch ich kenne nur das hintern ZOB.

Wie dem auch sei. Ich würde die Plastik gerne nach Hamburg zurückgeben, kann mir aber nicht denken, dass die Kirche St. Jacobi der rechte Ort ist und habe mich deswegen an Sie bzw. Ihr Museum gewandt.

Dass ich nichts dafür haben will, ist selbverständlich und auch der Transport dürfte für Sie kostenlos sein, denn mich besuchen meine Neffen und Nichten aus Hamburg mitunter per Auto und könnten das Stück dann mitnehmen.

Mit vielen Grüßen Ihr N.N.

Zu dieser Mail gehören die folgenden drei Fotos:

Abb. 1: Objekt frontal (N.N.)

Abb. 2: Objekt links (N.N.)

Abb. 3: Objekt hinten (N.N.)

Nachdem ich diese Bilder angesehen hatte, konnte ich den beiden Anfragern nur kurz am 5.11.2020 antworten:

Lieber Herr Hipp, lieber Herr Kleineschulte, nochmals vielen Dank für die Informationen zu dem Vorgang um die Bronzeskulptur auf den Fotos. - Leider habe ich bisher noch nichts ähnliches gesehen - auch nicht in den Fotoalben der 2015 verstorbenen Gisela Hopp.

@ Lieber Herr Kleineschulte: Habe ich eigentlich ein Exemplar von dem Band "Der Nachlass der Kunsthistorikerin Dr. Gisela Hopp und das Bild 'Mühlenbarbeck' von Heinrich Stegemann - das Geburtshaus von J.H. Fehrs und die 'frühe Fehrs-Propaganda'" Ihnen zum Denkmalschutzamt gebracht?

@Lieber Herr Hipp: die Skulptur, die mir vorhin am Telefon im Zusammenhang mit Hopp einfiel war die der drei Männer im Boot. Dazu steht in den einschlägigen Büchern (S. 431), der Name von Edwin Scharff und das Jahr 1953. - In meiner Erinnerung war es mit Hopp's Aktivitäten verbunden, der dafür gesorgt hätte, dass eine (? diese) Skulptur aus der zerstörten Stadt einen neu[en] Platz gefunden hat. Aber ich finde nicht so schnell die Referenz. - Vielleicht im Denkmalschutzamt schneller...? Vielleicht gehörte ursprünglich ein Steuermann hinzu? Und Sch[a]rff hat aus dem Kriegsrelikt nur das Motiv / Thema übernommen?

Es arbeitet in mir - und ich hoffe, die Sache klärt sich noch weiter. Ihnen beiden liebe Grüße Herzlichst Uwe Gleßmer

Im Nachgang dazu konnte ich nach etwas Besinnung zwar noch nicht das Hopp-Zitat liefern, das ich immer noch nicht gefunden habe, aber am 8.11.2020 aus den Unterlagen zum H&J-Projekt Fotos von Entwürfen zur Gestaltung des Domplatzes mit der Mail senden – wie folgt:

Lieber Herr Kleineschulte, lieber Herr Hipp!

Ich habe noch nicht die Lösung für die Fragen von Herrn N.N., sondern eher noch mehr Rätsel. Und zwar hatte ich auf die Frage von Herrn Hipp nach Skulpturen im Zusammenhang mit Hopp am Donnerstag nur eine Sache in Erinnerung - nämlich die "drei Männer im Boot", zu denen ich irgendwo gelesen hatte, dass Hopp für eine in der zerstörten Stadt gefundene Statue schließlich dafür gesorgt hätte, dass sie einen neuen Ort gefunden habe. - Im Zusammenhang mit dem Wettbewerb zum Domplatz von 1959 haben H&J einen Vorschlag eingereicht, der auf einer Stele das zeigt, was heutzutage an der Schwanenwik / Sechslingspforte auf einem hohen Sockel zu sehen ist:

Domplatz-Wettbewerb 1959:

HAA_Jäger_Lüden_N011.2861_(1152).jpg (Detailsicht der Drei )

HAA_Jäger_Lüden_N011.2861_(1153).jpg (mit Wettbewerbsnummer 9803)

Dazu gibt es noch mehr Fotos aus verschiedenen Perspektiven, die wir [Emmerich Jäger und UG] 2016 im HAA gescannt haben. Eigentlich müsste es irgendwo ja auch noch die eingereichten Unterlagen geben.

Was mich wundert, ist die Angabe der Jahreszahl 1953 zu dieser Skulptur, die als Werk von E. Scharff benannt ist, wie ich sowohl bei Hipp (1990^2) S. 431 als auch bei Bruhns (2013^2) S. 391 gefunden habe.

Wofür hätte Scharff 1953 diese Bronze geschaffen? - Und wieso hätten Hopp&J diese 1959 auf dem Domplatz platzieren wollen?

Mir scheint wahrscheinlicher, dass es sich tatsächlich um einen Fund handelt, der aus der Umgebung der Jacobi-Kirche dorthin 1943 verbracht wurde (wie auch aus den Notizen von Herrn N.N. als Annahme hervorgeht). Könnte nicht das Johanneum/Bibliothek auf dem Domplatz als Ursprung in Frage kommen? Ähnlich wie Herr N.N. später die Skulptur per Fahrrad transportiert hat, könnte jemand sie (als Wertgegenstand) aus den Trümmern geborgen(/entnommen) haben, als dieser Gebäudekomplex zerstört wurde. Mit dem Johanneum/Bibliothek und den Details zum Domplatz habe ich mich noch nicht weiter beschäftigt, außer Hopps berühmter Foto-Montage-Skizze in der Baurundschau 1947. Aber in der Broschüre über den Domplatz habe ich leider auch kaum etwas über die Bibliothek in der NS-Zeit gefunden. Gab es dort im Innenhof vielleicht eine Statue?

Für Scharff wird zwar in Bezug auf seine Werke aus den 1920er Jahren die Diffamierung als 'Verfemte Kunst' in der NS-Zeit meist angeführt; aber er war ja zuvor auch von 1933-1938 anscheinend PG. Diese Zeit könnte ihn zu einer Skulptur wie der auf den Fotos von Herrn N.N. gebracht haben. - Das Thema der Männer im Boot hatte er anscheinend schon 1929 bearbeitet - und auch später mehrfach. 1929 war auch ein Steuermann dabei.

Meine Vermutung ist, dass vielleicht die Figur von Herrn N.N. (mit einem Steuer-Paddel mit T-Griff in der Hand) zu dem Boot der drei Männer gehörte. - Das Staatsarchiv scheint Unterlagen zu der Sache zu haben (frühestes Datum - nach der Datenbankrecherche ist dort wohl 1958 für ein Foto) - und Verweis auf den Sockel von Fleer, der nach Scharffs Tod 1955 dazu gekommen ist. Vielleicht gibt es darin genauere Details über die Provenienz... Fleer und Hopp haben verschiedentlich in der Zeit zusammengearbeitet.

In den Unterlagen von R. Jäger finden sich auf Seite 103 [A006/ 103: 5. Akte Bebauung Domplatz Hamburg, Wettbewerb, Modellfotos, Foto: Lüden] einige der zum Wettbewerb angefertigten Lüden-Fotos (wie oben). Leider ist dort keine textliche Beschreibung zum Wettbewerb gegeben, soweit ich mich erinnere.

Vielleicht wusste Hopp mehr zur Herkunft des Bronze-Teils, dass er es so abgelehnt hat, wie Herr N.N. schreibt? Die Skulptur auf dem Ohlsdorfer Friedhof 'Charonsnachen' von Gerhard Marcks ist wohl 1952 fertig geworden. Dafür gab es m.W. einen Wettbewerb. War Scharff evtl. daran beteiligt - und gibt es dazu Unterlagen?

Soweit die Dinge, die mir von zu Hause zugänglich sind. Da ich auch zur Risikogruppe gehöre, werde ich z.Z. nicht weiteren Spuren außerhalb nachgehen können. Aber vielleicht sind die Vermutungen trotzdem für professionelle Kunsthistoriker nicht ganz nutzlos.

Ihnen beiden einen guten Start in die Woche Herzlichst Uwe Gleßmer

PS.: Fühlen Sie sich frei, ggf. die Mail auch an Involvierte weiterzuleiten

Dazu hatte ich die folgenden Abbildungen aus dem Wettbewerb für den Domplatz beigefügt (und kann die Fertigstellung inzwischen mit Hilfe von Hopps Tagebuch auf den 1.6.1957 datieren):

Abb. 4: HAA_Jäger_Lüden_N011.2861_(1152)

Abb. 5: HAA_Jäger_Lüden_N011.2861_(1153)

Dazu die oben in der Mail erwähnte Bearbeitung des Themas von 1929

Abb. 6: Plakat DKB 1929 (MKG)

Quelle: www.bildindex.de

bzw. Original

Museum für Kunst und Gewerbe

InventarNr E 1964.287

Plakat-Druck zur Ausstellung des Deutschen Künstler Bundes 1929

Dazu ebenfalls die genannte Bild-Collage aus Hopps Beitrag in der Baurundschau 1947 S. →, die auch von J. Grolle in seinem Beitrag zum Domplatz2 reproduziert wurde:

Abb. 7: Baurundschau 1947 (StAHH 364-10_32)

Dieses Foto stammt aus einem Exemplar der Akte zu Hopps Tätigkeit als Komm. Denkmalpfleger 1945-1950 im StAHH (364-10_32 „Bericht über denkmalpflegerische Probleme beim Wiederaufbau 1947-1948“; S. →), wo auch diese Nr. der Baurundschau abgelegt war. Es dokumentiert Hopps besonderes Interesse am Domplatz und Johanneums/Stadtbibliotheks-Gebäude.3

Doch haben meine Vermutungen von damals bisher nicht wirklich einen Nutzen gebracht. Herr Kleineschulte antwortete dazu am 27.11.2020:

Lieber Herr Gleßmer,

erneut vielen Dank für Ihre Überlegungen und Hinweise in dieser Sache! An den Zusammenhang der Figur mit den Drei Männern im Boot mag ich nicht so recht glauben, denn sie wäre zu klein und viel zu realistisch gegenüber den sehr großen und abstrahierten Figuren von Scharff. Auch passt der Griff nicht so gut zu einem Paddel, und die Position eines Paddels zwischen den Beinen des Knieenden finde ich nicht wahrscheinlich. Aber vielleicht bringt der Hinweis auf das Johanneum neue Erkenntnisse; dem nachzugehen ist sicher lohnenswert.

Herzliche Grüße und bleiben Sie gesund (bei dem Wüten der Pandemie mag ein so platter Wunsch erlaubt sein)

Stefan Kleineschulte

Der realistische Stil im Vergleich zu den späteren drei Männern hat mich natürlich nachdenklich gemacht, weniger das Argument mit dem Griff. Denn es geht ja um ein Steuer und nicht einfach nur um ein Paddel (das übrigens heutzutage auch ein parallel zum Blatt zweckmäßig anfassbaren Griff hat). Doch wie passt das alles zusammen? Wäre 1953 die Nutzung eines realistischen Stils nicht als Ausdrucksmittel zu erwarten? Aber wann dann? – Die Vermutung der Herkunft aus dem zerbombten Hamburg lag ja für das Objekt in der St. Jacobi-Sammlung auch aufgrund der Zerstörung an der linken Schulter der Figur nahe, wie sie das Foto „hinten“ zeigt.4 Die Erkundigungen und von N.N. genannten Informationen zu einer Provenienz „vom Gewerkschaftshaus in der Mön[c]kebergstr“, schienen nach dem Hinweis der Tante von N.N. zum Gebäude am ZOB bzw. am Besenbinderhof hinfällig.

1.2 Zweiter Anlauf zur Lösung

Der Einwand der Tante war zwar teils einleuchtend, doch teils auch unhistorisch. Denn „Gewerkschaften“ in diesem Sinne gab es 1933-1945 ja nicht mehr. Statt dessen gab es die „Deutsche Arbeitsfront“ (= DAF, mit der ich mich in dem anderen Zusammenhang des H&J-Projektes und der Rstaurierung der Kirche St. Nicolaus 1938 beschäftigt hatte.)5 – Da sich auch mit der zeitlichen Angabe 1962/1963 bei N.N. eine Spannung zu meinem Wissen ergab, suchte ich nach weiterer Klärung. Denn 1963 lag ja zeitlich nach dem Zeitpunkt von B. Hopps Krankheit und Tod am 18.9.1962. So lag mir an einem direkten Kontakt zu dem Zeitzeugen. Da ich auch nicht sicher war, ob N.N. die o.g. „Kettenmail“ mit den Antwortversuchen aus dem „Ersten Anlauf“ erreicht hätten, war diese Mail und dazu zwei der oben bereits abgebildeten Fotos (zum H&J Domplatz-Entwurf und dem „Künstlerbund“-Plakat-Druck von 1929) sowie das folgende beigefügt:

Abb. 8: Drei Männer im Boot (Wiki)

Quelle:

Wikicommons von der Statue an der Sechslingspforte in Hohenfelde

„800px-Hamburg-aussenalster-edwin-scharff-dreimaenner-im-boot“

(https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Edwin_Scharff?uselang=de)

Angaben zu Fotos im StAHH gaben als frühestes Datum 12/1958 sowie eine Entstehung 1955 an.6

Auf den Web-Seiten des Edwin-Scharff-Museums in Ulm fand ich leider keine weiteren Details zur Genese dieses erst posthum aufgestellten Werkes, obwohl in dem Wikipedia-Artikel über den Künstler für dieses Werk und auch die Zeitangabe sich diese bereits mit auf 1952 bezieht. Auch von einem Zweitguss ist berichtet:

„1952/1953: Drei Männer im Boot, Erstguss in Hamburg, Außenalster; Zweitguss in Neu-Ulm, Rathausplatz“

So hoffte ich, dass ggf. Herr N.N., der zeitlich nahe zu einem Event der Aufstellung am Schwanenwik Zeitzeuge war, für meine Vermutung der ehemaligen Zusammengehörigkeit des Skulptur-Fragments weitere Aufklärung geben könnte. Am 7.8.2023 habe ich ihn persönlich per Mail angeschrieben:

Sehr geehrter Herr N.N.,

sehr gern würde ich versuchen[,] mit Ihnen in einen direkten Austausch über die Dinge [zu] kommen, die [S]ie vor fast drei Jahren per Mail berichtet hatten (dazu unten der Mailwechsel und deren Anfang durch Sie vom 1.10.2020):

snip >> Ich bin Kunsthistoriker … <<

Der Schluss-Satz mit dem ‚Gewerkschaftshaus‘ in der Mönckebergstraße hat mich u.a. verblüfft, weil ja in der NS-Zeit nur die DAF ‚gewerkschaftlich‘ tätig war. Vielleicht hat B. Hopp damals diese Bezeichnung gemieden. Mir ist es zwar noch nicht gelungen, eine DAF-Filiale (Mönckebergstraße) außer der Zentrale im heutigen DAG-Haus am Carl-Muck-Platz ausfindig zu machen. Mir scheint aber immerhin es von Interesse zu sein, die Spur weiter zu verfolgen. Haben Sie möglicherweise noch weitere Informationen zu Hopp und der Liste der Kunstwerke aus dem St. Jacobi-Raum?

Falls es Ihnen nicht zuviel Mühen bereitet, würde ich mich freuen, wenn wir direkten Kontakt aufnehmen könnten.

Herzlichst U. Gleßmer

Die Antwort am folgenden Tag ließ zum Glück nicht lange warten und hat mich weiter motiviert:

Sehr geehrter Herr Gleßmer, das freut mich sehr, dass meine damalige Mail nicht ganz untergegangen ist.

Die Plastik steht immer noch bei mir und ich hoffe auf einen jüngeren Verwandten, [d]er sie nach Hamburg mit nimmt.

Allerdings kann ich Ihnen nicht weiter helfen. Die Plastik war das einzige Werk, was nicht zur Kirchenausstattung bzw. Kirchenbesitz gehörte. Alles was ich damals schriftlich aufgenommen habe, gab ich Herrn Hopp und /oder der Kirchenverwaltung. Ich habe nichts mehr an Listen oder Ähnlichem – soweit ich w[eiß]. Allerdings habe ich meine „gesammelten Schriften“, d.h. alles, was mir aus meiner Studien – , Volontär - und Berufszeit erhaltenswert vorkam, bis hierher mitgeschleppt und vernichte es so allmählich, damit mein Sohn nicht zu viel Gruscht vorfindet. Falls sich da noch etwas findet, werde ich mich an Sie wenden.

Falls Sie etwas über den Ursprungsort der Plastik herausfinden, bitte schreiben Sie es mir. Mit vielen Grüßen Ihr N.N.

Am nächsten Tag habe ich mich also bedankt und den bisherigen Erkenntnis- bzw. Stand der Vermutungen an N.N. gemailt:

Lieber Herr N.N.,

haben Sie vielen Dank für die prompte Antwort. – Ich war nicht ganz sicher, wie weit Sie die Kette von verschiedenen Mails auch wieder zurück erreicht hat, die damals 2020 durch Ihre Anfrage ausgelöst wurde. Ich hatte eine gewisse Vermutung, dass der Teil der Plastik, von dem Sie die Fotos gesandt hatten, möglicherweise der Steuermann in einer Charon-Darstellung gewesen sein könnte. Denn Hopp hatte in einem Wettbewerbs-Entwurf für den Domplatz […] eine Stele vorgesehen, auf der drei Männer mit langen Stangen ein Boot bewegen. Es handelte sich um dieselbe Plastik von Edwin Scharff, die dann 1959 (also posthum) ihren Platz an der Sechslingspforte erhalten hat. Bei meinen laienhaften Nachforschungen zu Scharff hatte ich wahrgenommen, dass er das Charon-Motiv aber mit Steuermann bereits 1929 verarbeitet hatte (allerdings nur für ein Plakat). Zudem hatte ich eine Bemerkung von Hopp gelesen, dass er (sinngemäß) zur Aufstellung 1959 gemeint hätte, dass damit jetzt ein guter Platz endlich gefunden sei. Meine Idee aus ihren Bemerkungen zu Hopps Haltung (1960ff) war, dass nach der Aufstellung ein Steuermann auch nicht mehr nötig sei – und dass die drei Männer allein (wie in seinem Domplatz-Entwurf) als Scharff-Andenken in Hamburg reiche.

Meine Vermutung war, dass es eine NS-zeitliche Vorphase zu der vollständigen Plastik gegeben haben könnte (vielleicht im Zusammenhang mit dem alten Johanneums-/Bibliotheks-Gebäude am Speersort), dessen nach den Bombenangriffen erhaltene Rundbögen ja zu Hopps Bedauern nach dem Krieg gesprengt wurden. Das könnte die Plazierung im Domplatz-Entwurf motiviert haben. Ich habe aber leider noch keine weitere Spur; - auch zum Wettbewerb um Ausstattung des Denkmals in Ohlsdorf habe ich noch keine Unterlagen; dort hat dann ja die Charon-Thematik von Marcks gewonnen. Ob und wie allerdings eine wohl fertige Plastik von Scharff 1952/3 dazu passen könnte, dazu reicht meine Phantasie noch nicht aus.

Etwas beschwiegen wird ja die NS-zeitliche Position von Scharff. Hat er evtl. die Skulptur für eine besondere Situation in Hamburg bereit gestellt? Etwa 1936 für den „Weltkongreß für Freizeit und Erholung" organisiert von der Behörde für „Schönheit der Arbeit“ (KdF bzw. DAF)? (1937 hat er ja dann für die Reichsausstellung „Schaffendes Volk“ gewirkt. Das würde zu einer solchen Vermutung passen.) – Aber bisher habe ich noch keine Zeitungsnotiz oder ähnliches gefunden. Also bleibt alles bisher im Dunkel…

Vielleicht findet ja Herr Hipp dazu noch etwas – oder Sie stoßen in Ihren alten Aufzeichnungen unerwartet auf einen Zusammenhang. Ich selbst bin zwar 15 Jahre jünger, doch merke ich bei der Durchsicht meiner alten Materialien, wie viel mir doch entfallen ist von dem, was ich mal wusste.

Ihnen nochmals vielen Dank für die nette und prompte Antwort Herzlichst Uwe Gleßmer