Engel naschen nicht - Gudrun Leyendecker - E-Book

Engel naschen nicht E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Samantha Jones wird von Frau Rossini nach Sankt Augustine eingeladen, dort soll sie eine Gruppe von jungen Frauen und Männern betreuen, die an einem Wettbewerb teilnehmen. Es wird gekocht, gebacken und gebraten, aber das geht nicht so ganz ohne Emotionen ab. Die beiden jungen italienischen Köche sorgen dafür, dass in der Küche kein Chaos entsteht. Auch in der Liebe gibt es Verwicklungen, doch am Ende zeigt sich, dass es auch dumme Sprüche gibt, die wahr sind: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wurde.

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Samantha Jones wird von Frau Rossini nach Sankt Augustine eingeladen, dort soll sie eine Gruppe von jungen Frauen und Männern betreuen, die an einem Wettbewerb teilnehmen. Es wird gekocht, gebacken und gebraten, aber das geht nicht so ganz ohne Emotionen ab. Die beiden jungen italienischen Köche sorgen dafür, dass in der Küche kein Chaos entsteht. Auch in der Liebe gibt es Verwicklungen, doch am Ende zeigt sich, dass es auch dumme Sprüche gibt, die wahr sind: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wurde.

MIT SECHS ALTEN REZEPTEN

IM ANHANG

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1.Kapitel

Die ältere Dame umarmte mich zur Begrüßung. „Wie schön, dass du es doch noch möglich gemacht hast, deine Italienreise zu verschieben. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das sonst alles unter einen Hut bekommen hätte.“

Adelaide führte mich in die Schlossküche und servierte mir einen frischen Kaffee. Wie jedes Mal, wenn ich sie besuchte, bewunderte ich das kupferne Kochgeschirr und die rötlich schimmernden Backformen. „Deine Nachricht klang wirklich zu verlockend“, verriet ich ihr. „Ich werde bestimmt viel Spaß daran haben, diese jungen Menschen zu betreuen, die in deiner Traumküche herumwerkeln.“

Die Schlossherrin setzte sich neben mich. „Für mich allein wäre das jetzt zu viel gewesen. In zwei Wochen jährt sich der Todestag meines geliebten Mannes. Ich kann es immer noch nicht begreifen, dass Moro nun schon ein Jahr lang nicht mehr hier unter uns ist. Das geht mir momentan sehr nahe, und da bin ich natürlich froh, dass mich die hier lebenden Kunststudenten auf die Idee gebracht haben, zu diesem Jahrestag eine Vernissage mit seinen Bildern vorzubereiten.“

„Und beides ist zu viel für dich“, stellte ich fest. „Eine Kunstausstellung und einen Wettbewerb mit Küchenkünstlern, das geht natürlich nicht parallel. Da kann ich dich gut verstehen.“

Adelaide seufzte und nickte. „Immerhin bin ich auch schon 74 Jahre alt, damit kommt man schon öfters an seine Grenzen.“ Sie sah mir ins Gesicht. „Aber du schaffst das schon. Schließlich liegen zwischen uns drei Jahrzehnte, das macht eine Menge aus.“

„Und du glaubst, dass ich mit den Küken zurechtkomme?“ fragte ich scherzend. „Sind es Problemkinder?“

Sie lächelte. „Darüber kann ich dir noch nichts sagen, ich habe sie selbst gestern erst beim gemeinsamen Abendessen kennengelernt. Aber sie sind hier Konkurrenten, und ich glaube, das macht sie zu Problemkindern. Allerdings sind sie doch schon aus dem schlimmsten Alter heraus. Maggie, die Jüngste, ist 18 Jahre alt und Victor, der Älteste, ist mit seinen 35 Jahren schon fast ein Oldie. Trotzdem sind sie alle verrückt nach der Medaille.“

Ich nahm einen Schluck Kaffee. „Darüber wüsste ich gern mehr. Ist sie auch noch aus der Kunstsammlung deines Mannes?“

„Nein, der Goldschmied Martin hat sie hergestellt. Er gehört zu den Tangotänzern, die neulich hier am Tanz-Wettbewerb teilgenommen haben. Aber es ist uns sehr schwergefallen, den richtigen Entwurf zu kreieren.“

Ich sah sie erstaunt an. „Wieso? Du hast doch sonst so viel Fantasie, und der Goldschmied doch sicher auch.“

„An unserer Fantasie hat es nicht gelegen. Aber an der Vielfältigkeit der Rezepte. Zwei Bewerber kochen, zwei Bewerber backen und die anderen beiden mixen Drinks. Mit einem Kochlöffel allein wäre die Medaille nicht perfekt gewesen.“

Ich blickte mich in der großen Küche um. „Und? Welches Küchenutensil habt ihr jetzt gefunden? Einen Mixer oder einen Probierlöffel?“

„Die gute alte Eieruhr“, verriet Adelaide. „Denn die Zeit ist bei allen Rezepten wichtig, beim Kochen, beim Backen und sogar beim Schütteln der Drinks. Martin hat sich die Mühe gemacht, sechs vergoldete Exemplare herzustellen, in allen Größen, von winzig klein bis in Originalgröße.“

Langsam wurde ich neugierig. „Dann habt ihr alles schon sehr gut vorbereitet. Bleibt für mich dann überhaupt noch eine Arbeit übrig?“

Meine ältere Freundin beruhigte mich. „Du bekommst schon noch genug Arbeit. Heute Morgen haben die Kandidaten die Küche durcheinandergewirbelt. Die beiden Köche Gianni und Roberto sind erst einmal geflohen. So viel junges Gemüse sind sie auch nicht gewohnt.“

„Das kann ich mir denken, Gianni und sein Kollege sind Profiköche, und deine Zöglinge sind alle Laien. Weißt du denn etwas Genaues über die Rezepte?“

Adelaide schmunzelte. „Das wollen die Kandidaten so lange wie möglich geheim halten. Nur die kleine Maggie, konnte ihren hübschen Mund nicht halten und hat sich verplappert.“

„Und womit will sie die Jury verzaubern?“

„Nun ja, das Motto heißt ja: „Alte Rezepte neu entdeckt“. Die hübsche Kleine hat im Rezeptbuch ihrer Urgroßmutter nachgeschaut und das Rezept der guten, alten Eierschecke ausgegraben. Ihre ganze Verwandtschaft musste in der letzten Zeit probieren, und sie versicherte uns, dass alle ihre Lieben in der nächsten Zeit keinen Kuchen mehr sehen können. Hier arbeitet sie jetzt noch an den Feinheiten.“

Ich sah sie fragend an. „Eierschecke? Ist das nicht eine Spezialität aus Dresden?“

Meine ältere Freundin nickte. „Ja, das ist eine Kuchenspezialität, fast genauso bekannt, wie der Dresdner Christstollen. Wir durften heute Vormittag alle schon einen Streifen probieren, und ich muss sagen, es hat sich gelohnt.“

„Du machst mich richtig neugierig. Kennst du etwa jetzt das Geheimrezept?“

Sie lächelte mich an. „Aber nein! Was denkst du denn?! Die Rezepte bleiben erst einmal geheim. Ich weiß nur, dass da eine Menge Eier hineingehören, aber das hört man ja schon am Namen. Die verwendet man für den Boden, für die Quarkmasse und für die Puddingmasse, die die Oberschicht des Kuchens bildet.“

Ich hob die Augenbrauen. „Das hört sich nach ziemlich vielen Kalorien an. Oder?“

Sie lachte. „Ja, Butter gehört auch dort hinein und Zucker natürlich auch. Für eine Diät ist die Eierschecke jedenfalls nicht geeignet.“

„Ich glaube, zu früheren Zeiten hat man die Kalorien noch nicht gezählt. Dann werde ich mich in der nächsten Zeit beim Naschen etwas zurückhalten müssen. Es wird hier sicher den ganzen Tag verführerisch duften.“

Sie sah mich abschätzend an. „Ein paar Gramm werden deine Figur auch nicht verderben, Samantha. In deinem Alter sieht man doch auch nicht mehr so aus wie mit zwanzig“, scherzte sie und zwinkerte mir zu. „Und es gibt heute wunderbare Mode, mit der man kaschieren kann. Und naschen, das dürfen auch nur du und ich. Die Konkurrenten untereinander nicht.“

Ich sah sie verwundert an. „Warum nicht? Es hat doch jeder sein eigenes Rezept, da können sie sich doch nicht gegenseitig stören.“

„Der Sterne-Koch Julio Jansen hat sich das so ausgedacht, und er gehört mit den beiden Köchen Gianni und Roberto, gemeinsam mit mir und der Frau Bürgermeister, sowie der reichen Frau Ackermann zur Jury. Er ist schrecklich misstrauisch und befürchtet, dass die Kandidaten hier mit allen Mitteln arbeiten. Er hat mir einen ganz großen Vortrag gehalten über den Ehrgeiz der Menschen und den Wunsch zu siegen. Er glaubt nur an die Menschen als Eroberer und als wilde Raubtiere und will mir weismachen, dass der größte Feind des Menschen ein Mensch ist. Tatsächlich traut er es diesen Kandidaten hier zu, dass sie sich gegenseitig die Rezepte vermasseln.“

Ich seufzte tiefatmend. „Das verstehe ich wirklich nicht. Und so etwas will ein Feinschmecker sein? Sind das normalerweise nicht positiv eingestellte Genießertypen? Warum sollte einer, der hier seinen aromatischen Punsch braut, dieser Bäckerin Maggie zum Beispiel die Eierschecke versalzen?“

„Er glaubt, ein Konkurrenzkampf im Wettbewerb sei nichts anderes als ein Krieg, und da wären ja bekanntlich, wie in der Liebe, alle Mittel erlaubt.“

Ich stöhnte. „Der scheint ja in seinem Leben allerlei schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Ob er dann der richtige Typ für ein Jurymitglied ist?“

Sie schenkte mir einen bedauernden Blick. „Er hat diesen Wettbewerb ins Leben gerufen und sogar die Pokale bezahlt. Wir werden ihn schwerlich hinauswerfen können.“

Ich seufzte. „Wohnt er auch hier im Schloss?“

Adelaide nickte. „Oh ja. Ganz oben unterm Dach. Und er hat auch seine Tochter Angelina mitgebracht, ein ganz entzückendes Mädchen. Ich weiß gar nicht, wie dieser muffelige Mann an so eine süße Tochter kommt.“

„Vermutlich hat sie sich reichlich an den Genen ihrer Mutter und denen der anderen Vorfahren bedient. Übt sie hier auch irgendeine Funktion aus, oder darf sie einfach nur zuschauen?“

„Sie spielt die Küchenhilfe und geht allen Kandidaten zur Hand. Sie wiegt die Zutaten ab, putzt Obst und Gemüse zu und versorgt die Kandidaten zwischendurch mit kleinen Erfrischungen. Wir haben sie alle sofort ins Herz geschlossen, und sie sieht aus wie ein kleiner Engel.“

„Ich bin schon wahnsinnig neugierig auf die beiden“, verriet ich der älteren Dame. „Wann werde ich sie kennenlernen?“

„Das kann nicht mehr lange dauern“, wusste Adelaide. „Die Kleine wollte sich nur noch rasch umziehen, und ihr Vater hatte noch ein wichtiges Telefon-Gespräch zu führen.“

„Sicher mit seiner Frau“, vermutete ich.

„Er ist geschieden“, teilte mir die Schlossherrin mit. „Schon seit etlichen Jahren, und so wie ich hörte, sind die beiden als Freunde auseinandergegangen.“

„Wenn er so ein komischer Kauz ist, dann war seine Frau bestimmt froh, ihn loszuwerden“, vermutete ich. „Sie wird dankbar sein, dass sie ihn nicht mehr täglich sehen muss.“

Adelaide lachte. „Das ist möglich, und ich bin schon sehr gespannt, wie wir alle mit ihm zurechtkommen werden.“

2. Kapitel

Nachdem ich mein Gepäck in dem gemütlichen kleinen Zimmer verstaut und mich ein wenig erfrischt hatte, gönnte ich mir einen Spaziergang im Schlosspark und schlenderte zunächst an den Brunnen vorbei, von denen jeder seine eigene Geschichte besaß.

Ich entdeckte den Venusbrunnen, in dem vor nicht allzu langer Zeit eine junge Frau in der Mitternachtsstunde baden ging, um ein Verbrechen aufzuklären, ich passierte den Elefantenbrunnen, den der verstorbene Schlossherr Moro Rossini genau nach dem Ebenbild des Originals in seiner Geburtsstadt Catania erbauen ließ, und ich blieb kurz an dem neuen Wunschbrunnen stehen, den eine inzwischen bekannte Bildhauergruppe als Alternative zum Trevi Brunnen in Rom hier im Kleinformat hatte neu erstehen lassen.

Am Brunnenrand, ganz vertieft in den Anblick des Oceanus mit den geflügelten Pferden und den Titanen entdeckte ich ein junges Mädchen mit goldblonden Locken und vermutete sofort, dass dieses engelsgleiche Geschöpf Angelina sein musste.

Um sie nicht zu erschrecken, begann ich ein Lied zu summen, und tatsächlich drehte sie das hübsche Köpfchen in meine Richtung. Die Schlossherrin hatte nicht gelogen: Das freundliche Gesicht, aus dem zwei große, helle Augen strahlten, glich einem der sechs Botticelli-Engel auf dem Bildnis „Maria mit dem Kinde“.

Sie sprang auf und ging mir einen Schritt entgegen. „Hallo! Du bist bestimmt Samantha, Adelaides jüngere Freundin.“

Ich nahm ihre ausgestreckte Hand und drückte sie. „Ja, das stimmt. Ich will mich ein bisschen um die Kandidaten des Wettbewerbs kümmern. Ich habe gehört, dass du dich auch schon sehr hilfreich eingebracht hast. In der riesigen Küche mit all den alten Utensilien macht das bestimmt riesigen Spaß“, vermutete ich.

Sie lächelte und nickte. „Es ist sehr interessant. Zum Glück ist die Küche so groß, dass mehrere Personen darin arbeiten können, ohne sich zu stören, während die Kindergärtnerin Maggie an der Eierschecke herumbastelt, während zum Beispiel Kitty, die Altenpflegerin, eine ganz raffinierte Bowle aus den frühen sechziger Jahren zusammenbraut.“

Ich hörte ihr aufmerksam zu. „Jetzt bin ich schon wieder etwas schlauer geworden.

Ich hätte niemals gedacht, dass ein Bowlen-Rezept so außergewöhnlich sein kann. Aber ich lasse mich gern überraschen.“

Sie sah mich mit großen Augen an. „Die erste Bowle wurde in Deutschland schon im 15. Jahrhundert erwähnt, obwohl ihr Name aus England stammt und dort ab dem 18. Jahrhundert besondere Erwähnung fand. Den Namen hat sie von dem Gefäß, in dem sie zubereitet und zum Servieren aufbewahrt wird. Kitty hat sich inzwischen für die Bowle mit Früchten entschieden, nachdem sie vorher auch mit Rosenblättern und Honig herumexperimentiert hat.“

Ich staunte. „Ich hätte niemals gedacht, dass eine Bowle so kompliziert sein kann. Ich bin sehr gespannt. Und wer ist der dritte weibliche Teilnehmer?“

„Die dritte, das ist Nora, eine Krankenschwester. Und bei ihr geht es um die gute alte Bratkartoffel. Sie hat mir schon einiges darüber erzählt, auch, dass dabei früher der Speck nicht fehlen durfte. Aber diese ganzen Rezepte hier sind so abgewandelt, dass sie weder Unmengen an Fleisch noch viele andere ungesunde Bestandteile enthalten.“

„Auch die männlichen Teilnehmer experimentieren nicht mit viel Fleisch?“ fragte ich verwundert.

„Auch nicht“, antwortete sie vergnügt. „Bei diesen Experimenten geht es vorwiegend gesund zu und es sind Spar-Rezepte. Mein Vater hat das so ausgetüftelt.“

„Wollen wir uns ein bisschen auf den Brunnenrand setzen, und du erzählst mir etwas von dir und deinem Vater?“ fragte ich sie.

Sie zögerte einen Augenblick und wirkte ernst, während sie nachdachte. Doch plötzlich erschien auf ihrem unschuldigen Gesicht wieder das sonnige Lächeln, das mir gleich zu Anfang bei ihr aufgefallen war. „Viel gibt es da jetzt nicht zu erzählen. Du wirst meinen Vater nachher selbst kennenlernen, da kannst du dir ein besseres Bild machen. Hauptberuflich ist er Prüfer beim TÜV, aber die kreativen Beschäftigungen, die ihm Freude machen, das sind Backen und Kochen.“

„Und du lebst immer bei ihm, oder auch ab und zu einmal bei deiner Mutter?“ ließ ich meiner Neugier freien Lauf.

„Ich teile mich auf. Meine Eltern wohnen nicht weit voneinander entfernt. Und so kann ich problemlos hin und her wechseln. In der Schulzeit lebe ich zwei Wochen bei meinem Vater und zwei Wochen bei meiner Mutter. Das ist sehr abwechslungsreich und gefällt mir. Und über mich gibt es nicht viel zu berichten. In der Schule bin ich mittelmäßig und schaue, dass ich keine großen Probleme bekomme.“

„Das ist gut“, fand ich. „Dann bist du, im Gegensatz zu vielen anderen Kindern, mit deinem Leben zufrieden.“

Sie nickte eifrig. „Oh ja! Und jetzt besonders. Es sind Schulferien, und in dem großen Schloss fühlt man sich noch besser in all diesen schönen Möbeln und mit diesen vielen Lampen. Wenn ich nicht schon etwas zu groß dafür wäre, würde ich hier Prinzessin spielen.“

Ich atmete tief und nickte. „Ja, so geht es mir hier im Schloss auch jedes Mal. Man fühlt sich plötzlich irgendwie besser, wichtiger als in irgendeinem kleinen schäbigen Zimmer. Und hier am Wunschbrunnen ist ja auch eine besondere Atmosphäre. Immerhin werfen in Rom in den Trevi Brunnen jedes Jahr die Besucher ihre Münzen im Wert von einer Million Euro hinein. Wahrscheinlich ist von diesen Menschen ein ganzer Teil wirklich abergläubisch.“

„Und für die anderen ist es nur ein Spaß“, fügte sie hinzu. „Bei diesem Brunnen hier geht es ja nicht nur um das Wiederkommen, sondern auch um spezielle Wünsche. Adelaide hat mir erzählt, dass hier einige von den Kunststudenten ganz stark abergläubisch waren und hier die verrücktesten Wünsche ausgesprochen haben.“

Ich sah sie erwartungsvoll an. „Und, hast du dir auch schon etwas gewünscht?“

Ihr unschuldiger Augenaufschlag faszinierte mich. „Ich habe keine Wünsche.“

Ich stutzte. Ein junges Mädchen ohne Wünsche? Das war mir bis jetzt auch noch nicht begegnet. „Aber vielleicht hast du schon einen Traumberuf?“ bohrte ich weiter.

Sie lächelte sanft. „Nein, noch nicht. Ich denke, mir wird noch etwas Inspirierendes begegnen. Aber im Moment macht es mir Spaß, den Kandidaten beim Experimentieren zuzusehen. Dabei ist mir aufgefallen, dass sie alle ähnliche Berufe haben.“

Ich sah sie erstaunt an. „Was meinst du damit? Das ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Sie sind alle Engel. Nora ist der Engel für die Senioren und Kitty für die Kranken. Die hübsche Maggie ist ein Engel für die kleinen Kinder.“

„Ach ja? Das ist mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen. Kommt das bei den männlichen Teilnehmern etwa auch hin?“

Sie senkte die Lider. „Nicht ganz. Victor, das Koch-Genie ist Rettungssanitäter. Und Joe, der einen verrückten Cocktail präsentiert, ist Sozialarbeiter. Nur der Jüngste, der 30-jährige Mario, der den Hobbybäcker spielt, der ist Musiklehrer und fällt aus der Reihe.“

Sie blickte auf den Weg. „Aber bevor du all diese interessanten Menschen kennenlernst, kannst du dich erst einmal mit dem Chef persönlich bekannt machen. Schau nur! Da kommt mein Vater. Ich lasse dich jetzt einmal mit ihm allein.“

Ohne eine weitere Erklärung wandte sie sich ab und eilte davon.

3. Kapitel

Der Herr mittleren Alters, der sich mir in einem weißen Sommeranzug näherte, sah auf den ersten Blick nicht unsympathisch aus, aber schon seine ersten Worte setzten ein Warnsignal in mir frei.

„Guten Tag, Samantha“, begrüßte er mich mit distanzierter Höflichkeit. „Du bist also diejenige, die uns allen in der Küche auf die Finger schauen will. Ich hoffe, du bringst die nötigen Qualifikationen mit.“

Ich erinnerte mich mit Mühe daran, dass man auch höflich sein kann, selbst wenn man am liebsten sein Gegenüber umbringen möchte und zählte erst einmal bis Drei, bevor ich ihm Antwort gab.

„Adelaide ist eine gute Freundin von mir, und sie schaffte es tatsächlich, dass ich meinen verdienten Italien-Urlaub für ihre kleine Bitte verschob. Sicher soll ich nur aufpassen, dass nicht genascht wird.“

Er musterte mich aufmerksam. „Aha! Das hat dir die gute Schlossherrin also schon verraten, dann bist du schon einmal über das Wesentliche informiert. Tatsächlich haben wir es hier bei diesen harmlos aussehenden Kandidaten mit erbitterten Konkurrenten zu tun.“

Also war ich richtig informiert worden. Das hätte ich nicht gedacht, dass er in den jungen Kandidaten einen solch übertriebenen Ehrgeiz vermutete. „Deine Tochter hat mir gerade etwas über die Teilnehmer erzählt. Sie sollen die reinsten Engel sein, alle mit sehr sozialen Berufen.“

Er sah mich von oben herab an. „Das hat gar nichts zu bedeuten. Wenn es um einen Wettbewerb geht, werden die Urinstinkte aktiviert. Das habe ich schon oft erlebt.“

„Dann ist das nicht dein erster Wettbewerb?“ vermutete ich und sah ihn fragend an.

Nein“, antwortete er düster, „ich kümmere mich ständig um ähnliche Veranstaltungen. Je harmloser die Leute aussehen, umso schlimmer sind sie. Und hier im Schloss ist eine besondere Atmosphäre, die die Kandidaten geradezu größenwahnsinnig machen kann.“

„Das finde ich überhaupt nicht“, widersprach ich ihm. „Hier ist alles wie in einer großen Familie. Alle sagen Du zueinander und fühlen sich bei Adelaide wie bei einer Oma. Schon nach kurzer Zeit ist man hier ein Inventar geworden und fühlt sich heimisch.“

„Der Schein trügt“, unkte er. „Aber du wirst es ja selbst erleben, falls du es überhaupt so lange hier aushältst.“

Ich sah ihn verständnislos an. „Ich war schon oft hier und habe die unterschiedlichsten Menschen kennengelernt. Manchmal war es ein bisschen aufregend, aber immer unterhaltsam. Warum machst du das denn hier überhaupt, wenn du solche Vorurteile hast und du dich offenbar schon vor deine Arbeit gruselst?“

„Das ist ein Missverständnis“, behauptete er. „Meine Arbeit ist sehr wichtig, aber ich nehme sie auch ernst. Disziplin und Kontrolle sind da notwendig. Du wirst schon noch erleben, dass es sich nicht um einen Spaß handelt. Wirst du gleich mit dabei sein, wenn wir ein paar Stunden experimentieren?“

„Natürlich. Darauf freue ich mich doch schon die ganze Zeit. In solch einer herrlichen Küche zu werkeln, das muss doch einen riesigen Spaß machen, gerade mit den alten Utensilien.“

„Gerade mit den alten Utensilien kommt man in die richtige Stimmung, um den Ernst der Sache zu begreifen“, behauptete er.

Das konnte ja heiter werden. Ob er den Kandidaten auch schon die ganze Lust am Arbeiten verdorben hatte? Ich würde es wohl bald erfahren.

Eilig verabschiedete ich mich von ihm und setzte meinen Spaziergang durch den Park fort.

An der kleinen Kapelle traf ich wieder auf Angelina, die gerade aus der Tür heraustrat.

„Sie ist hübsch, nicht wahr? Hast du dort eine Kerze angezündet?“

Sie nickte. „Ja, das habe ich so von meiner Oma gelernt.“

Ein Augenblick lang überlegte ich, ob ich sie fragen sollte, für wen sie das Licht angezündet hatte, aber dann umging ich dieses Thema lieber und brachte das Gespräch auf ihren Vater. „Mit deinem Papa habe ich eben ein paar Worte gewechselt. Adelaide hat mir erzählt, dass er ein Hobbykoch ist und im Hauptberuf beim technischen Überwachungsverein arbeitet. Ist er denn mit dieser Kombination zufrieden?“

Das junge Mädchen nickte eifrig. „Und ob! Sein Auge findet automatisch zu den Fehlern an den Kraftfahrzeugen. Sie sind füreinander bestimmt.“

Ich konnte mir ein Lachen kaum verkneifen. „Und? Kocht er denn bei euch zu Hause öfters? Dann kannst du doch bestimmt auch viel von ihm lernen.“

„Nein, er kocht gut, aber nicht oft. Eine Nachbarin kocht für uns, weil sie sich meinen Vater angeln möchte. Und wenn mein Vater einmal in der Küche steht, dann müssen es ganz besondere Gerichte sein, keine Bratkartoffeln oder Nudeln mit Bologneser Sauce. Dann will er ein Dreisternekoch sein, denn er hat nun mal einen Hang zum Perfektionismus.“

Ich sah sie erstaunt an. „Und das stört dich nicht?“

„Man gewöhnt sich daran“, sagte sie leichthin. „Dafür ist dann meine Mutter eine Chaotin. Bei ihr erlebe ich dann genau die gegenteilige Welt. Und? Hat dir mein Vater gefallen?“

Ich räusperte mich. „Um mir ein Urteil über ihn zu erlauben, muss ich ihn erst näher kennenlernen“, wich ich ihrer Frage aus. „Ich habe mir einen Hobbykoch, der für junge Leute einen solchen Wettbewerb veranstaltet, etwas anders vorgestellt. Vielleicht habe ich zu viel an das Klischee gedacht. Bisher waren für mich die Köche immer Genießer-Menschen, die gemütlich sind und einen großen Humor besitzen.“

„Tja, das Leben ist eben voller Überraschungen“, sagte sie geheimnisvoll. „Sollen wir jetzt noch in der Küche eine Tasse heiße Schokolade trinken, bevor das ganze Spektakel los geht?“

„Ja, gern“, stimmte ich ihr zu, „das ist jetzt genau das, was ich brauche.“

Die Eindrücke in meinem Kopf wollten erst einmal verarbeitet werden, und so gestehe ich, dass ich bei unserem Rückweg nicht allzu viel von den vielen blühenden Sträuchern und Gewächsen sah, die ihre Farben im Sonnenlicht verströmten.

4. Kapitel

In der Küche erwartete mich Carla, die junge Haushälterin, die sich über meinen Besuch sehr freute.

„Endlich hast du wieder einmal Zeit gefunden, zu uns ins Schloss zu kommen“, fügte sie ihrer munteren Begrüßung hinzu. „Es wird bestimmt wieder eine Menge Spaß geben. Hast du schon eine Küchenschürze?“

„Ich habe mir eine mitgebracht. Oder passe ich damit nicht ins Team?“ fragte ich vorsorglich.

„Du kannst hier gerne auch wie die anderen eine mit dem Emblem des Schlosses anziehen.“ Sie zog mich beiseite. „Und du kannst dich schon auf sehr viel versalzenes Essen vorbereiten.“

Erstaunt sah ich sie an. „Ich dachte, die Kandidaten sind alle sehr gute Hobbyköche?!“

Sie lachte und ihre Augen blitzten geheimnisvoll. „Sie geben mit ihren Rezepten ihr Bestes. Sie sind zwar alle mächtig verliebt, aber dabei läuft einiges durcheinander.“

„Verworrene Liebesgeschichten? Das ist doch die Spezialität unserer Schlossherrin. Da kann sie bestimmt die Vermittlerin spielen“, vermutete ich.

Carla seufzte gespielt. „Die arme Adelaide! Bei solchen Verwirrungen blickt sie sicher auch nicht mehr durch.“

„Aber das sind doch alles moderne junge Leute“, wunderte ich mich. „Als unsere gute Adelaide noch jung war, da ging es beim Kennenlernen vielleicht noch ein bisschen kompliziert zu. „Und du hast mir von den Berufen der Kandidaten hier erzählt, in denen sie alle zupacken müssen. Das sind doch alles keine Träumer, diese Hobbyköche hier.“

„Ich kann dir momentan auch nicht sagen, woran es liegt. Kennengelernt haben sie sich alle schon bei den Vorentscheidungen und waren schon öfters bei etlichen Proben zusammen. Und trotzdem haben sie ihre Wünsche noch nicht auf den Punkt gebracht.“

„Sollten sie Liebeskummer haben, könnte das schon ihre Arbeit beeinträchtigen“, überlegte ich. „Warum lässt man sie dann nicht einzeln in der Küche hantieren?“

„Genau das lässt dieser strenge Julio nicht zu“, berichtete Carla. „Sie müssen sich also schon miteinander abquälen. Da ist die Bäckerin Maggie, die ihre Eier aufschlägt und dabei verliebte Blicke auf Mario, den Musiklehrer wirft, während er die Rosinen für den Weihnachtsstollen wäscht und die Mandeln von der Schale pellt.“

Meine Neugier war geweckt. „Und auf wen wirft er heimliche Blicke?“

Sie sah mich mit komischer Verzweiflung an. „Auf Maggie. Aber da sie sich für Konkurrenten halten, wollen sie nicht die Arbeit mit den privaten Gefühlen vermischen. Vielleicht sind sie aber auch nur stur oder aus irgendeinem unerfindlichen Grund schüchtern. Wenn ich den Grund herausgefunden hätte, wäre ein Eingreifen meinerseits vielleicht schon erfolgreich geworden.“

„Das kann ich wirklich nicht verstehen. Sie stellen ja nicht einmal dasselbe Gebäck her. Und ob die gewonnene Eieruhr nachher ein bisschen größer oder kleiner ist, das dürfte doch sicher auch nicht entscheidend sein.“

Carla dachte nach. „Da hat es sicher einmal einen Streit zwischen den beiden gegeben, von dem ich nichts weiß, oder einer hat den anderen möglicherweise beleidigt.“

„Sprechen sie denn nicht miteinander?“ erkundigte ich mich.

„Oh doch! Sie reden sehr höflich miteinander, für mein Gefühl zu höflich. Ich spüre da eine Distanz, und das nicht nur, weil die beiden an ganz entgegengesetzten Plätzen in der Küche arbeiten.“

Ich überlegte. „Hat mich Adelaide vielleicht aus diesem Grund herbestellt? Soll ich hier vielleicht eine Vermittlerin spielen oder die verwirrten Stricke auseinander lösen, damit die Kandidaten nachher etwas Genießbares hervorbringen?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, du bist nur hier, damit das Klima in der Küche wieder neutral wird. Dieser Julio ist ein ganz grässlicher Typ. Hast du ihn schon kennengelernt?“

„Ich will es mal so ausdrücken. Ich bin mit ihm zusammengetroffen und habe entdeckt, dass er seine Crew nicht eben mit Optimismus unterstützt. Adelaide hatte mich schon vorgewarnt.“