Einblicke in traditionelle Formen - René Guénon - E-Book

Einblicke in traditionelle Formen E-Book

René Guénon

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Beschreibung

Die Grundlage der traditionellen Lehre ist die Überzeugung, dass sich alles Wissen von einer einzigen Quelle ableitet, die als das anfängliche oder das göttliche Prinzip angesehen wird. Im Laufe der Zeit tritt eine Verdunklung dieses Wissens auf, da sich alles, was Teil der Manifestation ist, immer weiter weg von diesem Prinzip bewegt. Daher ist es notwendig, dass die traditionelle Lehre immer wieder neu an die jeweils herrschenden Bedingungen angepasst wird, um den Menschen den Zugang zum höchsten Prinzip zu erhalten. Diese Anpassungen führen dazu, dass im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten traditionellen Formen entstanden und auch wieder in Vergessenheit geraten sind. Trotz der äußerlichen Unterschiede oder Gegensätze, die sich beim Vergleich von Traditionen wie dem Hinduismus, Taoismus, Islam oder der jüdischen und christlichen Lehre auftun, gibt es im Inneren dieser Lehren viele Gemeinsamkeiten, die ungeachtet aller Anpassungen an die zeitlichen und räumlichen Umstände erhalten geblieben sind. Die vorliegende Studie "Einblicke in traditionelle Formen" fasst Veröffentlichungen von Réne Guénon zusammen, in denen er diesen traditionellen Grundsätzen nachgeht. Sie erstrecken sich über ein großes Themenspektrum und umfassen Betrachtungen zur esoterischen Lehre des Islam, zur Kabbala, zu den Zyklen von Atlantis und Hyperboräa sowie grundsätzliche metaphysische Themen und die spezielle Anwendung dieser Grundsätze im traditionellen Handwerk und den Künsten. Guénon weitet mit diesen Veröffentlichungen unseren Blick, so dass es uns möglich wird, in all dieser Vielfalt die Spuren der unvergänglichen traditionellen Lehre entdecken zu können. Nach über 20 Jahren der Vorbereitung macht die 14-bändige deutsche Ausgabe die meisten Veröffentlichungen René Guénons erstmals in deutscher Sprache zugänglich und ermöglicht es, dem interessierten deutschsprachigen Leser tiefer in die traditionelle Denkweise und die Lehre der metaphysischen Prinzipien vorzudringen.

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In diesem Band sind thematisch ähnliche Kapitel aus folgenden französischen Originalausgaben vereint:

Teil 1: Aspekte der Tradition von Atlantis und Hyperboräa

FORMES TRADITIONNELLES ET CYCLES COSMIQUES, © Éditions Gallimard 1970, Teil 2

Teil 2: Aspekte der Kabbala

FORMES TRADITIONNELLES ET CYCLES COSMIQUES, © Éditions Gallimard 1970, Teil 3

Teil 3: Aspekte der islamischen Lehre

APERÇUS SUR L’ÈSOTERISME ISLAMIQUE ET LE TAOÏSME, © Éditions Gallimard 1973, Kapitel 1 – 8

Teil 4: Aspekte der Metaphysik

APERÇUS SUR L’ÈSOTERISME ISLAMIQUE ET LE TAOÏSME, © Éditions Gallimard 1973, Kapitel 9

MELANGES, © Éditions Gallimard 1976, Kapitel 1 – 2, 4 – 7 aus Teil 1

Teil 5: Aspekte traditioneller Wissenschaften und Künste

MELANGES, © Éditions Gallimard 1976, Kapitel 1 – 3 aus Teil 2

Deutsche Ausgabe:

BAND 11: EINBLICKE IN TRADITIONELLE FORMEN

Übersetzung aus dem Englischen durch Ingo Steinke

Herausgeber der deutschen Ausgabe: Ingo Steinke

Kontakt: [email protected]

Inhalt

VORWORT DES HERAUSGEBERS

TEIL 1: ASPEKTE DER TRADITION VON ATLANTIS UND HYPERBORÄA

1. ATLANTIS & HYPERBORÄA

2. DER ORT DER ATLANTISCHEN TRADITION IM HEUTIGEN MANVANTARA

TEIL 2: ASPEKTE DER KABBALA

3. EINIGE ANMERKUNGEN ZUM NAMEN ADAM

4. DIE KABBALA

5. DIE KABBALA UND DIE WISSENSCHAFT DER ZAHLEN

6. LA KABBALE JUIVE VON PAUL VULLIAUD

7. DAS SIPHRA DI-TZENIUTHA

TEIL 3: ASPEKTE DER ISLAMISCHEN LEHRE

8. DIE ISLAMISCHE ESOTERIK

9. DIE SCHALE UND DER KERN

10. AT-TAWḨĪD

11. AL-FAQR

12. AR-RŪḨ

13. DIE ZAHLENSYMBOLIK DER ENGEL IM ARABISCHEN ALPHABET

14. DIE WISSENSCHAFT DES HANDLESENS IM SUFISMUS

15. DER EINFLUSS DER ISLAMISCHEN ZIVILISATION IM WESTEN

TEIL 4: ASPEKTE DER METAPHYSIK

16. DER DEMIURG

17. SCHÖPFUNG & MANIFESTATION

18. DER MONOTHEISMUS & DIE LEHRE ÜBER DIE ENGEL

19. DIE URPRINZIPIEN

20. STILLE & EINSAMKEIT

21. „ERKENNE DICH SELBST“

22. DIE ERZEUGUNG DER ZAHLEN

TEIL 5: ASPEKTE TRADITIONELLER WISSENSCHAFTEN UND KÜNSTE

23. INITIATION UND HANDWERK

24. DIE KÜNSTE UND IHRE TRADITIONELLE BEDEUTUNG

25. ÜBER DIE AUSDRUCKSWEISEN DER MATHEMATIK

ÜBER RENÉ GUÉNON

DIE WERKE RENÉ GUÉNONS IN DEUTSCHER AUSGABE

Vorwort des Herausgebers

Die Grundlage der traditionellen Lehre ist die Überzeugung, dass sich alles Wissen von einer einzigen Quelle ableitet, die als das anfängliche oder das göttliche Prinzip angesehen wird. Im Laufe der Zeit, die in der traditionellen Lehre in Form von Zyklen gemessen wird, tritt eine Verdunklung dieses Wissens auf, da sich alles, was Teil der Manifestation ist, immer weiter weg von diesem Prinzip bewegt. Daher ist es notwendig, dass die traditionelle Lehre immer wieder neu an die jeweils herrschenden Bedingungen angepasst wird, um den Menschen den Zugang zum höchsten Prinzip zu erhalten. Diese Anpassungen führen dazu, dass im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten traditionellen Formen entstanden und auch wieder in Vergessenheit geraten sind. Solange diese Anpassungen aber im Einklang zum anfänglichen Prinzip stehen, gelten sie aus traditioneller Sicht als rechtmäßig, auch wenn sie oberflächlich betrachtet in vielen Fällen kaum über Gemeinsamkeiten verfügen oder sogar in manchen Aspekten im Gegensatz zueinanderstehen.

René Guénon hat in fast allen Studien und Veröffentlichungen versucht, diese traditionellen Grundsätze offenzulegen, die Teil der unterschiedlichsten Traditionsformen sind. Denn trotz der äußerlichen Unterschiede oder Gegensätze, die sich beim Vergleich von Traditionen wie dem Hinduismus, Taoismus, Islam oder der jüdischen und christlichen Lehre auftun, gibt es im Inneren dieser Lehren viele Gemeinsamkeiten, die ungeachtet aller Anpassungen an die zeitlichen und räumlichen Umstände erhalten geblieben sind. Dieser esoterische und damit meist verborgene Teil der Lehren ist selbst heute noch für den aufmerksamen und wissenden Betrachter durchscheinend, sofern dieser sich mit einer offenen und unvoreingenommenen Geisteshaltung damit beschäftigt. Man kann diese Gemeinsamkeiten oder Grundprinzipien auch als „metaphysische Lehre“ bezeichnen, um einen allgemeingültigen und damit von den Traditionsformen unabhängigen Namen zu verwenden. Unabhängig von Bezeichnungen ist jedoch das Verständnis wichtig, dass dieses Wissen nicht auf Entleihungen oder dem „Abschreiben“ der einen Lehre von der anderen beruht, sondern sich als „übergeordnetes“ Wissen in jeder wahren traditionellen Lehre niederschlägt.

Die vorliegende Studie Einblicke in traditionelle Formen fasst Veröffentlichungen von Réne Guénon zusammen, die sich mit dieser „metaphysischen Lehre“ und ihrem Vorkommen in verschiedenen Traditionsformen eingehend beschäftigen. Bei den meisten dieser Veröffentlichungen handelt es sich um Artikel, die ursprünglich unabhängig voneinander in verschiedenen Zeitschriften publiziert wurden und erst posthum anhand mehr oder weniger klar definierter inhaltlicher Kriterien in drei Bänden für die französische Originalausgabe zusammengefasst wurden. Für die deutsche Ausgabe haben wir diese inhaltliche Zusammenfassung an der einen oder anderen Stelle noch konsequenter durchgeführt und Kapitel, die aufgrund ihres Themas eine Nähe zu anderen Studien Guénons haben, gleich in diesen Studien eingefügt. Auf diese Weise wurde der bereits geringe Umfang der drei Originalbände noch weiter reduziert, so dass es für die deutsche Ausgabe sinnvoll erschien, die verbleibenden Kapitel in einen Band zusammenzuführen. Im Einzelnen wurden die drei Originalbände wie folgt aufgeteilt:

Die Studie Aperçus sur l’Èsotérisme Islamique et le Taoïsme wurde in der deutschen Ausgabe fast vollständig in die vorliegende Veröffentlichung integriert. Aus inhaltlichen Gründen wurden die Kapitel in verschiedene Teile umgruppiert: So wurden die Kapitel 1 bis 8 zu Teil 3 in der vorliegenden Studie und behandeln die islamische Esoterik. Kapitel 9 befasst sich mit einem metaphysischen Thema und wurde in Teil 4 als Kapitel 17, „Schöpfung & Manifestation“, integriert. Lediglich Kapitel 10 der Originalausgabe wurde für die deutsche Ausgabe aus thematischen Gründen der Studie Die Große Triade als Kapitel 27, „Taoismus & Konfuzianismus“, angefügt.

Die Inhalte der Studie Formes Traditionnelles et Cycles Cosmiques wurden für die deutsche Übersetzung aus inhaltlichen Gründen auf mehrere Bände verteilt. Die nicht im vorliegenden Band enthaltenen Übersetzungen finden sich den Bänden Studien über den Hinduismus (Teil 1 der Originalausgabe ist dort Kapitel 10) sowie Aspekte der christlichen Esoterik (Teil 4 der Originalausgabe ist dort Teil 3). Teil 2 der Originalausgabe entspricht Teil 1 der vorliegenden Veröffentlichung und Teil 3 entspricht wiederum Teil 2.

Die Studie Mélanges ist bereits im Original eine Sammlung unterschiedlicher Themen. Daher wurden für die deutsche Ausgabe ihre Kapitel thematisch unterschiedlichen Bänden zugeordnet, um ein inhaltlich homogeneres Bild zu erreichen. Dies betrifft die Kapitel 3 (Teil 1) sowie 4 (Teil 2) der Originalausgabe, die im deutschen Band Studien über den Hinduismus als Kapitel 5 und 13 zu finden sind. Im vorliegenden Band wurden die restlichen Kapitel aus Teil 1 der Originalausgabe in Teil 4 integriert und die Kapitel aus Teil 2 vollständig als Teil 5 übernommen.

Trotz der Neugliederung verbleibt für die vorliegende deutsche Veröffentlichung noch ein breites inhaltliches Spektrum, so dass die Kapitel thematisch auf vier Teile aufgeteilt wurden:

Teil 1 befasst sich mit den kosmischen Zyklen und damit auch der Herkunft all jener traditionellen Formen, die uns heute noch mehr oder weniger gut bekannt sind.

Die Teile 2 und 3 widmen sich der jüdischen und islamischen Tradition, auf die Guénon in seinen anderen Studien oft zur Veranschaulichung gewisser Sachverhalte zurückgreift. In der vorliegenden Studie werden diese beiden Traditionsformen jedoch in einer Detailtiefe behandelt, die sich in keiner anderen Veröffentlichung Guénons finden lässt.

In Teil 4 sind verschiedene Aspekte der metaphysischen Lehre zusammengefasst, die sich im weitesten Sinne mit der Erschaffung der Welt und der Erlangung der verlorengegangenen Erkenntnis des göttlichen Prinzips beschäftigen.

Teil 5 zeigt am Beispiel des Handwerks und der Mathematik, wie sich traditionelle Anschauungen auf die Gesellschaft und die mit ihr verbundenen Tätigkeiten auswirken, sowie welchen Einfluss sie auf die Ausübung der Wissenschaften haben, sofern diese noch von traditionellem Charakter sind.

Gerade die thematische Fülle der vorliegenden Studie verdeutlicht die eingangs erwähnte gemeinsame Quelle, die allen rechtmäßigen traditionellen Lehren zu Grunde liegt. Dieses anfängliche Prinzip, das über die Zyklen hinweg weitergegeben wird und sich in der metaphysischen Lehre äußert, ist der Gegenstand dessen, was man als „göttliche Erkenntnis“ bezeichnen kann. Und selbst wenn dieses Wissen im heutigen Zeitalter verborgen ist, so kann doch jeder, der die ausreichenden Qualifikationen besitzt, dank dieser traditionellen Quellen noch immer das erkennen, was die ganze Zeit über in ihm selbst und um ihn herum vorhanden ist. Die eingehende Beschäftigung mit diesen Quellen ist daher gerade in unserer „dunklen“ Zeit unabdingbar, um auf dem Pfad der persönlichen Erkenntnis voranschreiten zu können.

I. Steinke

München, im September 2022

Teil 1: Aspekte der Tradition von Atlantis und Hyperboräa

1. Atlantis & Hyperboräa

In der Zeitschrift Atlantis (Ausgabe Juni 1929) schreibt Paul Le Cour einen Kommentar zu einer Bemerkung von uns, in der wir die Unterscheidung zwischen Hyperboräa und Atlantis gegen jene rechtfertigen, die beide zu einem „hyperboräischen Atlantis“ zusammenfassen.1 Auch wenn diese Bezeichnung auf Le Cour zurückzuführen ist, waren unsere Bemerkungen nicht ausschließlich an ihn gerichtet, da er nicht der Einzige ist, der sich in diesem Punkt irrt. Die gleiche Verwechslung lässt sich auch bei anderen Autoren wie Hermann Wirth finden, der beispielsweise den Begriff „nordatlantische Tradition“ verwendet, um die Region zu bezeichnen, in der sich die anfängliche Tradition entwickelt hat.2 Allerdings ist Le Cour unseres Wissens der einzige Autor, der behauptet, wir hätten die Existenz eines derartigen „hyperboräischen Atlantis“ anerkannt. Dies ist jedoch nicht der Grund für den hier vorliegenden Artikel, da aus unserer Sicht Dinge, die sich lediglich auf Personen beziehen, von untergeordnetem Interesse sind. Wir möchten vielmehr unsere Leser vor falschen Auslegungen warnen, was auch immer sie für eine Quelle haben. Abgesehen davon sind wir sehr verwundert darüber, wie Le Cour zu seinen Schlussfolgerungen kommen konnte. Er schreibt uns sogar die Aussage zu, dass sich der Nordpol ursprünglich nicht dort befunden habe, wo er heute zu finden ist, sondern in einer der umgebenden Regionen wie Island oder Grönland. Wir können unsererseits eine derartige Aussage nicht nachvollziehen und sind uns sicher, dass wir zu einem derartigen Thema niemals auch nur einen Satz geschrieben haben. Es handelt sich dabei auch um einen völlig nachrangigen Punkt, der sich mit der Frage beschäftigt, ob es eine Verschiebung des Poles seit dem Beginn unseres manvantara gegeben hat oder nicht.3 Wir haben daher aus gutem Grund nie versucht, seine ursprüngliche Lage näher zu bestimmen, was aus heutiger Sicht auch nur sehr schwer möglich wäre.

Le Cour schreibt in seinem Artikel in der Folge, dass entgegen des von uns so hervorgehobenen Hinduismus „der Ursprung aller Traditionen im Westen liegt“. Dies ist jedoch nicht richtig, da wir immer betonen, dass dieser Ursprung polar ist und der Pol weder dem Westen noch dem Osten zugeordnet werden kann. Und es ist wohl offensichtlich, dass Norden und Westen zwei unterschiedliche Himmelsrichtungen sind. Erst in einem späteren Zeitalter wurde der Sitz der ursprünglichen Tradition in eine andere Region verlegt, so dass als Folge davon gesagt werden kann, dass ihr Sitz zu gewissen Zeiten westlich und zu anderen Zeiten östlich war. Die letzte Verlagerung, die lange vor den Zeiten stattgefunden haben muss, die heutzutage als „historisch“ gelten und die überdies die einzigen sind, die der Forschung der weltlichen Geschichtsschreibung zugänglich sind, führte dazu, dass dieser Sitz in den Osten verlagert wurde. Wir möchten auch betonen, dass der Hinduismus selbst in der Veda und anderen heiligen Schriften lehrt, dass der Ursprung der Tradition im Norden liegt.4 Das Land, bei dem die Sonne „um den Horizont kreist, ohne unterzugehen“, muss sich sehr nahe am Pol befunden haben oder direkt der Pol selbst gewesen sein. Es wird auch gesagt, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Vertreter dieser Tradition in eine Region übergesiedelt seien, in der der längste Tag doppelt so lang wie der kürzeste war. Dies bezieht sich jedoch bereits auf eine nachfolgende Phase, die geographisch sicher nicht mehr mit Hyperboräa gleichzusetzen ist.

Le Cour liegt jedoch möglicherweise richtig, wenn er zwischen einem südlichen und einem nördlichen Atlantis unterscheidet, auch wenn nicht zu klären ist, ob sie ursprünglich vereint waren oder nicht. Aber auch in diesem Fall hat das „nördliche Atlantis“ nichts mit Hyperboräa zu tun. All diese Betrachtungen werden noch dadurch erschwert, dass im Laufe der Zeit die gleichen Bezeichnungen für völlig verschiedene Regionen verwendet wurden. Und diese Namen bezeichneten nicht nur aufeinander folgende Örtlichkeiten des anfänglichen Zentrums, sondern wurden auch für nachrangige Zentren verwendet, die aus ihnen mehr oder weniger direkt hervorgegangen sind. Wir haben diese Schwierigkeit in unserer Studie Der König der Welt näher betrachtet und auf der Seite, auf die sich Le Cour bezieht, dazu folgendes geschrieben:

Es ist jedoch wichtig, zwischen dem Tula, das mit Atlantis verbunden wird, und dem Tula der Hyperboräer zu unterscheiden. Letzteres stellt das ursprüngliche und höchste Zentrum für die Gesamtheit des heutigen manvantara dar. Es handelte sich dabei um das „heilige Land“, was wörtlich zu verstehen ist, da es den Pol darstellte. All die anderen „heiligen Inseln“, die an anderen Orten und in anderen Traditionen zu finden sind, stellen davon nur nachrangige Abbilder dar. Dies gilt auch für das geistige Zentrum der Tradition von Atlantis, da dieses nur in einem nachrangigen Zyklus unseres manvantara zum höchsten Zentrum wurde.

Dazu hatten wir noch folgende Fußnote ergänzt:

Eine der Hauptschwierigkeiten, den Übergangspunkt von der Tradition von Hyperboräa zu der von Atlantis bestimmen zu können, liegt in den vielen Vermischungen von Namen aus beiden Traditionen. Sie führen zu großer Verwirrung, aber vielleicht lässt sich dies eines Tages doch noch auflösen.5

In Bezug auf diesen Übergangspunkt hatten wir in erster Linie das Druidentum vor Augen. Aber genau zu diesem Thema lässt sich erneut in der Zeitschrift Atlantis (Ausgabe Juli-August 1929) ein weiterer Beweis dafür finden, der zeigt, wie schwierig es manchmal ist, sich verständlich auszudrücken. Zum „dreifachen Einschluss“, über den wir in der Juni Ausgabe einen Artikel geschrieben hatten, schreibt Le Cour folgendes:6

Die Bedeutung dieses Zeichens wird auf ein rein druidisches Symbol beschränkt. Es ist aber wahrscheinlich älter und geht über die Welt der Druiden hinaus.

Wir sind allerdings weit davon entfernt, daraus ein rein druidisches Symbol zu machen und haben dies in dem genannten Artikel auch weiter ausgeführt:

Und die Tatsache, dass dieses Bild nicht nur unter den Kelten verbreitet war, deutet darauf hin, dass auch andere Traditionen Hierarchien hatten, die auf derselben Unterteilung aufgebaut waren. Dies ist auch nicht weiter überraschend, da die Einteilung der Initiation in drei Grade die häufigste ist, auf die man treffen kann, so dass sie auch als die grundlegendste angesehen werden kann.7

Um jedoch eine Aufeinanderfolge bestimmen zu können, müsste man zuerst in der Lage sein, die Epoche genauer festzulegen, in der das Druidentum vorherrschend war. Wir vermuten, dass diese weiter zurückliegt als allgemein angenommen wird, da sich ein bedeutender Teil der Tradition der Druiden auf eine hyperboräische Abstammung zurückführen lässt.

Wir möchten die Gelegenheit nutzen, um noch eine weitere wichtige Anmerkung zu machen. Wenn wir hier von „hyperboräisch“ sprechen, so entspricht dies dem Sprachgebrauch, der seit den antiken Griechen in Verwendung ist. Aber die Verwendung dieses Wortes zeigt, dass bereits in der klassischen Epoche der Antike der Sinn für die ursprüngliche Bezeichnung verloren gegangen ist. Es wäre im Grund ausreichend, „boräisch“ zu sagen, was ein genaues Gegenstück zur Sanskrit Bezeichnung Varāha oder zu dessen weiblicher Form Varahī ist, wenn es um das Gebiet eines Landes geht. Es bezeichnet das „Land des weißen Ebers“ während einer Periode des Aufstiegs der Kshatriyas, die Parashurāma beendete.8

Im Folgenden möchten wir noch einige Worte zu den Fragen ergänzen, die Le Cour in seinen beiden Anmerkungen stellt. Die erste bezieht sich auf die Swastika und er behauptet, wir würden daraus „ein Zeichen für den Pol“ machen.9 Wir möchten Le Cour hier nicht zu nahetreten, aber es ist wichtig, die Dinge so zu sehen, wie sie sind: Für uns ist Le Cour ein „Suchender“ (und damit sollen seine Verdienste keinesfalls abgewertet werden), der seine Entdeckungen mit Erklärungen ergänzt, die seinen persönlichen Ansichten folgen (und die in manchen Fällen als weit hergeholt bezeichnet werden müssen). Er kann dies natürlich tun, da er keiner Tradition angehört und daher auch nicht auf die Kenntnisse zurückgreifen kann, die aus einer direkten traditionellen Übertragung stammen. In anderen Worten gesagt, beschäftigt er sich mit Archäologie, wogegen wir uns mit der Wissenschaft der Initiation befassen, was zwei Sichtweisen sind, die selbst dann nicht miteinander in Übereinstimmung kommen können, wenn sie exakt das gleiche Thema behandeln. Wir möchten daher klarstellen, dass wir aus der Swastika kein „Zeichen des Poles machen“, sondern lediglich darlegen, dass es genau dies schon immer war und damit dessen wahrhafte traditionelle Bedeutung ist. Es handelt sich dabei also um eine Tatsache, die weder Le Cour noch wir ändern können. Le Cour, der zu diesem Punkt nur mehr oder weniger hypothetische Auslegungen beisteuern kann, behauptet einfach, dass die Swastika „nur ein Symbol ist, das sich auf ein Ideal bezieht, dem die Erhabenheit fehlt“.10 Dabei handelt es sich allerdings ausschließlich um die Art und Weise, wie er selbst die Dinge sieht und um nichts mehr. Wir zögern daher, uns näher mit dieser Aussage zu beschäftigen, da sie nur eine persönliche und gefühlsbedingte Meinung darstellt: „Erhaben“ oder nicht, ein „Ideal“ ist für uns etwas Leeres und in Wahrheit geht es um Dinge, die viel „positiver“ sind, auch wenn wir zögern, dieses Wort zu benutzen, da es oft missbräuchlich verwendet wird.

Le Cour findet außerdem noch an einer Bemerkung Missfallen, die wir in Bezug auf einen Artikel eines seiner Mitarbeiter gemacht haben. Er wollte in diesem Artikel unbedingt einen Gegensatz zwischen Ost und West herstellen und für den Osten einen Ausschließlichkeitsanspruch begründen.11 Wie folgendes Zitat beweist, schrieb dieser Mitarbeiter erstaunliche Dinge über uns:

René Guénon ist als reiner Logiker nur dazu fähig, die intellektuelle Seite der Dinge untersuchen, die sowohl den Osten als auch den Westen betreffen. Dies lässt sich aus seinen Schriften deutlich entnehmen. Er bezeugt dies auch selbst, indem er erklärt, dass Agni sich selbst genüge (siehe Regnabit, April 1926) und auf diese Weise die Dualität von Aor-Agni übergeht, auf die wir uns in dem vorliegenden Artikel noch öfter beziehen werden, da diese Dualität der Grundstein für das Gefüge der manifestierten Welt ist.

Normalerweise sind wir gleichgültig gegenüber dem, was über uns als Person geschrieben wird, doch hier können wir es nicht kommentarlos stehen lassen, dass wir als „reiner Logiker“ bezeichnet werden. Wir betrachten Logik und Dialektik lediglich als Instrumente zur Auslegung, die manchmal sehr nützlich sein können, aber dennoch rein äußerlichen Charakters sind, so dass sie für sich alleinstehend von keinem Interesse sind. Unser Standpunkt ist der der Initiation und alles andere hat aus dieser Sicht keinen Wert, was sich insbesondere auf alles bezieht, was dem weltlichen Wissen zuzurechnen ist. Wir sprechen oft von einer „reinen Geistigkeit“, die initiatisch zu verstehen ist und damit einen Sinn hat, der sich völlig von der Bedeutung unterscheidet, die Le Cour damit verbindet. Er verwechselt vielmehr „Intelligenz“ mit „Vernunft“ und behauptet sogar, es gäbe eine „ästhetische Eingebung“, wogegen es doch keine andere echte Eingebung geben kann als die „geistige Eingebung“, die der über dem Verstand liegenden Ordnung angehört. Es geht hier um etwas Großartiges, das von jemandem nicht erfasst werden kann, der nicht weiß, was „metaphysische Verwirklichung“ tatsächlich bedeutet. Aus diesem Grund entsteht vielleicht der Eindruck, dass wir ein „Theoretiker“ seien, was aber lediglich beweist, dass er unsere Schriften nicht verstanden hat, obwohl er sich anscheinend mit ihnen durchaus intensiv beschäftigt hat.

Bezüglich der angesprochenen Erzählung um Aor-Agni, derer wir sehr wohl bewusst sind, ist es höchste Zeit, ein für alle Mal den damit verbundenen Phantastereien ein Ende zu bereiten, für die Le Cour allerdings auch nicht verantwortlich ist: Aus gutem Grund kann Agni für sich selbst stehen, da dieser Begriff in Sanskrit Feuer in all seinen Aspekten bezeichnet. Wer etwas anderes behauptet, beweist damit seine Unkenntnis der hinduistischen Tradition. In dem angesprochenen Artikel in Regnabit haben wir nichts anderes gesagt:

Wir wissen, dass es unter den Lesern von Regnabit einige gibt, die mit den Theorien einer Schule vertraut sind, deren Arbeiten zwar sehr interessant und in mancher Hinsicht auch anerkennenswert sind, die aber dennoch gewisse Vorbehalte hervorrufen. So können wir der Verwendung der Begriffe Aor und Agni nicht zustimmen, um die wechselseitigen Aspekte des Feuers (Licht und Hitze) zu bezeichnen. Das erste dieser beiden Worte entstammt dem Hebräischen, während das andere ein Begriff ist, der seine Wurzeln in Sanskrit hat. Man kann nicht einfach zwei Begriffe miteinander verbinden, die völlig unterschiedlichen Traditionen angehören, auch wenn es unter solchen Traditionen tatsächliche Entsprechungen oder sogar eine grundsätzliche Übereinstimmung gibt, die unter der Verschiedenheit ihrer jeweiligen Formen verborgen ist. In diesem Zusammenhang darf man „Synkretismus“ nicht mit einer wahrhaftigen Synthese verwechseln. Wenn man außerdem Aor Licht zuordnet, so ist Agni das leuchtende Prinzip in seiner Gesamtheit (was sich auch in der Bedeutung des lateinischen Wortes ignis widerspiegelt), also Licht und Hitze gesamthaft gesehen. Die Einschränkung von Agni auf den zweiten Aspekt der Hitze ist daher völlig willkürlich und ungerechtfertigt.

Wir möchten betonen, dass wir beim Verfassen dieser Bemerkungen uns nicht speziell auf Le Cour bezogen haben, sondern vielmehr Hiéron de Paray-le-Monial vor Augen hatten, der der eigentliche Urheber dieser absonderlichen Verknüpfung ist. Es gibt für uns keinen Grund, einer Fantasie weitere Beachtung zu schenken, die der allzu fruchtbaren Einbildung von Sarachaga entsprungen ist, dem jegliche Autorität aus traditioneller Sicht fehlt.12

Le Cour nimmt seinen Artikel zum Anlass, die anti-metaphysische und antiinitiatische Theorie des modernen westlichen „Individualismus“ zu fördern, was aber nur seiner persönlichen Anschauung entspringt und nur ihn betrifft. Er macht noch folgende Anmerkung, bei der sich eine gewisse Prise Stolz bemerkbar macht, was wiederum zeigt, dass er noch nicht von allen individuellen Bedingtheiten befreit ist: „Wir behalten unsere Sichtweise bei, weil wir die Vorfahren im Bereich des Wissens sind.“ Eine derartige Behauptung ist wahrhaft außergewöhnlich: Glaubt Le Cour etwa, dass er derart alt sei? Die Menschen des modernen Westens sind nicht nur nicht die Vorfahren von irgendjemandem, sie sind noch nicht einmal die rechtmäßigen Nachfahren, da sie den Schlüssel zu ihrer eigenen Tradition verloren haben. Die Abweichung hat nicht im Osten stattgefunden, wie von jenen behauptet wird, die all das nicht erkennen, was in den östlichen Lehren an traditionellem Gedankengut überdauert hat. Die „Vorfahren“ – um Le Cours Begriff zu verwenden – sind die tatsächlichen Bewahrer der anfänglichen Tradition. Es kann auch keine anderen geben und man wird sie im heutigen Zeitalter sicher nicht im Westen finden.

1 Siehe unsere Studie TRADITIONELLE SYMBOLIK, Kapitel 21.

2 Hermann Wirth, DER AUFGANG DER MENSCHHEIT.

3 Diese Frage hängt auch mit der Neigung der Erdachse zusammen, die nach gewissen traditionellen Vorstellungen nicht immer vorhanden war, sondern als Folge dessen auftrat, was in den westlichen Sprachen als der „Fall des Menschen“ bezeichnet wird.

4 Wer diesbezüglich genauere Quellangaben wünscht, sei auf das bemerkenswerte Buch THE ARCTIC HOME IN THE VEDA von B. G. Tilak verwiesen, das aber allem Anschein nach in Europa weitgehend unbekannt geblieben ist, was wohl auch daran liegt, dass der Autor ein nicht dem Westen zugewandter Hindu ist.

5 Siehe unsere Studie DER KÖNIG DER WELT, Kapitel 10 und Fußnote 2. In Bezug auf das atlantische Tula halten wir noch folgende Informationen für erwähnenswert: „1925 erhoben sich die Cuna Indianer, töteten Polizisten aus Panama, die auf ihrem Land lebten und gründeten die unabhängige Republik Tulé, deren Flagge eine Swastika auf einem orangenen Feld mit einem roten Rahmen ist. Diese Republik existiert noch bis heute.“ (Les Indiens de l‘Isthme de Panama von G. Gandidier in JOURNAL DES DEBATS, 22. Januar 1929). Anscheinend sind die alten Traditionen des antiken Amerika nicht so vollständig verloren, wie dies zu befürchten ist.

6 Siehe TRADITIONELLE SYMBOLIK, Kapitel 8.

7 Ebd., Kapitel 8.

8 Der Name Varahī wird für das „heilige Land“ benutzt und symbolisch mit einem gewissen Aspekt der Shakti von Vishnu verbunden, der in diesem Fall unter seiner Manifestation als dritter avatāra betrachtet wird. Es gibt über dieses Thema noch viel mehr zu sagen und wir hoffen, dass wir eines Tages die Gelegenheit haben werden, näher darauf eingehen zu können. Wir möchte jedoch noch festhalten, dass dieser Name nie dazu benutzt wurde, Europa zu bezeichnen, was von Autoren wie Saint Yves d’Alveydre anscheinend angenommen wurde. Möglicherweise wären diese Fragen im modernen Westen nicht mit so viel Verwirrung verbunden, wenn Fabre d’Olivet und seine Anhänger sich nicht hoffnungslos darin verstrickt hätten, eine Verbindung zwischen Parashurāma und Rāmachandra herzustellen, also zwischen dem sechsten und siebten avatāra, die sich jedoch in nahezu jedem Aspekt voneinander unterscheiden.

9 Siehe TRADITIONELLE SYMBOLIK, Kapitel 12.

10 Wir nehmen an, dass Le Cour sich bei dieser Aussage auf die Auslegungen bezieht, die in Bezug auf die Swastika in heutiger Zeit verbreitet sind und nicht auf die, die im traditionellen Sinne damit verbunden sind. Hervorzuheben sind dabei insbesondere die deutschen Nationalsozialisten, die dieses Symbol sozusagen für ihre Zwecke okkupiert haben und es mit der barock anmutenden Bezeichnung „Hakenkreuz“ versehen haben.

11 Le Cour greift uns an, weil wir gesagt haben, dass sein Mitarbeiter „sicher nicht über die ‚Gabe der Zungen‘ verfügt“, was er als einen „unglücklichen Ausdruck“ bezeichnet. Dabei verwechselt er aber die „Gabe der Zungen“ mit linguistischem Wissen, denn das, um was es hier geht, hat nichts mit Gelehrsamkeit zu tun.

12 Es handelt sich hierbei um den gleichen Sarachaga, der zwadisca anstelle von Swastika schrieb. Einer seiner Anhänger, den wir auf diesen Unterschied aufmerksam machten, versicherte uns, dass es dafür einen speziellen Grund geben müsse – was aus unserer Sicht aber nicht als Rechtfertigung dienen kann.

2. Der Ort der atlantischen Tradition im heutigen Manvantara

Im vorangegangenen Kapitel haben wir uns mit einer oft anzutreffenden Verwechslung beschäftigt: Die anfängliche Tradition, die im wörtlichen Sinne „polar“ ist und deren Anfangspunkt der gleiche ist wie der unseres manvantara, wird dabei fälschlicherweise mit der davon abgeleiteten und nachrangigen Tradition von Atlantis gleichgesetzt, die sich auf eine eingeschränktere Periode bezieht. Wir haben dargelegt, dass diese Verwechslung bis zu einem gewissen Grad durch die Tatsache erklärt werden kann, dass die nachrangigen geistigen Zentren nach dem Bild des höchsten Zentrums aufgebaut sind und ihnen meist die gleichen Merkmale gegeben werden.13 So wird das atlantische Tula, das die Bezeichnung ist, die die Tolteken in Zentralamerika für den Sitz einer geistigen Macht eingeführt hatten, dort bis heute bewahrt und steht als solches für eine Ausstrahlung des hyperboräischen Tula. Und da Tula sich auf das Sternbild Libra (die Waage) bezieht, ist seine Verbreitung eng verbunden mit dem Übergang dieser Bezeichnung von der polaren Sternkonstellation des Großen Bären zum Sternzeichen, das heute den Namen der Waage trägt. Auch die Übertragung des sapta-riksha (dem symbolischen Wohnort der sieben rishis), die in einer bestimmten Epoche vom Großen Bären zu den Plejaden stattfand, lässt sich wahrscheinlich auf die Tradition von Atlantis zurückführen. Diese Sternkonstellation besteht ebenfalls aus sieben Sternen, die in einer Position des Tierkreises stehen. Noch deutlicher wird dies, wenn man beachtet, dass über die Plejaden gesagt wird, dass sie die Töchter des Atlas seien und daher auch Atlantiden genannt werden.

All dies steht in Übereinstimmung mit den geographischen Orten der traditionellen Zentren, da diese mit ihren Eigenschaften und Orten jeweils mit einer bestimmten zyklischen Periode verbunden sind. Es lässt sich sagen, dass dies alles enger miteinander verbunden ist, als von jenen vermutet wird, die die Gesetze gewisser Entsprechungen nicht kennen. So möchten wir festhalten, dass Hyperboräa dem Norden und Atlantis dem Westen entspricht. Doch obwohl sich die Bezeichnungen dieser beiden Regionen deutlich unterscheiden, gibt es immer wieder Verwechslungen, da ihnen Namen gegeben wurden, die von der gleichen Wurzel abstammen. Diese Wurzel lässt sich unter verschiedenen Formen finden wie hiber, iber oder eber und auch ereb, wenn die Buchstaben entsprechend übertragen werden. Sie alle bezeichnen eine Region des Winters und damit den Norden sowie die Region des Abends oder die der untergehenden Sonne und damit den Westen. Gleichzeitig werden durch die davon abgeleiteten Namen auch die Völker benannt, die diese Regionen bewohnen.

Die Position des atlantischen Zentrums auf einer Achse, die von Osten nach Westen geht, deutet bereits eine gewisse Unterordnung unter das hyperboräische Zentrum an, das auf der polaren Nord-Süd Achse liegt. Auch wenn im vollständigen System der sechs Richtungen des Raumes das Zusammentreffen dieser beiden Achsen ein horizontales Kreuz bildet, so muss man die Nord-Süd Achse dennoch als im relativen Sinn vertikal zur Ost-West Achse stehend sehen.14 In Übereinstimmung mit der Symbolik des jährlichen Zyklus kann man die Nord-Süd Achse als die Achse der Sonnenwenden und die Ost-West Achse als die der Tagundnachtgleichen bezeichnen.15 Dieses Wissen hilft uns wiederum zu verstehen, warum der Anfangspunkt des Jahres nicht in allen Traditionen der gleiche ist. Die Wintersonnenwende ist der Anfangspunkt, den man in Übereinstimmung mit der anfänglichen Tradition als normal bezeichnen kann. Wenn aber das Jahr an einer der beiden Tagundnachtgleichen beginnt, so deutet dies auf das Vorherrschen einer nachrangigen Tradition wie der von Atlantis hin.

Die Tradition von Atlantis wird wiederum einer Region zugeordnet, die im Tagesablauf dem Abend entspricht. Sie muss daher als jene betrachtet werden, die den letzten Einteilungen des Zyklus der heutigen irdischen Menschheit zuzuordnen ist und kann daher im zeitlichen Sinne als relativ „jung“ angesehen werden. So lässt sich sagen, dass sie sicher der zweiten Hälfte des heutigen manvantara angehört.16 So wie der Herbst innerhalb der Jahreszeiten dem Abend innerhalb des Tagesverlaufes entspricht, so lässt sich eine direkte Verbindung zur Welt von Atlantis herstellen, wenn man aus der hebräischen Tradition entnehmen kann (deren Name überdies ihre westlichen Wurzeln verdeutlicht), dass die Welt zur herbstlichen Tagundnachtgleiche erschaffen worden sei.17 Und dies ist möglicherweise der unmittelbare Grund (wobei es auch weitere gibt, die einer tieferen Ordnung angehören) für die Darstellung des „Abends“ (ereb) vor dem „Morgen“ (boker) in der in der Genesis zu findenden Aufzählung der Schöpfungstage.18 Dies wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass der Name Adam „rot“ bedeutet und über die Tradition von Atlantis gesagt wird, dass sie die der „roten Rasse“ gewesen sei. Die biblische Sintflut entspricht allem Anschein nach der Flut, in der Atlantis verschwand, so dass sie nicht mit der Flut von Satyavrata gleichgesetzt werden darf, die nach der hinduistischen Tradition direkt von der anfänglichen Tradition ausging und dem Anfang unseres manvantara vorausging.19 Diese Bedeutung, die man auch als historisch bezeichnen kann, schließt keineswegs andere Bedeutungen aus. Man darf auch nie die Tatsache aus den Augen verlieren, dass nach der Analogie, die zwischen einem anfänglichen Zyklus und seinen nachrangigen Zyklen besteht, in die sich dieser unterteilen lässt, alle Betrachtungen auch zu Anwendungen unterschiedlicher Grade fähig sind. Was wir damit sagen möchten, ist folgendes: Auch wenn der Zyklus von Atlantis als Grundlage für die hebräische Tradition dient, sieht es danach aus, als ob die Übertragung entweder durch die Vermittlung der Ägypter (was nichts Unwahrscheinliches an sich hat) oder durch völlig andere Mittel und Wege erfolgt ist.

Wir machen hier diese Einschränkung, weil es schwierig ist zu ermitteln, wie nach dem Verschwinden von Atlantis der Einfluss, der vom Westen kam, mit einem anderen, vom Norden und direkt von der anfänglichen Tradition ausgehenden Einfluss vereint wurde. Aus dieser Verbindung bildeten sich die verschiedenen traditionellen Formen, die in der letzten Periode unseres manvantara entstanden sind. Es handelt sich dabei also nicht um eine einfache Wiederaufnahme dessen, was von ihr in einer früheren Epoche ausgegangen ist, sondern eher um eine Verschmelzung von Formen, die zuvor unterschiedlich waren und nun Formen gebaren, die auf die neuen zeitlichen und räumlichen Umstände angepasst waren. Die Tatsache, dass die beiden Ströme auf gewisse Weise als unabhängig voneinander angesehen werden können, stärkt allerdings die falsche Annahme, dass es eine unabhängige atlantische Tradition gegeben habe. Wenn man die Bedingungen ermitteln möchte, unter denen diese Verschmelzung stattfand, so wäre es sicher notwendig, den Kelten und Chaldäern besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Sie sind in Wirklichkeit identisch und bezeichnen keine bestimmten Völker, sondern eine priesterliche Kaste. Wer weiß aber heute noch, was die Traditionen der Kelten und Chaldäer oder gar der antiken Ägypter tatsächlich waren? Man kann nicht vorsichtig genug sein, wenn man sich mit Zivilisationen befasst, die völlig verschwunden sind. Die von den modernen Archäologen unternommenen Versuche zur Rekonstruktion dieser Zivilisationen sind sicherlich nicht dazu geeignet, diese Frage zu beantworten. Viele Überreste einer vergessenen Vergangenheit werden gerade in unserer Zeit von der Erde freigegeben werden und dies geschieht vielleicht nicht ohne Grund. Wir möchten hier nicht darüber spekulieren, was aus diesen Entdeckungen hervorgehen kann, aber ihre Bedeutung wird sicher nicht von jenen Wissenschaftlern und Forschern erkannt, die sie machen. So bleibt uns nichts anderes als in ihnen gewisse „Zeichen der Zeit“ zu sehen und die Frage zu stellen, ob am Ende eines manvantara nicht alles wieder gefunden wird, damit es als Anfangspunkt für die Entstehung eines neuen Zyklus dienen kann.

13 Siehe auch unsere Studie DER KÖNIG DER WELT.

14 Siehe dazu unsere Studie DIE SYMBOLIK DES KREUZES.

15 Siehe unsere Studie TRADITIONELLE SYMBOLIK, Kapitel 10.

16 Wir sind der Meinung, dass die Dauer der Zivilisation von Atlantis mit einem „großen Jahr“ gleichzusetzen ist, wenn dieses im Sinne einer halben Periode der Kreisbewegung der Tagundnachtgleichen verstanden wird. Die Sintflut, die ihr ein Ende setzte, fand gewissen übereinstimmenden Daten zu Folge anscheinend 7.200 Jahre vor dem Jahr 720 des Kali-Yuga statt. Dieses Jahr ist wiederum selbst der Startpunkt einer bestimmten Ära, allerdings haben jene, die es heute noch verwenden, wohl keine Kenntnis mehr über seinen Ursprung oder dessen Bedeutung.

17 Dies entspricht dem ersten Tag des Monats Thishri, wenn man das Wort Bereshith auf eine gewisse Weise überträgt.

18 Auch bei den Arabern werden die Stunden des Tages üblicherweise vom maghreb aus gezählt, also startend mit dem Sonnenuntergang.

19 Im Gegensatz dazu beziehen sich die Fluten von Deucalion und Ogyges, die in der griechischen Antike beschrieben sind, wohl auf Perioden, die noch begrenzter sind und später stattgefunden haben als die von Atlantis.

Teil 2: Aspekte der Kabbala

3. Einige Anmerkungen zum Namen Adam

Im vorangegangenen Kapitel haben wir gesagt, dass die wörtliche Bedeutung von Adam „rot“ ist und man darin einen Hinweis auf die Verbindung der hebräischen Tradition mit der Tradition von Atlantis sehen kann, die die der „roten Rasse“ war. Im Gegensatz zu dieser Auslegung entwickelte unser Kollege Argos in seinem interessanten Artikel über „Blut und einige seiner Geheimnisse“ für den Namen Adam eine Ableitung, die sich davon unterscheidet. Nachdem er die übliche Auslegung vorgestellt hatte, die sich auf „aus Erde erschaffen“ (adamah) bezieht, warf er die Frage auf, ob der Name sich nicht möglicherweise auch vom Wort dam, „Blut“, ableiten könne. Der Unterschied zwischen diesen Auslegungen besteht jedoch nur dem Anschein nach, da all diese Wörter die gleiche Wurzel haben.

Zuerst möchten wir festhalten, dass aus linguistischer Sichtweise die weit verbreitete Ableitung des Namens Adam von adamah, das als „Erde“ übersetzt wird, nicht zu halten ist. Wäre der Zusammenhang umkehrt, wäre dies plausibler. Letztlich leiten sich aber beide Substantive von der gleichen, in Verbform vorliegenden Wurzel adam ab, die „rot sein“ bedeutet. Adamah bezeichnet in seinem ursprünglichen Sinn nicht die Erde im Allgemeinen (eretz) oder das Element Erde (yabashah, dessen eigentliche Bedeutung „Trockenheit“ und somit eine qualitative Charakteristik dieses Elements beinhaltet), sondern vielmehr roter Staub. Durch seine stofflichen Eigenschaften ist dieser Staub besonders dazu geeignet, eine gewisse Potentialität darzustellen, die sich darauf bezieht, dass er in der Lage ist, flexible Formen annehmen zu können. Die Arbeit des Töpfers wurde daher auch oft als Symbol verwendet, um das Erzeugen manifestierter Wesen aus der noch nicht unterschiedenen, anfänglichen Stofflichkeit zu verdeutlichen. Aus gleichem Grund hat die „rote Erde“ in der hermetischen Tradition eine besondere Bedeutung, da sie dort als eines der Symbole für die „anfängliche Materie“ gilt. Wörtlich verstanden kann die „anfängliche Materie“ in Form der „roten Erde“ diese Rolle allerdings nur auf relative Weise einnehmen, da sie dann bereits mit festgelegten und definierten Qualitäten ausgestattet ist. Überdies lässt sich die Beziehung, die zwischen der Bezeichnung für Erde und Adam besteht, wenn dieser als Bild für die Menschheit verstanden wird, auch in anderer Form im Lateinischen finden: Das Wort humus, „Erde“, steht homo oder humanus sehr nahe. Wenn wir jedoch andererseits den Namen Adam speziell auf die Tradition der „roten Rasse“ beziehen, so entspricht diese unter den Elementen der Erde und unter den Himmelsrichtungen dem Westen. Und auch diese Übereinstimmungen unterstützen das, was wir zuvor dargelegt haben.

Betrachten wir nun das Wort dam („Blut“, das sowohl im Hebräischen als auch im Arabischen verwendet wird). Es ist ebenfalls von der Wurzel adam abgeleitet:20 Blut ist die rote Flüssigkeit, was auch seine unmittelbare Charakteristik ist. Die Verwandtschaft zwischen dieser auf das Blut bezogenen Bezeichnung und dem Namen Adam lässt sich daher nicht bestreiten – zumal sie sich ja auf die Ableitung von einer gemeinsamen Wurzel bezieht. Diese Ableitung ist aber anscheinend für beide Fälle direkt, so dass es nicht möglich ist, von der Wurzel adam über das Bindeglied dam zum Namen Adam zu kommen. Natürlich kann man dies auch anders und auf eine weniger linguistische Art und Weise sehen, indem man sagt, dass der Mensch aufgrund seines Blutes „rot“ sei. Aber eine derartige Erklärung ist wenig zufrieden stellend, da das Vorhandensein von Blut nicht auf den Menschen beschränkt ist, sondern auch im Tierreich anzutreffen ist. In der hermetischen Symbolik ist die Farbe Rot die des Tierreiches, die Farbe Grün die des Pflanzenreiches und die Farbe Weiß die des Mineralreiches.21 Über die Farbe Rot und ihren Bezug zu Blut lässt sich vielmehr sagen, dass sie als der Sitz oder als das unterstützende Mittel für die Kraft angesehen werden kann, die man „tierische Lebendigkeit“ nennt. Doch kehren wir nun wieder zur spezifischen Beziehung des Namens Adam mit der „roten Rasse“ zurück: Auch aus einem anderen Blickwinkel gesehen lässt sich diese „rote Rasse“ nicht mit dem Vorherrschen von Blut im organischen Aufbau verbinden, da die mit Blut verbundenen Eigenschaften dem Feuer und nicht der Erde unter den Elementen entsprechen. Vielmehr wird die „schwarze Rasse“ mit dem Element Feuer verbunden und dem Süden unter den Himmelsrichtungen zugeordnet.

Wir möchten noch ergänzen, dass unter den Ableitungen der Wurzel adam auch das Wort edom zu finden ist, das wörtlich „rötlich-braun“ bedeutet und sich vom Name Adam nur durch die Vokale unterscheidet. In der Bibel ist Edom einer der Vornamen von Esau, weswegen seinen Nachfahren der Name Edomiter gegeben wurde und das Land, in dem sie lebten als Idumäa bezeichnet wurde (und das im Hebräischen in seiner weiblichen Form ebenfalls Edom heißt). Dies erinnert an die „sieben Könige von Edom“, die im Zohar erwähnt werden. Die enge Verwandtschaft von Edom mit Adam ist möglicherweise einer der Gründe, warum dieser Name verwendet wird, um verschwundene Völker zu bezeichnen – also jene, die in den vorangegangenen manvantara gelebt hatten.22 Es gibt auch eine Beziehung, die dieser zuletzt betrachtete Punkt mit den so genannten „Prä-Adamiten“ hat: Wenn man Adam als den Ursprung der „roten Rasse“ und einer speziellen, mit ihm verbundenen Tradition nimmt, so sind dies die anderen Rassen, die Adam im Verlaufe des heutigen menschlichen Zyklus vorangegangen sind. Versteht man sie in einem weiter gefassten Sinne als die Prototypen für die Gesamtheit der heutigen Menschheit, so sind sie eben das, für das die „sieben Könige von Edom“ stehen. Die Diskussionen, zu denen diese Frage Anlass gegeben hat, sind jedoch mehr oder weniger nutzlos, da es bei diesen Zusammenhängen eigentlich keinen Raum für Verständnisschwierigkeiten geben sollte. In der islamischen Tradition ist dazu ein ḩādith (also ein Ausspruch des Propheten) zu finden, dass „vor dem Adam, den wir kennen, Gott hunderttausend andere Adam erschaffen hat“ (also eine unbestimmte Anzahl). Dies ist wiederum eine klare Bestätigung für die Vielfalt der zyklischen Perioden und der in ihnen lebenden verschiedenen Formen der Menschheit.

Wir möchten nun abschließend auf die symbolische Bedeutung des Blutes als Mittel für die Lebendigkeit zurückkommen. In einer unserer Studien haben wir bereits dargelegt,23 dass Blut eine der Verbindungen des körperlichen Organismus mit dem feinstofflichen Zustand des Menschen bildet, der üblicherweise als die „Seele“ bezeichnet wird (nephesh chayah, die „lebende Seele“ aus der Genesis). Im etymologischen Sinne ist das Blut damit der „Lebendigmacher“ (anima) oder die lebensspendende Kraft des Seins. In der hinduistischen Tradition wird der feinstoffliche Zustand aufgrund einer Analogie zu tejas, dem leuchtenden Element, Taijasa