Endlich gute Musik - Nilz Bokelberg - E-Book
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Endlich gute Musik E-Book

Nilz Bokelberg

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Beschreibung

Ein Buch wie ein Mixtape von einem guten Freund The Clash, The Cure, Weezer, Nikka Costa, Muff Potter … Nilz Bokelberg erzählt ein Leben anhand von Musik: große Songs, wichtige Platten, aber auch musikalische Enttäuschungen. Er blickt zurück auf die Wegmarken, die diese Lieder waren, nimmt Songtexte Zeile für Zeile auseinander, stellt Bestenlisten auf, schildert »den schweren Weg zum HipHop«, antwortet auf Fragen wie: Welche Schlager gehen klar? Kannst du Karaoke? Was ist die beste Ballade aller Zeiten? Woher kennst du eigentlich die Beatles? Und hat jede Menge Spaß dabei. Es geht ums Erwachsenwerden, um den Soundtrack zum Pickelausdrücken, das Glück eines gelungenen Flohmarktkaufs, das Fieber beim Auspacken einer neuen Platte, dieses gewisse Knistern. Es geht um Einsamkeit und Partyzeit, um Luftgitarre vorm Spiegel und Pogo im Wohnzimmer. Vor allem aber geht es um Musik. Denn die war immer da. Und das Schöne ist: Je persönlicher diese Geschichten werden, desto mehr findet man sich selbst darin wieder.

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Seitenzahl: 255

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Nilz Bokelberg erzählt ein Leben anhand von Musik: große Songs, wichtige Platten, aber auch musikalische Enttäuschungen. Es geht ums Erwachsenwerden, um den Soundtrack zum Pickelausdrücken, um das Glück eines gelungenen Flohmarktkaufs, um das Fieber beim Auspacken einer neuen Platte, um den Zauber des Aufsetzens der Nadel, um dieses ganz gewisse Knistern, um Luftgitarre vor dem Spiegel und Pogo im Wohnzimmer. Vor allem aber geht es um Musik. Denn die war immer da. Und das Tolle ist: Je persönlicher diese Geschichten über die schönste Hauptsache der Welt werden, desto mehr findet man sich selbst darin wieder. Dieses Buch rockt.

Nilz Bokelberg, Jahrgang 1976, wuchs in einer deutschen Kleinstadt auf, wo er bereits im Alter von sechs Jahren eine eigene Zeitschrift herausbrachte (Auflage: ein Exemplar, aber dafür einmal drei Ausgaben an einem Abend). Mit 17Jahren war er eines der ersten Gesichter des neu gegründeten Musiksenders VIVA. Während seines Regiestudiums in München entdeckte er das Bloggen für sich und wurde zu einem der bekanntesten Blogger Deutschlands. 2010 erschien ›Ich schmeiß alles hin und werd Prinzessin‹.

Nilz Bokelberg

Endlich gute Musik

Für MCA. Und Anna Maria.

Deutsche Erstausgabe

eBook 2013

© 2013 DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagabbildung: © Dan Talson – Fotolia.com

eBook-Konvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN eBook: 978-3-8321-8764-4

»Music’s for you and me – not the fuckin’ industry!«

Biohazard, »Business«

»Diese Platte eröffnet das Zeitalter des Allround-Styles!

Digital oder analog. Schrammel oder Beats.

Alles wird gut. Denn die Mutter von alledem

heißt Musik. Und Mutter hat immer recht.«

Fischmob, aus dem Innencover von Power

Check, check. Hallo? Hallo? Eins, zwei, eins, zwei.

Hey. Hey. HEY.

Okay.

Hallo zusammen! Mein Name ist Nilz Bokelberg.

Und hier sind ein paar meiner Lieblingslieder:

Woher kennst du eigentlich die Beatles?

Zwei Krankheitsbilder haben meine Kindheit geprägt: Ich hatte zum einen überdurchschnittlich oft Bauchschmerzen, was nach einem Ultraschall mit einer komischen Luftblase im Bauch begründet wurde, die ich durch Weizenkleie im Nussjoghurt wieder loswerden sollte. Das hat, glaube ich, auch ganz gut hingehauen. Zumindest waren die Beschwerden irgendwann vorbei.

Das andere waren meine diversen Erkältungen, immer begleitet von übergroßer Schleimproduktion und Halsschmerzen. Das war supernervig. Deswegen haben wir auch dagegen etwas getan.

Erst mal habe ich die Polypen rausgenommen gekriegt. Da war ich noch ziemlich jung und hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Meine Mutter machte während der Untersuchung die ganze Zeit ein leicht besorgtes Gesicht, und das hat mich auch ein wenig beunruhigt. Dann bekam ich eine Maske aufgesetzt, roch ekliges Gas, und bevor der Doktor bis drei gezählt hatte, war ich auch schon eingeschlafen. Am gruseligsten daran ist, dass ich mich bis heute noch an den unheimlichen Narkose-Traum erinnern kann: mit einem Joker, dessen grinsendes Gesicht immer wieder dreifach auf dem Display eines einarmigen Banditen erschien und mich diabolisch auslachte.

Die Schleimproduktion war danach deutlich verringert, es blieb aber immer noch der schmerzende Hals. Bei den ersten Anzeichen von Wintereinbruch ging es sofort wieder los: Meine Mandeln waren gerötet und dick. Die glühten schon durch den Hals durch.

Wir haben uns das mehrere Jahre angesehen, und in einem Winter, kurz vor meinem 17. Geburtstag, war es wieder besonders schlimm. Meine Mutter fuhr mit mir zum Krankenhaus, wo sich herausstellte, dass ich einen Abszess im Hals hatte, direkt neben den entzündeten Mandeln. Wäre ich damit noch eine Woche länger herumgelaufen, hätte ich daran ersticken können. Also war klar: Die Mandeln müssen raus.

Als ich kurz vor der Narkose auf dem OP-Tisch lag, wurde ich noch von den lachenden Ärzten gefragt, welche Musik ich denn gerne hören würde, und selbstverständlich antwortete ich: »Nirvana.«

Die Band um Kurt Cobain war für mich damals das Maß aller Dinge. Diese anziehende, kompromisslose und leicht pathetische Wut bot einem pubertären Jugendlichen aus einer unspektakulären Kleinstadt unweit des Rheins, mit einem Karstadt und zwei Eisdielen in der rot gepflasterten Fußgängerzone, genau das richtige Ventil für all die Kraft und die Energie, die plötzlich aus dem Körper rauswollten. Das war die Band, die Musik, von der man sich verstanden fühlte. Bevor ich aber irgendein Lied hätte hören können, war ich schon weggetreten. Beim Aufwachen spuckte ich Blut in eine Nierenschale. Die Mandeln waren raus. Das war geschafft.

Jetzt musste ich eine Woche im Krankenhaus bleiben und durfte nur Eis und leckere McDonald’s-Erdbeermilchshakes zu mir nehmen, die mir meine Schwester manchmal abends vorbeibrachte. Meinen Geburtstag feierten wir ein wenig auf meinem Zimmer. Ich bekam einen Discman (endlich ein CD-Player!) und das neue Ärzte-Album Die Bestie in Menschengestalt dazu, das erste nach der Reunion. Nun hatte ich auch ein bisschen Stoff zum Hören. Aber bei Weitem nicht genug, wie mein ältester Bruder fand. Deswegen hatte er mir zwei Kassetten für meinen Walkman aufgenommen:

Auf einer war Siamese Dream von den Smashing Pumpkins und auf der Rückseite Meantime von Helmet. Ich hatte von beiden Bands noch nie gehört, aber mein Bruder meinte, die wären gut, und seinem Geschmack konnte ich eigentlich fast immer blind vertrauen.

Das andere Tape machte mich da schon deutlich skeptischer: Auf der einen Seite Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und auf der anderen Abbey Road, beide von den Beatles. Er meinte, das wären gute Platten. Puh. Das forderte mich ein wenig heraus. Ich kannte doch die Beatles. Ich hatte irgendwann einmal im Nachmittagsprogramm den Yellow Submarine-Film im ZDF gesehen, und ja, das waren vielleicht ganz gute Songs, aber ehrlich: Ich war jetzt Grunge-Fan, da hörte man doch nicht mehr so ’nen Pop-Quatsch wie »Yellow Submarine«, »Ob-La-Di, Ob-La-Da« oder »Nowhere Man«. Ich kannte auch »She Loves You« oder »Help«, das waren Oldies. Das war uncool. Vor allem für einen 17-Jährigen. Ich verstand nicht, warum er mir diese Kassette aufgenommen hatte. Auf jeden Fall wanderte sie erst einmal in die Schublade, und ich hörte abwechselnd Pumpkins, Helmet und Ärzte. Gutes Programm.

Es wurde jeden Tag langweiliger. Ich bekam zwar manchmal Besuch, aber sämtliche Zeitschriften waren schon 30-mal durchgelesen, und ein wirklich spannendes Buch hatte ich auch nicht dabei. Es blieb nichts zu tun, außer aus dem Fenster zu gucken. Und selbst von Eis und Milchshakes hat man nach drei Tagen die Schnauze voll. Mir war jetzt langsam mal nach etwas Warmem, Deftigem. Das würde aber noch ein paar Tage auf sich warten lassen. Und aus dieser Langeweile und Verzweiflung heraus griff ich zum Tape in der Schublade.

Was hab ich schon zu verlieren? Hier sieht mich ja keiner. Und so ein kleiner Pop-Hit käme jetzt eigentlich ganz gut. Ah, »With A Little Help From My Friends«, das hab ich schon mal gehört. Das kenne ich. Und ein paar andere auch, vor allem »When I’m 64«. Auch »Come together« kommt mir bekannt vor. Okay, ich muss zugeben, die sind gar nicht soooooo uncool, die Songs, wie ich immer dachte. Das war schon okay alles. Ganz nett eigentlich. Kann man sich schon mal anhören. Da mein Walkman Autoreverse hat, weiß ich oft gar nicht, auf welcher Seite ich gerade bin. Und dann plötzlich kommt das Lied. Das Lied, das alles verändert. Sieben Minuten und siebenundvierzig Sekunden Dreck. Power. Energie. Liebe. Lust. Triefendes Fett. Plötzlich wird mir klar: Keine Band der Welt ist auf einen einzigen Stil angewiesen. Musik bedeutet viel mehr als meine Klischees im Kopf. Musik ist die größte Freiheit von allen. Nur weil sich keiner traut, die Grenzen zu überwinden, heißt das nicht, dass man es nicht kann. Was für ein Stück, was für ein Monster von einem Lied, dessen Titel auch schon der komplette Text ist: »I Want You (She’s So Heavy)«. Da steckt so viel drin. Diese schwüle Hitze, die der Song ausströmt. Und dann bricht er plötzlich ab. Ich überprüfe das Tape, aber das ist noch lange nicht vorbei. Nein, kein Fehler, das Ende ist so gedacht. Anders hätte man so ein Ungetüm von Lied auch gar nicht beenden können als mit einem schnellen und klaren Cut. Einfach aus, und das war’s. So und nicht anders.

Ich spulte zurück und hörte es noch einmal, und es hatte immer noch dieselbe Power, vielleicht sogar noch mehr. Hier kamen Nirvana her, hier kamen Pantera her. Hier kam alles her, was geil war. Ich habe das Lied an diesem Nachmittag noch so oft gehört, bis die Batterien meines Walkmans leer waren. Endlich hatte ich ihn gefunden: den Schlüssel zur Musik. Ich weiß nicht einmal, ob es eine Rolle spielte, dass der Song von den Beatles war. Vielleicht machte er dadurch noch ein bisschen mehr Eindruck auf mich, weil ich so etwas gerade von denen am allerwenigsten erwartet hätte. Jedenfalls war die Büchse der Pandora geöffnet: Ab sofort liebte ich Musik wirklich. In allen nur erdenklichen Formen. Na ja, beinahe: Reggae kann ich auch nach mehreren Versuchen immer noch nicht leiden. Aber die Beatles waren ja auch nie auf Jamaika.

Musik zum Text:

»Smells Like Teen Spirit« aus Nevermind – Nirvana

»FaFaFa« aus Die Bestie in Menschengestalt – Die Ärzte

»Soma« aus Siamese Dream – Smashing Pumpkins

»Fbla II« aus Meantime – Helmet

»Yellow Submarine« aus Revolver – The Beatles

»Ob-La-Di, Ob-La-Da« aus The Beatles – The Beatles

»Nowhere Man« aus Rubber Soul – The Beatles

»She Loves You« aus The Beatles’ Second Album –

The Beatles

»Help!« aus Help! – The Beatles

»With A Little Help From My Friends« aus Sgt. Pepper’s

Lonely Hearts Club Band – The Beatles

»When I’m 64« aus Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band – The Beatles

»Come Together« aus Abbey Road – The Beatles

»I Want You (She’s So Heavy)« aus Abbey Road – The Beatles

»Walk« aus Vulgar Display Of Power – Pantera

Der schwere Weg zum HipHop

Irgendwie finde ich es viel komplizierter, zu einem gesampelten Beat eine Beziehung aufzubauen als zu einem Rocksong, der ja über das Gitarrensolo als für jeden Menschen leicht verständliche emotionale Klimax verfügt. Ein Rapsong aber hat in der Regel kein Gitarrensolo. Da muss man die Höhepunkte im Text suchen. Das bedeutet, dass eine andere Art von Aufmerksamkeit gefordert ist.

Nun hat das Schulenglisch, zu dem man mit 15Jahren imstande ist, leider nur sehr wenig mit dem L.A.-Ghetto-Slang der frühen Neunziger gemein, und ich gab es bald auf, irgendetwas verstehen zu wollen, wenn meine Freunde wieder einmal begeistert ihre Rap-Platten auflegten. Man konnte aber auch nicht unbedingt behaupten, dass die besser Englisch sprachen als ich. Also hatten die einen Zugang zu der Musik, den ich irgendwie noch nicht hatte, aber doch unbedingt finden wollte. Mir war klar, dass ich mich dem Genre erst einmal über die Sprache nähern musste, und es gab eine Band, die mir sehr dabei geholfen hat. Ich hatte irgendwo aufgeschnappt, dass es da jetzt so eine ganz lustige Band geben sollte, die auf Deutsch rappte. Das wollte ich mir unbedingt anhören, und ich begann, alle Plattenläden im Umkreis zu durchstöbern. Aber erst im letzten (El-Pi in Bonn) sollte ich fündig werden und endlich das rote Album mit der weißen Schrift in den Händen halten: Jetzt geht’s ab, hieß die Platte, und ich war sehr aufgeregt. In meinem Jugendzimmer auf dem Dachboden legte ich sie dann schließlich auf und hörte die ersten Takte aus meiner Sony-Kompaktanlage kommen:

(Gescratcht:) »Jetzt passt auf!«

Schönen guten Abend, meine Damen und Herrn,

Wir machen Rapmusik, und wir hören sie auch gern.

Herzlich willkommen zu unserer Show,

Und meine Wenigkeit, ich heiße S.M.U.D.O.

Nachdem Smudo dann noch seine Mitstreiter vorgestellt hatte, fing plötzlich das Beatbrett an zu pumpen. Und dann ging’s los. Begriffe wie »Mädchenkopfverdreher« (cool!), »Mikrofonverbraucher« (yeah!) oder »Geschlechtsverkehrer« (häh?) trommelten durch meine Ohren und meinen Kopf und von dort aus durch meinen ganzen Körper.

Begeistert hörte ich mir das ganze Album an. Und noch mal. Und noch mal. Und noch mal. Das hier war cool und lustig zugleich, und das war neu! Das konnten bis dahin, wenn überhaupt, nur die Ärzte. Streng genommen waren die Ärzte auch die Ersten gewesen, die mir etwas auf Deutsch vorgerappt hatten. Auf ihrer »Radio brennt«-Maxi gab es in der Extended Version nämlich als Intro einen Rap mit den schönen Zeilen:

Rappen kann ich, rappen kannst du,

Rappen kann ein Esel genauso wie ein Gnu.

Die Leute halten uns für ausgemachte Deppen,

Doch wir sind klasse, denn wir können rappen!

Aber richtiger HipHop hatte eine andere Art von Coolness. Dazu konnte man anders tanzen. Anders laufen (wenn man, Walkmankopfhörer auf den Ohren, durch die Stadt ging). Anders sein.

Jetzt konnte ich plötzlich auch HipHop in Sprachen hören, die ich nur einigermaßen verstand, wie Englisch oder Französisch. Es ging schließlich vor allem um die Rhythmik. Wahrscheinlich hätte ich mich zu der Zeit auch für russischen Rap begeistern können. Na ja … wahrscheinlich.

Ich war jetzt auf jeden Fall ganz Ohr, wenn es um Rap ging, und ließ mir Sachen wie BDP oder N.W.A. vorspielen. Auch Das EFX fand ich ganz cool. Vor allem aber »Guerillas In Tha Mist« von Da Lench Mob hatte es mir angetan, mit seiner bedrohlichen Soundkulisse und diesen unheilvollen Harmonien im Sample. »Tap The Bottle« von den YBT war ebenfalls großartig. Ein klassischer Partytrack eben. So wie »Jump Around« von House of Pain, zu dem wir genauso selbstverständlich pogten wie zu irgendeiner Punk- oder Metalnummer. HipHop war da und nicht mehr wegzudenken. Und dann explodierte plötzlich alles.

Ice-T, dessen Rapalben mich wegen mangelnder Beatoriginalität eher kaltließen, hatte eine neue Band. Eine richtige Band. Body Count hieß die, und schon die erste Single schlug ein wie eine Bombe. »There Goes The Neighborhood« war laut, krachend, brutal, heftig. Das war Metal und gleichzeitig Rap. Das zeigte, wie nah sich die Genres doch waren. Klar, Body Count haben den Crossover nicht erfunden. Die Red Hot Chili Peppers gab es zum Beispiel schon. Aber das waren alles immer Musiker, das war nicht so brachial.

Ice-T und seine Metalband, die haben sich überhaupt nicht für Gitarrengewichse interessiert. Das erstbeste Riff reichte aus – schon konnte der Meister einen Song über seinen bösen Schwanz (»Evil Dick«, der heimliche Klassiker des Albums) drüberrappen. Der Skandal um das Lied »Cop Killer«, nach dessen Veröffentlichung die Erstauflage wieder vom Markt genommen und eingestampft wurde (also wohl die drei Exemplare, die noch nicht verkauft waren), tat sein Übriges. Da machten böse Jungs mit street credibility und coolen Styles richtig geile Mucke. Endlich wuchs zusammen, was schon lange zusammengehörte.

Jetzt konnte ich also Metal, Punk, Grunge und Rap hören. Meine musikalische Vielfalt schien ins Unermessliche zu wachsen. Da blieb natürlich nur noch eins: Ich musste einen eigenen Rap schreiben. Und der ging so:

Du magst Bier, ich mag es auch,

Bier trinken ist wie ein alter Brauch.

Erst wegschütten, dann umkippen,

Und dann packst du irgendner Alten an die Titten.

Sie haut dir eine runter, doch das macht dir nix aus,

Denn du bist besoffen und gehst nach Haus.

Da steht ein Glas, das ist noch voll,

Du denkst: Au klasse! Spitze! Toll!

Schon bist du das Bier am Trinken,

Doch es war tierisch am Stinken!

Du bist auf dem Boden gelanden,

Denn das Bier war abgestanden!

Abgestandenes Bier, abgestandenes Bier

Mögen wir

Nicht!

Abgestandenes Bier

Mögen wir nicht, mögen wir nicht.

Abgestandenes Bier, abgestandenes Bier

MÖ-GEN WIR NICHT!

Schon damals ein Klassiker des deutschsprachigen Sprechgesangs. Und der Beweis: Ich war jetzt auch HipHop. Yo!

Musik zum Text:

»Jetzt passt auf« aus Jetzt geht’s ab – Die fantastischen Vier

»Radio brennt« aus Radio brennt (Maxi) – Die Ärzte

»Stop The Violence« aus By All Means Necessary – Boogie Down Productions

»Straight Outta Compton« aus Straight Outta Compton – N.W.A.

»They Want EFX« aus Dead Serious – Das EFX

»Guerillas In Tha Mist« aus Guerillas In Tha Mist – Da Lench Mob

»Tap The Bottle« aus Dead Enz Kidz Doin’ Lifetime Bidz – Young Black Teenagers

»Jump Around« aus Jump Around – House of Pain

»I’m Your Pusher« aus Power – Ice-T

»There Goes The Neighborhood« aus Body Count – Body Count

»Give It Away« aus Blood Sugar Sex Magik – Red Hot Chili Peppers

»Evil Dick« aus Body Count – Body Count

»Abgestandenes Bier« aus Im Zeichen des Arm-Bein-Män – Fritten und Bier

Achtziger

Ich habe eine Eintrittskarte geschenkt bekommen. »Hits of the 80ies« in der Berliner O2 World. Na gut, guck ich mir das halt mal an. Das Line-up war:

Nik Kershaw

ABC

Alphaville

Level 42

Tony Hadley, der Sänger von Spandau Ballet

Über die ersten drei müssen wir nicht groß reden, von solide bis seltsam war bei den Auftritten alles dabei. Aber dann wurde es, auch musikalisch, interessant. Level 42 sind wohl das, was man eine Mucker-Band nennt. Der Sänger und Bassist sah aus, als hätte man nach dem Konzert noch eine Haftpflichtversicherung bei ihm abschließen können. Kariertes Flanellhemd, in die Hose gesteckt. Dazu ein »kopfloser« Bass mit blinkenden LED-Lichtern auf dem Hals. Nun ja. Muss man mögen, so was.

Andererseits machte auch der Großteil des Publikums den Eindruck, an einer Haftpflicht durchaus interessiert zu sein. So diese Art von Publikum, die man sich immer bei Oldie-Shows vorstellt. Das soll gar nicht abwertend klingen, und schließlich war ich ja jetzt irgendwie ein Teil davon. Vielleicht hat mich das auch einfach nur erschreckt: plötzlich auf einer Veranstaltung lauthals mitzugrölen, über die ich noch vor ein paar Jahren die Nase gerümpft hätte. Level 42 waren aber toll. Schon das zweite oder dritte Lied war »Running In The Family«, und ich habe mich ärgerlich gewundert (oder verwundert geärgert), dass die Leute nicht mehr abgegangen sind, weil das ja auch ein Hit von denen war und ein noch deutlich tolleres Stück als das ebenfalls gute »Lessons In Love«. Aber, ach, Oldie-Show-Publikum will eben nur hören, was es sowieso schon täglich im Radio hört. »Mit dem Besten der 70er, 80er, 90er« oder wie schlimm auch immer diese Formatradiogrützeslogans lauten.

Doch davon ließ die Band sich gar nicht weiter beeindrucken. Die spielten in aller Ruhe ihren Stiefel runter, und der Applaus ließ auch durchaus den nötigen Respekt für die musikalische Leistung erahnen. Der junge Schlagzeuger trommelte sich einen ab, während der souveräne Bassist den einen oder anderen kleinen Schlenker in seine Bassläufe einfließen ließ, ein bisschen so, als wollte er beweisen, wie locker und perfekt er sein Instrument beherrschte. Das war natürlich angeberisch, aber hey, wir sind Jungs! Wir dürfen so was, und wir dürfen so was auch gut finden! (Äh, Mädchen übrigens auch …)

Und dann Tony Hadley. Der antrat, um gleich mehrere Dinge zu beweisen:

–  Ein echter Star kommt nicht nur im Anzug, sondern auch mit Weinglas in der Hand auf die Bühne.

–  So leid mir das tut: Man braucht Spandau Ballet nicht, oder besser gesagt: Hadley IST Spandau Ballet. Mir wollte zumindest partout nicht einfallen, wie irgendeines der anderen Bandmitglieder noch mal aussah, und die mitgereiste Band klang genau wie das Original. Sorry, aber so war es nun mal.

–  Coolness. Ist. König.

Das war wirklich eine coole Show, die der abzog. Als Opener sang er ein Cover von den Killers (»Somebody Told Me«), dann ein wenig Spandau Ballet, wobei er besonderen Wert auf »Through The Barricades« legte und meinte, dass das eines der besten Spandau-Ballet-Lieder überhaupt sei (was völlig korrekt ist!!!), und dann coverte er auch noch – »für Freddy« – »Somebody To Love«, den perfekten Queen-Song, und bewies damit, dass er eigentlich der perfekte »neue« Sänger für die sein könnte. Den Abschluss bildete, natürlich, »Gold«. Und dann strömten die Menschen aus der Halle. Also die, die noch da waren. Viele waren nämlich früher gegangen. Warum auch immer.

Das waren sie also, die 80er? Soll das wirklich alles sein, was davon übrig blieb? Ein trauriges, kleines Festival, moderiert von einem Gute-Laune-Bären? Und ein Publikum, das geht, wenn es nicht sofort seine Hits kriegt?

Die prägende Musik dieser Dekade ist mit Sicherheit der Synthie-Pop, denn seltsamerweise fällt einem zum Beispiel »Billie Jean« nie auf Anhieb ein, wenn man von Musik der achtziger Jahre spricht. Das war zu zeitlos. Die Achtziger, das sind kühle Synthesizer, die manchmal kurioserweise ganz warm werden. Oder lieblicher Gesang auf reduzierten Kompositionen. »Tainted Love«, anyone? (Und ja: Ich weiß, dass das im Original eine Soulnummer aus den 60ern ist.) Die »Neue Deutsche Welle« bewies in angenehmer Weise, dass Auf-Deutsch-Singen nicht gleich Schlager bedeuten muss, sondern auch derbe international klingen kann. Ich fand vieles davon gut, vieles so lala, und wenn es allzu negativ oder gruselig oder emotionslos wurde, dann mochte ich es gar nicht. Aber ein Lied, das begleitet mich seit damals und hat bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt. Da geh ich jedes Mal mit, wenn ich es höre, und freue mich jedes Mal wieder über den Detailreichtum der Nummer. Da wird ein Räuspern als perkussives Element eingesetzt, die Stimmen springen hin und her, und manchmal wird gesungen, manchmal gesprochen, aber mit Rap hat es nicht die Bohne was zu tun. Der Connaisseur weiß schon, wovon ich rede: Thomas Dolbys Frickel-Nerd-Track »She Blinded Me With Science«.

Das war nicht nur ein reiner Keyboard-Track, der schaffte es auch noch, den Instrumenten völlig neue, nie zuvor gehörte Sounds zu entlocken. Dafür musste man schon ein richtiger Nerd sein. Der hat sich bestimmt die Hälfte seiner Instrumente auch selber gebaut. Dazu das Video, das den ganzen Steampunk-Quatsch vorwegnahm. Hier war ganz klar ein absoluter Oberfreak am Werk.

Ich hab mir dann auch diverse Dolby-Platten geholt und angehört, und tatsächlich ist das so ziemlich der einzige Musiker, der es geschafft hat, mich mit komplett virtuellem Sound zu berühren. Aber man muss auch zugeben, dass er nie wieder etwas so genial und auf den Punkt komponiert hat wie seinen großen Hit.

Vielleicht gibt es diesen Moment nur ein Mal, diesen Moment, in dem alles stimmt. In dem sich einzelne Puzzleteile zu einem großen Werk zusammenfügen und so ein ungewöhnlicher Song dabei rauskommt. Klar, Produzenten und Hitmaschinen wie Quincy Jones sind das Gegenmodell, aber dennoch: Es gibt diese Künstler wie Dolby, Getriebene, die Musik machen müssen, als Ausdruck, als Kunst, als Experimentierfeld. Umso schöner, wenn sie einmal im Mainstream vorbeigucken, um auf sich aufmerksam zu machen. »She Blinded Me With Science« kann ich den ganzen Tag rauf und runter hören.

Leider kann man so ein Buch nicht hören. Deswegen hier der Versuch, das Lied einmal aufzuschreiben. Ich weiß genau, Dolby hätte eine Riesenfreude daran:

Beubabbadadada

Beuubabadadabap!

Badap! Dap!

Dadidadidadida,

Badap! Dap!

Dadidadidadidada

Uiuiuiiiuuuhuuu

Dadidadidadida,

Badap! Dap!

Dadidadidadidada

Badadidadidadida!

Tüüt Tööt Tüüt.

Badadadadap!

Badidadidadidada.

Huh! Huh! Huh! Huh! Huh! Huh!

Tüttütütüt, tütütütütütüüüüt!

Alles klar?

Musik zum Text:

»Running In The Family« aus Running In The Family –

Level 42

»Lessons In Love« aus Running In The Family – Level 42

»Somebody Told Me« aus Hot Fuss – The Killers

»Through The Barricades« aus Through The Barricades –

Spandau Ballet

»Somebody To Love« aus A Day At The Races – Queen

»Tainted Love« aus Non-Stop Erotic Cabaret – Soft Cell

»She Blinded Me With Science« aus The Golden Age Of

Wireless – Thomas Dolby

Die fünf besten Balladen aller Zeiten

Die Königsdisziplin des Pop ist die Ballade. Herzschmerz adäquat zu vertonen ist eines jeden Musikers größter Wunsch, vielleicht sogar der größte Antrieb, den man zum Musikmachen haben kann (ausgenommen diejenigen, denen es nur ums schnelle Geld geht – wobei selbst die wissen, dass sich Balladen immer am besten verkaufen …).

Man will über die Verflossene hinwegkommen. Manchmal will man womöglich auch Rache üben: indem man ihr mit einem Lied noch einen letzten Stich versetzt. Ihr zeigt, was noch alles hätte kommen können. Ihr beweist, zu welcher Grandezza man imstande ist. Quasi ein musikalisches »All das hätte dir gehören können«.

Was auch immer der Antrieb dafür ist, eine Ballade zu schreiben: eine wirklich gute vergeht niemals. Passt auf jedes Mädchentape. Lässt sich beim Karaoke wunderbar schmettern. Und klingt wie: Liebe.

Platz 5

»These Days« – Christiane Rösinger

Christiane ist Ex-Lassie-Singer. Mehr muss man nicht wissen. Das steht einfach für textliches Auf-den-Punkt-Kommen. Und so hat sie es auch bei diesem Song auf ihrer Soloplatte gehalten:

Mir ist gar nicht so nach rumziehen.

Nicht mal mehr umziehen – will ich mich zur Zeit …

Dieses Im-Bett-Liegen-und-nicht-mehr-Rauskommen. Diese Tage, an denen man eigentlich rausmüsste, aber nicht will. An denen einen die Welt nicht braucht, was auf Gegenseitigkeit beruht. Dazu vielleicht eine kleine Dosis Selbstbetrug à la »Ach, mir geht’s doch eigentlich gut, so allein«. Irgendwie schafft Frau Rösinger es immer, exakt die richtigen Worte zu finden, um solche Zustände zu beschreiben. Ein perfektes Balladenthema. Und die Ballade endet irrsinnig schön und weise:

Und wenn Du sagst:

»Das klingt verzagt

Und gar nicht mehr

Nach der, die ich sonst bin!« –

Es ist doch nur, weil meine Lieder

Immer schon klüger

Als ich sind.

Platz 4

»Your Song« – Elton John

Es gibt ja unheimlich viele gute Balladen aus dieser Zeit: »He Ain’t Heavy« von den Hollies zum Beispiel. Das Gesamtwerk von Bread. »Angie« von den Stones. Oder andere Lieder von Elton John selbst, wie »Rocket Man« oder »Tiny Dancer«. Alles großartige Herzschmerzlieder. Aber »Your Song« hat da noch eine ganz eigene Qualität, ist eine Liga für sich. Man hat zwar zwischendurch das Gefühlt, es nicht mehr hören zu können – auch weil es natürlich in Moulin Rouge so überstrapaziert wurde –, aber man kann! Das fällt einem spätestens dann auf, wenn es irgendwo läuft. Man kann nicht mehr ohne diesen Song leben, der so wunderbar auf der Metaebene abläuft. Ein Lied über das Lied selbst? »And you can tell everybody: This is your song« – wie unglaublich genial ist das eigentlich? Ich habe dir nichts zu geben außer diesem Lied. Aber es zeigt dir, wie sehr ich dich liebe. Das ist doch wohl das romantischste Bild, das ein Popsong jemals gezeichnet hat. Wenn man dieses Lied hört, verliebt man sich in die erste Person, die man währenddessen ansieht.

Platz 3

»Back For Good« – Take That

In den letzten Jahren bin ich immer wieder über einen Begriff gestolpert, den die Leute verwenden, wenn sie zugeben, etwas toll zu finden, das vermeintlich peinlich ist. Das nennen sie dann »guilty pleasure«. Auch Take Thats Überballade wurde lange Zeit als solches gehandelt. Dann waren sie aber irgendwann bereits so lange aufgelöst, dass der Song vom Status des peinlichen Lieblingslieds in den klassischen Balladenkanon aufstieg und heute vermutlich auf keiner Best of Kuschelrock fehlen darf. Ich verbinde zwei Geschichten mit dem Lied, dessen Fan ich immer schon war, vom Release an, weil es eine perfekte Ballade ist, mit genau dem richtigen Level an Cheesiness, um nicht total uncool zu sein:

1.) Das Lied war die Zugabe auf der zweiten Fritten-und-Bier-Tournee. Wir haben dann immer unsere Vorband Gagu mit auf die Bühne geholt und in großer Runde gemeinsam den Song geschmettert. Mit allem Herzblut und Herzschmerz, inbrünstig und voller Liebe. Und am Ende haben wir dann noch alle im Chor singend Take That beschworen, doch bitte zurückzukehren. Inklusive Robbie. Vermutlich kann man uns also für die Reunion verantwortlich machen, auch wenn unsere Forderung schon viele Jahre zurückliegt. Die Herren haben vermutlich einfach etwas länger gebraucht, sich zu entscheiden.

2.) Ich war mal Wettpate bei Kinder-Wetten-dass..?, einer Sendung, von der, glaube ich, nur zwei Ausgaben produziert wurden. Ich war in der ersten dabei. Auf dem Sofa drängten sich Prominente, auf die Kinder zu dieser Zeit standen. Neben mir saßen da noch Blümchen, die Kelly Family, die Doofen und eine junge neue Boygroup namens ’N Sync. Nach der Aufzeichnung ging es in die Hotelbar, und das wurde ein sehr lustiger Abend, den ich zu 98Prozent nicht wiedergeben kann (und vermutlich auch nicht darf), aber ein Highlight gab es: Durch das Spielen von »Back For Good« auf Tour kannte ich die Akkorde, und ich setzte mich ans Barpiano, spielte los und sang dazu. Und wurde dabei unterstützt von Blümchen und – ta-daa! – Justin Timberlake und diesem anderen von ’N Sync, dem mit der Nase. Was für ein lustiger Abend. Daran erinnert mich das Lied jetzt natürlich auch immer.

Platz 2

»More Than Words« – Extreme

Nur Akustik-Gitarre und Gesang. Das ist schon mal ein Garant für große Gefühle. In den meisten Fällen zumindest. Wer wäre nicht von Tracy Chapman elektrisiert worden, als sie allein mit ihrer Gitarre in den Umbaupausen des »Free Nelson Mandela«-Konzerts gesungen hat? Wer könnte so herzlos sein, dass ihn »Blackbird« von den Beatles nicht jedes Mal aufs Neue verzaubern würde? Wer kann sich ernsthaft der Magie eines Jim-Croce-Songs entziehen? Die Antwort auf jede dieser Fragen lautet natürlich: »Niemand!«, und dennoch ist ausgerechnet die Band mit dem unglaublich lahmen Namen hier auf Platz zwei gelandet.

»More Than Words« ist dabei eigentlich die schlimmste Ballade von allen, oder besser: die überproduzierteste. Dieser unglaublich versierte, mehrstimmige Gesang, diese Rhythmik, der einmalige Gitarrenklopfer: Im Prinzip will man das Lied gar nicht so richtig gut finden. Aber das ist einer der Fälle, bei denen man sich der Qualität, die das Ganze nun mal hat, einfach nicht entziehen kann. An diesem Song und dieser Aufnahme wurde so lange gefeilt, bis alles perfekt war. Und das hört man. Eigentlich ja ein Unding, eigentlich sollte doch ein Liebeslied so unperfekt wie möglich sein. Direkt aus dem Herzen kommen. Doch Perfektion und ein Mangel an Authentizität werden leider viel zu oft verwechselt: Nur weil man etwas perfekt macht, etwas ausfeilt und sich Mühe damit gibt, steckt ja nicht gleich weniger Liebe darin. Im Grunde genommen trifft sogar das Gegenteil zu: Der Song steckt so voll mit dem schönsten Gefühl der Welt, dass die Band um Nuno Bettencourt gar nicht anders konnte, als mit der Veröffentlichung zu warten, bis er perfekt war. Vorher wäre er nie diesem Gefühl gerecht geworden, das eben durch mehr als Worte ausgedrückt wird. Oder, um es mit Bettencourt selber zu sagen: »People use it so easily and so lightly that they think you can say that and fix everything, or you can say that and everything’s OK. Sometimes you have to do more and you have to show it – there’s other ways to say ›I love you.‹«

Amen.

Platz 1

»If You Leave Me Now« – Chicago

An dem Tag, als mein Bruder vom Flohmarkt wiederkam und die Platte in der Hand schwenkte, wurde alles anders. Das Cover sah aus wie eine riesige Schokoladentafel. Nur den Schriftzug und den Bandnamen kannte ich: Chicago. Mein ältester Bruder und ich wohnten damals zusammen, und ich war doch etwas erstaunt, als er meinte, auf dieser Platte sei die beste Ballade aller Zeiten. Für mich waren das damals andere Songs (siehe oben). Aber ein Lied von Chicago? Das ich noch nicht mal kannte? Das kam mir komisch vor. Und galten Chicago nicht eher so als ziemlich uncool?

Er riet mir, abzuwarten, schaltete meine Anlage ein, legte die Platte auf, setzte die Nadel erst an die falsche Stelle, dann an die richtige. Es knisterte aus meinen Boxen. Und dann:

Weiche Trompeten. Ein warmer Beat. Eine Stimme, die immer wieder ins Falsett abrutscht. Unkitschige Harfen. Mehrstimmiger Gesang. Die weiche Trompete immer als Antwort. Und ein herzzerreißender Text. Nicht zu vergessen: ein Akustikgitarrensolo.