6,99 €
Das Leben lebt. Dein Leben lebt. Lebst du dein Leben? Wir wollen dich nicht schon mit den ersten Sätzen dieses Lebenslehrbuches verwirren. Im Gegenteil, wir haben die Absicht, dich mit der Klarheit und der Deutlichkeit der Sprache und der Begriffe vertraut zu machen. Der Lebensprozess muss zunächst biologisch verstanden werden. Du bist nicht tot, du lebst. Dies kannst du über jede deiner Organfunktionen feststellen. So wie du dich erfährst, bist du einzigartig. Sofern du das annehmen kannst und willst, hast du aber auch einen Auftrag zu erfüllen, wer immer ihn dir geben mag, Gott, die Natur, dein Selbst. Du sollst ein/e Lebenskünstler/in sein und dich selbst als Objekt deines Gestaltungswillens begreifen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 189
Veröffentlichungsjahr: 2020
Prof. Dr. Dr. Walter Machtemes
Walter Machtemes ist Arzt, Philosoph und Soziologe. Er hat langjährige Erfahrung in der klinischen und ambulanten Psychiatrie und Psychotherapie, in der Erwachsenenbildung sowie als Hochschullehrer und ist Autor zahlreicher Bücher und wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Sein Denken und sein Handeln sind geprägt durch viele Aufenthalte in asiatischen Ländern. Seinen Arbeitsschwerpunkt findet er bei den suchenden Menschen, die sich selbst und ihre körperliche, seelische und soziale Sicherheit (vorübergehend) verloren haben. Er will mit den Leidenden ("Patienten") hinter die Fassaden des Alltags schauen, gemeinsam mit ihnen Konflikte lösen und helfen, Gleichgewicht wieder herzustellen.
Illustrationen: Nadine Bärenwald
Statt eines Vorwortes:
Hinführung: Warum das Leben lernen?
Lektion 1: Warten können
Lektion 2: Den Augen-Blick nutzen
Lektion 3: Den Count-down üben
Lektion 4: Zu Abflügen ins Leben bereit sein
Lektion 5: Dein Narrativ als Selbstkonstrukt
Lektion 6: Und: Was soll das?
Lektion 7: Sorge dich
Lektion 8: Überraschungen
Lektion 9: Stumme Schreie
Lektion 10: Nichts zu lachen, oder ...?
Lektion 11: Connect yourself
Lektion 12: Lebe ehrfürchtig
Lektion 13: Sei überall Zuhause
Lektion 14: Lebe wirklich
Lektion 15: Nichte dein Leben
Lektion 16: Der rechte Weg
Lektion 17: Respektiere deine Angst
Lektion 18: Existiere mit aller Kraft
Lektion 19: Lebe deinen Trotz
Lektion 20: Frei wie ein Vogel
Lektion 21: Du bist ein Original
Lektion 22: Lebe zeitbewusst
Lektion 23: Irren macht liebenswert
Lektion 24: Das Prinzip der Antwort
Lektion 25: Das wunderbar Alltägliche
Lektion 26: Gestalte Dich
Lektion 27: Augenblick und Ewigkeit
Lektion 28: Bescherung
Lektion 29: Weißt du was du willst?
Lektion 30: Persönlichkeiten
Lektion 31: Lass dich vom Leben durchfluten
Lektion 32: Sei unzufrieden
Lektion 33: Entdecke deine Schemata
Lektion 34: May be – can be
Lektion 35: Suche den Ausgleich
Lektion 36: Spiele das Ebenen-Spiel
Lektion 37: Du bist da!
Lektion 38: Zu langsam oder zu schnell?
Lektion 39: Herzlichen Glückwunsch
Lektion 40: Die Kraft der Imagination
Lektion 41: Scheue das Lebenswagnis nicht
Lektion 42: Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit?
Lektion 44: Prüfe deine Negationen
Lektion 45: Bewusst Sein
Lektion 46: Bilderverbot oder Bildergebot
Lektion 47: Fülle oder Leere
Lektion 48: (Er)Lebe dich leicht
Lektion 49: Menschenschau
Lektion 50: Fange einfach an!
Lektion 51: Gestalte dir die Welt, wie sie dir gefällt
Lektion 52: Was du lieben sollst
Lektion 53: Erlaube dir, zynisch zu sein
Lektion 54: Die erweckende Kraft der Verzweiflung
Lektion 55: Bunte Tage
Lektion 56: Lasse dich
Lektion 57: Beachte deine Meinung
Lektion 58: Du bist in der Ausbildung
Lektion 59: Orientiere dich
Lektion 60: Lebe unperfekt
Lektion 61: Steige aus
Lektion 63: Lobe die Torheit
Lektion 64: Gehe aufs Ganze
Lektion 65: Sieben Stufen zur Glückseligkeit
Lektion 66: Es setzt sich
Lektion 68: Kongress der Gefühle
Lektion 69: Was bleibt, das bleibt
Lektion 70: Wage den Irrtum
Lektion 71: Finden und lassen
Lektion 72: Lebe gemäß der Ideen
Lektion 73: Öffne dich dem Dialog
Lektion 74: Rege dich auf
Lektion 75: Wisse um dein Wissen
Lektion 76: Vermeide Spaltungsprozesse
Lektion 77: Übe das Nicht-Tun
Lektion 78: Irgendwie, irgendwo, irgendwann
Lektion 79: Nimm es heiter
Lektion 80: Erfahre deine Befindlichkeit
Lektion 81: Experiment „Still-Face“
Lektion 82: Lasse dir Zeit
Lektion 83: Leben zielgerecht
Lektion 84: Suche deine Bedeutung
Lektion 85: Nimm es leicht
Lektion 86: Spiele mit deinen Gedanken
Lektion 87: Schätze das Geringfügige
Lektion 88: Erwarte das Kommende
Lektion 89: Suche das Dauerhafte
Lektion 90: Entwickle Absichten
Lektion 91: Erkenne deine Verwundbarkeit
Lektion 92: Achte die Ordnungen
Lektion 93: Entfache das Feuer
Lektion 94: Lebe leiblich
Lektion 95: Bevorzuge die Unmittelbarkeit
Lektion 96: Erkläre das Erreichte zum Ziel
Lektion 97: Nutze die Provokationen
Lektion 98: Sortiere das Unwesentliche aus
Lektion 99: Lebe dein Ethos
Lektion 100: Kultiviere deinen Charakter
Umsetzung 1: Werde ein Freudenerfinder
Umsetzung 2: Erfahre dich als wirksam
Umsetzung 3: Verlängere dein Leben
Umsetzung 4: Anfang ohne Ende
Umsetzung 5: Zur Übergabe: Dein Text
Veröffentlichungen von Walter Machtemes
… und das Schwein atmete
Wie von einem inneren Automatikgetriebe gesteuert, schaltete er die Gänge seines Fahrzeuges:
Erster Gang: Es geht weiter …, zweiter Gang: einen Versuch zu beschleunigen könnte man wagen …, Stopp! No go!
Bert hasste dieses alltägliche Rush-Hour-Ritual. Eine Möglichkeit, dem qualvollen Geschehen zu entkommen, hatte er bisher nicht gefunden. Umgehungsversuche waren stets an den menschlichen Umständen gescheitert. Viele Gleichbetroffene setzten dasselbe Vorhaben um und behinderten sich gegenseitig an jeder Straßenkreuzung und an jeder Verkehrsampel.
Behinderungen und Verhinderungen stellen für Neuzeitmenschen existenzielle Bedrohungen dar. Ich verpasse den Termin; ich werde außerhalb des Gleitzeitraums am Arbeitsplatz ankommen; ich verliere wertvolle Zeit ….
Bert stellte mit einem gewissen Erstaunen fest, dass seine Gedanken ihn fortgetragen hatten. Sein inneres Automatikgetriebe funktionierte weiterhin reibungslos. Es steuerte nahezu eigenständig das Fahrzeug, in dem er saß und in dem er sich gleichzeitig geistig nicht mehr aufhielt. Ihm wurde bewusst, dass er in der Tat in jeder Minute seines Lebens kostbare Zeit einsetzte und sie oft verschenkte, oder besser gesagt: Er vergab eher achtlos seine Zeit.
Auch jetzt gab es Wichtigeres, als sich die Frage zu beantworten, wann und wie er ankommen würde. Er würde das Unterwegssein unbeachtet lassen. Er würde die unendlich vielen Momente missachten, um sich selbst und die Welt zu erfahren. Wenn er nur seine Sinne öffnen wollte und auf diese Weise die Energie seines ziellosen Ärgers, mit dem jeweils Gegebenen umzugehen, anderweitig nutzen könnte!
Bert musste wieder einmal eine Stopp-Phase seiner, wie er es jetzt nannte „Auf(ent)haltsfahrt“ tolerieren. Er bemerkte jedoch, dass es ihm jetzt leichter fiel, das Unvermeidliche hinzunehmen. Er schaute sich neugierig um, betrachtete die Gesichter und das Verhalten der neben ihn Fahrenden und Vorbeifahrenden, nahm lächelnd zur Kenntnis, schlussfolgerte, deutete. Es gab sehr viel zu sehen, wenn man nur betrachten wollte!
Mit dem Blick nach vorne nahm Bert erst jetzt einen direkt vor ihm fahrenden Transporter wahr, der von seiner ihn bisher beherrschenden Ungeduld nicht zur Erfahrung zugelassen worden war. Es handelte sich um einen der üblichen Viehtransporter, die mit ihrer lebendigen Fracht (dem sogenannten Nutzvieh) vielerorts unterwegs waren zum Bestimmungs- und Endpunkt vielfachen tierischen Lebens.
Bert fragte sich, ob die tierischen Mitfahrer das Ziel ihrer unfreiwilligen Reise erahnten. Er mühte sich, einen Blick zwischen die Querlattungen des Transporteraufbaus ins Innere des Nutzvieh-Endreise-Mobils zu schicken. Doch er konnte im Halbdunkel nur schemenhafte Bewegungen erkennen.
Als ob seine Neugierde eine Funkbotschaft dargestellt hätte, erschien in einer der unteren Öffnungen des Verschlages unmittelbar ein rosa „Etwas“, das einer jener Steckdosen glich, die Bert aus der Altbauwohnung seiner Großeltern kannte. Nur, diese Steckdose zeigte sich in Aktion.
Die beiden parallel angeordneten, kreisförmigen Öffnungen wurden nach rechts und nach links, nach unten und nach oben gerichtet.
Diese Schweinenase schnupperte noch einmal die Düfte der Welt und des Lebens. Das nicht wahrnehmbare dazugehörige Tier schien die Nähe zur unerreichbaren Freiheit zu erkennen und sog - Berts Deutung - genießerisch die unermesslich zur Verfügung stehende Atemluft in sich auf. Ein Hauch von Unendlichkeit in der Endlichkeit des organischen Daseins färbte die gesamte Situation fast friedvoll ein. Bert versuchte die fundamentale existenzielle Erfahrung mit dem vor und mit ihm atmenden Tier zu teilen.
Er sinnierte, kalkulierte, schlussfolgerte. Die Zahl unserer Atemzüge im Verlaufe unseres Lebens ist unglaublich hoch und doch begrenzt mit dem letzten Atemzug!
Bert begann zu rechnen: Bei durchschnittlich 16 Atemzügen pro Minute atmen wir 960 Mal pro Stunde, 23.040 Mal pro Tag, 8.409.600 Mal pro Jahr.
Das heißt statistisch gesehen: Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung eines Menschen von 80 Jahren atmen wir durchschnittlich 672.768.000 Mal.
Welche Veränderungen unserer Lebenserfahrungen würden uns erwarten, wenn wir täglich nur einige dieser 672 Millionen Atemzüge bewusst vollzögen!
Ein- und ausatmend könnten wir Kontakt herstellen und die kosmische Fülle zu unserer Eigenen werden lassen.
Bert atmete lustvoll tief ein und aus. Er fühlte sich plötzlich leicht und glücklich. Wie viel
mehr Lebens- und Atmen-Zeit standen ihm noch zur Verfügung im Vergleich zu den Geschöpfen vor ihm! Bert musste lächeln. Mit dem Rush-Hour-Verkehr wurden dem unbekannten Besitzer der Schweinenase Überlebensstunden geschenkt, die offensichtlich begierig an- und aufgenommen wurden. Auch Bert selbst spürte jetzt dieses Verlangen, er ließ die Seitenscheiben seines Fahrzeuges herunterfahren und atmete und atmete und atmete …
Das Leben lebt. Dein Leben lebt. Lebst du dein Leben?
Wir wollen dich nicht schon mit den ersten Sätzen dieses Lebenslehrbuches verwirren.
Im Gegenteil, wir haben die Absicht, dich mit der Klarheit und der Deutlichkeit der Sprache und der Begriffe vertraut zu machen.
Der Lebensprozess muss zunächst biologisch verstanden werden. Du bist nicht tot, du lebst. Dies kannst du über jede deiner Organfunktionen feststellen. Über die persönliche „Ausstattung“, die dich unterscheidbar macht, lebst du dein Leben. So wie du dich erfährst, bist du einzigartig. Sofern du das annehmen kannst und willst, hast du aber auch einen Auftrag zu erfüllen, wer immer ihn dir geben mag, Gott, die Natur, dein Selbst …: Du sollst ein/e Lebenskünstler/in sein und dich selbst als Objekt deines Gestaltungswillens begreifen.
Der philosophische „Praktiker“ Gerd B. Achenbach bezeichnet dies als „Lebenskönnerschaft“. Den Kenner würde man daran erkennen, dass er eine Sache kennt, den Könner daran, dass er sich mit einer Sache auskennt.
Kennst du dich aus in und mit deinem Leben? Wenn du zweifelst, und damit geht es dir wie vielen deiner Zeitgenossen, dann brauchst du einen Kurs in „ars viviendi“, in praktischer Lebenskunst. Lehrmeister sind die Dichter und Denker unserer Geistesgeschichte, die dir auf vielfältige Weise Fachwissen und fachpraktische Intelligenz zur Lebensführung vermitteln können.
Leitfiguren wie Sokrates oder Lao Tse, denen du in den folgenden Lehrtexten wiederholt begegnen wirst, beschrieben, forderten und lebten selbst die „philosophia“ als (wörtlich übersetzt) Freunde der Weisheit. Freilich, manche von ihnen waren tragische Gestalten und scheiterten an und mit sich, an und mit ihren Idealen oder in der mitmenschlichen Gemeinschaft. Auch das Scheitern gehört selbstverständlich zum „Repertoire“ der Lebenskünstler, insbesondere der souveräne Umgang damit. Wer ein Leben leben will, muss es zunächst entwerfen, wagen und der Praxis aussetzen. Das fremdbestimmte Leben läuft ab, auch ohne weitgehende Selbstbeteiligung. Das eigene Leben erfordert Engagement, Lebensarbeit.
Du möchtest Fachkompetenz in der Lebensarbeit gewinnen?
Dazu sollen die folgenden 100 Lektionen dienen. Studiere sie aufmerksam.
Wenn dir die Umsetzung nur der Hälfte des Lernstoffes gelingen wird, wollen wir dir jetzt schon versichern, dass du in die noch überschaubare Elite der Lebenskünstler aufsteigen wirst. Dein Leben zu lernen lohnt sich!
Lohnt es sich zu warten? Wie oft stellst du im Alltag, im Leben diese Frage? Worauf wirst du geduldig warten? Auf den Arzttermin, auf den Bus, auf den Sonnenaufgang, auf dein Lebensglück, auf dein Ableben?
Lebenskünstler haben es gelernt, sich abwartend zu verhalten. Sie stellen nicht nur die lästige Tatsache des Wartens fest. Sie wissen, die Zeit als Geschenk anzunehmen. Wie viele Sinneseindrücke gestattet dir der bewusst und erlaubt zur Verfügung gestellte Zeitraum? Versuche das Phänomen „Zeitraum“ mehrdimensional zu deuten. Es ist deine Zeit, es sind nahezu unendlich dir angebotene Wahrnehmungsobjekte und Erkundungsräume. Nimm einmal wieder die Lebenshaltung des Kindes an. Du wirst kaum mehr etwas für uninteressant halten. Was verbirgt oder verrät der Gesichtsausdruck der dir gegenübersitzenden Person? Was mag in ihren Gedanken vor- oder zurückgehen? Freut sich dieser Mensch auf eine erwartete Begegnung? Erfüllen ihn Erinnerungen an schöne Erlebnisse? Wie schätzt du seine Gefühlslage ein? Wartet er freudig, gelangweilt, ungeduldig, gereizt …?
Schalte dich selbst zeitlich zurück in frühere Lebensphasen. Kannst du dich noch erinnern, wie du als unaufgeklärtes Kind auf das Christkind gewartet hast? Welche innere Regung vernimmst du, wenn du dir noch einmal die Minuten vor deinem ersten Rendezvous vorstellst, vor deinen ersten Prüfungen und der Mitteilung der Ergebnisse. Stelle deine eigene Warteliste auf, die du mit Vergangenem auffüllen kannst.
Schalte dann noch einmal um auf die Momente deines gegenwärtigen Wartens. Öffne dich den Sinneseindrücken, die dich jetzt erreichen. Nimm das Spiel des Lichtes wahr und deine Möglichkeiten, sich ihm mit einem Lidschluss zu entziehen. Konzentriere dich auf die Fülle der Töne und Geräusche in deinem „Warteraum“. Verbinde sie zu deinen realen Melodien. Erfährst du ein babylonisches Sprachgewirr, die Laute des Lebens, den Gesang des Windes?
Die Aufgabe der Lebenskünstler besteht in den vielfältigen Möglichkeiten, das passive Warten in ein aktives Warten umzugestalten. Sie könnten dann feststellen, dass sie häufig bedauern müssen, wenn ihnen keine Wartezeiten eingeräumt werden. In der abwendbaren Folge eilen sie dann durch ihre Tage und durch ihr Leben.
Vielleicht sind es gerade die Momente des Wartens, des Innehaltens, die unverhofft Sinnerfahrungen ermöglichen.
„Einen Augenblick bitte!“ Wie oft begegnest du dieser unbestimmten Zeitangabe im Alltag? Stimmt es dich ärgerlich, wenn aus dem angekündigten Augenblick Minuten oder sogar Stunden werden? Wie ist die Zeitdauer des Augenblicks definiert? Nimmt überhaupt irgendjemand diese vorgegebene Begriffsbestimmung wahr oder ernst? Lebenskünstler nutzen den Augen-Blick im wahrsten Sinne des Wortes. Sie nehmen nicht nur eine Zeitdauer wahr, sondern die in jedem Moment sich bietende Chance, den eigenen Blick erblickend zu schätzen und zu nutzen.
Du kannst dies auf unterschiedliche Weise oder auch experimentierend umsetzen. Hier einige Beispiele:
Schließe deine Augen. Wende deinen Kopf um einen von dir vorgegebenen Grad in eine dem Blick noch verschlossene Richtung. Öffne dann deine Augen und erfasse, vielleicht mit einer prickelnden Neugierde, alles, was dein Blick jetzt einfängt und auf deine innere Leinwand projiziert. Es gibt für dich nichts „Sehensunwertes“. Auch den möglicherweise noch wenig aussagekräftigen „Blickfang“ füllst du mit deiner momentanen Bedeutung.
Dein Blick vermag zu fesseln. Ihr kann es um deine Blickstärke oder um die des/der anderen gehen. Mit deinem Blick bestimmst du dein natürliches oder künstliches Umfeld und seine sachlichen und kreatürlichen Gegebenheiten zu deinen Objekten. Nimm deine Betrachtungsfreiheiten an und genieße sie. Was löst der Blick-Kontakt zu den optisch erreichbaren Menschen in dir aus, auch möglicherweise im Betrachteten?
Stelle Phantasiebeziehungen her, gestalte sie wie Frequenzen eines Spielfilms.
Der Augen-Ausdruck der Menschen sendet Signale. Spiele mit deinen Blick-Botschaften. Betrachte dein Spiegelbild: Schaue fröhlich, entspannt, traurig, wütend, ängstlich dich selbst und die imaginären Anderen an. Interessiere dich jetzt für die Blicke der Menschen, denen du begegnest. Lebenskünstler vermögen Blick-Nachrichten zu senden und zu verstehen. Übe den dem entsprechenden Informationsaustausch!
Was nimmst du wahr, wenn sich Blicke treffen?
Erlebe den unaufdringlichen, aber wertschätzenden Blick.
Was löst er in dir und bei den dir Begegnenden aus?
Weißt du die Belohnung durch einen anerkennenden und dich anlächelnden Blick noch zu schätzen?
Gestalte deine Augen-Blicke im weitesten dir erlaubten Sinne.
Sicherlich kennst du die Startsignale beim Sport und beim kindlichen oder Erwachsenenspiel. Wir zählen ab, am liebsten rückwärts, wegen der erwarteten Spannungssteigerung. Die selbstverständlichen und alltäglichen Handlungen gewinnen an Bedeutung und Beachtung, wenn wir sie mit einem Count-down verknüpfen.
Lebenskünstler üben dieses Ritual in möglichst vielen Lebenssituationen ein:
5-4-3-2-1-0, du wirst jetzt die Augen schließen und für wenige Sekunden oder Minuten abtauchen in deinen eigenen Körper. Du willst und wirst erfahren, wie du leibst und lebst, wie du atmest, wie du pulsierst, wie du über den gerichteten Appell deinen Blutfluss steuern oder die An- und Entspannung deiner Muskulatur beeinflussen kannst.
5-4-3-2-1-0: Beginne möglichst viele deiner Alltagshandlungen mit einem bewussten Start. Du bereitest dich mit einem Count-down auf die Einnahme einer Mahlzeit oder auf den Genuss eines Getränkes vor.
Du spürst z. B., wie deine Speicheldrüsen und deine Sinne sich auf das Angebot vorbereiten.
Du übst den bewussten Beginn und erlebst, wie häufig du an nur einem Tag anfangen darfst und kannst.
Du magst mit einem Startsignal deine Lieblingsmusik einschalten oder wie ein Kind beim Versteckspiel die Freude des Suchens und Findens genießen.
Warum willst du den Count-down nur auf wenige Ereignisse im Jahr beschränken? Darf die Zeit bis zum Öffnen der Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke oder zur Silvesterverabschiedung des alten Jahres nicht vervielfacht werden?
Könntest du denjenigen, die du gernhast, oder die du liebst, mit dem Verdecken der Augen und der zählenden Annäherung an das Überraschungsziel auf einfache Weise Glücksmomente bescheren?
Du darfst dir auch über ein Count-down neue Lebensziele verordnen: 5-4-3-2-1-0, ab jetzt nehme ich mir mehr Zeit für die Kontemplation und für die erfüllende Betrachtung.
Ab jetzt will ich mich nicht mehr ablenken lassen durch die Fülle der externen Reize und Handlungsaufforderungen. Ab jetzt will ich so oft wie möglich „Ich“ sein. Lebenskünstler nutzen den Count-down, um sich selbst und andere mit dem Leben zu überraschen.
In dem bekannten Märchen „Der kleine Häwelmann“, das Theodor Storm 1849 für seinen Sohn schrieb, unternimmt der Held der Geschichte eine abenteuerliche Reise. In seinem Roll-Bettchen, das Nachthemd zum Segel umfunktioniert, fliegt er auf einem Lichtstrahl zum Mond. Dieser leuchtet ihm bereitwillig den Weg aus, auf der Fahrt durch die dunkle Nacht … bis er das Sternenzelt erreicht. Häwelmann ist ein trotzig-neugieriges Kind. Der kleine Bursche kennt keine Gefahren. Er will erfahren und unbegrenzt seine Träume erleben.
Könntest du dir vorstellen, dich auf ähnliche Phantasie-Abenteuer einzulassen? Lebenskünstler stellen sich häufig den angeblichen Gesetzen der Realität entgegen. Sie setzen ihre gesamte Vorstellungskraft ein, um sich ihre eigene Welt zu konstruieren und sich bisher ungeahnten Erfahrungen zu stellen. Phantasie setzt Kreativität frei und gestaltet sie um, zu wunderbaren, manchmal auch wundersamen Bildern und Erlebnissen. Das griechische Wort Phantasie lässt sich auch als „Traumgesicht“ übersetzen und das darfst du wörtlich verstehen: Bereite dich im Tagtraum auf andere Sicht- und Wahrnehmungsweisen vor. Beginne jetzt wie der kleine Häwelmann mit den Abflugvorbereitungen für den Start in eine Traumwelt. Schüre deine Neugierde und deinen Tatendrang. Überlasse dich den nicht zufällig wechselnden Bildern und Eindrücken deiner Imagination.
Fühle dich leicht und überwinde die Anziehungskraft der Erde.
Erlaube dir, wie ein Adler oder wie ein lautloses Segelflugzeug zu fliegen.
Du erfährst das beglückende Gefühl der Schwerelosigkeit.
Du steigst auf in schwindelnde Höhen.
Du blickst herab auf die unscheinbare Kleinheit der Dinge.
Du entfernst dich von allen scheinbaren Problemen. Lebenskunst kannst du dann als Erhabenheit verstehen.
Du bewegst dich weg von engen Rollenvorgaben und Rahmensetzungen. Du befreist dich von den Fesseln der Bodenständigkeit.
Du genießt die Freiheit über den Wolken des Alltags.
Welche Abflugwege willst und wirst du wählen? Möchtest du auf einer Schäfchenwolke bequem wie in einem Ohrensessel Platz nehmen? Willst du dich vom immerdauernden Wärmeangebot der Sonne auf ihren Strahlen nach oben ziehen lassen? Buche deine alternative Flugreise!
Willst du dir selbst deine Geschichte erzählen? Das lateinische Wort „narrare“ darfst du übersetzen mit „von dir selbst reden, erzählen, wer du bist und wie du der wurdest, der du bist“. Du erfindest dich in deiner Erzählung selbst, wann immer du willst und wie immer du dich gestalten möchtest. Gehe davon aus, dass du Wahres über dich berichten möchtest. Du willst weder dich selbst noch andere belügen. Deine Schilderungen sollen für dich in vielfacher Weise Sinn stiften. Du bist stets die Person, zu der du dich selbst bekennst. Beginne also mit deinem Start ins Leben. Willst du deine Existenz mit dem Tag deiner Geburt annehmen, oder willst du schon zu deinem vorgeburtlichen Werden in Beziehung treten? Gib dem Datum, an dem du das Licht der Welt erblickt hast, deine individuelle Bedeutung. Es ist der Geburtstag eines wichtigen Menschen! Lebenskünstler schätzen sich selbst vom ersten Atemzug an. Vollziehe dann die Besonderheiten deiner frühen Jahre in der Kindheitsgeschichte nach. Warst du ein neugieriges Kind, das schon früh die Welt erforschen wollte? Welche Weichen für dein Leben hast du schon früh gestellt? Gib dir Antworten auf die Frage „was oder wie wollte ich schon immer sein?“
Richte in diesem Sinne deine bisherige Biografie auf deine Selbstdeutungen aus. Hast du deinem Narrativ folgend konsequent gelebt? Beschreibe die zentralen „Events“ deines Lebens. Welche tragenden Entscheidungen machen dich aus? Deine Lebenskreativität zeigst du, indem du dein buntes Selbstbild malst. Dein Leben war bisher schon gekennzeichnet durch eine Fülle von Angeboten, etwas aus dir zu machen. Welche Chancen hast du genutzt, welche willst du jetzt noch wahrnehmen? Lebenskünstler verstehen und erleben sich selbst als Hauptfiguren ihres Lebensmärchens. Jedes Märchen enthält eine Sinnbotschaft. Konstruiere deine Botschaft, die du in deinem Narrativ darstellen und umsetzen möchtest. Je mehr und je häufiger du dir gestattest, dein bisheriges Leben als offenes Konstrukt zu handhaben, desto besser wird es dir gelingen, eine Lebenslogik für dich zu finden und deine Lebensphasen als sinnstiftend, aufeinander aufbauend und selbstbezogen zu verstehen.
Darum: Lebenskünstler erzählen (sich) häufig Geschichten von und über sich selbst.
Zunächst zwei Fragen, die dich verwirren mögen: Soll dein Leben oder will es sich selbst? Verstehst du dein Leben ab- oder auslaufend, subtraktiv oder additiv? Du brauchst Unterstützung, um Antworten zu finden? Nimm vorerst einen vitalen Bezug zu dir selbst auf. Erfahre dich atmend, pulsierend, als stetig um Balance bemühtes, sich selbst steuerndes System. In dir arbeitet ein unablässig tätiger Lebenswille, der sich in seinem So-Sein nicht erklären muss. Es atmet dich, es versorgt dich mit Allem, was für dein Überleben erforderlich ist. Alles in dir ist wunderbar geregelt, von der Zusammenarbeit der Organe bis zum Funktionieren der kleinen Baueinheiten deines Körpers.
Es besteht kein Zweifel über deine Startsignale: Du sollst(!), wer oder was immer dich zu existieren veranlasst. In dir entfaltete sich in jedem Moment deines Daseins ein sich selbst setzender Lebensplan, der verwirklicht werden will. Lebenskünstler erfahren sich als Wille zu sein und nehmen dieses wunderbare Geschenk dankbar an. Aus dem „Es will mich“ gestaltest du dein „Ich will mich“. In diesem Sinne wirst du affirmativ leben.
Du nimmst dich an, ohne weitere Zweifel und Selbstdeutungsversuche. Wenn du jetzt deinen Blick wieder nach außen richtest, kannst du den Selbstwahrnehmungsauftrag erweitern um die vielfachen Möglichkeiten der Welterfahrung.
Der um dich herum sich in jeder Art von Leben äußernde Weltwille erlaubt dir, dich über dich hinausgehend zu bedienen.
Du lebst wie alle anderen Menschen in einem Paradies.
Du hast die freie Auswahl, an den tausendfachen Lebensprozessen beobachtend, vielleicht auch sinnverbunden teilzuhaben. Mach dir mit einem einzigen Hilfswort klar, was du ergreifen oder auch begreifen kannst.
Benutze so häufig wie möglich das eröffnende „Und“.
Dein Leben kannst du dann immer und überall additiv gestalten.
Du gibst dich unersättlich, fragst immer wieder „und?“
Du willst deine Existenz auffüllend und nicht ablebend verstehen.
Wann immer du willst, erfährst du die Unerschöpflichkeit des „Und“.