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Eine mysteriöse Kerze, jede Menge Chaos und eine unerfüllte Liebe. Nelly braucht jede Hilfe, die sie bekommen kann, doch ist sie bereit, ihrem Jugendfeind das Herz zu öffnen, um den Irrwegen der Magie zu entkommen? Wenn eine Hexe eine Kerze entzündet... Nelly hat viel über die Magie der Kristalle gelernt, fühlt sich endlich in Lunenburg zu Hause und liebt ihr lebendiges Haus und seine Katzenbewohner. Es könnte alles so schön sein, doch mit dem Entzünden einer einfachen Kerze bahnen sich ungeahnte Schwierigkeiten ihren Weg und fordern nicht nur Nellys Nerven, sondern auch, dass sie jemanden um Hilfe bittet. Die Hexe der Flüche trifft in ihrem letzten Abenteuer alte Feinde, bekannte Freunde und muss sich am Ende eine Frage stellen, die ihr Herz berührt. Kann sie ihrem Jugendfeind verzeihen und ihm vertrauen?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
K.M. Parker
Eine verflucht gute Hexe!
Magische Irrwege
Roman
Kapitel 1
»Stellen Sie sich in einer Reihe auf und bitte nicht drängeln! Ich werde mir für jeden Zeit nehmen, es gibt also keinen Grund sich aufzuregen.«
Ich stand hinter dem Tresen in ›McKenzie's Dream‹ und versuchte, den Überblick zu behalten, was nicht besonders einfach war. Mindestens 30 Hexen und Zauberer waren durch die Morganit-Tür in den Laden gekommen und sie alle hatten den Wunsch, sofort bedient zu werden. So unterschiedlich meine Kristalle, Tränke und Anleitungen waren, so verschieden waren auch meine Kunden. Manche waren besonders seltsam, sprachen kaum ein Wort und betraten den Laden gekleidet in Umhang und spitzem Hut, andere wollten gar nicht mehr aufhören, mir von ihrem Leben zu berichten und trugen Wanderkleidung, da sie geradewegs aus dem Urlaub in den Laden kamen. Was sie jedoch alle gemeinsam hatten, war der Wunsch nach Hilfe und genau da kam ich dann ins Spiel.
Am Anfang hatte ich mich bemüht, schnell zu arbeiten, um die Wartezeit in der Schlange möglichst kurzzuhalten, mittlerweile war mir die Qualität meiner Beratung wichtiger. Die meisten verstanden und schätzten es, dass ich mir Zeit nehmen und alles richtig machen wollte, trotz allem gab es immer noch einige Kunden, die glaubten, dass sie nur besonders laut und unverschämt sein mussten, um bevorzugt zu werden.
»Also«, sagte ich und blickte der Hexe lächelnd entgegen, die gerade von einer anderen zur Seite gedrängelt wurde. »Sie sind meine erste Kundin heute. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin die Erste? Meinen Sie mich?«, fragte sie verunsichert und wagte einen kurzen Blick auf die andere Hexe, die wütend den Kopf schüttelte.
»Ganz genau«, bestätigte ich und winkte sie heran.
Sie kam wieder näher, warf sich die langen, braunen Haare über die Schulter und beugte sich vor. Alles an ihrer Körperhaltung sprach von Zurückhaltung und es wirkte so, als wäre es ihr unangenehm, ›McKenzie's Dream‹ überhaupt betreten zu haben, was interessant war. Es gab nur wenige Hexen und Zauberer, die sich dafür schämten, Magie in Anspruch zu nehmen, um ein Problem zu lösen.
Ich konnte sehen, dass sich ihre Lippen öffneten und bewegten, verstand jedoch kein einziges Wort.
»Könnten Sie das noch einmal wiederholen?«, fragte ich und setzte mein nettestes Lächeln auf. »Es ist sehr laut hier.«
Die Hexe, die sich hatte vordrängeln wollen, rollte die Augen und schnaufte, was ich ihr nicht verübeln konnte. Die Gespräche, die überall im Laden geführt wurden, waren leise, geradezu dezent und der Rest der Kundschaft, die in der Schlange stand, schwieg eisern und starrte zu uns nach vorne.
Als Besitzerin von ›McKenzie's Dream‹ fühlte ich mich dafür verantwortlich, dass sich meine Kunden bei mir wohlfühlten, vor allem jene, die so unentschlossen und schüchtern wirkten wie die Frau, die gerade vor mir stand und nervös ihre Finger knetete. Sie alle kamen mit mehr oder weniger großen Problemen zu mir und erhofften sich Hilfe und ich hatte nicht vor, irgendjemanden vor den Kopf zu stoßen, egal wie lang die Schlange vor der Kasse war.
»Also, was kann ich für Sie tun?«, wiederholte ich noch einmal und konnte sehen, wie sich die Wangen der jungen Frau dunkelrot färbten.
Sie beugte sich nun so weit über den Tresen zu mir herüber, dass sie sich mit den Händen auf der Tischplatte abstützen musste.
»… Mutzauber … oder haben Sie … vielleicht … für das Selbstbewusstsein?«
»Natürlich!«, sagte ich und nickte. Obwohl ich nicht den ganzen Satz verstanden hatte, war ich mir absolut sicher, wonach sie suchte. Kurz überlegte ich, dann folgte ich ihrem Blick zu den beschrifteten Fläschchen, die mit Zaubertränken gefüllt waren und die in einem Regal direkt hinter mir aufgereiht waren.
»Ich glaube nicht, dass ein Zaubertrank das richtige wäre«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Tränke haben normalerweise keine allzu lange Wirkung und Sie möchten doch bestimmt etwas haben, was dauerhaft hilft. Kommen Sie bitte mit.«
Ich ging durch den Laden, steuerte ganz bewusst einen der Tische mit den Kristallen an und konnte spüren, wie das Herz des Hauses, das ich um meinen Hals trug, angenehm warm wurde. Ja, ich war auf dem richtigen Weg.
»Hier«, sagte ich und deutete auf die goldbraunen Steine, die alle unterschiedliche Formen und Größen hatten. »Ich denke, dass ein Citrin die richtige Hilfe für Sie ist. Diese Kristalle fördern das Selbstbewusstsein und stärken die innere Kraft. Bei richtiger Anwendung helfen sie zusätzlich, die eigene Kommunikationsgabe zu verbessern. Kennen Sie sich mit Heilsteinen aus?«
»Nicht so richtig. Meine Mutter sagt immer, dass es sehr viel wertvolle Magie auf der Welt gibt, aber Heilsteine gehören definitiv nicht dazu. Sie glaubt nicht daran.«
Meine Kundin blickte sich für einen Moment ängstlich um, so als befürchtete sie, ihre Mutter könnte anwesend sein und sie dafür verurteilen, dass sie es auch nur in Erwägung zog, einen Heilstein zu verwenden. Ihr nächster Blick war jedoch voller Sehnsucht und er richtete sich direkt auf den Citrin.
Ich gab es nicht sehr gern zu, aber es war noch gar nicht lange her, dass auch ich die Kristalle für absoluten Unsinn gehalten hatte. Wie sehr man sich doch irren konnte. Es war Ironie des Schicksals, dass viele Hexen und Zauberer nicht an die Magie der Heilsteine glaubten, obwohl bereits in der Zauberschule gelehrt wurde, dass die Menschen das Unglaubliche dieser Welt nicht für sich gepachtet hatten. Es gab magische Bücher, magische Häuser, magische Tiere, magische Zeichen und so vieles mehr – warum dann nicht auch Kristalle?
Wahrscheinlich, weil sie zwar hübsch, aber klein waren und oftmals als Schmuck betrachtet wurden. Manche Hexen und Zauberer waren zu ungeduldig für die Kristallmagie, andere verlangten Ergebnisse, obwohl sie es noch nicht einmal schafften, sich fünf Minuten zu setzen und sich richtig zu konzentrieren. Wenn ich eines gelernt hatte, dann dass Kristalle nicht nur schön, sondern auch machtvoll waren. Sie hatten ihren eigenen Willen und wenn man nicht aufpasste, konnte man mit ihnen großen Schaden anrichten. Oder auch großes Glück.
»Vielleicht sollte ich doch lieber einen Trank kaufen«, sagte die Hexe, obwohl sie immer noch sehnsüchtig den Citrin betrachtete.
Ohne zu überlegen, nahm ich einen der Steine und legte ihn in ihre Hand. Für einen Moment befürchtete ich, sie würde ihn vor Schreck quer durch den Raum werfen, doch ihre Augen weiteten sich nur und ein Lächeln breitete sich langsam auf ihrem Gesicht aus.
»Er fühlt sich gut an«, sagte sie nach ein paar Sekunden. »Irgendwie warm. Ganz angenehm.«
Ich nickte zufrieden. »Es sieht so aus, als würde er sich bei Ihnen gut aufgehoben fühlen. Aber Sie sollten sich trotz allem damit beschäftigen, wie Sie ihn am besten anwenden und natürlich auch reinigen. Auf der Website von ›McKenzie's Dream‹ finden Sie allgemeines Wissen über Kristalle, aber auch gezielte Informationen zu dem Citrin.«
»Bieten Sie auch Kurse an? Ich erinnere mich, dass die Vorbesitzerin das getan hat.«
»Oh … ja, das stimmt … aber …«
»Dann bieten Sie Kurse an? Wann ist der nächste? Ich möchte mich anmelden.«
Meine Kundin hatte mich eiskalt erwischt. Bonta, der schlaue Katzenhausmeister, lag mir schon seit Wochen damit in den Ohren, doch bis jetzt hatte ich immer Ausflüchte finden können. Es war ja nicht so, dass ich nicht daran interessiert war, mein Wissen weiterzugeben, vielmehr gründete mein Widerwille auf der Tatsache, dass ich einfach viel zu viel zu tun hatte. Wenn ich nicht im Laden stand, musste ich dafür sorgen, dass alles sauber und ordentlich war. Wenn ich nicht für Sauberkeit und Ordnung sorgte, meldete sich der wunderschöne Baum im Inneren des Hauses und verlangte die Ernte der Kristalle. Wenn die Kristalle nichts von mir wollten, versuchte ich mich mithilfe von Büchern und Bontas Anleitungen weiterzubilden, sprich neue Tränke und Kristallzauber zu erlernen. Inmitten all dieser anspruchsvollen Aufgaben schlurfte ständig ein schwarzhaariger Teenager mit durchdringend grünen Augen, alias das ›Buch der Fehler‹ an mir vorüber und meckerte an allem herum, was ich tat oder sagte. Und auch Flint, unseren Hausmeister-Lehrling, durfte man nicht außer Acht lassen. Er war klein, süß und anstrengend. Vielleicht war er sogar genauso anstrengend wie Aidan, nur auf eine völlig andere Art und Weise.
»Das sind nur Ausreden«, konnte ich Bontas Stimme in meinem Kopf hören und straffte die Schultern. Vielleicht waren seine Worte nicht völlig aus der Luft gegriffen. Irgendwann würde ich es sowieso tun müssen, nicht wahr? Auch wenn es mir Angst machte, musste es zum Alltag für mich werden, über die Kristalle zu unterrichten. Und nach allem, was ich in den letzten Wochen ganz allein geschafft hatte, sollte ich es dann nicht einfach versuchen?
»Ja, es gibt wieder einen Kurs«, sagte ich dann und konnte kaum glauben, was ich da von mir gab. »Ich werde den Termin heute Abend auf unserer Website bekanntgeben, dann können Sie sich anmelden.«
»Wirklich? Oh, das ist wunderbar. Ich kaufe den Citrin und bringe ihn dann zum Unterricht mit. Hoffentlich hilft er mir dabei, Selbstbewusster zu werden.«
»Ganz bestimmt. Aber es ist wichtig, dass Sie an seine Magie glauben. Was andere davon halten, sollte Ihnen egal sein.«
Ihr Gesicht verdunkelte sich und sie wirkte wieder verunsichert.
»Meine Mutter wird das nicht verstehen.«
»Das muss sie auch gar nicht. Mein Vater schwört bis heute auf ein sehr altes Gesundheitsrezept, über das sich meine Mutter immer wieder lustig macht. Aber wissen Sie, was? Wenn er krank wird, bittet sie ihn, dieses Rezept anzuwenden und einzunehmen.«
»Aber sie glaubt doch nicht daran.«
»Das muss sie auch gar nicht. Es reicht, dass er daran glaubt und weil er das tut, ist er dank dieses Rezeptes bei Erkältungen schneller wieder gesund als alle anderen in der Familie.«
»Dann geht es nur darum, was man glaubt?«
»Die eigenen Überzeugungen sind Magie. Und die Magie unterstützt unsere Überzeugungen. Wir brauchen beides, um erfolgreich zu sein. Genauso ist es auch mit der Kristallmagie. Warum sollte Ihnen etwas zur Hilfe kommen, an das sie nicht glauben wollen?«
Die Hexe blickte den Citrin in ihrer Hand an, überlegte einen Moment und lächelte dann.
»Das ist ja unglaublich interessant. Ich werde Ihren Kurs auf jeden Fall besuchen und Mutter werde ich ignorieren. Oder vielleicht kann ich sie sogar davon überzeugen mitzukommen, dann ändert sie womöglich ihre Meinung. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Schon gut, das gehört dazu, wenn Sie bei ›McKenzie's Dream‹ einkaufen.«
Ich führte sie zurück zum Tresen, kassierte das Geld für den Kristall und verabschiedete eine überaus glückliche, junge Hexe, die mir fest versprach, ihr Wissen über dieses Thema zu erweitern.
»Meine Güte«, brummte meine nächste Kundin und blickte ihr hinterher. »Was Sie der gegeben haben, möchte ich auch bekommen. Die ist ja nicht wiederzuerkennen.«
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich ausweichend, doch sie ließ nicht locker.
Ihr von Falten gezeichnetes Gesicht kam näher und sie zog ihren langen Wollmantel enger um ihren Körper. Ich konnte eine Narbe auf ihrer Stirn erkennen und wusste sofort, dass sie von einem Zauberunfall stammen musste. Zaubernarben sahen in der Regel seltsam auffällig aus. Manchmal waren sie geformt wie Tiere oder wie bekannte Zeichen, beispielsweise ein Kreuz. Wenn mich nicht alles täuschte, sah die auf ihrer Stirn wie ein Frosch aus, der gerade im Begriff war zu springen.
»Haben Sie ihr einen Kristall verkauft, mit doppeltem Glückszauber, oder so etwas Ähnliches?«
»Wie bitte?«
»Na, dem Mädchen eben. Haben sie ihr mit einem Glückszauber auf die Sprünge geholfen? Nicht, dass ich das verurteilen würde, ich könnte es sogar verstehen. Kurbelt mit Sicherheit schnell das Geschäft an, wenn man die Kundschaft so einfach zufriedenstellt, obwohl mit dieser Art von Magie nicht zu spaßen ist. Das soll Ihnen gesagt sein.«
»Ich habe nichts dergleichen getan«, rief ich empört aus. »Glückszauber sind viel zu unberechenbar und damit auch gefährlich. Nur die wenigsten Hexen und Zauberer bekommen einen brauchbaren zustande und ich gehöre nicht dazu. Außerdem braucht ›McKenzie's Dream‹ so etwas nicht. Hier geht es um Kristallmagie und die ist wirkungsvoll genug.«
»Aha. Sie müssen es ja wissen, Kindchen. Wie auch immer, ich will mich ebenfalls für diesen Kurs einschreiben, den Sie bei dem Mädchen angepriesen haben. Kann ja nicht schaden. Wann findet er statt?«
»Ein Kurs? Ein Kurs über die Kristallanwendung?«, ertönte die Stimme eines Mannes und ein Zauberer mit einem langen, braunen Mantel und roten Haaren kämpfte sich in der Schlange nach vorn. »Das gab es ja schon Monate nicht mehr. Der Unterricht von Charlotte McKenzie war so beliebt, dass man quasi nie einen Platz bekommen hat. Ich möchte mich einschreiben, und zwar jetzt.«
»Oh … das ist …«, setzte ich an, doch immer mehr Stimmen wurden laut und verlangten von mir zu erfahren, wann der Kurs stattfindet.
Das hatte mir gerade noch gefehlt. Anstatt diesen Hexen und Zauberern etwas zu verkaufen, sah ich mich gezwungen, eine Liste zu erstellen und zu notieren, wer alles zu meinem Unterricht kommen würde. Die Zeit von 10 bis 14 Uhr, in der der Laden ausschließlich für magische Kundschaft geöffnet hatte, war im Nu vorüber und ich musste die Leute geradezu verscheuchen, um in die Mittagspause zu kommen.
Mit einem Seufzen verschloss ich die Morganit-Tür als alle Kunden fort waren und endlich kehrte Ruhe ein. Kurz blickte ich mich um, um mich zu vergewissern, dass der Laden in Ordnung war und ich nichts aufräumen musste. Selbst nach den vergangenen Monaten, in denen ich nun schon in ›McKenzie's Dream‹ arbeitete, erfüllte mich der Anblick der Einrichtung noch immer mit Zufriedenheit und Ruhe. Die Kristalle lagen nach Farben geordnet auf Holztischen in kleinen Kästen und leuchteten, nun da wir allein waren, noch stärker auf. Die Wände des Turmzimmers zeigten rustikalen Mauerstein, während die Bauernfenster mit den weiß gestrichenen Rahmen etwas Heimatliches ausstrahlten. Ich mochte den Holzfußboden, der nicht mehr an jeder Stelle ganz gerade war und liebte meinen Kassentresen mit dem Glaseinsatz, in dem ganz besonders seltene Kristalle aufbewahrt wurden. Mehrere Schmuckständer standen im Raum verteilt und ein etwas kleineres Modell thronte auf dem Tresen.
Dieser Laden mochte einmal Charlotte gehört haben, doch mittlerweile fühlte es sich wirklich so an, als hätte ich ihn mitgegründet. Mit einem Lächeln erinnerte ich mich an die Begegnung mit der einstigen Besitzerin, die noch gar nicht lange zurücklag. Im Sommer war das Buch der Fehler, oder besser gesagt, Aidan aufgetaucht und wir hatten ihn aufhalten müssen. Jetzt zeigten die Bäume draußen ganz deutlich, dass wir uns im Herbst befanden. Das Wetter in Kanada war zu dieser Zeit unberechenbar und man musste mit kaltem Wind, aber auch mit Sonnenschein rechnen. Heute prasselte schon seit dem Morgen der Regen gegen die Fensterscheiben und erinnerte mich an die Nachmittage in London. Glücklicherweise machte mich das nicht traurig. Ich dachte gern an meine Zeit im ›Tea Time Thompson‹, doch hier war ich jetzt zu Hause.
»Du siehst zufrieden aus«, ertönte neben mir eine Stimme und riss mich aus den Tagträumen. »Es ist erfreulich, dich so zu sehen, wo du doch in letzter Zeit recht trübsinnig gewirkt hast.«
»Bonta«, sagte ich lächelnd. »Seit wann bist du schon da?«
»Eine Weile. Lange genug, um zu erkennen, dass dein Tag bis jetzt deinen Vorstellungen entspricht. Du warst heute sehr erfolgreich.«
»Mehr oder weniger. Ich hätte sehr gern mehr verkauft.«
»Oh, das ist kein Problem, immerhin bietest du unseren Kunden endlich einen Kurs an.«
Ich blickte dem Hausmeister überrascht in die Augen, obwohl ich es besser wissen musste. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie er das anstellte, aber er war immer bestens informiert, über alles und jeden und zu jeder Zeit. Und wie immer sah er tadellos aus, trug eine weiße Weste und dazu eine Krawatte. Sein schokoladenbraunes Fell war weich und stand ihm an manchen Stellen lockig vom Körper ab. Bonta war der eleganteste Kater, dem ich jemals begegnet war.
Er hüpfte vom Fußboden auf den Tresen und ließ sich mir gegenüber nieder.
»Als du vor ein paar Wochen darum gebeten hast, den Laden ohne meine Hilfe führen zu dürfen, war ich noch besorgt, aber ich muss sagen, du machst das alles hervorragend, Nelly. Du hast sehr viel gelernt und ich bin über die Maßen stolz auf dich.«
»Das sagst du nur, weil ich endlich Kurse anbiete«, erwiderte ich grinsend und schob den Schmuckständer zurecht.
»Wenn ich dich lobe, darfst du mir ruhig glauben. Du weißt, ich verteile meine Lorbeeren niemals ohne Grund. Was deinen Unterricht angeht, so wirst du einiges vorbereiten müssen.«
»Ja, ich weiß. Ich habe den Termin so angesetzt, dass ich noch drei Wochen Zeit habe. Hast du noch Unterlagen von Charlotte? Vielleicht kann ich mich an ihrem Kurs orientieren.«
»Da bin ich nicht sicher. Vielleicht findest du im Unterrichtsraum noch etwas von ihr. Magnus könnte mehr darüber wissen, du solltest ihn anrufen und danach fragen.«
Meine Hände erstarrten in der Bewegung und ich ließ das Kristallarmband fallen, das ich gerade an den Schmuckständer hängen wollte.
»Ich schaffe das ohne seine Hilfe, Bonta. Es ist nicht nötig, ihn damit zu belästigen, immerhin ist er jetzt Lehrer und hat viel zu tun. Ich bin mir sicher, er hat Besseres vor, als mir bei meiner Planung zu helfen.«
»Es wäre klüger, ihn zu fragen, denn so ein Kurs ist völliges Neuland für dich. Mach es dir doch nicht unnötig schwer.«
»Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Cold ist schon zwei Monate fort und ich habe seitdem alles allein gemacht. Und hast du mich nicht gerade eben noch gelobt?«
»Er würde zurückkommen, wenn du ihn darum bitten würdest.«
»Bonta!«, stöhnte ich und schüttelte den Kopf.
Seltsamerweise wollte der sture Kater einfach nicht akzeptieren, wie die Dinge standen. Erst hatte er mehr oder weniger unauffällig versucht, Cold und mich dazu zu zwingen, Zeit miteinander zu verbringen. Nun, da der Idiot schon eine Weile fort war, zeigte der Hausmeister seine Absichten völlig unverschleiert und genierte sich auch nicht, mit mir darüber zu diskutieren.
Wer wollte mit einem viel zu schlauen Kater immer wieder über seine nicht vorhandene Beziehung oder noch schlimmer, über sein erst vor kurzem gebrochenes Herz sprechen? Richtig, niemand!
»Du wirst seine Hilfe brauchen, Nelly«, setzte er wieder an und verfolgte mich mit seinem Blick. »Er würde für dich alles stehen und liegen lassen, glaub mir.«
»Es geht dich zwar absolut nichts an, aber zwischen Cold und mir ist alles geklärt. Wir waren uns beide einig, dass es das Beste ist, wenn er die Stelle als Lehrkraft annimmt.«
»Sehr interessant. Und warum ist Magnus dann in seinen letzten Tagen hier im Haus herumgelaufen, als ob ihn ein ganz übler Launezauber erwischt hätte?«
»Das weiß ich nicht. Er wird wohl nervös gewesen sein, immerhin ist er Lehrer an der Schule für Hexen und Zauberer. Das ist eine große Aufgabe.«
»Oder aber er wollte gar nicht gehen. Immerhin hast du ihn geküsst, oder etwa nicht?«
»Wie bitte?«
Jetzt wäre mir vor Schreck fast der ganze Schmuckständer umgekippt. Nur allzu gut konnte ich mich an den besagten Moment entsinnen und hätte ich behauptet, mich nicht mehr an den Kuss erinnern zu können, hätte ich glatt gelogen. Nein, so schnell würde ich ihn sicher nicht vergessen.
Ich brauchte einen Moment, um Bontas Worte zu verdauen, dann hatte ich mich wieder unter Kontrolle.
»Falls ich dich daran erinnern darf, ich habe das getan, um ihn zu retten. Das Buch der Fehler hätte ihn sonst umgebracht. Und woher weißt du das überhaupt? Wenn ich mich richtig erinnere, warst du, als das passiert ist, eine Zeichnung auf einem Blatt Papier.«
»Es hat sich im Haus herumgesprochen«, sagte er schlicht. »Die Kristalle reden mit dem Haus, das Haus spricht mit Flint und schon weiß ich es. Außerdem hat Aidan sich darüber lustig gemacht. Er empfindet körperliche Zuneigung als einen Akt der lächerlichen Verzweiflung und …«
»Schon gut, ich habe verstanden! Ihr zerreißt euch alle das Maul.«
Bonta erhob sich und legte im nächsten Moment eine Pfote auf meine Hand.
»Ich will nur das Beste für dich, Nelly. Du machst das alles hier hervorragend, aber was ist der Erfolg wert, wenn du unglücklich bist? Herrin Charlotte sagte immer, dass man für die Liebe ein starkes Herz und noch mehr Mut benötigt.«
»Das hat sie gesagt?«
»Ja. Vielleicht erwähnte sie auch, dass man sich hin und wieder besser nur mit einem guten Wein begnügt, aber ich bin mir sicher, das war ein Scherz.«
Gegen meinen Willen musste ich lächeln und auch Bonta gluckste vergnügt. Ich beugte mich vor, drückte ihn kurz an mich und wollte damit fortfahren, den Schmuckständer zu ordnen, doch ich konnte hören, dass jemand an der Haustür läutete.
»Das hätte ich fast vergessen, da ist jemand an der Tür. Das war der eigentliche Grund, warum ich dich aufgesucht habe.«
»Tatsächlich? Wer ist es?«
»Aidan.«
»Aber er hat doch einen Schlüssel«, sagte ich mit gerunzelter Stirn. »Außerdem sollte er um diese Zeit noch im Unterricht sein.«
»Ah, das muss ich vielleicht auch noch erwähnen«, sagte Bonta. »Er ist in Begleitung der Direktorin. Und sie sieht sehr zornig aus.«
»Das ist ein Witz.«
»Leider nicht.«
Ich schloss die Augen und atmete tief durch, bevor ich durch die Morganit-Tür ins Haus ging, um der wütenden Frau zu öffnen. Normalerweise verbrachte ich die nächste Stunde damit, die Online-Bestellungen für ›McKenzie's Dream‹ zu bearbeiten, doch das würde ich wohl auf heute Abend verschieben müssen.
»Aidan«, murmelte ich. »Was hast du jetzt wieder angestellt?«
Um ehrlich zu sein, wollte ich es lieber gar nicht wissen. In den letzten Wochen war es immer wieder zu mehr oder weniger unangenehmen Vorfällen gekommen, doch bis jetzt hatte ich Aidan immer wieder davor bewahren können, von der Schule verwiesen zu werden. Zugegeben, es war nicht die beste Idee, ihn auf eine Menschenschule zu schicken, aber hatte ich eine andere Wahl? Er musste lernen wie ein normaler Mensch zu leben, auch wenn ihm das zuwider war. Ich hütete mich davor, ihm das ganz direkt zu sagen, aber es kam für mich nicht infrage, ihn jemals von meinem Fluch zu befreien, was bedeutete, dass er sich zumindest so etwas Ähnliches wie ein Leben aufbauen musste.
Fragte sich nur, ob das jemals gelingen konnte.
Kapitel 2
Als ich die Tür öffnete und in das Gesicht der Direktorin blickte, wusste ich sofort, dass ich verloren hatte und jede Diskussion aussichtslos war.
Woran ich das so genau erkannte? Vielleicht an den Vanillepuddingresten, die in ihren Haarsträhnen klebten, an dem Riss, der sich quer durch ihre Jacke zog und an dem mit Filzstift aufgemalten Schnurrbart, der direkt über ihrer Oberlippe prangte. Wenn ich Glück hatte, hatte Aidan mit ihrem seltsamen Auftreten gar nichts zu tun und die gute Frau war zuerst in eine Essensschlacht ihrer Schüler geraten, hatte danach einen unglücklichen Unfall mit einer Schere, nur um sich daraufhin versehentlich den Schnurrbart aufzumalen.
»Miss Williams, es tut mir leid«, waren ihre ersten Worte, sobald ich die Tür geöffnet hatte. »Es geht nicht mehr. Ich muss Sie bitten, Aidan an einer anderen Schule anzumelden. Es geht wirklich nicht mehr.«
So viel zu meinen Hoffnungen. Ich öffnete die Tür noch ein Stückchen mehr und deutete ins Wohnzimmer.
»Ich sehe schon, dass er wieder etwas angestellt hat, aber kommen Sie doch erst einmal herein. Lassen Sie uns darüber reden.«
Die Augen der sonst sehr resoluten Dame wanderten von meiner einladenden Geste über den Boden und dann weiter ins Innere des Hauses. Dann zuckte sie zurück, so als hätte sie sich verbrannt. Ich vergaß immer viel zu schnell, dass die Bewohner von Lunenburg noch immer Angst vor meinem Haus hatten und auch die Direktorin schien keine Ausnahme zu sein. Dank Filisha, meiner guten Freundin, die im ›Top Fish‹ arbeitete, hatte es sich ein wenig gebessert, aber besuchen wollte mich noch immer niemand. Wenigstens wurde ich nicht mehr gemieden und auch die Bewohner mit den größten Vorbehalten grüßten mich mittlerweile. Trotz allem würde ich wohl immer die etwas verrückte Frau bleiben, die in das Lunenburger Spukhaus gezogen ist, so wie Charlotte vor mir.
»Nein … vielen Dank«, sagte die Dame und räusperte sich, wobei sie zwei Schritte zurück machte. »Ich wollte Aidan nur persönlich vorbeibringen. Ein längeres Gespräch ist nicht nötig. Sehen Sie, ich muss die anderen Kinder schützen, auch wenn es mir wirklich widerstrebt, jemanden verweisen zu müssen.«
»Ich verstehe«, sagte ich und tat es wirklich.
Mit Aidan hatte ich dieser Frau eine viel zu große Aufgabe gegeben, immerhin war sie nicht mit der Magie und schon gar nicht mit schwarzmagischen Büchern vertraut. Es war erstaunlich, dass sie überhaupt noch so freundlich zu mir war und ich war ihr dankbar dafür.
»Nur eines noch«, sagte sie, bevor sie davonging. »Ich glaube, Aidan ist ein ganz außergewöhnlicher Junge. Er langweilt sich und es wäre wohl das Beste, wenn er in seiner nächsten Schule einige Klassen überspringt. Er ist überdurchschnittlich intelligent, leider aber auch … nun ja …«
Sie überlegte, dann sah es so aus, als würde sie am liebsten die Achseln zucken.
»Alles Gute für Sie«, sagte sie dann und ging schnellen Schrittes zurück zu ihrem Wagen. Als sie den Rückwärtsgang einlegte und zurücksetzte, drehten fast ihre Reifen durch, dann konnte ich nur noch eine Staubwolke sehen und sie war fort.
Wütend fixierte ich die Person, die sich auf der Veranda niedergelassen und so unschuldig unserem Gespräch gelauscht hatte, als könnte sie kein Wässerchen trüben.
»Aidan! Was hast du mit der armen Frau gemacht? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Sie sah aus, als hättest du sie durch den Fleischwolf gedreht.«
»Ich habe gar nichts gemacht. Um genau zu sein, habe ich machen lassen. Du glaubst doch nicht, dass ich so kindisch wäre, ihr einen Schnurrbart aufzumalen. Nein, das waren diese leicht zu manipulierenden Menschenkinder. Kreativ sind sie, das muss man ihnen lassen, findest du nicht auch?«
»Das ist nicht witzig!«, rief ich und breitete die Arme aus. »Und wo sollst du jetzt zur Schule gehen? Das ist die einzige weit und breit und gerade du brauchst so etwas wie Normalität in deinem Leben.«
»Geht das schon wieder los?«
Er fuhr sich durch die schwarzen, strubbeligen Haare und sah mich genervt an. Dann besaß er die Frechheit, sich zu erheben und ohne weitere Worte ins Haus zu gehen.
»Wir sind hier noch nicht fertig«, keifte ich und hasste es selbst, dass ich mich so anhörte, wie eine wild gewordene Hyäne. Außerdem machte es mich noch wütender, als ich sah, dass er seine Schuhe nicht am Eingang auszog und den Matsch von draußen quer durch das Wohnzimmer verteilte.
Wie oft hatte ich ihm das schon gesagt?
Brachten Kinder auf der ganzen Welt ihre Eltern mit solchen Aktionen um den Verstand, oder war Aidan einfach der schlimmste Junge auf diesem schönen Planeten?
Ich blieb kurz am Eingang stehen, schloss die Tür und lehnte meine Stirn dagegen. Es nützte nichts, sich aufzuregen, also versuchte ich mich wieder zu beruhigen und folgte ihm dann in die Küche. Dort wurde ich Zeuge, wie er erst Cornflakes in eine Schüssel gab, Schokomilch darüber kippte, nur um dann puren Zucker über das ganze zu löffeln. Einen Kommentar über halbwegs gesunde Ernährung verkniff ich mir um des lieben Friedens willen, der momentan eigentlich gar nicht existierte.
»Du musst lernen, wie ein Mensch zu leben, hörst du?«, setzte ich freundlich an. »Das ist wichtig. Ansonsten wird dein Leben alles andere als schön und das wäre doch traurig. Wir hatten keinen guten Start, um genau zu sein, den schlechtesten, den man sich vorstellen kann, aber das bedeutet nicht, dass mir egal ist, was mit dir geschieht.«
»Du könntest mich auch einfach entfluchen, dann bist du mich los.«
»Irgendwann wirst du Freunde finden«, sprach ich weiter und ignorierte seine Worte. »Du wirst Spaß haben, einige Dinge ausprobieren und jemanden wirklich mögen. Du wirst dich verlieben und lernen, deine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Vielleicht wird dich das verändern. Und vielleicht wirst du es dann gar nicht mehr so sehr vermissen, ein Buch zu sein. Du musst es eben einfach nur wollen.«
»Super«, entgegnete er ironisch, löffelte sich Cornflakes in den Mund und deutete mit dem Daumen nach oben. »Kann es kaum erwarten, bis ich mich so lächerlich aufführe, wie der Rest der Menschheit.«
»Du verstehst gar nicht, was du für eine Chance bekommst. Ist es wirklich so toll, ein Buch zu sein und den ganzen Tag durch die Luft zu schweben? Ich glaube kaum. Du hast die Möglichkeit, ein ganz neues Leben zu beginnen und das ist doch eine völlig unglaubliche Sache. Jetzt sag schon etwas.«
Er ließ den Löffel klirrend in die Schüssel fallen, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und holte tief Luft.
»Wenn du es genau wissen möchtest, es fühlte sich verdammt gut an, ein schwarzmagisches Buch zu sein. Maximale Freiheit, unbegrenzte Macht und keine nervigen Vorschriften, mehr muss ich dazu nicht sagen. Als Mensch ist alles viel zu anstrengend, dauernd muss man sich an Regeln halten, die jeden Spaß rauben und zu allem Überfluss werde ich von sämtlichen alten Schachteln der Umgebung belästigt. Und das nennt ihr normal?«
»Die Direktorin hat es wirklich gut mit dir gemeint.«
»Mir kommen die Tränen. Und was ist mit der Schreckschraube von nebenan? Meint die es auch gut, oder warum beobachtet sie jeden meiner Schritte?«