Elfenschiffe - Dennis L. McKiernan - E-Book

Elfenschiffe E-Book

Dennis L. McKiernan

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Beschreibung

Seit ewigen Zeiten hat sich das kleine Volk Mithgars vor der Welt verborgen. Doch als ihr Gefährte auf mysteriöse Weise verschwindet, verlässt Jinnarin das Versteck und macht sich auf die gefährliche Suche. Was hat es mit ihren Visionen auf sich, in denen sie sich an Bord eines unheimlichen schwarzen Schiffes und an der Seite eines geheimnisvollen Elfen sieht?

Mit „Elfenschiffe“ hat Bestsellerautor Dennis L. McKiernan erneut ein packendes Fantasy-Abenteuer geschaffen.

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Seitenzahl: 484

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Das Buch

Seit ewigen Zeiten verbirgt sich das kleine Volk der Fuchsreiter vor den Augen der Welt. Doch nun sieht die junge Jinnarin die Zeit gekommen, den geschützten Wald zu verlassen. Denn seitdem ihr Gefährte Farrix verschwunden ist, wird sie von seltsamen Träumen gequält, in denen sie ein geheimnisvolles Kristallschloss, einen hellgrünen Ozean und ein bedrohliches schwarzes Schiff sieht. Nur einer kann ihr helfen, die magischen Orte aus ihren dunklen Visionen zu finden: der Elfen-Kapitän Aravan, der mit seinem Schiff seit Äonen die Meere Mithgars befährt. Gemeinsam mit Aravans treuer Besatzung und dem Magier Alamar begeben sich die Fuchsreiterin und der wagemutige Elfen-Kapitän auf eine Fahrt, die das Schicksal der ganzen Welt besiegeln soll …

Dennis L. McKiernans MITHGAR-Romane:

Bd. 1: Zwergenkrieger Bd. 2: Zwergenzorn Bd. 3: Zwergenmacht Bd. 4: Elfenzauber Bd. 5: Elfenkrieger Bd. 6: Elfenschiffe Bd. 7: Elfensturm Bd. 8: Magiermacht Bd. 9: Magierschwur Bd. 10: Magierkrieg Bd. 11: Magierlicht

Der Autor

Dennis L. McKiernan, geboren 1932 in Missouri, lebt mit seiner Familie in Ohio. Mit seinen Romanen aus der magischen Welt Mithgar gehört er zu den erfolgreichsten Fantasy-Autoren der Gegenwart.

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDer AutorWidmungEin Teil von MithgarVorwortANMERKUNGEN DES AUTORS1. Kapitel - NORDLICHT2. Kapitel - EIN NÄCHTLICHER BESUCHER3. Kapitel - KRÄUTERTEE UND WILDER HONIG4. Kapitel - TRÄUME UND ZEICHEN5. Kapitel - KAIRNCopyright

Für meine SchwesterDonna Lorraine,die ein wundervolles Geschöpf ist

Ein Teil von Mithgar

Map J.J Palmer

Vorwort

Vor der Separation … Das ist eine Wendung, die in meinen auf Mithgar spielenden Geschichten mehr als einmal auftaucht.

Vor der Separation.

Das hat mit einer anderen Wendung zu tun: Es war einmal.

Sehen Sie, wenn die alten Geschichten stimmen, dann war es einmal, dass auf diesem Planeten Völker der Sage und Wesen der Fabel gelebt haben. Neben der Menschheit haben diese fantastischen Wesen existiert – Nymphen und Feen, Elfen und Kobolde, Chimären und Wurzelgnome und die Sphinx … und was einem sonst noch einfällt.

Es war einmal … vor der Separation.

Sehen Sie, es muss eine Separation gegeben haben, denn die sagenhaften Völker und mystischen Wesen sind nicht mehr da, und ich bin sicher, dass wir sie nicht ausgerottet haben – dafür sind sie viel zu schlau, viel zu magisch –, also müssen sie einfach fortgegangen sein.

Aber wohin sind sie gegangen?

Irgendwohin! Nach Nimmerland! Ins Zwielicht! In den Morgen!

Warum? Warum sind sie gegangen?

Ich habe eine Theorie:

Irgendwann hat die arrogante Menschheit die ganze Welt und das Recht für sich beansprucht, mit ihr zu tun, was ihr beliebt. Sie war unersättlich und hat sich vermehrt und vermehrt und vermehrt, scheinbar ohne Grenzen. Und wohin der Mensch auch ging, schändete er das Land und vergiftete den Boden, die Luft und die Gewässer der Welt. Und langsam und allmählich wurden die legendären Wesen und Völker in immer kleinere Enklaven zurückgedrängt. Ständig haben sie gehofft, die Menschheit werde sich ändern, den Schaden sehen, den sie anrichtet, und die Zerstörungen rückgängig machen. Lange haben sie geglaubt, die Menschheit werde endlich anfangen, die Erde zu verehren, die sie am Leben erhält. Doch es sollte nicht sein, denn die Menschheit setzte ihren Weg der mutwilligen Zerstörung fort.

Und so kam der Tag, als der Schaden einen Punkt erreichte, an dem die Völker der Legende sich nicht mehr damit abfinden konnten, was die Menschheit getan hatte und auch weiterhin tat. Also nahmen sie die Fabelwesen mit sich und gingen, trennten sich von der zerstörerischen Bestie namens Mensch. Sie verließen diese Welt und gingen an einen Ort ohne Menschen.

Das war die Separation.

Sie mögen sich fragen: »Ob er das wohl wirklich glaubt?«

Meine Antwort lautet. »Schauen Sie sich um. Sehen Sie irgendwo Fabelwesen oder legendäre Völker? Oder sehen Sie vielmehr überall die Verwüstungen der Menschheit?«

Vielleicht eines Tages, wenn die Menschheit vernünftig wird und ihr etwas an dieser Welt liegt, wenn sie damit beginnt, die Zerstörungen rückgängig zu machen, die sie angerichtet hat, wenn sie Erde, Luft und Wasser säubert und Wälder, Wiesen, Berge und die Wildnis wieder zu dem macht, was sie einmal waren, wenn sie Maßnahmen ergreift, um ihre Zahl zu reduzieren, wenn sie all das tut, könnte es vielleicht sein, dass die Völker der Legende und die Fabelwesen zurückkehren.

Ich würde es jedenfalls hoffen, denn die Welt ist ohne sie ein traurigerer Ort.

Vor der Separation.

Das sind Worte, bei denen mir die Tränen kommen.

Dennis L. McKiernan

ANMERKUNGEN DES AUTORS

Die in diesem Buch erzählte Geschichte findet vor der Separation und vor dem Großen Bannkrieg statt, und daher können die Rûpt nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tage frei umherstreifen, obwohl es heißt, dass sie ihre Missetaten lieber in der Dunkelheit anstatt im Licht der Sonne begehen.

Diese Geschichte wurde aus den Fragmenten eines Logbuchs des Elfenschiffs Eroean rekonstruiert. An mehreren Stellen habe ich die Lücken mit Einschüben aus anderen Quellen gefüllt, aber im Wesentlichen hält die Geschichte sich minutiös an die Vorlage.

Wie in anderen Werken von mir habe ich transkribiertes Altgriechisch benutzt, um die Sprache der Schwarzmagier darzustellen, und Latein für alle anderen Magier.

In vielen Fällen reden unter dem Druck des Augenblicks Pysk, Zwerge, Menschen, Magier, Elfen und andere in ihrer Muttersprache. Um jedoch lästige Übersetzungen zu vermeiden, habe ich, wo erforderlich, ihre Worte in Pellarion aufgeschrieben, der Umgangssprache Mithgars. Einige Worte und Redewendungen eignen sich jedoch nicht für die Übersetzung, und diese habe ich unverändert gelassen. Darüber hinaus mögen verschiedene Wörter falsch aussehen, sind tatsächlich aber korrekt – so ist zum Beispiel DelfHerr nur ein einzelnes Wort, obwohl mitten im Wort ein großes H steht.

Die Elfensprache Sylva ist sehr altertümlich und förmlich, aber im Interesse der Lesbarkeit sind die meisten altertümlichen Ausdrücke und Redewendungen eliminiert worden.

Die Sprache der Kinder des Meeres ist mit Zirp-, Schnalz-, Pfeif- und Klick-Lauten durchsetzt. Zwei dieser Laute sind durch die Zeichen »!« und »¡« dargestellt, ein »Tick« durch »!« und ein »Tock« durch »¡«.

Für die Neugierigen: Das w in Rwn wird wie uu ausgesprochen (w ist schließlich nichts anderes als ein doppeltes u). Rwn wird also nicht Renn ausgesprochen, sondern Ruhn.

Fuchsreiter, FuchsreiterWohin willst du geschwind?

Meine Liebe zu finden,ich durchstreife die Welt

wo es ihn auch hältund zieh mit dem Wind

Träume sind manchmal nur bunte Bilderin einem unbeständigen Schattenland.

1. Kapitel

NORDLICHT

Winter, 1E9572 – 73

[Zweiundzwanzig Monate zuvor]

Farrix stand im hüfthohen Schnee unter dem winterlichen Himmel auf der Kuppe des Hügels und beobachtete das Schauspiel des Nordlichts, dessen Farben willkürlich zwischen den verschiedenen Schattierungen von Karmesin und Safran, Jade, Indigo und Lavendel hin und her wechselten.

Plötzlich … »Heda, Jinnarin, hast du das gesehen?«

»Was denn?«

Farrix wandte sich der Frau neben ihm zu. »Das Nordlicht. Es kam mir so vor, als hätte ich einen Blitz gesehen und eine Wolke aus Licht, eine große Wolke, die nach Süden strebt, dorthin« – Farrix zeigte zum Osthorizont – »und nach unten. Ich bin sicher, dass ich mich nicht getäuscht habe.«

Jinnarin schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht hingesehen.«

»Hm. Ich frage mich …«

»Was fragst du dich?«

»Ich frage mich, ob diese Magier etwas im Schilde führen. Ich meine, ich beobachte das Nordlicht schon mein Leben lang, aber noch nie …«

»Ach, Farrix, du glaubst immer, dass die Magier etwas im Schilde führen.«

»Trotzdem, Jinnarin …«

»Mein Liebster«, unterbrach ihn Jinnarin, »ich sage, wir vergessen die Sache und kehren zurück zu …«

»He! Da war schon wieder eine«, rief Farrix. »Sie ist nach Süden gestoben, so wie die erste.«

Jinnarin drehte sich um und betrachtete lange den Nordostrand des nächtlichen Himmels … ohne Erfolg, denn keine andere Wolke löste sich aus dem sich windenden Vorhang gespenstischen Lichts – zumindest keine, die sie gesehen hätte.

Farrix starrte ebenfalls suchend durch das winterlich kahle Geäst der ehrwürdigen Bäume Darda Glains, ohne etwas zu finden.

Im Laufe des nächsten Monats sah Farrix noch öfter leuchtende Wolken vom Nord- zum Osthorizont fliegen, wenn er das Nordlicht beobachtete. Schließlich kam er zu Jinnarin – mit einem Rucksack auf dem Rücken, seinem Bogen in der Hand und einem gefüllten Köcher auf dem Rücken – und sagte: »Liebste, ich ziehe los, um den Wolken zu folgen. Ich muss wissen, wohin sie fliegen.«

Jinnarin sah sein nach vorn gerecktes Kinn und erkannte, dass sie ihn nicht von seinem Entschluss abbringen konnte, dieses Phänomen zu ergründen, was immer sie auch vorbringen mochte. Also umarmte und küsste sie ihn schweren, aber nicht übermäßig schweren Herzens … denn sie und Farrix waren bereits seit einigen Millennien Gefährten, und Jinnarin hatte sich mit seinen Eigenarten abgefunden.

Mit einem Pfiff schwang Farrix sich auf Rhu und ritt in nordöstlicher Richtung durch Darda Glain, während Jinnarin vor dem hohlen Baum stand, in dem sie wohnten, und ihrem Liebsten zum Abschied zuwinkte.

2. Kapitel

EIN NÄCHTLICHER BESUCHER

Anfang Frühjahr, 1 E9574

[Sechs Monate zuvor]

In einer kleinen Kate in den Ausläufern Kairns, der großen Stadt auf der Insel Rwn, hörte ein älterer Mensch – das heißt, mit seinen weißen Haupt- und Barthaaren sah er wie ein älterer Mensch aus – ein leises Klopfen an seiner Tür. Er wandte den Blick nicht von seinem Apparat, sondern murmelte weiter vor sich hin, während er am Astrolabium entlang durch die offene Dachluke und in den nächtlichen Frühjahrshimmel spähte.

Wieder klopfte es an die Tür.

»Geht weg!«

Leise, ganz leise, hallte noch ein Klopfen durch den dunklen Raum.

»Ich sagte, geht weg! Ich bin beschäftigt!«

Wieder das beharrliche Klopfen.

»Ach, verflixt!« Verärgert beschrieb der ältere Mensch eine Geste, und ein weicher blauer Schein nahm vor ihm Gestalt an. »Schon gut, schon gut, ich komme!«, rief er übellaunig, während er eine Notiz in sein Tagebuch kritzelte, das aufgeschlagen vor ihm auf dem Stativ für das Astrolabium lag.

Der ältere Mann schlug das Tagebuch zu, glitt von dem hohen Hocker, auf dem er saß, und humpelte durch den Raum, während er vor sich hinmurmelte: »Nicht genug, dass einem die Herdfeuer und Straßenlaternen aus der Stadt in die Quere kommen, nein, es muss auch noch irgendein Schwachkopf vorbeischauen und …«

Nachdem er die Tür aufgerissen hatte und in unfreundlichem Tonfall anhub, »Nun was wollt Ihr …?«, verstummte der Mann abrupt, denn auf seiner Schwelle stand eine winzige Person, nicht größer als zwölf Fingerbreit. Sie war in verschiedene Grautöne gekleidet und trug einen winzigen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken. Die Haare waren mausbraun, die Augen waren kobaltblau, und hinter ihr stand ein schwarzfüßiger Rotfuchs.

Die kleine Frau sah den Mann an, dessen Gesicht vom blauen Schein erleuchtet war und in dem gespenstischen Licht unheimlich leuchtete. Dennoch straffte sie die Schultern und fragte: »Seid Ihr Alamar der Magier?« Obwohl sie eine hohe Stimme hatte, klang ihre Stimme weich.

»Ahem! Ich hätte nie gedacht, eine Pysk auf meiner Türschwelle zu sehen.«

»Seid Ihr Alamar der Magier?«, wiederholte die Frau.

Als der Mann nickte, breitete sich ein Ausdruck der Erleichterung auf ihrem Gesicht aus. »Ach, ich bin ja so froh. Ich heiße Jinnarin« – sie zeigte auf den Fuchs – »und Rux und ich sind weit gereist, um Euch zu finden. Ihr müsst wissen, dass Farrix verschollen ist.«

3. Kapitel

KRÄUTERTEE UND WILDER HONIG

Anfang Frühjahr, 1E9574

[Sechs Monate zuvor]

Während Jinnarin einen Gurt des Geschirrs löste und dem Fuchs das Gepäck abnahm, wühlte Alamar in einem Schrank herum und murmelte: »Kräutertee. Kräutertee. Ha! Ganz hinten – verwünschte Mäuse.«

Ein Lächeln huschte über Jinnarins Gesicht. Farrix hat gesagt, dass Alamar ein verschrobener Gelehrter ist, aber er kann doch nicht ernsthaft glauben, dass die Mäuse sich gegen ihn verschwören und seinen Tee verstecken. Sie stellte ihr Gepäck unweit des Herdes ab und wählte dann Zweige aus der Kiste mit den Holzscheiten daneben aus, die sie auf die matte Kohlenglut legte.

Alamar humpelte zum Herd. »Ihr werdet auch einen Tee trinken wollen, oder?«

»O ja, bitte«, antwortete Jinnarin, die Reisig auf die aufflackernden Flammen legte, während Rux sich vor dem Herd zusammenrollte.

Alamar hakte einen kleinen Kupferkessel ins Kesseleisen und drehte ihn so, dass er über dem Feuer hing. Ohne ein weiteres Wort kehrte der Magier auf seinen Hocker vor dem Astrolabium zurück und starrte wieder durch die geöffnete Dachluke zu den Sternen empor. Einen Augenblick später entfuhr ihm ein empörtes »Verwünscht!«. Er warf einen grimmigen Schulterblick auf das flackernde Feuer und riss murmelnd an der Kette der Dachluke, die daraufhin mit lautem Knall zufiel. Rux sprang auf und schaute sich erschrocken um. Jinnarin war ebenfalls verdutzt.

Mit einer wegwerfenden Handbewegung kritzelte Alamar noch eine letzte Notiz in sein Tagebuch und murmelte dabei, »Pest! Ich habe es verpasst«, um sich dann von seinem Hocker zu erheben, während Jinnarin Rux beruhigte, der den Magier argwöhnisch beäugte.

Alamar humpelte zu einem großen, unaufgeräumten Schreibtisch mit Rolljalousie und legte das Tagebuch zwischen Schriften, dicken Wälzern und verstreuten Papieren ab, um dann ein Pergament aus einer Lade zu ziehen. Einen Moment lang starrte er mit finsterer Miene darauf, nur um es dann wieder zusammenzurollen und in die Lade zurückzustopfen.

Der Kessel fing an zu pfeifen, und das unerwartete Geräusch brachte Rux wieder auf die Beine. Der Fuchs stellte sich zwischen Jinnarin und den Magier, die Nackenhaare gesträubt und die scharfen Reißzähne gebleckt.

Alamar funkelte das Tier lediglich an und humpelte zum Kessel, während Jinnarin Rux wieder beruhigte, wodurch sich die Nackenhaare des Tiers langsam wieder legten.

Alamar schaufelte derweil Kräuter in eine Porzellankanne und sah Jinnarin finster an. »Habt Ihr einen Becher?« Der Magier füllte die Kanne mit dampfendem Wasser.

Jinnarin suchte in dem Gepäck, das Rux getragen hatte, und holte eine ausgehöhlte Eichel heraus, an der seitlich ein Henkel und unten ein gerader Boden angebracht war.

Alamar kehrte zu seinem Schrank zurück, machte sich darin zu schaffen, und holte eine irdene Tasse und ein kleines Tongefäß mit Honig heraus. Er lugte in die Tasse, drehte sie um – wobei er »Verwünschte Mäuse!« murmelte – und schlug mit dem Rand gegen die Tischkante. Dann lugte er noch einmal hinein, was Rux veranlasste, sich neuerlich zu erheben.

»Hört her, Pysk, Ihr solltet etwas deswegen unternehmen — wegen Eurem Hund. Du meine Güte, er ist nervös wie ein wildes Tier.«

»Rux ist ein ›wildes Tier‹, Alamar … und er ist kein Hund! Und wenn Ihr nicht solchen Lärm machen würdet …«

Augenblicke später rührte Alamar einen Klecks Honig in das dampfende bernsteinfarbene Getränk, das vor ihm stand, und richtete dann den Blick aus seinen grünen Augen auf den Besuch, der mit untergeschlagenen Beinen auf der grob gezimmerten Tischplatte saß. »Also gut, was hat es damit auf sich, dass Farrix verschollen sein soll?«

Jinnarin betrachtete den alten Menschen – oder war er ein Elf? Seine Augen standen etwas schräg, und seine Ohren waren ein wenig spitz, aber beide Merkmale waren weniger ausgeprägt als bei den Elfen. Farrix hatte gesagt, Magier seien so – weder Mensch noch Elf, sondern etwas dazwischen, und nun konnte Jinnarin sich selbst davon überzeugen. Alamar trug ein blaues Gewand und ein goldenes Armband mit einem matten roten Stein am linken Handgelenk.

»Wollt Ihr nur dasitzen und mich anstarren, oder werdet Ihr mir stattdessen von Farrix erzählen?«

Jinnarin schüttelte den Kopf, um sich von allen Ablenkungen zu befreien, und begann dann.

»Im Winter vor dem letzten meinte Farrix, etwas Eigenartiges im Nordlicht gesehen zu haben – große Lichtwolken, die nach Osten trieben. Nicht in jeder Nacht, aber er hat es mehrfach gesehen, als er das Nordlicht beobachtet hat …«

»Lichtwolken? Die nach Osten zogen?«

»Nun, von Norden nach Osten.«

Alamar zog seine buschigen weißen Augenbrauen in die Höhe. »Hm, also östlich von Darda Glain. Wie weit östlich?«

»Wie weit?« Jinnarin zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht.«

»Ach, kommt, Pysk, war es sehr nah oder weit weg?«

Jinnarin drehte die Handflächen nach oben. »Ich habe nichts gesehen – ich habe nicht danach Ausschau gehalten –, aber Farrix meinte, es sei ein- oder zweihundert Meilen entfernt. «

»Ha! Also auf der anderen Seite von Rwn.« Mit einer Geste forderte er sie auf, ihren Bericht fortzusetzen.

Jinnarin trank einen Schluck aus ihrer Eicheltasse. »Ungefähr zwei Monde, nachdem er sich auf die Suche gemacht hatte, kehrte Rhu, sein Fuchs, mit einer Nachricht von Farrix heim.« Jinnarin griff in ihre Weste und holte ein hauchdünnes Pergament heraus, das sie entfaltete und Alamar reichte.

Der alte Magier starrte blinzelnd auf das winzige Schriftstück. »Nein. Zu klein. Das kann ich nicht lesen.« Er gab Jinnarin das Pergament zurück. Die Pysk nahm die Nachricht und glättete sie auf dem Tisch vor sich.

»Meine Liebste«, begann sie …

Meine Liebste,

ich stehe hier am Ufer einer Insel, und die Wolken treiben weiter nach Osten. Es hat jedoch den Anschein, als flögen sie abwärts und landeten nicht weit entfernt von hier in der See. Ich habe mir ein Kanu gebaut und beabsichtige, ein Stück aufs Meer zu paddeln, um festzustellen, wo sie auftreffen – nicht weit hinter dem Horizont, glaube ich.

Ich habe Rhu aufgetragen, eine Weile zu warten, einen Tag oder so. Wenn er ohne mich zurückkehrt, weißt du, dass ich mich wieder in eines meiner Abenteuer gestürzt habe.

Ich liebe dich

Farrix

Jinnarin faltete das Pergament zusammen und schob es wieder in die Innentasche ihrer Weste zurück. »Rhu hat mir die Nachricht gebracht. Der Frühling kam und dann der Sommer, und Farrix ist nicht wieder zurückgekehrt. Im Herbst sind Rux und ich dann Rhu dorthin gefolgt, wo er Farrix zuletzt gesehen hatte: zu einer Halbinsel an der Südostküste von Rwn …«

»Hm!«, brummte Alamar nachdenklich. »Woher habt Ihr gewusst, dass er Euch zur richtigen Stelle führt? Ich meine, sie sind nicht gerade sonderlich schlau. Wir reden hier über Füchse! Woher wisst Ihr also, dass er Euch überhaupt in die Nähe geführt hat?«

Vor Empörung stieg Jinnarin die Röte ins Gesicht. »Sie sind unsere Gefährten! Und vertrauenswürdig obendrein! Farrix’ Rhu würde bei einer so wichtigen Angelegenheit keinen Fehler machen.« Sie warf einen Blick auf Rux, der vor dem Feuer schlief, als wolle sie sich vergewissern, dass er diese … diese Beleidigung des Fuchsvolks nicht gehört hatte. »Überwindet Eure Zweifel, Alamar – Rhu hat uns ganz gewiss an die richtige Stelle geführt.«

Alamar warf ebenfalls einen – grimmigeren – Blick auf Rux und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf die Pysk. »Und …?«

»Und nichts. Da war keine Spur von Farrix.«

Wieder schaute Alamar Jinnarin finster an. »Also …?«

»Also bin ich zu Euch gekommen. Farrix hat immer gesagt, falls wir einmal in Schwierigkeiten geraten würden, könnten wir uns immer auf die Hilfe von Alamar dem Magier verlassen. Schließlich hat Farrix Euch vor dem wilden Eber gerettet und …«

»Ach der war es also!«, entfuhr es Alamar. »Farrix!« Der gereizte Ausdruck verschwand von seinem Gesicht und machte offenkundiger Freude Platz. Er nahm den Kessel und goss Tee in Jinnarins Eicheltasse nach, die prompt überlief, sodass die Pysk aufsprang und sich von der rasch größer werdenden Lache entfernte. Ohne das Missgeschick überhaupt zu bemerken, ließ Alamar einen großen Klecks Honig in die winzige Tasse fallen, der weitere Flüssigkeit überschwappen ließ. »Nun, Frau … Frau …«

»Jinnarin.« Sie betrachtete ihre Tasse mit einiger Bestürzung.

»Ah, ja, Jinnarin. Nun, Frau Jinnarin, warum habt Ihr das nicht gleich gesagt? Jeder Freund von Farrix ist auch ein Freund von mir.«

»Wie kann das denn sein, Alamar? Ich meine, es hat den Anschein, als hättet Ihr nicht einmal seinen Namen gekannt. «

»Den kannte ich auch nicht!«, rief der alte Magier. »Aber mein Lebensretter, das war schon ein Pysk – hat den Eber mit einem seiner winzigen Pfeile erlegt, ja, das hat er. Aber angesichts meiner Schmerzen … nun ja, den Namen habe ich jedenfalls gar nicht mitbekommen. Er hat sich länger als eine Woche um mich gekümmert, und als es mir wieder so gut ging, dass ich alleine im Lager zurechtkam, hat er Hilfe geholt. Als dann die Hilfe kam, hat er sich versteckt, und so hatte ich keine Gelegenheit, ihm zu danken.«

»Und seinen Namen habt Ihr die ganze Zeit nicht gewusst? «

Alamar schüttelte den Kopf. »Ich nannte ihn Pysk. Das schien damals zu reichen. Dann war er verschwunden, und da war es dann zu spät … aber ich habe mich immer gefragt, wer dieser Pysk wohl war …«

Ein Ausdruck der Entrüstung zeigte sich auf Jinnarins Gesicht. »Er war Farrix! Der beste Fuchsreiter überhaupt! Und es ist ein Wunder, dass er jemandem geholfen hat, der so ungehobelt ist, wie Ihr es seid. Man stelle sich vor, nicht einmal den Namen seines Wohltäters zu kennen! Und dann habt Ihr auch noch seinen Fuchs beleidigt!« Jinnarin verschränkte die Arme und kehrte dem Magier empört den Rücken zu.

Bevor Alamar ein Wort des Erstaunens äußern konnte, forderte Jinnarin ihn auf: »Und macht diese Schweinerei sauber, die Ihr mit dem Tee angestellt habt.«

Alamar funkelte einen Moment ihren Rücken an und schien kurz vor einer Erwiderung zu stehen, aber sie schaute ihn nicht an. Schließlich biss der Magier die Zähne zusammen, nahm die Eichel, spülte sie gründlich aus und wischte den Tisch trocken. Achtsam füllte er dann ihr winziges Gefäß mit Kräutertee und fügte einen winzigen Tropfen wilden Honigs hinzu, um ihn zu süßen.

Mittlerweile schämte Jinnarin sich ob ihres Ausbruchs, und so setzte sie sich mit gesenktem Haupt und weigerte sich, den Magus anzusehen. Alamar wiederum hatte sich beruhigt und inzwischen die Wahrheit in ihren Worten erkannt.

So saßen sie eine Weile schweigend da, weil niemand bereit war, etwas zu sagen.

Alamar spielte mit seinem Armband, doch schließlich — »Ahem« — räusperte er sich. »Ist Farrix früher schon einmal verschwunden?«

»O ja«, antwortete Jinnarin leise. »Mehrfach in den Millennien, seit ich ihn kenne.« Sie hob den Kopf und sah den Magier an, und ihre Augen waren von Freude erfüllt. »Farrix ist, nun ja – er steckt voller Neugier und kann anscheinend erst Ruhe geben, wenn er die Antwort auf das gefunden hat, was er wissen will.«

»Hm. Dann wäre er ein guter Lehrling … Mag das sein, wie es will, bei diesen anderen Gelegenheiten, Py… ich meine: Jinnarin, war er da lange fort?«

»O ja. Manchmal sogar viele Jahre. Du meine Güte, einmal war er sogar zweiundsiebzig Sommer unterwegs.«

Alamar runzelte seine buschigen weißen Brauen und drehte die Handflächen nach oben. »Aber dann verstehe ich Euch nicht, Jinnarin. Diesmal ist er gerade mal seit etwas über einem Jahr unterwegs. Warum seid Ihr also zu mir gekommen? «

»Das sagte ich schon: Farrix hat immer gesagt, wenn es Schwierigkeiten gäbe, sollte ich zu Euch gehen.«

»Und was bringt Euch zu der Annahme, dass es diesmal Schwierigkeiten gibt?«

Jinnarin holte tief Luft. »Nun, Alamar, diesmal habe ich diese Träume, müsst Ihr wissen.«

4. Kapitel

TRÄUME UND ZEICHEN

Anfang Frühjahr, 1 E9574

[Sechs Monate zuvor]

»Träume?« Alamar richtete seinen stechenden Blick auf die Pysk. »Was für Träume?«

Jinnarins Augen umwölkten sich, da ihre Gedanken sich nach innen richteten. »Träume von einem Kristallschloss hoch über einem hellgrünen Meer.«

»Hm.« Alamar strich sich einen Moment den Bart, dann stand er auf und schlurfte an Rux vorbei, während der Fuchs argwöhnisch ein Auge öffnete und die Schritte des Magiers wachsam verfolgte. Alamar machte sich an der Feuerholzkiste zu schaffen, warf ein Scheit ins Feuer und stocherte mit einem Schürhaken in der Kohlenglut herum. Dann wandte er sich wieder der Pysk zu. »Träume sind manchmal nur bunte Bilder in einem unbeständigen Schattenland. Was bringt Euch auf den Gedanken, dieser Traum könnte etwas anderes sein?«

Jinnarin ließ nicht lange mit der Antwort auf sich warten. »Die klaren und deutlichen Bilder, die ich darin sehe … aber noch wichtiger ist, dass ich Farrix Aura darin erkennen kann.«

Alamars Augen weiteten sich. »Es ist aber keine Letzte Botschaft, oder?«

»Letzte Botschaft?«

»Das ist bei den Elfen Brauch.«

»Nur weiter, Herr Magier, denn ich weiß wenig über die Welt jenseits der Grenzen meines Darda Glain.«

Alamar legte den Schürhaken beiseite, kehrte zu seinem Sessel zurück, nahm die Teekanne und füllte seine Tasse auf. »Wenn ein Angehöriger der Elfen stirbt, kann er auf irgendeine Weise einem anderen Mitglied seiner Rasse die Nachricht von seinem Tode senden.«

Jinnarin schauderte. »Ach, du meine Güte, was für eine furchtbare, zweischneidige Gabe! Fluch und Segen zugleich.«

Alamar nickte. »Das ist sie, Jinnarin. Das ist sie … Aber was Euren Traum angeht …«

»O nein, Alamar, mein Traum ist keine Letzte Botschaft. Wir besitzen diese Gabe nicht … oder diesen Fluch.«

Alamar löffelte Honig in seine Tasse und betrachtete die Pysk dabei. »Ich hatte mich das schon lange gefragt. Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen den Elfen und den Verborgenen. Sehr viele eigentlich.«

Jinnarin grinste. »Aber die Größe gehört gewiss nicht dazu.«

»Ha!«, lachte Alamar, was Rux erneut auf die Beine brachte. »Nein, Pysk, Größe gehört nicht dazu, aber Gewitztheit schon.«

Rux funkelte den Magier an, spürte aber keine üble Absicht in ihm, woraufhin er Anstalten machte, sich wieder vor dem Feuer niederzulassen, obwohl sich das verstimmte Tier dabei diesmal lange um die eigene Achse drehte und auf den Boden unter seinen kreisenden Füßen starrte, als denke es darüber nach, ob es einen Sinn habe, sich in Anwesenheit dieses lauten Alten noch einmal hinzulegen.

Jinnarin schwenkte den Tee in ihrer Eicheltasse und starrte tief hinein, als wolle sie darin Geheimnisse jenseits der Grenzen von Raum und Zeit erkennen. »Aber selbst wenn wir diese … Gabe hätten, Alamar, könnte mein Traum keine Letzte Botschaft sein, denn ich habe ihn schon oft geträumt, und für mich klingt es so, als bekäme man eine solche Nachricht nur einmal. Nein, es ist keine elfische Botschaft. Vielmehr kommt es mir vor wie eine … eine Kunde, eine …«

»Eine Sendung?«, warf Alamar ein.

Jinnarin sah den Magier an. »Ja. Genau. Als wolle Farrix mir etwas mitteilen.«

Alamar spielte mit dem goldenen Armband an seinem linken Handgelenk, in das ein matter roter Stein eingelassen war, während seine Augen ins Leere starrten. »Etwas über ein Kristallschloss, das über einem hellgrünen Meer liegt?«

»Und über ein schwarzes Schiff«, fügte Jinnarin hinzu.

»Ein schwarzes Schiff?« Die Überraschung in Alamars Stimme ließ Rux’ Kopf hochfahren, aber nach einem leisen Pfiff von Jinnarin legte er sich wieder hin.

»Ja, Alamar, ein schwarzes Schiff, jedenfalls glaube ich das.«

Der Magier kippte seinen Sessel nach hinten, sodass er nur noch auf zwei Beinen stand. »Vielleicht, meine Kleine, solltet Ihr mir Euren Traum vollständig erzählen.«

Das Feuer knisterte und prasselte, und Rux döste weiter, während Jinnarin an ihrem Tee nippte und sich sammelte. Der Magier löffelte mehr Honig in seine Tasse und probierte vorsichtig. Zufrieden mit dem Ergebnis legte er den Löffel beiseite und richtete seinen gewohnheitsmäßig stechenden Blick auf die Pysk.

»Der Beginn ist immer unterschiedlich«, murmelte sie mit leiser Stimme.

»Bitte? Was habt ihr gemeint?«

»Ich sagte« – Jinnarin hob die Stimme – »mein Traum beginnt immer anders. Aber wo er auch anfängt, mit der Zeit wiederholen sich die Bilder der vorherigen Nächte immer — als würde der Traum wieder in vertraute Bahnen gelenkt. Und das lässt ihn wie eine … eine Sendung erscheinen: die stete Wiederkehr derselben Bilder.«

Alamar kniff ein Auge zu. »Hm. Das Schattenland ist ein wilder, grenzenloser Ort, an dem unendlich viele verstrickte Pfade durch ungewöhnliche Landschaften ohne Zahl führen … dort immer wieder am gleichen Bestimmungsort einzutreffen, ist äußerst bemerkenswert, bedeutungsschwer und lässt nicht auf eine Laune, auf eine Unwägbarkeit des Geistes schließen, sondern vielmehr auf eine absichtliche Führung … dieser Bestimmungsort … erzählt mir von ihm.«

Jinnarin zuckte die Achseln. »Da gibt es nicht so viel zu erzählen. Ganz egal wo mein Traum auch anfängt, irgendwann kommt immer der Punkt, wo ich durch Wolken fliege. Ich weiß, dass ich fliege, weil ich tief unter mir das Wasser des hellgrünen Meeres sehen kann. Die Wolken ballen sich zusammen und werden dann schwarz, und ich weiß, dass sich ein furchtbares Unwetter zusammenbraut. Die Nacht bricht herein, und ich sehe mich nach einem Unterschlupf um. Es fängt an zu blitzen und zu donnern, Regen peitscht hernieder, riesige weiße Blitze zucken über den schwarzen Himmel und schlagen ins Meer unter mir. Und unten auf den wogenden Wellen jagt etwas, das ich für ein schwarzes Schiff halte, unter vollen Segeln über das sturmgepeitschte Wasser. Der Mast wird immer wieder von den gewaltigen Blitzen getroffen, doch es wird nicht von ihnen beschädigt, sondern segelt immer weiter, und zwar auf eine Insel zu, eine Klippe, die aus dem wogenden Meer ragt.

Zu dieser Insel fliege ich, weil mich etwas oder jemand dorthin zieht – Farrix, glaube ich. Plötzlich befinde ich mich in einer Kristallkammer in luftiger Höhe, und mein Blick fällt auf das Meer. Ich weiß – ohne zu wissen, woher –, dass ich in einem Kristallschloss auf dieser Klippe bin, während tief unter mir, am Fuß eines steilen Felsens, sturmgepeitschte Wellen gegen unnachgiebiges Gestein branden und ins Meer zurückgeschleudert werden. Und die ganze Zeit kann ich das schwarze Schiff in der Ferne sehen, das die wogenden Wellenberge erklimmt und dann in die tiefen Täler stürzt, während ein Blitzstrahl nach dem anderen in seine bebenden Masten einschlägt …

So endet mein Traum. So endet die Sendung.«

5. Kapitel

KAIRN

Anfang Frühjahr, 1 E9574

[Sechs Monate zuvor]

Alamar warf die Hände in die Luft. »Das ist alles? Mehr seht Ihr nicht? Ihr wacht einfach auf?«

Jinnarin holte tief Luft. »Da gibt es noch eine Sache, aber ich sehe nicht, wie …«

»Überlasst mir die Beurteilung, Pysk. Worum handelt es sich bei dieser Sache?«

Wiederum holte Jinnarin tief Luft. »Nur um Folgendes, Alamar: Während ich dieses Schiff beobachte, das auf mich zusegelt, habe ich dieses … dieses Gefühl der Furcht, als werde etwas Schreckliches geschehen … als komme etwas Grässliches näher. Und ich fliehe … wohin? Das weiß ich nicht – ich fliehe einfach. Und dann wache ich auf, vor Furcht zitternd, schweißgebadet und mit Herzklopfen.« Mit zitternden Händen hob Jinnarin ihre winzige Tasse an den Mund und trank.

Alamar schüttelte den Kopf. »Kein gutes Zeichen, Eure Furcht.« Er stand auf, legte noch ein Scheit ins Feuer und wandte sich dann wieder der Pysk zu. »Doch hört gut zu: Nicht alle Bilder in einem Traum sind, was sie scheinen. Dieses schwarze Schiff könnte für etwas ganz anderes stehen … ebenso wie das Kristallschloss, das Gewitter und alles andere … sogar Eure Furcht. Was all das wirklich zu bedeuten hat, kann ich nicht sagen … Wenn Aylis hier wäre, anstatt durch die Welt zu stromern … sie wüsste es wohl.«

Jinnarin sah den Magier an. »Aylis?«

Der Alte ging wieder zu seinem Sessel. »Meine Tochter. Sie ist eine Seherin.«

»Eine Seherin? Was ist eine Seherin?«

Alamar hob eine Augenbraue und schüttelte langsam den Kopf, während es aus Jinnarin hervorbrach: »Na, ich habe Euch doch gesagt, dass ich nicht viel über die Welt jenseits der Grenzen von Darda Glain weiß.«

Der Alte zuckte die Achseln. »Eine Seherin ist …, nun ja, eine Art Magierin, die viel über verborgene Dinge herausfinden kann.«

»Könnt Ihr das nicht auch? Ich meine, haben denn nicht alle Magier die gleichen Fähigkeiten?«

»Ha!«, schnaubte Alamar. Rux öffnete ein Auge und schloss es gleich wieder. »Lachhaft! Alle Magier sollen gleich sein? Ihr macht wohl Witze. Sind alle Verborgenen gleich? Sind alle Fuchsreiter gleich? Was ist denn überhaupt gleich?«

»Regentropfen«, konterte Jinnarin. »Zwillinge. Sterne.«

»Seid nicht albern!«, schnauzte Alamar mit funkelndem Blick. »Selbst Ihr wisst um die Falschheit Eurer Worte.«

Ein Ausdruck des Zorns huschte über Jinnarins Gesicht, und Magier und Pysk saßen lange Augenblicke in wütendem Schweigen da, bis es schließlich von Jinnarin gebrochen wurde. »Ich nehme an«, sagte sie, »dass Regentropfen wohl nicht alle gleich sind, denn es gibt große und kleine, warme und kalte, und manche sind weich und andere hart. Auch bei Zwillingen gibt es Unterschiede, sonst könnten nicht einmal sie selbst einander unterscheiden. Und die Sterne …«

»Die Sterne«, unterbrach Alamar sie, »können hell sein und dunkel, manche sind kaum sichtbar, während andere auch für das bloße Auge hell strahlen. Manche sind verschwommen und andere ganz scharf umrissen. Und sie sind rot und grün und blau und gelb und nehmen auch sonst alle Farben an. Während die meisten fest am Firmament zu stehen scheinen, bewegen sich einige über die Himmelskuppel. Dann gibt es jene, die über das Firmament rasen, die aus dem Nichts kommen, hell leuchten und rasch verglühen. Andere leuchten plötzlich in der Dunkelheit auf, wo zuvor noch kein Stern gestanden hat, um dann allmählich wieder zu verblassen. Und es gibt jene, die aus derselben Schwärze kommen und Nacht um Nacht glühen und leuchtende Schweife hinter sich herziehen, die Unheil und Böses bringen.«

Alamar verstummte, und Jinnarin schauderte scheinbar völlig ohne Grund. Schließlich fragte sie: »Und die Magier?«

»Magier«, murmelte der Alte, »sind wie Regentropfen und Zwillinge und Sterne. Es gibt Ähnlichkeiten, und doch sind alle verschieden.«

»Schneeflocken«, murmelte Jinnarin.

»Hm?«

»Schneeflocken, sagte ich«, antwortete Jinnarin. »Alle gleich, alle verschieden.«

»Genau«, sagte Alamar missgestimmt, »und vergesst das ja nicht.«

Jinnarin biss auf ihre Unterlippe und entgegnete: »Seid unbesorgt, Herr Magier, unwissend mag ich sein, doch ich lerne rasch.«

Wiederum legte sich ein zorniges Schweigen über sie. Schließlich holte Jinnarin tief Luft und fragte: »Und nun, Alamar? Ich habe Euch von Farrix’ Suche berichtet, von seinem Brief, von meinem Traum. Wohin gehen wir von hier aus?«

»Nach Kairn«, antwortete der Magier.

»In die Stadt?«

»Wo sollten wir sonst eine Bibliothek finden?«

»Eine Bibliothek?«

»Gibt es hier ein Echo?«

Jinnarin sprang auf. »Ihr seid der gemeinste alte Starrkopf, den ich je …«

»Und Ihr seid die Unverschämtheit in Person!«, schrie Alamar.

Rux sprang auf, trottete knurrend zur Tür und zog sie mit der Pfote auf. Mit einem gereizten Schulterblick schlich der Fuchs in die Nacht hinaus.

Jinnarin brach in Gelächter aus, während Alamar auf die Stelle starrte, wo soeben noch der Fuchs gelegen hatte. »Genug, Magier«, kicherte die Pysk, »denn mein Fuchs ist weggelaufen, weil er vor unserer Streiterei nicht die Ohren verschließen konnte.

Lasst uns neu anfangen. Was werden wir in der Bibliothek in Kairn suchen?«

Alamar stand auf, ging zur Tür, lugte nach draußen und sah nichts von dem Fuchs. Er schloss die Tür, um die nächtliche Kälte auszusperren. »Wo sonst«, fragte er auf dem Rückweg zu seinem Sessel, »würden wir wohl etwas über ein hellgrünes Meer, ein Kristallschloss und ein schwarzes Schiff herausfinden?«

»Und wo genau ist diese Bibliothek in der Stadt Kairn?«

»Auf der Insel im Fluss Kairn, wo auch die Akademie ist.«

»Und diese Akademie, Alamar, was genau lehrt sie?«

Der Magier trank seinen Tee aus. »Dort studieren Magier, Jinnarin. Dort verbessern wir unsere Kunst.«

Jinnarins Augen weiteten sich. »Eine Universität für Magier? «

Alamar nickte. »Und wir haben eine der besten Bibliotheken auf ganz Mithgar. Ihr und ich, wir werden am morgigen Tag in aller Frühe dorthin aufbrechen und sehen, was wir dort finden können.«

»O nein, Alamar«, protestierte Jinnarin. »Ich kann bei Tageslicht nicht unter den Augen der Menschen wandeln. Nachts sehen sie mich nicht, aber am Tage …«

Alamar seufzte. »Dann gehen wir eben morgen Abend.«

»Warum nicht schon jetzt? Es bleiben noch einige Stunden bis zum Morgengrauen.«

»Seid nicht albern, Pysk«, murmelte Alamar. »Auch ein Magier muss schlafen.«

Ohne ein weiteres Wort stand Alamar auf, ging zu seiner Bettstatt und ließ Jinnarin einfach auf dem Tisch sitzen. Nach einer kurzen Weile trank sie ihren Tee aus und kletterte nach unten, um sich vor das Feuer zu setzen und nachdenklich in die langsam erlöschende Glut zu starren.

Die Nacht legte sich über das Land, und in der kristallklaren Luft erschienen die Sterne einer nach dem anderen am violetten Himmel. Alamar stapfte den gewundenen Weg entlang, von dem aus die Lichter von Kairn in der Ferne zu sehen waren. Neben ihm ritt Jinnarin auf Rux, der lautlos durch die Düsternis tappte.

Früher am Tag hatten sie ein paar Dinge zusammengepackt, wobei Jinnarin ihre Satteltaschen und den Rucksack mit frischen Vorräten gefüllt hatte. In dieser Zeit hatten sie und der Magier nicht viele Worte gewechselt. Alamar hatte die meiste Zeit an seinem Schreibtisch gesessen und Notizen in sein Tagebuch geschrieben. Er hatte Jinnarin jedoch gebeten, eine Skizze vom schwarzen Schiff anzufertigen, und sie hatte dieser Bitte entsprochen. Wenngleich die Zeichnung winzig ausgefallen war, schien der Magier doch damit zufrieden zu sein. Rux war wie üblich auf die Jagd gegangen und hatte seinen Hunger in Wald und Flur gestillt. Der Tag hatte sich in die Länge gezogen, während Jinnarin ruhte, und als in der Ferne die zahlreichen Glocken von Kairn schließlich den Sonnenuntergang verkündeten – wie sie auch für den Sonnenaufgang geläutet hatten –, war Alamar aufgestanden, hatte seinen Rucksack geschultert und ungeduldig wissen wollen, worauf sie noch warteten, woraufhin sie zur Stadt aufgebrochen waren.

Und nun waren sie in der zunehmenden Düsternis unterwegs, jeder in seine eigenen Gedanken versunken.

»Alamar«, fragte Jinnarin, die schließlich das Schweigen brach, »glaubt Ihr wirklich, dass wir etwas über das schwarze Schiff oder das hellgrüne Meer oder das Kristallschloss herausfinden können?«

»Was für eine alberne Frage, Pysk«, knurrte der Magier. »Natürlich können wir das. Habe ich nicht gesagt, dass es die beste Bibliothek auf ganz Mithgar ist?«

»Ich dachte, Ihr hättet gesagt, sie sei eine der besten.«

»Hört auf, Haare zu spalten! Haarspaltereien sind ein Zeichen von Unreife.«

Jinnarin fiel die Kinnlade herunter. Haarspaltereien sind ein Zeichen von … Sie fing an zu lachen.

»Was erheitert euch denn so?« Die Worte des Alten klangen scharf.

»Nichts, Alamar. Gar nichts«, erwiderte sie, während sie vergeblich ihr Gelächter zu unterdrücken versuchte.

Sie gingen schweigend weiter und entfernten sich von Alamars Hügel, und Jinnarin konnte die hellen Lichter von Kairn zwei oder drei Meilen weit entfernt sehen. Während Magier, Fuchs und Pysk dem sanft bergab führenden Weg folgten, fragte Jinnarin: »Und wie gelangen wir zur Universität, wenn sie auf einer Insel mitten im Fluss errichtet worden ist?«

»Mit der Fähre«, antwortete Alamar.

»Oh.«

Schließlich erreichten sie das Ende des Hangs, wo der gewundene Pfad auf eine Ost-West-Handelsstraße traf, der sie nach Westen in Richtung Kairn folgten. Hinter ihnen verschwand die Straße im Osten in der Finsternis, wo sie der Länge einer schmalen Landzunge folgte und dann zum entfernten Kriegswall führte – einem steinernen Verteidigungsbollwerk, das sich über die gesamte Breite der Halbinsel zog –, und dahinter lag das Innere der Insel.

Im Norden hörte Jinnarin das Rauschen des nahen Flusses, dessen Wasser im entfernten Zentralmassiv entsprang, die halbe Insel durchquerte und schließlich dem Vorgebirge folgte und durch die Stadt floss, wo es über einen Abhang schoss und aus großer Höhe ins Meer donnerte.

Sie gelangten an ein kleines Rinnsal neben der Straße, dessen klares Wasser einer steinernen Umfassung entsprang. »Wir rasten hier, Pysk«, sagte Alamar, während er sich auf einen Baumstumpf setzte. »Meine Beine sagen mir, dass ich mich ausruhen muss.«

Jinnarin stieg von Rux ab und näherte sich der Quelle. Während der Fuchs trank, betrachtete Jinnarin den Bogen aus gemauerten Steinen, durch den der Bach plätscherte. »Was ist das hier, Alamar?«

»Das wird hier Elwydds Quelle genannt. Es ist ein Schrein am Straßenrand.«

»Meine Güte«, rief Jinnarin. »Er sieht aus, als würde sich niemand darum kümmern. Adons Tochter hat etwas Besseres verdient.« Die winzige Pysk machte sich daran, einzelne Blätter aufzusammeln, die auf dem Felsen lagen. Als sie zwei Hände voll zusammen hatte, fegte sie damit den Quellstein sauber, dann trat sie ein paar Schritte zurück und begutachtete ihr Werk. Sie schaute sich um, pflückte eine winzige blaue Frühlingsblume und legte sie auf den Steinbogen. »So, jetzt ist es besser.«

»Macht Ihr so etwas oft?«, fragte Alamar.

»Was denn?«

»Schreine ausfegen«, antwortete der Magier.

Jinnarin schüttelte den Kopf. »O nein. So etwas gibt es bei uns in Darda Glain gar nicht.«

»Und doch verehrt Ihr Elwydd.«

Titel der amerikanischen Originalausgabe VOYAGE OF THE FOX RIDER — PART 1 Deutsche Übersetzung von Christian Jentzsch

Deutsche Erstausgabe 09/2006 Redaktion: Natalja Schmidt

Copyright © 1993 by Dennis L. McKiernan Copyright © 2006 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH www.heyne.de

Titelillustration: Arndt Drechsler Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN 978-3-641-08108-9

www.randomhouse.de

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