Erddämmerung - James Rollins - E-Book
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Erddämmerung E-Book

James Rollins

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Beschreibung

Die große Zukunftssaga mit zehn Schwarz-Weiß-Illustrationen

Vor Jahrtausenden hat die Erde aufgehört, sich zu drehen. Eine Seite ist nun permanent der Sonne zugewandt, die andere liegt in immerwährender Dunkelheit. Unsere Welt existiert nur noch in Sagen und Mythen – und in wundersamen Gegenständen, Überbleibsel unserer Technologie. Nacht für Nacht wird die blinde Nyx von einer schrecklichen Vision heimgesucht: Der Mond stürzt auf die Erde und vernichtet alles Leben. Doch niemand hört auf ihre Warnung, bis der Gelehrte Frell am Königshof sie durch Beobachtungen bestätigt. Er wird zum Tode verurteilt und kann in letzter Sekunde entkommen. Frell und Nyx machen sich auf die Suche nach einem sagenumwobenen Artefakt, das die Katastrophe verhindern könnte – der Beginn eines Abenteuers, das die beiden an jeden noch so gefährlichen Ort unserer Welt führen wird ...

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Seitenzahl: 1085

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DASBUCH

Vor Jahrtausenden hat die Erde aufgehört, sich zu drehen. Eine Seite ist nun permanent der Sonne zugewandt, die andere liegt in immerwährender Dunkelheit. Die alte Welt existiert nur noch in den Sagen und Mythen der Menschen, die in der Krone der Urde, der Zone immerwährender Dämmerung, leben.

Nacht für Nacht wird die blinde Schülerin Nyx von einer schrecklichen Vision heimgesucht: Der Mond stürzt auf die Erde – mit verheerenden Folgen. Hofgelehrter Frell bestätigt Nyx’ Vision durch seine Beobachtungen, doch noch immer will niemand auf die beiden hören. Sie werden ausgestoßen und zum Tode verurteilt. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem sagenumwobenen Artefakt, das die Katastrophe verhindern kann – eine Suche, die sie an jeden noch so gefährlichen Ort unserer Welt führen wird.

DERAUTOR

James Rollins wurde 1961 in Chicago geboren. Nach seinem Studium eröffnete er in Kalifornien eine veterinärmedizinische Praxis. Nebenbei schrieb er Romane: Fantasy unter dem Pseudonym James Clemens und die erfolgreiche Science-Thriller-Reihe um die SIGMA-Force. Als er 2009 Platz 2 in der Bestsellerliste der New York Times erreichte, verkaufte er seine Praxis und widmet sich seitdem ganz dem Schreiben. Mit Erddämmerung kehrt er zu seinen fantastischen Wurzeln zurück.

Mehr über James Rollins und seine Werke erfahren Sie auf:

www.diezukunft.de

JAMES ROLLINS

ERDDÄMMERUNG

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von

Michael Siefener

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der Originalausgabe: THESTARLESSCROWN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 10/2022

Redaktion: Joern Rauser

Copyright © 2021 by James Czajkowski

Karte © 2021 by Soraya Corcoran

Illustrationen © 2021 by Danea Fiedler

Copyright © 2022 dieser Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DASILLUSTRAT, München,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock und istockphoto

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-27181-7V002

www.diezukunft.de

Für Terry Brooks, dessen Kreativität mich inspiriert hat und dessen geistige Großzügigkeit der einzige Grund ist, warum Sie dieses Buch lesen können.

Das Leben ist voller Löcher.

Selbst im besten Fall ist die Spanne der Jahre eines Menschen niemals ein vollkommener Teppich, auf dem die Tage, Monate und Jahre klar und deutlich ausgebreitet und in allen Details makellos gewebt sind und wo jede einzelne Farbe noch immer so hell ist, wie sie es zu jener Zeit war, als der Faden in das Ganze eingefügt wurde. Nein, mit der Zeit nutzen sich Teile des Teppichs ab. Andere Stellen verziehen und verzerren sich, weil man aus Sorge immer wieder zu ihnen zurückkehrt und an bestimmten Fäden zieht. Und was das Schlimmste ist: Große Flächen werden fadenscheinig, bis nicht mehr zu erkennen ist, was auf ihnen einmal dargestellt war. Die Erinnerung erweist sich dabei als tückischer Betrüger, denn sie füllt die Lücken, vernäht die Ränder miteinander und stopft die Risse oft mit Geschichten, die nicht wahr, sondern lediglich notwendig sind. Sie sind das Garn, das dazu nötig ist, ein Ganzes zu erschaffen, mit dem man leben kann.

In meinem Alter bin ich wahrlich nicht mehr auf der Höhe meiner Kräfte. Mein eigener Lebensteppich ist mottenzerfressen. Ich nähere mich meinem hundertsten Jahr. Wenn ich mich also nicht an dich erinnere, heißt das nicht, dass du mir nicht lieb und wert bist. Wenn ich mich nicht an alle Einzelheiten in dieser langen Geschichte erinnere, so macht sie das nicht weniger wahr. Hier in der Dachkammer meines kleinen Gehöftes, in der ich schreibe, habe ich die Skizzen und Zeichnungen, die in meiner Vergangenheit verankert sind und mich nicht vergessen lassen – die mich an den Mann erinnern, der ich einmal gewesen bin.

Während ich mit dieser Geschichte beginne, liegt das letzte meiner vielen Tagebücher kurz vor der allerletzten Seite aufgeschlagen neben mir. Ihr Bild in Tinte starrt mich an, richtet mich, fordert mich heraus. Ich habe Asche verwendet, um den Schwung ihrer Haare einzufangen, für ihre hellen Augen zerstoßene Azurmuschel mit Öl gemischt, mein eigenes Blut für ihre Lippen genommen. Ihr Lächeln ist traurig, als wäre sie von mir enttäuscht. Ihr Blick ist hart und unversöhnlich. Ihre Wangen sind gerötet von einer Wut, die kaum im Zaum gehalten wird.

Vor langer Zeit habe ich dieses Bild aus der Erinnerung gezeichnet – es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.

Sie war es, der prophezeit war, die Welt zu vernichten.

Und das hat sie getan.

Zuvor

SIEGEBIERT in Schlamm und Morast.

Sie hockt sich, dehnt sich unter dem nebelverhangenen Ast eines knorrigen Tupelobaums. Ranken umschlingen den massigen Baum, drücken sein Geäst auf den bemoosten Felsboden hinunter und senken die Blätter in das matschige Wasser eines langsam fließenden Bachs. An ihrer Seite windet sich ein Stamm, so breit wie ein Pferd, unablässig um sich selbst, als versuchte der Baum, diesem ertränkten Land zu entkommen.

Sie schwitzt und keucht und hat die Beine weit gespreizt. Die Hände über ihrem Kopf sind noch immer in eine Ranke gekrallt. Während sie dort hängt, bohren sich Dornen in ihre Handflächen, aber der Schmerz ist nichts im Vergleich zur letzten Wehe, die sie noch weiter aufreißt und das Baby aus ihrem Bauch drückt. Sie unterdrückt einen Schrei, damit die Jäger sie nicht hören.

Aber ein Jammern kann sie doch nicht verhindern; wortlos dringt es aus ihr, da sie keine Zunge hat. Als Lustsklavin von Azantiia war ihr der Luxus des Sprechens nie gewährt worden.

Sie drückt ein letztes Mal und spürt die Befreiung. Das Kind rutscht aus ihr heraus und fällt in den feuchten Schlamm unter ihr. Sie lässt die Ranke los. Die Dornen haben die Haut aufgerissen. Sie sackt in den Schlamm, das Kind liegt zwischen ihren Schenkeln. Noch ist es durch die verdrehte, blutige Nabelschnur mit ihr verbunden.

Sie schluchzt so heftig, dass ihr Körper erzittert, und hebt das Abhäutemesser auf, das in der Nähe des Tupelobaums liegt. Die Jagdklinge gehört ihr nicht, und das Blut, das daran klebt, ist nicht das ihre. Das Messer ist ihr von ihrem Retter in die Hand gedrückt worden – von einem Mann, der einen Eid gebrochen hat, indem er ihr geholfen hat, aus dem Kerker des Schlosses zu entkommen. Nachdem sie gemeinsam unter dem finsteren Auge der Wintersonne durch die Bucht des Versprechens gesegelt waren, verfolgt von der Legion des Königs, waren sie bei der tückischen Küste von Mýr an Land gegangen. Dort ist das Ufer kein festes Land, sondern eher ein Gebiet, in dem sich das blaue Meer mit den schlammigen Wassern eines ertrunkenen Mangrovenwaldes mischt. Sobald das Ruderboot nicht mehr tiefer in den Sumpf eindringen konnte, hatte ihr Retter sie zu Fuß weitergeschickt, während er selbst das Boot fortgestakt hatte, um die Verfolger in eine falsche Richtung zu führen.

Nun ist sie allein. Sie fährt mit der Klinge durch die dicke Nabelschnur und befreit damit das Kind von ihrem Körper und ihrer Vergangenheit. Sie hatte geglaubt, jetzt vollkommen leer zu sein, aber ihr Körper zuckt erneut. Sie keucht, als Blut und Gewebe herausfließen und das Kleine überspülen. Sie befürchtet, es könnte bei seinem ersten Atemzug ertrinken, und wischt ihm das Gesicht sauber. Seine Augen bleiben vor dieser harten Welt verschlossen. Ihre aufgerissenen Handflächen verschmieren das Blut. Aber sie legt kleine geschürzte Lippen frei – allzu blau, beinahe schwarz in den Schatten.

Atme, Kleines …

Sie reibt und betet.

Eines der Gebete wird beantwortet, als das Kind seinen ersten Atemzug macht und sich regt. Ganz leicht nur, aber das genügt. Ein anderes Gebet wird nicht erhört, denn sie stellt fest, dass das Kind ein Mädchen ist.

Nein …

Sie nimmt das Messer wieder auf. Sie drückt die Klinge gegen die Kehle des winzigen Wesens.

Es ist besser so …

Ihre Hand zittert. Sie beugt sich nieder und küsst eine Stirn, die sich gerade zum ersten Schrei über diese harte Welt runzelt. Sie betet; es ist sowohl eine Entschuldigung als auch eine Erklärung. Du sollst frei von mir sein. Von meiner Vergangenheit. Von meiner Schande. Von denen, die dich mitnehmen wollen.

Bevor sie etwas tun kann, bestraft sie die Mutter Unten, weil sie es wagt, das Geschenk abzulehnen, das ihrem Bauch gemacht wurde. Ihr Magen zieht sich wieder zusammen. Heißes Blut schießt zwischen ihren Beinen hervor. Zunächst ist der Schmerz feurig, dann verwandelt er sich in eine schreckliche Kälte. Und noch immer fließt es, noch immer ergießt sich ihr Leben in den Schlamm.

In der rasch sich ausbreitenden Lache liest sie die Wahrheit.

Da sie unter den Lustsklavinnen aufgezogen worden war, hatte sie den Hebammen bei anderen Mädchen geholfen, die trotz des Tees aus Bastardkraut schwanger geworden waren. Während der letzten zwei Jahrzehnte hatte sie Geburten in all ihren Erscheinungsformen erlebt. Einige waren freudig gewesen, andere voller Angst, die meisten aber schicksalsergeben abgelaufen. Immer waren Tränen geflossen. Sie waren begleitet von Blut, Kot und zerrissenem Fleisch; manche Kinder waren Steißgeburten gewesen, andere waren durch den Tee missgestaltet oder schwer verletzt von den Versuchen ihrer eigenen Mütter, das Leben ihres Kindes zu beenden, noch bevor es geboren wurde. Als sie selbst sehr jung gewesen war, hatte sie das Letztere streng abgelehnt. Damals hatte sie noch nicht gewusst, was es bedeutet, ein Kind zu sein, das unter der Peitsche geboren und später unter den bebenden Stößen eines Herren gebrochen wird.

Irgendwann hatte sie die harten und notwendigen Lektionen aber gelernt.

Sie betrachtet das Messer an der Kehle ihrer Tochter.

Inzwischen hat das Blut eine Lache unter dem Kind gebildet. Der Geruch zieht Fliegen und Mücken an. Als sie in die Augen schaut, die sich gerade öffnen, wird es ganz still im Wald, als empfinde er Ehrfurcht. Die Vögel verstummen, und nur noch das Summen und Brummen der Insekten ist zu hören. Ein neues Geräusch ertönt – ein schweres Platschen rechts von ihr.

Ihr abkühlendes Fleisch regt sich gerade so weit, dass sie den Kopf drehen kann. Selbst diese kleine Bewegung führt dazu, dass sich die Finsternis enger um sie schließt. Aus der schlammigen Strömung des Sumpfes springt ein Reptil ans Ufer. Krallen pflügen durch den Matsch und zerren den massigen Körper voran, der in einer Schnauze mit scharfen Zähnen endet. Das Wesen besitzt zwar keine Augen, bewegt sich aber zielstrebig durch Ried und Moos, von ihrem Blut genauso angezogen wie die Stechfliegen.

Nein …

Ihr Schutzinstinkt überwältigt die bitteren Lektionen der Vergangenheit. Sie nimmt die Klinge von der Kehle ihrer Tochter und droht dem näher kommenden Untier. Aber sie weiß, dass sie ihm kaum mehr als einen Nadelstich versetzen kann. Das Jagdreptil ist doppelt so groß wie sie und wiegt das Zehnfache. Sie spürt sein Alter, liest die Jahrhunderte in dem dicken smaragdfarbenen Moos, das seine schwarzen Schuppen einrahmt.

Trotz seines Alters rutscht es ungeheuer schnell auf sie zu und ist blind für ihr Messer und dessen Nutzlosigkeit. Es bringt den Gestank nach Aas und Brackwasser mit. Das Moos an seinem Rücken und seinen Flanken schimmert schwach in den Schatten des Waldes.

Sie kniet noch immer über ihrem Kind. Sie ist so erschöpft, dass sie nicht stehen kann. Ihr Arm zittert, als sie den Dolch hebt. Die Finsternis lässt ihre Welt kleiner und kleiner werden.

Sie bereitet sich auf den schweren Schlag vor, der nun kommen wird, so wie sie es während der vielen Nächte in den parfümierten Betten ihrer Herren getan hat. Ihr Körper hat nie ihr selbst gehört.

Wut durchlodert sie. Selbst dieses Feuer war ihr in der Vergangenheit verboten. In ihrem letzten Augenblick umarmt sie die Flamme und schreit den letzten Rest ihrer Kraft heraus. Sie schließt die Augen und brüllt den Himmel an, und die Bestie, und auch sich selbst, und dann sogar dieses Kind, das niemals leben wird.

Zum ersten Mal in ihrem Leben wird sie wirklich gehört.

Ein durchdringender Schrei hallt aus dem Himmel. Sie hört ihn nicht mit den Ohren, sondern mit ihrem ganzen Körper. Der Schrei schneidet durch ihre Haut und ist so scharf, dass er ihr bis in die Knochen fährt. Seine Macht hebt jedes Härchen an ihrem Körper. Sie öffnet die Augen und sieht, wie das ungeheure Reptil im Schlamm zum Stillstand kommt, kaum eine Armeslänge von ihr entfernt. In Panik windet es sich, will seinen massigen Körper drehen und zu Sicherheit und Beistand des schwarzen Wassers zurückkehren.

Doch bevor ihm das gelingt, brechen über ihm Äste. Ein Schatten taucht aus dem Blätterdach herab und prallt gegen das Reptil. Sichelförmige Krallen durchdringen seine harten Schuppen. Knochen brechen unter dem Aufprall einer Kreatur, die so groß wie ein ganzer Heuwagen ist. Ledrige Schwingen entfalten sich, treffen auch sie, schleudern sie weg von ihrem Kind.

Sie fliegt weit durch die Luft und prallt gegen einen knorrigen Baumstamm. Inmitten seiner verknoteten Wurzeln bricht sie zusammen. Von dort aus beobachtet sie, wie die schweren Schwingen noch einmal losschlagen und die Kreatur in die Luft heben. Das Reptil hält sie in ihren Fängen. Die Krallen reißen es in Stücke und schleudern den jahrhundertealten Kadaver in das dunkle Wasser zurück.

Dann landet das geflügelte Wesen im Schlamm.

Es dreht sich ihr zu und zeigt dabei seine bösartige Pracht. Es hebt die ledrigen Flügel, die an den Rändern so dünn sind, dass dahinter das Glitzern von Sonnenlicht zu sehen ist. Den Kopf hält es gesenkt, nahe dem Boden. Große Ohren mit Haarbüscheln daran wenden sich ihr zu. Die langen, geschlitzten Nüstern öffnen sich weiter, kräuseln sich und prüfen die Luft. Es zischt sie an, hebt einen Kamm auf seinem kurzen Hals und krümmt ihn.

Sie kennt dieses Wesen. Ganz Azantiia kennt es. Es ist der Schrecken der Sümpfe, gehört zu den gefürchteten Mýr-Flederwesen, den giftigen Bewohnern des stets verhüllten Vulkanberges – der Faust genannt wird – im Herzen dieses versunkenen Landes. Unzählige Geschichten existieren über diese Wesen, aber kaum jemand hat eine Begegnung mit ihnen überlebt, von der er hätte berichten können. Kein Jäger ist je mit einer solch schwer zu fassenden und gefährlichen Beute zurückgekehrt. Nicht einmal ein Knochen dieser Geschöpfe hat jemals einen Weg in das Bestiarium des Schlosses gefunden.

Das Herz schlägt ihr bis zum Hals, während sie das Ungeheuer vor sich betrachtet.

Gnadenlose Augen, kalt wie schwarze Diamanten, starren zurück. Ein beständiges Zischen dringt aus seiner Kehle. Ihre Haare zittern unter einem Klang, der nicht zu hören ist. Sie spürt ihn in den Zähnen, im Schädel, an der Oberfläche ihres Hirns; er ist wie ein Ölfeuer, das auf dem Wasser treibt. Sie weiß, dass sie genauer beobachtet wird, als jedes Auge es vermag.

Bedrohlich kräuselt das Geschöpf die Lippen und entblößt lange Fangzähne, die in einem giftigen Überzug glitzern. Auf den Flügeln schiebt es sich näher an sie heran.

Nein, nicht näher an sie, sondern näher an das Kind im Schlamm. Aber das hat keine Bedeutung mehr. Sie hat nicht einmal die Kraft wegzukriechen. Ihr Körper ist so kalt wie der Schlamm unter ihr. Das einzig Warme sind die Tränen, die ihr über die Wangen laufen. Sie weiß, dass sie nichts mehr tun kann, darum ergibt sie sich in das Unausweichliche und sackt gegen die Wurzeln des Baumes.

Die Dunkelheit umhüllt sie.

Bevor sie von ihr verschluckt wird, wirft sie einen letzten Blick auf ihr Kind. Zwar hat sie es nicht geschafft, dem Mädchen ein Leben zu geben, aber immerhin hat sie ihr ein fast genauso kostbares Geschenk gemacht.

Ihre Freiheit – so kurz sie auch sein mag.

Darin findet sie Trost, während die Schatten die Welt ausradieren.

Doch jemand anders ist nicht so leicht zufriedenzustellen.

Während sie verdämmert, hört sie den ersten lustvollen und zugleich wütenden Schrei ihres Kindes. Sie kann nichts tun, dieses Jammern um ein Leben zu besänftigen, das schon zu Ende ist, noch bevor es richtig begonnen hat. Stattdessen gibt sie ihren letzten Rat – eine schmerzhaft gelernte Lektion.

Es ist besser, in Freiheit zu sterben, meine Tochter.

EINS

Das Mädchen in der Dunkelheit

Jeglicher Fluch erwächset einem Wunsche.

Sprichwort aus dem Buch von El

1

Nyx versuchte die Sterne mit ihren Fingerspitzen zu verstehen.

Da sie fast blind war, musste sie sich weit über den niedrigen Tisch beugen, wenn sie den Mittelpunkt des Modells erreichen wollte, das das Sonnensystem darstellte. In der Mitte des komplizierten astronomischen Systems hing die warme Bronzesonne. Sie wusste, dass die Kugel von der Größe eines Kessels vor dem morgendlichen Unterricht mit heißen Kohlen gefüllt worden war, sodass sie die Leben spendende Hitze des Vaters Oben nachahmte, der sich darin sein Heim geschaffen hatte. Sie drückte die Handfläche gegen die Wärme und zählte dann mit großer Sorgfalt die langsam sich drehenden Ringe nach außen ab, die den Weg der inneren Planeten um den Vater darstellten. Beim dritten Ring hielten ihre Finger inne. Sie legte die Fingerspitzen darauf und spürte die Vibrationen der Hebel, die diesen Ring drehten. Und sie hörte das Tick-tick-tick, als die Lehrerin das Rad auf der anderen Seite des Modells betätigte und dadurch ihre Welt auf Nyx’ wartende Hand zu drehte.

»Vorsicht, Kind«, wurde sie gewarnt.

Das Gerät war schon vierhundert Jahre alt und eines der kostbarsten Besitztümer der Schule. Angeblich hatte die Großpriorin, die Gründerin der Schule, es vom Hofe Azantiias gestohlen und in die Klosterey von Brayk gebracht. Andere behaupteten, es sei gar nicht gestohlen worden, sondern von der Priorin persönlich gebaut, indem sie sich gewisser Fähigkeiten bedient habe, die jenen, die jetzt hier lebten und lehrten, schon lange abhandengekommen waren.

Wie dem auch sei …

»Zerbrich es besser nicht, du Trampeltier«, platzte es aus Byrd hervor. Seine Bemerkung erregte ein Kichern bei den anderen Schülerinnen und Schülern, die in dem Kuppelsaal des Astronikums im Kreis saßen.

Ihre Lehrerin, Schwester Reed, eine junge Novizin der Klosterey, knurrte und brachte damit alle zum Schweigen.

Nyx’ Wangen brannten. Ihre Mitschüler konnten den verschlungenen Tanz der Kugeln um die Bronzesonne mit ihren Blicken verfolgen, aber Nyx war das nicht gegeben. Für sie verschwamm die Welt andauernd in einem nebligen Dunst, in dem Bewegungen nur durch die Verlagerung von Schatten und von Gegenständen zu erkennen waren, die selbst im hellsten Sonnenlicht bloß ein fein abgestuftes Schimmern von sich gaben. Auch die Farben erschienen ihren beeinträchtigten Augen gedämpft und wässerig. Am schlimmsten war es in Innenräumen, so wie jetzt, wo sie nur noch Dunkelheit wahrnahm.

Wenn sie verstehen wollte, musste sie berühren.

Sie holte tief Luft und hielt ihre Finger still, als sich die kleine Kugel, die ihre eigene Welt darstellte, langsam in ihrer Hand drehte. Der Bronzering, an dem sie befestigt war, drehte sich weiter im Einklang mit den Zahnrädern und Hebeln. Wenn sie die Fingerspitzen auf der faustgroßen Kugel ihrer Welt ruhen lassen wollte, musste sie mit ihr um den Tisch laufen. Inzwischen hatte die Bronzesonne die eine Seite der Kugel sanft erwärmt, während die gegenüberliegende Seite kaltes Metall war, auf ewig abgewendet vom Vater.

»Verstehst du nun besser, wie die Mutter beständig mit der einen Seite den Vater Oben ansieht?«, fragte Schwester Reed. »Mit der Seite, die für immer unter seiner strengen, aber liebenden Aufmerksamkeit brennt.«

Nyx nickte und umkreiste den Tisch, um den Weg der Kugel um die Sonne nachvollziehen zu können.

Schwester Reed sprach sie und die übrigen Schüler an. »Und zur gleichen Zeit wird der anderen Seite unserer Welt der feurige Blick des Vaters für immer verwehrt, und deshalb ist sie in ewiger Finsternis erstarrt. Es heißt, dort sei sogar die Luft aus Eis.«

Nyx machte sich nicht die Mühe, das Offensichtliche zu bestätigen, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit weiterhin auf die Urde, die nun ihre Laufbahn um die Sonne beendete.

»Aus diesem Grund leben wir in der Krone«, fuhr die Schwester fort, »in dem Kreis der Welt, der zwischen den ausgedörrten Ländern auf der einen Seite der Urde und den für immer gefrorenen auf der anderen liegt.«

Nyx fuhr mit der Fingerspitze den Umfang der Kugel ab, von Norden nach Süden und wieder zurück. Die Krone der Urde bezeichnete die einzig bewohnbaren Länder, in denen Menschen, Tiere und Pflanzen gedeihen konnten. Natürlich gab es Geschichten über das, was jenseits der Krone lag – erschreckende, oftmals blasphemische Geschichten über die furchtbaren, auf der einen Seite erfrorenen und auf der anderen Seite versengten Lande.

Schwester Reed hörte auf, das Rad zu drehen, und der Tanz der Planeten kam zum Erliegen. »Nun hatte auch Nyx Gelegenheit, das Planetensystem zu erforschen. Kann mir jemand erklären, warum die Mutter Unten ihren Blick für immer und ewig auf den Vater Oben richtet, ohne je ihr Gesicht abzuwenden?«

Nyx war ebenfalls stehen geblieben; ihre Finger lagen noch auf der halb erwärmten Kugel.

Kindjal beantwortete die Frage der Lehrerin. Sie zitierte aus dem Text, den sie in der letzten Woche studiert hatten. »Sie und unsere Welt sind für immer im gehärteten Bernstein der Leere gefangen und nicht in der Lage, sich jemals abzuwenden.«

»Sehr gut«, sagte Schwester Reed freundlich.

Nyx spürte beinahe den Strahl der Zufriedenheit, der von Byrds Zwillingsschwester Kindjal ausging. Beide waren Kinder des Oberbürgermeisters von Fiskur, der größten Stadt an der Nordküste von Mýr. Obwohl sie eine volle Tagesreise mit dem Boot entfernt lag, beherrschten die beiden die anderen Schüler und Schülerinnen der Klosterey; sie gaben Geschenke an jene, die sich bei ihnen anbiederten, und machten die anderen lächerlich, wobei sie zur Verstärkung der Erniedrigungen oft auch körperliche Gewalt einsetzten.

Vielleicht war gerade dies der Grund dafür, dass Nyx die Stimme erhob und Kindjal widersprach. »Aber die Urde ist nicht im Bernstein gefangen«, sagte sie zu dem Modell, während ihre Finger noch immer auf der halb erwärmten Kugel lagen. Sie hasste es, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und sehnte sich nach der Sicherheit ihres Platzes im hinteren Teil des Klassenzimmers, aber sie musste dem Ausdruck verleihen, was ihre Finger entdeckt hatten. »Sie dreht sich in der Leere.«

Byrd kam seiner Zwillingsschwester zu Hilfe und höhnte: »Selbst mit einer Augenbinde könnte jeder Narr erkennen, dass die Mutter immer dem Vater zugewandt ist. Die Urde dreht sich nie von ihm weg.«

»Das ist in der Tat unabänderlich und unwandelbar«, gestand Schwester Reed ein. »So wie der Vater für immer in unserem Himmel brennt, starrt die Mutter seine Majestät stets mit Liebe und Dankbarkeit an.«

»Und die Urde bewegt sich doch«, beharrte Nyx, deren Worte vor Enttäuschung fester geworden waren.

Obwohl sie fast vollständig blind war, schloss sie die Augen und betrachtete das Sphärenmodell in ihrem Geist von oben. Sie stellte sich die Laufbahn der Kugel vor, während sie sich um die Bronzesonne drehte. Nyx erinnerte sich an ein ganz schwaches Ticken unter ihren Fingerspitzen, als sie ihrem Weg gefolgt war. Sie hatte gespürt, wie sich die Kugel unter ihrer Berührung bewegt hatte, während sie einen vollen Umlauf um die Sonne gemacht hatte.

Sie versuchte es zu erklären. »Sie muss sich drehen. Damit die Mutter beständig den Vater ansieht, muss sich die Urde einmal vollständig um sich selbst drehen, während sie die Jahreszeiten durchläuft. Eine langsame Umdrehung in jedem Jahr. Das ist die einzige Möglichkeit, damit die eine Seite der Urde beständig unter dem Blick der Sonne brennt.«

Kindjal kicherte. »Kein Wunder, dass ihre Mutter sie weggejagt hat. Sie ist so dumm, dass sie nicht einmal die einfachsten Wahrheiten begreift.«

»Aber sie hat recht«, sagte eine Stimme hinter ihnen, die von der offenen Tür des Astronikums herüberdrang.

Nyx erstarrte. Sie richtete ihren umwölkten Blick auf den hellen Fleck, der die offene Tür markierte. Ein Schatten verdunkelte die Schwelle. Sie brauchte kein Augenlicht, um zu wissen, wer dort stand. Sie erkannte die harsche Stimme, in der diesmal eine Spur von Belustigung lag.

»Priorin Ghyle«, sagte Schwester Reed. »Was für eine Ehre! Gesellt Euch bitte zu uns.«

Der Schatten bewegte sich von der Helle weg, als die Leiterin der Klosterey-Schule eintrat. »Anscheinend hat die Jüngste von euch bewiesen, dass Einsicht nicht unbedingt etwas mit Sehvermögen zu tun hat.«

»Aber gewiss …«, begann Schwester Reed.

»Ja, gewiss«, unterbrach Priorin Ghyle sie. »Das ist eine Feinheit des astronomischen Wissens, die für gewöhnlich nur jenen im ersten Jahr der alchymistischen Studien vorbehalten ist. Gewiss ist es nichts für eine Unterklasse im siebenten Jahr. Und auch später haben viele Studenten der Alchymie Schwierigkeiten, das zu sehen, was klar vor ihren Augen liegt.«

Das Rascheln von Leder über Stein deutete den Weg der Priorin zum Modell des Planetensystems an.

Schließlich löste Nyx ihren Griff von der Welt, richtete sich auf und neigte den Kopf.

»Wir wollen einmal sehen, was diese junge Frau von nur vierzehn Wintern aus dem heute Gelernten ableiten kann.« Die Priorin hob mit dem Finger Nyx’ Kinn. »Kannst du uns sagen, warum die Bewohner der nördlichen Krone Jahreszeiten erleben – vom eisigen Biss des Winters bis zur Hitze des Sommers –, obwohl doch die eine Seite der Urde beständig der Sonne zugewandt ist?«

Nyx musste zweimal schlucken, bis sie ihre Zunge befreit hatte. »Es … es soll uns an die Gabe des Vaters an die Mutter erinnern, damit wir Seine Güte besser schätzen, die er uns gewährt, indem er uns in der Krone leben lässt – in dem sicheren Land zwischen der sengenden Hitze und dem eisigen Tod. Mit jedem vergehenden Jahr gibt er uns einen Geschmack der Wärme und der Kälte.«

Die Priorin seufzte: »Ja, sehr gut. Genauso, wie Hieromönch Plakk es dir eingebläut hat.« Ihr Finger hob das Kinn ein wenig höher, also wollte sie sich Nyx genauer ansehen. »Aber was sagt dir selbst das Modell?«

Nyx trat zurück. Trotz ihres verschwommenen Blicks konnte sie das Gewicht von Ghyles Aufmerksamkeit nicht länger ertragen. Sie kehrte zu dem Planetenmodell zurück und stellte sich erneut den Weg der Urde um die von den Kohlen erhitzte Sonne vor. Sie hatte das Ab- und Zunehmen der Wärme gespürt, während die Kugel eine ganze Umdrehung beschrieben hatte.

»Der Weg der Urde um die Sonne bildet keinen vollkommenen Kreis«, bemerkte Nyx laut. »Er ist eher ein Oval.«

»Man nennt es eine Ellipse.«

Nyx nickte und warf der Priorin einen fragenden Blick zu. »Könnte es unser Winter sein, wenn die Urde am weitesten entfernt von der Sonne und von der Hitze ist?«

»Das ist kein schlechter Gedanke. Sogar einige der geschätztesten Alchymisten würden dir das Gleiche sagen. Aber sie wissen es nicht besser als Hieromönch Plakk.«

»Warum dann?«, fragte Nyx, als ihre Neugier Oberhand gewann.

»Was wäre, wenn ich dir sage, dass wir hier oben in der nördlichen Hälfte der Krone unsere dunklen Winter haben, während die Länder ganz im Süden einen hellen Sommer genießen?«

»Wirklich?«, fragte Nyx. »Zur gleichen Zeit?«

»Allerdings.«

Nyx runzelte die Stirn. Es klang absurd. Aber sie spürte, dass die Priorin mit den Worten, die sie hervorgehoben hatte, etwas Besonderes ausdrücken wollte.

Dunkel und hell.

»Hast du dich nie gefragt«, wollte Ghyle wissen, »warum der Vater im Winter tiefer und im Sommer wieder höher am Himmel sitzt? Obwohl die Sonne nie verschwindet, beschreibt sie im Verlauf eines Jahres doch einen kleinen Kreis am Himmel, nicht wahr?«

Nyx schüttelte kurz den Kopf und fuhr sich mit den Händen vor den Augen auf und ab. Solche Feinheiten konnte sie nicht wahrnehmen.

Eine Hand berührte ihre Schulter. »Natürlich, es tut mir leid. Aber ich kann dir versichern, dass es so ist. Bist du vielleicht aufgrund deines Studiums des Planetenmodells in der Lage, den Grund dafür zu benennen?«

Nyx wandte sich wieder den ineinandergeschachtelten Bronzeringen auf dem Tisch zu. Sie erkannte, dass sie auf die Probe gestellt wurde. Beinahe spürte sie die brennende Heftigkeit der Priorin neben ihr. Sie holte tief Luft und war fest entschlossen, die Schulleiterin nicht zu enttäuschen. Nyx streckte die Hand nach dem Modell aus. »Darf ich?«

»Natürlich.«

Wieder nahm sich Nyx die Zeit, sich ganz auf die warme Sonne zu konzentrieren und sich von ihr aus zum dritten Ring vorzutasten. Sobald sie die daran befestigte Kugel gefunden hatte, untersuchte sie deren Umrisse genauer und schenkte der kleinen Perle des Mondes, der sich auf seinem eigenen Ring um die Urde drehte, besondere Beachtung. Insbesondere ertastete sie, wie die Kugel der Urde an dem Ring unter ihr befestigt war.

Ghyle kam ihr zu Hilfe. »Schwester Reed, es könnte unserer jungen Schülerin helfen, wenn du alles wieder in Gang setzt.«

Nach einem Rascheln von Röcken klickten die Zahnräder des komplizierten Mechanismus erneut, und die Ringe setzten sich auch wieder in Bewegung. Nyx konzentrierte sich ganz darauf, wie sich die Urde langsam drehte, während sie einen vollständigen Umlauf um die Sonne machte. Sie bemühte sich zu begreifen, warum die Südhälfte heller sein konnte, während die Nordhälfte dunkler war. Dann kroch das Verstehen an ihren Fingerspitzen entlang. Die Nadel, um die sich die Urde drehte, stand nicht vollkommen senkrecht, sondern bildete einen stumpfen Winkel zur Sonne.

Konnte das die Antwort sein?

Ihre Gewissheit nahm zu.

Während sie ihren eigenen Weg um die Sonne fortsetzte, sagte sie: »Die Urde dreht sich an einer Achse um sich selbst, die nicht ganz senkrecht steht. Deswegen neigt sich die obere Hälfte der Welt für eine bestimmte Zeit der Sonne zu.«

»Und schafft somit unseren hellen nördlichen Sommer«, bestätigte die Priorin.

»Und wenn das geschieht, neigt sich die untere Hälfte von der Sonne weg.«

»Und schafft somit den kalten Winter der südlichen Krone.«

Schockiert wandte sich Nyx der Priorin zu. »Die Jahreszeiten sind also dem Umstand zu verdanken, dass sich die Urde nicht völlig gerade dreht, sondern eine Zeit lang mit einer Seite zur Sonne neigt und sich dann wieder von ihr entfernt.«

Unter den Schülern und Schülerinnen breitete sich Gemurmel aus. Einige klangen bestürzt, andere ungläubig. Aber zumindest wagte Byrd keine weiteren verächtlichen Einwände – jedenfalls nicht in Gegenwart der Priorin.

Dennoch spürte Nyx, wie ihr Gesicht wieder heiß wurde.

Dann klopfte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie anerkennend.

Der Körperkontakt erschreckte sie, und sie zuckte zusammen. Sie hasste unerwartete Berührungen. Zahlreiche Jungen und auch manche Mädchen hatten sie in letzter Zeit angefasst, oft auf grausame Weise, und ihre intimsten Körperteile gezwackt und gezwickt. Sie konnte nicht einmal sagen, sie habe die Schuldigen gesehen, um dann mit dem Finger auf sie zu zeigen. Doch sie kannte ihre Peiniger durchaus. Insbesondere Byrd, der immer nach altem Schweiß und saurem Atem stank. Er trieb andauernd in einer Wolke aus Bier, das ihm sein Vater heimlich aus Fiskur schickte.

»Es tut mir leid …«, sagte die Priorin leise, nachdem sie offenbar Nyx’ Reaktion und Unbehagen gespürt hatte.

Nyx versuchte, sich zurückzuziehen, aber sie hatte den Finger im Ring der Urde verhakt, als sie zusammenzuckte. Ihre Verlegenheit wurde zu Panik. Sie wollte ihre Hand befreien, drehte den Finger aber in die falsche Richtung. Ein metallisches Klacken ertönte, was ein Keuchen von Schwester Reed nach sich zog. Nun war Nyx frei. Sie nahm die Hand von dem Modell und drückte sich die Faust vor die Brust.

Etwas klimperte auf dem Steinboden um ihre Füße herum.

»Sie hat es zerbrochen!«, platzte es aus Byrd hervor. Kein Spott lag darin, nur Entsetzen.

Eine andere Hand packte sie am Ellbogen und riss sie zurück. Nyx verlor das Gleichgewicht, stolperte und fiel auf die Knie.

»Was hast du nur getan, du unbeholfenes Kind?« Schwester Reed hielt sie noch immer fest. »Ich werde dich dafür bis aufs Blut auspeitschen lassen.«

»Nein, das wirst du ganz gewiss nicht«, sagte Priorin Ghyle. »Es war ein Unfall. Ich trage genauso große Schuld daran, weil ich das Mädchen erschreckt habe. Würdest du mich dafür auch an den Stab binden und die Peitsche spüren lassen?«

»Ich würde niemals …«

»Dann wird auch das Kind nicht leiden. Lass sie in Ruhe.«

Nun war Nyx’ Ellbogen frei, aber vorher hatten sich die Finger, die sie gepackt hatten, noch einmal bis auf die Knochen in ihr Fleisch gegraben. Die Botschaft war klar. Diese Angelegenheit war noch nicht erledigt. Es war ein Versprechen des Schmerzes. Schwester Reed wollte sich dafür rächen, dass sie vor der Schülerschaft und der Priorin erniedrigt worden war.

Ghyles Roben raschelten, als sie die Stimme auf den Boden richtete. »Sieh mal. Nur der Mond der Urde ist abgebrochen.« Nyx stellte sich vor, wie die Priorin die Bronzekugel vom Boden aufhob. »Er kann ohne Weiteres an seinen alten Platz zurückgebracht und repariert werden.«

Nyx kämpfte sich auf die Beine. Ihr Gesicht war so heiß wie die Sonne, Tränen stiegen in ihr auf.

»Schwester Reed, vielleicht wäre es das Beste, wenn du die heutige Schulstunde beendest. Ich glaube, deine Siebtjährigen hatten genug himmlische Aufregung für einen Morgen.«

Nyx hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, als Schwester Reed die Klasse zum Mittagessen entließ. Mit ihren Tränen rannte sie auf die Helligkeit der Tür zu.

Niemand stellte sich ihr in den Weg; vielleicht hatten die anderen Angst, sich an ihrer Erniedrigung und Schande anzustecken. In der Eile hatte sie ihren Stock zurückgelassen – einen kräftigen Stab aus polierter Ulme –, mit dem sie sich sonst den Weg ertastete. Aber jetzt weigerte sie sich zurückzugehen und floh stattdessen in das Sonnenlicht und dann in die Schatten des Sommertages.

2

Während die anderen zum Speisesaal liefen, in dem die Schülerschaft ein kaltes Mittagessen erwartete, eilte Nyx in die entgegengesetzte Richtung. Sie verspürte keinen Appetit. Bald hatte sie eine der vier Treppen erreicht, die von der siebten Ebene zu dem Stockwerk darunter führten, wo die Sechstjährigen vermutlich schon in ihrem eigenen Speisesaal aßen.

Obwohl die Welt um sie herum nur aus Schatten und Helle bestand, wurde Nyx nicht langsamer. Auch ohne ihren Stock konnte sie sich schnell bewegen. Schließlich hatte sie ihr halbes Leben innerhalb der Mauern der Klosterey verbracht. Inzwischen kannte sie jeden Winkel auf den einzelnen Ebenen. Die Anzahl der Stufen, Biegungen und Treppen hatte sich ihr eingeprägt, was ihr erlaubte, mit relativer Leichtigkeit durch die Schule zu laufen. Am Rande ihres Bewusstseins zählte unablässig etwas im Hinterkopf mit. Instinktiv streckte sie hier und da die Hand aus – zu einem gemeißelten Türsturz, zum hölzernen Pfeiler eines Chorgestühls, zu einem steinernen Züchtigungspfeiler – und versicherte sich dadurch beständig ihrer Position.

Als sie die Ebenen hinunterstieg, stellte sie sich die Größe der Klosterey von Brayk vor. Sie erhob sich wie ein stufenförmiger Hügel aus den Sümpfen von Mýr. Die Fundamente der Schule hatten einen Durchmesser von über einer Meile und waren auf vulkanischem Stein erbaut. Dies hier war einer der wenigen festen Orte im Land der Marschen und ertrunkenen Wälder. Die Schule war die zweitälteste im Königreich Hálendii – die älteste lag am Rand der Hauptstadt Azantiia –, aber aufgrund seiner Abgelegenheit war die Klosterey die härtere und höher geschätzte von beiden. Die Schüler und Schülerinnen verbrachten neun Jahre in Brayk; sie begannen auf der untersten Ebene, in der die jungen Erstjährigen unterrichtet wurden. Von dort aus wurden die Klassen immer kleiner, sodass sie in die höheren Stockwerke passten, von denen jedes einen geringeren Umfang als das unter ihm gelegene besaß. Diejenigen, die nicht versetzt wurden, mussten in Schande zu ihren Familien zurückkehren, aber das hielt die Schüler nicht davon ab, scharenweise in Booten und Schiffen aus der ganzen Krone hier einzutreffen. Denjenigen, die die neunte Ebene an der Spitze der Schule erreichten, waren Ehre und Ruhm vorausbestimmt. Von dort aus gingen sie entweder auf eine der wenigen alchymistischen Akademien, an denen sie in den tieferen Mysterien der Welt unterrichtet wurden, oder sie traten in einen der religiösen Orden ein, um dort in die höchsten Stufen der Anbetung eingeweiht zu werden.

Als Nyx die dritte Ebene erreichte, schaute sie zur Spitze der Schule hinauf. Inmitten der Schatten loderten dort zwei Feuer so hell, dass sie selbst für ihre umwölkten Augen zu sehen waren. Der eine Scheiterhaufen gab den Rauch alchymistischer Mysterien von sich, der andere verbrannte Wolken von heiligem Weihrauch. Es hieß, dass die Klosterey und ihre Feuer den Vulkangipfel im Herzen von Mýr nachahmten – jenen stets von Dampf umhüllten Berg, der Faust genannt wurde. Außerdem sollte der angereicherte Rauch, der von der Spitze der Schule aufstieg, die Bewohner der von Höhlen durchzogenen Berghänge – die Flederwesen mit den riesigen Schwingen – davon abhalten, dem Gebäude allzu nahe zu kommen. Dennoch war im Zwielicht des Winters manchmal zu sehen, wie dunkle Schwingen hier und da durch die niedrigen Wolken stießen. Das Gekreische dieser Kreaturen scheuchte die Erst- und Zweitjährigen regelmäßig zu den Schwestern und Brüdern, die sie unterrichteten, damit sie sich von ihnen beschützen lassen konnten. Doch irgendwann lernten sie, mit dieser Bedrohung umzugehen und sie nicht mehr zu beachten.

Nyx konnte nicht behaupten, dass das auch auf sie zutraf. Selbst in ihrem Alter setzten ihr die Jagdschreie noch immer zu; dann raste ihr Herz, und ihr Kopf brannte. Als sie jünger gewesen war – eine Erstjährige und neu in der Schule –, hatte das Grauen sie stets übermannt, und sie war ohnmächtig geworden. Aber jetzt hatte sie nichts zu befürchten. Es war mitten im Sommer, und entweder war es der Helligkeit oder der Hitze zu verdanken, dass sich die gewaltigen Flederwesen von den Rändern des Sumpfes fernhielten und lieber in ihren dunklen Nestern in der Faust blieben.

Als sie endlich die unterste Ebene der Klosterey erreicht hatte, waren ihre Verlegenheit und Scham zu einem dumpfen Schmerz in der Brust herabgesunken. Sie rieb sich den gequetschten Ellbogen – eine Erinnerung an das, was noch kommen würde.

Bis dahin brauchte sie Schutz und Ruhe und machte sich auf den Weg zu dem einzigen Ort, an dem sie beides finden konnte. Sie lief durch das Schultor und in den kleinen Handelsposten Brayk hinein. Das Dorf, das nur aus schiefen Hütten bestand, drängte sich an die Mauern der Klosterey. Brayk nährte und versorgte die Schule und hielt sie instand. Jeden Morgen wurden Waren hineingebracht, begleitet von zahlreichen Männern und Frauen, die als Zimmermädchen, Diener, Küchenhelfer und Köchinnen arbeiteten. Nyx hatte geglaubt, dies werde auch einmal ihr eigenes Schicksal sein, denn sie hatte als Hausmädchen im Alter von sechs Jahren mit der Schule begonnen.

Auch im Dorf bewegte sie sich leichtfüßig. Sie zählte nicht nur ihre Schritte auf den krummen Straßen, sondern lauschte auch auf das rhythmische Hämmern in der Schmiedestraße links von ihr. Das ständige Klirren half ihr ebenso, den Weg zu finden. In ihre Nase drangen der stechende Rauch und die schweren Gewürze des Markts, auf dem Fische und Aale bereits unter der Mittagssonne brieten. Sogar Nyx’ Haut bemerkte die dicker werdende Luft und anwachsende Feuchtigkeit, als sie den Rand von Brayk erreichte. Hier gab es keine Häuser aus Stein und Gips mehr, wie sie in der Nähe der Schulmauern standen, sondern nur noch einfache Holzhütten und riedgedeckte Lagerhäuser.

Sie ging weiter, bis ein neuer Geruch ihre Welt erfüllte. Es war der schwere Duft von nassem Haar, süßlichem Kot, zertrampeltem Schlamm und schwefligen Rülpsern. Sie spürte, wie die Ängste von ihren Schultern glitten, als sie näher kam und sich ganz in die starken Gerüche einhüllte.

Das war ihr wahres Zuhause.

Ihre Ankunft blieb nicht unbemerkt. Ein rumpelndes Brüllen begrüßte sie, gefolgt von einem weiteren und dann von noch einem. Etwas platschte auf sie zu.

Sie ging weiter, bis ihre ausgestreckten Hände den Steinwall fanden, der die Bullenkoppeln am Rande des Sumpfes umschloss. Ein mächtiges Schlurfen kam ihr entgegen, begleitet von einem sanfteren Grunzen und einem jämmerlichen Blöken, als wollten sich die großen Tiere selbst für ihre lange Abwesenheit tadeln. Sie hob die Hand, bis eine feuchte, von kaltem Auswurf überzogene Nase gegen ihre Handfläche drückte. Ihre Finger wurden beschnüffelt und sanft angestoßen. An der Größe und dem Umriss erkannte sie dieses Maul genauso deutlich, wie sie das Dorf und die Schule kannte.

»Es ist schön, dich zu sehen, Grumbelbock.«

Nyx befreite ihre Hand und hob sie. Sie grub die Finger in das dicke, verfilzte Fell zwischen den Stummelhörnern, bis ihre Fingernägel auf Haut stießen. Sie kratzte ihn dort, wo er es mochte, ganz heftig und erhielt dafür einen zufriedenen Schwall warmer Luft gegen die Brust. Grumbelbock war der Älteste in der Herde; er hatte schon fast ein ganzes Jahrhundert hinter sich gebracht. Nur noch selten zog er die Schlitten durch die Binsen und Marschen, aber er blieb doch der Herr der Bullen. Der größte Teil der zotteligen Herde konnte seinen Ursprung zu diesem Tier zurückverfolgen.

Sie hob beide Arme und packte ihn bei den Hörnern. Obwohl er den Kopf tief gesenkt hatte, musste sie sich dafür auf die Zehenspitzen stellen. Sie zog seinen Kopf an sich heran; seine Stirn war so breit wie ihre Brust. Sie atmete seinen feuchten Moschusduft ein und lehnte sich in die Wärme, die von seiner Masse ausströmte.

»Ich habe dich auch vermisst«, flüsterte sie.

Er grunzte und versuchte, sie hochzuheben, indem er seinen kurzen Hals bog.

Sie lachte und ließ seine Hörner los, bevor ihre Füße den Bodenhalt verloren. »Ich habe keine Zeit, auf dir zu reiten. Vielleicht in den Sommerferien.«

Obwohl Grumbelbock nicht mehr die Schlitten zog, liebte er es noch immer, durch die Sümpfe zu streichen. Nyx hatte schon viele Tage auf seinem breiten Rücken verbracht und war mit ihm durch das Marschland geritten. Seine langen Beine und die gespaltenen Hufe machten es ihm leicht, durch Sümpfe und Flüsse zu waten, während seine schiere Größe und die gekrümmten Stoßzähne jedes Raubtier fernhielten.

Sie klopfte ihm auf die Wange. »Bald. Ich verspreche es dir.«

Als sie an der Einfassungsmauer entlanglief und mit den Fingerspitzen über sie fuhr, hoffte sie, dass sie ihr Versprechen halten konnte. Andere Bullen regten sich, kamen auf sie zu, beanspruchten ihre Aufmerksamkeit. Die meisten von ihnen erkannte sie am Geruch und an der Berührung. Aber ihre Zeit war begrenzt. Bald würden sie die Glocken zurück zum Unterricht rufen.

Sie eilte zur Ecke der hundert Morgen großen Koppel, wo ein Bauernhaus stand. Sein Fundament war im Stein verankert, erstreckte sich aber auch über einen massiven Ausleger, der eine Viertelmeile in den Sumpf hinausragte. Die Mauern des Hauses waren auf Steinen erbaut, die denen der Koppel glichen, und das Dach war wie die übrigen in dieser Gegend mit Ried gedeckt. Hoch oben reckte sich ein Felskamin in den Himmel, an dem die Schatten niedrig hängender Wolken über die Helle huschten, beständig nach Osten wogten und die eisige Kälte der Finsternis zur sengenden Hitze auf der anderen Seite der Welt trugen.

Sie ging zu der massiven Tür, hob den eisernen Riegel und huschte hinein, ohne vorher zu klopfen oder sich auch nur mit einem Wort anzukündigen. Als sie in die tieferen Schatten trat, schrumpfte ihre Welt, aber es machte ihr keine Angst. Es war, als werde sie in eine warme, vertraute Decke eingewickelt. Eine Mischung aus Düften traf sie, die für sie die Heimat bedeuteten: der Geruch alter Wolle, die Holzpolitur, der Rauch erlöschender Kohlen, das schmelzende Bienenwachs von den kleinen Kerzen im Eckaltar des Hauses. Die Silage in den beiden Steinsilos neben dem Ausleger durchdrang alles.

Sie spitzte die Ohren, als ein Schlurfen aus der Richtung des rötlich glimmenden Kamins drang, begleitet von knackendem Holz. Von dorther kam eine Stimme, die leise belustigt klang. »Wieder in Schwierigkeiten?«, fragte ihr Dah. »Gibt es für dich inzwischen einen anderen Grund, nach Hause zu kommen, Mädchen? Und dazu noch ohne Stock?«

Sie ließ den Kopf sinken und warf einen Blick auf ihre leeren Hände. Sie wollte seine Worte abtun, konnte es aber nicht.

Ein sanftes Lachen nahm seinem Urteil die Schärfe. »Komm, setz dich und erzähl mir alles darüber.«

Mit dem Rücken zur Wärme beendete Nyx ihre Litanei der morgendlichen Erniedrigungen und Ängste. Es hellte ihre Laune auf, all das jemandem mitteilen zu können.

Für eine Weile saß ihr Dah schweigend da und zog an seiner Pfeife, die mit Schlangenwurz gestopft war. Die Stoffe im Rauch halfen seinen schmerzenden Gliedern. Aber sie vermutete, dass sein Schweigen nicht dazu diente, die eigenen Schmerzen zu unterdrücken, sondern dass er ihr die Gelegenheit gab, die Stille mit ihren Beschwerden anzufüllen.

Sie stieß einen Seufzer aus und verdeutlichte damit, dass sie zum Ende gekommen war.

Ihr Dah zog wieder an seiner Pfeife und stieß einen langen Strahl bitteren Rauches aus. »Ich will es dir sagen. Du hast offensichtlich auf den Nerven der Nonne herumgetrampelt, die dich im letzten Vierteljahr unterrichtet hat.«

Nyx rief sich die Quetschung, die von Schwester Reeds knochigen Fingern herrührte, in Erinnerung und nickte.

»Aber du hast auch die Priorin der ganzen Schule beeindruckt. Das ist wohl keine kleine Sache, wie ich mir vorstellen kann.«

»Sie war nicht mehr als … höflich zu mir. Und ich glaube nicht, dass meine Ungeschicklichkeit die Lage verbessert hat – insbesondere nicht die Tatsache, dass ich das Planetenmodell zerbrochen habe.«

»Egal. Was zerbrochen ist, kann wieder repariert werden. Insgesamt gesehen würde ich sagen, dass du dich an diesem Morgen ganz gut geschlagen hast. Du wirst dein Siebtjahr nach einem weiteren Mondzyklus abschließen. Dann steht vor einer Berufung auf die neunte und höchste Ebene nur noch das Achtjahr. Mir scheint, unter diesen Umständen wiegt das Wohlwollen der Priorin schwerer als die Verärgerung einer einzelnen Nonne – zumal einer Schwester, die du bald nicht mehr wiedersehen wirst.«

Seine Worte halfen dabei, ihre Bedenken weiter zu zerstreuen. Vielleicht hat er recht. Sie hatte auf dem Weg zur siebten Ebene weitaus mehr erdulden müssen. Und jetzt bin ich der Spitze so nah. Sie schob diese Hoffnung weit von sich, denn sie befürchtete, dass bereits der Wunsch ihre Aussichten zunichtemachen könnte.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, hob ihr Dah das Glück hervor, das sie bisher gehabt hatte. »Sieh nur, wo du angefangen hast. Ein so kleines Kind von sechs Monden, das auf einem Floß aus Sumpfgras gewimmert hat. Wenn du nicht so gemurrt hättest, hätten wir dich nicht gehört. Grumbelbock hätte meinen Schlitten einfach an dir vorbeigezogen.«

Sie versuchte zu lächeln. Die Geschichte, wie sie verlassen im Sumpf aufgefunden worden war, erfreute ihren Dah immer wieder. Er hatte zwei starke Söhne – beide waren inzwischen in ihrem dritten Jahrzehnt, und sie fuhren die Schlitten und betrieben die Koppel –, aber seine Frau war bei der Geburt seiner einzigen Tochter gestorben, und auch diese hatte nicht überlebt. So hatte er Nyx’ Entdeckung im Sumpf als Geschenk der Mutter Unten angesehen, insbesondere da es keine Hinweise darauf gab, wer dieses nackte und schreiende Kind ausgesetzt haben mochte. Das kleine Floß aus Sumpfgras, einer zerbrechlichen und tückischen Pflanze, hatte keine Spuren oder Fußabdrücke gezeigt. Sogar die zarten Blüten, von denen die Oberfläche der treibenden Matte bedeckt gewesen war, hatten keinerlei Schaden erlitten. Es war, als sei sie aus dem Himmel gefallen – ein Geschenk für einen frommen und hart arbeitenden Mann.

Auch wenn diese oft erzählte Geschichte ihren Dah stets mit Stolz erfüllte, war sie doch für Nyx mit Scham und Wut vermischt. Ihre Mutter – oder ihre Eltern – hatten sie im Sumpf ausgesetzt, wo sie hatte sterben sollen, vielleicht weil sie mit einem Makel geboren worden war. Die Oberfläche ihrer glasigen Augen war von einem bläulichen Weiß.

»Wie ich dich geliebt habe«, sagte ihr Dah und gab damit noch eine Wahrheit zu. »Selbst wenn du nicht dazu auserkoren worden wärest, unter die Erstjährigen in der Klosterey aufgenommen zu werden. Aber mir ist fast das Herz zersprungen, als ich hörte, dass du den Test bestanden hattest.«

»Das war ein Zufall«, murmelte sie.

Er hustete eine Rauchschwade aus. »Sag das nicht. Nichts im Leben ist einfach nur Zufall. Es war ein Zeichen dafür, dass die Mutter dir noch wohlgesinnt ist.«

Nyx war nicht so fromm wie er, aber sie wollte ihm nicht widersprechen.

Zu jener Zeit war sie ein Hausmädchen in der Schule gewesen und hatte waschen und schrubben müssen. Sie hatte gerade eines der Prüfungszimmer gesäubert, als sie über einen Stapel kleiner Blöcke auf dem Boden gestolpert war. Einige waren aus Stein gewesen, andere aus Holz. Sie hatte befürchtet, sie könnten wichtig sein, und so hatte Nyx sie aufgesammelt und auf einen Tisch in der Nähe gelegt. Aber sie war zu neugierig gewesen. Während sie die Blöcke übereinanderstapelte, spürte sie, wie unterschiedliche Umrisse ineinanderpassten. Durch die Empfindlichkeit ihrer Finger erfuhr sie – damals wie heute – vieles von der Welt um sie herum. Da niemand zugegen war, spielte sie mit den Blöcken und vergaß dabei die Zeit, bis sich schließlich die fast zweihundert Umrisse zu einer komplizierten Struktur mit Türmen, Zinnen und zerklüfteten Mauern zusammengesetzt hatten, die einen Stern mit sechs Spitzen um das Schloss in seiner Mitte bildeten.

Sie war ganz in ihre Arbeit versunken gewesen und hatte nicht bemerkt, wie sich Personen um sie herum versammelten. Erst als sie fertig war, hatte sie sich aufgerichtet und das erstaunte Keuchen ihrer verborgenen Zuschauer wahrgenommen.

Sie erinnerte sich, dass eine der Nonnen eine andere gefragt hatte: »Wie lange ist sie schon hier?«

Die Antwort: »Ich bin gegangen, als sie mit Schrubber und Eimer hereingekommen ist. Das war vor weniger als einem Läuten.«

»Sie hat in so kurzer Zeit den Hochberg von Azantiia gebaut? Wir geben unseren Bewerbern und Bewerberinnen dafür einen ganzen Tag. Und die meisten schaffen es nicht.«

»Ich schwöre es.«

Dann hatte jemand sie am Kinn gepackt und ihr Gesicht zu sich gedreht. »Seht euch den blauen Schimmer auf ihren Augen an. Sie ist fast blind.«

Danach hatte sie einen Platz unter den Erstjährigen erhalten und war ein Jahr früher als alle anderen in die Klosterey eingetreten. Nur eine Handvoll Kinder aus dem Dorf Brayk hatten je Zutritt zu der Schule erhalten, und keines war höher als bis zur dritten Ebene gekommen. Insgeheim war sie auf diese Leistung stolz, aber es fiel schwer, dauerhaft zufrieden zu sein. Während sie zusammen mit der schrumpfenden Klasse immer höher stieg, ließen die anderen sie nie vergessen, aus welch einfachen Verhältnissen sie kam. Sie lachten sie aus, weil sie nach Silage stank. Sie zogen sie auf, weil sie keine teure Kleidung trug und keine guten Manieren hatte. Und dann war da noch ihr verschwommener Blick, jene Mauer aus Schatten, die sie für immer von den anderen trennte.

Aber in der Freude ihres Dah fand sie Trost. Sie schürte dieses Glück, indem sie standhaft ihren Studien nachging. Außerdem fand sie Vergnügen daran, mehr über die Welt zu erfahren. Es war, als würde sie aus der Dunkelheit eines Rübenkellers in einen hellen Sommertag treten. Die Schatten blieben zwar, und es waren noch viele Geheimnisse zu lösen, aber mit jedem Jahr hob sich für sie die Dunkelheit auf der Welt ein wenig. Die Neugier, mit der sie die Blöcke im Prüfungszimmer zusammengefügt hatte, war ihr nicht nur geblieben, sondern wuchs sogar mit jeder Ebene, die sie erreichte.

»Du wirst es bis zur Neuntjährigen schaffen«, sagte ihr Dah. »Das spüre ich in den Knochen.«

Sie nahm seine Zuversicht in ihr Herz auf und speicherte sie dort. Alles würde sie dafür tun, dass dies geschah.

Und wenn es nur für ihn sein sollte.

In der Ferne hallte der Klang einer Glocke von den Höhen der Klosterey herab. Es war die Unterrichtsglocke. Sie musste ihre Nachmittagsstudien aufgenommen haben, bevor die Glocke abermals läutete. Ihr blieb nicht viel Zeit.

Ihr Dah hatte sie auch gehört. »Es ist das Beste, wenn du jetzt gehst, Mädchen.«

Vor dem Kamin stand sie auf und griff nach ihrem Dah. Sie spürte die drahtigen Muskeln unter der dünnen Haut, die sich um die starken Knochen schmiegte. Nyx beugte sich vor und küsste ihn. Sie fand seine bärtige Wange so sicher, wie eine Biene einen Honigklumpen findet.

»Ich besuche dich wieder, sobald ich kann«, versprach sie ihm und erinnerte sich daran, dass sie kurz zuvor Grumbelbock dasselbe geschworen hatte. Beide Versprechen wollte sie unbedingt halten.

»Mach’s gut«, sagte ihr Dah. »Und vergiss nicht, dass die Mutter stets auf dich aufpasst.«

Als sie auf die Tür zuging, lächelte sie über den festen Glauben ihres Dah an sie und an die Mutter Unten. Sie hoffte, dass er nicht unangebracht war – an keine von beiden.

3

Nyx spürte, dass die Zeit drängte, und so lief sie auf demselben Weg zurück, der sie auch hierhergebracht hatte. Aber jetzt schwenkte sie ihren Ersatzstock vor sich. Es war ein abgewetzter Stab aus ihrer frühen Kindheit: auf der ganzen Länge eingekerbt und vom langen Gebrauch gesplittert. Außerdem war er etwas kürzer als der neuere, den sie im Klassenzimmer stehen gelassen hatte. Dennoch fühlte er sich in ihrer Hand wie ein alter Freund an. Sie streckte ihn vor sich aus. Auch wenn sie den Weg gut kannte, half ihr das Gewicht des Stockes, sich auszurichten.

Sie wurde schneller. Es wäre nicht gut, wenn sie zu spät kam, nicht nach den Mühen des Morgens. Als sie das Schultor hinter sich gelassen hatte, schoss sie die sechs Ebenen hinauf. Als sie die siebte erreichte, war sie zwar längst außer Atem, aber sie schaffte es gerade noch vor der zweiten Glocke.

Erleichtert eilte sie nach links, weg von der Schande der Astronikum-Kuppel. Sie wollte ihren Stock später holen, wenn niemand zusah. Jeden Morgen waren die Studien zwischen den verschiedenen Elementen der Welt aufgeteilt: die Rätsel der Arithomatika, die Zergliederung der Biologika, die Anwendung von Gewichten und Maßen. Die Nachmittage waren der Geschichtswissenschaft, den religiösen Orden und der Literata der Alten gewidmet.

Sie zog die Morgenstunden vor, vor allem weil sie später am Tag so viel lesen musste. Auch wenn ihre Fingerspitzen geschickt und feinfühlig waren, konnten sie doch nicht die Tinte erspüren, mit der die heiligen Bücher geschrieben worden waren. Ein junger Akolyth war ihr als Hilfe zur Seite gestellt worden. Jace hatte zwar nach seinem Fünftjahr versagt, aber er war nicht nach Hause geschickt worden, sondern hatte einen Platz im Skriptorium der Schule erhalten. Hauptsächlich musste er Texte kopieren, aber er diente Nyx auch als Augenpaar. Tagsüber rezitierte er leise all das, was sie verstehen musste, und manchmal arbeiteten sie nachts in ihrer Schlafzelle noch weiter.

Sie eilte dorthin, wo er für gewöhnlich auf sie wartete. Jace hätte ihr Leben noch schwieriger machen können, aber er war freundlich und geduldig. Sie vermutete, dass er sie nicht nur als Schülerin mochte. Wenn er auch vier Jahre älter war als sie, wirkte er doch viel jungenhafter als die anderen Siebtjährigen. Zum Ausgleich ließ er sich einen struppigen Bart wachsen, der seinem runden Gesicht ein wenig mehr Ausdruck verlieh. Seine zumeist sitzenden Tätigkeiten hatten ihm zu einem runden Bauch und einem leichten Keuchen verholfen, das er von sich gab, wann immer er versuchte, mit Nyx mitzuhalten. Aber im Gegensatz zu den anderen schaffte er es, sie zum Lachen zu bringen. In vieler Hinsicht war er der Grund dafür, dass sie die nachmittäglichen Studien überhaupt ertrug.

Sie begab sich zu dem Bogengang vor dem Skriptorium. Als sie eine Biegung umrundete, hörte sie das verräterische Keuchen ihres Freundes, das so schwer und angestrengt klang, als sei er den ganzen Weg hierhergerannt. Sie roch den Kalk an seinen Kleidern und vermutete, dass er den Morgen damit verbracht hatte, frisches Pergament für seine Arbeit herzustellen.

»Jace, es tut mir leid, dass ich zu spät bin. Wir sollten …«

Da stieg ihr ein neuer Geruch in die Nase. Bitter und reich an Eisen. Mit jedem Ausatmen trieb er von Jace weg. Blut. Verwirrt stolperte sie über etwas, das am Boden lag. Sogar ihrem Stock war es entgangen. Sie fiel und bemerkte dabei, dass es das Bein ihres Freundes gewesen war. Warum saß Jace in dem Bogengang? Sie klopfte mit der Hand gegen seinen Körper.

»Jace, was ist los?«

Ihre Finger fanden sein Gesicht, und er keuchte auf. Sie spürte das warme Blut unter seiner Nase, die krumm und geschwollen war. Er zuckte unter ihrer Berührung zusammen und zog ihre Hände nach unten.

»Nyx … sie wollen dir wehtun.«

»Wer?«

Aber sie erahnte die Antwort. Plötzlich war überall um sie herum das Rascheln von Leder zu hören. Hinter ihr ertönte ein Kichern.

»Lauf!«, drängte Jace und stieß sie von sich.

Zögernd blieb sie in der Hocke und war starr vor Angst.

»Lasst sie nicht davonkommen!«, rief Kindjal.

Die Worte brachen ihre Panik. Nyx suchte nach einem Fluchtweg. Sie öffnete all ihre Sinne und füllte ihre Welt mit jedem Rascheln, Wispern und Stoßen. Sie scheute vor den treibenden Schatten rechts von ihr zurück und flog vor dem Schleier aus Schweiß und Atem hinter ihr. Als sie weglief, hoffte sie, bald Unterstützung von der Schule, von den Schwestern oder Brüdern in der Nähe zu erhalten.

Das Herz hämmerte ihr in der Brust, und ihr Gehör reichte immer weiter. Sie erkannte die vertrauten Töne von Schwester Reed hinter der nächsten Ecke.

»… richtigen Ort. Sie wird sich wünschen, sie hätte nur die Rute gespürt.«

Jemand antwortete ihr; seine Stimme war ein hohes Schnarren. Es war Hieromönch Plakk, der die nachmittäglichen Studien leitete. »Und die Priorin?«

»Was zwischen dem Läuten der Glocken geschieht, insbesondere unter gereizten Schülern, unterliegt nicht meiner Verantwortung. Ich werde behaupten …«

Das zweite Glockengeläut breitete sich auf den Ebenen aus und schnitt ihre Worte ab.

Nyx keuchte, ihr Herz raste, und sie hatte das Gefühl, vor Entsetzen ohnmächtig und aus ihrem Körper herausgehoben zu werden. Einen Augenblick lang wurde sie von einem seltsamen neuen Sinneseindruck überwältigt. Der Hall der Glocken schnitt durch die Schatten, trieb sie zurück und zeigte die Mauern, Treppen und Gänge um sie herum mit größerer Klarheit. Sie konnte sogar Umrisse erkennen, die auf sie zukamen.

Einer näherte sich ihr rasch, und sie wirbelte von ihm weg. Finger griffen nach ihrem Ärmel, aber sie konnte sich entziehen.

Hinter ihr wurde ein Fluch ausgestoßen.

Byrd.

Sie folge dem Pfad, der von den hallenden Echos geöffnet worden war, und benutzte diesen neuen Sinn zum Entkommen. Aber bei ihrer Flucht setzte sie sicherheitshalber zusätzlich ihren Stock ein. Die Jäger fielen rasch zurück, doch sie gaben nicht auf, sondern sammelten sich hinter ihrem Rücken wie ein Sturm.

Sie erreichte die Treppe, die zur achten Ebene führte. Als Siebtjährige kannte sie diese Ebene nicht gut. Dennoch hastete sie die Treppe hinauf und ließ sich dabei von ihrem Stock leiten. Ihre Aufmerksamkeit schien sich umso stärker zu teilen, je höher sie kam. Ihre Brust brannte, ihr Herz hämmerte, aber sie hatte auch den Eindruck, dass ein Teil von ihr über ihr dahinfloss und auf sie herabschaute. Doch sie hatte keine Zeit, über diese Seltsamkeit nachzudenken.

Sie erreichte den oberen Absatz der Treppe und rannte durch die Ebene. Als der Klang der Glocken verhallte, schloss sich die Welt wieder um sie herum. Sie sank in ihren Körper zurück.

»Da ist sie!«, rief Kindjal hinter ihr.

Entsetzt flog Nyx vor dem herannahenden Klatschen der Sandalen über den Steinboden. Da die Achtjährigen schon in ihren Klassenzimmern saßen, war niemand zu sehen. In Panik versuchte sie, noch schneller zu laufen. Dann prallte sie mit der Schulter gegen eine Ecke und wurde einmal um sich selbst gewirbelt. Aber die Angst hielt sie aufrecht und in Bewegung.

Doch wohin sollte sie fliehen?

Da sie den neuen Blick auf die Welt wieder verloren hatte, nahm sie den einzigen Weg, den sie hier oben gut kannte. Jede Schülerin und jeder Schüler pilgerte irgendwann heimlich hierher. Die Reise endete dort, wo die Hoffnung entweder zu Boden getrampelt oder in die Höhe gehoben wurde.

Nyx bildete da keine Ausnahme. In jedem Jahr hatte sie die achte Ebene mehrfach auf dem Weg zu dieser Stelle durchquert. Sie lief auf ihr Ziel zu. Es war die einzige Route, die sie im Gedächtnis behalten hatte.

Die Jäger folgten ihr, sie lachten dunkel und trieben sie mit Drohungen vor sich her.

Schließlich erreichte sie eine weitere Treppe. Sie war weder steiler noch länger als diejenigen, die sie bisher erklommen hatte, und doch kam Nyx schlitternd vor ihr zum Stillstand. Die Stufen führten zur neunten und letzten Ebene hinauf. Nur diejenigen, die des Aufstiegs als würdig erachtet wurden, durften diese Treppe benutzen. Allen anderen war sie verboten. Die Geheimnisse der neunten Ebene standen nur den Auserwählten offen. Eine Übertretung dieser Regel zog den sofortigen Verweis von der Schule nach sich.

Nyx zitterte am Fuß der Treppe. Sie hatte ihre ersten sieben Jahre in Brayk und die nächsten sieben hier in der Klosterey verbracht. In diesem Augenblick schwankte ihr Leben zwischen einer strahlenden Zukunft und einem schändlichen Absturz. Obwohl sie natürlich ihr Schicksal nicht kannte, hatte sie sich doch immer um das Beste bemüht und darauf gehofft.

Aber jetzt …

Hinter ihr kamen die anderen näher. Byrd bemerkte ihr Zögern. Er lachte schallend, aber es klang keineswegs fröhlich, sondern wie eine Drohung, die er mit seinen nächsten Worten auch noch unterstrich. »Sie sitzt in der Falle. Seht euch das an! Ich werde ihr den Stock wegnehmen und ihr damit den Hintern versohlen. Dann kann sie zwei Wochen nicht mehr sitzen.«

Die anderen lachten, während sie ihr den Fluchtweg abschnitten.

Plötzlich wurde ihr der Stock aus den Fingern gerissen. Sie versuchte ihn zurückzuholen, wurde aber beiseitegestoßen.