Halblingszorn - Dennis L. McKiernan - E-Book

Halblingszorn E-Book

Dennis L. McKiernan

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Beschreibung

Die große Halblingssaga

Mit seinen epischen Abenteuern rund um Tolkiens Völker begeistert Dennis L. McKiernan Millionen von Lesern. Dies ist die wahre Geschichte des kleinsten und tapfersten Volks der Fantasy: der Halblinge. Schon überfluten dunkle Kreaturen ganz Mithgar, und die jungen Halblinge machen sich auf die gefährliche Reise, die Völker im Kampf gegen das Böse zu vereinen …

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Seitenzahl: 451

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Das Buch

Eine finstere Armee ist über Mithgar hereingebrochen, entfesselt vom dunklen Zauberer Modru, um die freien Völker zu unterjochen. Doch die Halblinge sind auf der Hut – denn nur sie allein können die alles verschlingende Finsternis mit ihren Juwelenaugen durchdringen. Als jedoch Prinzessin Laurelin von Modru gefangengenommen wird, macht sich König Galen, ihr Verlobter, zusammen mit einem Halbling, einem Elf und einem Zwerg auf zu einer letzten, verzweifelten Suche, um Mithgars Völker gegen den Feind zu versammeln und die Prinzessin zu befreien …

Dennis L. McKiernans MITHGAR-Romane:

Bd. 1: Zwergenkrieger Bd. 2: Zwergenzorn Bd. 3: Zwergenmacht Bd. 4: Elfenzauber Bd. 5: Elfenkrieger Bd. 6: Elfenschiffe Bd. 7: Elfensturm Bd. 8: Magiermacht Bd. 9: Magierschwur Bd. 10: Magierkrieg Bd. 11: Magierlicht Bd. 12: Drachenbann Bd. 13: Drachenmacht Bd. 14: Drachenbund Bd. 15: Drachenkrieg Bd. 16: Halblingsblut Bd. 17: Halblingszorn Bd. 18: Halblingsbund Bd. 19: Elfenjäger

Der Autor

Dennis L. McKiernan, geboren 1932 in Missouri, lebt mit seiner Familie in Ohio. Mit seinen Romanen aus der magischen Welt Mithgar gehört er zu den erfolgreichsten Fantasy-Autoren der Gegenwart.

Mehr über Dennis L. McKiernan und Mithgar auf:

http://home.att.net/~dlmck/

Für meine eigene Merrili

(Martha Lee)

Und für Laurelin

(Tina)

Mein besonderer Dank gilt

Ursula K. Le Guin

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDer AutorWidmung1. Kapitel - GEFANGEN!Copyright

Die Tage sind nun entschwunden, und die dunkle Zeit ist über uns gekommen.

Gildor Goldzweig22. Dezember 4E2018

1. Kapitel

GEFANGEN!

Nicht ganz zwei Tage, ehe der Dusterschlund über die Feste Challerain kam, brach Prinzessin Laurelin mit der letzten Flüchtlingskarawane nach Süden auf. Langsam holperte der Wagen den Berg hinab, die Prinzessin aber weinte leise, während Saril, ihre Begleiterin und älteste Hofdame, von belanglosen Dingen plapperte und sich über die Unbequemlichkeit des Gefährts beklagte. Was die Prinzessin in diesem Augenblick gebraucht hätte, wäre ein Arm gewesen, der sie gehalten, und eine Hand, die ihr übers Haar gestrichen hätte, wenngleich auch das ein verzweifeltes Herz nicht geheilt haben würde, denn dies vermag nur die Zeit allein. Saril jedoch schien die Bedürfnisse und die stille Not der weinenden Maid nicht einmal zu erahnen, die mit tränenblinden Augen durch die offene Leinenplane auf das vorüberziehende Hügelland hinausschaute – immerhin reichte die Hofdame der Prinzessin ein linnenes Taschentuch, als Laurelin ihr eigenes nicht fand.

Ächzend rumpelte das Gefährt weiter; es war das letzte in einer Reihe von hundert Wagen, die auf der Poststraße nach Süden zogen. Hinab durch die Vorberge ging es und hinaus auf die verschneiten Ebenen. Schließlich versiegte Laurelins Tränenfluss, doch nun kniete sie auf Decken vor der Ladeklappe, blickte unablässig zur Feste zurück und sprach kein Wort.

Die Zeit verstrich, und langsam rollten die Meilen vorüber, während die Leinenplane der Kutsche flatterte, Deichseln und Harnische knarrten und rasselten und die Pferdehufe trampelten. Gelegentlich hörte man den Befehl eines Wagenführers und über allem das Mahlen der Achsen und der eisenbeschlagenen Räder auf dem gefrorenen Schnee.

Am Nachmittag fuhr der Wagenzug eine lang gestreckte Anhöhe hinauf, mit schneebedeckten Hängen zu beiden Seiten. Laurelins Blick war noch immer starr gen Norden, zur fernen Burg gerichtet. Doch zuletzt erreichte ihr Wagen die Hügelkuppe, und als er auf der anderen Seite wieder abwärts fuhr, war die Feste Challerain schon nicht mehr zu sehen.

»O je, Saril, ich fürchte, ich habe dein Taschentuch völlig aufgeweicht«, sagte Laurelin und hielt das zerknüllte Leinen so, dass ihre Begleiterin es sehen konnte.

»Sorgt Euch nicht darum, Herrin«, sagte Saril und nahm das Tuch. »Du liebe Güte, das ist aber wirklich nass! Da müssen ja alle Tränen für die nächsten Jahre drin sein.« Sie hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger an einer Ecke. »Am besten, wir breiten es aus, sonst friert es durch die Kälte zu einem steinharten Klumpen.«

»Nun, vielleicht sollten wir es einfach gefrieren lassen«, erwiderte Laurelin und versuchte zu lächeln. »Dann könnte ein Krieger es als Wurfgeschoss benutzen und gegen Modru schleudern.«

Bei der Erwähnung des Feindes in Gron machte Saril eine rasche Geste, als schriebe sie eine Rune in die Luft, um das Erscheinen des Bösen abzuwehren. »Ich glaube, es ist besser, diesen Namen nicht auszusprechen, Herrin, denn ich habe gehört, allein das schon zieht seine Niedertracht auf den Sprecher, so sicher, wie Eisen von einem Magneten angezogen wird.«

»Aber, Saril«, schalt Laurelin, »nun sorgst du dich ganz unnötig, denn was sollte er von Frauen und Kindern oder den Alten und Lahmen wollen?«

»Das weiß ich nicht, Herrin«, entgegnete Saril, und Angst lag in ihren matronenhaften Zügen, da sie einen raschen Blick über die Schulter warf, als könnte jemand von hinten herangekrochen sein. »Doch habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie der Magnetstein eine unsichtbare Hand ausstreckte und das Eisen schnappte. Deshalb weiß ich, dass es stimmt. Also gibt es keinen Grund zu glauben, dass das andere nicht genauso zutrifft.«

»Ach, Saril«, erwiderte Laurelin, »aus dem einen folgt doch nicht das andere.«

»Vielleicht nicht, Herrin«, sagte Saril nach einer Weile. »Dennoch würde ich ihn nicht in Versuchung führen.«

Sie sprachen nicht weiter davon, Sarils Worte aber hingen den ganzen restlichen Tag über wie ein lautloses Echo in Laurelins Gedanken.

Genau zum Sonnenuntergang schlugen sie rund zwanzig Meilen südlich der Feste Challerain ein Lager auf. Zwar hatte der Zug mehrmals unterwegs angehalten, damit man die Pferde versorgen, die Beine ausstrecken und andere Bedürfnisse befriedigen konnte, doch war das nicht das Gleiche, wie aus den Wagen herauszukommen und ein Nachtlager zu beziehen. Und da sie nun zur Abendzeit Halt machten, marschierte Laurelin die gesamte Länge des Zuges ab, etwa zwei Meilen hin und wieder zurück. Sie sprach Alten und Jungen gleichermaßen neuen Mut zu, und unterwegs begegnete sie Igon, der das Gleiche tat.

Als die Prinzessin schließlich zur Feuerstelle neben ihrem Wagen zurückkehrte, hatte Saril bereits einen Eintopf über der kleinen Flamme zubereitet. Der verwundete Haddon saß auf einem Holzklotz am wärmenden Feuer und aß; er trug den Arm in einer Schlinge, sein Appetit indes war gewaltig, auch wenn seine Züge blass und abgehärmt aussahen.

»Prinzessin«, entfuhr es ihm erschrocken, als Laurelin plötzlich aus dem Dunkel auftauchte, und er bemühte sich, auf die Beine zu kommen: Doch die Angesprochene gebot ihm, sitzen zu bleiben.

»Und nun, Krieger Haddon«, sprach die Prinzessin, nachdem sie mit einer Schüssel Eintopf und einer Tasse Tee neben dem Soldaten Platz genommen hatte, »erzählt mir von Fürst Galen, denn ich möchte hören, wie es ihm erging.«

Und bis spät in die Nacht hinein berichtete Haddon von Überfällen, Scharmützeln und Erkundungen, die Galens Hundertschaft in der bitterkalten Winternacht im Norden unternommen hatte. Während der Erzählung des Kriegers kam auch Igon ans Feuer, um sein Mahl einzunehmen, und mit ihm erschien Hauptmann Jarriel, der nicht von der Seite des Prinzen wich. Igons Augen funkelten im Feuerschein, als er hörte, wie sie im Dusterschlund nach Modrus Horde gesucht hatten.

»An den Silberhügeln entlang ritten wir und zur Rigga hinauf«, sagte Haddon, während sich sein Blick in der Erinnerung verlor, »doch fanden wir nichts: Modrus Finsternis verbarg alles. Sodann wandten wir uns gen Norden zum Nordmeer, und endlich trug unsere Suche Früchte – wenngleich es bittere Früchte waren. Denn wir entdeckten die riesige Horde, und sie bewegte sich entlang dieses rauen Gebirgszugs nach Süden und kam gerade von den westlichen Ausläufern der Rigga herab. Aus dunklen Spalten und undurchdringlichen Gehölzen in dieser schroffen Felsengegend schwärmten sie, und ihre Reihen schwollen immer weiter an.

Vulgs waren bei ihnen, sie rannten an den Flanken entlang, und wir konnten nicht angreifen, denn die schwarzen Bestien hätten uns schon von Weitem gerochen und den Feind gewarnt, ehe wir uns ihm zu nähern vermochten. König Aurion hat ihnen den zutreffenden Namen gegeben: Modrus Köter.« Haddon hielt inne, während Saril, die der Erzählung mit großen Augen gefolgt war, dem Krieger Tee nachgoss.

»Wir sandten Boten nach Challerain«, fuhr Haddon fort, »um den König von der Horde zu unterrichten.«

»Es kamen keine an«, ergänzte Igon voll Bitterkeit und schüttelte den Kopf.

»Dann wurden sie vorher dahingerafft, mein Prinz«, erwiderte Haddon und streckte den Arm in der Schlinge vor. »So wie die Vulgs Boeder und beinahe auch mich töteten, müssen sie jene zur Strecke gebracht haben, welche mit der Nachricht zur Feste geschickt wurden.«

»Prinz Igon sagte, du hättest von Ghola gesprochen?«, erkundigte sich Hauptmann Jarriel.

»Jawohl«, antwortete der Krieger, und seine Augen blickten nachdenklich aus dem zerfurchten Gesicht. »Da sind Ghola, und sie reiten auf Hélrössern. Gar oft haben sie uns gejagt, doch Prinz Galen ist ihnen stets entwischt, selbst im Schnee. Listig ist der Prinz, schlau wie ein Fuchs. Wir haben immer den richtigen Zeitpunkt abgewartet, um zuzuschlagen, wenn gerade keine Vulgs in der Nähe waren und sich kleine Gruppen des Gezüchts von der Horde abgesondert hatten. Ach, dann sind wir in diese Haufen gefahren wie Blitze aus Adons Hammer. Sofort waren wir wieder auf dem Rückzug, Hélrösser auf den Fersen, doch Fürst Galens schwarzes Pferd flog nur so nach Norden und wir immer hinterdrein. Auf dem zertrampelten Schnee ritten wir, sodass sich unsere Spuren in der breiten Fährte ebenjener Horde verloren, in die wir gerade gestoßen waren. Auf dieser Schneise im Schnee jagten wir dann ein Stück dahin, bevor wir uns seitlich zwischen Felsen, Farngestrüppen oder kleinen Hügeln verbargen und die Ghola vorbeidonnern sahen, während uns die vom Feind selbst geschaffene Finsternis verbarg. «

»Willst du damit sagen, sie sehen nicht mehr als wir auch?« Prinz Igon schien überrascht. »Ich dachte, dieses ganze Gezücht der Nacht sieht sehr gut im Dunkeln.«

»Ich weiß nicht, wie gut sie im gewöhnlichen Dunkel sehen, aber Fürst Galen sagt, das Schattenlicht trügt ihre Augen ebenso wie die unseren.« Haddon leerte seinen Tee. »Eines jedoch weiß ich: Mein eigenes Sehvermögen ging im Dusterschlund nie über zwei Meilen hinaus, und schon auf diese Entfernung sah ich nur noch undeutlich: die Bewegung der Horde, viele Ghola auf galoppierenden Hélrössern, gelegentlich eine Bergflanke – nur solche Dinge nahm ich aus der Ferne wahr. Selbst nahen Gegenständen konnte ich in dem düstren Schimmern kaum Einzelheiten entnehmen; alle Farben sind nach wenigen Schritten verschwunden.« Prinz Igon nickte verständnisvoll, denn auch er hatte einige Zeit in der Winternacht verbracht.

»Es heißt, Elfenaugen sehen weiter als die aller Sterblichen«, sagte Laurelin. »Vielleicht durchdringt ihr Sehvermögen selbst die Schatten des Dusterschlunds.«

»Mag sein, Herrin«, entgegnete Haddon, »doch müssen es in der Tat seltsame Augen sein, die in diesem trüben Dunkel weit sehen können.«

Seltsame Augen. Unwillkürlich tauchte ein Bild in Laurelins Kopf auf: Tucks große Saphiraugen blickten in die ihren, und sie fragte sich, was es wohl mit den Juwelenaugen von Wurrlingen auf sich hatte.

Im ersten Dämmerlicht spannten einige Reisende bereits die Pferde an, während andere noch ihr Frühstück beendeten. Laurelin half dem Heiler, Haddons verwundeten Arm mit Salbe und einem frischen Verband zu versorgen, und der Heiler befand, der Krieger könne nunmehr die Schlinge beiseitelassen, »wenn Ihr vorsichtig seid. Wir haben die Wunde heute Nacht mit einer rot glühenden Klinge behandelt, um das Gift auszubrennen oder zumindest dessen Wirkung bis zum Sonnenaufgang einzudämmen. Nun kümmern wir uns nur noch um die Brandwunde und den tiefen Riss, denn das Vulggift haben Tageslicht und Adons Bann vernichtet. «

Bald war alles bereit, und auf die Hornsignale der Begleitmannschaft hin setzte sich der Zug in Bewegung und nahm seinen südlichen Kurs wieder auf, der ihn auf der Poststraße von der Feste Challerain weg in Richtung der Schlachtenhügel und Steinhöhen führte.

Den ganzen Tag lang holperten und rumpelten die Wagen über den gefrorenen Weg, und Laurelin empfand die kurzen stündlichen Halts als willkommene Abwechslung zu dem Vibrieren und Schwanken ihres Gefährts.

Igon bekam sie kaum zu Gesicht, denn er ritt zusammen mit Hauptmann Jarriel an der Spitze des Zuges, damit er als Erster erfuhr, was die Kundschafter der Begleitmannschaft zu berichten hatten, die auf ihren Pferden weit vorauseilten.

Saril dagegen leistete der Prinzessin die ganze Zeit über Gesellschaft. Die beiden verbrachten die Nachmittagsstunden im Gespräch, nachdem sie am Morgen Zhon gespielt hatten, ein Tarot-Spiel, das bei Hof recht beliebt war. Doch statt des erwarteten Vergnügens hatte Laurelin zunehmend Unbehagen empfunden, je länger sie spielten. Und obwohl die Farbe der Sonnen nichts als glänzende Vorzeichen bot, hatte ihr Blick nur das Quartett der Schwerter und die Schwarze Königin gesucht, und ihr Herz hatte einen Satz getan, sooft eine Karte umgedreht wurde. Zuletzt hieß sie Saril, die Karten wegzulegen, denn sie hatte die Freude an dem Spiel verloren.

Zur Mitte des folgenden Nachmittags saß Laurelin, wie es ihre Gewohnheit war, hinten im Wagen und spähte durch die Leinwandklappe nach draußen, auf die vorüberziehende Landschaft; sanft gewellte Hügel begannen sich aus dem Grasland zu erheben, da sich die Karawane den nördlichen Ausläufern der Schlachtenhügel näherte. Viele angenehme Meilen hatten sie zurückgelegt, als Laurelins Blick plötzlich eine Bewegung wahrnahm; dazu hörte sie den Klang eines Horns: Es war der rückwärtige Kundschafter, der auf seinem Pferd heranjagte, um den Zug zu überholen. Bald schon donnerte er vorüber, das Horn schmetterte drängend, und der Schnee stob von den wirbelnden Hufen, während er in südwestlicher Richtung zu den vorderen Wagen preschte. Laurelin schlug das Herz heftig in der Brust. Sie fragte sich, was der Grund für seine Eile sein mochte.

Einige Zeit verging, dann hörte die Prinzessin erneut das Hämmern von Hufen, und Pferde donnerten in der Gegenrichtung vorbei: Igon, Hauptmann Jarriel und der Kundschafter jagten mit wehenden Umhängen nach Norden. Sie verließen die Poststraße und galoppierten auf einen kleinen Hügel hinauf, wo sie die Pferde anhielten. Lange verharrten sie reglos und blickten nach Norden, zurück in jene Richtung, wo die Feste Challerain nun weit hinter dem Horizont lag. Laurelin betrachtete ihre dunklen Silhouetten vor dem Nachmittagshimmel, und wieder raste ihr Herz: sie empfand eine starke Vorahnung. Da war etwas an der Art und Weise, wie das Trio dort oben verharrte, und schließlich fiel es ihr ein: Sie sehen genauso aus wie diese alte Holzschnitzerei: Die drei Vorboten von Gelvins Verderben. Und eine große Bedrückung senkte sich auf ihre Brust, denn dies war eine äußerst düstere Geschichte.

Endlich machten Igon und Jarriel kehrt und ließen nur den Kundschafter auf dem Hügel zurück, während sie selbst die verschneiten Hänge hinabsprengten. Rasch hatten die Pferde den langsamen Zug eingeholt. Jarriel ritt an die Spitze vor, während Igon Rost ans Ende von Laurelins Wagen lenkte. Die Prinzessin schlug die Klappe weit auf und hob ihre Stimme über das Rumpeln der Achsen und Räder: »Was gibt es? Was habt Ihr im Norden gesehen?«

»Es ist die Schwarze Wand, Prinzessin«, sagte Igon grimmig. »Sie bewegt sich unablässig nach Süden. Ich vermute, die Feste Challerain müsste gestern um die Mittagszeit vom Dusterschlund umschlossen worden sein; höchstwahrscheinlich liegt sie inzwischen im harten Griff der bitteren Winternacht. Doch die Wand ist schnell weitergezogen, und wenn nichts ihren Kurs ändert, wird sie morgen schon diesen Zug überholen.

Wir beide, Ihr und ich, müssen heute Abend zu den Leuten gehen und sie auf diesen schwarzen Fluch vorbereiten, denn er wird ihre Seelen peinigen und das Feuer in ihren Herzen erschöpfen.« Igon lenkte Rost vom Wagen weg und rief: »Ich muss fort, um die Begleitmannschaft neu einzuteilen. « Und der große Rotschimmel stürmte von Igon angetrieben nach vorn.

Die Nachricht erfüllte Laurelins Herz mit Furcht. Sie dachte verzweifelt an jene, die in der Feste zurückgeblieben waren: Aurion, Vidron, Gildor und die Wurrlinge, besonders Tuck, an alle Krieger überhaupt, und an Galen, wo immer er sein mochte. Und die Prinzessin fragte sich, wer sie selbst trösten und ihr Mut geben würde, wenn die Dunkelheit kam. Sie wandte den Blick zu Saril und sah, dass die Magd weinte und vor Angst bebte, denn sie hatte Igons Worte gehört. Laurelin zog Saril an sich und beruhigte sie wie ein verirrtes Kind. In diesem Augenblick wusste sie, dass niemand eine Prinzessin trösten würde, denn es ist allgemeine Ansicht, dass Menschen fürstlichen Geblüts die Ängste und Nöte des gemeinen Volkes nicht empfinden.

In dieser Nacht war Laurelins unruhiger Schlaf von verzweifelten Träumen erfüllt, in denen sie stets in einer Falle saß.

Im Morgengrauen des folgenden Tages war die Schwarze Wand für alle deutlich zu sehen. Sie ragte am Horizont auf und schien höher zu werden, da sie näher kam. Kinder weinten und klammerten sich an ihre Mütter, und allenthalben sah man beklommene Gesichter.

Rasch wurde das Lager abgebrochen, die Karawane machte sich erneut auf die lange Reise und zog langsam über die Poststraße, die sich nun entlang der Schlachtenhügel nach Westen wandte. Saril weinte, weil die Straße damit nicht mehr nach Süden und von der anrückenden Wand wegführte. Und von Norden rollte wie eine große schwarze Welle die Finsternis des Bösen heran und kam mit jedem Augenblick, der verstrich, näher.

Langsam tauchte die Sonne am Himmel auf und kletterte zu ihrem Zenit empor, doch hinderten ihre goldenen Strahlen nicht das Vorrücken der Dunkelheit, als sich die Mittagszeit näherte; denn es näherte sich ebenso die böse dunkle Flut, die inzwischen vielleicht eine Meile oder höher als schwarze Wand drohend in den Himmel ragte. Vor ihr wirbelte der Schnee in einer aufquellenden Wolke, und man hörte das Tosen des Windes am Fuß des schwarzen Walls.

Pferde scheuten und tänzelten unruhig, und aus den Wagen erhoben sich Kindergeschrei, das Weinen von Frauen und das Stöhnen alter Männer.

Mit grimmiger Miene sah Laurelin die Dunkelheit kommen, blass im Gesicht, die Lippen waren nur noch ein schmaler Strich. Ihr Blick aber blieb fest, und sie zuckte nicht einmal, als die Wand über sie hereinbrach. Hinter ihr kauerte Saril zusammengesunken im Wagen und hatte das Gesicht in den Händen vergraben; sie stöhnte und schaukelte in entsetzlicher Angst hin und her, ein Häufchen Furcht im Angesicht des Dusterschlunds.

Nun war der Zug von einem Schneesturm eingeschlossen, der ihnen jegliche Sicht nahm, und starke Hände waren vonnöten, um die Pferde im Zaum zu halten, während das kreischende Weiß um sie herum tobte.

Das Licht der Sonne schwand, es wurde rasch schwächer und verblasste zum gespenstischen Schimmern des schwarzen Schattenlichts.

Dann war die Woge vorübergezogen, und das Heulen des Windes verstummte allmählich; der aufgewirbelte Schnee sank langsam wieder auf die Erde herab. Die Karawane stand nun gänzlich im Dusterschlund, und eine bitterkalte Winternacht ergriff das Land. Entsetzliche Stille legte sich auf die Ebenen und zwischen die Schlachtenhügel, unterbrochen nur von den einzelnen Klagelauten jener, deren Furcht die Grenzen ihres Muts sprengte.

Zwanzig Meilen fuhr der Wagenzug an diesem Tag, zehn im Sonnenlicht, zehn im Dusterschlund. Ein Lager wurde aufgeschlagen und Essen zubereitet, aber die Leute hatten keinen Appetit und nahmen nur wenig zu sich. Laurelin zwang sich zu einer vollen Mahlzeit, Saril hingegen stocherte nur in ihrem Essen, die Augen rot vom Weinen. Im Gegensatz dazu schien das Schattenlicht auf Haddons Appetit keinen Einfluss zu haben. Allerdings hatte er als Angehöriger von Galens Hundertschaft auch schon viele Dunkeltage darin verbracht; er aß bereitwillig, sein Blick aber war grimmig und wachsam, denn er wusste: wohin der Dusterschlund sich senkte, dorthin gingen auch die Geschöpfe des Bösen.

Igon und Jarriel kamen ebenfalls ans Feuer, um ihr Mahl einzunehmen. Der Hauptmann wirkte nachdenklich, während er aß, und bald brachte er sein Anliegen in aller Höflichkeit vor: »Prinzessin, ich möchte vorschlagen, Euren Wagen morgen in die Mitte des Zuges zu verlegen, wo Ihr sicherer seid.«

»Wieso das, Hauptmann?«, fragte Laurelin.

»Hier am Ende des Zugs ist Euer Wagen in hohem Maße ungeschützt«, entgegnete Jarriel und setzte seinen Becher ab, »und einem feindlichen Angriff offen ausgesetzt. Ich würde Euch lieber an eine Position rücken, wo es schwieriger ist, Euch von den anderen zu trennen, und wo Ihr leichter zu verteidigen seid.«

»In diesem Fall«, erwiderte die Prinzessin, »wäre aber jemand anders an letzter Stelle und damit ungeschützt. Ich kann doch niemanden bitten, meinen Platz einzunehmen.«

»O doch, das müsst Ihr sogar«, stöhnte Saril. Sie rang die Hände und ihre Augen weiteten sich vor Furcht. »Bitte, lasst uns in die Mitte des Zuges rücken. Dort sind wir wesentlich sicherer.«

Laurelin blickte voller Mitleid auf ihre verängstigte Hofdame. »Saril, kein Ort ist sicher vor dem Bösen: nicht das Ende des Zugs, nicht die Mitte und auch nicht die Spitze. Ich habe diese Stelle gewählt, um meinem geliebten Prinzen Galen näher zu sein, und dieser Grund hat immer noch seine Berechtigung.«

Eine Weile sprach niemand, man hörte nur das Knistern des Feuers und Sarils leises Weinen. Dann meldete sich der grobschlächtige Haddon zu Wort: »Prinzessin, Saril hat recht, wenn auch aus den falschen Gründen, und das Gleiche gilt für Hauptmann Jarriel. Ihr müsst in die Mitte des Zuges rücken, auch wenn diese nicht mehr Sicherheit vor dem Feind in Gron bieten mag als jede andere Stelle – und auch nicht leichter zu verteidigen sein wird. Nein, was diese beiden Gründe angeht, so bin ich auf Eurer Seite. Doch meine ich trotzdem, Ihr müsst verlegt werden, denn eine andere Sache scheint mir zwingend:

Habt Ihr die Leute beobachtet, als Ihr heute Abend die Karawane abgeschritten seid? Ich tat es, und was ich sah, war dies: düster waren ihre Mienen und bang ihr Herz, ehe Ihr zu ihnen kamt. Doch viele selbst der Ängstlichsten brachten ein mattes Lächeln zuwege, als Ihr aus dem Schattenlicht erschienen seid. Sicher, sie fürchten sich noch immer, aber nicht mehr so sehr wie zuvor. Und deshalb müsst Ihr in der Mitte des Zuges fahren, denn Ihr seid das edle Herz und die reine Seele jener Leute, und Ihr solltet möglichst vielen so nahe sein, wie es nur möglich ist. Und auch wenn Ihr nicht in jedem Wagen fahren könnt, so könnt Ihr doch in der Mitte aller Wagen fahren. Dann wissen alle, dass Ihr unter ihnen seid, und nicht weit entfernt am Ende des Zuges.«

Und höflich fügte der Krieger hinzu: »Ich werde Euren gegenwärtigen Platz am Ende der Karawane einnehmen, Ihr aber müsst Euren wahren Platz in der Mitte der Eurigen haben.«

Haddon verstummte. Sein Wortschwall war zu Ende. Er war ein Krieger, kein Mann des Hofes, doch hätte kein Höfling beredter zu sprechen vermocht als er.

Laurelin blickte in die Flammen der Feuerstelle, Tränen hingen an ihren Wimpern, und niemand sagte ein Wort. Schließlich wandte sie sich Hauptmann Jarriel zu und nickte knapp, denn sie traute ihrer Stimme nicht, und Jarriel seufzte erleichtert, während Saril umherzueilen begann und alles Mögliche einsammelte und verpackte, als würden sie auf der Stelle umziehen.

»Ai-oi, Haddon«, wandte sich Igon an den Krieger. »Wenn wir das nächste Mal mit einem anderen Reich verhandeln, möchte ich Euch unbedingt an meiner Seite haben, denn Euer ungeschlachtes Äußeres verbirgt eine goldene Zunge.«

Laurelins silberhelles Lachen klang über den Lagerplatz, und Igon, Haddon und Jarriel stimmten in ihre Heiterkeit mit ein, während Saril mit offenem Mund über diese Ausgelassenheit staunte und sich fragte, was um alles in der Welt jemand in diesem schrecklichen Dunkel lustig finden konnte.

Dann aber kam ein Krieger der Begleitmannschaft ans Feuer geritten und beugte sich zu Jarriel herab. »Vulgs springen in einiger Ferne vorbei, Hauptmann. Sie rennen nach Süden, als wollten sie den Rand des Dusterschlunds überholen. Einige jedoch haben offenbar kehrtgemacht und jagen auf ihrer eigenen Spur zurück. Falls es zutrifft, so weiß ich nicht, was es zu bedeuten hat.«

Jarriel sprang auf und bestieg sein Pferd. Igon saß mit einem Satz auf Rost, und zusammen ritten sie mit dem Boten nach vorn an die Spitze des Zuges.

Laurelin und Haddon blieben noch eine Weile sitzen; beide sprachen nicht viel, und das einzige Geräusch kam von Saril, die nun im Wagen saß und ängstlich vor sich hin murmelte, während sie durch die zurückgeschlagene Wagenplane nach draußen ins dunkle Land spähte.

Der Lärm des erwachenden Lagers holte Laurelin aus dem Schlaf.

»Komm, Saril«, sagte die Prinzessin und rüttelte ihre Hofdame an der Schulter. »Es ist Zeit für das Frühstück, denn bald werden wir aufbrechen.«

Saril brummte, noch nicht ganz wach: »Dämmert es denn schon, Herrin?«

»Nein, Saril«, antwortete Laurelin, »es wird an diesem Dunkeltag keine Dämmerung geben und wahrscheinlich auch an vielen anderen Tagen nicht, die noch kommen werden. «

Saril erbleichte und wollte sich unter ihrer Decke verstecken, aber Laurelin ließ es nicht zu, sondern befahl ihr stattdessen, sich anzukleiden. Insgeheim gab sie die Hoffnung auf, dass Saril jemals genügend Mut aufbrächte, sich dem Dusterschlund zu stellen.

Bald darauf kletterten sie vom Wagen herab, um über dem neu entfachten Lagerfeuer Tee zu kochen, den sie zu ihrem sonst kalten Morgenmahl trinken wollten. Bergil, ihr Kutscher, legte den Pferden das Geschirr an und koppelte sie an den Wagen. Dann kam er ebenfalls ans Feuer.

»Ähm, Herrin«, sagte Bergil und scharrte mit den Füßen im Schnee, als wollte er sie säubern, bevor er durch eine nicht vorhandene Tür trat. Er war sich in aller Klarheit der Tatsache bewusst, dass er unmittelbar zur Prinzessin sprach und nicht wie sonst zu Saril. »Wenn wir aufgegessen ha’m, soll ich uns in die Mitte vom Zug fahrn. Is’n direkter Befehl von Jarriel: In die Mitte vom Zug, das hat er gesagt, ehrlich. «

Auf Laurelins Nicken hin breitete sich Erleichterung auf Bergils wettergegerbten Zügen aus, denn es kam nicht jeden Tag vor, dass ein Kutscher von Angesicht zu Angesicht mit königlichen Herrschaften zu tun hatte – bei Lakaien, ja, da lag die Sache völlig anders, denn diese waren den Herren und Damen oft unmittelbar behilflich.

Bergil nahm seinen Tee, einen Kanten Brot und ein Stück kaltes Wildbret und kauerte sich auf die andere Seite des Feuers, um mit den Damen zu essen, anstatt sich wie sonst mit einigen seiner Kollegen an ein eigenes Feuer zu setzen. Denn da sie bald in die Mitte des Zuges vorrücken würden, hatte er dafür keine Zeit. Auch Haddon kam aus dem Nachbarwagen und gesellte sich zu ihnen. Kauend saßen sie da, ohne viel zu reden, und schauten dabei in die gespenstische Landschaft im Dusterschlund hinaus.

Kaum hatten sie ihr Mahl beendet, kamen auch schon Igon und Jarriel aus dem Schattenlicht geritten.

»Seid Ihr bereit, weiter nach vorn zu ziehen, Prinzessin?«, fragte Igon.

»Das bin ich.« Laurelin erhob sich, lächelte zu Haddon hinab und bedeutete ihm mit einer Geste, sitzen zu bleiben. »Ein anderer wird meinen Platz am Ende des Zuges einnehmen. «

Igon wandte sich zu Jarriel um. »So sei es denn. Gebt das Zeichen zum Aufbruch.«

Jarriel setzte ein Horn an die Lippen und blies ein Aufbruchsignal, das die Wagenreihe entlang und ins Land hinaus erschallte. Aroo! (Macht euch bereit!) Und von ringsum kamen Antwortrufe: Ahn! (Fertig!) Ahn! Ahn! Von vorn, hinten und von Norden kam die Antwort.

Jarriel wartete, doch es folgte kein Ruf von Süden, aus den Schlachtenhügeln, den dunklen Erhebungen auf der linken Seite des Zuges.

Noch einmal ließ Jarriel das Hornsignal ertönen, und wieder antworteten alle, jedoch außer der Wache im Süden.

»Majestät, da ist etwas nicht in Ordnung«, sagte Jarriel zu Igon, und seine Miene wirkte düster. »Der Wachposten auf dem Hügel im Süden antwortet nicht. Vielleicht …«

»Psst!«, machte Igon und hob die Hand. In der Stille, die nun folgte, hörten sie das Hämmern von Hufen – vielen Hufen – auf dem hart gefrorenen Boden. Es kam aus Süden.

»Blast zum Sammeln!«, rief Igon und zog das blitzende Schwert aus der Scheide.

Jarriel hob das Horn an die Lippen: Ahn! Hahn! Der gebieterische Ruf durchschnitt die Luft, während das Trommeln der Hufe lauter wurde. Ahn! Hahn! Ahn! Hahn!

Und dann brach aus den gespenstischen Schatten zwischen den düsteren Hügeln im Süden der Feind: Ghola auf donnernden Hélrössern, die mit vernichtender Gewalt auf den stehenden Zug zustürmten. Furchtbare, mit Stacheln besetzte Speere, vom rasenden Tod beschleunigt, Krummsäbel, die sich in unschuldiges Fleisch gruben, Grausamkeit auf unförmigen Klumphufen, all das stieß auf Frauen und Kinder, Alte und Lahme, Kranke und Verwundete herab. Die Klingen und Speerspitzen schlugen eine gewaltige, blutige Schneise in die unvorbereitete Karawane. Manche standen benommen da und wurden wie Vieh beim Fleischer in Stücke gehauen. Andere wandten sich zur Flucht und wurden im Laufen getötet: Auf diese Weise starb auch Saril, die in den Wagen klettern wollte, um sich dort zu verbergen.

Ein vorbeijagendes Hélross streifte Laurelin, sie wurde gegen die Seite des Wagens geschleudert und stürzte dann mit dem Gesicht voraus zu Boden. Ihre Wange wurde in den Schnee gedrückt, sie ruderte wild mit den Armen und bemühte sich verzweifelt aufzustehen, während sie gleichzeitig um Luft rang, aber keine bekam, da ihr der Aufprall gänzlich den Atem genommen hatte.

Neben ihr stürzte Hauptmann Jarriel tot zu Boden, die Brust durchbohrt von einem Speer mit gebrochenem Schaft. Laurelin versuchte die Hand nach ihm auszustrecken, konnte es jedoch nicht, denn sie hatte keine Gewalt über ihre Glieder und bekam noch immer keine Luft; vor ihren Augen kreisten schwarze Stäubchen, und dann wurde es dunkel um sie herum.

Zuletzt aber gelang es ihr, schluchzend tief Luft zu holen. Ihre Lungen pumpten in kurzen Stößen, während ihr Tränen übers Gesicht strömten. Sie hörte sich stöhnen, konnte aber nicht aufhören.

Weinend vor Qual stemmte sie sich auf Hände und Knie, und als sie aufblickte, sah sie Haddon, der mit einem brennenden Stück Holz nach einem Ghol auf einem Hélross schlug. Die toten schwarzen Augen des schändlichen Geschöpfs blickten starr aus dem leichenblassen Gesicht, als er den Krummsäbel durch Haddons Kehle stieß, und der Krieger fiel tot neben dem leblosen Körper Bergils zu Boden.

Angeschirrte Pferde warfen sich heftig nach vorn und wieherten in Todesangst, denn der beißende Gestank der Hélrösser umwehte sie. Einige schossen in Richtung der Ebenen und Hügel davon, was dazu führte, dass die Wagen umstürzten und die Pferde von den Beinen rissen oder sie wenigstens zum Stehen brachten.

Inmitten des wogenden Durcheinanders kämpfte ein Knäuel von Kriegern: Prinz Igon, der auf Rost saß, hatte eine Gruppe um sich geschart. Das Schwert des jungen Prinzen wirbelte unablässig umher, andere schlugen mit stählernen Breitschwertern um sich.

Laurelin sah ein Hélross taumeln und in den Schnee stürzen; aus seinem Hals ergoss sich schwarzes Blut. Der bleiche Gholenreiter indes löste sich rechtzeitig und sprang auf, um einen jungen Krieger mit seinem spitzen Speer zu durchbohren.

Nun bemerkte Igon die Prinzessin, die noch immer an der Stelle kniete, wo sie zu Boden geschleudert worden war. »Laurelin!«, schrie er und trieb Rost mitten in die Reihen der Feinde, um zu ihr zu gelangen. Doch ein Ghol auf einem Hélross versperrte ihm den Weg, und Wut verzerrte Igons Züge bis zur Unkenntlichkeit. Tschang! Zang! Schwert und Krummsäbel krachten Funken sprühend aufeinander. Zonk!, zersprang die Klinge des Ghols in Stücke, und als dieser den Arm hob, um den Schlag abzuwehren, durchschnitt Igons Stahl vollständig das Handgelenk und den Hals des Ghols – die abgetrennten Körperteile flogen in hohem Bogen davon, während der kreideweiße Leichentorso in den Schnee kippte.

Erneut trieb Igon Rost in Laurelins Richtung und rief ihren Namen. Aber wiederum versperrten Ghola den Weg, und diesmal griffen sie mit vereinten Kräften an. Drei, bald vier von ihnen fielen über den jungen Mann her, der in arge Bedrängnis geriet. Doch Igons Klinge grub sich, von Wut und Verzweiflung getrieben, tief in den Feind. Ein weiterer Ghol fiel mit gespaltenem Schädel, und Igon schrie: »Zur Prinzessin! Zu Prinzessin Laurelin!«

Ein Ghol auf einem Hélross prallte gegen Rost, und das große rote Pferd geriet ins Stolpern, blieb dank seiner Kampfausbildung jedoch auf den Beinen und wendete rasch, damit Igon den Gholenfeind stellen konnte. Seine Klinge schwang in weitem Bogen und so kräftig geführt, dass sie surrte; der scharfe Stahl schnitt durch die Rüstung und Sehnen des Ghols und dann tief in den Knochen, wo er stecken blieb. Wütend zerrte Igon an der Klinge, doch genau in dem Augenblick, da er sie frei bekam, sauste ein feindlicher Krummsäbel herab und spaltete seinen Helm. Blut spritzte über das Gesicht des jungen Prinzen, er stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr.

Laurelin sah Igon fallen und kam nun schwankend auf die Beine. »Igon! Igon!« Die Schreie gellten voller Entsetzen aus ihrer Kehle, doch der Prinz bewegte sich nicht, und sein Blut schwoll zu roten Rinnsalen an und tropfte in den Schnee. Kreischend vor Wut packte Laurelin Jarriels Dolch und warf sich ins Getümmel. Mit einem heiseren, hasserfüllten Schrei stieß sie die Klinge bis zum Heft in den Rücken des unberittenen Ghols. Unbeeindruckt von dem Stahl, der tief in seinen Rippen steckte, drehte sich der Ghol um und schleuderte sie mit seinem Speer zur Seite.

Laurelin wurde mit voller Wucht zu Boden geworfen, der Schlag brach ihr den Arm, und sie unternahm keinen Versuch mehr aufzustehen. Weinend saß die Prinzessin da, während die rasenden Ghola die letzten Überlebenden erschlugen.

Bald waren alle Soldaten getötet worden, und die Feinde wandten sich leichterer Beute zu; ihre Schwerter hoben und senkten sich, der Schnee färbte sich rot von Blut. Ghola eilten zwischen den Wagen umher, ihre toten, schwarzen Augen suchten nach den Unschuldigen und Wehrlosen. Niemand wurde verschont – keine Frau, kein Kind, kein Alter, niemand. Selbst die Pferde, die in ihren Zugriemen festhingen, töteten sie und setzten einige Wagen in Brand.

Und Laurelin saß im Schnee und weinte über das grauenhafte Geschehen. Sie wartete, dass sie kämen und ihr die Kehle durchschnitten.

Noch jemand wartete, allerdings voller Zorn und Trotz: Es war Rost! Der große Rotbraune stand über der reglosen Gestalt Igons, er hatte das Gebiss entblößt und trat mit den Hufen nach vorüberkommenden Ghola; das Schlachtross verteidigte seinen Herrn, wie man es ihm beigebracht hatte.

Laurelin sah das Pferd und frohlockte, denn die Ghola machten einen weiten Bogen um Rost. Einer jedoch wiegte bereits einen Speer in der Hand, um ihn gegen das Tier zu schleudern. »Jagga, Rost! Jagga! (Versteck dich, Rost! Versteck dich!)«, schrie Laurelin mit aller Kraft ihrer Seelenpein. Der Hengst fuhr herum und sah die Prinzessin an. »Jagga!«, ertönte noch einmal der Befehl.

Rost machte genau in dem Augenblick, da der Speer flog, einen Satz nach vorn, und das Geschoss streifte nur seinen Widerrist, während er an Laurelin vorbei zu den nahen Schlachtenhügeln stürmte, weil er dem Kampfbefehl, sich zu verstecken, Folge leistete.

Ghola sprengten ihm auf Hélrössern nach, aber das große, rote Pferd lief schneller und der Abstand wuchs. »Ja, Rost, lauf!«, rief Laurelin. »Lauf!« Und Rost floh, als wären ihm Flügel gewachsen. Die Prinzessin sah ihn in den Dusterschlund fliegen und im Schattenlicht zwischen den Hügeln verschwinden. »Lauf«, flüsterte sie ihm noch einmal hinterher. Doch er war bereits verschwunden.

Ein leichenblasser Ghol mit einem gezackten Speer in der Hand schwankte auf Laurelin zu, sein rot klaffender Mund war vor Wut verzerrt, und er starrte aus seelenlosen schwarzen Augen auf sie hinab. Laurelin sah, unfähig aufzustehen, zu ihm hinauf und hielt sich den gebrochenen Arm. Ihre Augen sprühten vor Hass, und sie warf den Kopf in die Richtung, in die Rost geflohen war. »Das ist einer, den eure Brut nicht erwischt!«, spie sie trotzig aus, und ihre hellen Augen bohrten sich triumphierend in die des Scheusals.

Der Ghol hob den Speer mit beiden Händen, bereit, ihn der Prinzessin durch die Brust zu stoßen. Laurelin bebte vor ohnmächtigem Zorn, ihre Augen funkelten unerschrocken und voller Abscheu. Der Ghol holte zum letzten Stoß aus.

»Slath!«, ertönte hinter ihr ein Befehl wie ein Peitschenhieb. Die Stimme war ein grässliches Zischen, und Laurelin überkam ein Gefühl, als würden ihr Vipern über den Rücken kriechen. Der Ghol ließ den Speer sinken, und als sich die Prinzessin umdrehte, sah sie einen Menschen auf einem Hélross. Er war ein Naudron, einer des Volkes, das in den öden Weiten des Nordens umherstreift und Robben, Wale und die Geweih tragenden Tiere der Tundra jagt. Doch als Laurelin in die dunklen Augen des kupfergelben Gesichts blickte, starrte ihr das Böse schlechthin entgegen.

»Wo ist der andere, der Junge?« Das Zischen von Grubennattern erfüllte die Luft.

»Hin.« Die Stimme des Ghols erklang tonlos, matt.

»Ich sagte, die beiden sollen geschont werden!«, schrie die zischende Stimme, »aber ihr lasst mir nur die Prinzessin. « Die bösartigen Augen erfassten Laurelin, die das Gefühl hatte, ihre Haut zöge sich zusammen. Sie wäre gern vor diesem Wesen geflohen, doch sie erwiderte den Blick und zuckte nicht mit der Wimper. »Wo ist der armselige Igon?«, zischte die Schlangenstimme.

In diesem Augenblick verließ Laurelin beinahe der Mut, denn Igon lag keine zwanzig Fuß entfernt im Schnee. Doch sie ließ sich nichts anmerken.

»Nabba thek!« Auf den Befehl hin stiegen Ghola ab und begannen langsam zwischen den Erschlagenen umherzugehen. Sie hakten die Stacheln ihrer Speere in das Fleisch und die Kleidung der Toten und drehten sie mit dem Gesicht nach oben.

Laurelin sah entsetzt auf das Geschehen. »Lasst sie in Frieden!«, schrie sie, »lasst sie doch in Frieden!« Dann verlor ihre Stimme alle Kraft und wurde zu einem Flüstern. »Lasst sie in Frieden.« Doch weiter stocherten und zerrten die grässlichen Stacheln, die Gesichter der Getöteten wurden untersucht. »Er ist tot!«, schrie Laurelin dem Naudron zu. »Igon ist tot!« Unbeherrschbares Weinen schüttelte die Prinzessin, da der ganze Schrecken dieses Blutbads sie nun überwältigte.

»Tot!« Die Stimme des Naudrons war voller Wut. »Ich habe befohlen, dass er verschont werden solle! Für diesen Ungehorsam wird die gesamte Gruppe büßen!« Pure Bösartigkeit starrte auf die Ghola, die jedoch weiter zwischen den Toten umherstaksten.

»Slath!«, befahl die Natternstimme. »Garja ush!« Die Ghola ließen von ihrer grausigen Beschäftigung ab, und zwei von ihnen zerrten Laurelin auf die Beine, in deren rechtem Unterarm die gebrochenen Knochen knirschten. Der Prinzessin wurde schwarz vor Augen, sie hatte das Gefühl, in einen dunklen Tunnel zu stürzen.

Laurelin wurde gewahr, dass eisige Hände sie festhielten und man ihr eine brennende Flüssigkeit einflößte. Hustend und spuckend versuchte sie, die lederne Feldflasche wegzuschieben, und der stechende Schmerz, der durch ihren rechten Arm jagte, ließ sie vollends wach werden. Ghola hielten sie fest. Ihr rechter Arm lag vom Handgelenk bis zur Schulter in einer am Ellenbogen abgewinkelten Schiene und war mit dicken Verbänden umwickelt. Wieder flößte man ihr die Flüssigkeit ein, deren Feuer in Brust und Magen brannte und sich in alle Glieder ausdehnte. Sie schlug die Flasche weg und drehte den Kopf zur Seite. Doch noch einmal zwangen die Ghola gewaltsam den brennenden Trunk in sie hinein, indem sie ihr Gesicht unsanft nach oben drehten und schütteten, bis sie würgte und das widerliche Gebräu weit von sich spuckte.

»Ush!« Laurelin wurde erneut auf die Füße gezerrt. Sie blieb kraftlos, zitternd und schwankend auf den Beinen. »Rul durg!« Die kalten Hände des Leichenvolks rissen ihr die Kleider vom Leib, bis sie nackt vor dem Naudron stand. Er saß auf dem Hélross, und seine bösartigen Augen weideten sich an dem Anblick. Laurelin empfand große Angst und Abscheu. Die Kälte ließ ihre Glieder taub werden, doch sie blieb trotzig stehen. Man warf ihr gesteppte Rukken-Kleidung und pelzgefütterte Stiefel vor die Füße. Ghola zwangen sie, die Sachen anzuziehen; sie waren schmutzig, voll von Ungeziefer und zu groß für sie, aber warm. Während des Ankleidens gab sie nur einmal einen Laut von sich, einen unterdrückten Schmerzensschrei, als man ihren geschienten Arm unsanft durch den Jackenärmel zwängte.

Der Naudron spie und zischte Befehle in der widerlichen Slûk-Sprache, und er tat es so schnell, dass Laurelin in dem kehligen Sabbern keine einzelnen Worte unterscheiden konnte. Als man ihr den Arm mit einem Ruck in eine Schlinge zurrte, wandte er ihr den Blick zu. Ein Hélross wurde gebracht, und sie setzten Laurelin auf das grässliche Tier, dessen fauliger Gestank sie beinahe würgen ließ.

»Man wird dich zu meiner Festung bringen«, zischte die Stimme, »wo du mir zu einem bestimmten Zweck dienen wirst.«

»Niemals«, stieß Laurelin hervor. »Niemals werde ich dir dienen. Du wähnst dich auf einem zu hohen Thron.«

»Ich werde dich an deine Worte erinnern, wenn die Zeit gekommen ist, da der Thron Mithgars mir gehört.« Feindseligkeit breitete sich auf den höhnischen Zügen des Naudrons aus.

»Es gibt einen, nein, viele in der Feste Challerain, die dieses Streben durchkreuzen werden, Elender!«, fauchte Laurelin.

»Pah! Challerain!«, höhnte der Naudron. »Diese Ansammlung armseliger Schuppen lodert in diesem Augenblick bereits, in Brand gesetzt von meinen Zerstörungsmaschinen. Noch ehe dieser Dunkeltag endet, wird Challerain bis auf die Grundmauern niedergebrannt sein, und Aurion Rotaug mit seiner kümmerlichen Armee wird nichts dagegen tun können – gar nichts! Und das Feuer wird seinen Willen schwächen, die Kraft seiner Männer wird in die Asche der zerstörten Stadt sinken. Dann aber werde ich zuschlagen: Meine Horde wird die Tore einrennen und die Wälle erklimmen, um die Narren zu töten, die drinnen in der Falle sitzen. «

Laurelin gefror das Blut in den Adern, als sie diese Worte hörte, doch sie zeigte keine Angst und sagte nichts.

»Wir verschwenden nur Zeit«, zischte er und rief einen Befehl zu der Truppe der Ghola, die nun hinter ihm Aufstellung genommen hatten. »Urb schla! Drek!« Dann wandte er sich noch einmal an Laurelin. »Wir sprechen uns wieder, Prinzessin.«

Und vor Laurelins Augen verzerrten sich die Züge des Naudrons und erschlafften schließlich; das bösartige Starren war vollständig verschwunden, ersetzt durch einen geistlos leeren Ausdruck.

Ein Ghol ritt heran und ergriff die Zügel des Hélrosses, um das Tier zu führen, während ein zweiter Laurelins Ross übernahm. Und auf einen kurzen, bellenden Laut hin ritt die Kolonne der Ghola nach Osten davon.

Zurück blieben zwischen brennenden Wagen und abgeschlachteten Pferden die Ermordeten: Mütter und Säuglinge, die Lahmen und Alten, Frauen, Soldaten und Kinder, hingestreckt auf dem blutgetränkten Schnee; einige starrten mit ihren blinden Augen der Kolonne der Ghola nach, die in den Dusterschlund verschwand. Es fiel kein einziges Wort, denn die Toten sprechen nicht.

Dreißig quälende Meilen ritten die Ghola durch das Schattenlicht, durch die Winternacht, in deren eisigem Griff die nördlichen Schlachtenhügel lagen; die Stöße des Hélrosses ließen einen unerträglichen Schmerz durch Laurelins Arm schießen. Bisweilen wurde sie beinahe ohnmächtig, doch das Stoßen hörte nicht auf. Der Schmerz zeichnete harte Linien in ihre Züge, sie sah abgehärmt aus und konnte sich kaum mehr aufrecht halten. Dass sie nicht zusammenbrach, war möglicherweise der brennenden Flüssigkeit zu verdanken, die man ihr eingeflößt hatte; sie fiel jedenfalls nicht, auch wenn sie nicht sagen konnte, warum. Und der grausame Ritt nahm kein Ende. Zuletzt hielt die Kolonne aber, um ein Lager aufzuschlagen. Man zerrte Laurelin von ihrem Reittier, sie war unfähig zu stehen, setzte sich also in den Schnee und beobachtete dumpf, wie die Ghola den Naudron mit dem leeren Blick von seinem Hélross holten.

Wieder zwang man sie, die brennende Flüssigkeit zu trinken, dann bekam sie eine Mahlzeit. Benommen aß sie von dem faden dunklen Brot und der dünnen Schleimsuppe, rührte das unbekannte Fleisch jedoch nicht an. Angewidert sah sie zu, wie das schändliche Volk gierig sein Essen verschlang, alle bis auf den tumben Naudron, der schwerfällig und sabbernd den dünnen Haferbrei schluckte, den ihm ein Ghol mit dem Löffel einflößte.

Und während sie im Lager dieser Unholde saß, wurde sie nur von einem einzigen verzweifelten Gedanken beherrscht: Galen, ach Galen, wo bist du?

Schließlich wurde Laurelin mit einem Tritt geweckt und bekam die Flasche mit der brennenden Flüssigkeit gereicht. Ihr zerschundener Körper schrie vor Schmerz: der Arm war eine Qual, die Gelenke heiß, alle Muskeln hart. Dieses Mal trank sie ohne Zwang, denn das üble Gebräu linderte die Folterqualen.

Schon machten sich die Ghola wieder zum Aufbruch bereit, und sie räumten Laurelin nicht einmal Ungestörtheit zur Verrichtung ihrer Bedürfnisse ein. Sie fühlte sich von den toten, schwarzen Augen tief gedemütigt.

Weiter ging es durch den Dusterschlund, ihr Ritt führte beständig nach Osten, doch immer noch bewegten sie sich in den nördlichen Ausläufern der Schlachtenhügel. Dieses Mal legten sie beinahe fünfunddreißig Meilen zurück, bevor sie ein Lager aufschlugen.

Laurelin konnte sich kaum noch rühren, als sie endlich anhielten, denn der unablässige Schmerz in ihrem Arm war nun schlimmer geworden und hatte an ihrer Lebenskraft gezehrt; und der Ritt auf dem Hélross marterte Beine, Gesäß, Rücken und selbst die Füße in unbeschreiblicher Weise.

Dumpf aß sie ihr Mahl, ohne nachzudenken. Doch plötzlich spürte sie, wie ihr eine eisige Kälte ans Herz griff, und ohne es erklären zu können wusste sie, dass das Böse sie aufs Neue anblickte: Sie drehte sich um und fand ihr Gefühl bestätigt, denn aus dem Gesicht des Naudrons funkelte wieder die reine Böswilligkeit.

»Challerain ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt«, höhnte die Stimme. »Der erste und zweite Wall sind dem Sturmbock und meiner Horde erlegen. Aurion Rotaug und sein armseliges Häuflein ziehen sich weiter nach oben zurück, wo sie wie Kaninchen in der Falle sitzen.«

Große Furcht ließ Laurelins Brust heftig schlagen, doch auch Zorn brannte dort. »Wozu erzählst du mir das?«, fragte sie. »Glaubst du, du kannst mir mit deinen Worten allein Angst einjagen?«

Doch der Naudron antwortete nicht, denn seine Augen waren bereits wieder tot.

Schmerzgepeinigt, mit einem beständig pulsierenden Stechen im Arm, fragte sich Laurelin, wie lange sie wohl noch aushalten konnte. Äußerlich jedoch ließ sie sich von ihren Qualen nichts anmerken, als die Kolonne aufs Neue nach Osten aufbrach. In Gedanken suchte sie nach Möglichkeiten zur Flucht, doch es fielen ihr keine ein.

Neun Meilen ritten sie durchs Schattenlicht, schließlich zwölf, immer auf die östlichen Ausläufer der Schlachtenhügel zu, nördlich des Weitimholz. Plötzlich breitete sich Unruhe in der Kolonne aus. Laurelin reckte den Hals, und voraus, genau an der Grenze ihres Sehvermögens, sah sie … Elfen! Elfen auf Pferden! Ihr Herz machte einen hoffnungsvollen Satz. Rettung! Doch halt: Sie kamen nicht in ihre Richtung. Stattdessen ritten sie rasch auf eine Waldgrenze im Süden zu, und hinter ihnen jagte zu Fuß eine große Streitmacht des Madenvolks her, dessen raue Schreie über die Schneefläche gellten. »Wartet!«, rief Laurelin. Doch ihre Stimme ging im freudigen Geheul der Ghola unter, die sich daran weideten, Elfen vor Rukha und Lökha ins Weitimholz fliehen zu sehen.

Als die Elfen in den winterlichen Wald verschwanden, stürzte Laurelins Herz in Verzweiflung, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Innerlich jedoch war sie wütend auf sich selbst: Lass ihnen nicht diese Genugtuung, dachte sie, und sie setzte sich im Sattel des Hélrosses aufrecht hin und unterdrückte mühsam ihr Weinen, ehe die Ghola es sehen konnten. Und sie beobachtete, wie die erste Reihe der brüllenden Rukha und Lökha Hals über Kopf in den Wald stürzte, und Aberhunderte hinter ihnen drein.

Die Gholen-Kolonne setzte ihren Weg nach Osten fort, vorbei an der Streitmacht des Madenvolks, die ins Weitimholz eindrang. Ein Stück voraus sah Laurelin einen zweiten Haufen von Ghola, die ruhig auf ihren Hélrössern saßen und beobachteten, wie die Truppe in den Wald verschwand.

Die beiden Gholen-Kolonnen trafen und vereinten sich; sie sprachen mit tonlosen Stimmen, die jeglichen Lebens beraubt

Titel der amerikanischen Originalausgabe

SHADOWS OF DOOM

Deutsche Übersetzung von Fred Kinzel

Überarbeitete Neuausgabe 05/2009

Copyright © 1984 by Dennis L. McKiernan

Copyright © 2009 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlagillustration: Arndt Drechsler Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Karte: Andreas Hancock Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN 978-3-641-08098-3

www.heyne.dewww.heyne-magische-bestseller.de

www.randomhouse.de

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