Eiskalte Berührung - Kresley Cole - E-Book

Eiskalte Berührung E-Book

Kresley Cole

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Beschreibung

Als der Vampirkrieger Murdoch Wroth der schönen Walküre Daniela begegnet, entbrennt er in heißer Liebe zu ihr. Seit dreihundert Jahren ist sie die erste Frau, die solch tiefe Gefühle in ihm weckt, und er würde alles tun, um sie für sich zu gewinnen. Doch Daniela ist eine Eisfee, und ihre Berührung kann für Murdoch tödlich sein ...

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Inhalt

Titel

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Epilog

AUS DEM LEBENDIGEN BUCH DES MYTHOS

Danksagung

Kresley Cole - Unsterbliche Sehnsucht

Der Ursprung der Walküre

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Impressum

Kresley Cole

Roman

Ins Deutsche übertragen von Bettina Oder

»Man sagt, ich sei so wechselhaft wie der Winter, so scheu wie der Frost und so gleichmütig wie ein Schneesturm. Es heißt, mein Körper sei so rein wie frisch gefallener Schnee. Niemand vermag sich vorzustellen, dass in mir nichts als Feuer sein könnte.«

Daniela die eisige Jungfrau, Walküre und rechtmäßige Königin der Eisfeyden des frostigen Nordens

»Frauen sind wie alkoholische Getränke. Man sollte von ihnen eine Kostprobe nehmen, sie genießen und dann loswerden. Die Ehe ist etwas für Männer, die mit Alkohol nicht umgehen können.«

Murdoch Wroth, Kriegsherr des achtzehnten Jahrhunderts, moderner Vampirkrieger

1

French Quarter, New Orleans

Gegenwart

»Sie ist … nahe.«

Als er die schwache, gebrochene Stimme seines Bruders hörte, kniff Murdoch Wroth verärgert die Augen zusammen. Das Ziel seines Zorns war diejenige, die den stolzen Nikolai so erniedrigt hatte.

Myst die Vielbegehrte, eine weibliche Unsterbliche mit einem bösartigen Herzen. Und die Braut, die das Schicksal Nikolai zugewiesen hatte.

»Woher weißt du das?«, fragte Murdoch.

»Ich kann sie fühlen«, sagte Nikolai.

Murdoch rückte Nikolais Arm zurecht. Sein Bruder stützte sich auf seine Schultern, damit er ihm beim Gehen helfen konnte. Die Menschen, die um sie herum durch die Altstadt schlenderten, hielten Nikolai einfach nur für einen Betrunkenen.

Der stolze Nikolai. Er war am Ende seiner Kräfte, da er zu wenig Blut zu sich nahm. Sein Körper wurde von dem niemals enden wollenden Verlangen nach einer wahnsinnigen Walküre gepeinigt, die sich an seinem Schmerz ergötzte. Nikolai hatte Gewicht verloren, sein Gesicht wirkte ausgemergelt, und seine Muskeln wurden immer schlaffer.

»Murdoch, wenn ich sie finde … dann will ich, dass du sofort von hier abhaust.«

Dieser schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier, bis du sie in deinem Gewahrsam hast …«

»Nein. Ich will nicht, dass du … mich so siehst.« Nikolais matter Blick wandte sich von Murdoch ab. »Ich werde die Kontrolle über mich verlieren.«

Dies würde seinen starken älteren Bruder beschämen wie wohl sonst nur wenige Situationen.

Murdoch konnte sich nicht vorstellen, wie Nikolai reagieren würde, wenn er Myst endlich fand. Vor fünf Jahren hatte sie Nikolai erweckt, wie es einzig und allein die Braut eines Vampirs konnte, und damit seinem toten Körper neues Leben eingeflößt. Sie hatte ihn wieder atmen lassen, sein Herz zum Schlagen gebracht und seine neu erwachte Lust angefacht, jedoch ohne die Absicht, sie zu stillen.

Noch in derselben Nacht hatte ihn eine andere Walküre mit Pfeilen durchbohrt und eine dritte ihn wegen seiner Begierden verspottet. Myst war mit diesen beiden geflohen und hatte Nikolai seinem Schicksal überlassen.

Ein erweckter Vampir konnte beim ersten Mal nur dann zum Höhepunkt kommen und damit Erlösung finden, wenn er seine Braut auf irgendeine Art und Weise berührte. Stand sie dafür nicht zur Verfügung, verharrte er in einem Zustand anhaltender sexueller Bereitschaft und war damit auf unbestimmte Zeit entsetzlichen Schmerzen ausgesetzt.

Und das wusste sie nur zu gut.

»Versprich mir, dass du gehst«, bat Nikolai mit rauer Stimme.

Schließlich sagte Murdoch: »Das werde ich.« Wenn Myst tatsächlich heute Nacht dort war, war es nur allzu wahrscheinlich, dass sich noch weitere Walküren in ebendiesen Straßen herumtrieben. Noch mehr von diesen hinterhältigen, manipulativen, brutalen Biestern. »Aber nur, um mir eine andere zu suchen«, fügte er hinzu.

Er könnte eine von ihnen gefangen nehmen und sie über die Mythenwelt befragen – die Welt dieser gar nicht so mythischen Wesen, der jetzt auch er und sein Bruder angehörten.

Murdochs Wissen über den Mythos war so beschränkt wie das jedes Vampirs ihres Kriegerordens der Devianten. Ihre Armee bestand größtenteils aus gewandelten Menschen, und die Geschöpfe der Mythenwelt verbargen ihre Geheimnisse sorgfältig vor ihnen.

»Unterschätze die Walküren nicht, so wie ich es tat«, krächzte Nikolai. »Oder du wirst genauso leiden wie ich.«

Er litt, da das Schicksal Nikolai diese Erweckung aufgezwungen hatte. Als ob Nikolai nicht schon genug zu ertragen hätte.

Der Erweckungsprozess war das, was Murdoch am meisten an seinem Vampirdasein missfiel – viel mehr noch als die Tatsache, dass er die Sonne nie wiedersehen würde. Auch wenn er einstmals ein ziemlicher Schwerenöter gewesen war, der jede Nacht eine andere Frau beglückt hatte, so hoffte Murdoch, dass ihm dies niemals zustoßen möge. Auf mystische Weise an eine einzige Frau gekettet zu sein – wenn das nicht die Hölle war … Noch dazu eine Frau, die er nicht selber ausgesucht hatte und die ihn überdies auch noch verschmähen konnte, so wie Myst Nikolai verschmähte.

Der daraus resultierende Schmerz hatte seinem Bruder während seiner unermüdlichen Suche nach ihr beinahe den Verstand geraubt. Nikolai wollte Vergeltung, aber Murdoch vermutete, dass er in erster Linie einfach sie wollte. Selbst nach allem, was sie ihm angetan hatte.

»Wohin wirst du sie heute Nacht bringen?«, fragte Murdoch. »In die Mühle?« Statt in der Burg der Devianten zu wohnen, hatten sie eine alte, renovierte Zuckerrohrmühle außerhalb der Stadt erworben, in der sie sich aufhielten, während sie die Straßen von New Orleans absuchten. Nikolai schüttelte den Kopf.

»Dann in die Burg zurück?«

Nikolai antwortete nicht.

»Du willst sie doch wohl nicht nach Blachmount bringen?«, rief Murdoch. Das Anwesen war seit vielen Jahrhunderten im Besitz der Familie Wroth. Hier hatte der größte Teil ihrer Familie in einer einzigen Nacht voller Krankheit und Mord ihr Leben gelassen. »Aber wieso?«

»Weil das der Ort ist, an den meine Braut gehört.«

Ehe Murdoch ihn fragen konnte, wie er das meinte, blieb Nikolai stehen und schloss kurz die Augen. Dann fuhr sein Kopf hoch, in Richtung der Dächer. »Sie ist es.«

Über ihnen stand eine Rothaarige, starr und steif, der Mund im Schock geöffnet.

Murdoch hatte sie vor all diesen Jahren nur einmal kurz gesehen und musterte die Walküre jetzt umso genauer. Ihre zarten Gesichtszüge glichen denen der Feyden – spitze Ohren und hohe Wangenknochen –, doch er erkannte auch die verräterischen Klauen und zierlichen Fangzähne.

Bei ihrem Anblick richtete sich Nikolai auf, ohne die Unterstützung durch seinen Bruder länger zu benötigen. »Meine Myst.«

Ihr Gesicht erbleichte, zweifellos aufgrund von Nikolais Aussehen, das inzwischen dem Monster glich, zu dem sie ihn hatte machen wollen. Seine Augen hatten sich vollständig schwarz verfärbt, seine Fänge waren hervorgetreten, und vor Durst lief der Speichel an ihnen hinunter.

Ihr entsetztes Gesicht hätte Murdoch beinahe Mitleid mit ihr verspüren lassen, aber sie verdiente keine Gnade – und Nikolai würde heute Nacht sicherlich auch keine Gnade walten lassen.

Ihre Verfolgungsjagd, die ein halbes Jahrzehnt angedauert hatte, war …vorbei. Endlich.

In dem Moment, als sich Nikolai anspannte, um sich zu ihr zu translozieren, klopfte Murdoch ihm auf die Schulter und translozierte sich ebenfalls, wie er es versprochen hatte. Er verschwand so rasch, dass es in dem Gewühl betrunkener Touristen gar nicht auffiel. Aber selbst wenn sie ihn hätten verschwinden sehen, wären die Menschen einfach davon ausgegangen, dass sie sich das Ganze nur eingebildet hätten.

Murdoch materialisierte sich in einer Seitengasse ein paar Blocks weiter und ging von dort aus zu Fuß zur Hauptstraße des French Quarter, der Bourbon Street. Während er sich durch die Menschenmenge bewegte, wehte eine warme Brise durch die Straße, die die Ausdünstungen des Sumpfes und die Gerüche von den Imbissständen zerstreute.

Warm. Im Februar. Gutes Jagdwetter.

Ja, Nikolai würde heute Nacht keine Gnade walten lassen, genauso wenig wie Murdoch. Jetzt musste er nur noch seine Beute finden.

Die Jagd hat begonnen.

Ich werde verfolgt.

Daniela die eisige Jungfrau blickte ein weiteres Mal verstohlen über die Schulter zurück. Wieder entdeckte sie nichts Ungewöhnliches – umherschlendernde Touristen, Hexen, die menschlichen Männern hinterherpfiffen –, doch Danii wurde das Gefühl einfach nicht los, dass ihr jemand nachstellte.

Was zu der Frage führte: Welches Lebewesen wäre dumm genug, zu riskieren, den Zorn einer Walküre auf sich zu ziehen?

Vielleicht hatten Nïx’ mysteriöse Bemerkungen an diesem Abend sie aber auch einfach nur nervös gemacht. Es wäre nicht das erste Mal, dass die komplett durchgeknallte Nïx, ihre Halbschwester und die Hellseherin unter den Walküren, eine eher exotische Vorhersage verkündete. Und diese spielte sich in Daniis Kopf wieder und wieder ab.

»Traurige, traurige Daniela, die zerbrochene Puppe, die wieder heil werden möchte. Vielleicht heute Nacht.«

Aufgrund ihrer blassen, eisigen Haut – sie gehörte zum Teil den Eisfeyden an – wurde sie häufig mit einer Porzellanpuppe verglichen. Na ja, eigentlich wegen ihrer eisigen Haut und dem, was passieren würde, sollte sie sich überhitzen …

Aber eine zerbrochene Puppe? Was sollte das bloß heißen? Und heil – war das jetzt gut oder schlecht? Und was genau würde heil gemacht werden?

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du redest«, hatte sie zu Nïx gesagt. »Ich bin nicht zerbrochen« –mein Leben ist so einsam, dass ich mir am liebsten die Haare ausreißen würde! – »und ich weiß nicht, wie ich ›heil‹ werden könnte.«

Vielleicht wenn sie endlich in der Lage wäre, jemand anders zu berühren? Die Haut eines Mannes an ihrer zu spüren, ohne sich dabei zu verbrennen, anstatt nur ständig davon zu träumen.

Dafür würde ich alles geben.

Doch die einzigen Männer auf der Welt, die sie berühren durften, waren die Eisfeyden. Bedauerlicherweise wollten ausgerechnet sie auch ihren Tod.

Folglich kam sie in ihrem Leben Sex nicht näher als in den zahlreichen Bänden erotischer Literatur, die sie in ihrem Zimmer verbarg beziehungsweise in ihrer überbordenden Fantasie. Was wiederum bedeutete, dass sie vermutlich die älteste Jungfrau auf der ganzen Welt war. Ihr fehlte nur noch die offizielle Anerkennung durch das Guinnessbuch der Rekorde.

Und da wundern sich die Leute, dass ich die Fantasie der Realität vorziehe.

Ihre Ohren zuckten argwöhnisch. Nein, sie war nicht einfach nur nervös, sondern irgendetwas ging da vor sich. Ihre Sinne waren in höchster Alarmbereitschaft.

Sie beschleunigte ihre Schritte, während sie sich vorsichtig durch die Menschenmenge auf der Straße schlängelte – ein Spießrutenlauf, um den siebenunddreißig Grad zu entgehen. Schon der kleinste Kontakt mit der Haut eines anderen fügte ihr Brandwunden zu. Was ein ziemliches Problem darstellte, da sie ihren Körper kühlte, indem sie jede Menge ihrer eigenen Haut entblößte.

Als ihr eisiger Atem in der warmen Nachtluft als weiße Wolke sichtbar wurde, unterdrückte sie den Drang zu schreien und blickte noch einmal über die Schulter zurück.

Diesmal entdeckte sie einen ungewöhnlich groß gewachsenen Mann, weit hinter ihr. Er war eindrucksvoll und schien etwa Mitte dreißig zu sein. Doch irgendetwas an ihm war ungewöhnlich.

War er überhaupt ein Mensch? In New Orleans tummelten sich massenhaft Geschöpfe der Mythenwelt. Er könnte ein Unsterblicher sein, möglicherweise sogar derjenige, der sie verfolgte.

Er sah gerade nicht in ihre Richtung, also nutzte sie die Gelegenheit, um in die Gasse neben einem Hotel zu schlüpfen. Mit einem Satz sprang sie auf das Flachdach des vierstöckigen Gebäudes, überquerte es bis zu einer niedrigen Begrenzungsmauer, von der aus sie einen guten Blick auf die Straße hatte, und kauerte sich zwischen zwei Flaggen auf den Boden. Die eine zeigte eine mit Perlen verzierte Lilie, auf der anderen stand Pardi Gras!

Sie musterte den Mann dort unten mit zur Seite geneigtem Kopf. Er hatte ziemlich langes dunkelbraunes Haar, nachlässig geschnitten, und ihm fiel eine Locke in die Stirn. Sein Gesicht schien direkt einer ihrer Fantasien zu entstammen, er hatte eine starke, maskuline Kinnpartie. Seine Kleidung war geschmackvoll: ein schwarzes Hemd und Jeans mit einer Jacke, bei deren Anblick allein sie schon eine Hitzewelle überkam. Sie selbst trug das dünnste rückenfreie Kleid, das sie hatte finden können.

Sein Gang wirkte selbstbewusst. Der Mann war einfach umwerfend, und das war ihm bewusst. Das war auch kein Wunder, so wie die Frauen ihn anstarrten. Dann runzelte sie die Stirn. Er schien die jungen Frauen, die in tief ausgeschnittenen Tops um ihn herumscharwenzelten und um seine Aufmerksamkeit buhlten, gar nicht zu bemerken.

Sein Körper war kräftig und auf eine Art und Weise muskulös, die auf einen Unsterblichen hindeutete, aber was genau er war, konnte sie nicht feststellen. Angesichts seiner Größe wahrscheinlich ein Dämon oder sogar ein Lykae – diese Bestien streiften mittlerweile rotzfrech durch das Revier der Walküren.

Oder könnte er ein … Vampir sein?

Sie richtete ihren Blick auf seine Brust und versuchte zu erkennen, ob sie sich hob und senkte, ob er also atmete. Vampire mieden Louisiana eigentlich. Doch in dieser Nacht hatte ihr Walküren-Koven gehört, dass sich möglicherweise Mitglieder der beiden sich bekriegenden Vampirarmeen – die Horde und die Devianten – in der Altstadt herumtrieben.

Sie wussten jedoch nicht, aus welchem Grund sie hier waren.

Sein Brustkorb bewegt sich nicht. Bingo – Vampir.

Da seine Augen klar waren und von ganz gewöhnlicher grauer Farbe – nicht wahnsinnig und rot vor Blutgier –, musste er ein Deviant sein, ein Angehöriger jener Armee, die niemals das Blut direkt aus den Adern ihres Opfers tranken. Vampire, die nicht töteten. Zumindest hatten sie sich das auf die Fahne geschrieben.

Die Mythenwelt verhielt sich abwartend, wollte erst sehen, ob diese Geschöpfe damit tatsächlich zurechtkamen.

Obwohl Danii wusste, dass sie sofort melden sollte, wen sie gesehen hatte, konnte sie den Blick nicht von ihm abwenden. Was hatte dieser Vampir bloß an sich? Sie wusste nur von zwei Walküren, die sich je mit einem von ihnen eingelassen hatten. Eine von ihnen war noch am Leben. Danii kannte die Gefahr. Woher also kam ihre Faszination?

Sicher, er sah unverschämt gut aus, mit dem Gesicht und den breiten Schultern eines Filmstars, aber sie war noch nie zuvor derartig von einem Mann gefesselt gewesen. Jedenfalls von keinem realen.

Daniela, die zerbrochene Puppe …begehrte … ihn. Einen Vampir.

Als er fast direkt unter ihr war, fiel ihr auf, dass er bedrückt, ja, sogar gedankenverloren wirkte. Das war wohl kaum die Miene eines Mannes, der hinter ihr her war.

Aber wenn er es nicht war, wer dann …

Das unverkennbare Sirren von Bogensehnen erklang hinter ihr.

Sie sprang in Deckung, und ein ganzer Schwarm Pfeile durchschnitt die Luft, an der Stelle, wo sie eben noch gestanden hatte. Eine zweite Salve traf den Ziegel, vor dem sich gerade noch ihr Kopf befunden hatte, und prallte von der niedrigen Umrandungsmauer ab.

Sie erkannte den kreosotartigen Duft der Pfeilspitzen – sie waren vergiftet: Feuergift. Das einzig und allein Eislebewesen wie sie töten konnte. Oh, ihr Götter.

Ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen, sprang sie mit einem Satz vom Dach. Sobald sie unten in der Gasse stand, rannte sie los, als ob der Teufel hinter ihr her wäre.

Die Bögen, die vergifteten Pfeilspitzen … dieser Angriff kam nicht von einem Lykae. Oder von Vampiren.

Assassinen der Eisfeyden jagten sie. Das Volk meiner Mutter. Wie hatten sie sie nur aufgespürt?

Ihr blieb keine andere Wahl als zu fliehen. Sie wusste, dass sie in einem offenen Kampf keine Chance haben würde. Diese Assassinen waren stets in Gruppen unterwegs, und die Anzahl der Pfeile deutete auf wenigstens ein halbes Dutzend Männer hin.

Selbst als sie schon auf die tödliche Bedrohung durch die Warmblüter zuraste, überschlugen sich in ihrem Kopf die Gedanken. Seit Jahrhunderten hatte sie niemanden aus ihrem Volk mehr gesehen. Ich dachte, hier wäre ich sicher vor ihnen.

Ihre einzige Hoffnung bestand darin, schneller zu sein als sie, auch wenn sie wusste, wie schnell ihre Gegner sein konnten. Genau wie sie selbst gehörten sie den Feyden an …

Im nächsten Augenblick lief sie dem Vampir vor die Füße und hätte ihn fast über den Haufen gerannt.

2

Murdoch rieb sich gerade den Nacken, dann warf er einen Blick nach oben, fest davon überzeugt, dass er beobachtet wurde. Er konnte nichts entdecken und wollte soeben weitergehen … als er um ein Haar eine kleine Blondine in einem knappen rückenfreien Kleid umgelaufen hätte.

Von einem Moment auf den nächsten kam sie mit blitzartiger Geschwindigkeit aus einer Seitengasse geflitzt – ihm direkt vor die Füße. Für ihn hatte sie allerdings kaum einen Blick übrig. Er erhaschte einen Blick auf hohe Wangenknochen und erschrockene silbrige Augen, bevor sie über die Straße rannte und in einer anderen Gasse verschwand. Durch ihre wilde blonde Mähne war ein spitzes Ohr zu sehen gewesen.

Spitze Ohren, silberne Augen, und sie rannte viel zu schnell, um ein Mensch zu sein.

Eine Unsterbliche – möglicherweise eine von ihnen.

Dieser kurze Blick war alles, was nötig war – die Jagd konnte beginnen. Eilig folgte er ihr in die Gasse, translozierte sich, verschwand und materialisierte sich ein gutes Stück näher an ihr.

Sie war klein, aber schnell. Mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit bewegte sie sich durch das Labyrinth schattiger Gassen zwischen eng beieinander stehenden Häuserblocks in Richtung Fluss. Er schaffte es nur mit Mühe, ihren Vorsprung zu verkleinern.

Welches Wesen konnte denn genauso schnell rennen, wie sich ein Vampir translozierte?

Während er ihr langsam näher kam, nahm er weitere Einzelheiten ihrer Erscheinung wahr. Ihre Beine waren stramm und wohlgeformt unter dem kurzen Kleidchen. Ihr bloßer Rücken und ihre Arme waren schmal. Über den Ellenbogen trug sie Silberreifen, und in ihr langes Haar waren kunstvolle Zöpfe eingeflochten.

Sie erschien fremdartig, ungewöhnlich. Wie Frauen aus fernen Ländern in früheren Zeiten. Ich kann’s kaum erwarten, sie von vorne anzusehen.

Dieser Gedanke verwirrte ihn. Seit der Nacht vor dreihundert Jahren, in der er zum Vampir gewandelt wurde, hatte er kein Interesse mehr an Frauen gehabt, keinerlei Verlangen nach ihnen, genauso wie der Duft oder der Anblick von Nahrung keine Wirkung mehr auf ihn hatte.

Warum zum Teufel interessiert es mich auf einmal, wie sie von vorne aussieht? Er würde ihr Informationen entreißen, ansonsten konnte er herzlich wenig mit ihr anfangen.

Sein Körper war abgestorben. Und das war ihm recht.

In diesem Moment blickte sie während des Rennens über die Schulter zurück, und er bekam ihr elfengleiches Gesicht zum zweiten Mal zu sehen.

Diese spitzen Ohren … Es gab mehrere Faktionen in der Mythenwelt mit spitzen Ohren, zumindest wenn er richtig informiert war – und die Walküren gehörten dazu. Er war zunehmend davon überzeugt, dass er dem richtigen Wild hinterherjagte.

Sie schien ihn allerdings vollkommen aus den Augen verloren zu haben und konzentrierte sich auf eine andere Richtung.

Mit jeder Minute drangen sie tiefer in ein verkommenes Labyrinth aus verlassenen Lagerhäusern und Gleisen voller Eisenbahnwaggons ein.

Endlich verlangsamte sie ihre Schritte. Sie stolperte in eine Pfütze und stürzte dann über die Ecke einer Palette.

Er hörte auf, sich zu translozieren, und rannte einfach auf sie zu. Er war nahe genug, um ihr hämmerndes Herz und ihre keuchenden Atemstöße zu hören.

Die Walküre, der sein Bruder begegnet war, hatte keinerlei Angst vor Vampiren gezeigt. Vielleicht hatten sie in den vergangenen fünf Jahren gelernt, dass es Gründe gab, vor einem zu flüchten. Dieser Gedanke machte ihre Verfolgung noch weitaus aufregender. Seine Vampirinstinkte übernahmen die Kontrolle. Der Kitzel der Jagd überwältigte ihn, und Murdoch spielte mit ihr, ließ sie laufen, bis sie ermüdete.

Gerade als er beschlossen hatte, der Jagd ein Ende zu bereiten, bog er um eine Ecke und gelangte auf eine Kreuzung.

Sie war nirgendwo in Sicht.

Nur Stille.

Danii hockte auf der zweiten Etage eines vom Unwetter verwüsteten Lagerhauses. Sie bemühte sich verzweifelt, wieder zu Atem zu kommen, und erschauerte vor Hitze. Immer noch konnte sie es nicht fassen, dass die Eisfeyden hier waren. Sie hatte gedacht, sie wäre vor ihnen sicher, da sie in einem so heißen Klima lebte, und dass sie niemals so nahe am Äquator nach ihr suchen würden.

Wie die Eisfeyden schwitzte auch Danii nicht. Aber im Gegensatz zu ihnen konnte sie einen Temperaturschock erleiden, wenn sie sich überhitzte. Allerdings war sie die hiesige Temperatur mittlerweile gewohnt und ihre Verfolger nicht. Und sie kannte jede Ecke und jeden Winkel dieser verlassenen Straßen. Solange sie sich keinen Feuerpfeil einfing, würde sie mit den Eisfeyden schon fertigwerden.

Mit dem Vampir war es allerdings eine ganz andere Sache. Als sie sah, dass er sie verfolgte, hatte sie ungläubig zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich ein weiterer Verfolger der Jagd angeschlossen hatte.

Ein Vampir mit klaren Augen – ein wahrer Deviant.

Auch wenn sie sich versteckte, konnte sie ihn von ihrem Aussichtspunkt aus doch immer noch sehen. Mit zusammengekniffenen Augen drehte er sich unter ihr langsam im Kreis und versuchte herauszufinden, in welche Richtung sie verschwunden war.

Jegliche oberflächliche und törichte Anziehung, die er auf sie ausgeübt haben mochte, wurde von Verärgerung hinweggespült. Wenn dieser Kerl sich doch nur endlich verziehen würde, würden die Eisfeyden sie höchstwahrscheinlich auch nicht finden! Ansonsten würde er noch dafür sorgen, dass sie getötet wurde.

Die Assassinen würden sich aufteilen, um sie in eine Falle zu locken und sie mit ihren Giftpfeilen vor sich herzutreiben. Ihre berühmt-berüchtigten Eisgranaten würden sie nicht gegen Danii einsetzen – ihre Gegner würden wertvolle Kälte verlieren, und sie würde einen Treffer lediglich mit einem Lächeln quittieren und die eisige Kälte freudig in sich aufsaugen.

Aber diese Pfeile …

Sie waren mit einem Gift getränkt, das durch die Adern eines Eiswesens wütete wie flüssiges Feuer.

Ich sollte es wissen. Das war schließlich nicht das erste Mal, dass ein weit entfernter Eisfeyden-König Danii, der rechtmäßigen Königin der Eisfeyden, seine Killer auf den Hals gehetzt hatte.

Doch anstatt sich zu verziehen, rief der Vampir jetzt mit seiner tiefen Stimme: »Ich weiß, dass du hier bist.« Er sprach mit deutlichem Akzent. Russisch? Vielleicht Estnisch. »Du bist eine Walküre, hab ich recht?« Er verstummte, lauschte nach ihr. »Wenn das der Fall ist, dann möchtest du vielleicht wissen, dass mein Bruder soeben Myst die Vielbegehrte zu seiner Gefangenen gemacht hat.«

Myst. Danii liebte alle ihre Halbschwestern gleichermaßen, aber Myst war sie noch etwas schuldig.

Augenblick mal – der Bruder eines Esten hatte sie entführt? Es gab einen Devianten, einen Esten, der Myst unbedingt haben wollte: Nikolai Wroth, der Kriegsherr. Er hatte Myst Unrecht angetan, aber sie hatte es ihm reichlich zurückgezahlt.

Und der Kriegsherr hatte Brüder.

Danii musste herausfinden, was mit ihrer Schwester geschehen war. Wenn es Nikolai allein war, der sie gefangen hatte, war Myst wahrscheinlich nicht in Gefahr, da sie seine Braut war. Aber wenn Nikolai sie dem König der Devianten übergeben hatte …

Ich muss es wissen. Danii könnte den Mann dort unten in einem Kokon aus erdrückendem Eis gefangen setzen und ihn dann befragen, aber konnte sie es sich noch leisten, diese wertvolle Kälte – und Zeit – zu verlieren?

»Wieso versteckst du dich?« Wut strahlte von ihm ab wie eine Hitzewelle. »Eine wahre Walküre würde mir gegenübertreten.«

Eine wahre Walküre? Seine Stichelei hatte ins Schwarze getroffen wie ein Schlag auf einen offen liegenden Nerv. Sie wünschte sich nichts mehr, als genauso wie ihre Halbschwestern zu sein. All die Dinge zu genießen, die für diese selbstverständlich waren. Zerbrochene Puppe … Sie stand zögernd auf, bewegte sich auf ein Loch in der Mauer zu und trat heraus.

Sofort fiel sein Blick auf sie, folgte jedem ihrer Schritte auf dem Weg nach unten. Sein Mund öffnete sich und entblößte kaum sichtbare Fangzähne, aber er machte keinerlei Anstalten, den Abstand von zehn Metern, der sie beide trennte, zu verkürzen.

Hatte sie das Grau seiner Augen tatsächlich für gewöhnlich gehalten? In ihnen schien Wiedererkennen aufzuflackern. Wiedererkennen? Aber wie konnte das sein? Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen, denn daran hätte sie sich gewiss erinnert.

Sein Blick wirkte konzentriert …raubtierhaft. Dann färbten sich seine Augen schwarz. Bei einem Vampir deutete das auf extreme Gefühle hin. Doch seine vorherige Wut schien zu verfliegen.

Während sie einander in die Augen starrten, verstummten alle anderen Geräusche – das gespenstische Stampfen der Frachtkähne, die den Fluss aufwühlten, das entfernte Kreischen der Straßenbahn …

»Mein Bruder warnte mich vor der Bösartigkeit deiner Art.« Er runzelte die Stirn, und seine Stimme wurde sogar noch tiefer. »Aber ich kann nichts Bösartiges an dir erkennen.«

»Wo ist meine Schwester, Vampir?«

»Ich kann dich zu ihr bringen, Walküre.«

Darauf würde ich wetten. Ja, der Mann vor ihr war ein Deviant, und das hieß, dass er keine Ahnung von der Mythenwelt hatte.

Insbesondere hatte er keine Vorstellung davon, wie gefährlich Danii sein konnte.

3

Eine leibhaftige Walküre stand vor ihm. Und sie war unglaublich schön. Von vorne war sie sogar noch viel schöner, als Murdoch sie sich vorgestellt hatte.

Er schüttelte sich. War sie eine von denen, die auf Nikolai geschossen hatten? War sie dort gewesen und hatte über die Qualen seines Bruders gelacht?

Aus irgendeinem Grund konnte er sich das bei ihr nicht vorstellen. Er wusste, dass sie dem Feind angehörte – einer ganzen Armee weiblicher Wesen, die die Vernichtung sämtlicher Vampire anstrebten –, und Nikolai hatte ihn gewarnt, sie ja nicht zu unterschätzen. Aber sie wirkte sogar noch zerbrechlicher als Myst.

Obgleich ihre Gesichtszüge und ihr geschmeidiger Körper perfekt waren, hingen ihr die blonden Locken zerzaust über den spitzen Ohren, und ihre Wangen waren dreckverschmiert. Ihr Gesicht war fiebrig gerötet, und sie schien zu schwanken. Sie wirkte traurig und unglücklich.

Und verängstigt.

Eine Frau zu jagen, die vor ihm Angst hatte, erfüllte ihn mit Scham. Nikolai hatte geschworen, sie seien höhnische, sadistische Kriegerinnen, aber dieses Geschöpf hatte sich vor ihm versteckt, nachdem sie geflüchtet war, als ob ihr Leben davon abhinge.

»Hör mir zu, Walküre. Ich will dir nicht wehtun. Ich habe nur ein paar Fragen an dich.«

Sie hob die Hand, ohne jedoch eine Waffe darin zu halten. Stattdessen hielt sie sich die ausgestreckte Handfläche unter die Lippen, so als ob sie ihm zum Abschied eine Kusshand zuwerfen wollte. Der Atem, der ihren Mund verließ, sah wie eine frostige Wolke aus, die sich auf ihn zubewegte, ihn einschloss.

Um seine Stiefel herum bildete sich ein Panzer aus Blitzeis. Er konnte die Beine nicht mehr bewegen und sich nicht daraus befreien. »Was zur Hölle ist das?« Nach wie vor war er von ihrem Atem umfangen, und das Eis kletterte seinen Körper hinauf, über seine Knie hinweg und hatte bald seine Oberschenkel erreicht.

Dann begann sie zu husten, krümmte sich und schien zu schwanken. Das Eis hörte auf, an ihm hochzuwachsen, aber er war gefangen in dieser bizarren Fesselung.

Murdoch kämpfte gegen das Eis an, das allerdings stärker zu sein schien als normales Eis, sodass er es weder zerbrechen noch sich hinaustranslozieren konnte. »Nimm – das – weg.«

Langsam kam sie auf ihn zu. »Wer hat Myst jetzt in seiner Gewalt? Nikolai oder der König der Devianten?«

»Woher kennst du den Namen meines Bruders?«

»Nikolai oder der König?«

Da sah er die Spitzen ihrer Ohren zucken, und ihr Blick richtete sich auf etwas hinter ihm. In dem Moment, als sie dieses Etwas in seinem Rücken anzischte, hörte er eine Bewegung und drehte seinen Oberkörper.

Dort standen ein halbes Dutzend Männer, große Krieger, den Wikingern ähnlich, mit Schwertern an ihrer Seite und Pfeilen auf den gespannten Bögen. Ihr Atem bildete kleine weiße Wolken in der warmen Nachtluft, und ihre Ohren waren spitz.

Sie ist gar nicht vor mir geflohen …

Pfeile verdunkelten die Luft um ihn herum, sausten sirrend an seinem Kopf vorbei. Sie waren hinter ihr her. Aber irgendwie gelang es ihr, immer wieder so auszuweichen, dass der Angriff sein Ziel verfehlte. Sie wirbelte durch die Luft und verschwand schnell wie der Blitz in einer anderen Gasse. Ihre Geschwindigkeit war unbegreiflich.

Dann war sie fort.

Seine Hände schossen nach unten, um seine Beine von dem Eis zu befreien. Im Nu waren seine Finger gefühllos. Gerade als die Männer hinter ihm ihre Verfolgung aufnahmen, hörte Murdoch noch mehr Kampfgeräusche.

Es sind zwei Gruppen. Sie sind bestens organisiert und versuchen sie so aus ihrem Versteck zu treiben. Wieso kann ich dieses verdammte Eis nicht loswerden!

Plötzlich flog ihr zierlicher Körper aus der Querstraße vor ihm.

Geworfen! Sie hatten sie geworfen.

Die Wucht des Aufpralls ließ sie ein ganzes Stück über das Pflaster rutschen. Und während sie noch die Klauen in die Pflastersteine krallte, um zum Stehen zu kommen, folgte ihr eine Wolke von Pfeilen. Ihr Schwung war so groß, dass sie aus seinem Blickfeld verschwand.

Mit einem Mal hüllte ihn ein unbekannter Duft ein. Obwohl sein Instinkt ihm verriet, dass es Blut war, vermochte sein Verstand es nicht zu fassen. Noch nie hatte Blut so köstlich gerochen. So unwiderstehlich.

Endlich gelang es Murdoch freizukommen. Er translozierte sich, um sie abzufangen. Als er sich wieder materialisierte, spannte sich augenblicklich jeder einzelne Muskel seines Körpers an.

Bei dem Duft hatte es sich tatsächlich um Blut gehandelt. Ihr Blut. Sie kniete in einer Pfütze ihres Blutes, in ihrer Brust steckten zahlreiche Pfeile. Einer der Männer hatte sie an den Haaren hochgezerrt und sagte etwas in einer fremden Sprache zu ihr. In der anderen Hand hielt er eine rot glühende Klinge.

Sie blickte zu Murdoch auf, während sich aus ihren Wunden blutrote Bäche auf die dreckige Straße ergossen.

Das hatten sie ihr angetan?

Was hattest du denn eben noch mit ihr vor? Seine vampirische Natur kämpfte mit seinen Erinnerungen an den Mann, der er einmal gewesen war.

Ich hätte ihr niemals wehgetan.

Sie war meine Beute. Sie haben sie mir gestohlen. Mein Preis.

Einfach …mein.

Beim Gedanken daran, wie diese Männer ihre Pfeile auf sie losließen, welchen Schmerz und welche Angst sie gerade durchmachen musste, explodierte die Wut in ihm. Das Bedürfnis, sie zu beschützen, jene zu vernichten, die danach trachteten, ihr Leid zuzufügen, brannte heiß in ihm.

Mein.

Zwei Dinge wurden ihm schlagartig klar.

Dieses seltsame weibliche Wesen gehörte ihm allein. Und diese Mörder würden tot sein, noch ehe sie sie losließen.

Ihr Blick brannte sich in Murdochs, und sie streckte mit letzter Kraft ihre zarte Hand aus. Tränen rannen ihr aus den silbrigen Augen, als sie sprach: ein Flüstern, das nur für ihn bestimmt war und allen Lärm übertönte.

»Gnade.«

4

Ob er mir helfen wird? Auch wenn alles vor ihren Augen flackerte, sah sie unterschiedliche, in Widerstreit stehende Emotionen auf dem Gesicht des Vampirs.

Das Gift breitete sich in ihrem Körper aus und beraubte sie ihrer kostbaren Kältereserven.

So heiß … als ob es in ihrem Inneren kochte.

Als sie ihm vorhin gegenübergestanden hatte, war er voller Wut gewesen. Jetzt hatten sich seine Brauen beim Anblick ihrer Verletzungen zusammengezogen.

»Gnade?«, stieß er mit heiserer Stimme hervor. Dann schien etwas in ihm zu … zerbersten. Er ballte die Fäuste und fletschte seine geschärften Fänge. Sogar sein Körper schien zu wachsen. »Ich werde dir ihre Köpfe überreichen, Frau.«

Warum sollte er das tun? Und wie?

Der Vampir begriff nicht, wie tödlich diese Eisfeyden waren. Sie waren ausgezeichnete Bogenschützen, und ihre feydenhafte Geschwindigkeit war innerhalb der Mythenwelt unübertroffen. Zwischen ihr und dem Vampir standen wenigstens acht von ihnen, die bereits Eisgranaten in ihren Handflächen bildeten.

Mit markerschütterndem Gebrüll griff der Vampir an – halb rennend, halb translozierend. Fünf der Eisfeyden eilten herbei, um ihm den Weg abzuschneiden, und schleuderten ihre Eisgranaten mit mörderischer Geschwindigkeit auf ihn. Aber er wich jedem einzelnen Wurf aus, und das Eis, das die Krieger abgeschossen hatten, explodierte auf der Straße überall um ihn herum.

Eine eisige Schicht kroch die kaputten Ziegelmauern hinauf, als ob sie ein lebendes Wesen wäre, breitete sich aus bis hinauf zu den Feuerleitern und überzog die Straße.

Der Vampir krachte gegen eine Wand aus Eisfeyden und bahnte sich seinen Weg durch sie hindurch bis zu ihr. Mit erschreckender Brutalität kämpfte er sich durch die Krieger hindurch. Als er einem von ihnen die Halsader zerfetzte und sich dessen Blut wie ein Springbrunnen in die Nacht ergoss, begann der Eisfeyde, der sie gefangen genommen hatte, sie an den Haaren wegzuschleifen.

Das Gift hatte sie geschwächt, doch sie wehrte sich nach Kräften gegen ihn. Ihre Klauen senkten sich in seinen Arm, zerfetzten Haut und Knochen, bis die Gliedmaße nur noch an einem Fetzen Fleisch hing.

Er schrie vor Schmerz auf und ließ ihr Haar los, um sein Messer in die gesunde Hand zu nehmen und ihr gegen den Hals zu drücken. Die Hitze der Klinge versengte ihr die Haut, und ein Kreischen brach aus ihrer Brust.

Ein wildes Brüllen antwortete ihr. Sie und ihr Peiniger blickten gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie der Vampir auf ihn zuflog. In der einen Sekunde lag das Messer noch an ihrer Kehle, in der nächsten hatte der Vampir dem Eisfeyden den Kopf abgerissen.

Die Übrigen nahmen ihre Bögen und attackierten ihn wie ein Mann. Der Klang ihrer Bogensehnen übertönte ihre Schritte. Der Aufprall der Pfeile schleuderte den Vampir gegen die von Eis überzogene Wand, sodass die Eisschicht klirrend zersprang.

Vor Zorn brüllte er laut auf. Er griff nach hinten, um die Pfeile herauszuziehen. Als nur noch ein einziger übrig war, waren die Eisfeyden bei ihm. Sie sah, wie er wieder und wieder darum kämpfte, zu ihr zu gelangen, aber sie hielten ihn fest und hinderten ihn daran, sich zu translozieren.

Danii versuchte, dem Handgemenge auf allen vieren kriechend zu entkommen, doch die Pfeile, die aus ihrer Brust ragten, verhinderten jegliche Bewegung, und das Gift war zu stark. Wenn sie sie nicht bald entfernen würde …

Thermaler Schock. Eine grauenhafte Art zu sterben. Sie stand kurz davor, durch die Hand der Assassinen zu sterben, und das ohne jeden Grund. Sie wollte ihre Krone nicht, wollte nur in Frieden gelassen werden …

Ihr Möchtegernretter taumelte. Lag es am Eis, das die Straße überzog? Nein, er schien gegen eine Art innere Besessenheit anzukämpfen.

Was ist denn bloß mit ihm los? Kann nicht denken …

Einer der Eisfeyden hieb so lange auf das Ende des letzten Pfeils ein, bis dieser sich ganz durch den Torso des Vampirs gebohrt hatte. Er riss ihn sich selbst aus dem Leib, aber schon schnitt ihm ein Schwert tief ins Bein. Blut strömte aus seinen Wunden.

Es sind zu viele.

Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, suchte der Vampir ihren Blick. Ein letzter Blick?

»Berühre ihre Haut!«, schrie sie.

Obwohl ihn ihre Worte sichtlich verwirrten, packte er einen von ihnen unter dessen Kragen am Hals. Das Wesen schrie vor Schmerz auf. Bei diesem Klang verzog der Vampir seine Lippen zu der Andeutung eines Lächelns. Er fletschte erneut seine gefährlich aussehenden Fänge und legte einem anderen die Handfläche mitten aufs Gesicht. Eine Brandwunde in Form seiner Hand auf der Haut des Eisfeyden war die Folge.

Der Vampir schien neue Kraft zu gewinnen – fast, als hätte er sich gerade eben erst ins Kampfgetümmel geworfen. Und er wurde nicht nur stärker, sondern auch bösartiger. Er schien es darauf anzulegen, ihnen einen möglichst schmerzhaften Tod zu bereiten.

Bald bedeckten abgerissene, seltsam verdrehte Gliedmaßen die Straße. Ohne erkennbare Mühe riss er Köpfe von ihren Hälsen und brüllte vor Freude, wenn Blut floss.

Aber er biss nicht ein einziges Mal zu. Sie sah, dass er wahrhaftig anders als die Vampire der Horde war, und trotzdem gelang es ihm irgendwie, die Eisfeyden zu besiegen. Die dabei erlittenen Verletzungen schien er gar nicht zu spüren, keine der zahlreichen Wunden schien sein Tempo nennenswert zu verlangsamen.

Als er dem letzten aufrecht stehenden Eisfeyden gegenüberstand, fragte sie sich, wie viel von dem Blut, das ihn bedeckte, wohl sein eigenes war.

Aber einer der Eisfeyden, die der Vampir niedergestreckt hatte, war nicht tot. Er presste eine Hand auf seinen Hals, um den Blutfluss zu stoppen. Unbemerkt kämpfte er sich hinter dem Vampir auf die Beine und brachte still und heimlich sein Schwert wieder an sich.

»Pass auf!«

Der Vampir wirbelte herum. Der Eisfeyde, mit dem er gerade gekämpft hatte, nahm ihn von hinten in den Schwitzkasten und hielt ihn für den mit dem Schwert fest.

Oh nein, nein … Sie würde den Vampirkrieger auf keinen Fall sterben lassen.

Eine Waffe, sie brauchte eine Waffe. Ihr Blick fiel auf ihre eigene Brust, in der sechs Pfeile steckten.

War sie stark genug, um das zu tun?

Sie biss die Zähne zusammen und packte einen der blutigen Pfeilschäfte. Dann zog sie ihn mit einem Ruck aus ihrem Körper und erstickte den Schrei, der in ihrer Kehle aufstieg. Vor lauter Schmerz sah sie ihre Umgebung nur noch undeutlich, und ihre Muskeln erschlafften. Nein! Kämpfe!

Sie hielt den Pfeil am mit Federn besetzten Ende und warf ihn wie ein Messer. Er durchbohrte den Hals des Schwertkämpfers.

Das Letzte, was sie sah, war, dass der Vampir den Kopf mit aller Gewalt nach hinten warf, um dem Mann, der ihn festhielt, das Gesicht zu zerschmettern, dass er sich dann aus dessen Griff löste und sofort nach einem Schwert griff.

Als sie sich das nächste Mal zwang, die Lider zu öffnen, kam er schwankend auf sie zu, die Fänge immer noch gefletscht, die Augen schwarz glühend inmitten all des Blutes in seinem Gesicht. Er hatte sie alle brutal abgeschlachtet, und nun näherte er sich ihr.

Doch sie hatte keine Angst. Er hatte ihr gesagt, er werde ihr ihre Köpfe zum Geschenk machen. Und das hatte er.

Er ließ sich neben ihr auf die Knie fallen und packte ihr Handgelenk. Sie zuckte zurück, doch nicht schnell genug, um den Kontakt zu verhindern. Als sie aufschrie, riss er die Hand fort und starrte fassungslos auf die Brandwunde, die er auf ihrer Haut hinterlassen hatte.

»Nein … das kann nicht sein.« Seine Stimme war rau, fast schon ein Knurren. »Du bist wie sie? Aber du bist eine Walküre!«

Sie blinzelte zu ihm empor. »Zum Teil … Eisfeyde.«

»Du bist wie sie«, wiederholte er grollend. Dieser große, starke Mann war verunsichert. Ihre Natur verwirrte ihn. »Ich verbrenne dich?«

Sie nickte schwach.

»Gibt es keine Möglichkeit, wie ich dich berühren kann?«

»Keine.«

»Aber wer kann sich dann um dich kümmern? Lebst du in New Orleans? Mit anderen Walküren?«

»Sie werden dich umbringen.« Wenn der Vampir sie zu ihrem Koven brachte, würden ihre Schwestern ihn auf der Stelle köpfen und dann erst Fragen stellen.

Außerdem blieb ihr gar nicht mehr so viel Zeit.

Wenn dieser Vampir sie nicht rettete …

Ich werde wie Eis in tausend Stücke zerspringen.

5

Unter enormer Anstrengung flüsterte die Frau: »Du … hilf mir.«

»Wie? Wenn ich dich doch verbrenne?« Ich begreife das einfach nicht. Sie hat mich erweckt, diese seltsame kleine Kreatur, deren Haut nicht berührt werden darf.

Nein, sie konnte nicht seine Braut sein. Er konnte nicht erweckt sein. Aber seine Atemzüge sagten ihm das Gegenteil, sein donnerndes Herz erinnerte ihn beständig an die Wahrheit.

Als sein Herz inmitten des Kampfes zum ersten Mal geschlagen hatte, hatte es sich für ihn wie eine Explosion angehört. Es war in einen Schockzustand verfallen, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Er hatte Luft eingesogen und am ganzen Körper gezittert, als sie seine lange unbenutzten Lungen füllte, ihm neue Kraft gab. Auch jetzt noch spürte er ein leichtes Schwindelgefühl, aufgrund seiner Verletzungen, aber sein Körper fühlte sich immer noch stark.

»Ich werde versuchen, Nikolai zu finden. Myst wird bei ihm sein. Sie wird hoffentlich wissen, was zu tun ist.«

Sein Bruder hatte beschrieben, was geschehen war, als er erweckt worden war, darum wusste Murdoch, wie sein Körper sich anfühlen würde. Allerdings hatte Nikolai es versäumt zu erwähnen, dass sein Instinkt, wild und zügellos, die Herrschaft übernehmen würde.

»Du, bitte. Pfeile vergiften mich. Keine Zeit.«

Gift? Nein, sie konnte so nicht sterben. Wenn sie eine Walküre war, war sie unsterblich.

Aber was wusste er schon? Er hätte auch nie gedacht, dass er eine Walküre mit seiner bloßen Berührung verbrennen könnte.

Er riss den Saum seines Hemdes ab und wickelte sich den Stoff um die Hände, dann hob er sie vorsichtig hoch. Auch wenn er ihre Haut nicht berührte, wurden die Pfeile dadurch bewegt, und sie wimmerte schmerzerfüllt.

Er presste die Zähne aufeinander. Am liebsten hätte er diese Arschlöcher gleich noch einmal umgebracht, sie langsam zu Tode gefoltert. »Warum vertraust du ausgerechnet mir?«, fuhr er sie an. Wieso wollte sie, dass er sich um sie kümmerte? Wieso glaubte sie, dass er dazu fähig war?

Sie versuchte sich auf sein Gesicht zu konzentrieren, aber ihre silbrigen Augen verloren an Ausdruck. »Ich … weiß auch nicht.«

»Vermutlich wirst du es noch bereuen, mir dein Leben anvertraut zu haben.«

Statt zu antworten, erschlaffte ihr Körper, und sie lag hilflos in seinen Armen.

Lord Jádian der Kalte, General der Eisfeyden, hatte den Kampf teilnahmslos von seinem Aussichtspunkt auf einem Lagerhaus an der Straße beobachtet.

In seinem langen Leben hatte er unzählige Male gegen Vampire gekämpft, wie seine Narben bewiesen. Aber der dort unten war stärker gewesen, schneller. Jetzt beugte er sich über Daniela die eisige Jungfrau. Beschützend. Ein merkwürdiger Verbündeter für die Frau.

Nach dieser Nacht gab es keinen Zweifel mehr daran, dass Daniela den Eisfeyden angehörte. Sie konnte ihre Herkunft nicht verleugnen.

Aber sie war dabei so wild wie eine Walküre – sie hatte sich einen Feuerpfeil aus der eigenen Brust gezogen, um ihn auf ihren Feind zu schleudern. Er wusste genau, wie stark dieses Gift war, hatte es höchstpersönlich von den Hörnern einer Feuerdämonin geerntet.

Ja, Daniela war stark. So wie ihre Mutter, Königin Svana.

Als der Vampir zusammen mit ihr verschwand, sprang Jádian hinab, um das Feuerschwert an sich zu nehmen. Es durfte keinesfalls verloren gehen, denn ebendiese Klinge hatte Svana der Großen den Kopf abgeschlagen.

Und Jádian hatte vor, es erneut zu benutzen.

Er wandte sich von dem Blutbad ab, ohne die niederen Kreaturen zu beachten, die sich bereits über seine gefallenen Kameraden hermachten. Jetzt hatte er die Gewissheit, dass Daniela eine Bedrohung darstellte, die nicht länger ignoriert werden durfte.

In dem Moment, in dem Danii vage ein Bett unter sich wahrnahm, explodierte der Schmerz in ihrer Brust. Sie erwachte von ihren eigenen Schreien, wand sich unter den unerträglichen Höllenqualen und versuchte, sich der Quelle der Pein zu entziehen.

»Ganz ruhig, Mädchen«, ertönte die tiefe Stimme des Vampirs. »Ich muss dir dieses Kleid ausziehen.«

Sie öffnete ihre Augen einen Spaltbreit, um festzustellen, dass sie sich auf einer Matratze in einem Raum befand, dessen Wände mit dunklem Holz verkleidet waren. Der Vampir musterte sie, wobei er ein Messer in einer seiner behandschuhten Hände hielt. Seine Augen hatten die Farbe von Obsidian.

Er hatte Handschuhe an? Braver Vampir. »In Kristoffs Burg?«

»Woher weißt du …? Nein, dort sind wir nicht.« Er entfernte die letzten Reste des Kleides, das er ihr vom Leib geschnitten hatte, sodass sie nur noch ihr Höschen trug. Die Stiefel hatte er ihr bereits ausgezogen. »Wir sind in einer Mühle außerhalb von New Orleans.«

Er legte das Messer weg. Anscheinend war ihm ihre Nacktheit unangenehmer als ihr selbst. Er schluckte und legte die Hand um einen Pfeil gleich über ihrer Brust. Mit der anderen Hand drückte er ihre Schulter in die Matratze. »Wir zählen bis drei.«

Sie sah ihm in die Augen und nickte. Sein Blick wirkte ungestüm, beruhigte sie aber dennoch. Ohne wegzuschauen, biss sie die Zähne aufeinander.

»Eins … zwei …«

Ein Ruck.

Sie wäre fast an ihrem Schrei erstickt, und vor dem Haus explodierte ein Blitz. Sein Blick huschte beunruhigt durch das ganze Zimmer, als er den Pfeil zu Boden warf.

»Erinnere mich daran … dir beizubringen … wie man bis drei zählt«, stieß sie zwischen keuchenden Atemzügen hervor.

»Bereit für den nächsten?«

War sie bereit? Wie viel Schmerz konnte sie noch ertragen?

»Denk an irgendwas anderes, Mädchen.« Er packte den nächsten Pfeil. »Oder verrat mir deinen Namen.«

Ein weiterer Ruck, ein weiterer erstickter Schrei. Wieder zuckte draußen ein Blitz, gleich gefolgt von einem Donnerschlag.

Er sah argwöhnisch nach oben, ehe er sich auf den nächsten Pfeil konzentrierte. Während er ihn mühsam herauszog – er steckte in ihrem Brustbein –, verkrampften sich ihre Fäuste in den Laken, in dem verzweifelten Bemühen stillzuhalten. Endlich löste sich die Pfeilspitze mit einem Knirschen aus dem Knochen.

»Dein Name«, sagte er, diesmal etwas nachdrücklicher.

»Daniela«, keuchte sie.

»Daniela.« Er nickte kurz. »Wunderschöner Name für ein wunderschönes Mädchen.«

An ihrem darauf folgenden hysterischen Lachen wäre sie beinahe erstickt. Es verwandelte sich in einen schlimmen Hustenanfall. »Wunderschön … soll das ein Witz sein?« Blutblasen sprudelten aus ihrem Mund.

Seine Miene verfinsterte sich. »Ich meinte nur, dass du von lieblicher Gestalt bist oder wärst … Ist auch egal.«

»Du bist …widerlich.«

Er blickte zur Seite und schien sich innerlich zu verfluchen.

Nun lebte sie schon so lange und würde schließlich an einem Gift sterben, während sie sich in der Obhut eines wahnsinnigen, widerlichen Vampirs befand, der nicht zählen konnte.

»Mein Name ist Murdoch Wroth.«

»Ich weiß.« Er war Nikolais Bruder, was bedeutete, dass er einer der Wroths war – einer von vier estnischen Kriegsherren, die seinerzeit für die erbarmungslose Verteidigung ihrer Heimat berühmt gewesen waren. Vor fünf Jahren hatten die Walküren von Myst erfahren, dass zwei der Brüder in Vampire gewandelt worden waren. Nikolai und …Murdoch.

»Woher kennst du meinen Namen?«

Sie versuchte, mit den Achseln zu zucken, um gleich darauf schmerzerfüllt das Gesicht zu verziehen.

Er ließ das Thema fallen. »Noch zwei übrig. Wer waren die Männer, die dir das angetan haben?«

»Die kennst du sowieso ni…«

Ruck. Wieder flackerte es wie wild vor ihren Augen.

»Schön bei mir bleiben!« Hatte er ihr da gerade mit einer behandschuhten Hand über die Haare gestreichelt? »Jetzt nur noch einer«, sagte er und fügte hinzu: »Tapferes Mädchen.«

Aus irgendeinem Grund erfüllte es sie mit Stolz, dass er sie für tapfer hielt. Sie war nun schon so lange geschwächt und befand sich weit weg von dem Eis, das sie stark machte. Also kämpfte sie darum, das Bewusstsein nicht zu verlieren und kämpfte gegen die Ohnmacht an, die sie immer wieder zu überwältigen drohte.

»Werden noch mehr von ihnen kommen und nach dir suchen?«, fragte er.

»Das tun sie immer. Früher oder später.«

»Warum wollen sie dich umbringen?«

»Weil ich auf der Welt bin«, murmelte sie.

»Was soll das bedeuten?«

»Darf dir nichts … über den Mythos … erzählen.«

»Weil ich ein Deviant bin?« Das erzürnte ihn offensichtlich. »Meinst du vielleicht, Myst wird Nikolai eure Geheimnisse nicht verraten?«

»Du denkst … sie werden heute Nacht …reden?«

Er runzelte die Stirn, als ob ihre Worte ihn verwirrten, oder vielleicht eher, als ob sie ihn aus der Fassung brachte. »Letzter Pfeil.«

Dieser hatte sich unter ihrem Schlüsselbein verkeilt und weigerte sich, sich herausziehen zu lassen. »Gleich ist es vorbei, Süße.« Er drückte sie auf die Matratze, drehte und zerrte, während sie sich bemühte, ihren Schrei zurückzuhalten. »Halt noch ein bisschen aus.«

Endlich gab er nach und kam mit einem ganzen Blutschwall heraus. »Da.« Er warf ihn beiseite. »Und was soll ich jetzt machen?«

Sie lag wie gelähmt da, keuchte unregelmäßig. Zu spät …

Auch nachdem er die Pfeile entfernt hatte, verblieb noch zu viel Gift in ihrem Körper. Ihr Körper begann vor Hitze zu zucken, sie konnte einfach nicht damit aufhören.

»Daniela, sag’s mir!«

In ihrem ganzen zweitausend Jahre währenden Leben war ihr noch nie so heiß gewesen. Oh ihr Götter, ein thermaler Schock.

Tod durch Zerspringen. Genauso wie man sie als kleines Mädchen immer gewarnt hatte. Porzellanpüppchen. Eine überwältigende Angst breitete sich in ihr aus.

Mit schwachem Griff packte sie sein Hemd. »Schock. Leg mich in … Eis.«

»Schock – was meinst du denn damit?«

»Ich … sterbe.«

6

Murdoch riss sie so hastig hoch in seine Arme, dass sein verwundetes Bein beinahe nachgegeben hätte. Im Handumdrehen translozierte er sie beide ins Badezimmer. Dort drehte er sofort das kalte Wasser auf. Sobald er sie in die große Badewanne gelegt hatte, translozierte er sich zu einer Tankstelle, um wenig später mit einigen geklauten Beuteln Eis zurückzukehren.

»Das fühlt sich für mich ganz falsch an«, murmelte er, während er die Beutel aufriss und deren Inhalt ins Wasser gleiten ließ. »Das widerspricht allem, was ich weiß.«

Weil sie nichts ähnelte, das er kannte.

Steh ich hier wirklich und packe eine halb nackte, lebensgefährlich verletzte Frau in Eis?

Aber sobald sie bis zum Hals damit bedeckt war, seufzte sie erleichtert auf. Die Kälte war für sie weder ein Schock noch schmerzvoll – offensichtlich beruhigte sie sie, ließ sie sogar schläfrig werden. Ihr Zittern ließ langsam nach, und ihre Miene wurde ruhiger.

Als die Furcht aus ihren Augen wich … Er wollte gar nicht an die Erleichterung denken, die er fühlte, als er das sah. »Ist das Gift für dich jetzt immer noch gefährlich?«

»Etwas anderes kann man nicht tun.« Sie runzelte die Stirn, schien Probleme damit zu haben, ihren Blick zu fokussieren. »Du bist verletzt.«

»Es ist nichts«, erwiderte er schroff.

»Kümmere dich um dich selbst, Vampir …« Ihre Lider senkten sich bebend, und dann war sie eingeschlafen.

Sie schlief. Mitten im Eis.

Er konnte sich mit dieser Kälte in ihr einfach nicht anfreunden. Sie war überhaupt nicht so, wie er sie sich erträumt hatte.

Aber es spielte keine Rolle, ob er sie verstand. Selbst wenn es ihr jetzt besser zu gehen schien, war sie noch nicht außer Gefahr. Ihr Gesicht war immer noch tiefrot. Wenn Kälte gut für sie war, dann brauchte sie mehr davon.

Er translozierte sich zum Thermostat und drehte die Klimaanlage voll auf. Obwohl es ihm nicht gefiel, sie allein zu lassen – weder um von dem Blutvorrat zu trinken, den er in der Küche aufbewahrte, noch um seine eigenen Wunden zu verbinden –, translozierte er sich dann noch ein weiteres Mal, um mehr Eis zu besorgen und den Gefrierschrank bis in die letzte Ecke damit zu füllen.

Nachdem er das erledigt hatte, wachte er über sie. Damit begann die schrecklichste Nachtwache seit jener Nacht, in der seine gesamte Familie gestorben war, einer nach dem anderen.

Während er in dem geräumigen Bad auf und ab lief, konnte er die Augen nicht von ihr lassen. Auch wenn Daniela ihn widerlich fand, weil er eine Bemerkung über ihr Aussehen gemacht hatte, konnte er über ihre Verletzungen hinwegsehen. Sie war wunderschön, daran bestand nicht der geringste Zweifel.

Sie hatte langes blondes Haar, das sich über ihre Schultern breitete, um schließlich ihre Brüste zu bedecken. Ihre Lippen waren voll und weich und im Augenblick leicht geöffnet für ihre flachen Atemzüge. So wunderbare Lippen. Er stellte sich vor, wie es wäre, wenn er sie mit seinen berühren und dann ihre Zunge necken würde.

Er zuckte zusammen, als er merkte, dass er für sie hart wurde. Dann stöhnte er. Meine erste Erektion seit dreihundert Jahren. Die Erektion, die er niemals hatte erleben wollen. Gott, wurde ich wirklich erweckt?

Von einer … Walküre.

Sie waren kriegerisch, manche behaupteten sogar, sie seien halb verrückt. Und jetzt war er an so eine Frau gebunden … noch dazu eine, die er niemals berühren konnte. Die Hölle auf Erden.

Nein, es musste doch einen Weg geben, wie er sie berühren könnte, sie zu der Seinen machen könnte. Oder würde sie ihm genauso viel Schmerz bereiten wie Myst Nikolai?

Er begab sich zur Badewanne und hockte sich neben sie, auch wenn sein verletztes Bein protestierte. Er ignorierte die Wunde und nahm stattdessen ihre Hand in seine behandschuhte und musterte sie. So zart. Und doch hatte er in dieser Nacht gesehen, wie ihre zerbrechlich aussehenden Klauen den Knochen eines Mannes zerfetzt hatten.

Er ließ die Hand los, um Eiswasser zu schöpfen und ihr über die Haare zu schütten. Dann öffnete er ziemlich ungeschickt ihre Flechten und wusch das Blut aus ihnen heraus.

Wieso diese Sorgfalt? Weil er sich so von seiner Angst um sie ablenkte und von seinen Befürchtungen hinsichtlich seiner Zukunft. Also machte er einfach weiter und ließ Eiswasser über die Prellungen an ihren Schultern und Armen laufen. Nach und nach nahm die hektische Röte in ihrem Gesicht ab und blasse, alabasterfarbene Haut blieb zurück. Ihre Atemzüge begannen, kleine Dampfwolken zu bilden.

Während ihre Wunden begannen, sich nahtlos zu schließen, nahmen seine eigenen Schmerzen zu. Aus seinen zahlreichen Wunden hatte er viel Blut verloren, und er konnte kaum glauben, dass er immer noch bei Bewusstsein war.

Bisher war er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sie am Leben zu erhalten, um über irgendetwas anderes nachzudenken. Jetzt wurde ihm nur allzu bewusst, dass ihr Blut überall war: an ihm, auf seinem Bett und an den Pfeilen auf dem Boden.

Der Duft war mit nichts vergleichbar, das er kannte. Der Durst ließ ihn zusammenzucken wie ein Peitschenhieb. Sein Schaft wurde noch härter. Denk einfach nicht dran, verdammt!

Sein Blick glitt die Konturen ihres Kiefers entlang, über ihre anmutigen spitzen Ohren, ihren Hals. Blut direkt von einem lebenden Organismus zu trinken verstieß gegen die Gesetze seines Ordens, denn lebendiges Blut trug die Erinnerungen des Opfers, die wiederum Vampire mit der Zeit in den Wahnsinn trieben. Ihre Feinde in der Horde, die Gefallenen, besaßen rote Augen, die über diesen Irrsinn Zeugnis ablegten.

Was, wenn er die Beherrschung verlor und sie biss? Jeder in seinem Orden fürchtete sich davor, zu einem Gefallenen zu werden. Murdoch bildete keine Ausnahme, doch bislang hatte er es nicht ein einziges Mal in Betracht gezogen, jenes Gesetz zu brechen – er war noch nie in Versuchung geraten.

Bis jetzt. Ob ich wohl bis zur Morgendämmerung durchhalte, ohne mich über ihren Hals herzumachen? Er musste es schaffen.

Welchen Schmerz ich ihr damit bereiten würde … Vorhin war es ihm so vorgekommen, als habe ihr Handgelenk unter seiner Berührung gezischt. Was würden da seine Fänge und Lippen erst ihrem zarten Hals antun? Ob er sie verbrennen würde, wenn er in Ekstase über ihre Haut leckte?

Er riss sich von ihrem Anblick los, sprang auf die Füße und translozierte sich ins Schlafzimmer. Er sammelte die Pfeile sowie die beschmutzte Bettwäsche ein und warf sie vor die Tür. Außerdem legte er seine zerfetzte Jacke ab.

Dann translozierte er sich zum Kühlschrank und goss sich eine Tasse Blut ein. Doch obwohl er durch seinen Blutverlust geschwächt war, schmeckte es wie Spülwasser, als er versuchte, es zu trinken. Er zwang sich, es herunterzuschlucken.

Verdammt noch mal, jetzt kipp das Zeug schon runter. Ignoriere diese Lust, das Blut und alles andere auch.

Nachdem er mit Mühe die halbe Tasse geleert hatte, kehrte er zurück und blickte auf ihr Gesicht hinunter. Sie lag so still da. Ihre Wimpern, die bogenförmig auf ihren bleichen Wangen ruhten, waren an den Spitzen ganz hell.

Schon bei der bloßen Vorstellung, ihr wehzutun, wurde ihm ganz schwindelig. Er musste sie beschützen.

Ohne die Augen aufzuschlagen, flüsterte sie in einem frostigen Atemzug: »Murdoch?«

»Brauchst du mehr Eis?«, fragte er hastig. Das meiste war inzwischen geschmolzen, aber die Wunden, die ihre Brust verunstaltet hatten, waren praktisch verheilt.

Sie schüttelte den Kopf.

»Möchtest du aus dem Wasser heraus?«

Sie antwortete, in dem sie ihm die Arme entgegenstreckte. Er runzelte die Stirn. So vertrauensvoll, so verletzlich.

Er hob sie hoch, drückte sie an die Brust und translozierte sie zu seinem Bett zurück. Ohne sie loszulassen, griff er nach einem Handtuch, um sie darauf zu betten. Ihre Brüste streiften seinen Arm, als er sie ablegte, und sein Schwanz wurde noch härter. Seit dreihundert Jahren hatte Murdoch kein Interesse mehr an weiblichen Brüsten gehabt. Und jetzt hätte er vor Lust beinahe geknurrt.

Als er sich aufrichtete, sah er, dass sie die Augen halb geöffnet hatte. Sie waren nicht mehr silberfarben, sondern von einem so leuchtenden Aquamarin, dass es schon unwirklich erschien.

»Ich habe nicht von ihnen geträumt, als ich schlief. Ich habe von dir geträumt.« Sie klang, als wäre sie im Delirium. »Wirst du bei mir bleiben, Vampir?«

Er hatte sich ja gewünscht, eine Walküre einzufangen und sie zum Reden zu bringen. Warum also nicht jetzt? »Ja, ich bleibe bei dir.«

Das schien sie zu trösten. Ihre Augen schlossen sich wieder, aber er wusste, dass sie noch nicht schlief.

»Daniela? Wer waren diese Männer, die dich angegriffen haben?« Die Klinge und die Worte des Mannes, die wie eine Urteilsverkündung geklungen hatten, waren ihm nur allzu gut im Gedächtnis haften geblieben.

»Die Eisfeyden des Nordens.«

»Wieso waren sie hinter dir her?«

Sie zuckte die Achseln. »Das war nicht das erste Mal. Ich bleibe in Bewegung. Erst vor zwei Jahrhunderten hat er eine Truppe ausgesandt, aber da gelang es mir zu entkommen.«

»Wer hat sie ausgesandt?« Sie war über zweihundert Jahre alt?

»Ihr König. Sigmund. Diesmal haben sie mich überrascht. Ich war etwas abgelenkt.«

»Durch was?«

Sie grinste, sagte aber nichts.

»Wieso wollten sie dich umbringen, Daniela?« Als sie die Lippen fest aufeinanderpresste, wusste er, dass sie ihm nichts mehr über dieses Thema erzählen würde, darum entschied er, ein anderes anzuschneiden.

Nikolai hatte die anderen Walküren, die er getroffen hatte, beschrieben. Die Haut von einer von ihnen schien zu leuchten, und eine andere war eine übernatürliche Bogenschützin gewesen. Die hier war irgendein Eiswesen. Vielleicht besaßen alle Walküren übergreifende Ähnlichkeiten, konnten aber gleichzeitig verschiedenen Spezies angehören.

»Daniela, deine Schwester Myst ist nicht kalt so wie du. Warum nicht?«

»Wir haben ein gemeinsames Elternpaar«, murmelte sie, ohne die Augen zu öffnen. »Aber unsere zweite Mutter ist anders.«

»Zweite Mutter? Eine Adoptivmutter?«

»Nein. Wir haben drei Elternteile.«

Sie redete wirres Zeug. Oder etwa nicht? Eins hatte er inzwischen über die Mythenwelt gelernt: Nichts ergab einen Sinn. Die Gesetze der Mythenwelt setzten sich über die Naturgesetze hinweg.

»Wie ist das möglich?« Da sie langsam wieder in Schlaf zu versinken drohte, schüttelte er sie sanft bei der Schulter.

Ihre blonden Augenbrauen zogen sich zusammen. »Odin und Freya ließen einen Blitz in meine Mutter fahren, um sie ins Leben zurückzuholen. In diesem Blitz war ich. Alle drei sind meine Eltern.«

Nein, sie redet definitiv wirres Zeug.

»Myst ist die Tochter von Odin, Freya und einer menschlichen Piktenfrau.«

Pikten? Die hatten vor vielen Jahrhunderten gelebt. »Wie alt bist du?«

»Zweitausend oder so.«

»Zweitausend.«

»Ich bin Fisch.«

»Alles klar. Wieso wolltest du denn wissen, ob Myst bei Kristoff oder bei Nikolai ist?«

»Myst mag Nikolai«, erwiderte sie leise. »Wenn er heute Nacht ganz lieb ist, kann er in Zukunft eine Walküre mitbringen, wenn es bei einer Einladung ›Nikolai Wroth und Begleitung‹ heißt.«

»Ganz lieb heute Nacht?«, wiederholte er. Murdoch hatte den Verdacht, dass sein Bruder Myst heute Nacht einige seiner Eigenschaften zeigen würde. Lieb gehörte nicht dazu. Als er unerklärlicherweise plötzlich Schuldgefühle empfand, translozierte er sich in die Küche, um mit einem Glas Wasser für Daniela zurückzukehren. Er hob es an ihre Lippen, doch sie drehte den Kopf weg.

»Ich trinke nichts.«

»Ist doch nur Wasser.«

»Ich trinke gar nichts.«

»Ich vermute, du isst auch nichts.«

»Nein.«

Sollte irgendetwas von alldem wahr sein …? Er musste sich unbedingt mit Nikolai unterhal…

»Murdoch?« Ihre Augen hatten sich wieder geöffnet, und sie starrte auf seinen Mund. »Du hast die schönsten Lippen, die ich je gesehen habe. Zum Küssen.«

Er schluckte. »Und würdest du mich denn gerne küssen? Wenn du könntest?«

»Wenn ich einmal damit anfinge … ich glaube nicht, dass ich je wieder aufhören würde.« Ihre Stimme klang heiser, so verdammt verlockend. Sie war keine Kriegerin, sie war eine Verführerin.

Und ein geringerer Mann könnte darauf reinfallen, wenn er nicht vorsichtig war.

Ihre Lider schlossen sich wieder. Sie schien sich in jenem Zustand des Fieberwahns zu befinden, in dem der Verstand dagegen ankämpfte, sich dem Vergessen hinzugeben.

Sie legte den Arm über den Kopf, sodass ihre sexy Armreifen mit leisem Klingeln gegeneinander schlugen, und die feuchten Locken, die ihren Oberkörper bedeckt hatten, zur Seite rutschten und ihre perfekten Brüste enthüllten. Sie waren klein, aber sie sahen so prall aus, dass er am liebsten sofort seine Fänge hineingeschlagen hätte. Stattdessen schlug er einen seiner scharfen Fangzähne in seine Unterlippe und stellte sich vor, das Blut, das auf seine Zunge floss, wäre ihres. Er stellte sich vor, wie ihre Brüste hüpfen würden, wenn er sie fickte.

Diese wollüstigen Gedanken waren so ungewohnt, so nutzlos. Sie würde niemals unter ihm liegen. Wütend legte er die Hand auf die Erektion in seiner Jeans, was bekanntermaßen ein Risiko barg. Denn je größer seine Erregung wurde, umso schlimmer würde seine Erektion werden, und genau so würde sie bleiben – wenn er Daniela nicht dazu bewegen konnte, Abhilfe zu schaffen.

Nur dieses eine Mal brauchte er sie, um das Siegel zu brechen. Danach könnte er seiner Wege gehen und seine Lust mit anderen stillen.

Während seines menschlichen Lebens hatten sich die Frauen geradezu überschlagen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn er sich gerade mal nicht auf dem Schlachtfeld befunden hatte, hatte er zwischen den Schenkeln einer Frau gelegen. Er war berühmt für sein Geschick im Bett, aber wenn keiner der Tricks, die er gelernt hatte, bei Daniela funktionieren würde, wie sollte er sie dann verführen, damit er diese verdammte Erektion los…

»Murdoch«, sie seufzte schläfrig, »mein Höschen ist nass.«

Er stieß lautstark den Atem aus. »Ach, tatsächlich?« Was war denn bloß mit seiner Stimme los?