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Darf ich mich vorstellen? Hazel Miller, 23 Jahre alt, wohnt bei ihren Eltern, Loser der Familie, bekannteste Reinigungskraft in der Stadt der Hexen und Zauberer, Mutter einer wunderbaren 6-Jährigen. Noch Fragen? Wenn Hazel eines nicht gebrauchen kann, dann ist es ein Job als persönliche Assistentin bei einem schwarzmagischen Zauberer! Als bekannteste Reinigungskraft in der Stadt der Magie, kämpft sich die Hexe der Sauberkeit durch den Alltag und versucht so gut wie möglich für sich und ihre Tochter zu sorgen. Das funktioniert einigermaßen gut, zumindest bis der Zauberer mit den verflixt grünen Augen ihren Weg kreuzt – Aidan Williams. Der von allen gefürchtete Schwarzmagier verfolgt seine eigenen Ziele, ist dabei undurchschaubar, geheimnisvoll und hat nicht vor, Hazel einfach so davonkommen zu lassen, nachdem sie für das plötzliche Ableben einer seiner Pflanzen verantwortlich ist. Dass sie seine Assistentin werden soll, kommt für sie überhaupt nicht infrage, doch schon bald stellt sich heraus, dass ihre Magie eine besondere Eigenschaft hat und sie vielleicht die einzige Hexe ist, die etwas gegen jene schwarzmagischen Gegenstände ausrichten kann, die die Zauberwelt bedrohen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
K.M. Parker
Eine erfrischend gute Hexe!
Zauberhafte Assistentin
Roman
Kapitel 1
Wenn es um Ihre Immobilie geht, denken Sie an uns, denn wir von ›Zauberhafte Immobilien‹ legen Wert auf Vertrauen, hochwertiges Material und unverschämt angemessene Preise. Als Familienbetrieb bieten wir Ihnen eine umfassende Betreuung und decken jeden Eckpfeiler des allgemeinen Wohnens ab. Sie möchten ein Haus bauen? Kein Problem. Unser Firmengründer, Mr. Alan Miller, allgemein bekannt als der Zauberer der Planung, berücksichtigt in einem hochprofessionell und per Magie angefertigten Bauplan all ihre Wünsche.
Unsere Hexe der Koordination, Mrs. Protea Miller, sorgt dafür, dass Sie über Ihr Bauprojekt immer auf dem Laufenden gehalten werden und Verzögerungen zu einem Faktor werden, den wir nicht einmal wagen, in den Mund zu nehmen.
Sie denken, das ist zu schön, um wahr zu sein? Es wird sogar noch besser, denn sobald Ihre Immobilie fertiggestellt wurde, stehen Ihnen zwei weitere Mitarbeiter unserer Firma zur Seite.
Miss Gloriosa Miller, bekannt als die Hexe der Farben, hilft Ihnen dabei, Ihr neues Heim geschmackvoll und nach Ihren Wünschen einzurichten. Unsere Inneneinrichterin hat bereits etliche Preise gewonnen und durfte unter anderem das Rathaus der Hexen und Zauberer verschönern. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Ihre Nachbarn vor Neid erblassen werden.
Abgerundet wird unser Service am Ende durch Mr. Robert Miller. Sie haben Kinder, Haustiere, oder sind allgemein daran interessiert, kleine und große Unfälle zu vermeiden? Perfekt! Unser Zauberer der Sicherheit hat ein Patent auf den ›Anti-Stoß-Und-Fall-Zauber‹, den er mit gerade einmal 18 Jahren erfand. Wenn Sie fallen, werden Ihre Möbel Sie auffangen. Wenn Sie im Begriff sind, sich am Tisch zu stoßen, wird er Ihnen rechtzeitig ausweichen. Verschwenden Sie keinen Gedanken an blaue Flecken oder gebrochene Knochen.
Wir von ›Zauberhafte Immobilien‹ geben uns mit nicht weniger als einem perfekten Zuhause für jeden einzelnen unserer Kunden zufrieden, denn wir wissen: Zauberhaft wohnen bedeutet, glücklich leben – und das mit Liebe.«
Die Stimme, die die gesamte Küche beschallt hatte, verstummte und meine Schwester blickte auffordernd in die Runde. Mit einer fließenden Bewegung warf sie ihr langes, blondes Haar zurück und ein breites Lächeln zierte ihren Mund.
»Und? Wie findet ihr es? Ist es nicht ganz wunderbar geworden? Es musste aussagekräftig sein und alles wiedergeben, was ›Zauberhafte Immobilien‹ leisten kann. Wir bieten unseren Kunden so viel an, dass ich gar nicht wusste, was ich zuerst erwähnen soll. Manchmal frage ich mich, warum es überhaupt noch andere Immobilienfirmen gibt, die versuchen, uns Konkurrenz zu machen. Ich meine …« Sie machte eine ausladende Bewegung mit beiden Armen. »Muss ich noch mehr dazu sagen? In den letzten zwölf Monaten ist unsere Auftragslage um das Dreifache gestiegen und bald wird uns keine andere Möglichkeit mehr bleiben, als Personal einzustellen.«
»Kein Fremdpersonal!«, sagte Dad sofort, während er sich Kaffee einschenkte und den Kopf schüttelte. »Wir sind ein Familienbetrieb und brauchen keine weiteren Angestellten. Darüber haben wir schon gesprochen.«
»Aber wir können nicht überall gleichzeitig sein und wir haben mittlerweile eine Warteliste für die nächsten drei Jahre.«
»Kein Fremdpersonal!«, erwiderte Dad noch einmal und er hätte noch mehr gesagt, wenn Mum nicht dazwischengegangen wäre.
»Hatten wir nicht abgemacht, dass wir keine Firmengespräche mehr beim Frühstück führen? Ihr könnt euch später darüber unterhalten. Und, Gloriosa? Der Spot ist wirklich ganz hervorragend geworden. Danke, dass du dich darum gekümmert hast. Vielleicht sollten wir aber noch erwähnen, dass wir auch Wohnungen anbieten, nicht nur Häuser.«
»Ich dachte, wir reden hier nicht über die Firma«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen und Dads Mundwinkel zuckten ebenso in die Höhe wie meine eigenen.
»Ganz richtig«, stimmte er mir zu. »Aber wenn wir beim Frühstück darüber sprechen würden, hätte ich nur drei Worte zu sagen: kein verdammtes Fremdpersonal.«
»Ich habe nicht über die Firma gesprochen«, warf Mum ein. »Sondern über den Spot. Das ist etwas ganz anderes.«
»Sicher, Liebling. Und ich wollte nur eine allgemeine Äußerung über das Wort Fremdpersonal machen. Mehr nicht.«
»Das ist doch lächerlich«, brummte meine Schwester und ließ sich endlich auf ihrem Stuhl nieder. »Warum können wir jetzt nicht darüber reden? Wenn ihr etwas an dem Spot verändern wollt, dann muss ich es möglichst schnell erfahren. Bald findet das Fest der Magie statt und es ist eine Ehre für uns, dass wir unsere Werbung dort so offenkundig platzieren dürfen. Sie muss perfekt sein, ist euch das klar?«
»Natürlich, mein Schatz«, sagte Mum beschwichtigend und schnippte die Finger, um meiner Schwester auf magische Art und Weise den Kaffee einzuschenken. »Es wird alles ganz wunderbar, du wirst sehen.«
»Dann hat niemand irgendwelche Verbesserungsvorschläge, außer Mum?«
Alle Anwesenden schüttelten den Kopf, doch mein Bruder überraschte uns. Die ganze Zeit über hatte er in einem Buch gelesen, doch jetzt ließ er es sinken.
»Hazel«, sagte er und warf mir einen Blick zu. »Was ist mit Hazel? Du hast sie in dem Spot nicht erwähnt. Sie gehört zum Familienbetrieb dazu, oder hat sie gekündigt und ich weiß nichts davon?«
Kurz wurde es mucksmäuschenstill in der Küche und alle Anwesenden starrten mich an. Dann, im nächsten Moment, sprachen alle durcheinander und das Verbot, die Firma am Frühstückstisch zu erwähnen, geriet nicht nur ins Wanken, sondern verschwand vollkommen im Nirgendwo. Wenn man meine Familie über geschäftliche Dinge sprechen ließ, war das in der Regel so, als würde man tollwütige Hunde aufeinander loslassen. Das war schon so, seit ich denken konnte.
»Wenn das wieder einer deiner Versuche ist, mir Fremdpersonal schmackhaft zu machen …«, rief Dad, während meine Schwester vor Zorn rot anlief und ihm mit dem Zeigefinger drohte.
»Ich muss überhaupt nichts schmackhaft machen. Spätestens wenn wir alle mit einem Burn-out im Bett liegen, musst du deine Ansichten überdenken.«
»Heiliger Zaubertrank, sag doch so etwas nicht«, rief Mum dazwischen. »Das darf auf keinen Fall geschehen. Alan, Schatz, vielleicht sollten wir doch …«
»Kein – verdammtes – Fremdpersonal! Und warum wurde deine Schwester in dem Spot nicht erwähnt?«
Die Diskussion der drei wurde immer lauter, während ich mich zu Robert lehnte und ihn mit dem Ellenbogen anstieß.
»Sollen wir nicht irgendetwas machen?«
Mein Bruder blickte über den Rand seines Buches und rollte die Augen. »Und was?«
»Keine Ahnung. Aber es ist doch unnötig, darüber zu streiten. Wir sollten in Ruhe darüber reden.«
»Stört es dich gar nicht, dass du in dem Spot nicht erwähnt wurdest?«
Das war eine gute Frage. Vor ein paar Jahren hätte ich darauf wahrscheinlich mit Ja geantwortet, aber ich war mittlerweile 23 Jahre alt und hatte ganz andere Sorgen.
»Sie hat es bestimmt nur vergessen«, sagte ich leise. »Das kann schon passieren, ist nicht schlimm.«
»Und wie hätte ich Hazel bitteschön erwähnen sollen?«, fragte meine Schwester in genau diesem Moment und zog unsere Aufmerksamkeit auf sich. »Der Spot repräsentiert eine mächtige Firma und von anderen Hexen und Zauberern angesehene Zauberkräfte. Wie soll das dann dazu passen?«
Sie deutete auf den Mülleimer, den ich verzaubert hatte, damit er den Abfall verschwinden ließ, indem er ihn verspeiste.
Er gab genau in diesem Moment ein lautes Rülpsen von sich, woraufhin Gloriosa den Kopf schüttelte und rief: »Beweisführung abgeschlossen. Hazel weiß schon, dass ich es nicht böse meine, aber ihre Magie ist eben nicht die schönste. Wer möchte in einem hochwertigen Werbespot, der sich mit Immobilien befasst, etwas über das Beseitigen von Müll und Schmutz hören? Außerdem arbeitet sie nicht nur für ›Zauberhafte Immobilien‹, sondern quasi für alle Geschäfte der Stadt und ist somit nur eine Teilzeitkraft.«
»Es ist keine Schande die Hexe der Sauberkeit zu sein«, sagte Mum und warf mir einen Blick zu. »Niemand beseitigt so effektiv ein Durcheinander wie Hazel. Wenn ich an den ganzen Bauschmutz denke: Würde sie nicht mit uns arbeiten, würde es eine Ewigkeit dauern, bis unsere Auftraggeber in ihre Häuser ziehen können. Keine Reinigungsfirma der Welt ist so schnell und gründlich wie sie.«
»Ist schon gut, Mum«, sagte ich schnell. »Ich muss nicht in dem Spot erwähnt werden. Vielleicht ist es auch besser so. Es könnte ja sein, dass ich mich irgendwann doch noch selbstständig mache, mit einer eigenen Reinigungsfirma oder so.«
»Du willst nicht mehr mit uns arbeiten, Liebes?«
»Doch, Mum. Aber ich könnte ja …«
»Unsinn!«, mischte Dad sich ein. »Du gehörst zu uns und damit basta. Eine eigene Firma für dich allein wäre zu viel Verantwortung, das weißt du. Es ist doch prima, wie es gerade für dich läuft. Wenn ich daran denke, wie du vor ein paar Jahren vor unserer Tür gestanden hast, ohne Perspektive.«
»Natürlich, Dad. Aber ich …«
»Wir sollten nicht mehr darüber reden. ›Zauberhafte Immobilien‹ braucht dich, mein Kind. Wenn du die Häuser und Wohnungen nicht für die Einzüge unserer Kunden in Ordnung bringen würdest, würde unser Zeitplan massiv leiden. Du bist sehr wichtig für uns. Und jetzt muss ich mich auf den Weg machen. Mein Kunde erwartet mich um 10 Uhr.«
Bevor ich noch irgendetwas sagen konnte, verabschiedeten sich alle nach und nach. Erst zog Dad sich den schwarzen Umhang über und schnippte die Finger, um zu verschwinden, dann machten sich Robert und Mum gemeinsam auf den Weg zum Auto, um einen der Auftraggeber zu Hause zu besuchen.
Die Küche mit den weißen Möbeln erschien mir mit einem Mal noch größer als sie sowieso schon war und mir entfuhr ein leises Seufzen.
»Vielleicht sollten wir beim Frühstück wirklich nicht mehr über die Arbeit sprechen«, sagte ich zu Gloriosa, die mit mir zurückgeblieben war. »Aber der Spot ist wirklich sehr schön geworden. Das hast du gut gemacht.«
»Weißt du, was ich nicht verstehe?«, fragte sie und ignorierte meine Worte. »Warum bist du nur so furchtbar undankbar?«
»Wie bitte? Ich verstehe nicht …«
»Musst du Mum aufregen, indem du so tust, als würdest du deine eigene Firma gründen? Du weißt genau, dass sie sich immer sofort die größten Sorgen macht. Vor allem um dich. Du hast sie fast um den Verstand gebracht, als du mit einem nichtmagischen Mann durchgebrannt bist und du kannst wirklich froh sein, dass unsere Eltern dich mit offenen Armen empfangen haben, als du wieder vor ihrer Tür gestanden hast.«
Ich war überrascht und erschrocken über die Ehrlichkeit meiner Schwester und brauchte einige Sekunden, um mich zu sammeln. Mein Mund fühlte sich trocken an.
»Natürlich bin ich dankbar …«
»Ach ja? Das hörte sich aber nicht so an.«
»Ich war erst 17, Gloriosa.«
»Umso schlimmer ist es doch. Du warst nie dumm, Hazel, und trotzdem hast du uns alle blamiert. Eine Weile war es so schlimm, dass ich dachte, wir müssten die Stadt der Hexen und Zauberer verlassen.«
»Weil ich einen nichtmagischen Mann gewählt habe?«
»Nicht nur deshalb, das weißt du. Du bist mit 16 schwanger geworden und er hat dich sitzen lassen. Die Leute zeigen immer noch mit dem Finger auf dich.«
»Hast du mich deshalb nicht in dem Spot erwähnt? Weil meine Vergangenheit peinlich für euch ist?«
Gloriosa sah mich an, ohne zu blinzeln. Erst nach einer Weile schüttelte sie den Kopf.
»Ich habe meine Worte von vorhin so gemeint, wie ich sie gesagt habe. Niemand möchte etwas über Müllbeseitigung hören, wenn er über sein Traumhaus nachdenkt. Das war nichts gegen dich, Hazel.«
Meine Schwester erhob sich, strich sich über die Anzugjacke und nahm ihre Tasche. So schnell wie unser Gespräch begonnen hatte, war es wieder vorbei. Obwohl mir noch jede Menge Worte auf der Zunge lagen, sprach ich kein einziges davon aus, gab mich geschlagen und ließ sie gehen.
Im Grunde hatte Gloriosa nur mein Leben zusammengefasst und sie konnte nichts dafür, dass ich ein paar große Fehlentscheidungen getroffen hatte.
Ja, ich war mit 16 Jahren von zu Hause abgehauen, hatte mich in einen stinknormalen Mann verknallt und war schwanger geworden. Ich hatte mir mein Leben auch anders vorgestellt, als völlig überfordert mit einem Säugling wieder an die Tür meiner Eltern zu klopfen, aber so war es gewesen. Alles, was ich danach tun konnte, war, die Scherben wieder aufzusammeln und weiterzumachen. Was eine Herausforderung darstellte, wenn man wie ich in einer Familie lebte, die in der Stadt der Hexen und Zauberer für ihre außergewöhnliche Magiebegabung bekannt war.
Ich blinzelte ein paar Tränen weg und schüttelte den Kopf.
»Immer weitermachen, Hazel. Aufgeben kommt nicht infrage.«
Schnell machte ich mich daran, mithilfe meiner Magie das Frühstücksgeschirr zu spülen und wieder Ordnung zu schaffen, denn das war alles, was ich beitragen konnte.
Willkommen in meinem Leben. Darf ich mich vorstellen?
Hazel Miller:
23 Jahre alt
Wohnt bei ihren Eltern
Loser der Familie
Bekannteste Reinigungskraft in der Stadt der Hexen und Zauberer
Mutter einer wunderbaren 6-Jährigen
Noch Fragen?
Kapitel 2
Unser gemeinsames Familienfrühstück fand in der Regel in aller Frühe statt, noch bevor jeder normale Mensch auf den Gedanken kam, sein Bett zu verlassen. Jetzt, da sowohl meine Eltern als auch meine Geschwister aus dem Haus waren, konnte ich die einzige halbe Stunde des Tages genießen, in der ich Zeit für mich bekam. Wie an jedem Morgen setzte ich mich an den Tisch, direkt ans Fenster, mit einer Tasse Kaffee in der Hand und blickte hinaus. Auch wenn es ganz sicher nie mein Traum gewesen war, mit 23 Jahren bei meinen Eltern zu leben, konnte ich nicht abstreiten, das Haus zu lieben, in dem ich aufgewachsen war. Die Küche war groß, hatte mehrere Fenster, die vom Fuß bis zur Decke reichten und war der Treffpunkt unserer Familie. Ich konnte mich daran erinnern, dass Mum ihre Küche aus Eichenholz geliebt hatte, doch mittlerweile war der Raum mit überwiegend weißen Möbeln bestückt worden. Der Boden war schon in meinen Kindheitstagen schwarz-weiß gefliest, und mein Bruder Robert und ich hatten oft so getan, als wären wir die Figuren eines Schachspiels.
Das Haus besaß ganze drei Etagen, wobei die oberste und kleinste momentan von mir und meiner Tochter Bonny bewohnt wurde.
Wahrscheinlich war ich tatsächlich undankbar, wie Gloriosa es so schön ausgedrückt hatte, aber Tatsache war, dass ich nicht länger als nötig bleiben wollte, auch wenn ich mich wohlfühlte. Mittlerweile arbeitete ich für die meisten der Geschäfte in der Stadt als Reinigungskraft, was mir genug Einkünfte bescherte, um eine halbwegs vernünftige Wohnung zu mieten. Warum ich es dann nicht tat? Puh, das war eine gute Frage.
Wahrscheinlich war meine größte Angst, es wieder zu verbocken. Damals, mit 16 Jahren, hatte ich mich denkbar schlecht angestellt, und heute konnte und wollte ich mir keinen weiteren Fehler erlauben. Das Wichtigste in meinem Leben war Bonny und wenn ich sie nur glücklich aufwachsen sehen konnte, indem ich den Kopf einzog und mein eigenes, selbstständiges Leben vernachlässigte, dann war das ein Preis, den ich zahlen musste.
Alle in meiner Familie hielten es für das Beste, wenn ich so weitermachte wie bisher. Das gab mir zu denken und hielt mich davon ab, auch nur die kleinste Veränderung anzustreben.
Nein, ich musste vernünftig sein. Hier zu wohnen, Mum und Dad an Bonnys Erziehung teilhaben zu lassen, meine eigenen Karrierepläne hintanzustellen – das war das einzig Richtige.
Ich schob die schweren Gedanken beiseite, trank meinen Kaffee und genoss die Aussicht in den Garten. Der Herbst hatte sich sichtlich breitgemacht, doch ich mochte es, wenn sich die Blätter der Bäume in allen Rot- und Brauntönen zeigten.
»Ich hab hunger, Mum.«
»Bonny, du bist ja schon wach.«
Meine Tochter stand mit zerzausten Haaren, die ihr überall vom Kopf abstanden im Türrahmen und gähnte ausgiebig.
»Tante Gloriosa war so laut, da bin ich aufgewacht. Warum hat sie denn geschrien? Habt ihr gestritten?«
»Niemand hat geschrien, Schatz, sie hat uns nur einen Spot vorgespielt.«
»Du meinst, etwas für die Arbeit?«
»Ja, genau. Komm, setz dich hin. Ich mache dir Frühstück.«
Ganz automatisch breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus, als ich dabei zusah, wie sie sich auf den Stuhl fallen ließ. Genauso wie ich war Bonny kein Morgenmensch und wenn man uns beide gefragt hätte, hätte der Tag erst um 12 Uhr beginnen dürfen. Auch sonst war mir mein Kind beängstigend ähnlich. Wir kämpften beide jeden Tag darum, unsere rotbraunen, störrischen Locken in den Griff zu bekommen und konnten uns viel zu schnell für alles begeistern. Genauso wie ich in meiner Kindheit, war Bonny ein schüchternes Mädchen und sie brauchte eine Weile, um sich mit anderen zu arrangieren. Sie war introvertiert, was ich nicht weiter schlimm fand, im Gegensatz zu ihren Lehrern.
Ich verzog das Gesicht, während ich die Mandelmilch mit dem Mehl vermengte, und konnte mir ein Augenrollen nicht verkneifen.
Was wussten diese Lehrer denn schon?
Seit wann war es ein Verbrechen, introvertiert zu sein? Und überhaupt, warum wurde das als etwas Negatives angesehen?
Es gab jene Menschen, die zu allem und jedem etwas zu sagen hatten und dann gab es die, die viel mit sich selbst ausmachten und auch gern mal allein waren.
Ich hatte weder mit dem einen noch mit dem anderen ein Problem und fand, dass man jeden einzelnen einfach so sein lassen sollte, wie er von Natur aus war.
»Mummy, es riecht hier ganz komisch.«
»Oh, verdammte Zauberkacke!«
Ich zog die Pfanne vom Herd und rettete die Waffeln gerade rechtzeitig, bevor sie ungenießbar werden konnten. Dann richtete ich zwei auf einem Teller an und verteilte etwas Sirup darauf.
»Hier, Schatz. Sie sind etwas dunkel geworden. Probier doch mal, ob sie dir trotzdem schmecken, ansonsten mache ich schnell ein Sandwich.«
»Ist schon gut, Mum. Ich mag Waffeln immer, egal ob sie gelb oder braun sind.«
»Das freut mich, Schätzchen. Hast du deine Tasche für die Schule gepackt?«
»Denke schon.«
»Das bedeutet?«
Bonny legte das Besteck zur Seite und rollte eine der Waffeln ein, um sie mit den Fingern zu essen. Ich wusste ganz genau, dass sie sich so viel wie möglich von ihrem Frühstück in den Mund schob, um mir nicht antworten zu müssen.
»Wir haben doch darüber gesprochen«, sagte ich und versuchte dabei, so wenig verzweifelt wie möglich zu klingen. »Du musst deiner Schule, den Lehrern und deinen Mitschülern eine Chance geben, Bonny. Du bist doch erst seit drei Monaten dort. Das ist viel zu kurz, um aufzugeben.«
Mein Kind zog es vor, die Achseln zu zucken, was mir in diesem Moment als Antwort reichen musste. Die Zeit war nur so dahingerannt und jetzt mussten wir uns beeilen, um uns fertigzumachen.
»Also los«, sagte ich etwa eine halbe Stunde später und versuchte Bonny dazu zu motivieren, etwas schneller zu laufen.
Gemeinsam schlenderten wir die gepflasterte Auffahrt hinunter und gingen durch den kleinen Waldabschnitt, der das Anwesen meiner Familie von der Stadt der Hexen und Zauberer trennte.
Die Stadt der Hexen und Zauberer war wunderschön. Sie hatte etwas Altertümliches, wahrscheinlich, weil die meisten Gebäude, wenn doch tadellos erhalten, noch aus sehr alten Zeiten stammten. Die Wege waren alle mit sauberen Steinen bedeckt und erhärteten diesen mittelalterlichen Eindruck. Natürlich konnte man an jeder Ecke die Magie der Bewohner bewundern, ob es nun die durch verschiedene Zauber verfeinerte Verkaufsware oder die Wege des Verkaufens waren. Beim Bäcker flogen die gewünschten Teile von allein in die Tüte und beim Obsthändler konnten Äpfel, Birnen und alle anderen fruchtigen Gesellen mit der Kundschaft sprechen und ihr mitteilen, was sie für einen Geschmack zu erwarten haben.
Um diese Zeit herrschte reges Treiben auf den Straßen, die Geschäfte wurden geöffnet und der Markt auf dem Versammlungsplatz bot jede Menge Köstlichkeiten an. Da ich mit 16 abgehauen war und eine Weile in den Städten der Nichtmagier gelebt hatte, wusste ich, wie verschieden die Welt der Magie und die der normalen Menschen waren. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, doch beides hatte seine Vor- und Nachteile.
Die Magie schien das Leben an vielen Ecken einfacher zu machen, allerdings konnte sie auch eine Last sein. Zumindest, wenn man wie ich die Hexe der Sauberkeit war und damit eine Gabe besaß, die wenig Wertschätzung bekam. Wenn man dann auch noch mit 16 abgehauen und grandios in der Welt gescheitert war … na ja … mehr musste man dazu wohl nicht sagen.
»Sieh mal, Bonny. Da vorne sind doch zwei deiner Klassenkameraden, oder? Soll ich dich zu ihnen bringen?«
»Ich möchte lieber mit dir allein gehen.«
»Bist du sicher? Das Mädchen links heißt Agathe, oder nicht? Du magst sie doch.«
»Weiß nicht.«
Ich unterdrückte ein Seufzen, bohrte aber nicht weiter nach. Schon nach wenigen Minuten kamen wir vor dem großen Goldtor der Hexen- und Zaubererschule an, und ich verabschiedete meine Tochter mit einem mulmigen Bauchgefühl in den Unterricht. Betroffen sah ich ihr dabei zu, wie sie langsam und mit hängendem Kopf auf den Eingang zuging und fragte mich, was es genau war, das ihr das Leben so schwer machte. Sagen wollte sie es mir auf jeden Fall nicht.
Obwohl ich ihr am liebsten gefolgt wäre, blieb mir keine andere Wahl als den Rückweg einzuschlagen und zur Arbeit zu gehen. Mein Tag war wie immer vollkommen mit Terminen durchzogen und um alles zu schaffen, musste ich mich an meine Zeitlimits halten.
Ich ging über den Marktplatz, schob mich an einer Menschentraube vorbei und bog dann in einen Hinterhof ab. Dann zog ich ein dickes Band aus meiner Tasche, an dem mindestens 30 verschiedene Schlüssel hingen.
»Nummer 1«, sagte ich und steckte ihn in das Schlüsselloch. »Die Arbeit beginnt.«
In der Backstube des Bäckers erwartete mich wie jeden Morgen ein unbeschreiblich großes Chaos. Schüsseln mit Teigresten standen schief ineinander gestapelt auf dem Tisch, Mehl klebte an den Wänden und Schokoladenreste verzierten den Boden. Meine Auftraggeber wussten, zu welcher Zeit ich kam und in der Regel gingen sie mir aus dem Weg, damit ich in Ruhe saubermachen konnte. Heute hatte mir der Bäcker allerdings einen Zettel hinterlassen.
Ich nahm ihn und hoffte, dass es die Antwort auf meine Frage von letztem Monat war. Bonny hatte bald Geburtstag und an diesem Tag wollte ich mir freinehmen, leider bezogen sich die Worte des Bäckers nicht einmal annähernd auf meine Bitte.
Die Kühlschränke sind wieder dran.
Herbert
Na toll! Ich warf den Zettel in den Müll und presste die Lippen aufeinander. Schon mehrere Male hatte ich ihm gesagt, dass er mir rechtzeitig Bescheid geben musste, sobald ich die Kühlschränke saubermachen sollte. Das Problem war, dass es selbst für mich, als Hexe der Sauberkeit, eine halbe Ewigkeit dauerte, diese Dinger wieder in Schuss zu bringen.
»Okay, schon gut. Ich schaffe das.«
Ich atmete tief durch, dann zog ich meinen Mantel aus und machte mich an die Arbeit. Hoch konzentriert schnippte ich die Finger und befahl meinem ersten Zauber, sich um die Schüsseln zu kümmern. Nach und nach arbeitete ich mich vor und schon bald roch die gesamte Küche nach Zitrone und einzelne Seifenblasen kreisten durch die Luft.
Vielleicht war es vollkommen verrückt, aber meine Arbeit gefiel mir. Es war befriedigend für mich, etwas Schmutziges wieder in etwas Sauberes zu verwandeln, und egal was die anderen Hexen und Zauberer sagten, ich empfand es als Segen, dass ich die Magie der Sauberkeit beherrschen durfte. Ja, es war keine umwerfende, lebensverändernde, hoch angesehene Zauberei, ganz im Gegenteil, aber es war ein Teil von mir.
Anstatt einer einzigen Stunde, brauchte ich in der Backstube dank der monströsen Kühlschränke etwas mehr als zwei, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Sobald ich fertig war, schlüpfte ich in meinen Mantel, schloss die Tür wieder ab, durch die ich gekommen war, und eilte weiter zum Gebäude nebenan.
Auch dort schloss ich die Hintertür auf und machte mich an die Arbeit. Hier erwartete mich viel weniger Unordnung, denn der Glasmeister unserer Stadt war ein Mann, der Wert auf eine vorausschauende Arbeitsweise legte. Ich wusste, dass er über jeden Schritt nachdachte und niemals Schmutz verursacht hätte, wäre es nicht nötig gewesen. Wie immer putzte ich also nur Böden und Tische, um dann meinen Weg fortzusetzen.
Als ich dann am nächsten Haus ankam und die Tür öffnete, wäre mir vor Schreck fast das Herz stehengeblieben.
»Mr. Arnold, was machen Sie denn hier?«
Der Besitzer dieses Eis-Cafés stand mit verschränkten Armen an der Wand gegenüber und hatte augenscheinlich auf mich gewartet. Er war ein Mann um die 60, hatte schütteres, graues Haar und sprach in der Regel kein einziges Wort mit mir.
»Miss Miller, da sind Sie ja endlich! Sie sind zu spät, ist Ihnen das bewusst?«
»Es tut mir wirklich leid, aber ich musste …«
»Erzählen Sie das jemandem, der mehr Zeit hat als ich. Und jetzt kommen Sie mit. Das ist ein Notfall.«
»Ich verstehe nicht ganz!«
»Kommen Sie. Schnell!«
Ich schaffte es nicht einmal, meinen Mantel abzulegen, schon wurde ich in den Verkaufsraum geführt, in dem es vor Kundschaft nur so wimmelte. Mr. Arnold verkaufte die seltsamsten, aber auch besten Eissorten in der Stadt, deshalb war es kein Wunder, dass sein Laden sowohl im Sommer als auch im Winter gut besucht wurde. Meine Lieblingssorte war das softe Karamelleis, das sich nach wenigen Sekunden im Mund verhärtete, um sich danach in Schokostückchen zu verwandeln, die einen flüssigen, warmen Kern hatten.
»Wo bleiben Sie denn? Ich sagte doch, es ist ein Notfall, Miss Miller.«
»Ich bin schon da.«
Mr. Arnold führte mich die Treppe hinauf und blieb dort stehen. Niemand musste mir sagen, wie merkwürdig es war, dass sich in der gesamten oberen Etage kein einziger Kunde aufhielt, um sein Eis zu genießen, doch ich konnte die Ursache dafür nicht ausfindig machen.
»Dort hinten«, murmelte Mr. Arnold und es war das erste Mal, dass ich so etwas wie Nervosität in den Augen des Mannes sah. »Gehen Sie hin und lösen Sie das Problem, immerhin sind Sie bei uns für die Sauberkeit zuständig.«
Sein Benehmen war mir ein Rätsel, zumindest bis ich mich zur Seite lehnte, um den Eckpfeiler herum sah und einen Mann an einem der Fenstertische entdeckte. Ich musste mehrmals blinzeln, um den Kontrast zu begreifen, der sich mir bot.
Da war dieser Fremde, der mit dem schwarzen Haar und der breiten Brust nicht attraktiver hätte sein können. Seine männlichen, markanten Gesichtszüge waren auch aus der Ferne gut erkennbar und er wirkte mit dem schwarzen Zauberumhang und dem weißen Hemd erwachsen, aber auch geheimnisvoll.
Dann war da die Pflanze, die neben ihm auf dem Tisch stand und die sich, im wahrsten Sinne des Wortes, lautstark auf den Boden erbrach.
War das einer meiner seltsamen Träume?
Ich blinzelte mehrmals, doch die kotzende Pflanze und ihr Besitzer waren noch da. Also kein Traum.
»Nun gehen Sie schon«, flüsterte Mr Arnold. »Machen Sie dort sauber. Niemand will hier oben sein, solange dieser Unhold und sein Ungetüm dort sitzen.«
»Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun? Natürlich mache ich sauber, aber solange die Pflanze so weitermacht, macht das wenig Sinn.«
»Dann setzen Sie den Mann vor die Tür.«
»Wie bitte?«
Mr. Arnold drehte sich um und lief die Treppe mit schnellen Schritten hinunter, doch ich war nicht bereit, seiner Anweisung zu folgen.
»Warten Sie!«, rief ich und setzte ihm nach. »Das ist nicht meine Aufgabe. Ich habe nichts mit Ihren Kunden zu tun, also müssen sie das selber regeln. Ich mache hier nur sauber.«
»Dann wird Ihr Aufgabengebiet eben erweitert. Gehen Sie schon!«
»Warum machen Sie das nicht selbst?«
Der schmale Mann verschwand zwischen seiner Kundschaft und arbeitete sich wesentlich erfolgreicher bis zum Verkaufstresen durch als ich.
»Oder schicken Sie Mason«, sagte ich, als ich ihn eingeholt hatte und blickte den Verkäufer an, der gerade einen Eisbecher füllte. »Wieso macht er das nicht?«
»Weil ich nicht lebensmüde bin«, gab er zurück und lachte laut auf. »Ich habe es Mr. Arnold schon gesagt, ich verkaufe Eis und lege mich nicht mit seltsamen Typen an. Kein Bedarf, danke.«
»Das verstehe ich nicht. Er ist doch nur ein Mann mit einer kotzenden Pflanze.«
Die umstehenden Kunden blickten mich böse an und ich verzog das Gesicht.
»Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht das Eis verderben.«
»Nur ein Typ mit einer Pflanze?«, rief Mason und löffelte die nächste Eiskugel in den Becher. »Ach, Hazel. Lebst du hinter dem Mond? Wir reden hier von Aidan Williams und einer seiner verkorksten Blümchen. Nein, nein. Keine zehn Eulen bringen mich dazu den anzusprechen.«
Meine Stirn legte sich automatisch in Falten und ich dachte über seine Worte nach. Aidan Williams – den Namen hatte ich auf jeden Fall schon einmal gehört, aber wo nur?
»Also«, rief Mr. Arnold und zog mich zur Seite, weg von den Kunden. »Gehen Sie jetzt da hoch und sagen Sie ihm, dass er gehen soll, damit Sie saubermachen können, oder ich muss mich nach einer Reinigungskraft umsehen, auf die ich mich wirklich verlassen kann.«
»Wie bitte?«
»Sie haben mich schon verstanden, Miss Miller. Erst kommen Sie zu spät und jetzt das. Scheinbar haben Sie den Job hier nicht nötig.«
Und wie ich den nötig hatte! Ich wollte meinen Eltern auf keinen Fall auf der Tasche liegen, immerhin ließen sie mich bereits bei sich wohnen. Ich konnte mir gut vorstellen, was Gloriosa über mich sagen würde, wenn er mich feuern würde. Und an die Gerüchte, die dann über mich und meine angebliche Unzuverlässigkeit kursieren würden, wollte ich gar nicht denken. Mr. Arnold war gut mit den anderen Geschäftsinhabern befreundet und wenn er wollte, konnte er mir das Leben sehr schwer machen.
»Also schön«, sagte ich und fügte laut hinzu: »Da niemand den Mumm aufweist, es zu tun, werde ich es machen.«
Die drei Verkäufer hinter dem Tresen ernteten von mir einen bösen Blick, ebenso wie mein Chef, dann drehte ich mich um und ging zur Treppe.