Eine Seuche in der Stadt - Ljudmila Ulitzkaja - E-Book

Eine Seuche in der Stadt E-Book

Ljudmila Ulitzkaja

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Beschreibung

„Ein sarkastisch makabres Loblied auf den sowjetischen Geheimdienst, der die Ausbreitung der Pest verhindert – und dabei offenbart, wie allumfassend er bereits die Gesellschaft vergiftet hat.“ Ingo Schulze

Moskau 1939. Rudolf Iwanowitsch Mayer berichtet über den Stand der Entwicklung eines Impfstoffs gegen die Pest. Niemand ahnt, dass der Forscher selbst infiziert ist. Aber am Abend wird er ins Krankenhaus gebracht. Diagnose: Lungenpest. Das Krankenhaus wird unter Quarantäne gestellt, wer mit ihm Kontakt hatte, zu Hause abgeholt. In der Zeit des Großen Terrors fürchtet jeder, in Stalins Folterkeller zu kommen. Oberst Pawljuk erschießt sich, als der schwarze Wagen vor seiner Tür hält, eine Frau verrät ihren Mann an den Geheimdienst … Was geschieht, wenn eine Epidemie auf eine paralysierte Gesellschaft trifft? Scharfsichtig und mit großer Empathie beobachtet Ljudmila Ulitzkaja die Reaktionen der Menschen.

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Über das Buch

Moskau 1939. Rudolf Iwanowitsch Mayer berichtet über den Stand der Entwicklung eines Impfstoffs gegen die Pest. Niemand ahnt, dass der Forscher selbst infiziert ist. Aber am Abend wird er ins Krankenhaus gebracht. Diagnose: Lungenpest. Das Krankenhaus wird unter Quarantäne gestellt, wer mit ihm Kontakt hatte, zu Hause abgeholt. In der Zeit des Großen Terrors fürchtet jeder, in Stalins Folterkeller zu kommen. Oberst Pawljuk erschießt sich, als der schwarze Wagen vor seiner Tür hält, eine Frau verrät ihren Mann an den Geheimdienst … Was geschieht, wenn eine Epidemie auf eine paralysierte Gesellschaft trifft? Scharfsichtig und mit großer Empathie beobachtet Ljudmila Ulitzkaja die Reaktionen der Menschen.

LjudmilaUlitzkaja

Eine Seuche in der Stadt

Szenario

Aus dem Russischen vonGanna-Maria Braungardt

Carl Hanser Verlag

Eine Seuche in der Stadt

Durch eine riesige Schneesturmwüste rollt, mit den Scheinwerfern den tanzenden Schneewirbel beleuchtend, ein Güterzug. Langsam und lange. Er fährt vorbei an einer hinter hohen Schneewehen kaum auszumachenden Stadt und verschwindet in der verschneiten Finsternis.

Ein langes eingeschossiges Gebäude am Ende der Welt, völlig eingeschneit. Hinter einigen Fenstern brennt trübes Licht. Ein schneeverwehtes Schild, die Schrift darauf ist nicht mehr zu erkennen.

Am Kanonenofen in der Pförtnerbude sitzt eine alte Tatarin, ein Kopftuch tief in die Stirn gezogen, darüber ein großes Wolltuch. Mit einem scharfen kleinen Messer schneidet sie Dörrfleischscheiben ab und kaut zahnlos. Sie starrt mit leerem Blick vor sich hin.

In einer Isolierkammer sitzt Rudolf Iwanowitsch Mayer. Er trägt Schutzanzug und -maske. Sein Gesicht ist nicht zu sehen, seine Hände stecken in Handschuhen. Mit einer langen Nadel verteilt er eine Zellkultur auf Petrischalen. Die Flamme eines Spiritusbrenners zittert bei jeder seiner Bewegungen. Seine Bewegungen aber sind geschmeidig, magisch.

Auf dem Tisch der Pförtnerin klingelt schrill und anhaltend das Telefon. Sie lässt sich Zeit mit dem Abheben.

»Ach, zum Teufel, das schreit und kreischt«, knurrt die Alte. Das Telefon schrillt weiter. Sie hebt ab.

»Labratorjum! Es is Nacht, sag ich, Nacht! Was schreist du so? Is keiner da. Kann nich schreiben, nein. Mayer is da! Warte hier. Warte, sag ich!«

Die Alte geht durch den Flur, klopft an die hinterste Tür und ruft: »Mayer! Telefon! Moskau, für dich! Komm!«

Sie rüttelt an der Tür, doch die ist abgeschlossen. Sie klopft noch einmal, ruft: »Mayer! Komm! Ein wütender Natschalnik ruft dich!«

Mayer in seiner Isolierkammer legt die Nadel beiseite, hält inne. Das Klopfen ärgert ihn.

»Gleich! Gleich!« Seine Stimme klingt dumpf unter der Maske. Die Maske verrutscht ein wenig, die Kinnhalterung hat sich gelöst.

Die Alte geht zurück zum Telefon und ruft laut in den Hörer: »Bleib dran, warte, sag ich …«

Im Vorraum der Isolierkammer streift Mayer Handschuhe und Maske ab, zieht den Schutzanzug aus, wischt etwas ab und eilt schließlich zum Telefon.

»Entschuldigen Sie, ich war in der Isolierkammer. Ja, ja, nächtliche Versuche. Wsewolod Alexandrowitsch, ich bin noch nicht so weit. Ja, ja, im Prinzip. Vollkommen sicher. Aber ich brauche noch sechs bis acht Wochen. Gut, sechs … Aber ich bin noch nicht bereit für einen Bericht … Also, wenn Sie das so sehen. Aber ich halte den Bericht für verfrüht. Ich lehne die Verantwortung dafür ab. Ja, ja, auf Wiedersehen.«

Verärgert legt er den Hörer auf. Die Alte sieht ihn fragend an.

»Schreit mit mir, schreit mit dir. Zum Teufel mit dem wütenden Natschalnik. Hier, iss!«

Sie hält Mayer ein mit dem Messer aufgespießtes Stück Dörrfleisch hin.

Mayer winkt ab.

»Nein, danke, Galja.«

Mechanisch nimmt er das Fleisch und kaut.

»Geh schlafen. Nach Hause! Wozu hier rumsitzen?«

Der Morgen graut noch nicht, das Fenster ist dunkel. Ein zaghaftes Klingeln an der Tür. Eine junge Frau schaltet eine kleine Lampe an, steht lautlos auf und geht zur Tür. Ihr Kind schläft.

Rudolf Mayer betritt die Wohnung seiner heimlichen Freundin Anna Kilim. In schneebedeckter Pelzjacke, nur die Mütze hat er abgenommen.

»Ist was passiert?« Anna blinzelt erschrocken.

Mayer knöpft die Jacke auf.

»Nichts Besonderes. Ich wurde heute Nacht nach Moskau bestellt. Bericht erstatten vor dem Kollegium des Volkskommissariats. Dabei ist die Arbeit noch gar nicht beendet. Schwachsinn. Aber sie wollen nicht auf mich hören. Her damit, sagen sie, und fertig! Ich fahre, Anna, wollte dir nur Bescheid sagen.«

»Jetzt gleich?«

»Heute Abend. Ich hab meinen Versuch abgebrochen, muss noch was erledigen.«

»Und wer bleibt bei deiner Frau?«

»Das hab ich schon geregelt. Die Sawjolowa wird sich eine Woche um Mascha kümmern.«

»Geht es ihr gut?«

»Unverändert. Sie sitzt im Sessel, starrt vor sich hin.«

Anna streicht mit der Hand über Mayers Wange.

»Willst du nicht mitkommen nach Moskau? Hm? Für drei Tage?«, fragt er.

»Wie? Jetzt gleich?«, erwidert Anna erstaunt.

Aus dem Kinderbett taucht ein Lockenkopf auf, strahlt, als er Mayer sieht, und schon klettert das Mädchen auf seinen Schoß.

»Na, ist unsere Krossja aufgewacht, ja?« Er zaust sie an den Haaren. »Bitte Marja Afanassjewna, dass sie bei Krossja übernachtet, und dann komm mit.«

»So plötzlich. Das geht nicht. Es sind zwar Ferien, aber ich habe eine Art Dienst in der Schule.«

»Lass dir freigeben, den Dienst verlegen, denk dir was aus, ja?«

»Ich versuch’s, Rudolf, ich möchte ja selber gern …«

»Schick mir ein Telegramm ins Hotel Moskwa, dann hol ich dich ab, ja?«

In einem Zugabteil sitzen vier Personen. Mayer gleich an der Tür, die Pelzjacke um die Schultern gehängt, neben ihm ein kräftiger Mann mit kantigem, schiefem Gesicht, schräg gegenüber stellt eine attraktive, geschminkte und elegant gekleidete Frau mit hochgesteckten Zöpfen Essen auf den kleinen Tisch. Mayer direkt gegenüber sitzt ein junger Mann, offenbar vom Lande, aber lebhaft und gesprächig.

»So, das ist doch was ganz anderes«, sagt die Frau, »ich mag es, wenn alles schön ist. Heutzutage kann ja keiner mehr richtig den Tisch decken, aber ich hab es gern, wenn alles an seinem Platz liegt, Gabeln, Löffel und Teller, und unbedingt eine Serviette.«

Liebevoll betrachtet sie die akkurat aufgeschnittene Wurst und das sorgfältig arrangierte Brot. Der Schiefgesichtige mustert interessiert die Frau, der junge Mann redet weiter über sein Thema, mit dem er offenbar vor einer ganzen Weile begonnen hat.

»Also, wie gesagt, Ljudmila Ignatjewna, ich hab einen Brief geschrieben und gewartet, ob er wohl antwortet oder nicht. Er ist schließlich Akademiemitglied! Bei uns im Landwirtschaftsinstitut nämlich, das ist vielleicht eine Truppe — keine Unterstützung geben die, nichts …«

»Nun essen Sie doch, greifen Sie zu!«, sagt Ljudmila Ignatjewna, und der Schiefgesichtige nimmt sich ein belegtes Brot. Auch der junge Mann, noch immer redend, streckt die Hand aus.

»Na, ich hab beschlossen, es selber zu versuchen, auf eigene Faust. Ich hab sie mitgenommen und in meinem Schuppen erzogen, hab die Gänse allmählich an die Kälte gewöhnt. Mittlerweile die dritte Generation. Frostbeständig. Ich hab davon berichtet, aber die haben mich nur ausgelacht. Da hab ich den Brief geschrieben. Was soll’s? Direkt an die Akademie. Keine zwei Wochen später kam die Einladung. Ich hab kein Wort gesagt, einfach Urlaub genommen, und nun fahre ich hin. Das liegt bei uns in der Familie: Wer sich einmal was vorgenommen hat, der lässt nicht locker.«

Mayer bewegt fröstelnd die Schultern. Der Gänsezüchter wendet sich an ihn.

»Entschuldigen Sie, was sind Sie von Beruf?«

»Ich? Mediziner.«

»Gut, sehr gut. Sie können also eine biologische Idee auch verstehen. Ich rede von der Vererbung günstiger Eigenschaften durch Erziehung … die richtige Erziehung, meine ich …«

»Ah …«, sagt Mayer gedehnt. »Wissen Sie, ich bin Mikrobiologe, ich fürchte, mein Objekt lebt nach anderen Gesetzen.«

»Wie, nach anderen Gesetzen? Nach was für anderen?«, ereifert sich der junge Mann. »Wir leben alle nach demselben Gesetz, dem marxistisch-leninistischen!«

»Nun essen Sie doch, greifen Sie zu!« Die Dame ist beunruhigt.

»Gewiss, das ist unbestritten, kein Zweifel«, bestätigt Mayer ernst. »Aber meine Mikroben wissen das nicht.«

»In unserer Zeit muss das jeder wissen!«, erwidert der junge Mann heftig. »Im letzten Jahr hatten wir im Februar eine Durchschnittstemperatur von minus neunundzwanzig Grad. Und meine Gänse haben das bestens ausgehalten. Dabei ist der Schuppen aus Sperrholz, quasi aus nichts. Wenn man, sagen wir, Versuche mit Rindern machen würde, wenn man das gesamte Vieh erzieht, es an Frost gewöhnt, dann braucht man keine Rinderställe mehr zu bauen. Das wäre ein gewaltiger Nutzen für den Staat.«

Die Zugbegleiterin schiebt die Tür auf und schaut herein.

»Ich setze eine alte Frau zu Ihnen, sie steht draußen auf der Plattform. Sie haben doch nichts dagegen? Nur für vier Stunden, ja?«

»Na klar, soll sie sich ruhig hersetzen!« Der Gänsezüchter rückt ein Stück, um Platz zu machen, und eine alte Frau mit Bündeln zwängt sich zur Tür herein.

»Darf ich um einen Tee bitten?«, fragt Mayer die Zugbegleiterin.

»Tee? Erst morgen früh wieder, Sie haben doch schon welchen getrunken!«, verneint die Zugbegleiterin schroff.

Die Fahrgäste machen sich bettfertig. Mayer klettert nach oben, der Schiefgesichtige macht es sich unten bequem, zieht seine mit Hundefell gefütterten Pilotenstiefel aus. Die Alte quetscht sich in eine Ecke und zieht die Füße in ihren abgetretenen zu großen Schuhen unter sich.

Der Junge geht hinaus auf die Plattform.

Auf der Plattform steht ein Käfig mit zwei Gänsen. Der junge Mann beugt sich hinunter, schiebt den aufgewachten Vögeln ein Stück aufgeweichtes Brot durch die Gitterstäbe und streichelt einen Hals, der sich ihm entgegenreckt.

»Guter Junge, mein Guter, wir fahren in die Akademie, jawohl!« Er klopft auf den festen weißen Hals.

Mayer wickelt sich in die leichte Eisenbahndecke und setzt seine Pelzmütze auf.

Der Schiefgesichtige fragt Ljudmila Ignatjewna: »Und Sie, stammen Sie aus Moskau?«

»Ja. Ich bin geborene Moskauerin. Ich wohne seit meiner Geburt in der Lesnaja-Straße.«

»Wo ist die?«

»Nicht weit vom Belorussischen Bahnhof.«

»Ah ja, kenne ich. Wollen Sie mich nicht mal zu sich einladen?«

»Ach, wir kennen uns noch gar nicht richtig, und da wollen Sie mich gleich besuchen?«

»Wenn ich Sie besuchen komme, können wir uns ja näher kennenlernen … Geben Sie mir Ihre Adresse.«

Die alte Frau betrachtet interessiert die vor ihr stehenden Stiefel des Schiefgesichtigen. Gute Stiefel.

Und wieder rollt ein Zug durch die Schneewüste, ein Personenzug. Im Scheinwerferlicht — wirbelnder Schnee und nichts als Schneewehen, Schneewehen …

Die Zugbegleiterin, ein Glas Tee in der Hand, öffnet die Abteiltür.

»He, wer wollte Tee? War das hier?«

Alle schlafen noch. Mayer beugt sich von der oberen Liege herunter, nimmt den Tee.

»Danke. Vielen Dank.«

»Schon gut.«

Die Zugbegleiterin geht. Am Ofen spült sie Gläser.

Auf der Plattform steht die Tür ein Stück offen.

Die Passagiere wachen nach und nach auf. Der Zug wird langsamer.

»Oh, gehen Sie bitte raus, ich muss mich anziehen!«, verlangt Ljudmila Ignatjewna.

Der Schiefgesichtige ist aufgewacht und tastet mit der Hand nach seinen Stiefeln. Sie sind weg. Die alte Frau auch. Dafür liegen abgetretene Frauenschnürschuhe auf dem Boden.

»Sie hat sie geklaut! Die alte Vettel! Die hat sie geklaut!«, verkündet der junge Mann fröhlich.

»Wie — geklaut?« Der einstige Besitzer der Stiefel versteht nicht. »Was? Na, der werd ich’s zeigen! Leih mir deine Schuhe, ich muss an der Station kurz raus!«, bittet er den jungen Mann.

»Die brauch ich selber. Ich muss auch raus.«

»Nein, so was, nein, so was!« Ljudmila Ignatjewna unterdrückt ein Lachen.

»Entschuldigung, steigen Sie auch aus? Sonst würde ich Ihre Schuhe anziehen, ja? Ich muss an der Station unbedingt mal raus …«, wendet sich der Bestohlene bittend an Mayer.

Der runzelt die Stirn, fragt:

»Was ist denn los?«

»Na ja, wissen Sie, die Alte hat meine Stiefel geklaut, und ich muss an der Station kurz raus, telefonieren, damit man sie festnimmt«, erklärt der Schiefgesichtige eifrig.

»Bitte«, gestattet Mayer angewidert, und sein Sitznachbar zwängt sich in Mayers Schuhe.

Die Telegrafenabteilung der Bahnstation. Der Schiefgesichtige reißt die Tür auf.

»Halt, wohin? Hier ist Zutritt verboten!«, schreit die Diensthabende.

Der Schiefgesichtige zückt ein Papier, hält es ihr vors Gesicht, sie knickt ein. Er setzt sich auf einen Stuhl.

»Verbinde mich …«

Und wieder rollt der Zug — durch besiedeltes mittelrussisches Gebiet, nun schon auf Moskau zu.

Der riesige Kasaner Bahnhof in Moskau, der die Hauptstadt mit der Wolgaregion, Sibirien und Zentralasien verbindet und in dem es stets von Reisenden wimmelt.

Die Fahrgäste quellen aus dem Zug. Mayer schlurft mit gesenktem Kopf vorwärts. Die Menge zerstreut sich. Am Waggon steht nur noch der junge Mann mit dem Käfig, in dem die beiden Gänse liegen — steif und tiefgefroren.

Er hockt sich vor den Käfig und flüstert:

»Was ist denn los? Was soll denn das? Es war doch gar nicht so kalt …«

Tränen fließen über sein gesundes rundes Gesicht.

Morgen beim Ehepaar Shurkin.

Ein nackter runder Tisch, darauf eine Pfanne. Die karge Einrichtung erzeugt eine Atmosphäre von Kriegskommunismus. Ida Grigorjewna Shurkina, nicht schön, aber mit feurigem Blick, legt die Zeitung beiseite und erklärt ihrem Mann:

»Nein, Alexej, nein, du hast sie nicht erlebt. Aber ich, aus nächster Nähe sogar! Was das für Menschen waren! Mutig! Ohne jede Angst! Begabt! Das waren Freunde meines Vaters, und in seinen letzten Lebensjahren — er war ans Bett gefesselt —, da haben sie ihn ständig besucht, ich habe sie alle, alle gekannt, habe sie geliebt und bewundert. Verstanden habe ich natürlich nichts, ich war noch blutjung, ein Kind, aber auch mein Vater hat es nicht verstanden, und er war ein Mann mit außerordentlichem Verstand, aufrichtig und mutig, das weißt du ja. Jedenfalls, sie sind alle völlig entartet! Alle! Ich habe geweint bei ihren Auftritten, später dann, bei den Prozessen. Einfach unfassbar! Aber das hat eine fatale Gesetzmäßigkeit — die Intelligenzia ist der Partei nicht konsequent genug gefolgt. Sie sind entartet. Und haben schon tiefe Wurzeln geschlagen, die müssen mit glühendem Eisen ausgemerzt werden. Sonst ist die Revolution verloren!«

Alexej Iwanowitsch hört ihr aufmerksam zu und kratzt mit seiner Gabel die letzten Kartoffelreste aus der Pfanne.