Eltern der Erde - Harry Eilenstein - E-Book

Eltern der Erde E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

"Eltern der Erde" ist der Versuch, ein "Glasperlenspiel" zur Situation der menschlichen Gesellschaft an der Jahrtausendwende zu entwerfen. Wie in Hermann Hesses Roman "Glasperlenspiel" geht es auch in diesem Buch um Zusammenhänge, Analogien und parallele Strukturen in den verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, Philosophie, Religion oder Lebensalltag. Aus den Gemeinsamkeiten, die sich bei der Betrachtung der inneren Entwicklungslogik in diesen Bereichen entdecken läßt, ergibt sich dann eine Struktur, die die Phase unserer Zivilisation von ca. 1500 bis heute als die Pubertät der Menschheit erkennen läßt, die nun vor der dringenden Aufgabe des Erwachsenwerdens steht. Bei der Suche nach diesen Zusammenhängen und allgemeingültigen Entwicklungsmustern stößt man auch auf einige unerwartete Antworten auf recht verschiedene Fragen wie "Warum wurde Moses in einem Weidenkorb ausgesetzt?", "Warum funktionieren Orakel wie Tarot und Astrologie?", "Was ist der "Urstoff" dieser Welt?" oder "Warum müssen wir schlafen?". Entsprechend dem Wesen der Glasperlenspiele, in dem sich verschiedene Struktursysteme wie der kaballistische Lebensbaum, die Astrologie und die Chakrenlehre mühelos zusammenfügen, führt diese Suche auch zur Entdeckung derselben Strukturen im menschlichen Bewußtsein un in den Gesetzen der Physik, in den Berichten von Nahtod-Erlebnissen und Berichten von Erinnerungen an die Zeit vor der eigenen Geburt und Zeugung, sowie in vielen anderen Bereichen.

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Bücher von Harry Eilenstein:

- Astrologie (320 S.)

- Handbuch für Zauberlehrlinge (408 S.)

- Der Lebenskraftkörper (230 S.)

- Die Chakren (100 S.)

- Meditation (140 S.)

- Drachenfeuer (124 S.)

- Hathor und Re:

Band 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)

Band 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)

- Muttergöttin und Schamanen (140 S.)

- Christus (60 S.)

- Odin (284 S.)

- Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)

- Eltern der Erde (450 S.)

- Blüten des Lebensbaumes:

Band 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)

Band 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)

Band 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)

- Über die Freude (100 S.)

- Das Geheimnis des Seelenfriedens (252 S.)

- Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)

Kontakt

www.HarryEilenstein.de

[email protected]

für meine Frau Ute und für unseren Sohn David

für meinen Freund Jörg und für Herrn Fellner

für Britta und Markus Stockhausen

und für die, die mich beim Schreiben des Buches inspiriert haben

Übersicht

I An der Schwelle zum 3. Jahrtausend

I Suche nach einer Wegbeschreibung ins 21. Jahrhundert

A Reise in die Vergangenheit

B Geschichte und Biographie

C Entwicklungsschritte

D Übergänge

E Der Baum

F Das Erbe der Vergangenheit

III Kernpunkte des Weltbildes der V. Epoche

IV Entwicklung des Weltbildes der V. Epoche

A Wirtschaft und Politik

B Wissen

C Religion und Magie

D Selbstbild

E Gemeinschaft

F Zusammenfassung: Das Kontinuum

V Wege zur Verwirklichung der Prinzipien der V. Epoche

VI Reise in die Zukunft – Entwicklungsdynamik

A VI Epoche

B VII Epoche

C Weitere Entwicklung

D Entwicklungsdiagramm

VII Reise in die Vergangenheit - praktischer Zugang

A Altsteinzeit

B Jungsteinzeit

C Königtum

- Literaturverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

I An der Schwelle zum 3. Jahrtausend

II Suche nach einer Wegbeschreibung ins 21. Jahrhundert

A Reise in die Vergangenheit

1. Faustkeil und Höhlenbilder

2. Äcker und Herden

3. Königtum

4. Technisches Zeitalter

5. Gegenwart

6. Zusammenfassung

B Geschichte und Biographie

C Entwicklungsschritte

1. Altsteinzeit: Die Mutter der Lebenden und der Toten

2. Jungsteinzeit: Der Weltenbaum

3. Königtum: Gott und Welt

4. Materialismus: Wissenschaft und Technik

D Übergänge

1. Am Anfang war das Wundern

2. Vom Sammeln zum Ackerbau

3. Von der Muttergöttin zum Königsgott

4. Vom Subjekt zum Objekt

5. Zusammenfassung

6. Vom Einzelnen zum Gesamten

E Der Baum

1. Der Baum - die Heilung der Erinnerung

2. Der Stamm des Baumes - die Integration der Vergangenheit

3. Die Wurzel des Baumes - die Kraft der Entwicklung

4. Die Krone des Baumes - neue Fähigkeiten

F Das Erbe der Vergangenheit

1. Naturwissenschaft

a Eine lange Geschichte (Evolution)

2. Philosophie

3. Assoziationen

4. Analogien

a Der Lebensbaum

b Strukturen des Lebensbaumes

c Analogien in der Evolution

1 Die kosmische Evolution

2 Die molekulare Evolution

3 Die biologische Evolution

4 Die kulturelle Evolution

5 Strukturvergleich

d Die Logik des Lebensbaumes II

e Weitere Lebensbäume

1 Vektormathematik

2 Das Gehirn

3 Organe/Zellorganellen

4 Der Staat

5 Staubsauger/Auto

6 Ballett

7 Psychologie

f Die Wirbeltheorie - ein kosmologisches Modell

g Zusammenfassung

5 Bewußtsein und Materie (Teil 1)

a Der Lebensbaum des Bewußtseins

1 Astrologie

2 Die Chakren

a Der Lebensbaum des Bewußtseins (Teil 2)

5 Bewußtsein und Materie (Teil 2)

b Praktischer Zugang zu Religion und Magie

c Zusammenfassung

III Kernpunkte des Weltbildes der V. Epoche

IV Entwicklung des Weltbildes des V. Epoche

A Wirtschaft/Politik

1. Bevölkerung

2. Ökologie

3. Wirtschaft

4. Politik

B Wissen

1. Wissenschaft

2. Medizin

3. Technik

4. Recht

C Religion und Magie

1. Magie

2. Religion

D Selbstbild

1. Ego

2. Biographie

3. Tod

4. Sexualität

5. Schlaf

6. Zusammenfassung

E Gemeinschaft

F Zusammenfassung: das Kontinuum

V Wege zur Verwirklichung der Prinzipien der V. Epoche

- Eltern der Erde

VI Reise in die Zukunft - Entwicklungsdynamik

A VI Epoche

B VII Epoche

C Weitere Entwicklung

D Entwicklungsdiagramm

VII Reise in die Vergangenheit - praktischer Zugang

A Altsteinzeit: Ich bin jetzt hier

B Jungsteinzeit: Der Gottheit folgen

C Königtum: Schweigen, Konzentration und Liebe

- Literaturverzeichnis

Vorwort

Dieses Buch ist ein Versuch, eine umfassende Vision der nächsten Zukunft zu entwerfen, den derzeit so dringend notwendigen Entwicklungsschritt möglichst detailliert zu erfassen.

Diese zukünftige Entwicklung ergibt sich aus der inneren Logik und Dynamik der bisherigen kulturellen und zivilisatorischen Evolution.

Bei dem Versuch, die nächste Zukunft zu beschreiben, ergab sich zwangsläufig nicht ein einzelner roter Faden, sondern ein Gewebe aus den verschiedensten roten Fäden. Insofern ist dieses Buch auch der Versuch, ein Glasperlenspiel zu entwickeln, so wie es Hermann Hesse in seinem gleichnamigen Roman beschrieben hat, also eine Integration und Strukturierung der verschiedensten Wissens- und Erlebnisbereiche.

Aufgrund der Vielzahl der angesprochenen Sachgebiete war es oft notwendig, die Darstellungen auf die Grundstrukturen zu beschränken und nur das Wesentliche darzustellen, da das Buch sonst zu umfangreich geworden wäre. In diesen Fällen sind aber jeweils Hinweise auf ausführlichere Darstellungen angegeben.

Jedes Buch stellt letztlich die Meinung eines einzelnen zu einem bestimmten Zeitpunkt dar, aber ich würde mich freuen, wenn die Betrachtungen in diesem Buch, die auf den Gedanken und der Arbeit vieler Menschen vor mir beruhen, auch ein Fundament für die sein kann, die es lesen.

Ich hoffe, daß es noch viele solcher Zukunftsentwürfe geben wird, die sich gegenseitig ergänzen und korrigieren werden, denn solche Entwürfe, die Landkarten für den Weg in die Zukunft sein sollen, sind doch immer notgedrungen sehr skizzenhaft, ein gut gemeinter und mehr oder weniger gut gelungener Versuch.

Nicht zuletzt ist das Schreiben eines solchen Buches auch ein Erforschen der Möglichkeiten des Menschen und der Versuch, diese Möglichkeiten zu verwirklichen.

Die kleinen Graphiken am Anfang der Kapitel sind das "Spielbrett" des in diesem Buch entwickelten Glasperlenspiels. Anhand dieser Graphiken kann man erkennen, an welcher Stelle sich das Glasperlenspiel gerade befindet.

Die (*)-Zeichen geben Bücher an, in denen näher auf das betreffende Thema eingegangen oder eine ähnliche Ansicht vertreten wird. Sie wurden zu einem guten Teil von Jörg Wichmann zusammengestellt, der auch das Korrekturlesen übernommen hat.

Alles Wesentliche ist einfach, aber manchmal sind viele Worte nötig, um es zu beschreiben.

I An der Schwelle zum 3. Jahrtausend

Glasperlenspielgraphik 1

Als sich die Menschen in Europa dem Jahr 1000 n.Chr. näherten, glaubten sie aufgrund der Hinweise in der Apokalypse auf das 1000-jährige Reich auf Erden, daß nun das Ende der Welt gekommen sei und zogen, sich selber geißelnd, als Büßer durch die Straßen des frühen Mittelalters, sangen "Mea culpa, mea maxima culpa!" und warteten auf das Erscheinen der apokalyptischen Reiter, die den Weltuntergang ankündigen sollten.

Heute, 1000 Jahre später, wartet niemand darauf, daß sich die Pforten des Himmels und der Hölle öffnen und ihre Heerscharen sich zur Jahrtausendwende auf der Erde ihre letzte große Schlacht liefern werden.

Aber die Stimmung ist ähnlich: Die Gefahr eines Atomkrieges ist seit dem Beginn der nuklearen Abrüstung geringer geworden, aber bei weitem noch nicht gebannt; die Bevölkerung der Erde nimmt noch immer bedrohlich zu; das Ozonloch wächst von Jahr zu Jahr und läßt das Meer allmählich durch die Erwärmung der Erdatmosphäre ansteigen, verursacht durch das UV-Licht der Sonne, das nicht mehr durch das Ozon zurückgehalten wird, Hautkrebs und schädigt Weizen und Reis und führt dadurch zu Mißernten; das Ende der Vorräte von Kohle, Erdöl und Erdgas u.a. Rohstoffe in der Erde ist abzusehen; Erde, Flüsse und Luft sind so vergiftet, daß Allergien, die durch den verzweifelten Abwehrkampf des Körpers gegen Gifte entstehen, zu einer der häufigsten Krankheiten geworden ist, insbesondere bei Kleinkindern, die Menge an Hausmüll, Schrott, Sondermüll, Giftmüll und Atommüll nimmt immer mehr zu ... no future!?

Und das Unangenehme daran ist, daß jeder weiß, daß dies kein Letztes Gericht, keine Laune eines blinden Schicksals und auch kein unvorhersehbarer Zufall ist, sondern daß wir uns diese gefährliche Situation selber geschaffen haben - und sie selber bewältigen müssen.

Es ist offensichtlich ein Lernschritt vonnöten, denn da unsere Atomraketen, unser Giftmüll, das Bevölkerungswachstum und die Knappheit an Nahrung und Bodenschätzen die Menschheit (und auch die Tiere und Pflanzen) bedrohen, gibt es keine einsamen, paradiesischen Inseln mehr, auf die man sich zurückziehen und der Welt "Adieu!" sagen könnte. Statt einer solcher Flucht ist im Gegenteil die klare Wahrnehmung der Situation, der Blick aufs Ganze und ein entsprechendes Handeln notwendig.

Es sind durchaus Ansätze dazu vorhanden wie z.B. die Klimakonferenzen, die UNO, die Ökologiebewegung und Amnesty International, aber offensichtlich reicht es nicht aus, es einigen Organisationen zu überlassen, etwas zu verändern und dann die Hände in den Schoß zu legen und weiterzuleben wie bisher.

Eine wirkliche Bewältigung der derzeitigen Gefahren kann nur durch die Bereitschaft erreicht werden, die gegenwärtigen Einstellungen und Handlungsweisen grundsätzlich in Frage zu stellen und aufgrund der Erkenntnis der Situation neue Verhaltensweisen zu entwickeln, die sich auf alle Lebensbereiche auswirken werden.

Dieser Entwicklungsschritt läßt sich mit dem Aufschwung der Wissenschaften, der industriellen Revolution, dem Kolonialismus und dem Imperialismus vergleichen, nur daß diesmal nicht neue, durch die Entwicklung der Technik entstandene Fähigkeiten, sondern die Folgen dieser Technik und der mit ihr verbundenen "Jeder gegen jeden"-Einstellung der Auslöser sind. Ein weiterer deutlicher Unterschied liegt in der Motivation, die die Entwicklung vorangetrieben hat: in der industriellen Revolution war es der Nutzen des Einzelnen und heute ist es die Bedrohung des Ganzen.

Es ist also offensichtlich dringend notwendig zu handeln. Aber um handeln zu können, muß man wissen, wohin man will, und um zu erkennen, was das Ziel sein könnte, hilft es, den Weg zu betrachten, der in die gegenwärtige Situation geführt hat. Das Ziel dieser Betrachtung der Vergangenheit sollte das möglichst klare Erfassen des weiteren Weges sein, quasi die Skizzierung einer Landkarte, die einem helfen soll, nicht in Sackgassen zu laufen oder in Abgründe zu fallen.

II Die Suche nach einer Wegbeschreibung ins 21. Jahrhundert

Glasperlenspielgraphik 2

II A Eine Reise in die Vergangenheit

Glasperlenspielgraphik 3

Die Geschichte verläuft weitgehend kontinuierlich, aber es hat auch einige grundlegende Entwicklungsschritte gegeben, aufgrund derer man die historische und prähistorische Geschichte in mehrere Phasen einteilen kann.

II A 1. Faustkeil und Höhlenbilder

Glasperlenspielgraphik 4

Das erste dieser epochalen Ereignisse fand vor ca. 1.800.000 Jahren in Südafrika am Rande des Urwaldes statt. Damals, so wird allgemein angenommen, stieg einer der noch recht affenähnlichen, baumbewohnenden Vorfahren der heutigen Menschen auf den Boden der Savanne hinab und stieß sich bei der Suche nach eßbaren Beeren seinen Fuß an einem spitzen Stein, der im hohen Gras verborgen lag. Solch ein kleiner Unfall passierte natürlich schon hin und wieder einmal, aber das Besondere an diesem unserer Urahnen war, daß er sich nicht über den Stein ärgerte, sondern sich wunderte und erkannte, welch nützliches Werkzeug und Waffe dieser spitze Stein doch sein könnte.

Nun wurde eine effektivere Jagd möglich, was auch voll ausgenutzt wurde, denn die damaligen Menschen, die bis dahin "Allesfresser" gewesen waren, entwickelten nun nach und nach eine deutliche Vorliebe für fleischliche Kost, wie die Entwicklung ihres Gebisses und ihrer "Küchenabfälle" zeigen. Sie machten dabei auch vor ihren Artgenossen nicht halt; sämtliche Knochen dieser Menschenvorfahren, die man bisher gefunden hat, sind mit Hilfe von Steinwerkzeugen geöffnet worden, um ihnen das Mark entnehmen zu können.

Vor etwa 600.000 Jahren, wiederum in Afrika, entdeckte man, daß man durch einige geschickte Schläge entweder nur mit einem Stein oder mit einem Stein als "Hammer" und einem Knochen als "Meißel" einen anderen Stein zu einem Faustkeil formen konnte - eine Erfindung, die sich bald bis hin nach China und Java herumgesprochen hatte. Etwa um dieselbe Zeit entdeckte man die Nützlichkeit des Feuers: Es wärmte im Winter, verscheuchte Raubtiere und war bei Treibjagden geradezu unentbehrlich.

Hatte die Entwicklung von dem einfachen Stein als Waffe bis hin zum Faustkeil noch 1.200.000 Jahre gedauert, nahm nun der Fortschritt ein rasantes Tempo an: Schon 350.000 Jahre nach der Erfindung des Faustkeils stellten die damaligen Menschen eine Vielfalt von Steingeräten her und machten auch in religiöser und philosophischer Hinsicht große Fortschritte, denn sie begannen nun, zumindest einen Teil ihrer Toten zu bestatten statt zu verspeisen, was auf irgendeine Art von Vorstellung über eine Seele und ein Jenseits hinweist. Das bedeutet jedoch nicht, daß man die Sitte des Kannibalismus ganz aufgab.

Die Funde von rötlichem Ocker in den damaligen Gräbern stellen nach der Art ihrer Plazierung Symbole für Blut, Atem und Leben dar.

Die Menschen hatten damals durch ihre fortschrittliche Jagdtechnik offenbar schon einigen Freiraum erhalten, denn es finden sich aus dieser Zeit einige Kuriositätensammlungen, die unter anderem Knochen, Ocker, seltsam geformte Steine, Fossilien und Meteore enthalten. Dies weist wie die Bestattungen auch auf eine gewisse Neugier und die Fähigkeit, sich zu wundern, und nicht zuletzt auch darauf, daß man über die Dinge, die man erlebte, nachzudenken begann. Dieses Sammeln von Kuriositäten und der Brauch der Bestattung sind weiterhin ein Hinweis dafür, daß die damaligen Menschen bereits eine Sprache besessen haben müssen, denn wie sollte man einem anderen ohne eine differenzierte Sprache klarmachen, warum man den verstorbenen Stammesbruder in der Erde vergrub und ihn mit Ocker bedeckte, anstatt ihn, was doch viel näher lag, einfach zu verspeisen?

Nach der relativ kurzen Zeitspanne von 210.000 Jahren, also vor etwa 40.000 Jahren, entdeckte man, daß man die handwerklichen Fähigkeiten, die man bei der Herstellung von Waffen und Kleidung entwickelt hatte, mit dem Sinn für Symbolik, der sich unter anderem in Muschelketten, Hirschzahn-Anhängern, der Verwendung des roten Ockers (nicht nur) bei Bestattungen und dem Sammeln von Merkwürdigkeiten zeigt, verbinden kann. Was dadurch entstand, war die Malerei. Die Farbe dafür kannte man schon seit einigen hunderttausend Jahren: den Ocker. Vielleicht hatte man ihn auch hin und wieder schon für die Bemalung des Körpers benutzt, vielleicht, um ihn magisch mit Leben zu erfüllen (wie es von einigen Indianerstämmen Nordamerikas und verschiedenen afrikanischen Völkern und aus der frühen Zeit der Pharaonenreiche bekannt ist)?

Zumindest haben sich in manchen Wohnhöhlen dicke Schichten von Ocker gefunden, der demnach sehr oft verwendet worden sein muß.

Anfangs bemalte man noch Höhleneingänge, später drang man immer tiefer in sie vor, schließlich in einigen Fällen mehr als einen Kilometer weit, z.T. durch engste Gänge und über unterirdische Flüsse. Vor etwa 12.000 Jahren gab man die Höhlen auf und benutzte nun transportable Steinplatten als Malfläche. Das Ende der Höhlenmalereien fällt somit mit dem Ende der Eiszeit zusammen.

Während der Höhlenbilder-Epoche entstanden auch die ersten Hütten, die im allgemeinen recht groß waren und vermutlich eine ganze Familie oder Sippe beherbergten.

Über den Aufbau der damaligen Familien läßt sich schwer etwas sagen. Die Statuetten, die ausschließlich Frauen darstellen, lassen vermuten, daß sie die zentralen Gestalten innerhalb der damaligen Gruppen waren. Des weiteren wird das Aufziehen der Kinder, die ja beim Menschen wesentlich länger unselbständig bleiben als bei Tieren, die damaligen Sippenstrukturen mitbeeinflußt haben. Es ist verlockend, entsprechend den Verhältnissen bei einigen Naturvölkern, die in verschiedenen Andeutungen in alten Texten aus Mesopotamien und Ägypten wiederkehren, die damalige Sozialstruktur zu rekonstruieren: Die Mütter sind die zentralen Personen, nach ihnen richten sich die Abstammungslinien, d.h. man orientiert sich nicht wie bei uns am Vater, dessen Nachnamen man übernimmt, sondern an der Mutter. Es gibt keine Einehe, stattdessen besteht die Familie aus der Mutter, ihren Brüdern und ihren Kindern. Die Nahrung beschafft jeder für alle, also nicht, wie heute üblich, der Vater für seine Frau und seine Kinder. Dies ist aber, wie gesagt, nur eine Schlußfolgerung aus den Verhältnissen bei heutigen Naturvölkern und aus einigen Anmerkungen in frühen Texten aus dem alten Orient.

II A 2. Äcker und Herden

Glasperlenspielgraphik 5

Nach dem Ende der letzten Eiszeit, der in den südlicheren Gegenden eine Regenzeit entsprach, änderten sich die Umweltbedingungen für die damaligen Menschen von Grund auf. Eine Reihe von Tierarten, die für die Ernährung wichtig gewesen waren wie z.B. das Mammut oder das Ren starben aus oder zogen in die kühleren Gegenden nach Norden. Ebenso änderte sich auch der Pflanzenwuchs. Etwa um -10.000 begann man an der Ostküste des Mittelmeeres verstärkt die eßbaren Körner einiger Pflanzenarten zu sammeln, die dort wild wuchsen. Der Ertrag dieser Tätigkeit war immerhin so hoch, daß sich größere Gemeinschaften bilden konnten und daß um -9.000 schließlich Jericho, die erste größere, befestigte Stadt entstehen konnte.

Man begann wohl auch bald dafür zu sorgen, daß nicht alle Körner geerntet wurden, da sonst im folgenden Jahr keine der begehrten Pflanzen mehr wuchsen. Von da bis zu einem systematischen Anbau dieser Körner, der Auswahl des Saatgutes und der Züchtung der Vorläufer des Weizens war dann kein allzu großer Schritt mehr. Dieser Getreideanbau erfolgte zuerst an den regenreichen Hängen am Nordrand des mesopotamischen Tieflandes. Wohl aus Platzmangel begann man dann um -9.000 auch im südlichen Tiefland selber mit Ackerbau-Versuchen. Da hier kaum Regen fiel, mußte man die Felder bewässern, was deutlich mehr Arbeit erforderte. Die Schwemmböden der Täler des Euphrat und Tigris waren aber so fruchtbar, daß sich die Erträge im Vergleich zu den Äckern in den Gebirgstälern vervielfachten.

Etwa zur gleichen Zeit, in der der systematische Ackerbau begann, wurden auch die ersten Tiere gezähmt und bald darauf entstanden die ersten Viehherden. Die wichtigsten Tiere waren das Rind, die Ziege, das Schaf und der Hund, wobei der Hund, d.h. der Wolf, möglicherweise schon früher in einer halbgezähmten Weise in einer Jagdgemeinschaft mit den Menschen zusammengelebt haben könnte.

Diese "neolithische Revolution" breitete sich schnell immer weiter aus. Um -8.000 erreichte sie die Türkei, um -7.600 den Iran, um -5.000 die südliche eurasische Steppe und um -4.500 Nordwest-Indien und Ägypten. Der Ackerbau und die Viehzucht wurden noch an zwei weiteren Orten unabhängig von Mesopotamien entdeckt: um -5.200 in China und um -1.800 in Mittelamerika und zugleich an der Pazifikküste von Südamerika.

Diese veränderte Lebensweise hatte in erster Linie eine weitaus bessere Versorgung mit Nahrung als vorher durch die Jagd und das Sammeln zur Folge, was bedeutete, daß sich auch größere menschliche Gemeinschaften bilden konnten. Dies führte wiederum dazu, daß man neue Formen des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens finden mußte.

Diese frühen Hochkulturen betrieben ihren Ackerbau in erster Linie in Flußtälern: Die Sumerer am Euphrat und Tigris, die Ägypter am Nil, die Inder am Indus, die Chinesen am Hwangho und die Mayas am Copán. Um aber eine effektive Bewässerung aufrechtzuerhalten, war die Kooperation der Bevölkerung großer Gebiete erforderlich, was schließlich zu der Entstehung der Stadtstaaten und Königreiche führte, die das Ende dieser Epoche, der Jungsteinzeit, markiert: in Sumer, Ägypten, Indien und der Türkei um -3.000, in China um -2.000, im Iran, in der eurasischen Steppe um sowie in Mittelamerika um -1.000 und an der Nordwestküste von Südamerika um -700.

Eine zweite, wichtige Erfindung der Jungsteinzeit war die Töpferei, die wiederum an drei Orten entdeckt wurde: in Anatolien (Türkei) um -8.000, in China um -4.000 und in Mittelund Südamerika um etwa -1.500. Da die Bevölkerung aufgrund der durch den Ackerbau verbesserten Lebensbedingungen dichter geworden war, verbreitete sich der Gebrauch von gebrannten Tontöpfen deutlich schneller als vorher der Ackerbau und die Viehzucht.

Die Steinwerkzeuge wurden während der Jungsteinzeit durch die Erfindung des Steinschliffs deutlich verbessert. Es gab zwar auch schon erste Versuche, Kupfer und Blei zu verarbeiten, die aber im Großen und Ganzen ohne Bedeutung waren. Erst als man um -2.800, also kurz nach dem Ende der Jungsteinzeit und dem Beginn des Königtums, in Anatolien entdeckte, daß die Legierung von Kupfer und Zinn, also die Bronze, wesentlich härter als Kupfer ist, begann das Metall eine größere Rolle zu spielen.

II A 3. Das Königtum

Glasperlenspielgraphik 6

Die auf die Jungsteinzeit folgende Epoche, die bis zum Aufblühen von Wissenschaft und Technik etwa ab der Mitte des zweiten Jahrtausends nach Christus dauerte, war vor allem durch das Königtum geprägt. Während diese Königreiche anfangs vor allem noch der Koordinierung der Bewässerung großer Landgebiete dienten und landwirtschaftlich abgegrenzte Gebiete wie das Niltal, die Ebene des Indus, das Hwangho-Becken und das Mündungsgebiet des Euphrat und des Tigris umfaßten, entstanden schon etwa tausend Jahre später, also um -2.000, die ersten größeren Reiche, bei deren Entstehung die Absicherung des Landes gegen andere Völker und vor allem das Streben nach Macht, Reichtum und politischem und wirtschaftlichem Einfluß eine Rolle spielten.

Die Könige dieser Reiche wurde in der Regel als Vertreter oder Sohn der obersten Gottheit aufgefaßt und hatte somit eine unumschränkte Gewalt. An die Stelle der kleineren Auseinandersetzungen früherer Zeiten traten nun Feldzüge, Schlachten und Kriege.

Die Bevölkerungsdichte nahm weiterhin zu und auch die Städte wurden immer größer. Das Königtum ermöglichte die Zusammenarbeit großer Gebiete, was allerdings die Errichtung einer Verwaltung erforderte. Die Verwaltung wiederum brauchte Möglichkeiten, Informationen zu speichern: die Ackerbauerträge der Bauern, die Abgaben an den König und die Tempel, die Zahl der Einwohner, einen möglichst genauen Kalender und ähnliches mehr. Dafür erfand man zunächst die Zahlen und einfache Bilder zur Bezeichnung des Gezählten. Durch eine zunehmende Komplizierung dieser Buchführungs-Zeichen entstand schließlich die Schrift, die es ermöglichte, alle Worte in Zeichen umzusetzen. Diese Erfindung wurde an mindestens fünf Orten unabhängig voneinander gemacht: in Ägypten (ca. -3.000), Sumer (ca. -3.000), im Industal (ca. -2.800), China (ca. -1.000) und Mittelamerika (ca. -500).

In Sumer wurde das Rad erfunden, in Kleinasien die Verarbeitung von Eisen, in der eurasischen Steppe das Reiten und der Streitwagen, in Griechenland einige einfache, mechanische Maschinen usw. Es gab schon im letzten vorchristlichen Jahrtausend Handelswege vom Mittelmeer bis nach China, wobei sich durch die Verwendung von Pferd und Kamel als Reittier und durch die Verbesserungen im Schiffsbau die Reisezeiten erheblich verkürzten, was wiederum den Handel und die Verbreitung von neuen Entdeckungen förderte.

Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die Bevölkerungsdichte zunahm, immer größere Entfernungen überwunden werden konnten, die Entstehung immer größerer Reiche möglich wurde, viele verschiedene Kulturen miteinander in Kontakt kamen und die einzelnen, weitgehend isolierten Kulturkreise der Jungsteinzeit nun durch auf vielfältige Weise miteinander in Verbindung stehende Königreiche abgelöst wurden, wodurch sich auch der geographische und geistige Horizont des einzelnen erweiterte.

Im Großen und Ganzen wurde auch die spätere Zeit dieser Epoche durch das Herrschaftssystem der Monarchie geprägt.

II A 4 Das technische Zeitalter

Glasperlenspielgraphik Nr. 7

Die charakteristischen Merkmale dieser Epoche, die ungefähr um 1.500 n.Chr. begann und bis heute andauert, sind die Forschung, die Erfindungen und die Industriealisierung. Wie auch schon bei den vorigen Epochen läßt sich auch zwischen dem Königtum und dem Materialismus keine scharfe Grenze ziehen. So ist z.B. der Faustkeil vor 600.000 Jahren eine bahnbrechende Erfindung gewesen und ohne die Entdeckung des Rades durch die Sumerer in Mesopotamien um -3.000 wäre unsere ganze heutige Zivilisation undenkbar. Ab dem 15. Jahrhundert n.Chr. beginnen die Erfindungen und Entdeckungen jedoch in zunehmendem Maße die Kultur und die Zivilisation zu prägen. Sie bedeuten von der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg, der Entwicklung der Integral- und Differenzialrechnung durch Leibniz und Newton und der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus bis zu den heutigen Computern und der Raumfahrt eine ständige Zunahme der Möglichkeiten des Menschen und eine im Verhältnis zu den vorigen Epochen unvergleichliche Erweiterung des Horizontes.

In dieser Epoche wurden die letzten weißen Flecken auf der Landkarte der Erde, die um 1.500 aus europäischer Sicht noch sehr groß waren, ausgefüllt; die Physik, die Chemie, die Biologie und die anderen Naturwissenschaften lösten sich von dem früheren, durch die Religion geprägten Weltbild ab und erhielten bald eine vorher nicht erahnte Bedeutung. Das Königtum wurde nach und nach durch Republiken und Demokratien abgelöst, die Religion als Rahmen des Weltbildes wurde immer stärker durch die Wissenschaft, den Atheismus und politische Überzeugungen ersetzt und es begann sich eine technische, die Menschen normierende Einheitszivilisation auszubreiten.

Die Menschen wurden endgültig zu Beherrschern der Erde: Die meisten Seuchen wurden ausgerottet, es gab keine unerforschten Länder mehr, der Wohlstand stieg allmählich an und die Städte und die Bevölkerungsdichte wurden immer größer. Der neue Reichtum war allerdings bei weitem nicht gleichmäßig auf die verschiedenen Länder oder auf die Menschen innerhalb eines Landes verteilt.

In dieser Epoche löste sich der größte Teil der traditionellen Lebensgemeinschaften auf, die Menschen zogen in die Städte, wo es bessere Verdienstmöglichkeiten gab, wobei sie bald das Eingebundensein in die Sippe oder die Dorfgemeinschaft, also ihren früheren Halt und ihr inneres und äußeres Bezugssystem verloren und zunehmend anonymer und isolierter wurden. Zu dieser Entwicklung trug nicht zuletzt auch die Industriealisierung mit der neuen Fließband-Arbeitsweise und den von ihr hergestellten Massenprodukten bei.

II A 5 Gegenwart

Glasperlenspielgraphik Nr. 8

Der Beginn des nun anstehenden Entwicklungsschrittes ist durch die Notwendigkeit der Bewältigung von atomarer Bedrohung, Umweltverschmutzung, Bevölkerungsexplosion, ethnischen Konflikten u.ä. gekennzeichnet.

Wenn man sich einmal die Dauer der bisherigen Entwicklungsstufen anschaut, ist offensichtlich, daß sie immer kürzer werden:

I Altsteinzeit:

1.800.000 Jahre

II Jungsteinzeit:

7.000 Jahre

III Königtum:

4.500 Jahre

IV Materialismus:

500 Jahre

Ebenso folgen die großen Entdeckungen immer schneller aufeinander:

wichtige Erfindungenwas?wann?Zeit bis zur nächsten Erfindung aufrechtes Gehen, Benutzung von Stöcken und Steinen-1.800.000 v.Chr.1.200.000 JahreFaustkeil-600.000 v.Chr.350.000 JahreBestattungen-250.000 v.Chr.210.000 JahreHöhlenmalerei-40.000 v.Chr.30.000 JahreAckerbau und Viehzucht-10.000 v.Chr.7.000 Jahreerste Königreiche-3.000 v.Chr.4.500 JahreMaterialismus+1.500 n.Chr.350 JahreIndustrielle Revolution+1850 n.Chr.150 Jahreheute+2.000 n.Chr.

Wenn man diese Entwicklung graphisch darstellt, erhält man eine Kurve, die immer schneller ansteigt, und an einem Punkt "x" unendlich groß wird. Dieser Punkt "x" stellt offensichtlich eine Krise dar, auf die sich die Entwicklung immer schneller zubewegt und deren Anzeichen heute nicht zu übersehen sind.

Wie könnte diese Kurve, die die zukünftige Entwicklung von Erfindungen (E), Bevölkerungswachstum (B), Umweltverschmutzung (U) und Artensterben (A) beschreibt, weiterverlaufen?

Im ungünstigsten Fall kommt es zum Kollaps und die Menschen vernichten sich selber und mit ihnen die Tiere und Pflanzen auf dieser Erde (obere Kurve).

Wenn sich zuwenig ändert, wird der Kollaps nicht vollständig sein, einige werden überleben, und es wird ein Neubeginn notwendig sein (mittlere Kurve).

Wenn idealerweise die Einsichten und Verhaltensänderungen noch rechtzeitig genug kommen, wird sich die Zahl der Bevölkerung auf einem sinnvollen Niveau stabilisieren, die Erfindungen weiterhin zunehmen und die Umweltverschmutzung und -zerstörung durch eigenen Entschluß und nicht, wie in den beiden anderen Fällen, durch die vollständige oder weitgehende Selbstvernichtung des Menschen beendet werden (untere Kurve).

II A 6 Zusammenfassung

Glasperlenspielgraphik Nr. 9

Die Altsteinzeit begann mit dem aufrechten Gehen, das die Verwendung von Stöcken und Steinen als Waffen und Werkzeuge mit den nun freien Händen ermöglichte und somit einen deutlichen Vorteil im Überlebenskampf brachte.

Durch die Entdeckung von Ackerbau und Viehzucht wurde eine weitaus sicherere Ernährung und dadurch größere Lebensgemeinschaften und die Entstehung von Arbeitsteilung, also von "Spezialisten" und Berufen ermöglicht, was wiederum zu mehr Effektivität führte.

Aus der Notwendigkeit der Koordination der Bewässerungsarbeiten im Ackerbau entstand das Königtum, die Zentralverwaltung und die Schrift, die zusammen die Selbständigkeit sowie die Unabhängigkeit von schlechten Ernten und Überschwemmungen durch Überblick, Handel, Vorratshaltung, Umverteilung u.ä. noch einmal deutlich vergrößerte.

Der Materialismus führte schließlich durch die Naturwissenschaften zu einer detaillierten Kenntnis der Welt und dadurch zur Entwicklung der Technik und einer höheren Produktivität.

Heute ist allerdings nicht erhöhte Produktivität und Naturbeherrschung das Thema des anstehenden Entwicklungsschrittes, sondern die Begrenzung des Mißbrauches und der Zerstörung der Erde, um auf Dauer auf diesem Planeten überleben zu können. Die erforderliche Fähigkeit ist also die Einsicht in Gesamtzusammenhänge und die Bereitschaft, sein Handeln an diesen Einsichten zu orientieren.

II B Geschichte und Biographie

Glasperlenspielgraphik Nr. 10

Die Geschichte der Menschen innerhalb der letzten 1,8 Millionen Jahren folgt offenbar einer inneren Logik, die die Auseinandersetzung mit der Umwelt zum Thema und die Sicherung des eigenen Überlebens zum Ziel hat: Werkzeuge, Feuer, Landwirtschaft, Zentralverwaltung, Technik und Industriealisierung haben alle dasselbe Ziel - die Sicherung des Lebens.

Obwohl zur Bewältigung der heutigen Krise wesentlich mehr Einsicht als für die früheren zivilisatorisch-kulturellen Entwicklungsschritte notwendig ist, gibt diese Grunddynamik doch Anlaß zur Hoffnung.

Da die innere Logik der Geschichte auf dem Überlebensdrang der Menschen beruht, sollte dieselbe Dynamik auch in der individuellen Biographie des einzelnen Menschen zu finden sein. Eine solche Parallelität der Entwicklung würde es ermöglichen, die Konturen der zugrundeliegenden Dynamik durch den Vergleich von Geschichte und Biographie klarer zu fassen.

Einmal ganz klassisch in Freud'scher Terminologie betrachtet, gibt es im menschlichen Leben vier Entwicklungsstufen:

1. Orale Phase: Zunächst nimmt das Neugeborene die Dinge um sich her wahr und reagiert auf sie, ohne innen und außen, Ich und Welt zu unterscheiden - es lebt ganz in der Wahrnehmung und in der Gegenwart. Die Bezeichnung "orale Phase" bezieht sich darauf, daß das Neugeborene alles in den Mund (latein.: ora) steckt und es eine alles "aufnehmende" Grundhaltung hat.

4. Genitale Phase: Sie entspricht in etwa der Pubertät, in der die Jugendlichen ihr Sexualität entdecken.

Die Grundelemente dieser vier Phasen sind:

1. Orale Phase

Einheit, Geborgenheit, Aufnahme, Gegenwart, Teilnahme

2. Anale Phase

Abgrenzung, Differenzierung, Vergangenheit, Orientierung

3. Phallische Phase

Selbstbezogenheit, Wille, Zukunft, Lustbezogenheit

4. Genitale Phase

Dubezogenheit, Infragestellen, Sexualität, Experimentieren

Es ist nicht schwer, die Parallele zu den geschichtlichen Entwicklungsstufen zu erkennen.

1. Altsteinzeit/orale Phase: von dem leben, was man vorfindet, auf die Umwelt reagieren, ohne sie zu verändern.

2. Jungsteinzeit/anale Phase: sich zum Angenehmen hinbewegen und das Unangenehme fliehen; unterscheiden von bekannt/Kultur und unbekannt/Wildnis; Sinn für Ordnung und Rhythmus: Tagesablauf des Kindes - Jahreszeiten im Ackerbau.

3. Königtum/phallische Phase: Wille, die Umwelt zu formen und zu beherrschen, Kontrolle.

4. Materialismus/genitale Phase: sich aus dem traditionellen Rahmen (Religion/Elternhaus) lösen, die Welt untersuchen (Wissenschaft, "Wer bin ich?") und seine Kräfte ausprobieren (Pubertät, Kolonialismus/Technik).

Diesem Vergleich kann man noch eine weitere Phase hinzufügen, die den übrigen vier voranging: zum einen die Entwicklung vom Einzeller zum Menschen und zum anderen die Entwicklung von der befruchteten Eizelle zum Neugeborenen, wobei der Embryo dabei in etwa die Evolution wiederholt (Kiemen, Fell u.ä.).

4. Materialismus

genitale Phase (Jugendliche, Pubertät)

3. Königtum

phallische Phase (Kind)

2. Jungsteinzeit

anale Phase (Kleinkind)

1. Altsteinzeit

orale Phase (Säugling)

0. Evolution

Embryonalentwicklung (pränatale Phase)

Aus diesem Gleichnis kann man einen ersten Hinweis auf die derzeit beginnende 5. geschichtliche Epoche ableiten, denn auf die genitale Phase, die Pubertät, folgt das Erwachsensein, das Vater/Mutter-Werden, das man "parentale Phase" nennen könnte.

Das Charakteristische an der Situation des Elternseins ist die feste Verbindung mit anderen Menschen, die Sorge für die ganze Familie und die Selbsteinschränkung, was offenbar genau der derzeit am Ende des 20. Jahrhunderts benötigten Grundhaltung entspricht. Es ist also an der Zeit, über die pubertären Verhaltensweisen hinauszuwachsen und erwachsen zu werden (was erfahrungsgemäß nicht ganz einfach ist).

Da die Hauptfrage die Verwandlung der derzeitigen Zivilisation und Kultur in eine beständige Lebensform ist, liegt es nahe, sich die bisherigen kulturellen /zivilisatorischen Übergänge einmal näher anzuschauen.

II C Entwicklungsschritte

Glasperlenspielgraphik Nr. 11

Zunächst einmal liegen den vier kulturellen Phasen vier Entdeckungen zugrunde: Werkzeug (Altsteinzeit), Landwirtschaft (Jungsteinzeit), Zentralverwaltung (Königtum) und Naturwissenschaft/Technik (Materialismus). Aber diese Entdeckungen haben auch jedesmal das Leben der Menschen vollkommen verändert. Und eben diese Notwendigkeit, sein Verhalten zu ändern, macht diese Übergänge (auch den derzeit anstehenden) so schwierig. Um sie zu verstehen, ist es daher notwendig, sich die Weltbilder der Menschen in diesen Epochen, die sich auseinander entwickelt haben, näher anzusehen.

II C 1 Altsteinzeit: Die Mutter der Lebenden und der Toten

Glasperlenspielgraphik Nr. 12

Die erste Frage, die sich bei dieser Betrachtung stellt, ist, welche Art von Bewußtsein die Menschen damals gehabt haben mögen. Daß sie sich ihrer selbst und ihrer Umwelt bewußt gewesen sind, ist deutlich an den Höhlenmalereien, den kleinen Frauenstatuetten aus Ton und an den Bestattungsriten zu erkennen. Dies ist gewissermaßen der Versuch, die „lebenden Menschen“ aus dem „Skelett“ ihrer Hinterlassenschaft zu rekonstruieren.

Die archaischste Art von Bewußtsein, die sich erkennen läßt, sind die gezielten Reaktionen des Einzellers auf Umweltreize. Wenn die Reaktionen auf der Verarbeitung einer größeren Zahl von Wahrnehmungen beruhen, entstehen die Verhaltensmuster und Instinkte der Vielzeller, die genetisch festgelegt und weitervererbt werden. Bei den höherstehenden Tieren läßt sich dann schließlich Lernfähigkeit beobachten, d.h. daß sie in der Lage sind, sich an Vergangenes zu erinnern, es mit den aktuellen Wahrnehmungen zu verbinden und auf dieser Grundlage zu reagieren.

Ein solches auf der Verbindung von Wahrnehmung und Erinnerung beruhendes Bewußtsein kann durchaus in der Lage sein, die Verwendungsmöglichkeit eines spitzen Steines (an dem sich das bereits erwähnte Mitglied unserer Urahnen seinerzeit den Fuß verletzte) als Waffe zu erkennen.

Diese Art von Bewußtsein besteht offenbar aus Bildern (Wahrnehmungen und Erinnerungen) und den Verbindungen zwischen ihnen, den Assoziationen. Dies entspricht genau dem Charakter unseres Unterbewußtseins, das ja auch aus Bildern, die assoziativ verknüpft werden, besteht. Nun sind diese Bilder kein "bunter, sinnloser Einheitsbrei", sondern werden durch zwei Faktoren geordnet, die sich weitgehend entsprechen.

Zum einen haben besonders häufig auftretende Situationen (z.B. Jagen und Sammeln) mehr Assoziationen als andere Situationen und erhalten dadurch in dem Assoziationsgespinst eine zentralere Stellung, und zum anderen haben besonders wichtige Situationen (z.B. Fortpflanzung, Kinder beschützen) notwendigerweise eine zentrale Stellung, die z.T. auf den genetisch festgelegten Instinkten beruht und über die Lenkung des Verhaltens das Überleben der Spezies sichert.

Im Zentrum des Assoziationsnetzes befindet sich folglich das Bild der Mutter, wie sich aus den Frauenstatuetten der Altsteinzeit, der in den ältesten schriftlichen Religionsüberlieferungen stets im Mittelpunkt stehenden Muttergöttin und aus der durch die Psychologie bekannten und beim Neugeborenen offensichtlichen Stellung der Mutter schließen läßt.

Daneben werden noch einige weitere Bilder relativ zentral gestanden haben: das Bild des jeweiligen Sexualpartners (Mann/Frau), das Kind und das bedrohende Großraubtier.

Die Höhlenbilder weisen daraufhin, daß die "Instinktbilder" wesentlich stärker als die "häufigen Wahrnehmungen" das Assoziationsgeflecht geprägt haben, denn sonst müßte fast nur das Hauptjagdwild, also das Ren, dargestellt worden sein, das aber nur 1-2% der abgebildeten Tiere ausmacht. Statt dessen werden vor allem Rinder und zu einem kleineren Teil andere Herdentiere (Pferde) und Großraubtiere (Bär, Löwe) dargestellt. Da sich in den alten Mythologien von Ägypten, Sumer, Anatolien und Indien, in den Mythen vieler Naturvölker (Nordamerika, Afrika) und auch in den "neueren" Mythologien die Assoziation bzw. Identifikation der Muttergöttin mit der Kuh wiederfindet und noch heute aus psychologischer Sicht die Kuh das Muttersymbol ist, kann man davon ausgehen, daß die Kuh aufgrund ihrer Milch und ihrer Lebensweise in Herden auch in der Altsteinzeit schon mit der Mutter, also mit Nahrung, Schutz und Fruchtbarkeit assoziiert worden ist. Darauf weist auch die altsteinzeitliche Reliefdarstellung einer Frau mit einem Kuhhorn hin: der Schoß der Mutter, aus dem alles Leben entspringt. Viel später wurde daraus das Füllhorn der Frühlingsgöttin.

In praktisch allen neuen und alten Sprachen ist "Ma" das Wort für "Mutter" und das Wort für die Muttergöttin bzw. Bestandteil ihres Namens. Dies liegt daran, daß "Ma" das einfachste Wort, die einfachste Art des Herbeirufens ist, und das einfachste Wort naheliegenderweise das Wichtigste, also die Mutter bezeichnet. Ma: summen und dann den Mund öffnen, damit der Ton lauter wird.

Das Großraubtier wird ein "zweiseitiges" Bild gewesen sein: zum einen fürchtete man es und zum anderen bewunderte man es und wünschte sich sich seine Kraft und sein Geschick bei der Jagd. Daher besteht auch ein großer Teil der bekannten Jagdzauber aus Identifizierungen mit einem Löwen, Bären oder Tiger. Aus dieser Zeit wird auch das bis ins frühe Königtum hinein bekannte Jagdmotiv "Löwe tötet Stier" stammen (das später in verschiedener Weise umgedeutet wurde).

Ein weiteres zentrales Symbol ist das Blut, dargestellt durch den Ocker, der von den ersten Bestattungen vor 350.000 Jahren an bis in historische Zeit in dieser Bedeutung benutzt wurde.

Ein solches Weltbild aus Bildern und Assoziationen, das sich nach Wichtigkeiten strukturiert und von daher vor allem intensive Lebensprozesse zum Thema hat, wird als wichtigsten "philosophischen Begriff" die Vorstellung einer Lebenskraft hervorgebracht haben, die vor allem im Gebären, im Stillen, in der Sexualität, in der Jagd, im Blut und im Atem zum Ausdruck gekommen sein wird. Der Umstand, daß in der Höhlenmalerei fast ausschließlich Herdentiere und Großraubtiere dargestellt worden sind, läßt vermuten, daß man in Tieren besonders viel Lebenskraft sah - Stärke im Großraubtier und Fruchtbarkeit in den Herdentieren. Pflanzen wurden fast gar nicht dargestellt.

Das allgemeine Symbol für die Lebenskraft wird der Ocker gewesen sein. Die Lebenskraft wurde vermutlich auch damals schon, wie in den meisten späteren Mythologien, mit dem Atem assoziiert, da dies zum einen sehr naheliegt und man zum anderen bei einer altsteinzeitlichen Bestattung eine Verbindung aus Ocker von dem Mund des Toten bis zur Erdoberfläche gefunden hat.

Es ist anzunehmen, daß man sich auch vorstellte, beim Essen von Fleisch die Lebenskraft des betreffenden Tieres in sich aufzunehmen, wodurch insbesondere das Verspeisen von Großraubtieren die eigene Kraft und Jagdfähigkeiten vergrößerte. Dadurch erhält auch der damals allgemein übliche Kannibalismus eine zusätzliche Bedeutung: Durch das Verspeisen der Toten blieb die Lebenskraft der Toten für die Sippe erhalten.

Als sich vor ca. 400.000 Jahren aus den früheren Vorstellungen allmählich die Idee einer individuellen Persönlichkeit (in Ergänzung zur früheren "Sippenpersönlichkeit" mit der Mutter im Zentrum) herausbildete, wird man auch die Lebenskraft eines Menschen als etwas individuelleres angesehen haben, wodurch die erste rudimentäre Vorstellung von einer Seele entstand. Dadurch geriet man aber in Konflikt mit dem Kannibalismus, denn der Tote lebte ja nach seinem Tod in seinem zur Seele personifizierten "Lebenskraftkörper" weiter und man wollte ja weder seinen "lebenden" Stammesgenossen verspeisen, noch dessen Seele zusätzlich zu der eigenen in sich tragen. Was tun? Der Tote konnte nicht verspeist werden, aber man konnte ihn auch nicht einfach liegen lassen, denn der Tote und seine Seele mußten vor Raubtieren geschützt werden, damit Lebenskraft des Toten durfte der Sippe ja nicht verlorengehen. Also vergrub man ihn in der Erde und bedeckte ihn mit Steinen. Dadurch entwickelte sich dann schnell die Vorstellung von der Unterwelt, in der die Seelen der Toten lebten. Diese Unterwelt umfaßte sowohl die Tiefe der Erde unter der Erdoberfläche, die sozusagen die beiden Welten trennte, als auch die tiefen Gewässer. Der Eingang in diese Welt waren folglich das Grab, Höhlen, Quellen und die Wasseroberfläche von Seen. (Daß Quellen, Brunnen u.ä. das Tor zur anderen Welt sind, ist ja noch heute jedem aus "Froschkönig", "Goldmarie und Pechmarie", "Brüderchen und Schwesterchen" usw. bekannt.)

Da der Übergang des Toten in die Unterwelt von dort aus gesehen ja einen Neuanfang bedeutete, wird man diesen Eintritt ins Jenseits als eine Geburt aufgefaßt haben. Dadurch wurde die Mutter, die zentrale Gestalt in dem Assoziationsgespinst des damaligen Weltbildes, nun zur "Mutter der Lebenden und der Toten". Und da sie ja bereits mit den Herdentieren identifiziert worden war, wurde sie schließlich zur "Mutter aller Lebewesen".

Das Leben war damals nicht ungefährlich. So wird es immer wieder einmal vorgekommen sein, daß ein Jäger bei der Jagd in große Gefahr geriet, schwer verletzt wurde und eine zeitlang im Koma lag, bevor er wieder zu sich kam und allmählich genas. Nun ist ja von solchen "Nah-Tod-Erlebnissen" aus heutiger Zeit bekannt, daß die betreffenden Personen dabei eine Reise oder einen Flug zur Grenze des Jenseits, meist einem Fluß, erleben, dort mit Verstorbenen sprechen und schließlich zurückkehren. Vermutlich wird es den verunglückten Jägern von damals nicht anders ergangen sein. Durch ein solches Erlebnis erhielten sie aber eine Sonderstellung, da sie nun in der Lage waren, in Krisenzeiten zu den Ahnen zu reisen, also ihre frühere unfreiwillige Jenseitsreise willentlich zu wiederholen und die Ahnen um ihre Hilfe zu bitten. Da ein solcher "Reisender zwischen zwei Welten", ein solcher "Zweimalgeborener" durch den Kontakt zu den Ahnen die meiste Lebenskraft und Macht hat, wird er bald mit dem Großraubtier assoziiert worden sein. Eine solche Gestalt wird allgemein Schamane genannt.

Durch das Motiv der als Flug erlebten Jenseitsreise wird dann bald der Vogel das Symbol der Seele geworden sein. (Noch unsere heutigen Engel tragen Flügel.)

So war zu der Zeit vor 350.000 Jahren, aus der die ersten Bestattungen stammen, ein komplexes Weltbild entstanden, das sich dann später als Kern in allen mythologischen Weltbildern wiederfindet: eine durch Assoziationen nach Wichtigkeiten strukturierte bildhafte Weltanschauung; die "Mutter aller Lebewesen" als zentrale Gestalt, die auch die Toten im Jenseits wiedergebiert; Tiere als Symbol: die Kuh für die Fruchtbarkeit und die "Mutter aller Lebewesen", das Kuhhorn für den Mutterschoß, der Vogel für die Seele, der Fisch für die Unterwelt und das Großraubtier für Stärke und den Schamanen; Erde und Wasser als Unterwelt; der Schamane mit Jenseitsreise und dem Großraubtier als seinem Totem; Reste von Kannibalismus; Körper, Lebenskraft und Seele; Ahnenverehrung.

II C 2 Jungsteinzeit: Der Weltenbaum

Glasperlenspielgraphik Nr. 13

Die Entdeckung des Ackerbaus brachte tiefgreifende Veränderung für das Verhalten der Menschen mit sich: Statt der Natur ihre Nahrung nur durch Jagd und Sammeln zu entnehmen, mußten sie nun die Natur durch Ackerbau formen. Sie mußten auch ihre Emotionen und Triebe zu einem gewissen Grad beherrschen lernen und die längerfristigen Folgen ihres Verhaltens abschätzen und berücksichtigen können, um z.B. in langen Wintern nicht ihre ganzen Getreidevorräte zu verspeisen und dann im Frühling keine Saatgut mehr zu haben. An die Stelle der Einheit der Welt, durch die die altsteinzeitliche Sippe zog, trat der Gegensatz von Kultur (Dorf, Äcker, Weiden) und Natur (Wildnis). Weiterhin bedeutete Ackerbau Seßhaftigkeit statt Nomadenleben und nicht zuletzt auch das Zusammenleben in Dörfern von mehreren hundert Personen statt in kleinen Sippen von ein, zwei Dutzend Menschen, wodurch unter anderem auch eine erste Arbeitsteilung entstand (Bauer, Töpfer, Werkzeugmacher, Hirte).

Um mit dieser Komplexität zurechtzukommen, reichten Assoziationen und Worte, die einfach nur konkrete Dinge wie Reh, Wasser, Mutter, Eiche usw. bezeichneten, nicht mehr aus. Es wurde eine abstrakte Struktur benötigt, die die Vielfalt der Dinge und ihre Beziehungen untereinander ausdrücken konnte. So entwickelte sich das Gleichnis, der Vergleich als Methode der Einordnung: Dies erscheint wie jenes, folglich hat es denselben Charakter, und ich gehe auf dieselbe Weise mit beidem um. Dies führte schließlich zu allgemeineren "Sammelbegriffen" wie Bauer, Fischer, Sommer, Winter, Dorf, Wildnis u.ä. Dadurch entstand neben der Gegenwart, in der die altsteinzeitlichen Menschen (fast) ausschließlich lebten, noch ein abstrakterer Hintergrund von Urbildern, die die Grundzüge der Welt beschrieben und die sich immer wieder im Jahreslauf, im Leben eines Menschen und in den alltäglichen Verrichtungen wiederholten. So entstand die erste Vorstellung von Zeit: die zyklische Wiederholung der Ordnung der Welt.

Diese Grundordnung ermöglichte es den Menschen, sich an einem kollektiv geschaffenen und als richtig und überlebensnotwendig erkannten Bild zu orientieren und auf diese Weise die eigenen Gefühle und Begierden nicht wie früher sofort auszuleben, sondern sie in ein komplexes, sinnvolles Verhalten zu kanalisieren und dadurch die Ordnung der Dinge zu erhalten.

Entsprechend der Wichtigkeit dieser neuen Verhaltenserrungenschaft ist der zentrale Begriff der Jungsteinzeit die Ordnung, das Gleichnis, das "an seinem rechten Platz sein". Ein solcher Begriff befindet sich sowohl bei den Naturvölkern als auch in den ältesten schriftlichen Überlieferungen als das Maß aller Dinge und das Ziel allen Strebens: bei den Ägyptern als Ma'at, bei den Sumerern als Me und bei den Indern als Dharma. Oft ist dieser Begriff mit der Mutter aller Dinge verbunden. So wird Ma'at auch als Göttin dargestellt und bedeutet "Mutter". Dieselbe Bedeutung hat auch das sumerische Me, daß mit der Mutter-göttin Innana assoziiert wird. Die Ordnung wird also als Geschenk und das Wesen der "Mut-ter aller Dinge" aufgefaßt. Der ältere indische Begriff für diese Ordnung, "Rita", bedeutet "Rad" und weist auf die Vorstellung der zyklischen Wiederkehr, die Dynamik dieser Ordnung hin.

Wie sah nun dieser Hintergrund aus Urbildern aus? Zunächst einmal trat an die Stelle der altsteinzeitlichen Allgegenwart der Natur eine räumliche Ordnung: das Dorf und die Äcker und um diese herum die Wildnis, wodurch die Vorstellung einer Mitte entstand. Daraus ergab sich ein Gleichnis, das die Welt ordnete:

Mitte

-

Umkreis

Dorf, Äcker

-

Wildnis

Nahrung

-

Hunger

Schutz

-

Gefahr

Sommer

-

Winter

Welt der Lebenden

-

Welt der Toten

helle Seite der Mutter aller Dinge

-

dunkle Seite der Mutter aller Dinge

Geburt

-

Wiedergeburt

Das zentrale Thema der Jungsteinzeit war der Ackerbau mit Aussaat, Keimen, Wachsen und Ernte, was schon bald mit der Geburt und dem Tod der Menschen gleichgesetzt wurde:

Getreide

-

Mensch

Keimen

-

Geburt

Wachsen

-

Leben

Ernte

-

Tod

Aussaat

-

Bestattung

Keimen

-

Wiedergeburt

Der zyklische Aspekt dieser Vorstellungen, die z.T. eine Weiterentwicklung des Motivs der Jenseitsreise des Schamanen sind, ist die Reise der Mutter aller Dinge in die Unterwelt während des Winters, um die Seelen der Toten bzw. das Getreide zu suchen, wie sie in den Mythen der sumerischen Inanna, der Suche der ägyptischen Isis, der Mythe von Demeter und Persephone und ansatzweise noch in unserem Märchen von Schneewittchen zu finden ist.

Im Sommer weilt die Mutter aller Dinge in der Mitte des Dorfes, aber während des Winters zieht sie sich in die Wildnis zurück. Diese Gegensätzlichkeit findet sich schon in der spätaltsteinzeitlichen Darstellung von zwei Frauenoberkörpern, die auseinander heraus-wachsen und von denen einer nach oben (Diesseits) und einer nach unten (Jenseits) weist. Auch in den frühesten Darstellungen der ägyptischen Hathor findet sich dieser Gegensatz: eine Säule, an deren oberem Ende sich zwei in entgegengesetzte Richtungen blickende Frauenköpfe mit Kuhohren und -hörnern befinden.

Als sich das Gleichnis "Mensch - Getreide" deutlicher herauskristallisierte, erhielten in der Vorstellung der damaligen Menschen die Ahnen auch Macht über das Wachstum des Kornes und es entstand aus den Ahnenvorstellungen schließlich das Bild des Korn-und Totengottes und als Gegenbild zu ihm das des Herrn der Wildnis und der Tiere.

Parallel zu der Jenseitsreise der Mutter aller Dinge entwickelte sich aus diesen Vorstellungen die Mythe von dem Korn- und Totengott, der von seinem Bruder, dem Herrn der Wildnis, im Herbst getötet, aber von der Mutter aller Dinge (deren Söhne die beiden oft sind) im Winter gesucht und dann im Frühling schließlich gefunden und wiedergeboren wird. Die hierzulande wohl bekanntesten Darstellungen dieses Mythus sind wohl die Geschichte von Isis und Osiris und die von Baldurs Tod aus der germanischen Mythologie.

 

Menschen

Götter

Sommer

Schamane

Korn- und Totengott

Winter

Trickster

Herr der Wildnis

Der Trickster ist eine Art Narr, der bei verschiedenen Naturvölkern auftritt und der wie die späteren Hofnarren an den Höfen der Könige stets alles in Frage stellt und karikiert. Schamane und Trickster bilden ein Gegensatz-Ergänzungs-Paar. Am deutlichsten ist dies bei den nordamerikanischen Indianern überliefert, aber sie finden sich auch in der germanischen Mythologie wieder: Schamane - Odin, Trickster - Loki.

Das Bild des Jenseits blieb weitgehend dasselbe wie in der Altsteinzeit. Das Totenreich lag unter der Erde, im tiefen Wasser oder in der Wildnis, wobei sich diese Bilder häufig zu Vorstellungen von unterirdischen Seen oder Flüssen (Hades), zu Meeren in weiter Ferne oder Inseln weit draußen im Meer (Tir-nan-og der Kelten) verbanden. Durch die Entwicklung der Ahnen zu Göttern und spätere monotheistische Vorstellung eines Paradieses (=Jenseits) am Anfang der Welt entstand auch die Vorstellung des Kontinents Atlantis als „Wiege der Menschheit“ draußen im Atlantik vor Gibraltar. Das Wasser war jedoch das Hauptmotiv geworden.

Ein anderes Motiv trat hingegen neu in Erscheinung. Der Ackerbau erforderte die Beobachtung der Jahreszeiten, wodurch ein größeres Interesse an der Beobachtung des Laufes der Sonne, des Mondes und der Sterne entstand und sich zu dem Diesseits der Erdoberfläche und dem Totenreich unter der Erde noch ein zweites "Jenseits" am Himmel (das ebenfalls unerreichbar war) gesellte. Da der Lauf der Sonne, des Mondes und der Sterne nun das Bild für zyklische Ordnung schlechthin war, sah man den Himmel bald auch als Gleichnis der Mutter aller Dinge an. Daraus folgte natürlich die Frage, wie die Verbindung zu ihr hergestellt werden konnte, woraus das Bild des hohen Baumes in der Mitte des Dorfes als Verbindung zwischen Himmel und Erde entstand, da der Baum das Urbild des Aufrechten und die Dorfmitte das „Zentrum der Welt“ war. In dieses Bild fügte sich auch zwanglos die Auffassung der Seele als Vogel, die nun auf den Zweigen dieses Baumes sitzen konnte, nachdem sie von der Mutter aller Dinge wiedergeboren worden war.

Das Bild des Himmels als Leib der Mutter aller Dinge führte dann später zu der Auffassung, daß die Sterne die Seelen der Toten seien. Weiterhin wurde der Baum als Weg zur Mutter aller Dinge teilweise auch mit der Mutter gleichgesetzt, wodurch dann die Blüten des Baumes als die Totenseelen aufgefaßt werden konnten. Weiterhin ergab sich aus dieser Gleichsetzung die Vorstellung, daß nun anstelle der Wiedergeburt durch die Mutter das Verzehren der Früchte des Baumes das ewige Leben gaben - die Äpfel der germanischen Göttin Idun und der (uminterpretierte) Apfel Evas.

Der Baum im Zentrum der kleinen "Zivilisationsinseln" in der damaligen Wildnis als Weg zur Mutter aller Dinge, als Tor zu den Ahnen und als Ort, an dem die Ordnung der Mutter aller Dinge zu den Menschen gelangt, gab dem Weltbild der damaligen Dorfbewohner ein Bild, in dem sich ihr ganzes Streben zusammenfassen ließ. Eine späte Erinnerung an diesen Weltenbaum ist die Dorflinde in der Mitte des Dorfplatzes, der Weihnachtsbaum und der Maibaum.

In der Altsteinzeit werden vermutlich einzelne Worte für die Kommunikation ausgereicht haben, während in der Jungsteinzeit aufgrund der veränderten Situation komplexere Sprachformen notwendig geworden sein werden. Auch diese haben sich durch das Gleichnisprinzip entwickelt: Die Analogie gab auch der Reihenfolge der Wörter eine Bedeutung, woraus sich die Anfänge der Grammatik entwickelten. Die ältesten erhaltenen Texte (aus Ägypten und Sumer) benutzen das Gleichnis noch als grammatisches Mittel wie z.B. in Sätzen wie "König im Palast Sonne am Himmel" oder "Sonne steigt am Horizont auf Herz voll Freude" (Satzzeichen oder Lücken zwischen den Wörtern gab es damals natürlich auch noch nicht). Die Sätze kommen noch ohne logische Partikel, also Begriffe wie "weil", "warum", "oder", "wie" oder "wenn-dann" aus. Als die Grammatik dann schon eine gewisse Komplexität erreicht hatte, entstand durch die Analogie-Ordnung die erste Lyrik, die viele der ältesten ägyptischen und mesopotamischen Texte prägt: parallel gebildete Sätze und Refrains -gewissermaßen grammatische Reime.

Im Gegensatz zu den altsteinzeitlichen Höhlenmalereien und Statuetten, die vor allem Lebendigkeit und Lebenskraft ausdrückten, strahlen die meisten Bilder und Statuen der Jungsteinzeit (und auch noch des frühen Königtums) entsprechend ihrem Urbild- und Ordnungscharakter eher eine zeitlose Ruhe aus, das sich später noch am deutlichsten in dem Lächeln und der Gelassenheit der ägyptischen und sumerischen Statuen aus der frühen historischen Zeit zeigt und auch in dem Lächeln der Buddha-Statuen zu finden ist.

Nicht zuletzt haben sich in der Jungsteinzeit auch neue soziale Strukturen entwickelt. Vor allem das neue Phänomen des dauerhaften Besitzes im Gegensatz zur bald verzehrten Jagdbeute der Altsteinzeit erforderte eine Regelung, um Streit zu vermeiden.

Da die Mutter die zentrale Gestalt war, ergab sich eine matrilineare Ordnung sowohl in der familiären Orientierung als auch in den Besitzverhältnissen, wie man dies auch in den ältesten ägyptischen und sumerischen Rechtsverhandlungen und bei einigen Naturvölkern findet. Matrilinear bedeutet, daß man sich stets auf seine Mutter, seine Großmutter mütterlicherseits usw. bezieht und nicht auf seine "väterliche Linie".

Um die in einem Dorf lebenden Großfamilien, die die Nachfolger der altsteinzeitlichen Sippe waren, zu koordinieren, wird sich vermutlich eine Art Ältestenrat, evtl. mit einem Vertreter aus jeder Sippe, gebildet haben.

Das Inzesttabu wird in dieser Zeit entstanden sein, da es die Verknüpfung der Sippen miteinander und somit einen größeren Zusammenhalt und eine höhere soziale Stabililität und gegenseitige Toleranz in der Dorfgemeinschaft bewirkte. In den altsteinzeitlichen Sippen mit ihren nur ein bis zwei Dutzend Mitgliedern kann es kein Inzesttabu gegeben haben.

Diese Symbolik ist mit dem Ende der Jungsteinzeit nicht einfach untergegangen, sondern verwandelte sich von Mythen in Sagen und Märchen. So findet sich z.B. die Dornröschen-Symbolik von der Prinzessin im Schloß hinter der hohen Dornenhecke auch in dem Fjölswin-Lied der Edda. Dort heißt die Frau, zu der Swipdag gelangen will, Menglöd. Dieser Name bedeutet Mangold, also „Menschengold“, was ein Symbol für die menschliche Seele ist. Das erinnert natürlich sofort an eine andere Frau, die den Namen einer Gemüsepflanze trägt, nämlich an Rapunzel. Bezeichnenderweise sind sowohl Mangold als auch Rapunzel zwei winterharte Pflanzen, die in der z.T. sehr kalten Heimat der Germanen im Winter und Frühjahr eine wichtige Rolle spielten.

Auch Rapunzel wurde in einem Gebäude gefangengehalten, diesmal allerdings nicht in einem Schloß oder Haus, sondern in einem Turm. Auch sie wurde schließlich wie Dornröschen und Menglöd von einem Prinzen erlöst. Dasselbe Schema findet sich auch bei Schneewittchen und in der Siegfriedsage. In letzterer gelangt der hürnerne Recke durch eine Waberlohe zu Brunhilde.

Die Flammen der Waberlohe zeigen, worum es sich bei dem Hindernis um das Haus, in dem die Frau wohnt, handelt, denn die germanische Hel („Höhle“/ “Hölle“), also die Unterwelt ist von Flammen umgeben, wie man in der Edda u.a. in der Sage von der Reise von Odins Sohn in die Unterwelt, bei der er Baldur in die Welt der Lebenden zurückholen wollte, lesen kann.

Schneewittchen wird von der bösen Stiefmutter bzw. in ihrem Auftrag von dem Jäger (fast) getötet und wohnt danach hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen. Da die Zwerge („Alben“) das „kleine Volk“ in den Bergen („Alb“/“Alpen“) sind, als die sich die Germanen oft die Toten vorstellten, ist dies eine Bestätigung für die Deutung der Gefangenschaft/Verwünschung/Schlaf als Tod.

Die gefürchtete Unterweltsgöttin Hel ist offenbar das Urbild für die Hexe, die die junge Frau gefangenhält. In „Hänsel und Gretel“ ist auch noch das Symbol des Todesfeuers erhalten geblieben: Die Hexe will die Kinder im Ofen braten.

Der Turm, in dem die alte Frau wohnt, ist offensichtlich eine Erinnerung an die Türme, in denen die geachteten und gefürchteten germanischen Seherinnen („Weleda“) und die keltischen Seherinnen („Wala“) lebten, wie es von den Römern berichtet wird. Beide Namen bedeuten „Stabträgerin“, was sich auf ihren Zauberstab bezieht, der wie die Türme, in denen sie lebten (und auch die heutigen Kirchtürme), als Symbol des Weltenbaumes ihren Zugang zu der Welt der Götter in Asgard und zu der Welt der Hel, also der Unterwelt, darstellte. Während die Hexe in dem Turm bei „Rapunzel“ keine weiteren auffälligen Merkmale hat, hat die Alte im Turm bei „Dornröschen“ eine Spindel in der Hand, mit der sie Dornröschen in den Schlaf sticht, was eine deutliche Erinnerung an die den Schicksalsfaden spinnenden Nornen ist. Am deutlichsten hat sich das germanische Bild des Weltenbaumes mit der Mimir, der Quelle der Erinnerungen zwischen seinen Wurzeln im „Froschkönig“ erhalten, wo die Prinzessin den verwunschenen Prinzen an der Quelle unter der alten, großen Linde im Wald findet. Die Umsiedlung des Baumes von der Weltmitte in den Wald, also in die gefährliche Wildnis entspricht der Verdrängung des germanischen Wildbildes durch das Christentum in den Untergrund, in den Bereich der Märchen, der „Altweibergeschichten“.

Die Grundstruktur ist also offenbar das Verhältnis zwischen der „jungen Frau“ (Dornröschen/Rapunzel/Schneewittchen) und der „alten Frau“ (Hexe/Stiefmutter), die die erstere gefangenhält, verwünscht oder zu töten versucht.

Eine bekannte verwandte Vorstellung ist die Suche der griechischen Göttin Demeter nach ihrer Tochter Persephone in der Unterwelt.

Auch das Märchen „Rotkäppchen“ enthält diese Struktur: Rotkäppchen, die junge Frau, reist den gefürchteten Weg (ins Jenseits), um zu ihrer Großmutter, der alten Frau, zu gelangen. Auf diesem Weg lauert der Wolf auf sie, ganz so, wie man in den germanischen Jenseitsvorstellungen auf diesem Weg dem Höllenhund oder dem Fenris-Wolf begegnete. Die Farbe Rot taucht auch bei Dornröschen (Rosen) und in dem Orakelspruch bei Schneewittchen „... Lippen rot wie Blut ...“ auf, denn Rot ist die Farbe des Lebens. Dornröschen wird aus ihrem Tod im Bauch des Wolfes durch den Jäger befreit. Wie die Zicklein in „Der Wolf und die sieben Geißlein“ steigt Rotkäppchen unbeschadet aus dem Bauch des Wolfes heraus. Genauso erwacht auch Schneewittchen aus ihrem Schlaf im Sarg und ebenso wird Rapunzel aus ihrer Verbannung in die Wildnis erlöst.

In dieser Märchenstruktur wird die Herrschaft der jungen Frau dem Sommer und die Herrschaft der alten Frau dem Winter entsprechen: wenn Dornröschen von dem Prinzen erlöst wird, beginnen die Rosen zu blühen und es wird Frühling. Diese Symbolik findet sich in ähnlicher Form in der Edda bei Baldurs Tod und ebenso in der Erzählung über den Fimbulwinter, also den Tod der Götter, auf den ein neuer Frühling folgt. Auch die griechische Legende von Demeter und Persephone ist ein Beschreibung der Verbannung des Lebens der Pflanzen unter die Erde während des Winters. So wie die Pflanzen unbeschadet jeden Frühling neu aus der Erde aufsteigen, steigt auch Schneewittchen aus ihrem Sarg und Rotkäppchen bzw. die Zicklein aus dem Bauch des Wolfes. Auch der Aufenthalt der Goldmarie bei Frau Holle weist auf die Deutung der jungen Frau im Reich der alten Frau (=Tod) als eine Beschreibung des Winters hin: wenn Goldmarie die Kissen schüttelt, schneit es auf Erden. Zudem wird die junge Frau auch mit den Namen des Gemüses bezeichnet, nach dem man sich gegen Ende des Winters sehnte: Mangold und Rapunzel.

Nun taucht in diesen Märchen oft noch ein erlösender/erlöster Prinz auf: In Schneewittchen („Schneefrau“), Dornröschen, Rapunzel und im „Froschkönig“ sowie etwas „getarnt“ als Bruder in „Hänsel und Gretel“ und in „Brüderchen und Schwesterchen“, wobei er hier offenbar nahe an der Baldur-Symbolik der sterbenden und auferstehenden Gottes geblieben ist. Entsprechend der bereits beschriebenen Struktur ist dieser Mann eine Kombination aus 1. dem Schamanen, der ins Jenseits reist, um die Seele bzw. bei der Übertragung dieser archaischen Symbolik auf den Ackerbau, den Frühling, also die junge Frau zurückzuholen, 2. aus der wiedererstarkenden Frühlingssonne (die goldene Kugel der Prinzessin im „Froschkönig“) und schließlich 3. Erinnerungen an Baldur, also den im Herbst vom Wintergott Hödur getöteten und im Frühling wiederauferstehenden Gott des Sommers.