Eine verflucht gute Hexe! 2 - K.M. Parker - E-Book

Eine verflucht gute Hexe! 2 E-Book

K.M. Parker

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Beschreibung

Ein magischer Hexenladen, ein mysteriöses Buch, verborgene Kräfte und dazu jede Menge Chaos. Kann es noch verrückter werden? Es kann! Die Hexe der Flüche ist zurück und erlebt ihr zweites, spannendes Abenteuer. Als hätte sie nicht schon genug Probleme! Nelly hat sich in ihrem magischen Haus gut eingelebt, doch der liebenswerte Katzenhausmeister verfolgt große Pläne, die so bald wie möglich in die Tat umgesetzt werden sollen. Ein Geschäft muss eröffnet, Kristalle und Tränke verkauft und nebenbei ein Online-Handel geführt werden. Ganz einfach, oder? Eben nicht! Zumindest nicht für eine Hexe, die eine gefühlte Ewigkeit nicht zaubern durfte. Nachdem die Ladeneröffnung für Nelly alles andere als reibungslos verläuft, kommen ihr Zweifel daran, ob sie am Ende als Hausherrin bestehen kann und gut genug für die Kristallmagie ist. Prompt erscheint ein mysteriöses Buch wie aus dem Nichts und offenbart ihr eine Reihe von Zaubern, die ihr das Leben erheblich erleichtern könnten. Doch mit magischen Büchern, die ungefragt den Weg einer Hexe kreuzen, ist es wie mit der Ausübung schwarzer Magie. Von manchen Dingen lässt man wohl besser die Finger!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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K.M. Parker

Eine verflucht gute Hexe!

Magische Bücher

Roman

Kapitel 1

Ich saß im Schneidersitz auf dem Holzfußboden im Arbeitszimmer und hielt das Herz des Hauses über ein mit Wasser gefülltes Fläschchen. Mein Rücken machte sich bemerkbar, als ich so vorsichtig wie möglich versuchte, meinen Sitz zu korrigieren, sodass mir das Blut zurück in die Zehen fließen konnte. Das geöffnete Fenster ließ die Sonnenstrahlen des schönen Junitages herein und fast, aber nur fast, hätte ich dank des angenehmen Vogelgezwitschers vergessen, dass ich mich gerade mitten in einer Trankherstellung befand.

Ein Räuspern ermahnte mich und als ich ganz vorsichtig ein Auge öffnete, blickte mir mein Lehrer, alias Jugendfeind, alias Mitbewohner entgegen und schüttelte den Kopf. Das Fenster hinter ihm sorgte dafür, dass sein Körper wie der einer Gottheit angestrahlt und seine Silhouette geradezu königlich betont wurde. Ein merkwürdig passendes Bild, wenn man bedachte, dass sich Magnus Cold manchmal wie eine etwas arrogante, adlige Zicke benahm.

»Drei magische Goldstücke für deine Gedanken, Nell«, sagte er, als ich nicht anders konnte und ihn wieder anblickte. »Was hat dich dieses Mal abgelenkt? Die Farbe der Wand? Deine Gedanken über das Mittagessen? Was war es? Lass mich teilhaben an deinen unsteten, wirren Fantasien.«

»Sehr witzig. Ich war nicht abgelenkt, ich war nur in Gedanken.«

Er klappte das Buch in seinen Händen zu und ließ es auf den Tisch sinken. Dann kam er direkt vor mir zum Stehen und blickte auf das Fläschchen hinunter.

»Ich sehe keinen Zaubertrank«, schlussfolgerte Sherlock Holmes bemerkenswert treffsicher und warf mir einen tadelnden Blick zu.

»Ich bin ja auch noch gar nicht fertig. Hättest du mich nicht unterbrochen, hätte es funktioniert.«

»Natürlich«, gab er trocken zurück und kehrte damit wieder mal die Seite an sich heraus, die ich nicht leiden konnte.

Magnus Cold war die Sorte Mann, zu der man aufsah, der man aber auch gut und gern jeden zweiten Tag den Hals umdrehen wollte. Er war arrogant, diszipliniert, schlau, eigensinnig, herrschsüchtig, nett anzusehen, undurchschaubar …

»Würdest du den Trank dann bitte zu Ende bringen? Wir haben noch andere Dinge zu erledigen und können Bonta und Flint nicht die ganze Planung der Ladeneröffnung überlassen.«

Seine Worte lösten in mir alles andere als Arbeitsfreude aus, ganz im Gegenteil. Wenn ich daran dachte, dass ich in zwei Tagen in Charlotte McKenzies Kristallladen stehen und Fachgespräche führen sollte, wurde mir ganz anders.

Aber mal von vorn. Mein Name ist Nelly Williams und vor wenigen Wochen hatte ich die weite Reise nach Kanada auf mich genommen, um ein verfluchtes Haus zu entfluchen. Zugegeben, wenn Marit, die Anführerin des Hexen- und Zaubererrates, mich nicht dazu gezwungen hätte, wäre ich wohl niemals in den Flieger gestiegen. Scheinbar war dem magischen Haus meine fehlende Motivation aber egal, denn es wählte mich kurzerhand dazu aus, drei Prüfungen zu absolvieren, um am Ende einen mächtigen Kristall zu bekommen und die nächste Hausherrin zu werden. Nichts davon war geplant und doch war es geschehen. Hätte mir jemand vor meiner Abreise aus London gesagt, dass ich hier auch noch meinem Jugendfeind begegnen würde, hätte ich nur laut gelacht.

Magnus Cold? Niemals! Er und ich unter einem Dach? Ausgeschlossen!

Da bekanntlich immer alles anders kam als erwartet, machte mir das Schicksal einfach einen fetten roten Strich durch die Rechnung und stellte mir meinen Jugendfeind als DIE rettende Hilfe zur Seite. Letztendlich konnte man wohl behaupten, dass mein Hintern ohne ihn in Stein verwandelt worden wäre, auch wenn die Anerkennung dieser Tatsache einen nicht ganz unbeträchtlichen Schaden an meinem sowieso schon viel zu kleinen Hexenselbstbewusstsein nach sich zog.

Natürlich war ich ihm dankbar und irgendwie, zwischen mehreren misslungenen Zaubertränken und ein paar unschönen Aktionen unserer bösen Hexennachbarin, hatte ich erfolgreich verdrängt, was damals geschehen war.

Nicht vergessen, nein! Nur in den Hintergrund verschoben.

»Also, noch einmal von vorn, Nell. Und bitte! Konzentriere dich. In zwei Tagen musst du so einfache Zaubertränke wie diesen innerhalb von Sekunden zustande bringen und das ohne mit der Wimper zu zucken.«

»Einfach?«, brummte ich und verzog das Gesicht.

»Ja, einfach! Ein einfacher, simpler Zauber. Also los.«

»Vielleicht sollten wir die Eröffnung verschieben. Nur ein paar Tage. Dann habe ich mehr Sicherheit und bin besser vorbereitet.«

Mein Mentor gab ein Stöhnen von sich. »Jetzt mal ganz ehrlich. Wenn es nach dir geht, werden wir nie eröffnen. Wovor hast du solche Angst?«

»Das kann ich dir genau sagen. Ich bin erst seit wenigen Wochen die Hausherrin und habe noch immer die meiste Zeit keine Ahnung, was ich tue.«

»Aber das stimmt doch gar nicht.«

»Doch, natürlich! Ohne dich und ohne Bonta wäre ich aufgeschmissen. Oder muss ich dich an vorgestern erinnern?«

Colds Mundwinkel zuckten verdächtig nach oben. Wie es aussah, konnte er sich bestens entsinnen, wie ich versucht hatte, die magischen Fähigkeiten eines Rubins und eines Rosenquarz für einen Zauber zu vereinen. Damit hatte ich eine Heil­salbe herstellen sollen, stattdessen war mir die Magie der beiden Kristalle im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren geflogen. Das Resultat war ein zerstörtes Fenster, ein äußerst wütender Hausmeister und ein lachender Mistkerl, der sich gar nicht wieder einkriegen konnte. Nein, ich war wirklich noch nicht bereit dafür, einen Hexenladen zu führen.

»Das wird in einer Katastrophe enden, glaub es mir. Ich weiß gerade mal über die Hälfte der Kristalle, was sie alles bewirken können, und dann soll ich auch noch Tränke und Salben auf Nachfrage direkt vor den Kunden herstellen. Das ist einfach … ach, ich weiß auch nicht.«

»Weißt du, was du brauchst? Eine schöne, entspannende Meditation, um dich zu erden.«

»Du klingst wie meine Großmutter«, meckerte ich und legte mir das Herz des Hauses wieder um den Hals.

Wie immer ließ sich mein Jugendfeind nicht von meinen Worten irritieren, stattdessen setzte er sich mir gegenüber in den gleichen Schneidersitz und befahl mir die Augen zu schließen.

»Gut. Und jetzt hörst du auf, dich wie eine übergeschnappte Zicke zu benehmen, und atmest tief ein.«

»Cold!«

»Und dann langsam wieder aus. Du denkst an nichts, außer an das Jetzt. An deinen Körper, der den Sauerstoff dankbar entgegennimmt.«

»Wer weiß, wie lange ich noch atmen kann. Wenn bei der Eröffnung etwas schiefgeht, wird Bonta mir den Hals umdrehen. Dann war es das mit der tiefen Atmung.«

»Ich sagte, du benimmst dich NICHT wie eine übergeschnappte Zicke.«

Ich öffnete die Augen und warf ihm einen möglichst bösen Blick zu, was er mit einem Augenrollen konterte. Magnus Cold war der einzige Mensch, bei dem das graziös aussah.

»Ich verstehe dich einfach nicht. Du hast die Prüfungen bestanden, schon vergessen? Das Haus hat dich auserwählt, weil es dein Potenzial erkannt hat und trotzdem zweifelst du an dir. Das ist unlogisch. Ganz typisch Frau.«

»Wie bitte?«

»Anstatt an dich zu glauben, kramst du in deinen Gehirnwindungen nach all den Möglichkeiten, die schiefgehen könnten. Aber der Tag kann genauso gut ein Erfolg werden. Schon mal etwas von positiver Einstellung gehört?«

»Und DAS ist typisch Mann. Wird schon alles werden, du musst nur ordentlich dein Selbstbewusstsein pushen. Als wenn das so einfach wäre.«

Cold streckte die Hand aus und hielt sie mir hin. »Gib mir das Herz des Hauses.«

»Was? Wieso?«

»Gib es mir.«

Ich tastete nach dem Stein, der sich wieder unter meiner Bluse verbarg und schüttelte den Kopf.

»Bonta sagte, dass ich ihn niemals jemandem geben soll. Er muss bei mir bleiben, immer.«

Ein einseitiges Lächeln breitete sich auf seinem Mund aus. »Na siehst du? Die wichtigste Lektion hast du verinnerlicht. Alles andere ist nebensächlich.«

»Das war ein Test?«

»Natürlich. Ich wollte wissen, ob du so verrückt bist, mir das Herz einfach so zu geben.«

»Und wenn ich es getan hätte?«

»Dann hätte ich Bonta dazu gedrängt die Eröffnung zu verschieben, weil du noch nicht so weit bist.«

»Verdammt!« Ich schlug mit der Faust auf mein Bein. »Frag mich nochmal. Bitte! Dieses Mal werde ich ihn dir geben.«

»Keine Chance. Die Eröffnung findet in zwei Tagen statt, Nell. Und jetzt lass uns gehen und Bonta helfen.«

»Und der Trank?«

»Du bist heute zu unkonzentriert.«

Wahre Worte. Meine Gedanken fuhren Achterbahn und die Tatsache, dass wir nun die Wendeltreppe hinunter in den Laden stiegen, machte es nicht besser. Wenn ich sonst in ›McKenzie's Dream‹ kam, hatte ich mich gefreut, weil der Laden hübsch war und etwas Mystisches an sich hatte. Ich sah mir gern die Kristalle an, die in Farben geordnet auf den verschiedenen Holztischen verteilt waren. Der ganze Raum befand sich in einem Turm, was recht ungewöhnlich war, aber es hatte Charme. Die Bauernfenster passten perfekt zur steinernen Wand und es fiel mir leicht, Charlottes einstige Liebe zu ihrem Geschäft zu teilen – eigentlich, denn nun sollte ich ihre Nachfolge antreten.

Der schokoladenbraune Katzen-Hausmeister, der auf dem Verkaufstresen saß und uns kommen sah, lenkte meine Gedanken ab. Bonta war schon seit Tagen aufgeregt wie ein kleines Kind. Wenn er nicht über die Eröffnung sprach, befand er sich im Laden, um irgendetwas zu putzen, etwas zurechtzurücken oder um einfach dort zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren. Ich konnte verstehen, dass er sich freute, immerhin hatte er viele schöne Erinnerungen an Charlotte, die er mit dem Geschäft verband. Für ihn war das alles eine große Freude, was der Grund dafür sein könnte, dass er jeden meiner Zweifel mit der Pfote sofort und unwiderruflich zur Seite schob.

»Ah, Nelly und Magnus. Wie findet ihr es? Perfekt, oder?«

Cold nickte anerkennend, während ich den Blick über die Kristalle schweifen ließ und keine Ahnung hatte, was er meinte.

»Der Tisch ganz vorn«, erklärte Bonta, als er meinen Gesichtsausdruck sah. »Ich habe ihn gedreht. So kommen die Kristalle besser zur Geltung, wenn am Nachmittag die Sonne durch das Fenster fällt. Sie werden angestrahlt und entfalten ihre perfekte Schönheit.«

»Wow … das ist … toll.«

»Ich weiß. Es geht doch nichts über den richtigen Stand. Und wie war eure Zaubertrankübung?«

»Ganz gut«, sagte ich schnell und ignorierte Colds Räuspern und seinen ungläubigen Blick. »Aber … weißt du was, Bonta? Ich habe mich gefragt, ob wir … na ja … dem Ganzen nicht doch noch etwas mehr Zeit geben wollen. Vielleicht eine Woche oder zwei. Oder einen Monat. Nur so, damit ich auf der sicheren Seite bin und noch ein wenig Zeit habe, mich vorzubereiten.«

Bonta blinzelte mich an und blickte dann zu Cold. Die beiden hatten diese nervige Angewohnheit entwickelt, sich stumm und nur über Blickkontakt auszutauschen. Es brauchte gar keine Worte, um zu erkennen, dass sie, wie meistens, einer Meinung waren.

»Wir sprechen jetzt nicht schon wieder darüber, die Eröffnung zu verschieben, oder?«

»Nun ja … doch. Warum wäre das denn so schlimm? Es wartet doch niemand darauf.«

Bonta blickte sich im Laden um und wurde für einen Moment ganz still. Ich wartete angespannt auf seine nächsten Worte, doch ein Poltern lenkte uns alle drei ab und sorgte dafür, dass wir zur Morganit-Tür sahen, die in das angrenzende Haus führte.

»Was war das?«, fragte Cold, doch Bonta war schon auf dem Weg ins Haus.

»Flint!«, rief er und erst in diesem Moment wurde mir klar, dass ich unseren Hausmeister-Lehrling schon seit dem Frühstück nicht mehr gesehen hatte.

Das war nicht gut. Bonta, Cold und ich waren uns einig, dass man Flint und das Haus nicht allein lassen konnte. Das kleine Kätzchen hatte sich mit dem magischen Gebäude angefreundet und wie das eben so war, machten Kinder auch mal Dummheiten, wenn man nicht aufpasste. In diesem Fall ging es aber um magische Dummheiten, was die Sache erheblich verkomplizierte. Zu diesem rasanten Duo gesellte sich dann meistens auch noch ›Hocker‹, der das Chaos perfekt machte. Das Möbelstück dachte gar nicht daran, das Leben, das ich ihm aus Versehen eingeflößt hatte, wieder herzugeben und genoss sein Dasein in vollen Zügen.

Kaum trat ich hinter Bonta durch die Tür ins Haus, rutschte ich auch schon aus und landete auf dem Po. Der Anblick, der sich mir bot, war katastrophal.

Das Haus ließ die beiden Wasserhähne in der Küche wahrscheinlich schon seit einer ganzen Weile überlaufen und sorgte mit wellenartigen Bodenbewegungen dafür, dass Flint und Hocker eine bewegliche Rutschbahn durch das gesamte Wohnzimmer hatten. Sie flogen durch die Luft, wurden vom sich bewegenden Boden wieder aufgefangen und rutschten dann in den Kamin, aus dem ein Schwall Asche emporstieg, der die Wände links und rechts schwarz färbte.

Wie es aussah, war das nicht ihre erste Rutsch-Runde, denn das ganze Wohnzimmer sah aus wie ein einziges Schlachtfeld. Ich bekam ein wenig Mitleid mit unseren Rabauken, als ich dabei zusah, wie sich Bontas Körper anspannte und er tief Luft holte. Dann bebte die Stimme des Hausmeisters durch das Zimmer.

»Was glaubt ihr drei, was ihr da tut?«, donnerte er und sofort hörte der Boden auf sich zu bewegen und formte sich wieder glatt. Noch dazu stieß das Haus ein ängstliches Quietschen aus, das von einem überraschten Laut von Flint begleitet wurde.

»Das ganze Wohnzimmer steht unter Wasser. Ist euch das denn nicht klar? Und die Wände …«

Nun bekam ich Mitleid mit unserem Hausmeister. Gewiss malte er sich bereits aus, wie lange es dauern würde, das Chaos wieder zu beseitigen. Seine Haltung bestätigte meine Vermutung und er stieß ein tiefes Seufzen aus.

»Wir können das mit unserer Magie wieder in Ordnung bringen«, sagte ich und deutete auf Cold und mich, doch Bonta schüttelte den Kopf.

»Das ist die Aufgabe des Hausmeisters, nicht eure. Und ihr drei! Ich werde mir eine passende Strafe für euch überlegen. Und nun fangt an sauberzumachen. Ihr werdet mir dabei helfen. Und wehe, alles sieht nicht wieder genauso aus wie vorher!«

»Es tut uns leid«, sagte Flint und trottete mit gesenktem Kopf an mir vorbei, doch ich nahm ihn in meine Arme und strich ihm mit einem Taschentuch die Asche vom Gesicht.

»Danke, Nelly.« Sein Blick huschte kurz zu Bonta, dann sah er mich mit seinen großen, blauen Augen an und flüsterte: »Das war toll! Hast du gesehen, wie hoch ich geflogen bin?«

»Du hättest dich verletzen können, Flint«, versuchte ich möglichst streng zu antworten, doch das war gar nicht so leicht. Unser kleiner Hausmeister-Lehrling traf mich mit seinem Blick immer mitten ins Herz. Er war einfach noch ein Baby und völlig unbedacht. Und zuckersüß.

»Aber du hast gesehen, wie hoch ich geflogen bin?«

»Ja, habe ich. Es war ziemlich hoch.«

»Fast bis in den Weltraum«, sagte er und brachte mich damit zum Schmunzeln.

»Ja, fast. Und jetzt kehrst du auf die Erde zurück und machst sie sauber. Ansonsten wird Bonta sehr lange sehr böse auf dich sein.«

»Okay.«

Er hüpfte aus meinem Arm und ging in die Küche, um sich dort im Waschbecken zu reinigen und die restliche Asche loszuwerden, doch Bonta trieb ihn die Treppe hinauf ins Badezimmer. Ich half Cold dabei, einen Schrank wieder ordentlich aufzustellen, dann sah ich mich um und musste lächeln.

Mit einem angenehm warmen Bauchgefühl betrachtete ich den leuchtend grünen Rasen auf dem Boden, die Schaukelcouch, auf die ich direkten Blick hatte und den Kristallbaum, der sich im Durchgang zwischen Wohnzimmer und Küche erstreckte. Es war offensichtlich, dass die nächste Ernte bevorstand, denn die verschiedenfarbigen Kristalle, die überall an den Ästen verteilt hingen, strahlten um die Wette. Manchmal ging ich mitten in der Nacht nach unten, um mich an die Kochinsel zu setzen und mir die bunten Lichter anzusehen. Sie hatten etwas Beruhigendes an sich.

Aber wenn ich es mir genau überlegte, war das gesamte Haus wunderschön. Ich fühlte mich in jedem Raum wohl und verbrachte gern Zeit auf dem Dachboden, meinem Rückzugsort. Dort gab es eine kuschelig eingerichtete Fensterbank, wunderschön verzierte Bücherregale, Grünpflanzen, die in Töpfen von der Decke hingen und einen Hängesessel. Natürlich sollten auch die leuchtenden Kristalle erwähnt sein, die in diesem Haus an jeder Ecke zu finden waren. Charlotte hatte sie aufgestellt und ich hielt es für eine gute Idee, sie dort zu lassen, wo sie waren. Obwohl ich noch nicht lange in diesem Haus lebte, fühlte es sich an wie mein Zuhause. Wenn nur dieser Eröffnungstag nicht wäre …

Bonta erschien wieder direkt neben mir und räusperte sich. »Flint wird eine Weile im Badezimmer brauchen. Nun zu dir, Nelly …«

Der Hausmeister warf Cold einen kurzen Blick zu, bevor er weitersprach.

»Ich habe noch etwas zu erledigen«, ließ mein Jugendfeind daraufhin verlauten und ging zurück in den Laden und wahrscheinlich ins Arbeitszimmer, um irgendetwas Magisches zu fabrizieren. Ich blieb allein mit dem Hausmeister im Wohnzimmer zurück.

»Also, Nelly. Bevor ich mich um die Aufräumarbeiten hier kümmere, möchte ich mit dir über die Eröffnung reden.«

»Heißt das, du hast es dir nochmal überlegt und wir verschieben sie?«

Bonta lief zum Stamm des Kristallbaumes und setzte sich neben ihn. Mit der Pfote bedeutete er mir, ihm zu folgen.

»Es tut mir sehr leid, aber das Haus hat mir gesagt, dass eine Verschiebung der Eröffnung nicht möglich ist. Kannst du dir vorstellen, warum?«

»Weil das Haus nicht genug Vorstellungskraft besitzt, um zu begreifen, dass ich alles vermasseln werde?«, erwiderte ich und versuchte ein Lächeln auf meine Lippen zu legen.

Bonta ignorierte meine Worte und blickte stattdessen hoch in die Baumkrone. Dann streckte er den Arm aus und berührte den Stamm mit der Pfote. Sämtliche Kristalle begannen daraufhin zu leuchten.

»Die Magie dieses Hauses wird von einer auserwählten Person bewacht und beschützt, doch das ist noch nicht alles. Die Hausherrin oder der Hausherr ist dazu in der Lage, die Stimmen zu hören, die anderen verborgen bleiben. Nur sie oder er kann das Ausmaß der Kristallmacht begreifen und dafür sorgen, dass Hexen und Zauberer Anteil nehmen.«

»Anteil nehmen, woran?«, fragte ich leise.

»An der magischen Kraft. Sie ist nicht dafür bestimmt, nur einer einzigen Person zu gehören. Es ist deine Aufgabe, die Kristalle, die an diesem Baum wachsen, in die Welt zu bringen. Deshalb musst du den Laden eröffnen, Nelly. Das ist der Wunsch des Hauses. Der Wunsch der Kristalle.«

»Das möchte ich ja, aber nur nicht jetzt. Es wird niemandem wehtun, wenn wir noch ein paar Wochen warten.«

»Was du noch nicht begriffen hast, ist, dass du als Hausherrin über dich hinauswachsen musst. Du wurdest dreimal geprüft, doch werden das nicht die letzten Prüfungen gewesen sein, denen du dich stellen musst. Nimm das Herz des Hauses in die Hände.«

Ich zog es hervor und betrachtete es. Wahrscheinlich gab es auf der ganzen Welt keinen ungewöhnlicheren Kristall, auf jeden Fall keinen, mit mehr magischer Kraft. Ein Unakit, ein Tigerauge und ein Bernstein hatten sich vereint, um mir meinen Platz im Haus zu bestätigen und mir ihre Kräfte zur Verfügung zu stellen. Obwohl ich bis jetzt noch immer keine Ahnung hatte, was das Schmuckstück alles bewerkstelligen könnte, hatte ich großen Respekt vor ihm.

»Gut. Und nun halte das Herz in der linken Hand und berühre mit der rechten den Baumstamm. Hab keine Furcht. Es wird Zeit, dass du zuhörst und begreifst.«

Bontas Worte klangen geheimnisvoll und der Blick aus seinen grünen Augen unterstrich dieses mystische Gefühl. Langsam strich ich mit den Fingern über die Rinde, dann legte ich meine ganze Hand auf den Stamm, so wie er es verlangt hatte. Das Herz des Hauses wurde warm, begann zu pulsieren und die Kristalle über unseren Köpfen leuchteten noch stärker. Als dann ein Gemurmel ertönte, ein Wispern aus allen Ecken, holte ich erschrocken Luft und sah mich um.

Was war das? Wo kamen diese Stimmen her?

Sie waren kaum zu verstehen und doch waren sie überall.

»Hab keine Furcht, Hausherrin«, sagte Bonta leise und schloss die Augen. »Die Kristalle haben eine Stimme. Und das Haus hat einen Puls.«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wandelten die Wände umher. Es war anders als sonst. Normalerweise bewegte das Haus nur einzelne, kleinere Elemente, wie z. B. mehrere Treppenstufen oder die Gardine. Nun bewegte sich alles, schob sich langsam nach links, dann nach rechts, nur um dann zu erstarren und das Gleiche von vorn zu beginnen. Ich konnte die Wände knarzen und die Treppe knacken hören und als ich Bonta ansah, lächelte er und seine Augen glühten.

»Was meinst du, warum in diesem Haus regelmäßig etwas repariert werden muss? Alles hier ist in ständiger Bewegung, das bedeutet aber auch, dass einiges zerstört wird. Deshalb braucht dieses Haus einen Hausmeister.«

»Das heißt, du siehst es immer so, wie es jetzt ist, Bonta? In Bewegung?«

»Ja. Ich sehe anders. Ich sehe mehr.«

»Und die Stimmen?«

Er blickte hinauf in die Baumkrone. »Das sind die Kristalle, Nelly. Oder hast du geglaubt, sie hätten dir nichts zu sagen? Nun höre ihnen zu.«

Das tat ich und als ich das unaufhörliche Wispern nach einer Weile endlich entschlüsseln konnte, begriff ich, was der Hausmeister sagen wollte. Die Kristalle hatten einen eigenen Willen und was sie wollten, war eindeutig. ›McKenzie's Dream‹ sollte eröffnen und das nicht erst in einem Monat, sondern in genau zwei Tagen.

»Könnt ihr es euch nicht noch einmal überlegen?«, fragte ich flüsternd, doch der Klang ihrer Stimmen und die Botschaft darin blieb gleich.

»Aber ich bin noch nicht so weit.«

»Doch, das bist du«, sagte Bonta. »Du hast das Herz des Hauses. Das ist alles, was du brauchst.«

Ich war da zwar nicht ganz so optimistisch wie der Hausmeister, doch ich fühlte mich seltsamerweise etwas besser. Bonta und Cold würden mir bei der Eröffnung helfen und wenn die Kristalle glaubten, dass ich bereit dafür war, war ich es dann nicht?

Mir blieb keine andere Wahl, als darauf zu vertrauen. Ich hatte das Haus und dessen Bewohner liebgewonnen und würde alles geben, um sie am Eröffnungstag zufriedenzustellen. Fragte sich nur, ob mir das gelingen würde.

Kapitel 2

Ich stand im Badezimmer vor dem Spiegel und versuchte meine langen, blonden Haare zu flechten. Normalerweise gelang mir das ganz gut, doch heute waren meine Hände so zittrig, dass ich bereits das dritte Mal von vorn beginnen musste.

In zwei Stunden war die Eröffnung. Wenn ich nur daran dachte, bekam ich schweißnasse Hände und mir wurde übel. Ja, ich war nicht allein und konnte auf Bonta und Cold vertrauen, doch im Prinzip war das meine Feuertaufe. Was, wenn ich alles vergaß, was ich bisher über Kristalle gelernt hatte? Was, wenn ich jemandem das Falsche verkaufte? Was, wenn …

»Nelly? Bist du im Badezimmer?«

Bontas Stimme riss mich aus meinen Überlegungen und als ich die Tür öffnen wollte, rutschte mir die Haarbürste aus der Hand, kam am Waschbeckenrand auf und fiel in die Toilette.

Na toll! Wenn das nicht ein schlechtes Omen war.

»Hör mal, Nelly. Wir haben nicht mehr viel Zeit«, fuhr Bonta fort. »Komm in den Laden, wenn du fertig bist, ja? Wir gehen alles noch einmal gemeinsam durch.«

»Ist gut.«

Nein, gar nicht gut! Meine Handflächen wurden wieder nass und ich ließ mich auf den Badewannenrand sinken. Gab es die Möglichkeit zu flüchten? Einfach abzuhauen? Ich könnte wieder nach London gehen, meinen Namen ändern und einfach so tun …

»Nelly?«

Es klopfte an der Tür. Dieses Mal war es Colds Stimme, die mich aus den Gedanken riss.

»Ja?«

»Du bist schon eine Ewigkeit da drin. Sag mir bitte nicht, dass du dich im Badezimmer versteckst.«

»Wie kommst du denn auf so etwas?«

»Das würde zu dir passen.«

»Blödmann«, murmelte ich und stellte mich wieder vor den Spiegel, um mir die Haare weiter zu flechten. »Ich bin die Ruhe selbst. Absolut entspannt. Es wird eine tolle Eröffnung und wir werden jede Menge Spaß haben.«

»Ah. Dann versteckst du dich also wirklich. Ich wusste es.«

Ich ließ die Haarsträhne, die ich gerade in der Hand hielt, fallen und öffnete schwungvoll die Tür.

»Zufrieden? Ich verstecke mich nicht.«

»Würde dir auch nichts bringen. Ich kenne einen Zauber, der die Tür aus den Angeln heben würde. Vielleicht würde er sie sogar zerstören, das müsste ich austesten.«

»Gut zu wissen.«

»Also? Wie fühlst du dich?«

»Bestens.«

Colds rechte Augenbraue ging in die Höhe.

»Na gut, ich bin kurz davor komplett durchzudrehen, zufrieden?«

»Dafür gibt es keinen Grund.«

»Das sagst du! Wenn es ganz schlecht läuft, bereut Bonta heute Abend den Tag, an dem ich nach Lunenburg gekommen bin. Es könnte sein, dass er enttäuscht sein wird. Er wird erkennen, dass ich nicht würdig bin. Oder nicht schlau genug. Oder … keine Ahnung.«

Cold betrachtete einen Moment stumm mein Gesicht, dann schnippte er die Finger und mein T-Shirt mit der Aufschrift ›Auch ein Dino hat Gefühle‹ veränderte sich. Es formte sich neu, wurde zu einer schönen, weißen Bluse mit kurzen Ärmeln und einem lilafarbenen Saum. Aus seiner Hosentasche zog er ein kleines Seidentuch, das die gleiche lila Farbe hatte. Er trat einen Schritt vor und band es mir um den Hals.

»Es ist ganz egal, was andere denken. Das Haus hat dich ausgewählt und dein Potenzial erkannt. Du brauchst nur etwas mehr Selbstvertrauen.«

»Und diese Aufmachung soll mir dabei helfen, selbstbewusster zu sein?«

»Nein. Eigentlich soll sie nur dafür sorgen, unseren Hausmeister zufrieden zu stimmen. Er hat sich gewünscht, dass wir Arbeitskleidung tragen.«

»Und warum musst du kein Halstuch haben?«

»Weil ich damit lächerlich aussehe und mich nicht von einem Kater herumkommandieren lasse.«

»Das halte ich für eine ganz gemeine Ausrede. Eine, die außerdem nicht wahr ist. Als dir Bonta gesagt hat, dass du deine Kochkünste unbedingt verbessern solltest, bist du am nächsten Tag in die Stadt gegangen und hast dir ein paar Bücher gekauft.«

»Es war nicht am nächsten Tag, sondern am übernächsten.«

»Ah, das ist natürlich etwas vollkommen anderes.«

»Allerdings.«

Er machte wieder einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk. Dann nickte er.

»Ja, das ist akzeptabel.«

»Akzeptabel?«, stieß ich aus und stemmte die Hände in die Hüfte. »Ein verrostetes Auto, das mich trotz grober Mängel von A nach B bringt, ist akzeptabel. Ein Käse, den ich noch esse, auch wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, ist akzeptabel. Eine …«

»Ist ja schon gut, ist ja gut. Du siehst hübsch aus – zufrieden?«

Er zwinkerte mir zu, was tatsächlich dafür sorgte, dass meine Wangen heiß wurden und ich auf meine Schuhe starren musste. Kein guter Moment, um mich daran zu erinnern, dass Cold und ich eine mehr als merkwürdige Wohngemeinschaft führten. In manchen Momenten fühlte ich mich zu meinem Jugendfeind hingezogen, in anderen brachte er mich wieder so weit, dass ich ihm am liebsten den Hals umdrehen würde. Es war ein Auf und Ab, an dem sich wohl nie etwas ändern würde. Da war eine unsichtbare Mauer, die zwischen uns aufragte und dafür sorgte, dass wir einander nicht näherkamen. Diese Mauer einzureißen war ein Gedanke, der mir noch immer Angst machte. Cold hatte sich verändert, aber wie sehr, das musste ich erst noch herausfinden.

»Flint und Hocker bleiben übrigens auf dem Dachboden, solange wir im Laden sind. Bonta hat beschlossen, dass die beiden zur Strafe für ihre letzte Wohnzimmeraktion nicht bei der Eröffnung dabei sein dürfen.«

»Wirklich? Das ist hart. Flint hat sich sehr darauf gefreut.«

»Bonta muss das tun. Die nächste Aktion der drei könnte die letzte sein. Was, wenn sie aus Versehen ein Feuer legen, oder so?«

»Ja, du hast recht. Trotzdem tut er mir leid.«

Cold seufzte leise und er streckte die Hand aus, um mir eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen. Als er meinen erschrockenen Gesichtsausdruck sah, erstarrte er in der Bewegung und räusperte sich.

»Also dann, wir warten im Laden auf dich.«

»Ist gut. Ich bin gleich da.«

Ich schob diese kleine Geste schnell wieder aus meinen Gedanken und konzentrierte mich auf meine Haare. Noch mehr Verwirrung konnte ich nicht gebrauchen und ich musste mich gedanklich auf die Eröffnung vorbereiten. Als mir wieder ein paar Haarsträhnen aus den Fingern schlüpften und ich laut fluchte, bewegte sich der Duschvorhang und formte eine Hand. Im Nu half mir das Haus dabei, meine Frisur zu vollenden.

»Ich danke dir.«

Ein Quietschen aus der Wand war die Antwort auf meine Worte. Es konnte durchaus praktisch sein, wenn man in einem lebendigen Gebäude lebte, das es gut mit einem meinte.

Genau 10 Minuten später betrat ich den Laden und staunte nicht schlecht, denn ich wurde von einem Lichtermeer begrüßt. Die vielen kleinen und großen Kristalle, die auf mehreren, breiten Holztischen verteilt lagen, gaben ein sanftes Leuchten ab und sahen so schön aus, dass jeder Kunde mit Sicherheit sofort mindestens einen kaufen würde. Alles sah picobello aus, vom rustikalen Laminatboden, bis hin zu den Bauernfenstern. Und wieder musste ich feststellen, dass Charlottes Laden ein Schmuckstück war. Er war gemütlich, aber nicht zu klein. Die Wände waren aus Stein, wirkten aber nicht kühl. Und da wir uns in einem runden Turmzimmer befanden, kam man sich auch noch so vor, als wäre man direkt in einem Märchen gelandet. Was konnte man mehr erwarten, von einem Hexenladen?

---ENDE DER LESEPROBE---