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Eine der Kirchen, die von Hopp und Jäger (=H&J) in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, ist die im Alstertal in Klein-Borstel gelegene Kirche Maria-Magdalenen (=MM). Wie die anderen in dieser Zeit und Region von H&J gebauten Gotteshäuser zeigt sie viele Elemente eines gemeinsamen Stils, der Besuchern dieser Kirchen sofort ins Auge fällt. Sowohl im Neubau der Lutherkirche in Wellingsbüttel (1937), dem Um- und Erweiterungsbau St. Lukas in Fuhlsbüttel (1938) als auch in der Renovierung der St. Nicolaus-Kirche (1938) finden sich markante Balken-Inschriften und farblich abgestimmter Kassetten-Schmuck an Holzteilen der Emporen und Türen, kleine Glasfenster in Abtrennungen und ursprünglich ein gemauerter Steinaltar sowie teils Kronleuchter und Tonnendecken-Konstruktionen. – Aber jede dieser Kirchen hat auch ihr besonderes Gepräge durch die künstlerische Ausstattung, besonders des Altarraumes. Deshalb verdient jedes dieser Gebäude spezielle Betrachtung. Zumal in jeder der Gemeinden besondere Wünsche und örtliche Gegebenheiten von H&J zu berücksichtigen waren, die sich u.a. aus der jeweiligen kirchlich-politischen und theologisch-gemeindlichen Konstellation dieser Zeit verstehen lassen. Die Planungen für den MM-Kirchbau haben eine mehrjährige Vorgeschichte, bei der es u.a. auf gemeinsame Planungen sowohl mit den Verantwortlichen der Muttergemeinde in Fuhlsbüttel als auch mit dem ab April 1937 für den Pfarrbezirk zuständigen (und bereits als ‚Pastor‘ designierten) Hilfsgeistlichen Rudolf Timm ankam. Dieser junge Mann, 1933 – noch als Student – in die NSDAP und SA eingetreten, beschrieb beim 2. Examen 1937 seine theologische Position zugleich als die der Bekennenden Kirche. Das stellte wohl nicht nur für Damalige eine besondere Herausforderung dar, die es zu beleuchten gilt. An der Ausgestaltung der Kirche haben auch andere Künstler neben H&J mitgewirkt. Insbesondere der mit beiden Architekten befreundete Maler Hermann Junker verdient dabei besondere Beachtung. Die Entwurfszeichnungen für das Altarraumbild von B. Hopp weisen ihn als Urheber aus, auch wenn Junker deren Realisierung übernommen hat. Auch die Nähe zu der parallel für St. Nicolaus entworfenen Gestaltung wird durch die Entwürfe B. Hopps dokumentiert.
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Seitenzahl: 249
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Eine der Kirchen, die von Hopp und Jäger (=H&J) in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, ist die im Alstertal in Klein-Borstel gelegene Kirche Maria-Magdalenen (=MM). Wie die anderen in dieser Zeit und Region von H&J gebauten Gotteshäuser zeigt sie viele Elemente eines gemeinsamen Stils, der Besuchern dieser Kirchen sofort ins Auge fällt. Sowohl im Neubau der Lutherkirche in Wellingsbüttel (1937), dem Um- und Erweiterungsbau St. Lukas in Fuhlsbüttel (1938) als auch in der Renovierung der St. Nicolaus-Kirche (1938) finden sich markante Balken-Inschriften und farblich abgestimmter Kassetten-Schmuck an Holzteilen der Emporen und Türen, kleine Glasfenster in Abtrennungen und ursprünglich ein gemauerter Steinaltar sowie teils Kronleuchter und Tonnendecken-Konstruktionen. – Aber jede dieser Kirchen hat auch ihr besonderes Gepräge durch die künstlerische Ausstattung besonders des Altarraumes.
Deshalb verdient jedes dieser Gebäude spezielle Betrachtung. Zumal in jeder der Gemeinden besondere Wünsche und örtliche Gegebenheiten von H&J zu berücksichtigen waren, die sich u.a. aus der jeweiligen kirchlich-politischen und theologisch-gemeindlichen Konstellation dieser Zeit verstehen lassen. Die Planungen für den MM-Kirchbau haben eine mehrjährige Vorgeschichte, bei der es u.a. auf gemeinsame Planungen sowohl mit den Verantwortlichen der Muttergemeinde in Fuhlsbüttel als auch mit dem ab April 1937 für den Pfarrbezirk zuständigen (und bereits als ‚Pastor‘ designierten) Hilfsgeistlichen Rudolf Timm ankam. Dieser junge Mann, 1933 – noch als Student – in die NSDAP und SA eingetreten, beschrieb beim 2. Examen 1937 seine theologische Position zugleich als die der Bekennenden Kirche. Das stellte wohl nicht nur für Damalige eine besondere Herausforderung dar, die es zu beleuchten gilt.
An der Ausgestaltung der Kirche haben auch andere Künstler neben H&J mitgewirkt. Insbesondere der mit beiden Architekten befreundete Maler Hermann Junker verdient dabei besondere Beachtung.
Vorbemerkung, Kontext und offene Fragen
Das Werden der Gemeinde und die Kirche MM
2.1 Dokumentationen zu den Gemeinde-Anfängen
2.1.1 Vorgeschichte Teil 1 ab 1929/30: Pastor Lüder
2.1.2 Vorgeschichte Teil 2 ab 1934 und Pastor ‚Zach‘
2.1.3 Vorgeschichte Teil 3 ab 1935 mit Pastor Dr. Günther
2.1.4 Vorgeschichte Teil 4 1936f mit Pastor em. Bahnson
2.1.5 Vorgeschichte Teil 5 ab 1936 mit Pastor Timm
2.2 Der Kirchbau Maria-Magdalenen
2.2.1 Grundsteinlegung am 6.2.1938
2.2.2 Die architektonische Gestaltung der Kirche MM
2.2.3 Die Gestaltung des Altarraumes
2.2.4 Weitere Gestaltungselemente des Kirchenraumes
2.2.5 Einweihung
2.3 Das Andenken an Pastor Rudolf Timm
2.3.1 Gedenktafel
2.3.2 Der Maler Hermann Junker
2.3.3 Ein Gemälde zum Gedenken an Pastor Timm?
2.3.4 Planungen für ein Epitaph in der Kirche
2.4 Die weitere Ausgestaltung der Kirche
Pastoren und „Offenes Haus der Gemeinde“
Kurztitel und Literatur
Anhang
5.1 Notiz HambKirchenzeitung 1934, S. 14
5.2 Dr. Eckardt Günther in HambKirchenzeitung 1935
5.3 Dr. Gustav Hoffmann (Auszug aus seinen Memoiren)
5.4 R. Timm zu ‚Vicelin‘
5.5 R. Timm (1938) zur Grundsteinlegung
5.6 HambKirchenzeitung 1938 zur Einweihung
5.7 Zu Dr. Fritz Valentin als Richter und ‚Kirchenmann‘
Abkürzungen, Archivalien und Indices
6.1 Abkürzungen
6.2 Archivalien
6.3 Personen-Index
6.4 Themen-Index
6.5 Orts- und Straßennamen-Index
Dass die Informationen in diesem Buch so erscheinen können, ist vielen Einzelpersonen und Institutionen zu verdanken, die direkt oder indirekt mit dazu beigetragen haben. Nicht alle sollen hier aufgezählt werden, jedoch ist es mir wichtig, einige besonders zu nennen:
Die Familie Hopp, insbesondere Frau Ilse Hopp sowie die inzwischen leider verstorbene Dr. Gisela Hopp (1925-2015) haben mir den Zugang zu den privaten Nachlässen sowie in zahlreichen Gesprächen auch weiteren Einblick in ihre Familiengeschichte gewährt.
Von Herrn Prof. Dr. Dr. Jan Schröder stammt aus einer privaten Familienchronik ebenfalls ein wichtiges Dokument, das u.a. zeigt, wie fragmentarisch das öffentliche Gedächtnis ist.
Den hilfreichen MitarbeiterInnen der Archive (Architekturarchiv, Archiv des Kirchenkreises Hamburg-Ost sowie dessen Bauabteilung) und Bibliotheken (insbesondere denjenigen, die Digitalisate bereitstellen, wie in der SUB die Hamburgensien-Abteilung) gilt besonderer Dank für ihre Unterstützung, die effektives Arbeiten erst möglich macht. Dazu ist im Januar 2016 auch Pastor Dr. D. Melsbach in der Gemeinde Maria-Magdalenen hinzuzuzählen!
Last but not least ist Emmerich Jäger und seiner Familie zu danken, die ebenfalls nicht nur mit privaten Materialien beigetragen haben. Vielmehr ist der Freiraum, der für Emmerich Jäger und mich in der gemeinsamen Digitalisierungsarbeit der Fotosammlungen von Otto Rheinländer und Walter Lüden zur Verfügung stand und steht, ja immer auch den Familien ‚abgeknapst‘, die ebenfalls mit noch viel höherem Recht Ansprüche an gemeinsame Zeit und Zuwendung haben. Ohne den Austausch mit ihm und seine Vor- und Mitarbeit wäre das Dokumentationsprojekt zu Hopp und Jäger nicht zu leisten.
Ich schreibe diese Danksagung ganz bewusst im „Ich“-Stil, denn es geht wie in jeder sich wissenschaftlich bemühenden Arbeit u.a. auch um persönliches Interesse am Gegenstand und an beteiligten Personen. – Vielleicht gibt es auch künftig persönliche Reaktionen, Kritiken, Korrekturen und Ergänzungen? Sie wären auf jeden Fall willkommen.
Uwe Gleßmer im Januar 2016
Einige der Kirchen im Norden Hamburgs und speziell im Alstertal sind von dem Architekturbüro Hopp und Jäger (=H&J) in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg gebaut worden. Sie widerlegen die früher verbreitete Vorstellung, dass Bau und Erneuerung von Kirchgebäuden in der NS-Zeit zum Erliegen gekommen seien. In einem früheren Standardwerk1 schrieb dessen Autor 1973 noch: „Von 1936/1937 bis 1945 konnten nur wenige Kirchen errichtet werden…“.2 – Allerdings bezeugen die Lutherkirche in Wellingsbüttel (1. Advent 1937), die Renovierung der St. Nikolaus-Kirche in Alsterdorf (Einweihung 19.10.1938), die Kirche Maria-Magdalenen (=MM; Weihe am 3. Advent 1938), der Totalumbau der Kirche St. Lukas in Fuhlsbüttel (Weihe am 4. Advent 1938) sowie der Bau der Kapelle in Berne (Einweihung 19.3.1939, später von H&J mit Gemeindehaus und Turm erweitert und vollständig umgebaut – und mit dem Namen Friedenskirche versehen) jedoch eine durchaus rege Bautätigkeit in dieser Zeit und Region. Sie wurde nach dem Krieg durch die Bauten der St. Christophorus-Kirche (Hummelsbüttel 1953ff) sowie St. Marien (Fuhlsbüttel-Süd / Ohlsdorf 1960) fortgesetzt.3
Einer der Hintergründe für die Bautätigkeit in der Region ist u.a. im Wohnort von Bernhard Hopp (1893-1962) zu suchen. Zudem gehört zu Hopps Besonderheit, sich nicht nur privat in seiner Gemeinde in Fuhlsbüttel zu engagieren, sondern auch, dass er durch seine berufliche und biografische Vorprägung durch kirchliche Kunst und die Ausrichtung auf die Praxis gemeindlicher Arbeit seit den 1920er Jahren mit diesem Lebensbereich vertraut war.4 Ähnlich wie sein um zehn Jahre jüngerer Kompagnon, der Diplom Ingenieur Rudolf Jäger (1903-1978), war er, wie dieser, durch christliche Jugendarbeit „sozialisiert“5 und dadurch auch zugleich gut vernetzt, wie man heutzutage wohl sagen würde.
Beide kannten sich bereits seit der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg dadurch, dass der Dekorationsmaler B. Hopp als junger Erwachsener ehrenamtlich in Schüler-Bibelkreisen leitend aktiv war, in denen u.a. auch sein späterer Kompagnon R. Jäger teilnahm. Jedoch erst nach dessen Architektur-Studium und erster Berufspraxis begannen beide ca. 1929/1930 mit einer projektorientierten Zusammenarbeit im Rahmen eines Wettbewerbs für das Ehrenmal an der Kleinen Alster.6 Ihr erster Kirchbau folgte erst 1934/35 mit der Dorfkirche in Born auf dem Darß, wohin sich Hopp mit seiner Familie ab März 1933 zeitweilig begeben hatte, nachdem es zur beruflichen Trennung vom Rauhen Haus gekommen war. Dort hatte B. Hopp zuvor 1930-1933 die „Werkstätten für kirchliche Kunst“ geleitet. Das Ende der dortigen Tätigkeit wird wohl auf dem Hintergrund einer kirchlichpolitischen Differenz zum damaligen (ab 1925) Direktor des Rauhen Hauses, Pastor Friedrich Engelke, zu erklären sein. Engelke war zwar vorher Leiter des CVJM, hatte 1923 das Ehepaar Hopp getraut und war so als trauender Pastor Teil des persönlichen ‚Netzwerkes‘, in dem sich B. Hopp bewegte.7 Doch andererseits arbeiteten Hopp und Jäger auch mit dem Pastor Hans Asmussen zusammen, mit dem gemeinsam sie die Ausstellung „Symbol und Form“ 1932 bis Januar 1933 vorbereitet und durchgeführt hatten.8 Asmussen war wesentlich an der Abfassung und öffentlichen Verlesung des „Altonaer Bekenntnisses“ am 11.1.1933 beteiligt, das mit seiner Stellungnahme zum „Altonaer Blutsonntag“ (18.7.1932) vielfach als gegen die NS-Bewegung gerichtet verstanden wurde.9 So lag es nahe, dass sich mit Engelkes-Engagement für die Deutschen Christen und der NS-Ausrichtung des Rauhen Hauses, dessen 100-jähriges Jubiläum 1933 zu feiern war,10 auch die ehemals gemeinsamen Wege zwischen Hopp und Engelke in verschiedene Richtungen auseinander bewegt hatten.
Das heißt nicht, dass für Hopp und Jäger alle Möglichkeiten zu Kooperation mit denjenigen, die positiv oder jubelnd den NS-Staat begrüßt hatten, zu Ende waren. Für ihre berufliche Karrieren in dieser Zeit war es vielmehr anscheinend unvermeidlich, mit den staatlichen Institutionen zu kooperieren, wenn sie bauen wollten. Wie jedoch in diesem Bereich Nähe und Distanz jeweils einzuschätzen ist und sich im Laufe der Zeit entwickelt hat, ist kaum mit einer schlagwortartigen Beschreibung zu erklären, sondern nur an Hand von konkreten Quellendokumenten und entsprechend aufbereiteten Einzelheiten zu erheben.
Trotzdem lässt sich ein besonderes Element benennen, das als „glücklicher Zufall“ bezeichnet werden kann, nämlich das erste gemeinsame Kirchenbauwerk, die o.g.
Fischerkirche in Born/Darß. Dieses Bauwerk, das sich quasi auf dem Hintergrund des ländlichen ‚Künstler-Exils‘ auf dem Darß als erste Kooperationsmöglichkeit ergeben hatte, traf mit seinem dörflichen Charakter sowie den Materialien Holz und Reetdach einen Nerv auch der 1935 geichgeschalteten Architektur-Berichterstattung. So schließt die Darstellung in ‚Deutsche Bauzeitung‘:
„Wir möchten diesen evangelischen Kirchenbau, wie nur wenige unserer Zeit, als einen ausgesprochenen deutschen Ausdruckswert bezeichnen. Er könnte fast ein Beispiel dafür sein, in welcher Weise wir unsere Kraft für den Neuaufbau einer deutschen Baukultur zuerst ansetzen müßten.“11
Nach dieser positiven Aufnahme, die das Erstlingswerk geradezu als Wegweiser mit „deutschem Ausdruckswert“ preist, war es nur konsequent, dass die Architekten sich in dem damit vorgezeichneten Rahmen weiterhin bewegten und sich auf diese Weise auch mit dem NS-System arrangieren konnten, ohne christlich-künstlerische Vorstellungen zu verlassen.
Dieser grob skizzierte Hintergrund ist auch für künstlerische Beurteilungen der Kirchen im Alstertal und insbesondere von Maria-Magdalenen von Interesse, wenn hier etwa zum Vergleich „von einer sogenannten Vicelinkirche, deren Besonderheit der wehrhafte Rundturm ist“ gesprochen12 und daraus z.T. eine NS-Affinität gefolgert wurde.13 Ob die Turmgestaltung wirklich diesen Rückschluss zulässt und ob die anekdotische Darstellung der 25-Jahre-Festschrift von 1963 auf Fakten und bezeugten Überlieferungen von Ansichten B. Hopps beruht oder möglicherweise auf eine Konstruktion des Gemeindechronisten zurückgeht, schien bisher mangels Quellenangaben zweifelhaft. Durch das im Archiv der Kirchengemeinde MM befindliche Material lässt sich jedoch erkennen, dass die Bezeichnung ‚Vicelinkirche‘ für den geplanten Neubau im Umlauf gewesen ist. Insofern enthält die Bemerkung der FS von 1963 einen harten Kern. Was jedoch bisher nicht als belegbar erscheint, ist eine Argumentation, die den Typus von ‚Vicelin-Wehrkirchen‘ besonders beinhalten würde.14
Ähnlich ist es mit der Überlieferung von anderen Details der Ausgestaltung der von Hopp und Jäger gebauten und am 3. Advent, dem 11.12.1938, eingeweihten Kirche Maria-Magdalenen (= MM in Hamburg Klein-Borstel). Bei der Rückfrage nach dem künstlerischen Anteil hat sich nämlich eine nicht unwichtige Frage ergeben: Stammt die Ausmalung des dortigen Altarwandbildes von Bernhard Hopp (1893-1962) oder von dem mit ihm befreundeten Maler Hermann Junker (1903-1985)? Je weiter zeitlich die Meinungsäußerungen zu dieser Frage von der Bauzeit entfernt sind, desto stärker verschiebt sich in der Sekundärliteratur das Gewicht der beantwortenden Voten zu Gunsten einer Urheberschaft des Bildes durch Junker. (Die jeweiligen Mutmaßungen und die bisher verfügbaren Dokumente dazu werden unten im Abschnitt „2.2.2 Die architektonische Gestaltung der Kirche MM“ diskutiert werden.) – Unfraglich und bisher schon gesichert ist, dass dieser Maler einen ‚direkten Draht‘ zu den Familien von Bernhard Hopp und Rudolf Jäger gehabt hat: durch die Kinder beider Architekten sind Gemälde erhalten, die Junker u.a. von ihnen und ihren Angehörigen gemalt hat. Frau Junker, die in Hamburg als Apothekerin gearbeitet hat, wohnte in der Nachkriegszeit z.T. unter der Woche bei Familie Hopp, um nur am Wochenende nach Hause zu ihrem Mann nach Hanstedt zu fahren.15
Neue Evidenz zur Beantwortung der Frage und weitere Hintergründe der Baugeschichte von MM ergeben sich auch aus zwei neuen Quellen:
Zum einen sind es die hochauflösenden Fotos des von Hopp & Jäger (=H&J) beauftragten Fotografen Otto Rheinländer, die zwar z.T. in der Vergangenheit auch in Festschriften und anderen Dokumenten verwendet worden sind, die jedoch in den Originalen weit mehr an Details erkennen lassen, als in den Reproduktionen dieser Festschriften bisher textlich ausgewertet wurde. Dank der Bestände des Hamburgischen Architekturarchivs, das inzwischen die Fotosammlung besitzt und deren H&J betreffender Teil im Rahmen des Hopp-und-Jäger-Projektes
16
digitalisiert wurde, ist es möglich, mancherlei Fragen zu den Kirchbauten neu zu beleuchten – wie auch im Fall von MM.
Zum anderen sind inzwischen über die Familien von Hopp und Jäger nicht nur die bereits erwähnten Kinderbilder, sondern auch eine große Menge an weiteren Archivalien neu zugänglich geworden, durch die auf der einen Seite die Beziehung zum befreundeten Maler Hermann Junker noch näher zu beschreiben ist. Auf der anderen Seite illustrieren jetzt verfügbare Entwurfs-Zeichnungen des gelernten Dekorations- und Kunstmaler Bernhard Hopp auch dessen Gestaltungsanteil bis in die Einzelheiten künstlerischer Realisierung - auch durch Dritte wie Hermann Junker. H&J haben ihre architektonische Aufgabe als Einheit verstanden, die immer sowohl die konstruktiven Bauelemente als auch die inneren und äußeren Details als Gesamtentwurf umgriff.
Ein gewisses Problem stellen die Archivalien vor Ort in Klein Borstel dar. Neben den direkt von der Kirchengemeinde Maria-Magdalenen gedruckten Festschriften sowie den auf der Ausstellung zum 75. Kirchweihjubiläum 2013 gezeigten Dokumenten existieren umfangreiche Archivmaterialien zur Geschichte von Klein Borstel, die der ehemalige Klein Borsteler Klaus Timm in mehreren privat herausgegebenen und gedruckten Bänden veröffentlicht hat.17 Diejenigen Bände, die die Geschichte und Vorgeschichte der Gemeinde betreffen, sind ursprünglich ab 2003 im Auftrag und mit Unterstützung durch den damaligen Pastor, Dr. Jürgen Bobrowski, begonnen worden. Leider hat sich im Laufe der Arbeiten bei der Rückfrage nach einem Sachverhalt, der den ersten Pastor der 1938 gebauten Kirche und dessen NS-Affinität betraf, ein Streit ergeben, der beide Seiten (MM und Klaus Timm) gegenseitig blockiert hat. So ist etwa in der Festschrift von 2013 das Werk von Klaus Timm ganz ohne Berücksichtigung geblieben. Starke Emotionen werden einerseits dadurch berührt, dass der ehemalige Pastor Rudolf Timm ein entfernter Verwandter von Klaus Timm gewesen ist und insofern bei der Rückfrage nach der NS-Affinität bei R. Timm auch die Vergangenheit der eigenen Familie involviert war.18 Andererseits war die ‚Hermeneutik des Verdachts‘ bei der Rückfrage nicht nur hilfreich: andere Beteiligte aus der Gemeinde, die ihre Arbeit unter dem Verdacht des Verschweigens oder gar Verfälschung von Sachverhalten gestellt sahen, fühlten sich verprellt.
Die vorliegende Untersuchung versucht einen eher ‚integrativen Weg‘ sowohl im Umgang mit denjenigen in der Gemeinde, die ich seit meiner Vikariatszeit (19801982) in Klein Borstel als Gesprächspartnerinnen und –partner z.T. kenne und schätze. Aber auch Klaus Timm, den ich im Zuge meiner eigenen Beschäftigung mit der Gemeindegeschichte der Nachbargemeinde Wellingsbüttel seit 2014 kenne, schätze ich in seinem Eifer für die Aufarbeitung auch des meist im Dunklen belassenen Kapitels der NS-Zeit sehr: Es führt kein Weg an der Auseinandersetzung mit dieser Zeit vorbei, die ihre langen Schatten weit in die Nachkriegszeit geworfen hat und bis in die Gegenwart wirft. Die für die Kirchbauten wichtigen Vorbereitungszeiten sowohl der Gemeinde in Wellingsbüttel als auch der in Klein Borstel fallen in die Zeit von 1933-1938.
Im Unterschied zu früheren Rückfragen nach der NS-Vergangenheit geht es mir darum, eher beschreibend als wertend heranzugehen, wobei klar ist, dass die Auswahl der präsentierten Materialien immer auch Gewichte setzt. Doch soll die Nachprüfbarkeit und Dokumentation sehr ernst genommen werden, wenn dadurch auch ein Druckbild mit Fußnoten entsteht, das vielleicht abschrecken könnte. Dieser Nachteil wiegt jedoch gegenüber ‚unbegründeten‘ Angaben, die stimmen können – oder auch nicht, gering. Dabei kann es sein, dass wichtige Elemente der Geschichtsrekonstruktion auch vergessen, ausgeblendet oder mit falscher Deutung bzw. in unangemessenem Kontext präsentiert werden. Wer es besser weiß, ist ernsthaft gebeten, entsprechende Rückmeldung zu geben. In einer zweiten Auflage lassen sich möglicherweise solche Versäumnisse ‚ausbügeln‘…
1 In den Fußnoten wird auf Literatur mit Kurztiteln verwiesen, um den Anmerkungsumfang möglichst gering zu halten. Dabei folgt einfach dem Namen eine Jahreszahl in runden Klammern (manchmal mit hochgestellter Auflagenzahl) sowie ggf. ein im Abkürzungsverzeichnis erläutertes Kürzel, wenn es sich um eine nicht-selbstständige Publikation handelt.
2Schnell (1973) S. 53. Dieser Autor bietet mit seiner breiten Übersicht zwar manche Hinweise auch auf Hopp und Jäger, doch sind diese naturgemäß nicht detailliert und beziehen sich nur auf Nachkriegskirchen. Im Index wird auf die Seiten 133, 136, 200, 203 verwiesen.
3 Zu diesen Kirchen der Region existieren jeweils einzelne Ausarbeitung (siehe die Liste auf den letzten Seiten dieses Buches oder zum jeweils aktuellen Stand unter www.huj-projekt.de.
4 Zur Biografie siehe Fischer (20082) SB sowie zur in Vorbereitung befindlichen Darstellung „Zur Biografie des Architekten Bernhard Hopp“ in den in Anm. 3 genannten Listen.
5Hoffmann (2013) HAA.
6 Siehe dazu Schumacher (1930) DBZ.
7 Siehe dazu Hopps Cover zum CVJM-Heft 1928 sowie auch zu „Unser Liederbuch“ von W. Kittlitz.
8 Zu dieser Ausstellung existiert ein Begleitheft, in dem sowohl Hauptpastor Knolle, Pastor Asmussen und Bernhard Hopp zum Thema eigene Texte verfasst haben (Asmussen/Hopp (1932) Masch). Auch Jäger (1933) NiederdKZ hat für die gemeinsam vorbereitete Ausstellung geworben.
9http://de.wikipedia.org/wiki/Altonaer_Blutsonntag; zur Entlassung von P. Asmussen siehe Overlack (2007) und Reumann (1988) sowie zum Altonaer Bekenntnis neu Büttner (2015) ZfSHKG.
10 Siehe dazu den Rückblick auf die 100-Jahr-Feier von Beate Steitz-Röckener (2011) Bote: „Vom 9. bis 16. September 1933 feierte Das Rauhe Haus unter Hakenkreuzfahnen das hundertjährige Jubiläum. Ausführlich wird im Brüderboten darüber berichtet. Die Mehrzahl der Brüder hält sich zu den Deutschen Christen. Vorsteher Pastor Engelke (1925–34) zeigt sich im Brüderboten begeistert von der ‚nationalen Revolution‘. Maßgebende Brüder begrüßen das ‚Dritte Reich‘.“
11 Deutsche Bauzeitung, Jg. 69 (1935) S. 591-593.
12KG_Maria-Magdalenen (1963) S. 7.
13 Timm (2005) Masch S. 110.
14 Details zur Diskussion im Kirchenvorstand über die Namensgebung werden unten beim Abschnitt zur Grundsteinlegung dargestellt.
15 So der mündliche Bericht über die späten 1950er Jahre durch die Schwiegertochter Ilse Hopp, deren Familie ebenfalls eine Wohnung im damaligen Hoppschen Haus im Ahlfeld 53 hatte.
16 Siehe dazu die Beschreibung zum Dokumentationsprojekt zum Architekturbüro H&J unter www.huj-projekt.de/downloads/hopp_u_jaeger-flyer.pdf.
17 Ein großer Teil dieser Bände ist über die Staats- und Universitätsbibliothek nutzbar. Zu danken ist Klaus Timm auch für weiteres Material, das er dem Geschichtsprojekt der Lutherkirche via Dr. G. Engler zur Verfügung gestellt hat (vgl. http://www.kirche-wellingsbuettel.de/index.php/gemeinde/historie/geschichte zum aktuellen Stand des Geschichtsprojektes der Gemeinde). Von Timm (2010) S. IV wurde als Zeitrahmen testamentarisch vorgesehen für Eckhard Stubel und sich selbst, dass „wir spätestens innerhalb der kommenden 5 Jahre, also bis 2015 mein Klein-Borstel-Archiv abarbeiten und veröffentlichen“.
Der gesamte Kontext der Ortsgeschichte kann in diesem Rahmen nicht bearbeitet werden, obwohl selbstverständlich vielfältige Beziehungen zur Vor- und Gründungsgeschichte der Gemeinde und auch des Kirchbaus bestehen. Doch können hier nur von Fall zu Fall die Querverbindungen verfolgt werden. - Als eigenständige Publikation liegt von 1954 ein Heft des Heimatvereins Klein Borstel vor, in dem Kurt Detlev Möller (1902-195719) aus Anlass der 650-jährigen Zugehörigkeit Klein Borstels zu Hamburg „Aus der Geschichte Klein Borstels“ berichtet hat. Darin findet sich auch ein ganz kurzer Abriss zur Geschichte der Kirchengemeinde, in dem der MM-Kirchbau durch H&J sowie namentlich Pastor Rudolf Timm und Carl Malsch genannt werden.20 Auch zuvor hatte K.D. Möller bereits in einer „Festschrift zum Volksfest in Klein Borstel vom 20. bis 22. August 1937 veranstaltet von der Ortsgruppe Klein Borstel der NSDAP“ einen Beitrag unter genau dem gleichen Titel „Aus der Geschichte Klein Borstels“ veröffentlicht. Dieser war allerdings in Wortwahl und Ton deutlich dem Zeitgeist verpflichtet – und berichtet nichts von der bereits in dieser Zeit existierenden Gottesdienstgemeinde.21
18 K. Timm (2005) Masch S. 23 notiert zu seinem und dem Großvater von R. Timm: „vermutlich waren sie Vettern“.
Wieweit dieser Autor mit dem im Folgenden zitierten Gustav A. Möller verwandt ist, ist z.Z. noch nicht eindeutig zu klären gewesen.22 Letzterer hat sicher Kenntnis der gemeindlichen Situation, wie Wolfgang Behrens in der Festschrift von 1998 notiert:
„Gustav A. Möller, Amtsverwalter der NSDAP, schreibt am 31.8.1933 an den Oberkirchenrat und späteren Hamburger Bischof Tügel: ‚Wir bisher Abseitsstehenden halten es daher für unsere Pflicht, auch unsererseits am Neuaufbau der Kirchengemeinde Klein Borstel-Fuhlsbüttel mitzuarbeiten“23
Die Formulierung „Wir bisher Abseitsstehenden…“ bezieht sich als Selbstbezeichnung auf die Gruppe von Deutschen Christen (= DC), die sich durch die Einflussnahme der NSDAP teils ganz neu auch in den einzelnen Gemeinden zusammenschlossen, um als gemeinsame Liste bei der Aufstellung zur Kirchenwahl im Juli 1933 Einfluss auf Kirchenvorstand und Kirchenvertretung zu gewinnen. Sie rekrutierten sich wesentlich aus zuvor kirchenferneren Kreisen, die ohne traditionelle Verbindung zu den Gemeinden auch in den Folgejahren wieder an Einfluss verloren haben. - So wurde auch in der Fuhlsbütteler Gemeinde (zu der Klein Borstel in dieser Zeit bis 1947 noch gehörte) der KV stark DC-lastig:
„1933 waren etwa 2/3 der Mitglieder Deutsche Christen, rund 1/3 gehörte zur Bekennenden Kirche, und der intern von allen hochgeschätzte Pastor Zacharias-Langhans, kurz und liebevoll Zach genannt, hatte einen jüdischen Vater und geriet zunehmend von außen unter Druck. Freilich ließen schon 1934 die meisten Deutschen Christen im Kirchenvorstand ihre Mitgliedschaft im DC ruhen.“24
1933 jedoch haben sie sich aktiv an ihren DC-Gauobmann Tügel gewandt,25 um künftig einen eigenen Pastor für Klein Borstel-Fuhlsbüttel zu erhalten. Die von neunzehn Unterzeichnern an den Oberkirchenrat (und gleichzeitigen Leiter der Deutschen Christen in Hamburg) herangetragene Bitte um einen eigenen Seelsorger benennt u.a. ein Motiv, das Behrens in der Festschrift zitiert: „Nicht unwesentlich dürfte auch die Gewinnung der Einwohnerschaft von Klein Borstel sein.“26
Hintergrund dieser Bemühung um die Klein Borsteler Einwohnerschaft ist wohl ein Sachverhalt, der zeitlich parallel im August 1933 abläuft. - In der Festschrift wird auf der Folgeseite erwähnt, dass der in Klein Borstel in der Wellingsbütteler Landstraße 166 wohnende Gefängnisseelsorger Pastor Wilhelm C.G.T. Lüder (1873-1945)27 in seinen privaten Räumen u.a. einen Kindergottesdienst bereits 1929/1930 eingerichtet und damit ein Gegengewicht zu freikirchlichen und baptistischen Aktivitäten gesetzt hatte. – Diesen Sachverhalt schildert Lüder als ein Argument in einem Brief, den er am 16.8.1933 an den Bischof Schöffel schreibt.28 Der knapp 60-jährige Anstaltspastor bietet dem Bischof an,
„…Teile seines Hauses zur Miete … und ist bereit, nach seiner Pensionierung in drei Jahren die geistliche Versorgung Klein Borstels unentgeltlich ganz zu übernehmen. Er schreibt dem Bischof, dann ‚hätte die Kirche auf diese Weise eine billige Kraft mehr.‘ … [es] hakt der erwähnte Gustav A. Möller in einem Schreiben vom 07.11.1933 an den damaligen Bischof Schöffel noch mal nach, verwendet sich dafür, Pastor Lüder einzusetzen und die Friedhofsverwaltung zu bitten, die Kapelle Neun zeitweilig als Gottesdienstraum zur Verfügung zu stellen, nicht zuletzt aus Rücksichtnahme auf die Klein Borsteler Kriegsinvaliden.“29
Neben der wiederholten Bitte von Gustav A. Möller nach einer besonderen pastoralen Betreuung Klein Borstels hat sich parallel dazu auch ein anderer DC-Vertreter eingeschaltet:
„Der ehemalige Vorsitzende des Kirchenvorstandes von St. Lukas, Herr Clasen, jetzt Vertrauensmann der nationalsozialistisch orientierten Deutschen Christen für Fuhlsbüttel, Klein Borstel und Langenhorn, schreibt am 11.09.1933 an Hamburgs Bischof Schöffel: ‚Die Sehnsucht der Menschen, die Verbindung mit Gott wiederzufinden, wird immer stärker.‘ Ein großer Teil der Einwohner Klein Borstels sind Kriegsbeschädigte, Fahrgelegenheiten sind nicht vorhanden, und 45 Minuten Fußmarsch sind nicht zumutbar. Clasen unterstützt den Wunsch nach einem eigenen Pastor für Klein Borstel, der – nun hören wir den Ton der Zeit – ‚selbst das Fronterlebnis als Mann hat, Deutscher Christ ist und sich zur nationalsozialistischen Bewegung bekennt.‘ Er bitte zwar ‚von Herzen‘, etwas zu unternehmen, aber das Bestreben, die Kirche bis in die Gemeinden hinein ideologisch gleichzuschalten, wird neben der sicher unbestreitbaren Sorge um Klein Borstel unverhüllt deutlich.“30
Warum sowohl die Landeskirche als auch der Kirchenvorstand in Fuhlsbüttel nicht auf das Angebot von Pastor Lüder eingegangen ist, bleibt dagegen undeutlich:
„Tügel, Schöffels Nachfolger im Bischofsamt, schreibt Clasen ohne Begründung, daß er Lüder nicht zu beauftragen gedächte (Brief vom 26.03.1934).“31
Zu diesem Zeitpunkt war, wenn die offiziellen Angaben nicht später rückdatiert wurden, die Emeritierung von Pastor Lüder auch bereits erfolgt.
Es bleibt also weiterhin offen, warum es mit einem ersten offiziellen Gottesdienstraum in Klein Borstel noch nicht 1933/1934 geklappt hat, aus den gedruckten Quellen ist es bisher nur zum Teil deutlich. Möglicherweise hat also das von Clasen angeführte DC-Kriterium den Ausschlag gegeben.
Auch in Beiträgen des oben erwähnten Klaus Timm, der ausgehend von genealogischen Nachforschungen zur eigenen Familie und zu seinem Elternhaus Wellingsbütteler Landstraße 164 sich dem Nachbarhaus Nr. 166 und den Anfängen der Klein Borsteler Gemeinde gewidmet hat, wird 2005 zwar Ähnliches wie in der Gemeinde-Festschrift von 1998 berichtet.32 In seinem Beitrag für das Jahrbuch des Alstervereins hat K. Timm im Blick auf Pastor Lüder (wohl fälschlich) gemeint:
„Die bisherigen Gemeinde-Chronisten Willsch und Dr. Behrens haben ihn nicht gewürdigt, obwohl die Quellen vorlagen.“33
Es bleibt jedoch auch nach dem, was K. Timm selbst aus den Quellen referiert, fraglich, wie die Hintergründe zum dann doch sehr schnellen Ausscheiden von Pastor Lüder genau zu rekonstruieren sind. Auf jeden Fall hat K. Timm vehement Wert darauf gelegt, dass die Anfänge gemeindlichen Lebens auf die Zeit 1929/1930 zurück gehen, wie sowohl der Titel des kurzen Zeitschriftenaufsatzes „75 Jahre ‚Gottesdienstlicher Raum Klein Borstel‘“ als auch der umfangreiche Band „75 Jahre kirchliches Leben in Klein Borstel, Pastor Rudolf Timm und die Maria-Magdalenen-Gemeinde“ es herausstellen. Allerdings enthält der letztere Titel keine detaillierten Angaben zu Pastor Lüder und den Anfängen um 1929/1930.
Für die offene Frage, warum es nicht zur offiziellen Nutzung dieses ersten Gottesdienstraums im Hause von Pastor Lüder kam und wie sein vorzeitiges Ausscheiden durch Emeritierung am 1.3.193434 zu deuten ist, bleiben die Quellenauswertungen bei K. Timm widersprüchlich: Es wird einerseits für seinen Verwandten, Pastor Blunck, und auch Pastor Lüder im Zusammenhang der ‚Machtergreifung‘ angegeben, sie „verließen … den Dienst unter Vorgabe von Altersgründen“35 – also eher freiwillig, während wenige Absätze später für Lüder formuliert wird: „Seine Kritik machte ihn bei Bischof Tügel unbeliebt, und er wurde im März 1934 entlassen“, wobei unklar bleibt, was Tügels Anteil an der Entlassung gewesen sei. Tügel war jedenfalls zum Zeitpunkt der Emeritierung am 1.3.1934 noch gar nicht Bischof, sondern wurde es erst ab 5.3.1934. - Was K. Timm als Entlassungsgrund suggeriert und auf Seiten von Pastor Lüder als „seine Kritik“ umschreibt, ist in den zwei vorangehenden, allgemeinen Sätzen zusammengefasst:
„Pastor Lüder war – wie alle Pastoren damals – deutschnational und konservativ. Seine Gefängnisarbeit öffnete ihm jedoch, früher als anderen Kollegen, die Augen für soziales Elend und vor allem die Brutalisierung des politischen Alltags, also Klassenjustiz und frühe Durchsetzung von Polizei und Behörden mit Nazis.“36
Allerdings werden diese Angaben von K. Timm (sowohl im Blick auf „alle Pastoren“ als auch auf Lüder) ohne jeden Hinweis auf Quellengrundlagen gemacht. - Da 1933 auch seitens des o.g. NSDAP-Funktionärs Gustav A. Möller dem Pastor Lüder positive Unterstützung widerfahren ist, müssten schon konkrete Inhalte einer dokumentierten Auseinandersetzung benannt werden, die ja möglicherweise über die Willi-Bredel-Gesellschaft und Untersuchungen zum „Kolafu“ (dem Konzentrationslager Fuhlsbüttel) vorliegen, aber nicht angeführt werden. So bleiben auch die nachfolgenden Charakterisierungen zu den als Kontrahenten angenommenen Personen, die den weiteren Verlauf um das Ausscheiden zum 1.3.1934 von Pastor Lüder beeinflusst hätten, kaum nachvollziehbar: „Er hatte nicht mit der Eifersucht des Hauptpastors Zacharias-Langhans in Fuhlsbüttel und der nachtragenden Rachsucht des ‚Partei-Bischofs‘ Tügel gerechnet.“37
Exkurs:
Auf jeden Fall blieb die Stelle des Gefängnisseelsorgers durch das vorzeitige Ausscheiden ein halbes Jahr lang vakant, ohne dass ein Nachfolger gefunden wurde. Friedrich R.K.K. Hammer (1908-1997), der Nachfolger von Pastor Lüder ab 1. Oktober 1934 als „Pastor in Hamburg-Fuhlsbüttel (Strafanstalten)“38 wurde, schildert Tügels Anforderungen als Bischof an die Aufgabe als neuen Strafanstaltsgeistlichen, „der ganz klar und eindeutig zur Sache und zum Bekenntnis der Kirche stehe und es dabei nicht darauf anlege, politischen Streit zu machen. Daß er das erstere als Bedingung nannte, war für mich entscheidend“, schrieb Hammer 1991.39
Unstrittig ist, dass mit Ende der Dienstzeit von Pastor Lüder in der Gefängnisseelsorge der Hamburgischen Landeskirche sowie durch den Umzug nach Bad Schwartau und den dort neu aufgenommenen Dienst als Ortspastor (22.4.1934 – 16.3.1945) auch das Ende seiner Aktivität in Klein Borstel und der ersten gemeindlichen Aktivitäten von 1929 bis Anfang 1934 im Haus Wellingsbütteler Landstraße 166 verbunden ist.
In dem Klein Borstel-Buch des Vorsitzenden des Heimatvereins, Manfred Thiele, von 199440 findet sich für die Anfänge des kirchlichen Lebens eine andere Lokalisierung jedoch ohne eine genauere zeitliche Spezifizierung:
„Die Anfänge des kirchlichen Lebens in Klein Borstel lagen schon vor der Errichtung einer eigenen Kirche. In einem Privathaus am Borstels Ende wurde mit einer Bibelstunde und dem Kindergottesdienst begonnen. …“41
Die Quelle dieser zusammenfassenden Information ist möglicherweise die Festschrift der Kirchen-Gemeinde von 1963 oder eine daraus hervorgegangene frühere Nachricht in „Der Klein Borsteler“.42 – Die Festschrift von 1963 gibt folgende Information, die zudem eine Unterscheidung zwischen dem „Klein Borstel oben“ und dem „alten Klein Borstel“ um den U-Bahnhof in ihren unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zum Gemeindeleben in Fuhlsbüttel voraussetzt:
„So zeichnete sich die eventuelle Bildung einer neuen Gemeinde von vornherein als auf das obere Klein Borstel beschränkt ab.
Erst als das Ehepaar Fischer aus Eppendorf in ein Haus am Borstels Ende zog, konnte man den Wunsch nach eigenem Gemeindeleben in Klein Borstel gegenüber dem Fuhlsbütteler Kirchenvorstand vorbringen. Fischers waren nämlich eifrige Christen, die von liberalen Strömungen in der Kirche nichts hielten. Das hatten sie schon in Eppendorf gezeigt. Sie lebten das Wort Gottes in einer ursprünglichen Auffassung und hatten in diesem Sinne Bibelstunden in ihrer Wohnung gehalten. Daher stellten sie auch in Klein Borstel gleich einen Wohnraum hierfür zur Verfügung. Und nach Jahren stiefmütterlicher Betreuung durch St. Lukas richtete Pastor Zacharias-Langhans trotz seines schon übergroßen Aufgabenbereichs 1934 eine regelmäßige Bibelstunde und einen sonntäglichen Kindergottesdienst im Wohnzimmer des Hauses Fischer ein.“43
In der Festschrift von 1998 wird für diese gemeindlichen Aktivitäten der Zeitpunkt und Ort im „oberen Klein Borstel“ genauer angegeben:
„Auf die energische Initiative von Pastor Zach hin findet im Haus Fischer, Borstels Ende 28 (heute Nr. 57), im Januar 1934 zum erstenmal in Klein Borstel kontinuierliche Gemeindearbeit statt! Jeden Dienstag Bibelabend (Pastor Zach und die Gemeindehelferin von St. Lukas im Wechsel), sonntags