Elfenzauber - Dennis L. McKiernan - E-Book

Elfenzauber E-Book

Dennis L. McKiernan

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Beschreibung

Was wäre, wenn viele Jahre nach dem gewaltigen Ringkrieg das Volk der Elfen zurückkehren würde, um das Schicksal der Welt erneut zu beeinflussen? – Dies sind die Abenteuer des tapfersten aller Elfenkrieger, der eine Macht bezwingen muss, wie sie die Welt noch nie gesehen hat.

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Seitenzahl: 431

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Das Buch

Tief in Mithgars Wäldern führt die geheimnisvolle Rasse der Elfen ein friedliches Dasein. Doch die Seherin Arin wird von schrecklichen Visionen gequält, die ihr immer wieder zeigen, wie die Heimat der Waldelfen von Krieg überzogen wird. Gemeinsam mit einigen Gefährten macht sie sich auf den Weg zur Zaubererfeste im Schwarzen Berg, wo sie erfährt, dass ein uraltes und mächtiges Artefakt verschwunden ist, das Tod und Vernichtung über ganz Mithgar bringen kann – der Drachenstein. Arin ist dazu ausersehen, einer uralten Prophezeiung zu folgen, um den Stein zu finden. Ihre Suche führt sie vom tiefsten Süden bis zum höchsten Norden und in die entlegensten Winkel der Welt. Zusammen mit der jungen Schwertkämpferin Aiko und dem Nordmann Egil muss sich die Elfe zahllosen Gefahren entgegenstellen, um die Macht des Steins aufzuhalten …

In der Tradition des »Herrn der Ringe« legt Dennis L. McKiernan – der Autor der Bestseller »Zwergenkrieger«, »Zwergenzorn« und »Zwergenmacht« – mit »Elfenzauber« ein exotisches Fantasy-Abenteuer vor, das den Vergleich mit dem großen Vorbild nicht zu scheuen braucht.

Der Autor

Dennis L. McKiernan, geboren 1932 in Missouri, lebt mit seiner Familie in Ohio. Mit seinen Romanen aus der magischen Welt Mithgar gehört er zu den erfolgreichsten Fantasy-Autoren der Gegenwart.

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDer AutorVorwortANMERKUNGEN DES AUTORS1. kapitel2. kapitel3. kapitelCopyright

»Nur so viel, Zauberer Zelanj: Ich will wissen, ob Visionen Dinge vorhersagen, die eintreffen müssen, oder vielmehr von solchen Dingen künden, die eintreffen könnten.«

»Ha! Ihr habt eine der ältesten Fragen von allen gestellt: Ist das Schicksal unwandelbar und kann nicht verändert werden, oder haben wir die freie Wahl? Was die Beantwortung dieser Frage angeht, dauert die Debatte noch an. Ich weiß die Antwort darauf jedenfalls nicht.«

Ein Teil von Mithgar

Vorwort

Wenn ich so über die Landschaft Mithgars schaue, sehe ich dort viele rote Pantoffeln liegen, die nur darauf warten, untersucht zu werden, denn jeder hat eine Geschichte zu erzählen, wenn ich ihn nur eingehend genug untersuche.

Rote Pantoffeln? Rote Pantoffeln? Wovon um alles in der Welt redet der Mann?

Hier ist des Rätsels Lösung:

Obwohl dies meines Wissens nach niemals geschehen ist, kann ich mir doch vorstellen, wie Dr. Watson eine Erzählung wie folgt beginnt: »Es begab sich, kurz nachdem Holmes und ich den eigenartigen Fall des einzelnen roten Pantoffels gelöst hatten, dass es an der Tür unseres Domizils Baker Street 221-B klopfte. Als ich die Zeitung beiseite legte und Anstalten machte, mich zu erheben, legte Holmes einen Finger auf die Lippen und zischte: ›Öffnen Sie die Tür auf keinen Fall ohne Ihre Pistole in der Hand, Watson, denn es kann niemand anders sein als der bengalische Meuchelmörder …‹«

Und Watson würde fortfahren, uns über einen faszinierenden Fall aufzuklären.

Aber wissen Sie was? Wir finden niemals etwas über den roten Pantoffel heraus, der in seinem einleitenden Satz Erwähnung fand.

Doch jene von uns, die Watsons Erzählungen begierig verfolgt haben, wissen, dass zwischen diesen Fällen, von denen wir gelesen haben, der große Detektiv unterwegs war und andere heikle Probleme gelöst hat. Wenn wir nur die Augen offen hielten, könnten wir ihn vielleicht tatsächlich dabei beobachten, wie er Hinweise findet, die für ihn offenkundig, für uns aber vollkommen obskur sind … das heißt, bis sie erläutert werden, wozu Lestrade dann sagen könnte: »Oh, wie simpel. Das muss doch jedem auffallen.« – Worauf Sie wetten können.

Ich wiederhole, soweit ich weiß, hat Watson keinen Fall des Roten Pantoffels geschildert und auch nichts über einen bengalischen Meuchelmörder veröffentlicht … aber solche Dinge hätte es gewiss geben können. Schließlich gab es den Fall der Riesenratte von Sumatra, und es gab auch eine Schilderung der Addington-Tragödie, die Geschichte des roten Egels, den schrecklichen Tod Crosbys des Bankiers und viele, viele andere Fälle, auf die angespielt wird, die aber niemals veröffentlicht wurden … jeder einzelne ein roter Pantoffel in der Holmesschen Landschaft.

Rote Pantoffeln liegen auch überall in Mithgar herum, und ab und zu hebe ich einen auf, untersuche ihn eingehend auf die beste mir mögliche Sherlock-Art und erzähle Ihnen, was ich sehe.

Einige rote Pantoffeln aus Mithgar waren: ein kleines silbernes Horn, das im Hort Schlomps gefunden wurde, ein Logbucheintrag hinsichtlich eines Kristallspeers, die Erwähnung eines lange gehüteten Geheimnisses der Châkka, ein Steinmesser, das in einem eisernen Turm verschwand, ein silbernes Schwert, das einem erschlagenen Elfenfürsten aus der Hand genommen wurde, und einige mehr.

Einige rote Pantoffeln sind gewaltig, wie zum Beispiel ein Wandteppich, auf dem ein Schlüsselaugenblick des Großen Bannkrieges dargestellt wird. Andere sind klein, haben aber gewaltige Auswirkungen, wie zum Beispiel ein Steinring, der einem unmöglichen Kind gegeben wird. Dies alles sind rote Pantoffeln, die ich eines Tages aufheben könnte, um nachzuschauen, welche faszinierenden Geschichten sie Ihnen und mir zu erzählen haben.

Aber es gibt ein Problem bei der Untersuchung, denn jedes Mal, wenn ich einen aufhebe, um seine Geschichte zu erzählen, scheinen mehr rote Pantoffeln herauszufallen.

Nun ja …

Wie dem auch sei, begleiten Sie mich, wenn ich nun einen dieser roten Pantoffeln aufhebe, und lassen Sie uns nicht nur nachschauen, was wir finden, sondern auch, welche anderen roten Pantoffeln vielleicht herausfallen.

- DENNIS L. MCKIERNAN

ANMERKUNGEN DES AUTORS

Elfenzauber ist eine Geschichte, die vor der Separation spielt, als noch mythische und mystische Völker und Kreaturen auf dieser Welt lebten.

Die Geschichte findet vor dem Großen Bannkrieg statt, und daher können die Rûpt nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tage frei umherstreifen, obwohl es heißt, dass sie ihre Missetaten lieber in der Dunkelheit anstatt im Licht der Sonne ausführen.

Die Geschichte des Drachensteins wurde aus den Fragmenten eines langen Liedes rekonstruiert, das einem Barden namens Delon zugeschrieben wird. An mehreren Stellen habe ich die Lücken mit Bemerkungen aus anderen Quellen aufgefüllt, aber im Wesentlichen hält sich die Geschichte an die Vorlage.

Wie in anderen Werken von mir habe ich transkribiertes Altgriechisch benutzt, um die magische Sprache der Schwarzmagier darzustellen, und Latein für die magischen Worte aller anderen Magier.

In vielen Fällen reden unter dem Druck des Augenblicks Menschen, Magier, Elfen und andere in ihrer Muttersprache. Um jedoch lästige Übersetzungen zu vermeiden, habe ich, wo erforderlich, ihre Worte in Pellarion dargestellt, der Gemeinsprache Mithgars. Einige Worte und Redewendungen eignen sich jedoch nicht für die Übersetzung, und diese habe ich unverändert gelassen. Darüber hinaus mögen verschiedene Wörter falsch aussehen, sind tatsächlich aber korrekt – so ist zum Beispiel DelfHerr nur ein einzelnes Wort, obwohl mitten im Wort ein großes H steht.

Die Elfensprache Sylva ist sehr altertümlich und förmlich, aber im Interesse der Lesbarkeit sind die meisten altertümlichen Ausdrücke und Redewendungen eliminiert worden.

Für die Neugierigen: Das w in Rwn wird wie uu ausgesprochen (w ist schließlich nichts anderes als ein doppeltes u). Rwn wird also nicht Renn ausgesprochen, sondern Ruhn.

1. kapitel

Ein Blitz zuckte durch die Nacht, dessen greller Schein durch die schmalen Fenster drang. Ein Donnerschlag folgte ihm auf dem Fuß. Dann ging ein Wolkenbruch auf die kleine, baufällige Hafentaverne nieder, während der Wind an Tür und Seitenwänden rüttelte und einen lockeren Fensterladen hin und her schlagen ließ. Wellen schwappten heftig gegen das Pfahlwerk unter der Schänke.

Innerhalb des verwitterten Gebäudes war das Unwetter nicht ganz so laut, und Olar, der die spitzen Ellbogen auf die breite, raue Planke gestützt hatte, welche als Tresen diente, beugte sich vor und zischte Tryg zu: »Was wohl die beiden Frauenzimmer hier wollen, hm?« Er schob sein schmales Kinn seitwärts in Richtung der im Schatten liegenden Ecke, wo die beiden Fremden gerade außerhalb des gelben Lichtkreises der einzigen Laterne in der Taverne saßen, die über dem Tresen hing. »Vielleicht sind es Dirnen, die darauf hoffen, dass die Kaperfahrer wiederkommen, aye?«

Tryg, der Besitzer der Taverne »Schlupfwinkel«, schnaubte bei Olars Bemerkung, dann beugte er sich vor und sagte gerade so laut, dass sein Gegenüber ihn trotz des heulenden Windes und des prasselnden Regens verstehen konnte: »Lass sie nicht hören, wie du sie nennst, Junge, sonst könnten dir deine Familienjuwelen abhanden kommen.«

Yngli, die einzige andere Person in der Taverne, lachte bei dieser Bemerkung und schlug mit der Hand auf den Tresen, aber Olar sah Tryg überrascht an: »Warum sagst du das?«

»Weil eine von ihnen eine Elfe ist und die andere eine, eine … tja, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber sie hat verdammt gefährlich aussehende Schwerter bei sich.«

Olar stieß einen leisen Pfiff durch die gespitzten Lippen aus und warf einen Blick auf die im Schatten liegende Ecke, als es gerade wieder blitzte und kurz darauf der Donner grollte.

Der Blitz beleuchtete kurz die Gesichter der Fremden, die sich als gleichermaßen anmutig und exotisch erwiesen. Die linke Frau hatte helle Haut – wie aus Elfenbein und Alabaster – und schräg stehende, haselnussbraune Augen. Kastanienfarbene Locken, durch welche spitze Ohren ragten, fielen ihr bis auf die Schultern. Die rechte Frau war von dunklerer Hautfarbe – Gold und Safran –, und ihre geschlitzten Mandelaugen funkelten wie Onyx. Die kurz geschnittenen, rabenschwarzen Haare glänzten seidig. Aber ihre Ohren waren nicht spitz.

Die Fremden saßen mit dem Rücken zur Wand in der Ecke, schweigend, ungerührt, als warteten sie auf ein unbekanntes Ereignis. Vor der Frau mit der safranfarbenen Haut lagen zwei blanke Schwerter, eines lang, das andere kürzer, beide leicht gekrümmt. Die Klingen funkelten tückisch im Licht eines neuerlichen Blitzes.

Olar erbleichte und richtete den Blick rasch wieder nach vorn. Nach einem Moment sagte er: »Was glaubst du, welcher Grund die beiden nach Mørkfjord geführt hat, hm?«

Tryg zuckte mit den Achseln, während er die Kanne neigte, um den Krug des hageren Fischers wieder zu füllen. »Sie suchen eine Reisegelegenheit, würde ich meinen, aye?«

Olar zog eine Augenbraue hoch, aber Yngli schüttelte den Kopf. »Ich glaube, dass sie gekommen sind, weil sie ein Drachenschiff samt Mannschaft anwerben wollen – um ihre Feinde zu überfallen, aye? Vielleicht warten sie auf die Rückkehr von Orris Boot, weil er als Erster rausgefahren ist und auch als Erster wiederkommen müsste, würde ich sagen.«

Regen prasselte herunter, als Olar noch einen raschen Seitenblick auf die nun wieder im Schatten liegende Ecke warf. Dann beugte er sich vor und schlürfte den Schaum von seinem Krug. »Die Elfe«, zischte er, nachdem er sich mit dem Handrücken den Mund abgewischt hatte, »glaubt ihr, sie ist eine Lian, eine dieser Hüter?«

Tryg schüttelte den Kopf. »Dafür ist sie zu klein. Eher eine von denen, die im tiefen Wald leben …«

»Dylvana, meinst du?«, warf Yngli ein.

»Könnte gut sein.«

Yngli lächelte. »Dann hat sie meine Größe.«

Tryg sah das Grinsen auf Ynglis Gesicht. »Vielleicht hat sie deine Größe, mein kleiner Freund, aber wenn dich das auf Ideen bringt, solltest du deine Hoffnungen auf künftige Nachkommen gleich begraben, nach allem, was ich über Dylvana-Frauen gehört habe.«

»Was ist mit der anderen?«, flüsterte Olar. »Glaubst du, die ist auch eine Elfe?«

Tryg zuckte die Achseln.

»Sie hat Schlitzaugen«, murmelte Yngli.

»Aber keine spitzen Ohren«, erwiderte Tryg.

Yngli beäugte die Schwerter. »Meint ihr, sie sind hier, um Ärger zu machen? Vielleicht sogar, um jemanden zu töten, der ihnen Unrecht getan hat?«

»Oder um ihm wichtige Teile abzuschneiden?«, fragte Olar schaudernd.

Tryg öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber in diesem Augenblick flog die klappernde Tür auf und ließ Wind, Regen und einen mageren alten Mann ein, dem das Wasser aus den ungekämmten Strähnen langer Haare, aus dem struppigen Bart und aus seinem ramponierten Mantel rann.

»Raus mit dir, Alos!«, schrie Tryg, um den Lärm des Gewitters zu übertönen. »Und mach die Tür hinter dir zu!« Der alte Mann schwankte noch ein paar Fuß weiter in die Taverne hinein und ließ dabei eine Spur der Nässe hinter sich zurück. »Ich hab’s dir schon mal gesagt, ich will dich hier bei mir nicht sehen, Alos!« Der Tavernenwirt trat drohend hinter dem Tresen hervor, während der alte Mann mit seitlich abgewandtem Kopf etwas Unverständliches stammelte, abwehrend eine Hand hob und schwankend zwischen die wenigen Tische floh. Hinter ihm schlug die Tür im Takt mit dem lockeren Fensterladen auf und zu, und der Wind trieb Regenschwaden in die Taverne und ließ die Laterne an ihrer Kette hin und her schwingen. Die Schatten, die von ihrem Licht geworfen wurden, schwankten wie trunken an den Wänden umher.

Vor sich hin fluchend, ging Tryg auf den alten Mann los. »Halt die Tür für mich auf, Yngli«, rief der massige Tavernenwirt, »dann werfe ich diesen Tunichtgut hier raus.«

Yngli sprang auf, ging zu der klappernden Tür, hielt sie fest und stellte sich daneben, während Tryg den wimmernden alten Mann bedrängte.

Der Alte irrte ziellos im Schankraum umher und versuchte, Tryg auszuweichen. Schließlich duckte er sich unter einen Tisch, doch ohne Erfolg, denn der Tavernenwirt packte ihn rasch am Kragen seines Mantels und zerrte ihn darunter hervor. »Alos, ich hab dir gesagt, ich will dich nie wieder hier sehen.«

Im schwankenden Licht der Laterne schaute der alte Mann zu Tryg auf. Sein linkes Auge war braun und blutunterlaufen, das rechte hingegen blind und vollkommen weiß. »Nur einen Becher, Meister Tryg …« – seine Stimme war jammervoll – , »… mehr brauche ich gar nicht.«

Die linke Hand an Alos’ Kragen, die rechte im durchweichten Stoff seiner Hose, zog Tryg den Alten auf die Zehenspitzen hoch und beförderte ihn zur Tür, wo Yngli wartete. Doch Ynglis Augen weiteten sich plötzlich. Er stieß ein heiseres Keuchen aus und wich zögernd zurück, den Blick auf eine Stelle hinter Alos und Tryg gerichtet.

»Pass auf, Tryg«, japste Olar mehr, als dass er es rief.

Gleichzeitig tönte ein »Halt!« aus den Schatten.

Tryg fuhr herum und schnappte unwillkürlich nach Luft. Alos in seinem Griff war praktisch vergessen, denn direkt hinter ihm stand die goldhäutige Frau, die Schwerter in den Händen, deren Klingen in dem wechselhaften Licht gefährlich glänzten. Sie hatte ihren Mantel zurückgelassen, und Tryg konnte zum ersten Mal erkennen, dass sie kein Kleid trug, wie eine anständige Dame es tun sollte, sondern stattdessen in braunes Leder gehüllt war – Weste, Hose und Stiefel. Auf die Weste waren gehämmerte Bronzeplättchen genäht, die wie Schuppen übereinander lagen. Darunter trug sie ein Seidenwams in der Farbe von Sahne. Ein braunes Lederstirnband, in das rote Zeichen geritzt waren, sorgte dafür, dass ihr die rabenschwarzen Haare nicht in das Gesicht mit den hohen Wangenknochen fielen. Wie ein Krieger stand sie da, ausbalanciert und sicher, und sie war zum Schlag bereit. Wie eine dieser jordischen Kriegermaiden … nur dass sie mit ihren Schlitzaugen und der gelben Haut und allem sicher keine Jordierin ist.

Bewaffnet und gerüstet sah sie Tryg aus ihren schräg stehenden Augen dunkel und gleichmütig an. »Kanshu, meine Gebieterin möchte mit diesem Mann reden«, sagte sie ruhig und mit einem sonderbaren Akzent, während sie mit einem Kopfnicken auf Alos deutete. Der alte Mann grinste sie an und zeigte dabei ebenso viele Zahnlücken wie verbliebene gelblich braune Zähne.

Tryg warf einen Blick auf die Dylvana in der Ecke und wandte sich dann wieder an die Kriegerin. »Gute Frau, er ist doch nur ein bettelnder Trunkenbold, der nichts Gutes mit sich bringt.«

Die Schwerter bewegten sich ein wenig und funkelten dabei bedrohlich.

Endlich ließ Tryg von Alos ab. »Aber das geht auf Eure Kappe«, murmelte er leise, während er vor der Frau zurückwich. »Sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt.«

Betont würdevoll richtete Alos sich kerzengerade auf, packte die Aufschläge seines nassen Mantels, zog das Kleidungsstück gerade und reckte dabei seinen schmutzverkrusteten, mageren Hals. Dann richtete er sein weißes Auge auf seine Retterin, schüttelte den Kopf und grinste. »Zuerst genehmigen wir uns was zu trinken, aye?«

Die Frau mit den Schwertern beäugte ihn einen Moment ungerührt. Dann änderte sie mit einer raschen Drehung ihrer Hände den Griff um den Knauf ihrer Waffen und schob sie mit einer flüssiger Bewegung in die Scheiden zurück, machte auf dem Absatz kehrt und ging zu den Schatten, wo die Dylvana wartete. Der alte Mann leckte sich erwartungsvoll die Lippen, als er ihr tropfend folgte.

2. kapitel

Noch bevor Tryg den Tisch wieder verlassen konnte, hatte der durchnässte alte Mann sein Ale heruntergestürzt und fuhr mit einem schmierige Finger den Rand des Bechers entlang, um den verbliebenen Schaum aufzuwischen und dann seinen Finger sauber zu lecken. Er sah zuerst Tryg und dann die beiden Damen erwartungsvoll an und grinste, während sein Kopf eifrig hin und her schwankte.

Die schwarzhaarige Kriegerin betrachtete ihn lediglich gleichmütig. Die Dylvana seufzte und schaute in das blinde Auge des alten Mannes, als wäge sie ihre Möglichkeiten ab.

Tryg wandte sich mit fragend hochgezogener Augenbraue an die Dylvana. Sie war ebenfalls wie ein Mann gekleidet und trug ein langärmliges, hellgrünes Seidenwams und eine ockerfarbene Hose, dazu braune Stiefel. Ihre kastanienfarbenen Haare wurden von einem grünen Seidenband gebändigt. Er schätzte, dass sie sieben oder acht Fingerbreit kleiner war als die safranhäutige Frau – also vielleicht nicht größer als vier Fuß sechs oder sieben –, obwohl das schwer zu sagen war, solange sie saß. Soweit er sehen konnte, war sie im Gegensatz zu ihrer Begleiterin unbewaffnet. Er räusperte sich. »Edle Dame?«

Sie musterte ihn mit ihren braunen Mandelaugen und nickte. Tryg nahm den leeren Krug und ging zum Tresen. Die ganze Aufmerksamkeit des alten Mannes gehörte jetzt seinem Rücken.

»Der Tavernenwirt scheint zur anständigen Sorte zu gehören, Aiko«, sagte die Dylvana. »Ich glaube, er hätte unseren Gast auch losgelassen, wenn Ihr ihm Eure Schwerter nicht gezeigt hättet.«

Aikos wachsame Augen folgten Tryg ebenfalls. »Ein Schwert in der Hand sagt mehr als viele Worte, Dara.«

Die Dylvana lächelte, dann wandte sie sich an Alos, aber der Alte war völlig in die Beobachtung Trygs versunken, der seinen Becher nachfüllte. Die Dylvana seufzte erneut, sagte jedoch nichts, sondern musterte vielmehr das Gesicht des alten Mannes, wobei ihr Blick immer wieder zu seinem blinden Auge zurückkehrte.

Nach kurzer Zeit kam der Tavernenwirt wieder zum Tisch zurück, und Alos streckte beide leberfleckigen Hände aus, um den Becher begierig entgegenzunehmen. Wiederum leerte er ihn rasch und wischte den Restschaum auf, um ihn abzulecken. Er sah die Dylvana erwartungsvoll an und lächelte wieder, aber seine Miene verdüsterte sich rasch, als sie den Kopf schüttelte, Tryg mit einer Handbewegung entließ und sagte: »Zuerst reden wir, dann trinken wir vielleicht noch mehr Ale.«

»Aber mein Täubchen, ich könnte viel besser reden, wenn …«

Aikos Hand zuckte flink wie eine Viper über den Tisch und schloss sich um das noch immer feuchte Handgelenk des Alten. »Kojiki, du wirst sie mit ›edle Dame‹ oder ›Dara‹ anreden«, zischte sie. Wie um ihre Worte zu unterstreichen, zuckte ein Blitz über den Nachthimmel, und ein greller Schein drang für einen Moment durch das Fenster, sodass die Umrisse von Aikos Gesicht deutlich hervortraten.

Der alte Mann wimmerte laut und versuchte sich zu befreien, doch ohne Erfolg.

»Aiko«, erklangen die leisen Worte der Dylvana. »Lasst ihn.«

Aiko stieß Alos grob von sich, und der alte Mann schob seinen Ärmel zurück, rieb sich sein Handgelenk und hielt nach Schaden Ausschau, ohne welchen zu finden.

»Dieser unreine Yodakari kann es nicht sein«, sagte Aiko zu der Elfe.

Die Dylvana schüttelte den Kopf. »Aiko, das wissen wir nicht.«

Einen Moment später sah Aiko weg, und der Blick ihrer dunklen Augen war wieder gleichmütig.

Die Dylvana griff über den Tisch, um Alos’ Hand zu tätscheln, aber der alte Mann zog sie so rasch zurück, als ob sich ein giftiger Skorpion nähere. Sie brach die Geste ab und nahm stattdessen ihren Weinbecher, um in dessen Tiefen zu starren, als suche sie etwas darin. Schließlich stellte sie den Becher wieder auf den Tisch und sagte: »Ich werde Arin genannt, und meine Gefährtin heißt Aiko. Wir sind weit gereist, um nach Mørkfjord zu gelangen … vielleicht, um Euch zu sprechen.«

Alos nickte, aber sein gesundes Auge war auf ihren fast vollen Weinbecher gerichtet, den sie geistesabwesend in ihrer Hand drehte.

»Sagt mir, Alos, seid Ihr die einzige einäugige Person in diesem Weiler?«

Für den Moment verblüfft, sah er sie an, und sein weißes Auge schien zu funkeln. Dann grinste er und sagte: »Soviel ich weiß, Täu… äh … edle Arin.«

Bei dieser Antwort warf Arin einen kurzen Blick auf Aiko, doch die Kriegerin schüttelte lediglich den Kopf und sagte nichts. Arin widmete sich erneut Alos, der wieder ihren Weinbecher fixierte. Arin deckte den Becher mit der Hand ab, und ein Ausdruck resignierter Enttäuschung legte sich auf Alos’ Gesicht, während er seufzend ausatmete und sie ansah.

Arin lehnte sich zurück, weg von dem Alten. Er riecht wie ein nasser Ziegenbock, und sein Atem würde ein Pferd umwerfen. Er ist über und über dreckverschmiert und hat mindestens seit einem Jahr oder noch länger weder Wasser noch Seife gesehen. Trotzdem könnte er derjenige sein, denn es scheint keine andere Möglichkeit zu geben, jedenfalls nicht in diesem Dorf.

»Wisst Ihr noch von einer anderen einäugigen Person, die hier in der Nähe lebt? Vielleicht in einem anderen Ort?«

Er schüttelte den Kopf und murmelte: »Ich weiß von keiner, edle Arin.«

»Euer blindes Auge, Alos, ist von Narbengewebe umgeben, wie bei einer alten Verbrennung. Wenn es Euch nichts ausmacht, darüber zu reden, dann erzählt mir doch bitte, wie es zu der Blindheit gekommen ist.«

Alos zuckte zusammen, schaute zu Boden und bedeckte sein weißes Auge mit der rechten Hand. »Ich nehme an, Ihr sucht einen Einäugigen, edle Arin, richtig?« Er ließ die Hand auf den Tisch sinken und starrte sie mit seinem weißen Auge an. »Wenn er eine Belohnung bekommen soll, bin ich Euer Mann. Wenn er eine bringen soll, bin ich es allerdings nicht.«

Arin lächelte. »Euer Akzent, Alos. Für meine Ohren klingt er nicht fjordländisch.«

»Ich bin eigentlich Tholier von Geburt. Von der Langen Küste.« Der Blick des alten Mannes wanderte von seinem leeren Becher zu Tryg. Dann fragte er flehentlich: »Gute Frau, könnten wir nicht noch einen Schluck trinken?«

Seine Augen weiteten sich, als Arin ihm ihren Becher zuschob, denn er bekam nur selten Wein zu trinken. Er hielt sich den beinah vollen Becher unter die Nase und genoss das Aroma. Vielleicht war dies ein Becher von Trygs Bestem, wo sie doch eine Dame war und eine Elfe noch dazu? Er trank den Wein in zwei Schlucken, und seine Wärme erfüllte seinen Magen und breitete sich von dort aus. Er schmatzte mit den Lippen und ließ seinen abgeleckten Finger auf dem Grund des Bechers kreisen, um nach dem einen oder anderen übrig gebliebenen Tropfen zu suchen.

Aiko starrte den verdreckten alten Mann gleichmütig mit ihren funkelnden dunklen Augen an, während er seinen Finger in den Mund schob, unter dessen gespaltenem Nagel noch eine Menge Schmutz vergraben war.

»Ah. Von der Langen Küste Thols«, sagte Arin. »Ja. Jetzt erkenne ich Euren Akzent. Doch wie kommt es, dass Ihr nun hier in Mørkfjord lebt?«

Alos atmete langsam aus und rülpste dann geräuschvoll. Ein angewiderter Ausdruck trat auf Aikos Gesicht, und sie rümpfte die Nase, schaute Arin an und hob eine Augenbraue, doch die Dylvana schüttelte lediglich den Kopf.

»Mein Schiff … äh … es ist gekentert«, erwiderte Alos. »Ja … gekentert.«

Arin wartete darauf, dass er fortfuhr und die Umstände näher erklärte, doch er sagte nichts mehr.

Ein Blitz flammte auf, fast sofort gefolgt von lautem Donner, während Alos suchend in den Weinbecher starrte. Dann schob er den leeren Becher beiseite und richtete den Blick auf seinen Alekrug. Sein verbliebenes Auge weitete sich, und er setzte den Krug an, um noch einen Tropfen des Gebräus mit der Zunge aufzufangen, während der Regen auf das Tavernendach prasselte. Er schmatzte und rülpste wieder laut, und eine Blase aus schaumigem Speichel tauchte in einem Mundwinkel auf, die er rasch wieder einsog.

Aiko sah angewidert weg, doch Arin holte tief Luft und beugte sich vor. »Alos, es ist kein Zufall, dass wir hier bei Euch sind.«

»Hier? Im Schlupfwinkel? Bei mir?« Alos’ gutes Auge verengte sich. »Woher wusstet Ihr, dass ich hier sein würde?«

Arin zuckte die Achseln. »Wir haben herumgefragt. Man sagte uns, Ihr würdet wahrscheinlich einen Zug durch die Tavernen machen, und es gibt nur drei in Mørkfjord. Diese hier ist Eurer … Schlafstätte am nächsten.«

Mit den Fingern kämmte Alos die langen, nassen Strähnen weißer Haare rings um seinen Kopf und glättete seinen struppigen Bart. Er zupfte an den Aufschlägen seines durchweichten Mantels. Dann schaute er Arin an. »Dann seid Ihr also gekommen, um mit mir persönlich zu reden.«

Arin nickte. »Vielleicht.« Sie sah Aiko kurz an und wandte sich dann wieder an Alos. »Wir sind in einer Mission unterwegs, und es scheint so, als hättet Ihr damit zu tun.«

Aiko seufzte.

Das wässrige braune Auge des Alten weitete sich, und er sah sich nach Tryg um. Dann lächelte er sein lückenhaftes Grinsen und sagte zu Arin: »Eine Mission, sagt Ihr? Und ich habe damit zu tun? Nun denn, lasst uns mehr Wein trinken – oder vielleicht sogar Branntwein, was? –, während Ihr mir von dieser Mission erzählt, aye? Es muss gar nicht der beste Branntwein sein oder der beste Wein. Eigentlich könnte es auch Ale sein, wenn ich …«

Durch den Gewitterlärm waren plötzlich Stimmen zu hören, und der Pier erbebte wie unter einem Schlag. Tryg trat hinter seinem Tresen hervor und ging zur Tür, aber Olar und Yngli waren vor ihm dort.

»Es ist ein Schiff«, rief Yngli, der nach draußen in den Regen lugte. »Es macht gerade fest.«

»Wer ist es?«, fragte Tryg.

»Schiffslaterne hin oder her, ich kann es nicht sagen«, erwiderte Yngli. »Ist zu dunkel in diesem verwünschten Regen.«

»Ein paar Leute kommen vom Schiff hierher«, sagte Olar. »Sie tragen irgendwas oder irgendwen auf einer Bahre.«

»Tretet zurück und passt auf«, befahl Tryg, »wenn sie in den Schlupfwinkel kommen.«

Aiko war bereits auf den Beinen und hatte ihre Schwerter gezückt. Arin hatte sich ebenfalls erhoben, obwohl ihre Hände leer waren. Hinter ihnen schlich Alos davon und verkroch sich in einer dunklen Ecke unter einem Tisch.

Durch die Tür trat ein großer, stämmiger Mann mit einer Laterne in den Händen. Er trug einen Helm und einen schweren Mantel und darunter eine Lederhose und Halbstiefel. Ihm folgten zwei weitere Männer, die einen bewusstlosen vierten Mann trugen.

»Orri!«, rief Yngli. »Ihr seid wieder zurück!«

»Jemand soll den Heiler holen!«, rief der stämmige Mann, während er die Laterne abstellte und die Krüge vom Tresen fegte. »Legt ihn hierher«, befahl er seinen Begleitern. Als sie ihre Last auf den Tresen hievten, fiel der Blick des stämmigen Mannes auf Yngli. »Du, Yngli. Lauf und hol Thar. Diese verdammten Jüten! Der Bruder des Herzogs hat Egil einen Schwerthieb verpasst, und die Wunde hat sich entzündet. «

»Sofort, Orri!« Yngli stürzte den Rest seines Ales herunter, schnappte sich dann seinen Mantel und Orris Laterne und verließ die Taverne im Laufschritt.

Als das gerade angekommene Drachenschiff vertäut war, kamen mehr Männer in den Schlupfwinkel. Einige trugen Verbände, aber den meisten setzte lediglich das Unwetter zu. Orri sah sich um, als der Schankraum langsam voller wurde, dann warf er eine Hand voll Silbermünzen auf den Tresen und rief dem Wirt zu: »Diese Männer haben gekämpft wie wilde Wölfe, Tryg, und davon haben sie großen Durst bekommen. Also mach deine Zapfhähne ganz weit auf, und lass das Ale in Strömen fließen!«

Freudiges Gejohle ertönte, und die Männer eilten zum Tresen. »Aber was ist mit Egil?«, rief Tryg, der brüllen musste, um überhaupt gehört zu werden.

»Bis Thar kommt, können wir nichts für ihn tun«, übertönte Orri den Lärm. »Außerdem, Fieber hin oder her, sollte Egil aufwachen, wird er selbst ein Ale wollen.«

Während die Männer nach vorn drängten, um sich einen der Krüge zu sichern, die über Egils reglos daliegende Gestalt gereicht wurden, wand Olar sich durch die Menge, um sich selbst ein Ale zu holen. Als er hinter Orri stand, reckte er den Hals und schaute dem Kaperfahrer über die Schulter, um einen Blick auf den Verwundeten zu werfen. »Adons Tochter Elwydd«, platzte es aus Olar heraus. »Egil hat ein Auge verloren! «

Bei diesen Worten holte Aiko, die unbemerkt im Schatten an der Wand stand, tief Luft und warf einen Blick auf Arin, die gerade vortreten wollte.

3. kapitel

»Heda! Was ist denn los …?« Die Männer am Rand der lärmenden Menge drehten sich um und sahen …

»Macht Platz für die Dara.«

… eine kleine goldhäutige Frau in einem bronzenen Schuppenpanzer, die sich durch die Reihen drängte, um Platz zu machen für …

»Beim großen Schnappfisch, eine Elfe! Oder zwei?«

… die noch kleinere Frau, die ihr folgte.

Die hoch gewachsenen Krieger traten beiseite, denn hier waren zwei höchst erstaunliche Wesen: eine schwarzhaarige, bewaffnete und gerüstete Frau mit safranfarbener Haut und schwarzen Schlitzaugen …

»Adons Schaum, sie ist ja gelb!«

»Sie reicht mir nicht mal bis zum Kinn!«

»Aber die hinter ihr …«

… und eine weißhäutige Elfe mit braunen Mandelaugen …

»… meine Güte, sie kann mir nicht höher als bis zur Brust reichen.«

… und beide Frauen waren wie Männer gekleidet, als seien sie weit gereist.

Stille, welche nur vom Prasseln des Regens auf dem Dach und durch gelegentliche Donnerschläge gestört wurde, legte sich über die Kaperfahrer, als sie sich teilten, um ein Spalier für die exotischen Fremden zu bilden. Aikos Hände ruhten auf dem Knauf ihrer Schwerter, und ihre dunklen Augen musterten die Krieger, als sie Arin zu dem bewusstlosen Mann auf dem Tresen führte.

Mit weit aufgerissenen Augen trat Orri beiseite. Aiko hielt sich zurück, während Arin vor die Holzplanke trat und den dort liegenden Mann betrachtete. Er war schlank, hatte dunkelblondes Haar und war vielleicht Anfang dreißig. Seine Haut war vom Fieber gerötet. Während sich die anderen Piraten um sie drängten, legte Arin dem Mann eine Hand auf die Stirn und keuchte dann: »Vada!« Sie drehte sich um und machte Anstalten, auf die andere Seite zu gehen. Einige Männer standen ihr im Weg.

»Aus dem Weg, Svan, Bili!«, bellte Orri. »Seht ihr denn nicht, dass sie vorbei muss?«

Svan machte einen Schritt zurück und stolperte gegen Bili, der genau hinter ihm stand. Beide verschütteten einen Teil ihres Ales und wären beinah gefallen. Halb ineinander verkeilt, gelang es ihnen, beiseite zu treten, um Arin vorbei zu lassen.

Mit düsterem Blick sah Aiko Orri an. Die Kriegerin wirkte plötzlich viel größer als ihre fünf Fuß und zwei Fingerbreit. »Kapitän?«

Orri nickte.

»Lasst Eure Krieger zurücktreten, Kapitän. Die Dara wird sich um Euren verwundeten Kameraden kümmern … wenn es noch nicht zu spät ist.«

Orri befahl seinen Männern gerade lautstark, Platz zu machen, als die Tür aufflog und Yngli mit einem weißhaarigen Mann im Schlepptau hereinkam, der einen Lederrucksack trug.

»Hier kommt Thar!«, rief Yngli, wobei er die Tür hastig schloss, um Wind und Regen wieder auszusperren. »Er kann Egil behandeln.«

Ynglis Worte wurden mit Jubelrufen begrüßt, während der weißhaarige Mann seinen Rucksack absetzte und seinen nassen Mantel auszog.

Arin, die jetzt auf der anderen Seite des Tresens stand, achtete nicht auf den Tumult, sondern untersuchte vielmehr Egils Gesicht. Eine feuerrote Schramme zog sich von der Stirn zur Wange herunter, und sein linkes Auge war unrettbar zerschnitten. Arin schaute zu Orri. »Warum habt ihr ihn nicht verbunden?«

Orri breitete die Hände aus. »Er hat sich den Verband in seinen Albträumen abgerissen, edle Dame. Im Fieber.«

»Hattet Ihr keinen Heiler bei Euch?«

»Wir versorgen unsere Wunden selbst, edle Dame, wie wir auch ihn versorgt haben«, sagte Orri ärgerlich. »Aber wir waren den größten Teil des Rückwegs zu beschäftigt damit, uns des Herzogs von Rache und seiner Männer zu erwehren, bis es uns schließlich gelang, ihre Segel in Brand zu setzen. Wir haben sie dann im Dunkeln abgeschüttelt, und ich wette, sie haben genug geflucht, als sie merkten, dass wir ihnen entkommen sind. Dabei wurde jeder gesunde Mann gebraucht, und keiner konnte sich um Egil und seine Wunde kümmern. Außerdem hat er auch gegen die Jüten gekämpft, obwohl er verwundet war und Fieber hatte und nur mit einem Auge sehen konnte. Als der Kampf zu Ende war, haben wir uns um ihn gekümmert – wir haben seine Wunden mit Salzwasser ausgewaschen, damit sie sich nicht entzünden, und ihm Verbände angelegt. Aber Egil hatte schlimme Träume, edle Dame, vielleicht haben sie das Fieber noch schlimmer gemacht, und er hat sich den Verband immer wieder abgerissen. Am Ende haben wir ihn dann einfach in Ruhe gelassen.«

Während Arin sich Orris Erklärungen anhörte, trat Thar neben den Verwundeten. Die Augen des alten Heilers weiteten sich ein wenig beim Anblick der Dylvana und ihrer gerüsteten Gefährtin, aber dann schüttelte er den Kopf, als wolle er ihn von allen seltsamen Eindrücken befreien, und begann mit der Untersuchung Egils.

Arin sprach Thar an. »Das, was noch von dem Auge übrig ist, muss heraus.«

Thar nickte. »Seid Ihr eine Heilerin, edle Dame?«

»Ich habe gewisse Fähigkeiten auf diesem Gebiet«, erwiderte Arin. »Aber ich habe weder Kräuter noch Heilpflanzen zur Hand und auch keine Instrumente.«

»Ich habe meine dabei«, sagte Thar und deutete mit einer Geste auf seinen Lederrucksack. »Aber er soll ruhig Euer Patient sein, edle Dame. Sagt mir nur, was Ihr braucht.«

Arin nahm das Angebot mit einem Kopfnicken an, dann wandte sie sich an Tryg, den Wirt, der die Krüge füllte. »Habt Ihr eine Kiste, auf der ich stehen kann?«

Tryg bedeutete Olar, den Ausschank des Ales zu übernehmen, dann maß er die zierliche Dylvana mit geübtem Blick. Er verschwand im Vorratsraum und tauchte einen Moment später mit einer breiten Holzkiste wieder auf, die er auf den Boden stellte. Die Dara lächelte, als sie auf die Kiste stieg, und sagte dann: »Ich werde ein Messer brauchen, rot glühend vor Hitze. Zwei, wenn das möglich ist. Und eine Flasche Eures stärksten Branntweins.«

Tryg griff unter den Tresen, holte eine Flasche hervor, stellte sie neben ihr ab und sagte: »Das ist der beste, den ich habe.« Dann nahm er zwei Messer und ging mit ihnen zu dem kleinen Holzkohlenbrenner, auf dem er sonst Glühwein machte.

Arin entkorkte den Branntwein und roch daran. Sichtlich zufrieden, goss sie etwas davon auf ihre Handflächen, wusch sich damit die Hände und wandte sich an Thar. »Habt Ihr eine kleine Drahtzange? Eine Nadel und Zwirn, um die Schwertwunde zu nähen? Und sauberes Tuch für Verbände?«

Thar durchsuchte seinen Rucksack und fand darin eine gekrümmte Bronzenadel, dünnen Faden und eine Pinzette aus zurechtgebogenem Draht. Außerdem holte er eine Rolle Musselin heraus.

Unter dem Tresen fand Arin eine Kerze mit Halter und entzündete den Docht. Sie fuhr einige Male mit der Bronzenadel durch die Flamme.

»Ah«, murmelte Thar, der aufmerksam verfolgte, was sie tat. »Ihr verbrennt die schlechten Dämpfe, aye?«

Arin nickte. »Ich brauche ein Stück sauberen Stoff, damit ich die Gerätschaften darauf legen kann.«

Thar nahm das Musselin, riss ein Stück ab und breitete es aus. Arin legte die im Feuer gereinigte Nadel und den Faden auf den Stoff, dann nahm sie die Pinzette und reinigte sie ebenfalls in der Kerzenflamme. »Was machen die Messer?«, rief sie Tryg zu.

Der Wirt schaute ins Feuer und hob dann eine Hand mit der Innenseite nach außen. »Sind bald so weit.«

»Wir werden ihm auch die Egel ansetzen müssen«, sagte Thar.

»Die Egel?«

»Um ihn zur Ader zu lassen und das Fieber auszubluten, edle Dame.«

Arin schüttelte den Kopf. »Nein, Heiler. Egel würden ihn nur schwächen, und das zu einem Zeitpunkt, wo er alle seine Kräfte am dringendsten braucht.«

»Aber einen Fiebernden muss man immer zur Ader lassen«, protestierte Thar.

Arin fixierte ihn mit einem Auge. »Kuriert Ihr dadurch die Kranken oft?«

»Gut die Hälfte von ihnen«, erwiderte Thar mit einem gewissen Stolz.

»Dann bedeutet das auch, dass Ihr die andere Hälfte verliert, oder?«

»Wir verlieren einen Teil, aye, aber damit muss man rechnen. «

»Nein, Heiler. Durch den Blutverlust wird der Kranke weiter geschwächt. Ihr solltet das Blut vielmehr stärken und nicht vergeuden.«

»Stärken?«

»Genau.«

»Wie?«

»Sie werden langsam rot glühend!«, rief Tryg.

»Wie?«, wiederholte Thar seine Frage.

»Ihr habt die Mittel dazu ganz in der Nähe«, sagte Arin und winkte Aiko zu sich.

»Dara?«

»Reitet rasch zum Hochmoor und sammelt eine Hand voll der blauen Blumen, die wir am Fuß des Gletschers gesehen haben. Sammelt außerdem etwas sauberen Schnee, packt die Blumen hinein und kehrt so schnell wie möglich zurück.«

Aiko schaute nach links und rechts, dann beugte sie sich vor und zischte: »Dara, ich will Euch nicht allein lassen mit diesen Iyashii-Männern.«

Die Dylvana machte ein entschlossenes Gesicht. »Reitet los, Aiko. Mir wird nichts geschehen, und dieser Mann braucht Hilfe, sonst wird er sterben, und er ist vielleicht derjenige, den wir suchen.«

Yngli nahm Orris Laterne und trat neben Aiko. »Ich besitze zwar kein Pferd, werde aber mit Euch reiten, das heißt, mit auf Eurem Pferd, wenn Ihr mich mitnehmen wollt. Ich weiß eine Abkürzung zum Moor und kann Euch leuchten.«

Aiko sah erst Yngli an und dann Arin. Als die Dylvana nickte, ging Aiko zu ihrem Tisch zurück und zog ihren Mantel an. Dann bedeutete sie Yngli, ihr zu folgen.

Als die beiden den Raum verlassen hatten, wandte Thar sich an Arin und hob fragend eine Augenbraue.

Arin legte die im Feuer gereinigte Pinzette neben die Bronzenadel, dann befeuchtete sie die Finger und löschte die Kerze. »Als wir nach Mørkfjord geritten sind, haben wir im

Titel der amerikanischen Originalausgabe THE DRAGONSTONE – PART 1 Deutsche Übersetzung von Christian Jentzsch

Deutsche Erstausgabe 2/06 Redaktion: Natalja Schmidt

Copyright © 1995 by Dennis L. McKiernan Copyright © 2006 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbHwww.heyne.de

Titelillustration: Arndt Drechsler Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN 978-3-641-08102-7

www.randomhouse.de

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